FU Berlin, 7.5.: Antisemitischer Protest (1)

Die Besetzung der FU Berlin durch Israelhasser und Antisemiten
und dazu ein Offener Brief

Gestern wurde von antisemitischen wie antiisraelischen Studenten die FU Berlin besetzt, genauer gesagt an der sogenannten Rost- und Silberlaube. Da ich nicht weit entfernt wohne, dachte ich mir in diesem Falle, daß ich dort mit dem Fahrrad hinfahre, um zu sehen, ob es Gegenprotest gibt und vor allem aber, um zu dokumentieren, was passiert. Da ich diese Nachricht erst gegen Mittag wahrnahm, bekam ich die Besetzung des Theaterinnenhofes nicht mehr mit. Rost- und Silberlaube waren beide abgesperrt, als ich dort ankam. Ich habe mir hinterher dann Informationen durch die Sichtung zahlreicher Videos im Internet verschafft. Als ich an der FU ankam, drang aus dem Gebäudekomplex ein dauernder Feueralarm. Die Türen waren verschlossen. Eine gespenstische Situation. Und traurig vor allem für eine Freie Universität.

Konsequent jedoch und robust (großes Lob!) hat die Berliner Polizei sehr schnell den teils antisemitischen Protest aufgelöst. Vorher bereits wurde im Inneren der Universität geräumt, da der Rektor Günter M. Ziegler, der bisher nicht durch übermäßigen Einsatz gegen Antisemitismus an der Universität auffiel, diesmal rechtzeitig die Polizei zur Hilfe gerufen hat. Das war genau richtig. Denn man darf solchen Leuten in keinem Fall den universitären Raum überlassen. Nicht einmal für wenige Stunden. Die Zelte des Protestcamps im inneren Theaterhof, nomen est omen, Intifada-Theater, wurden rasch geräumt. Draußen vor der FU-Mensa versammelten sich weiterer Aktivisten. Drei Aufforderungen zum Verlassen des Geländes gab es. Diese wurden nicht befolgt. Und dann wurde mit Ketten und Polizeigriffen der Platz leergemacht. Sehr gut. Natürlich gab es das übliche Gemosere und „Ganz Berlin haßt die Polizei“-Rufe.

Es ist nun einmal, auch vom Gesetz geregelt, so: Wer nach der Aufforderung der Polizei, den Ort zu verlassen, sich nicht entfernt, muß mit polizeilichen Maßnahmen rechnen, die bis hin zu einfacher körperlicher Gewalt und Schmerzgriffen gehen. Mein Mitleid mit diesen Leuten hält sich in Grenzen. Zumal die Polizei moderat vorging. Genausogut hätte man eine Hundestaffel einsetzen können oder mit Schlagstöcken und Schildern den Raum zurückgewinnen können. Auf solche Maßnahmen wurde verzichtet. Die Polizei trug nicht einmal Helme. Im ganzen also alles gemütlich.

Bei den Protesten nahmen auch Externe, also Nicht-Studenten, und viele migrantische Araber teil, mit den üblichen Rufen. Eine seltsame Melange: teils aggressiv und mit Macho-Gebaren auftretende Araber, teils Studenten und insbesondere viele Studentinnen aus dem woken Milieu, die hysterisch herumkreischten, als hätte man sie einem Hamas-Hauptmann zugeführt oder daß man sie für Patienten einer psychiatrischen Klinik hätte halten können; teils auch Kopftuch-Frauen, die sich auffallend ruhig, aber präsent verhielten. Die ganze Aktion heute schien mir geplant und orchestriert. Einige der Demonstranten wurden hinterher dann mit Autos abgeholt und luden Transparente und Banner ein. Zelte und Vorräte wurden mitgebracht.

Besonders „Yallah, Yallah Intifada“ fand ich in diesem Kontext interessant und es zeigt, woher hier der Wind weht. Bei den „Free Palestine“-Rufen war kein einziger dabei, der diesem Slogan hinzufügte „from Hamas“. Die Hamas, der 7. Oktober und die israelischen Geiseln wurden von diesen entsetzlichen Leuten mit keinem Wort thematisiert. Daß die Angriffe auf Gaza eine Ursache haben, war überhaupt kein Thema, an keiner Stelle.

Daß diese antisemitische Aktion ausgerechnet am 7. Mai geschah, eine konzertierte Aktion dazu, da parallel auch in Leipzig solche Attacken auf die Universität stattfanden, sehe ich nicht als Zufall an. All das sieben Monate nach dem 7. Oktober: auch solches kann man als symbolisches Statement interpretieren – zumal ich, persönlich vor Ort, keinerlei Rufe „Free Gaza from Hamas“ oder irgendeine Parole oder ein Statement gegen die Hamas und für die Freilassung der Geiseln gehört habe. Was im übrigen Free Palestine für Israel und für die dort lebenden Juden bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen. Die Massaker vom 7. Oktober 2023, die in der Eruptivität denen der SS in Osteuropa in nichts nachstanden und teils noch deutlich bestialischer waren, was die Folter von Kindern vor den Augen der Eltern betraf, weisen darauf. Während die SS ihre schrecklichen Taten verbergen wollte, prahlten die Gaza-Araber vor ihren eigenen Leuten in Videos und Bekundungen mit dem Massenmord. Auch das ist der Umschlag von Quantität in eine neue Qualität des eliminatorischen Antisemitismus. Hier werden Historiker genügend Arbeit haben.

Thema war all das jedoch nicht. Hierüber schwiegen die Studenten und ihre von Außen herbeigeeilten Helfer. (Was es nebenbei für jüdische Studenten bedeutet, Kommilitonen mit dem Arafat- und Leila Chaled-Feudel zu sehen, wäre noch einmal ein Thema für sich. Demnächst wird vielleicht auch die Swastika in linken postkolonialen Kreisen als altes Glücksymbol oder als Symbol indischer Weisheitslehre wieder hoffähig .) Und auch hier zeigt sich einmal wieder, wozu das Mitläufertum von ersichtlich biodeutschen, bioblöden Studenten führt. Jenen Aktivistinnen, die da an der FU steindumm herumkreischten und in schriller Stimmlage ihre Sprechchöre herauskrähten, möchte ich doch gerne einmal zur Anschaulichkeit 72 Gaza-Araber auf den Hals wünschen, die mit diesen Damen genau das tun würden, was sie mit Shani Louk und anderen Frauen gemacht haben. Wir erinnern uns an das Bild der blutig gefickten Frau in der Jogginghose im Auto: Ob diese entsetzlich dummen Aktivistinnen dann immer noch davon fabulieren, daß Terror Widerstand sei und ob sie dann wohl noch immer in schriller Stimmlage „Viva, viva Palestina!“ rufen werden? Insofern: ihr könnt euch euer ganzes Viva-Palestina-Gegröle in eure schlecht riechenden Aktivistengendersternchen-Arsche hineinschieben. Und nein: ich wünsche niemandem eine Vergewaltigung an den Hals, nicht einmal solchen Kindermenschen, aber ich erwarte, daß gerade solche Leute, die sich als Studenten sehen, ihren Kopf gebrauchen. Und da machen solche Hinweise vielleicht für das eine oder andere intersektionale Hamsterköpfchen mit den seltsam getönten Haaren die Sache anschaulich.

Auch glaube ich nicht wirklich, daß die Gaza-Araber eine besondere Sympathie für eine nonbinäre Geschlechterordnung oder für Schwule hegen. Diese Art von „intersektionalem Feminismus“ würde in Gaza, in der Westbank, in Syrien, im Irak, in Saudi Arabien oder im Iran nicht einen Tag überleben. Statt einmal nur die Selbstanwendung zu praktizieren oder zumindest über diese nachzudenken und einen Systemabgleich vorzunehmen, werden Dummheiten auf Transparente geschrieben. Wer dekolonisieren will , sollte zunächst einmal die Frage nach Zwangsverschleierung, Zwangsheirat und Frauenrechten stellen. Und dazu vielleicht auch die unrühmliche Rolle der Araber im afrikanischen Sklavenhandel. Postcolonial Studies at its worst.

Wie dem auch sei: Skandalös ist es, daß eine ganze Universität wegen eines antisemitischen Mobs, teils Studenten, teils Externe, die Gebäude stürmen, abgeschlossen und abgesperrt werden muß. Es wird Zeit, daß es Gesetze gibt, die es ermöglichen, diejenigen Studenten, die derart den Universitätsbetrieb stören und verunmöglichen, zu exmatrikulieren. Two strikes and you are out! Diese Sprache wird verstanden. (Und inzwischen bin ich auch der Ansicht, über Studiengebühren nachzudenken.) Solche Art von Protest, die den Universitätsfrieden stört, darf erst gar nicht einreißen. Diskussionen und Debatten im universitären Kontext: ja. Aber ganz sicherlich keine Besetzung und schon gar nicht das Stören des Universitätsbetriebes samt Herumgekreische.

Dank noch einmal an die umsichtige und zugleich konsequent vorgehende Berliner Polizei. Antisemitismus und Universitätsbesetzungen durch Antisemiten und Israelhasser dürfen in Deutschland keinen Platz haben – auch nicht, wenn sie im Gewand vermeintlicher Israelkritik daherkommen. Was die gezeigten Photographien betrifft, diesmal, so haben andere Photographen deutlich bessere Bilder gemacht. Mit einer ca. 15 x 10 cm großen Israelfahne vorne im Hemd macht es sich leider nicht ganz so entspannt Photos. Man wird automatisch zum Zielobjekt der Antisemiten und kann auch nicht derart agieren, wie ich es sonst mache. Und dazu gehört, mit diesen Gesellen ins Gespräch zu kommen und so zu tun, als ob man ihre Ziele teilt (da bekommt man dann am ehesten die Wahrheit zu hören und wie diese Leute ticken.) Was mir nur eben bei diesem Thema mehr als schwerfällt.

