Eugen Gomringer ist ein bolivianisch-schweizerischer Schriftsteller, bekannt vor allem als Lyriker. Konkrete Poesie oder auch visuelle Poesie, so heißen hier die Stichworte. Was der österreichische Maler Heinz Gappmayr in der bildenden Kunst tat, nämlich Flächen und Wörter in eine Verbindung zu bringen, das bereitete Gomringer für die Dichtung. Sprache im Text steht nicht bloß immateriell für sich, so daß wir beim Lesen Laute im Kopfe vernehmen, denen wir Sinn und Bedeutung geben, sondern das Wort als materiale Form ruht genauso auf einer Fläche.
2011 erhielt Gomringer den Alice Salomon Poetik-Preis 2011 – nicht weltbekannt, aber Preis ist Preis – und ein Wandgedicht ziert seitdem die Fassade der Alice Salomon Hochschule. Es ist eine Fachhochschule im Osten Berlins, in Hellersdorf. Ihre Schwerpunkt ist sozialpädagogischer Natur: Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung. Auf der Fassade steht:
Avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
Man kann dieses Gedicht ins Deutsche übersetzen, ich halte es aber für sinnlos, weil durchs Übertragen der Klang verlorengeht, und wenn man die wenigen Begriffe vom Spanischen ins Deutsche denkt, geht es genausogut ohne Übersetzung.
Der Asta der Alice Salomon-Hochschule übersetzt trotzdem, weil er nicht auf die Kraft der Sprache vertraut, sondern auf die Macht der Kunstvernichtung. Das Gedicht soll weg, es sei frauenfeindlich.
„Ein Mann, der auf die Straßen schaut und Blumen und Frauen bewundert. Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.“
Man könnte meinen, diese Sätze stammten in ihrem Übereifer als eine Art Witz aus Eckhart Henscheids „Trilogie des laufenden Schwachsinns“. Von dorther sind sie aber nicht entnommen. Sie kommen vom Asta, aus der Anonymität heraus geschrieben natürlich, ohne konkrete Personen, die für die Kunstvernichtung einzustehen bereit sind. Lediglich in einem Aufruf zur Neugestaltung der Fassade unterzeichnen eine Lotte, eine Marie und ein_*x Aiko vom Asta.
Heute ist es gefährlich, Kunst zu machen. Damit bist du, guter armer Künstler, Hypocrite lecteur, mon semblable, mon frère!, schneller auf dem Scheiterhaufen der neuen Inquisition, als du bis drei zählen kannst. Der Autor von „A une Passante“ säße vermutlich, wenn es nach diesen Leuten ginge, in einem Gefängnis. Allein schon deshalb, weil er der Brüderlichkeit nur das Wort hielt.
Solches Zensieren und Tilgen von Kunst und Kontext hat Methode. Bereits in Orwells „1984“ lesen wir von jenem Wahrheitsministerium, das Geschichte und Tradition von Kunstwerken umschreibt, so wie der Zensor in Diktaturen auf hohes Geheiß aus Photographien unliebsame Personen tilgt.
Die „Zeit“ betitelte letzte Woche einen Essay zur bildenen Kunst wie folgt: „Mit ***** fängt es an“. Sensibelchen, die beim Neger einen aufgeregten Keuchhusten samt Sprachschwierigkeit bekommen. Sprachphilosophisch allerdings im Sinne von Donald Davidson interessant, ab welcher Anzahl von Sternen der Leser einen Begriff in seiner Bedeutung nicht mehr versteht. Hanno Rauterberg hielt in der „Zeit“ diese Beobachtung des Geschichtstriggerns in bezug auf die Kunsthalle Bremen fest: sie „erforscht in einer couragierten Ausstellung ihre koloniale Geschichte. Das Ergebnis ist verheerend.“
Was ich vor zehn Jahren für einen schlechten Scherz hielt, worüber ich witzelte und dachte es käme bei allem Wahn politisch korrekt zu sein, soweit nicht, es sei ein Witz, die kleinen weißen Täfelchen umzuschreiben, auf denen der Werktitel steht – hier in Bremen wird das Unzugängliche Ereignis und auch getan:
„Verschärfend kommt hinzu, dass Nolde von „Eingeborenen“ sprach und die Aquarelle so betitelte. Dieser Begriff sei „im Kontext von Versklavung und Kolonialismus aber ausschließlich auf unterworfene Gesellschaften außerhalb Europas angewandt“ worden, sagt die Ausstellung, weshalb im Museum nur von E*********** die Rede sein darf.
(…)
Ähnlich verhalte es sich mit dem Kaffeegarten an der Weser von Elisabeth Perlia, denn hier werde ein „Genussmittel aus fernen Ländern, zumeist von unterbezahlten Arbeitskräften hergestellt“ ganz offenbar „unbekümmert von der globalen Handelsgeschichte“ genossen. Die Malerin zeige „das Kaffee-Trinken als Teil der weißen Identität“.
