Dies ist ein Text, den ich als eine Art Blogantwort bzw. als Kommentar bei der von mir hoch geschätzten Schriftstellerin Aléa Torik schrieb. Auf die Frage, wie eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller von ihrem Schreiben leben können. Ich möchte diesen Text, da ich mir viel Mühe machte, auch hier veröffentlichen. (Quatsch, ich habe den Text in einem Zuge heruntergeschrieben. Und es hat mich keine Mühe gekostet, sondern nur ein wenig Zeit und eine Flasche Bier.)
@ Aléa Torik
Ich weiß, es ist nur ein Nebenaspekt Deines Textes, in einer Deiner Kommentarantworten stehend, wesentlich ging es Dir um konkrete Aspekte der Literatur: „Je weniger die Sprache ein Buch trägt, umso mehr Handlung braucht es“. Ich hätte besser auf diesen Titel und das, was inhaltlich darunter befaßt ist, eingehen müssen, nahm aber eine andere Stelle in einer Deiner Kommentarantworten zum Anlaß: Dort beklagtest Du die unsichere materielle Existenz der Schriftstellerin, des Schriftsteller. Was den monetären Aspekt betrifft, so sehe ich dies etwas anders, und ich möchte Dir widersprechen. Einmal abgesehen, daß mir das Klagen der Schriftsteller über ihre prekäre Daseinsweise ungemein auf die Nerven geht und mich (und vermutlich viele andere ebenso) nicht die Bohne interessiert, scheint mir diese Kritik an der Sache vorbeizugehen. Ich will das an einigen Aspekten verdeutlichen. (Eigentlich hatte ich vor, diesen Text unter dem Begriff Prekariatsszenerien zu betiteln. Aber dies schien mir denn doch zu drastisch. „Prekär“ allerdings in verschiedenen Konnotationen gemeint.)
Erstens: Mit diesem Punkt meine ich weniger Dich als jenes sich selber überschätzende Schreiberprekariat, das sich – meist in Berlin lebend – einbildet, Dichterin oder Dichter zu sein, weil irgendwie aus der der Lamäng, aus der Assoziation zwei oder drei Zeilen geschrieben wurden, irgendwann einmal die Stimmung besonders lyrisch oder prosaisch ausfiel und fürs Zwischendurch ein Text gefertigt wurde, der dann irgendwo in den Weiten des Digitalen sich verbreitete oder es sogar auf ein Blatt Papier schaffte. Karen-Köhlerisierung der Literatur. Die wir beide gleichermaßen beklagen. All die selbsternannten Dichterinnen und Dichter, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller treiben sich in Berlin zuhauf herum. Aber ebenso anderswo. Selbstermächtigungsgesetz des Literatentums. Ich, der Dichter, ich, die Dichterin. Narziß und Echo begleiten neuerdings den Dichter als Geist-Gefährten. Apollon, Dionysos und der Zug der Mänaden haben ausgedient. Allenfalls als Literaturgroupies oder Salonleseboxenluder tauchen diese Mänaden auf. Die Bakchen des Kultursalons. Die Dichterlebensdichte in Kreuzberg, Friedrichshain, dem Prenzlauer Berg und neuerdings wohl auch Lichtenberg und Pankow ist ungemein hoch. Dagegen war Friedenau in den 60er Jahren dichterisch fast dünne besiedelt. (Herta Müller lebt dort heute noch.) Ich bekomme regelmäßig Wallungen der Aggression, wenn der Ranz des Beliebigen als Dichtung hochgepimpt wird. (In Blogs kann man das ja alles machen. Gut finde ich es dennoch nicht. Es hat etwas Schales, etwas Anmaßendes, etwas Abstoßendes. All dieses Schreiben. All diese Viel-zu-vielen.) Aus der Assoziation mache ich Euch allen solche 3-Sekunden-Texte im Zwei-Sekunden-Takt:
Nach der Nacht//Und aus der Muschi der Scheidenausfluß//im Beckensaum//Genäht, gewichtet, zu leicht befunden//Haarflaum in der Abfickzone//Sekrete Diskretion.