Morgen gibt es dann noch einen Beitrag zu jenem öffentlichen Brief, der heute die Runde machte, nämlich das entsetzliche wie naive „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten„. Die, nebenbei, mitnichten alle in Berlin lehren, sondern vielmehr aus irgend einer Ferne teils einen traurigen Sermon dazugeben, ohne überhaupt gesehen oder auch nur im Ansatz über Videos recherchiert zu haben, was sich an der FU zutrug. Aber Hauptsache, man kann sich aktivistisch positionieren. Mitten dabei das Erdogan- und Milli Görüs-Fangirl Kübra Gemüsay – mit Wissenschaft hat diese Frau freilich soviel zu tun, wie Björn Höcke mit einem Lehrstuhl für Kritische Theorie. Im ganzen ist dieser Brief ein entsetzliches und auch trauriges Dokument. Und bei einigen der Namen dort zeigt es das vollendete Scheitern der Kritischen Theorie. Diese ist tot. Was bleibt, ist Leichenfledderei. Aber dazu morgen mehr.

Zum World Press Photo von Mohammed Salem

Vor einigen Tagen wurde das World Press Photo des Jahres 2024 ausgewählt. Das Bild entbehrt nicht einer gewissen Dramatik und eines ikonographischen Aufbaus. Es besitzt, anders als viele politaktivistische Photographien, eine auch ästhetisch hohe Inszenierungsqualität und dies in einem gleich mehrfachen Sinn in einer zeichenhaften Weise: Pietà-Assoziationen, für die Westler, auch das wird gut von Mohammed Salem bedient, Farbkontraste und ein klar fokussiertes Zentrum, welches freilich fast den gesamten Bildraum einnimmt, so daß weitere Details nicht ablenken. Aber es sind auch andere Lesarten denkbar.

Was wird auf dieser prämierten Photographie inszeniert? Das Leid von Opfern? Was ist auf dieser Photographie zu sehen? Alles und nichts: das Photo bildet eine Leerstelle. Die Photographie könnte auch heißen „Dienstfrau mit Wäschebündel in einem Hamas-Palast in Katar“; oder auch „Gaza-Araberin, nachdem sie Wohnungen in Sderot ausgeräubert hat und sich müde auf ihre Beute stützt“. Ob es sich bei dieser Gestalt überhaupt um eine Frau handelt, ist am Ende nicht sicher. Vor einigen Monaten kamen in Gaza aus einem Krankenhaus fünf verschleierte arabische Frauen in Schwesterntracht auf eine Gruppe israelischer Soldaten zu. Als sie dicht genug an den Soldaten waren, warfen die „Frauen“ ihre Verkleidungen ab, zum Vorschein kamen Männer, die sofort das Feuer auf die israelischen Soldaten eröffneten. Es sollte sich also niemand wundern, daß beim Anti-Terroreinsatz der IDF zuweilen auch Frauen und Kinder zu schaden kommen, wenn sie als militärische Schutzschilde eingesetzt werden oder ihre Gestalt als Verkleidung gebraucht wird. (Aber das ist wieder ein anderes Thema. Wenngleich diese prämierte Photographie indirekt auch diese Geschichten miterzählt: Tricksen, täuschen, terrorisieren.)

Photographien, gerade solche, die mit Photopreisen bedacht werden, sollen uns berühren, doch dieses Bild trifft mich nicht. Auf mich wirkt es wie ein Filmstil aus einem surrealen Jodorowsky-Film: absurd und von einer erschreckenden Leere. Oder vielleicht wie eine (ungeschriebene) Szene aus Samuel Becketts „Quadrat I+II“. Ich denke zugleich an all die Pallywood-Bilder, wo scheinbar tote Kinderkörper in der nächsten Einstellung plötzlich wieder munter durchs Bild hüpfen, oder wo immer derselbe arabische Opferdarsteller immer einmal wieder als Leichen sich zur Schau stellt. Vielleicht sind es Fünflingsbrüder – wer weiß das schon? –, aber ich glaube daran nicht. Leider wissen wir als Betrachter bei solchen Photographien, die von arabischen Aktivisten stammen, nicht, ob sie echt oder inszeniert sind. Und ich gehe davon aus, daß solche Inszenierung nicht in derselben Absicht geschieht, wie dies etwa der kanadische Photograph Jeff-Wall betreibt, der genau mit diesem Moment von Inszenierung, Dramatisierung und Echtheit spielt.

Auf dem World Press Photo von 2023 – einer Kriegsphotographie aus der Ukraine, diesmal von einem tatsächlichen Angriffskrieg – sind Menschen zu sehen, die ein Gesicht haben. Auf dieser prämierten Photographie jedoch ist niemand zu sehen. Außer Stoffballen. Das berühmte „Napalm-Mädchen“ von 1972 aus dem Vietnamkrieg wirkte gerade deshalb, weil man ihr Gesicht sah, darin sich die Angst zeigte. Dieses Gesicht und der nackte Körper spiegelten das Entsetzen und das Grauen eines Krieges. Hinzu kommt: Wir kennen weitgehend die Situation und die Umstände, unter denen das Bild entstand. Auch das Vietnam-Bild ist zwar komponiert, da Teile des Bildausschnittes nicht gezeigt werden, aber es ist dies keine Manipulation, sondern eine Fokussierung auf die Szene. Das Bild wirkt durch Emotionen – wobei auch solche Emotionalisierung kein Selbstzweck ist, sondern einen Kontext besitzt. Während das World Press Photo von 2024 eine seltsame Kälte zurückläßt und auch die Frage, weshalb Frauen in der arabischen Welt derart gesichtslos sind. Diese Photographie ist insofern gelungen, weil sie zwar wenig von der durch die Hamas verursachten Gewalt zeigt, aber sehr viel von der Unterdrückung der Frau in vielen muslimischen bzw. arabischen Ländern. Es paßt diese Photographie insofern gut zu einer Religion, die Frauen zwingt, sich zu verhüllen. Stichwort Iran auch, wo die tapferen Frauen einen Kampf dafür führen, so auf die Straßen zu gehen, wie sie es wollen.

In diesen Kontext manipulativer Photographen, die hier aber nicht der Ästhetik, sondern einer Propaganda dienen, passen auch die Bildarbeiten von Mohammed Salem. Wenn ich mir seine Photographien anschaue, die er auf Instagram zeigt, dann sehe ich keinen Journalisten, sondern einen arabischen Aktivisten, der tendenziöse Photos präsentiert, die lediglich die eine Seite zeigen. Ursache und Wirkung werden aufgehoben, wenn nicht vertauscht. Aber vielleicht gibt es von ihm auch andere Bilder, etwa solche von den Massakern an Juden und dem Dauerbeschuß aus Gaza auf Israel. Nur habe ich diese bisher bei meinen Recherchen nicht entdecken können. Und was die Bezeichnung „Journalist“ betrifft: auch dort ist Kritik angebracht, seitdem bekannt wurde, daß angeblich „seriöse“ Photoreporter, mithin „Journalisten“ von Agenturen jene mordenden Gaza-Araber beim Überfall auf Israel und bei den Massakern an Juden und Nicht-Juden begleiteten. Als was wollen wir sowas bezeichnen? Embedded Journalism würde ich es nicht nennen, sondern Beihilfe zum Terror.

Was nun diese Preisvergabe anbelangt, kann man aber auch, so wie es die postkoloniale Linke teils gerne tut, ideologiekritisch nachfragen: Wer prämiert solch eine Photographie? Und warum gerade diese? Wer sitzt in solchen Jurys? Da es üblich ist, die Mechanismen der Macht und Strukturen zu befragen, die eine bestimmte Auswahl von Bildern ermöglicht und andere verunmöglichst, wäre es dann in diesem Fall angebracht zu fragen, warum, nach dem entsetzlichen Massaker vom 7. Oktober, ausgerechnet eine Photographie (mutmaßlich aus Gaza) mit einem solchen renommierten Preis ausgezeichnet wird. Wird hier einmal wieder Bild- und damit Machtpolitik gemacht, um aus brutalen Tätern arme Opfer zu machen? Ich bin mir, wenn es um die Bilderauswahl geht, sicher, daß es Photographien gibt, die deutlich preiswürdiger wären als ein solches mich vielmehr an eine Theater- oder Filminszenierung gemahnendes Bild, das zwar eine ästhetische Wirkung hat, aber seine Absicht bei mir und bei vielen Menschen völlig verfehlt. Von den völlig verdrehten politischen Implikationen einmal ganz zu schweigen.

Das Problem ist: Photographien – gerade politische und journalistische, aber im Grunde auch rein ästhetisch rezipierte – haben immer Hintergründe, die wir für eine adäquate Beurteilung kennen müssen. Solche Photographien erzählen nur sehr bedingt eine Geschichte, eher noch liefern sie Emotionen. Und Emotionen sind leicht zu mißbrauchen. Tote in Ruinen stimmen einen Betrachter selten heiter. Tote Terroristen, ohne Kenntnis, um wen es sich handelt, werden wir, wenn wir ein solches Photo sehen, möglicherweise betrauern. Wissen wir aber, daß es sich etwa um SS-Männer handelt oder um Hamas-Terroristen, die noch Monate zuvor Menschen folterten, läuft unsere Bewertung möglicherweise anders. Man sollte also beim Betrachten von Photos seine Emotionen gut prüfen. Und guter Betrachter muß bereits viel Hintergrundwissen mitbringen.

Bei Kunstphotographien ist solche Kenntnis von Hintergründen oftmals zweitrangig: Fällt sie weg, mag das nicht so sehr von Gewicht sein: eine Frau in einem blauen Kleid, die durch New York geht – etwa wie Saul Leitner sowas photographiert haben mag –, ist einfach eine Frau in einem blauen Kleid, die durch New York schlendert, und es zeugt für die Schönheit oder auch den Reiz einer Szene, weil Kontraste, Struktur, hell-dunkel, also die Bildkomposition in diesem Fall eine zentrale Rolle spielen. Wir betrachten solche Bilder rein ästhetisch und mit einem gewissen Wohlgefallen oder manchmal auch belustigt oder angeregt, wenn wir Streetphotogaphy sehen. Freilich gibt es auch dort Ausnahmen, wenn wir etwa an Doisneaus berühmtes Kußphoto denken: A kiss isnʼt just a kiss. Bei politischen Photos ist es jedoch etwas grundsätzlich anderes. Wir müssen die Kontexte kennen. Die Photographie benötigt eine Geschichte.