Entstanden sind diese Texte in Kooperation mit der örtlichen Universität in Bremen, verantwortet werden sie von der Anthropologin Julia Binter, die eigens als Kuratorin nach Bremen geholt wurde. Inmitten der Debatte um das Humboldt Forum in Berlin plädiert sie mit ihrer Ausstellung für eine radikale Dekolonialisierung der Museen: Erkennt eure Schuld und zieht daraus die Lehren, ruft sie den Besuchern zu. Endlich soll Schluss sein mit Rassismus, Exotismus und Ausgrenzung.
Deshalb darf das Negermädchen, ein Aquarell von Anita Rée, jetzt nur noch N****mädchen heißen.“
Man hätte Julia Binter dort lassen sollen, wo sie herkommt – im akademischen Dschungel deutscher Mittelstandsfrauen. Ich zitierte die Passagen deshalb so ausführlich, um den Geist dieser Gesinnungspolitik besser begreifbar zu machen: wie eine sinnvolle Intuition sich ins Absurde verdrehte. Fast könnte man den Eindruck bekommen, es wollten in Bremen und auch im Falle des Asta-Hellersdorf bestimmte Kreise eine eigentlich gute Sache ins Lächerliche reiten. Ja, am besten ist es, Völker und Kulturen, Mann, Frau, Geschlecht und Geschlechter kommen in Kunst und Leben gar nicht vor. So hätten es die Evangelikalen des neuen Butlermainstreams am liebsten, am besten überhaupt keine verfänglichen Dingen, die man falsch interpretieren könnte und die ein zu zartes Gemüt wie Lotte, Marie und Aiko vom Asta beunruhigen, wenn nicht triggern könnten. Kürzlich las ich in einem Blog, daß Verlage doch bitte eine Contentwarnung auf entsprechenden Büchern anbringen sollen. Und das war nicht als Scherz gedacht und das hat mittlerweile System:
„Der Verlag könnte Content Warnings in den ersten Seiten auflisten, oder bevor die Geschichte anfängt darauf hinweisen, dass man auf eine der letzten Seiten Content Warnings finden kann. Diese Content Warnings sollte man auch über verschiedene Online-Buchhandlungen finden können.
Für die neue Pekinger Hauswand in Hellersdorf schrieben Lotte, Marie und Aiko vom Asta: „Werdet also kreativ, brainstormt gemeinsam und lasst uns eine tolle Umgestaltung realisieren! alles Liebe, …“ so texten sie liebevoll ihren Aufruf zur Kunstzerstörung.
Die Kreativität dieser Leute sieht vermutlich die Burka vor. Gleichgeschlechtlich, ohne sichtbaren Unterschied, nichts, was auffällt, selbst Maos Ameisenkittel, die ein ganzes Volk zu tragen gezwungen war, wirken dagegen wie ein Stück hart erkämpfter Souveränität. Burkas über Statuen, über Kunstwerke, über jede Regung und Äußerung. Und da Geschlecht, laut Judith Butler, eine soziale Konstruktion ist, können wir es gleich mit abschaffen, denn es perpetuiert den Gewaltdiskurs. Restlos verabschiedet dieses sich selbst als links bezeichnende Kollektiv jeglichen Materialismus.
Diese neue Animosität samt Ikonoklasmus, in evangelikaler Tradition, ist entsetzlich, wir hatten es bei den Bilderstürmern zur Reformationszeit, heute ist es critical whiteness und eine bestimmte Fraktion aus dem Hause Gendergaga. Amusisch vor allem. Den Gehalt dieses Gedichtes nicht im mindesten erfassend.
Ein wunderbares Statement an die Adresse der Amusischen gibt es von Nora-Eugenie Gomringer, der Tochter des Dichters und selbst Dichterin, auf Facebook. Ein großes und gutes Statement:
https://www.facebook.com/noraeugenie.gomringer/videos/10155002505906819/
Wer nach dieser Rezitation und vor allem nach dieser Interpretation des Gedichts die Wand-Poesie immer noch entfernen will, hat nichts von Kunst begriffen und legt die (scheinbar) gute Gesinnung über jede Denkregung. Schlimmer aber als jene Leute vom Asta ist die Hochschulleitung, die dem Druck stattgegeben hat. Was für Feiglinge! Auch wenn Hochschulrektor Uwe Bettig das Entfernen kritisiert: Es gäbe sicherlich interne Möglichkeiten, es zu verhindern. Angefangen bei einer kleinen Sicherheitsprüfung der Kaffeemaschinen im Studentencafé des Asta. Von der Frage der rechtlichen Legitimation des Asta einmal ganz abgesehen.
Nein, so geht es nicht. Das Gedicht bleibt, und wir sollten überlegen, ob wir nicht, wenn das Gedicht entfernt wird, öffentlich zum Protest aufrufen und die Beseitigung mittels Platzbesetzung und ästhetischer Intervention verhindern. Sobald es übergemalt wird: einschreiten. In der Tradition von Beuys oder Schlingensief. Zeit wird es, diesen Kräften die Stirn zu bieten, und wie es von links her immer gefordert wird: Hier ist Zivilcourage gefragt, denn dieser Schoß ist fruchtbar! Wobei man Schoß bei Butlers Gendergaga vermutlich nicht mehr wird sagen dürfen, weil der Begriff der heteronormativen Matrix entstammt. Böse Möse, armer Brecht!