Ich meine, das ist doch wirklich ein geiler Titel für einen Gedichtband: „Haarflaum in der Abfickzone“. Ich, der Fan der Muschibehaarung. Wie geschrieben: ich kann hier den ganzen Abend und den Morgen und den Nachmittag assoziieren und den Tag und darüber hinaus. Aber als Dichter würde ich es nicht wagen, mich selber zu bezeichnen oder von anderen mich benennen zu lassen. Was für eine Hybris! Und damit komme ich auf den Punkt: Es gibt zu viele von Euch Schriftstellern! Reduziert Euch! (Eine der schönen Ausnahmen war Dein Blog und es ist auch summacumlaudes Blog, stellenweise auch die Beobachtungen bei Kreuzbergsüdost, ebenso Katharsis. Feine Skizzen, aus denen mehr werden kann oder könnte. Natürlich, im großen Rahmen, ebenfalls viele der Texte von Alban Nikolai Herbst in seinem Blog, wenn nur das Jammern nicht wäre. Des Dichters liebstes Kind scheint die Klage zu sein. Ganz gleich, ob Marienbader oder Berliner Elegie. Andererseits, im guten Teil der Elegie geht das Klagen, Jammern und Zähneklappern durchaus, wenn das Material bearbeitet und nicht roh hinterlassen wurde, wenn dann der Bau trägt und die Kraft des Ausdrucks wirkt: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,//Gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide.“ Goethe, Torquato Tasso)
Daß Dichtung einmal Ausdruck von Leiderfahrung war, objektives Leiden, Leid objektivierend in der Textweise des Subjekts: dieser Umstand scheint mittlerweile vergessen. Die Begleiter des Dichters sind Narziß und Echo.
Die Städte sind voll von Lyrik und Prosa. Gut. Und für die Performances beim Poetry Slams mag das funktionieren, wenn in gewitzter Form Sprache dargeboten wird. Ob das freilich der Dichtung insgesamt zugute kommt? Dieser Faktor der Multiplizierung, dieses Zu-Viel der schnellen Form: Das ist der Grund, weshalb ich Lyrik und Prosa-Gedicht (in vielen Fällen) für die heruntergewichsteste Form der Dichtung halte. Hausfrauengeschreibe fürs Zwischendurch. Keine Kraft und keinen Atem für die lange Form des Romans oder eben einen komplexen komponierten Gedichtband aufbringend, wie Daniela Danz das gekonnt mit Pontus tat. Es müßte ein Gesetz erlassen werden: Wer nie einen Roman schrieb, wird mit dem Verbot belegt, Lyrik zu produzieren. Vielleicht sollte man das auch für die Essays einführen. Wer nie sich einem Schreib-, Denk- und Theorieprojekt für mindestens 2 Jahre hingab, darf keine Texte verfertigen. In hora mortis – es mag der Griffel in der Sterbe-Hand verfaulen. Die Journalismusversuche samt den Buchschreibereien der Kreuzberger Medienbohème betrifft dies ebenso.
Nein, mich stört weniger das Schreiben selbst, als Akt, als Tätigkeit, als Wille zur Gestaltung, sondern vielmehr das Prätentiöse. Lyrik und Prosa geraten inflationär. Nun kann man sagen: schön, daß es so viel Dichtung gibt. Ja, schön auch, daß es so viel Beliebiges gibt, dem es an diesem Willen zur Form gebricht. Dieses Phänomen scheint auch in der Photographie existent zu sein, weshalb ich immer weniger Lust verspüre, meine Photographien überhaupt noch herzuzeigen.
Punkt 2.