Freilich wirken zugleich auch solche ausgestellten oder derart präsentierten journalistischen Photographien ästhetisch – etwas, das Roland Barthes in seiner Abhandlung zu Schockphotographien in „Mythen des Alltags“ scharf kritisierte, und auch Susan Sontag hat diesen Aspekt des Lustgewinns in ihrem Buch „Über Fotografie“ – eigentlich müßte es „Gegen Fotografie“ heißen – bemängelt. (Etwas anders dann in ihrem späteren Buch „Das Leiden anderer betrachten“.) Roland Barthes schreibt:

„Genevieve Serreau erinnert in ihrem Buch über Brecht an eine Photographie in Paris-Match, das eine Szene der Hinrichtung guatemaltekischer Kommunisten zeigt. Mit Recht bemerkt sie, daß diese Photographie nicht als solche grauenhaft ist, daß das Grauen vielmehr daher rührt, daß wir sie aus unserer Freiheit heraus betrachten. Eine Ausstellung von Schockphotos in der Galerie d’Orsay, von denen uns strenggenommen nur sehr wenige schockieren konnten, gibt Genevieve Serreaus Bemerkung dennoch recht: Es genügt für den Photographen nicht, uns das Schreckliche zu bedeuten, damit wir es empfinden.

Die meisten der Photographien, die hier versammelt wurden, um uns zu erschüttern, bleiben wirkungslos, gerade weil der Photograph sich beim Aufbau seines Sujets allzu großzügig an unsere Stelle versetzt hat: Fast immer hat er das Schreckliche, das er uns vorführt, überkonstruiert und durch Kontraste oder Nebeneinanderstellungen dem Faktum die effektheischende Sprache des Grauens hinzugefügt: Einer stellt eine Menge Soldaten unmittelbar neben ein Feld von Totenköpfen; ein anderer zeigt uns einen jungen Soldaten bei der Betrachtung eines Skeletts; wieder ein anderer nimmt eine Kolonne von Verurteilten oder Gefangenen in dem Moment auf, in dem sie einer Schafherde begegnet. Doch keines dieser allzu geschickt aufgenommenen Photos erschüttert uns. Das liegt daran, daß wir ihnen gegenüber jedesmal unserer Urteilskraft beraubt sind: Man hat für uns gezittert, für uns nachgedacht; der Photograph hat uns außer dem Recht auf intellektuelle Zustimmung nichts übriggelassen. Was uns mit diesen Bildern verbindet, ist ein technisches Interesse; …“

Aus diesem Grunde bin ich skeptisch, wenn qua journalistischer Photographien irgendetwas vermittelt werden soll, was über eine Zeitungsmeldung hinausgeht. Bilder illustrieren sie. Das sollte ihre Funktion sein, oder sie sind Teil einer größeren Reportage. Wobei auch in solchem politisch-journalistischen Kontext die Wirkung eines Photos niemals ganz abzusehen und vorauszubestimmen ist. Auf mich etwa wirkt das prämierte Bild in einer ganz anderen Weise erschreckend: nämlich die Art, wie man solche Preise vergibt, aber auch das ganze Szenario. Es hat für mich, wie es oben beschrieb, etwas von einer Szene aus einem surrealistischen Film. Sofern die Photographie Leid ausdrücken soll, so funktioniert das bei mir nicht. Ich sehe ein Stoffstücke, von denen man vermuten kann, daß sich dahinter ein Mensch verbirgt. Hinzu kommt in meiner Sicht: Dem ganzen Anlaß ist diese Photographie nicht angemessen. In seiner Kritik an dieser Preiswahl schreibt Thomas Schmid:

„Zu einem Skandal wird die diesjährige World-Press-Photo-Award-Veranstaltung aber durch ein Fehlen, eine Unterlassung, eine Leerstelle. Es passierte im vergangenen Jahr viel Furchtbares, das durch Fotografien festgehalten werden sollte. Zu diesem Furchtbaren gehörte auch die Hamas-Mordaktion vom 7. Oktober 2023. Sie war das schlimmste und brutalste antiisraelische und antisemitische Pogrom seit dem Holocaust. Terroristen der Hamas ermordeten mehr als 1.200 Menschen, vergewaltigten israelische Frauen, schändeten Tote. Und anders als beim Holocaust waren die Täter keineswegs bemüht, ihr Morden vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Sie wollten die Welt teilhaben lassen an ihrem Wüten. Sie filmten, sie dokumentierten ihre Taten und stellten sie ins Netz. Noch Tage wie Wochen später waren die Spuren dieser Mordaktion zu sehen und zu besichtigen: Blut, Leichenteile, zerstörte Wohnungen, verwaiste Dreiräder. Viele Fotografen haben sie dokumentiert. Doch die Stiftung „World Press Photo“ hielt keine dieser Aufnahmen einer Anerkennung für würdig. Die Hamas-Morde kommen in dieser ästhetisierenden parteiischen Foto-Welt einfach nicht vor.“

Dem ist nicht viel hinzuzufügen.

Sicherlich ist es schrecklich, sein Kind zu verlieren, wenn wir davon ausgehen wollen, daß diese Szene nicht inszeniert ist. Doch wer Ursache und Wirkung nicht mitnennt, macht sich mit den Tätern gemein. Erst recht, wenn eine Jury zu bestialischen Folterungen an Juden, zum Zerstückeln und Verbrennen von Kindern und Babys schweigt. Es gibt Unterschiede zwischen Tätern und Opfern. Die deutsche Mutter, die 1943 in Hamburg ihr Kind verlor, ist – einerseits – sicherlich genauso ein Opfer wie eine britische Mutter, deren Kind 1940 in Coventry im Hagel deutscher Bomben starb. Aber dennoch gibt es zwischen beiden Opfern qualitative Unterschiede. Für die Opfer in Gaza ist primär die Hamas verantwortlich. Eine solche Preisvergabe will falsche Emotionen zu schüren. Sie ist in diesem Sinne Propaganda für Hamas-Terror. Insofern sagt eine solcher Preis viel über Jurymitglieder aus, die in dieser Weise ihre Gewichtung vornehmen.

Engelseis. Im Trakt, 18. Oktober

Hier nun die im letzten Blogbeitrag angekündigte Lovestory.

Vorbemerkung: Die folgende Geschichte vom Liebespaar Gudrun Ensslin und Bernward Vespers geht auf ein Schreibprojekt zurück, das Gunnar Kaiser 2018 ins Leben rief, und zwar eine Kurzgeschichte über bekannte Liebespaare der Literatur zu schreiben. Leider zerschlug sich das Projekt und so wurde dieser Text nie gedruckt. Gunnar Kaiser ist im Oktober 2023 an einem Krebsleiden verstorben. Ich habe über eines der interessantesten Liebespaare der bundesrepublikanischen Geschichte eine kleine Skizze gefertigt.

Engelseis. Im Trakt, 18. Oktober

Das Leben spult im Augenblick des Todes noch einmal in Bildern ab, so sagt man, und das ist kein Gerücht oder die Legende von Mystikern, die es den Wissenschaftlern und den Theologen zeigen wollen, und das ist auch kein idealistisches oder materialistisches Manifest vom Vorrang des Geistes vorm Hirn oder umgekehrt, daß da im Augenblick des Todes nur noch Hirn nachlebt und Neuronenzauber veranstaltet. Denn ich muß das wissen. Ich weiß das jetzt. Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Es passiert der Reigen an Bildern, wenn man an diesem Punkt steht, wo nichts mehr geht, weil ein Leben endet: daß es sich fügt. Beim Paniktod in der Zelle auf dem engen Raum. In der Angst, vor dem, was nun kommt, wenn du weißt, was geschieht, laufen diese Bilder kurz davor an. Alles sprang noch ein einziges letztes Mal zurück, bevor wie hier aufhören. Rückblenden und all der Furor meiner Zeit und Epoche, was wir taten und waren, unsere Kämpfe und unser Lieben, mein Bernward, wie das Private politisch wurde. Sie schießen auf uns! Wie damals. Wir drehten die dicken Dinger, so dachten wir, und am Rad der Geschichte. Wir trugen den Kampf in die Städte. Wir fuhren ein. Manches von der Zeit mit dir liegt inzwischen im Nebel. Manches von den Tagen in Tübingen mit dir in den frühen 1960er Jahren. Geh endlich fort, Bernward! Aber du bist es ja längst. Hier im Trakt. Eppendorfer Schlaf mit Tabletten. Bücherpläne, Projekte, Anthologien, die wir in Tübingen planten, das weiß ich noch. Diese Literatur, von deinem Ich her geschrieben und die des Nazi-Vaters. „Letzte Ernte“. Gehetzt, gewütet, gedichtet. Bernward Irrsinnsreise, wie ich dich nannte. Ich habe in Paris im Hotelbett gelegen und dein Buch gelesen, deine Reise, unser gemeinsames Kind. Nein, es stimmt nicht, da war ich bereits weg und ein paar Monate später tot, als Jörg das Buch auftat. Ich habe all das gelebt, ich habe es nicht gelesen. Ich habe in Paris gelegen und ein neues Leben angefangen. Mit ihm, mit Andreas, mit diesem Schalk im Nacken. Grete und Hans, der fürchterliche Ahab und sein schmalgliedriger Smutje mit den kleinen und schön festen Brüsten. Nun geht das Zeichen, es ist weit nach zwölf und Mitternacht vorüber, aus der Wüste heraus im afrikanischen Staub, Mogadischu klingt wie ein Traumland, weit weg, das Radio, im Versteck, im Plattenspieler, Feuerzauber los; die Nachricht, die Nachrichten bloß. Es ist Nulluhrvierzig, gleich dreiviertel nach Mitternacht. Ich nehme den Stuhl, ich knote und knote es fest, wir knoten es haltbar, sie knoten, sie knoten ein Tuch, da hängt man gut und eng, sie werden gleich knoten kommen. Ich höre die Schritte im Gang, im siebten Stock. Sie sehen mich. Die ganze Zeit, sie hören uns. Nur wir. Reglos bleiben ist besser und weil sich nun die Tür öffnet. Und lose baumelnde Beine am Strick, am Zellenfenster. Ein weißes Auge gleich.

Dieses Arrogante in deinem Auftritt und doch ganz verdruckster Junge, das paßte ganz und gar nicht zueinander. Ich mochte das aber, deine Widersprüche, deine Verklemmtheit und deine Aggressivität, mit der du die Thesen zur Literatur vortrugst oder Literatur in Thesen hämmertest – ach was, deklamiertest, im Weinsuff, der Poser aus Tübingen, der um die Frauen buhlte, nicht nur um mich, um Ricke auch. Im Dreierpack. Dein Schwadronieren im Park, am Necker, die Häuser spiegeln im Fluß und Frost an den Schuhen von der Wiese im Abend, wie du täppisch den Arm um mich legtest und die Überlegenheit zu spielen versuchtest. Hölderlintage, die deutsche Misere, die sich durchzieht, und bleierne Zeit nun, durchzechte Nacht, Liebster, du konntest schön davon sprechen, als wir so endlos im Park gingen und uns in unsere Worte und in unser Sehnen verloren. Ein unendliches Gespräch wie wir glaubten. Männerding, das Frauending war zuhören und lauschen. Ich tat es nicht, ich sprach. Deine Haltung, deine Schüchternheit und deine Anmaßungen zogen mich. Intellektuelle Überheblichkeit stelltest du zu Schau. Ein lächerliches Anzugjackett trugst du beim ersten Mal, als wir uns beim Brunnen trafen, der nur in deiner Erinnerung ein Brunnen war und in Wahrheit doch nur eine Bank auf dem Marktplatz, Eitelkeit, in der du dich spreiztest, dein so unvorteilhaft dir stehender Nadelstreifenanzug mit Weste, Uhrkette samt einer Uhr, die sich als schäbig erwies. In der Hose staksten verbeulte Cordhosenbeine und dazu ein weißes Nyltest-Hemd. Abends das Hemd auswaschen und auf den Bügel hängen, morgens wieder das gleiche Hemd anziehen. Darüber ein Pullunder manchmal. Eine ausgeleierte Baumwollunterhose, wenn ich Dir den Cord abstreifte. Deine Zimmer-Buchte in den Tübinger Tagen, die wir heimlich aufsuchten, Damenbesuch verboten, eng im Roigelhaus, nichtschlagende Verbindung. Nicht ganz so links, wie wir das später anklingen ließen. Aber Leben sind veränderbar. Was liegt zwischen diesen 15 Jahren? Ein beschauliches Tübingen, die neue Bibliothek im Hegelbau, wo wir lasen und studierten, Walter Jens‘ Kolloquium am Donnerstag, wo alles, was Namen hatte, zuhörte, Berlin, das Kind und der Computer von Horst Herold – ein Name wie von Nabokov. Oder von Disney. Ein Leben im Stift. Deine Schreibübungen, dein Übervater, dessen Vermächtnis du vollstrecken wolltest, aber das kam alles anders, als du es dachtest. Wie viel Wut und Gewalt ist für einen Ausbruch aus dem Käfig nötig, wie viel Stemmkraft, wie viel Denkkraft? Die Ideen müßten ästhetisch werden, die Revolution sinnlich spürbar machen. Vielleicht. Anschaulich zumindest haben Andreas und ich diese Ideen gemacht, die im Vorfrühling in Köpfen keimten, tickten und anschlugen – das fing in Tübingen an, 62, 63, daß da ein Geist wehte. „Praxis, du sagst es, Baby!“ Frei, ungebändigt tobten wir los. Optimismus der Tathandlungen war die Parole, die wir riefen, was wir auch lebten in dieser Keimzeit, die am Ende, Hölderlinturm, so bleiern wurde und nichts Offenes mehr hatte. Ungastlich. Und auch die gestundete Zeit, was wir da lasen. Das schießt jetzt alles zusammen in diesen Sekunden im Trakt, die lyrischen Verdichtungen der braven Germanistikstudentin von einst, die ich mal war. Studienstiftungswesen im dritten Anlauf immerhin. Anders als ich das damals dachte, geht das jetzt in der Praxis hier. Big raushole. Aber anders als geglaubt. Eine Art metaphysischer Flug. Ohne Funken. Ein Abgang. Ohne dich.

Aber es mußte sein. Ich bin die Aktive, ich habe einen Sprung getan. Du nicht. Los, sag es mir jetzt und gib es zu, kneif mich, beiß mich in die Brustwarze, in meine kleinen Brüste, fasse sie, umfasse die Hüfte! Saug sie und beiß mich, sag es einfach, das Wort, sag es mir! Küsse. Ich bin dabei gelähmt. Nimm mich. Aber das ist lange her. Als du dich nicht trautest und als du in der Besucherritze des Pensionsbettes verschwandst, weil das dumme Bett auseinanderglitt, als du endlich zur Sache kommen wolltest. Du warst sturzbetrunken. Wie so oft. Und lagst auf dem Boden. Ich glaube, du wolltest nicht. Nein, du konntest nicht. Physisch. Geistig. Worte.

Wir wollten das offenhalten, was sich Beziehung nennt, im Bürgerlichen, dieses Tübinger Nest und Pfarrerskram bei mir, darauf rotzten wir schließlich, und unter dem Kuppelparagraphen war es nie leicht, für die Nacht gemeinsam eine Unterkunft zu ergattern, uns miteinander zu paaren. Ich mochte es, wenn du mir deine Finger reinschobst. Oder die Zunge und später dein pralles Glied. Da gab es alle diese Buchprojekte, die er im Kopf hatte. Mein du. Mein unbeholfenes, freches, selbstgefälliges du. Er hat russische Lippen, dachte ich mir. Wußte er das? Die Deutsche Geschichte punkt Null ist gerade sechzehn Jahre her und wir fangen jetzt an, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Auch mit Gewalt. Wem die Fragen nicht brennen, bei dem zünden vielleicht die Antworten. So geht das, nicht anders. Heidelberg, Frankfurt, Kommando Petra Schelm. Zieht den Trennungsstrich, jede Minute!

Fast ein Medeaspiel dann. Das Felixkind ist fort und ich bin auf meiner eigenen Reise. Für ein Kind ist kein Platz, nicht hier und nicht anderswo. Primat der Praxis. Ich blicke mit Haß und Verachtung auf jene Zeit zurück, ich reise nun in dieser Zeit, nichts anderes mehr. Wir lösten unser Verhältnis, ich löste mein Verhältnis zu Welt. Ich bin nun Schauspielerin, war Schauspielerin bereits im Schultheater in Cannstadt, damals, und später in Frankfurt haben wir uns verkleidet, haben uns Perücken aufgesetzt, auf Andreas‘ Kopf, auf meinen Kopf, und auch auf den von Thorwald, im Frankfurter Kaufhaus nachts. Das Warenfetischding. Die ganze alte Scheiße. Es geschahen die unerwarteten Dinge, doch das Erwartete blieb aus. Knapp war die Zeit, knapp war unsere Zeit. Sie schießen wieder auf uns. Auf Ohnesorg damals, auf Dutschke. Osterunruhen. Wir hätten nichts von Bedeutung falsch gemacht, schriebst du mir in den Arrest. Und dabei haben wir uns geändert, schriebst du, und dabei ginge unsere Geschichte zuende, schriebst du. Wie du dich nun nach meinem Geschlecht sehnst, jetzt wo ich nicht mehr bei dir bin. Wie du wartetest, wie du mir die Briefe nach Preungesheim in den Knast schriebst und die Bücherpakete dazu und die Kosmetik, die ich wollte, weil es im Knast häßlich ist, wie du mit Felix in Berlin mit Liebe umgingst, unser Kind, und wie du hofftest.

Ich habe dich geliebt. Über jedes Maß, und das erinnere ich noch. Bis zum letzten Zug, jetzt am Knoten, Reisende, wir im Herbst 1962, Spanien, Europa, in die Estramadura, Cervantesspuren. „Er lebt in Texten“, sagte ich mir – sogar auf den Reisen. Großer Walfang dann später. In Chiffren schreiben, big raushole und Kassiber. Zweite Feuerbachthese, die bürgerlichen Fotzen wollten von ihrem Leben nicht lassen. Das geht durch den klaren Kopf, das Leben mit dir, jetzt hier, letzte Sekunden ohne Kairos. Dreiviertel nach Mitternacht nun. Feuerzauber vorbei. Mühlhausen. Aber da war ich schon nicht mehr dabei. Man sagt, der Mensch könne etwa zwei Minuten ohne Luft aushalten. Das kommt in etwa hin. In weniger als drei Minuten werde ich fort sein. So wie du es lange schon bist, mein Bernward, mein Andreas, nach Tübingen, nach Berlin, nach Eppendorf, 1971 nach den Tabletten. Wir bringen unsere Reise zu ihrem Ende, mein Geliebter, wir haben ein Kind. Call me!

„immer finde ich die altdeutsche Weisheit bestätigt, daß alle schwüre der liebe falsch werden, sobald sich etwas besseres findet, in unserm fall ist das weib der skruppellosere teil, aber das ist auch egal.“ (Bernward Vesper im Februar/März 1968 in einem Brief ins Gefängnis nach Frankfurt-Preungesheim an Gudrun Ensslin)

„‚Unsere‘ Geschichte mag zehnmal zuende sein, die Geschichte ist es nicht.“ (Gudrun Ensslin am 19. April 1968 in einem Brief aus dem Gefängnis Frankfurt-Preungesheim an Bernward Vesper)

Rezipierte Hintergrundliteratur:

Gudrun Ensslin/Bernward Vesper: „Notstandsgesetze aus Deiner Hand“. Briefe 1968/1969

Ingeborg Gleichauf: Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin

Michael Kapellen. Doppelt leben. Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Die Tübinger Jahre

Das RAF-Ding oder wie die Kindheit dieses in ein Miniaturwunderland brachte

Nun ist durch die Festnahme von Daniela Klette die RAF also wieder einmal im Gespräch. Ich weiß bis heute nicht, was ich von diesem RAF-Ding halten soll – gerade auch im Blick auf einen Facebook-Beitrag von Birgit Kelle anläßlich des nun in einer Neuauflage wieder erschienen Buches der Meinhof-Tochter Bettina Röhl: „Die RAF hat euch lieb“. Die Bundesrepublik im Rausch von 68 – Eine Familie im Zentrum der Bewegung. Ich kann die Apodiktik gegen Meinhof ganz nicht teilen, weil ich diese entsetzliche Entwicklung aus der Zeit heraus verstehe. (Den journalistischen und auch politischen Fanatismus von Meinhof teile ich nicht, sehr wohl aber manche ihrer Anliegen in den frühen Jahren als konkret-Autorin.) Ich halte es am Ende mit Rudi Dutschke – sanft war er, sanft wie alle echten Radikalen, wie Wolf Biermann 1979 in einem Nachruf damals sang. Und ich kann zugleich diese Aussagen von Meinhof zum Olympia-Massaker 1972 nicht im Ansatz goutieren. Das ist nicht nur Haß auf Israel, das ist dezidiert antisemitisch.