Du schreibst:
„es mag sein, dass wir in dem Maße, wie wir erkennen, dass man vom Schreiben nicht leben kann, auch erkennen müssen, dass es eben kein Beruf, sondern ein Hobby ist. Ich kann mir als Beruf nichts Schöneres vorstellen, aber als Hobby interessiert mich das Schreiben nicht. Wenn man nicht fürs Schreiben lebt, dann kommen dabei in der Regel Hobbytexte heraus (bei den großen fiktionalen Formen; bei Bloggern und Journalisten gelten da andere Gesetze). Ich will Texte von Berufsschriftstellern lesen, die sich mit ihrer gesamten Existenz für den Text verbürgen. Und solche Texte will ich auch schreiben. Wenn das nicht geht, dann muss ich mich anderweitig orientieren.“
Wohl wahr und richtig: Schreiben (und überhaupt das Machen von Kunst) ist kein Hobby, es ist Leidenschaft, wildes irres Tun und Treiben, ein Delirieren, ein Zwang, ein Muß und hohe Kunst der Komposition. Insofern trifft der Begriff des Tonsetzers, als der jener Adrian Leverkühn im „Doktor Faustus“ bezeichnet wird, den Umstand dieser Arbeit der Kunst sehr genau. Es ist ein Setzen, vorsichtiger Satz, kühner Satz, vorpreschender Satz, und es klingt die Arbeit des Schriftsetzers darin an. Guter alter Bleisatz, Detailarbeit, wenn nach den passenden Lettern gefischt wird. Aber, und hier kommt die große Einschränkung, es bietet die Kunst eben keine Gewähr dafür, daß es Geld gibt. Schön wäre eine Gesellschaft, in der jeder nach seinen Bedürfnissen tätig sein könnte. (Insofern stellt die Bezahlungsfrage für Schriftsteller:innen, jenseits allen Egoismus oder auch des rein Pragmatischen, von irgend etwas leben zu müssen, zugleich die Systemfrage. Ich schreibe das in einer Klammer, obgleich diese Klammer Zentrales berührt: Wie wir nämlich leben wollen.)
Auch ich mag keine Hobby-Texte lesen, schreiben braucht Zeit; in den Blogs, die Literatur machen, lesen wir immer wieder, wohin und zu welcher Art von Text das Hobbyschreiben führt, wenn im Ton der Empfindsamkeit getrötet oder geflötet wird.
Die Schriftstellerin Ulla Hahn riet jungen Autorinnen und Autoren, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Ich halte das für einen guten Hinweis. Denn es ist doch so: Der Betrieb ist voll. Alle drängt es zu den Töpfen, zu den gut oder den weniger gut bezahlten Vorträgen, den Schreibstellen in den Feuilletonredaktion, denn vom Verkauf seiner Bücher kann (so vermute ich) kaum einer der Schriftsteller leben. Es bleibt also nur die eiserne Disziplin, um seine Leidenschaft, dieses ungeheure Begehren, neben der Erwerbarbeit zentral zu machen. Schreiben erledigt sich nicht nebenbei. Wer aber dieses ungeheure Wagnis eingeht, einen Roman zu komponieren, der benötigt eines der kostbarsten Dinge, die es auf dieser Welt gibt: Zeit. Das heißt vermutlich auch: ich muß mich von vielem, das ablenkt, freischaufeln. Freundinnen und Freunde reduzieren. Tätigkeiten einschränken. Eine Lösung für dieses Dilemma weiß ich nicht. Falsch wäre es auf alle Fälle, wenn eine der begabtesten Schriftstellerinnen ihr Schreiben aufgibt. Nebenwege gehen vielleicht? Wie machte es Franz Kafka, der zeitlebens seine Arbeit im verhaßten Büro verfluchte? Ihn rettete die Krankheit. Ihm schadeten die Frauen. Nein, nicht ganz. Sie waren der Anlaß zum Schreiben, der unendliche Fluchtreflex. Orpheus schlachtet Eurydike, und er beschreibt dieses leere hagere Gesicht, das er im September des Jahres 1912, bei Brod an einem Tisch sitzend, betrachtete, das Blasse, Magere. Er modelliert und skizziert aus diesem Gesicht heraus den größten Roman des 20. Jahrhunderts. (Aber auch dies ist nur eine Mutmaßung, kein Biographienpositivismus, sondern selber ein Stück dieses ungeheuren Textes Kafka, den der Blogbetreiber fortzuschreiben gewillt ist.) Durchstreichung eines Gesichtes, ein Text, der sich fragmentiert und selber auslöscht, denn das Wesen eines Textes ist es, wieder verschwinden und sich ins Nichts versetzen zu können. Die Illusion der textuellen Dauerpräsenz und Omnipotenz durchzustreichen. Ginge es nach Kafka, wäre sein Literaturnachlaß verbrannt worden. (Undenkbar, absolut undenkbar für einen heutigen Dichter.) Schreibglück fand Kafka erst kurz vor seinem Tode, zusammen mit Dora Diamant. Auch eine der vergessenen Frauen. Aufhören ist für die, die der Literatur etwas hinzugefügt haben, keine Option. Das sollten besser andere machen.