Zum Phänomen RAF etwas zu schreiben, ergäbe ein Buch – auch in biographischer Hinsicht als einer, der die 1980er Jahre mit einigen Sympathien für eine zutiefst radikale Linke der Autonomen erlebte und als Zaungast verfolgte. Ich kann die Kritik an der RAF und an Meinhof verstehen, was deren widerlichen Antisemitismus betrifft (und auch Meinhofs Umgang mit ihren Kindern) – das ging mir schon in den 1980er Jahren so, nachdem „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust erschien, und doch sehe ich zugleich die Verzweiflung dieser Leute nach dem 2. Juni 1967 und nach den Schüssen auf Rudi Dutschke dann knapp ein Jahr später.

Ich habe in den 1980er Jahren die frühe RAF teils mit Sympathie gesehen, was 1972 die Anschläge in Heidelberg und aufs Hauptquartier des V. US-Korps in Frankfurt/M betrifft: das hielt ich noch lange Zeit für richtig: Den entsetzlichen Krieg der USA in Vietnam gegen die Zivilbevölkerung in die USA tragen! Das war zumindest eine sinnvolle Reaktion, glaubte ich. Und zugleich doch auch naiv, ohne dabei auf die Sowjets zu sehen und jenen totalitären Kommunismus damit implizit zu tolerieren, von dem steindummen Vergleich der US-Bombardierungen mit Auschwitz und Endlösung in der RAF-Verlautbarung von 1972 zum Anschlag in Frankfurt ganz zu schweigen. Schleyers Entführung war bestialisch, zumal dabei Menschen erschossen wurden, die nichts mit seinen Verbrechen zu schaffen hatten. Allenfalls ohne Tote hätte diese Aktion einen Sinn ergeben, indem man Schleyer in seinem „Volksgefängnis“ derart verhört hätte, wie es die RAF tat, um ihn dann mit diesem an die Medien und die Bevölkerung weitergegebenen Wissen wieder freizulassen. Es möge die Öffentlichkeit über jenen Mann richten, der sich an Juden bereicherte.

Wenn von der RAF und den Toten aus ihren eigenen Reihen gesprochen wird und wurde, habe ich niemals „unsere Toten“ gedacht, schon damals in den 1980ern nicht. Es waren nicht „meine Leute“ und Rufe wie „Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen“ fand ich schon damals lächerlich, irgendwie saßen sie ja doch zu recht dort im Knast – was erwarteten sie? daß Helmut Kohl die Genossen zu einem Saumagen einlüde? Das ganze Genossentum, bis in die linken Bewegungen hinein, war mir immer suspekt. Aber ich hatte ein politische Interesse an diesem RAF-Ding einerseits. Und es war für mich die RAF zugleich ein Faszinosum.

Als Kinder der frühen 1970er Jahre spielten wir diese Fahndungen und diese Bilder, die wir im Fernsehen sahen, nach. Polizeisperren, Kontrollen, Schüsse. Mit den Matchbox- und Siku-Polizeiautos und sogar einen BMW gab es für die Terroristen, obgleich ich damals nicht wußte, daß BMW im Volksmund eben auch Baader-Meinhof-Wagen hieß. Polizei und Terroristen wurden mit Airfix-Figuren, Maßstab 1:72 nachgestellt. Besonders gut eigneten sich für die Polizei die Airfix-Soldaten der Briten und teils auch der Deutschen aus dem ersten Weltkrieg, weil sie Schirmmützen trugen. Für die Polizei in Demo-Ausrüstung mit Helm kamen die deutschen Soldaten der Wehrmacht und auch des ersten Weltkrieges und für den Bundesgrenzschutz die des Afrikacorps mit dem Mützen in Betracht. Die Panzerwagen der Polizei wurden durch Roco-Modelle der Schützenpanzer abgebildet und auch ein Schützenpanzerfahrzeug von Matchbox, das den BGS-Fahrzeugen, die auf den Flughäfen fuhren, im kindlichen Blick verblüffend ähnlich sah, kam zum Einsatz, wenn es darum ging, ein von Terroristen bewohntes Haus zu umstellen. (Das nur nebenbei für jene, die auch in diesen Zeiten aufgewachsen sind und solches wunderbares Spielzeug von Airfix, Matchbox und Roco gut kennen.)

Vermutlich habe ich die RAF vor allem und bis in die späten Jahre als ein ästhetisches Phänomen immer wahrgenommen und muß aus diesem Grunde nun bald einmal auch Frank Witzels Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ endlich lesen.

Und weil mich dieses Thema RAF seit Jahrzehnten im Bann hat, gibt es morgen oder übermorgen auch eine Liebesgeschichte dazu. Ich verspreche aber, daß diese nicht glücklich ausgeht – frei nach einem Lied von Georges Brassens: „Il n’y a pas d’amour heureux“.

Die Buchphotographie wurde der Facebookseite von Birgit Kelle entnommen

Was, nebenbei, die frühen Jahre der Studentenbewegung betrifft und auch den Weg von der Subversiven Aktion bis hin zu den Kaufhausbrandstiftungen, da sei unbedingt auf das im Hinblick auf die Ästhik instruktive Büchlein von Karl Heinz Bohrer verwiesen: „Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror“. Nämlich im Sinne einer Ästhetik des Schocks, der Überwätigung und eben auch, was dann später Bohrers Thema werden sollte, der Plötzlichkeit. Und auch auf diesen Blogbeitrag von mir::

Christopher Nolans „Oppenheimer“: in dunklen Zonen

Ich habe Christopher Nolans Spielfilm „Oppenheimer“ im Sommer letzten Jahres gesehen. Es ist ein spannender Film über die Entwicklung und den Einsatz der Atombombe im Rahmen des Manhattan-Projekts wie auch über Oppenheimers Leben. Als Film in seiner Machart nicht überwältigend, daß ich es als ein cineastisches Meisterwerk wahrnähme, aber doch eine in großen Teilen solide Arbeit. Der Oscar ist vermutlich teils auch der gegenwärtigen politischen Lage geschuldet, darin ein faschistischer Diktator samt seinen Gehilfen immer wieder einmal mit dem Einsatz von Atomwaffen droht.

Die Erzählweise von „Oppenheimer“ ist verschachtelt, die Zeitebenen greifen ineinander – auf eine freilich gut nachvollziehbare Weise. Die rund drei Stunden werden dem Zuschauer nicht langweilig, was fürs Kino ein wichtiger Aspekt ist, zumal es bei diesem Plot schwierig sein dürfte, ihn zu verhunzen, und bei Sommerhitze ist es in Berlin im Kino angenehm kühl, so daß eine gewisse Milde vorwaltete. Die Zuschauer gleiten in die für die meisten Menschen abstrakte und schwer fassbare Welt der Atom- und Quantenphysik. Aber es gibt auch Negatives zu sagen: der Soundtrack ist ungemein nervig: schwirrende, schrille, überdramatisisierende Geigenmusik, Streicherorchester, die im Rahmen der Jagd nach Kommunisten in der Nachkriegs-USA unter McCarthy die Vernehmung Oppenheimers durch einen Ausschuß untermalen und auch vielen andere Szenen suggestiv begleiten, zuweilen pathetisch ins Wagnerisch-Orchestrale sich steigernd – was kein Manko sein muß, wenn es denn passen würde. Vor allem aber geschieht diese Beschallung in einer enervierenden Lautstärke, von der ich nicht weiß, welche filmische, narrative Funktion solches Getöse haben soll – außer vielleicht, um auf mimetische Weise die Unerträglichkeit dieses Ausschußverhörs der McCarthy-Ära zu zeigen oder den Schrecken der Bombe als schrillen Laut zu illustrieren.

Die Bildeinblendungen von Sternenhaufen, Galaxien und den unendlichen Weiten des Weltenraums beim Thema Atom, wirkten zuweilen aufgesetzt: viel Pathos, wenn nicht Kitsch. Es gibt Szenen, wo diese Kombination, diese Sternenwelteneinblendungen gut funktionieren, gerade wenn es um den möglichen Weltenbrand geht und das Feuer alle Welt überzieht und zu zerstören droht. Das Promethische, was solchen Ausgriff plausibel macht: Prometheus, der den Göttern das Feuer raubte und es den Menschen brachte, wofür er zu Strafe zu unendlicher Qual von Hephaistos an den Kaukasus geschmiedet wurde. Mit dieser Beschreibung taktete der Film auf, dazu die kalten Bilder des Filmes, blaulastig und also in hoher Farbtemperatur. Das Feuer kann zugleich auch der Weltenbrand sein, eine Art Ragnarök, das nur in diesem Falle nicht das vermeintlich germanisch-nordische Deutschland, sondern eben Japan mit voller Wucht traf. Man kann über solche Art der Darstellung vermutlich lange streiten, warum sie gelungen oder eben mißlungen ist. Ich fand sie im großen und ganzen zumindest nicht mißlungen.

Schön auch jene Sexszene mit der hübschen, freilich psychisch derangierten Geliebten Oppenheimers, darin er nach dem Koitus und auf Bitten der Geliebten aus dem Bhagavad Gita vorlas: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“ Großer und kleiner Tod: La petite mort wie auch Weltenfeuer. Vielleicht ein bißchen zu offensichtlich, aber dieses Göttliche und der Feuerschein als Vernichtungsschlag sind ja nun einmal ein Thema, das in Wort und Bild und Erzählweise irgendwie abgebildet werden muß. In dieser Form und in dieser Art des Filmstils paßt es zusammen und auf diese ästhetische Stimmigkeit kommt es am Ende an: ob der Film seine eigenen Anspüche hält. Und das tut er in den meisten Fällen. (Wenngleich man aus den über drei Stunden gut und gerne auch zwei hätte machen können.)

Dummerweise ist jene Geliebte, die sich später dann umbringen wird, Kommunistin und es bewegt sich Oppenheimer auch privat in solchen kommunistischen bzw. im Grunde sozialdemokratischen Kreisen, etwa über seinen Bruder Frank. Das wird sich fürs spätere als verhängnisvoll erweisen, und dabei verquicken sich in dem Film zwei Ebenen: Einmal jener Wettlauf zur Bombe und deren Einsatz. Und zweitens die private Ebene und die Ära McCarthy, die Kommunistenhatz und der Kalte Krieg sowie die Vorladung Oppenheimers vor einen Ausschuß, darin er einem üblen Verhör unterzogen wird, bei dem das Ergebnis bereits feststeht: daß Oppenheimer die nötige Sicherheitsfreigabe, um weiterhin für die Regierung zu arbeiten, nicht erhalten wird. Gelungen auch jene Szene relativ zum Beginn des Films, wo Oppenheimer mit Einstein in einem Garten parliert. Wir hören nicht, was die beiden sprechen und nehmen diese Szene nur aus der Sicht von Lewis Strauss, dem Leiter der Atomenergiekommission, wahr. Strauss glaubt, daß Oppenheimer bei Einstein gegen ihn intrigiert. Die Auflösung des Gespräches sehen wir zum Ende des Films, und es zeigt sich einmal wieder, wie sehr die eigenen Gedankenkonstrukte und Vorannahmen sowie Geglaubtes in die Irre führen können. Der Film verbindet in solchen Szenen und in solchen Elementen der Narration auf ästhetisch gelungene Weise Privates und Politisches.

Der Blick ins Katastrophische jedoch, zumindest was ihre empirisch-faktischen Auswirkungen auf die Japaner betrifft, wird bei Nolan ausgespart bzw. lediglich angedeutet. Zuweilen hatte ich den Eindruck, die Ära McCarthy sei eigentlich schlimmer als jene Japaner, die da von einer Bombe verbrannt und verstrahlt wurden. Aber genau dieser Eindruck ist eben das, was Nolan als Effekt erzeugen will. Die seltsame Leerstelle des Filmes sind die japanischen Opfer. Und daran können auch die grellweißen Lichtblitzüberblendungen nichts ändern, die Oppenheimer zuweilen überfallen und die wohl an jene Atomstrahlung gemahnen sollen. Der bestirnte Himmel über uns samt einem Höllenfeuer deuten ins Allgemeine. Trinity-Test hieß die erste Zündung einer Atombombe am 16. Juli 1945, wenige Wochen vor dem ersten Abwurf. Diesen zeigt uns der Film bis ins Detail. In diesem Sinne hat Nolan das Problem der Darstellbarkeit gut gelöst. Zumal bei solchem Katastrophischen immer diese ästhetische Frage bleibt, wie ein nur schwer darstellbares Grauen im Kino und überhaupt in der Kunst in Bilder gebracht werden kann – und das gilt seit Adornos bekanntem Satz fürs Gedicht nach Auschwitz wohl ganz allgemein für eine solche Kunst, womit wir implizit auch bei „The Zone of Interesst“ wären – jenem Film über das Todeslager Auschwitz-Birkenau und seinen Lagerkommandanten Rudolf Höß.

Und es liegt diese Leerstelle auch darin gegründet, daß zum Zeitpunkt der Entwicklung niemand ahnte, welche Auswirkungen solche Bombe haben könnte und weil ein solches Szenario dessen, was sich dabei in Japan dann am 6. August abspielte, die Geschichte von Oppenheimer und der Atombombe in eine andere Richtung gedreht hätte. Das Ausgesparte und Unsichtbare ist das Zentrum dieses Films. Der Film spielt insofern mit dem Wissen der Zuschauer, setzt dieses voraus. Vielleicht müßte man sich parallel dazu Alain Resnaisʼ „Hiroshima, mon amour“ aus dem Jahr 1959 ansehen.

Wer eine gut erzählte wie auch spannende Geschichte schätzt, samt einem Blick in die USA der 1940er Jahre wie auch der Ära McCarthy, dem sei dieser Film empfohlen. Dennoch: beim ersten Drittel war ich noch beeindruckt, so könnte man es als Fazit sagen, aber dieses Affiziertsein ließ im Laufe der Zeit nach. Man kann all das, was in „Oppenheimer“ gezeigt wird, im Interpretieren bedeutungsreich aufladen – mir selbst war es im Film teils zu überambitioniert und dann dafür doch zu wenig subtil. Vom Bildbombast der Sternenwelten – Makrokosmos und Mikrokosmos – fühlte ich mich an den späteren Terence Malick und solche Tree-of-Life-Schauder erinnert. Doch das kann man sicherlich auch anders bewerten. Oder man nimmt diesen Film einfach als gelungene Unterhaltung über eine wenig unterhaltsame Angelegenheit. Ich muß mir den Film irgendwann nochmal anschauen – vielleicht auf DVD, wenn Nachbarn eine zu laute Party machen und ich den Lärm der Feier mit der Filmsmusik und dem Sound of Fire übertöne.

Who’s that Boy? Wer ist Julian Assange?

Um es gleich vorweg zu sagen: Assanges Enthüllungen über Kriegsverbrechen der US-Army im Irak bleiben nach wie vor verdienstvoll und für diese Art von journalistischer Arbeit darf er nicht verurteilt werden. Aber es bleiben in anderen Fällen erhebliche Fragen. Assange hat massiv Menschenleben gefährdet, so lautet einer der Vorwürfe gegen ihn, auch von Journalisten, er hat 2016 im Wahlkampf Clinton gegen Trump dem Regime Putins und Trump zugearbeitet. Assange und Wikileaks brachten viel über die USA und wenig über das totalitäre Rußland seit Putins Machtübernahme seit seiner ersten Amtszeit 2000 und seinem verbrecherischen Regime, das von Anfang an mit seiner „Regierung“ verbunden war – Stichwort: Morde an Oppositionellen wie Anna Politkowskaja, den Anschlägen auf Wohnblöcke durch den russischen Geheimdienst, um den Tschetschenienkrieg in Gang zu bringen: oder auch die Gaserpressungen gegen die Ukraine im Jahr 2008: hier schwieg die Plattform, hier schwieg Assange. (Zumindest sind mir hier keine Dokumente bekannt, wenn es sie gibt, korrigiere ich mich hier gerne.) Zudem: Wer damals im US-Wahlkampf 2016 solche Details veröffentlicht, wie geleakte Mails von Clinton, der weiß, was er tut und er weiß auch, warum er es tut, so meine These. Einige interessante Überlegungen zum Fall Assange las ich auf der Facebook-Seite von Frank Merten bzw. von Grga Jelačić Gargamel:

„Wagenknecht versucht Assange zu einem westlichen Nawalny zu stilisieren. Dabei hat Assange mit seinen Leaks unermessliches Leid über belarussische Oppositionelle und afghanische Informanten gebracht und interessanterweise nie irgendetwas gegen Russland veröffentlicht.

Unter den Hunderttausenden geleakten und von Assange veröffentlichten Dokumenten gibt es kein einziges, das irgendjemanden der russischen Regierung gefährden würde, weder Einzelpersonen noch Unternehmen.

Im Jahr 2012 weigerte sich der „Held der modernen Welt“, geleakte Daten zu einer zwei Milliarden Euro schweren Transaktion zwischen Assad und einer russischen Regierungsbank zu veröffentlichen.

Im Jahr 2016 weigerte er sich, russische Geheimdienstunterlagen über die Beteiligung des russischen Militärs und der Geheimdienste in der Ukraine zu veröffentlichen, mit der Begründung, dass „die Quellen nicht glaubwürdig“ seien, während alle anderen Quellen völlig glaubwürdig seien.

Könnte es sein, dass sie mit Hilfe russischer Dienste gesammelt wurden?

Er weigerte sich, denjenigen Teil der „Panama-Papiere“ zu veröffentlichen, die die korrupten Aktivitäten russischer Oligarchen aufdecken.

Er veröffentlichte vertrauliche Informationen über afghanische
Nato-Informanten, die von den Taliban daraufhin hingerichtet und gefoltert wurden.

Er veröffentlichte vertrauliche Informationen über Regimegegner in Belarus, die ebenfalls inhaftiert oder getötet wurden.

Viele fragen sich noch heute: Für wen arbeitet er?“

Ähnliche Bedenken finden sich auch bei Michael Hanfeld in einem Kommentar in der FAZ vom 18. Juni 2022:

„Assange hat mit Wikileaks zur Aufklärung von Verbrechen der amerikanischen Armee beigetragen, er hat aber auch wahllos Daten über den Krieg in Afghanistan ins Internet gekippt, damit möglicherweise Menschen gefährdet und sich mit seinen Mitstreitern – Investigativredaktionen von Medien aus der ganzen westlichen Welt – überworfen, die erst prüfen und dann veröffentlichen wollten. 2016 hat Assange Material über die demokratische Partei und den Wahlkampf Hillary Clintons verbreitet, das aus russischen Quellen stammt – angeblich von Hackern, wahrscheinlicher vom russischen Geheimdienst. Assange gefiel Putin und Donald Trump, der plötzlich ausrief: „Ich liebe Wikileaks!“

Nichts Belastendes zu sehen war bei Wikileaks über Putins Regime und das, obwohl, wie eine anonyme Quelle der Zeitschrift „Foreign Policy“ sagte, Assange in der Zeit des amerikanischen Wahlkampfs 2016 reichlich Material über Korruption im Kreml zugespielt wurde. Wer auf geheimes Material über Kriegsverbrechen der russischen Armee in der Ukraine hofft, braucht auch nicht auf Wikileaks zu setzen. Das hat Wikileaks nicht auf dem Zettel. Die Agenda von Assange, der 2012 eine Talkshow bei Russia Today hatte, konzen­triert sich auf die USA. Wer ihn für einen Helden der Pressefreiheit hält, sollte einmal genau hinsehen.“

Hier wäre unbedingt zu prüfen, ob solche Vorwürfe zutreffen. Wenn das der Fall ist, dann spricht dieser Befund eine deutliche Sprache und die geht gegen Assange dann. Eine gewisse Einseitigkeit in der Durchführung und in der Darstellung läßt sich zumindest bei Assange nicht leugnen. Mich erinnert solches Vorgehen dann doch sehr an Verschwörungsunternehmer wie Daniele Ganser, Ken Jebsen oder Dirk Pohlmann. All das freilich, selbst wenn es zutrifft, ändert nichts daran, daß diese Art von Umgang mit Assange für einen Rechtsstaat unwürdig ist. Ein Hochsicherheitsgefängnis mit Isolationshaft, sofern diese Angaben stimmen, ist in einer Demokratie kein Ort für einen solchen Gefangenen. Daß sich Assange allerdings vor einem Gericht verantworten muß, halte ich ebenfalls für richtig. Wer derart Menschenleben gefährdet und auch in einen US-Wahlkampf eingreift, muß sich das auch juristisch und nicht nur politisch zurechnen lassen. Für die Details sind hier die Juristen zuständig. Uns als Laien entzieht sich solch ein komplexer Fall – zumal wir in Deutschland in der Regel kaum und besonders gut mit dem US-Rechtssystem vertraut sind.

Was nun den Menschen Assange anbelangt: Jemand kann Held und Übeltäter in einem sein. Das eben ist die Ambiguität von uns Menschen. Im Recht sein und doch Unrechtes tun – wir kennen dies prominent in der Literatur, wenn wir Heinrich von Kleists großartigen „Michael Kohlhaas“ lesen: ein Mann, der uns anfangs hoch sympathisch war und denn wir doch zunehmend auch mit einem Grauen betrachten.

Dennoch und trotz solcher Ambiguität: vielleicht kann ein Staat wie die USA in diesem Fall und wie bei Chelsea bzw. Bradley Manning am Ende Gnade vor Recht ergehen lassen. Assange hat lange genug in Gefängnissen gesessen. Ihm wurden, wie in Schweden die mutmaßliche, angebliche Vergewaltigung, Dinge angehängt, wo wir vermuten können, daß es sich hier weniger um eine Straftat, sondern eher doch um „Rattenficken“ handelt, um „Dirty Tricks“ von US-Geheimdiensten. Und es handelt sich bei Assange eben nicht nur um eine juristische, sondern auch um eine politische Dimension, wenn auch in großen Teilen eine höchst fragwürdige, was Assanges Einmischung in den US-Wahlkampf und die Einseitigkeit der Enthüllungen anbelangt, die Rußland und China weitgehend außen vor läßt. Zudem: Wer, wie sehr viele Assange-Freunde und -Unterstützer, dem freien Westen immer wieder vorwirft, daß er seine eigenen Standards nicht einhält, aber niemals wirklich darauf hinweist, daß solche Standards in Diktaturen wie Rußland und China niemals möglich waren – Rußland hatte allenfalls ein kleines Zeitfenster in den 1990er Jahren -, der muß es sich gefallen lassen, daß man ihm doppelte Standards und eben auch ein Spiel mit gezinkten Karten vorwerfen kann. Und in diesem Sinne ist die Causa Assange zudem eine völlig andere als die von Nawalny, als er noch lebte.

Auf Facebook kommentierte es Petra Seeger sehr treffend:

„Ich hielt Assage immer für einen Guten … bis er massiv mit Hilfe Putins in den US- Wahlkampf eingegriffen und dafür gesorgt hat, dass Trump kurz vor dem Rededuell (Amt-Emails auf privatem Server) Munition gegen Hillary Clinton in die Hände bekommt.
[…]
Egal, auf jeden Fall haben wir Assange Leaks (und Putin, der dafür mitsorgte, dass er sie bekam) zu diesem Zeitpunkt zu verdanken, dass Trump Präsident wurde. Assage ist hochintelligent. Er wusste, welche Folgen diese Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt haben würde.
Unverhältnismäßig und unverzeihlich! Was hat er sich dabei bloss gedacht und davon versprochen??? Was hat ihn geritten? Er wird es schon 1000x bereut haben.
Weder Putin noch die Amerikaner haben ein Interesse daran, dass er noch jemals dazu den Mund aufmacht. Letztendlich war er ein nützlicher Trottel, denn er badet es seitdem aus.

Er hat damit unfassbar viel Leid ausgelöst und bekommt dieser schwergestörte Trump eine zweite Amtszeit, dann ist das eine Spätfolge seines Handeln.
Aber was wäre eine Strafe? Ihn lebendig verrotten zu lassen, um ihn mundtot zu machen … Das ist die Gangart eines Putins, aber nicht einer Demokratie.“

Mein Fazit: ich bin mir in der Sache Assange lange nicht mehr so sicher wie noch vor ein paar Jahren, ob da nicht durchaus auch ein Mensch zu recht angeklagt wird. Denn kein Staat der Welt kann Geheimnisverrat durchgehen lassen – schon gar nicht, wenn dadurch Menschenleben gefährdet oder Wahlen manipuliert werden. Andererseits ist ein solches Strafmaß, wie es ihm in den USA droht, völlig absurd und unangemessen. Insofern ist es richtig, daß die Leute für die Freilassung von Assange protestieren. Und um es auf den Punkt zu bringen: der freie Westen sollte das Gebot der Gnade kennen. Dies eben unterscheidet uns von faschistischen Diktaturen wie Putins Rußland, die ihre Gegner einfach in KZs und in Straflager auf Jahrzehnte einsperren lassen oder sie dort ganz einfach umbringen und totschlagen, so wie bei Nawalny.

Quelle: Wikipedia: Copyright: David G. Silvers, Cancillería del Ecuador – https://www.flickr.com/photos/dgcomsoc/14933990406/
Julian Assange during a press conference attended by international media
CC BY-SA 2.0

Zum Auftakt der Berlinale 2024 oder: Das verlogene Scheißhaus

„ ‚Hass steht nicht auf unserer Gästeliste‘ hieß es gestern zur Eröffnung der Berlinale. Iphones blinkten als Lichterketten in den Berliner Himmel. Anti-AfD- Glam- und Glitzer, freudige Erregtheit im kunstpolitischen Kollektiv. Köstliche moralische Erhabenheit, wenn der Körper zum Billboard von Parteiparolen wird. Auf Glitzersteinchen verdammt die Unerwünschten. Ein Nachklang alter revolutionärer Sehnsüchte, das Echo der Jugend … […] Da stehen sie nun, funkeln und blitzen – und keiner erinnert an den 7. Oktober! Stattdessen sitzen sie auf trojanischen Pferden!“

So hat es sehr treffend und schön Ute Cohen auf Facebook formliert. Da stehen die Akteure Spalier und rufen im Chor der kulturindustriellen Gemeinschaft der Filmschaffenden auf dem roten Teppich „Defend Democracy“. Als ob morgen Führer Höcke den neuen Reichskanzler stellte und persönlich ein Ermächtigungsgesetz oktroyierte, so wird dramatisch-dramatisierend getan und schlecht gespielt. Aber vielleicht liegt das im Blut von Schauspielern, sich zu inszenieren. Widerstand aus der sicheren Position und aus der marktwerten Pose, frei nach Dieter Hallervorden aus den 1970er Jahre im Westfernsehen: Der gespielte Witz. Und jetzt rufen wir alle mal „Demokratie“: Das würzt das Vorspiel und macht die im Anschluß gereichten Häppchen und Getränke schmackhafter. Und es nützt natürlich insofern, solange man im Blick auf Antisemitismus in Deutschland nicht auch ein paar sehr unangenehme Wahrheiten aussprechen muß.

Vor allem aber ist solches Gepose ein entsetzlicher Gratismut im sicheren Berlin, auf dem roten Tepich, abgeschirmt, und im Kokon von Saturiertheit – wohlfeil und nichts kostend. Kulturindustrie im erbärmlichsten Sinne und der erbärmlichsten Sorte. Beim Betrachten der Ruf-Szenen auf dem roten Teppich überkommt mich Ekel und ich schalte die Kulturzeit-Sendung aus, darin dieser Quatsch präsentiert wird. Mich widern solche Aktionen an und ich finde sie fast genauso schlimm, wie das Dünnschißgelaber dieser AfD-Backen. All diesen „Kultur“-Leuten würde ich raten: Fahrt ein oder zwei Jahre nach Wurzen, nach Sonneberg oder nach Colditz und macht dort ein oder zwei Jahre lang Kultur- und Jugendarbeit: nicht Dresden, nicht Leipzig, sondern die sächsische oder thüringische Provinz. Spielt dort an Theatern, zeigt Filme, redet mit den Jugendlichen, redet mit den Menschen dort. Oder steckt euch eure Leucht-Handys zwischen eure Arschbacken. Frei nach Schnipo Schranke in ihrem lustigen Song „Pisse“:

„Auf dem „Platz der Republik“
Zu klassischer Musik.
Dein Handy mit den Arschbacken gehalten,
Nur um Dich zu unterhalten.
Dacht Du findest so was komisch,
Seitdem liebst Du mich platonisch.“

Ich liebe euch für diesen Müll nicht einmal platonisch.

Und zum 7. Oktober und dem gräßlichen Schweigen all der Prominenten, die nun wieder aus ihren Verstecken gekrochen kommen: Ich habe bei diesen Anti-AfD-Protesten leider immer häufiger den Verdacht, daß dieser ganze Antifa-Lärm dazu dient, von genau diesem 7. Oktober, dem islamischen Terror und einem eklatanten, hier seit Jahren schon nicht nur manifest, sondern latent auftretenden importierten migrantisch-muslimischen Antisemitismus in Deutschland abzulenken. Auch damit nur ja nicht über eine dringend notwendige Verschärfung der Migrations- und Integrationspolitik gesprochen wird. Und das genannte trojanische Pferd ist genau dieser politische Islam, der das Thema AfD sich zunutze macht. Was aber diese in der Tat unsägliche Partei betrifft: Ich sehe hier in Berlin keine einzige AfD-Demo, die dazu auffordert, Juden aus Israel zu vertreiben, was, damit verbunden, die Eliminierung von Juden zur Folge hat, wenn es keinen Staat Israel mehr gibt: Das nämlich meint jene Parole „From the river to the sea“ (davon einmal abgesehen, daß viele derer, die das rufen, nicht einmal mehr wissen, welcher „river“ gemeint ist.) Ich sehe in Deutschland keine AfDler oder Rechtsextremisten, die Juden bespucken und ihnen die Kippa vom Kopf schlagen – was nicht heißt, daß es dort keine Antisemiten gibt. Und ich erlebe in Berlin auch keine Rechten, die an Universitäten oder in Museen Veranstaltungen derart stören, daß sie abgebrochen werden müssen. Vom Zusammenschlagen und Bedrohen von Juden ganz zu schweigen: all das geschieht momtentan auf der Seite der Allianz von Linken, Islamisten und migrantischen Antisemiten.

Und dazu jene Lappen aus dem Kultur- und Universtitätsbetrieb wie Günter M. Ziegler (FU-Berlin), Martin Köttering (Hochschule für bildende Künste, Hamburg), Till Fellrath und Sam Bardaouil (Hamburger Bahnhof), Julia von Blumenthal (HU) und vor allem die erbärmliche SPD-Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (Berlin), die so wunderbar abwiegeln kann, wenn es gegen Juden geht: man dürfe ja die Meinungsfreiheit an Universitäten nicht beschränken, sagte sie, nachdem in Berlin ein jüdischer Student ins Krankenhaus geprügelt wurde. (Zu den Geschehnissen am Hamburger Bahnhof letztes Wochenende vielleicht ein andermal mehr. Nur soviel sei dazu gesagt: Schuld an diesem antisemitischen, dumm-totalitären Mob einer Gruppe wie Thawra, die dort randalierte, ist eben auch die Museumsleitung und also Till Fellrath und Sam Bardaouil, die nicht sofort die Polizei riefen und das Haus mit dem Sicherheitsdienst und mit Hilfe der Polizei räumen ließen, um die Veranstaltung fortzusetzen und die Gäste zu schützen. Und auch die Künstlerin Tania Bruguera trägt an diesem Übergriff erhebliche Mitschuld. Sie hat nämlich diesen Pöbel eingeladen.

Der lasche Umgang mit solchem Krawallmachern und daß solches Stören und Boykottieren von Kultur keinerlei Konsequenzen hat, angefangen bei einer Anzeige und beim Hausverbot, lädt eben leider dazu ein, daß solche Totalitären es immer wieder machen werden. Der Fisch stinkt vom Kopf her, wie das alte Sprichwort heißt. Es sind jene, die solche Übergriffe dulden und sie herunterspielen.

Und gleiches muß für Universitäten gelten: Wer Veranstaltungen stört und boykottiert, so daß diese abgebrochen werden müssen, muß exmatrikuliert werden. Two strike an you are out. Ich denke, diese Sprache wird gut verstanden.

Nach dem 7. Oktober zumindest war all diese Schauspieler- und Künstler-Prominenz auffallend still. Niemand, der irgendwie sich solidarisch zeigte, allenfalls eine spärliche Veranstaltung am Brandenburger Tor, wo all jene Gratismutigen leider fehlten, die jetzt viel uns über die AfD erzählen. Nur ganz wenige, wie die löblich zu nennende Iris Berben und Igor Levit, der sich über genau diesen Schweigen nach dem Terror und den in Deutschland stattfindenden Übergriffen gegen Juden tief enttäuscht und entsetzt zeigte. Und daran eben ist unbedingt zu erinnern. An genau dieses entsetzliche Schweigen.

Und natürlich ist auch wieder jemand mit dem entsetzlichen Arafat-Feudel vor Ort. Soviel zur Verteidigung der Demokratie.

Boris Palmer und das Wort der Monats

Auf Facebook hat Boris Palmer im Blick auf das Treffen unterschiedlicher Rechter und Rechtsextremer (nein, es ist kein „Geheimtreffen“) und vor allem im Blick auf die AfD sehr richtige Worte gesprochen:

„@Reaktanz und Remigration

Den Aufstieg der AfD verfolgt die Mehrheit der Beobachter mit Wut oder Ratlosigkeit. Beides trägt zur Lösung des Problems nichts bei. Warum verliert die AfD in Umfragen nicht ein Prozent, wo doch das Potsdamer Geheimtreffen in die Nähe der Wannseekonferenz gerückt wurde? Und auch ohne Übertreibung steht ja fest: In der AfD gibt es Leute, die Nazifantasien hegen.

Die Antwort ist dieselbe wie bei Aiwanger und der Bayernwahl: Die Skandalisierung verfängt bei den Menschen, die man eigentlich erreichen müsste, überhaupt nicht mehr. Und dafür gibt es gute Erklärungen.

Erstens sind „Rasissmus“, „Fasischmus“, „Nazi“ und „Menschenfeindlichkeit“ als Kampfbegriffe so inflationär benutzt worden, dass sie gar nicht mehr wirken. Wer Polizeikontrollen von Schwarzen, die sich als begründet erweisen, mit dem gleichen Begriff belegt, wie Deportationspläne von Millionen Menschen, der hat die Herrschaft über die Begriffe verloren und eine Abstumpfung erzeugt, die eine sinnvolle inhaltliche Diskussion unmöglich gemacht hat.

Zweitens haben die Medien durch eine einseitige Parteinahme ihre Glaubwürdigkeit in den Milieus, die man mit den relevanten Informationen erreichen müsste, weitgehend verloren. Schon die Durchschnittswerte sind ja schlecht, aber in der Zielgruppe AfD-Wählerschaft ist die Glaubwürdigkeit nahe bei Null angekommen. Und das ist vor allem fehlender Objektivität geschuldet. Mit mehr Information und weniger „Haltung“ wäre das besser gelaufen.

Drittens und vermutlich am wichtigsten: So lange die These vertreten wird, man dürfe den inhaltlichen Forderungen der AfD-Sympathisanten nicht entgegenkommen und auch alle Begriffe tilgen will, die sie benutzen, erzeugt man nur Reaktanz. Wer nicht bereit ist, Missstände zu beseitigen, weil sie von den Falschen angesprochen werden oder sich ideologisch so einmauert, dass jeder Kompromiss mit den inhaltlichen Anliegen dieser Wählerschaft, eine Menschenrechtsverletzung und Verrat an der Demokratie bedeutet, kann gar nichts anderes erzeugen als Reaktanz, also Trotz. „Dann erst Recht!“

Eigentlich wäre es nämlich ganz einfach: Würde man einsehen, dass die Migrationspolitik ihre Ziele nicht erreicht, weder am Arbeitsmarkt noch in der Fluchthilfe, dann könnte man sich auch wieder auf steuernde Maßnahmen einigen. So lange aber selbst die geplanten Asylprüfungen an den Außengrenzen als Haftlager diffamiert und jeder Steuerungsversuch bekämpft und diffamiert wird, geht das eben nicht. Würde man einsehen, dass eine Gesellschaft materielle Zumutungen nur erträgt, wenn dabei der Eindruck von Leistungsgerechtigkeit und Fairness einigermaßen gewahrt bleibt, dann könnte man nicht darüber hinweggehen, dass die Sozialtransfers für bestimmte Gruppen so üppig ausfallen, dass Arbeit sich nicht mehr lohnt. Man würde sich auch eingestehen, dass fast 50 Milliarden Euro für fluchtbezogene Kosten nicht durchzuhalten sind, wenn das Land wirtschaftlich absteigt.

Kurz gesagt: Wenn man Politik gegen Mehrheiten der Bevölkerung durchzieht, weil man ideologisch unbeweglich geworden ist und Konflikte mit der Realität aussitzt, dann darf man sich nicht wundern, wenn eine relevante Minderheit eine Rechtsprotestpartei wählt. Wir brauchen bei den liberalen und progressiven Kräften im Land mehr Selbstkritik. Bevor unser Land da endet, wo Donald Trump Amerika gerade hinsteuert, muss man auf diejenigen Menschen inhaltlich eingehen, die wir zu verlieren drohen. Wer stattdessen weiter daran festhält, man müsse mit einer Eskalation des Kampfes gegen Rechts, also der Methode, die seit Jahren versagt, ein Drittel der Wählerschaft endgültig bekehren, der spaltet die Gesellschaft und riskiert selbst die Demokratie.

Und schließlich sollte man keine Gefahren heraufbeschwören, die es gar nicht gibt. Ein Treffen von zwei Dutzend mehr oder weniger Irren so aufzuladen, als stünden Massendeportationen bevor, wenn die AfD eine Landtagswahl gewinnen sollte, erzeugt bei den Betroffenen Ängste, die man nicht vertreten kann. Wir sollten selbstbewusst sagen, dass die Pläne von Teilen der AfD mit legalen Mitteln gar nicht erreicht werden könnten. Die Voraussetzung dafür wäre eine Umsturz, mindestens mit den Mitteln, die Adolf Hitler zur Überwindung der Verfassung von Weimar eingesetzt hat. Das wird in Deutschland in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts niemals passieren. Wir haben starke Institutionen, wir haben verfassungstreue Richter und Polizisten, wir haben eine Verfassung mit Widerstandsrecht, wir haben verfassungsverteidigende Medien, wir haben starke Gewerkschaften , wir haben eine Bundeswehr aus Bürgern in Uniform und eine überwältigende Mehrheit der Bürger, die unsere Demokratie verteidigen würde, wenn es ernst würde. Sollte die AfD wirklich versuchen, Deportationspläne unter dem Label „Remigration“ umzusetzen, würde das ihr Ende bedeuten.“

Die Traktoren kommen!

Kaiserwetter in Berlin – sozusagen Thomas-Müntzer-Tag und da kommen, wie schon in Michel Houellebecq Roman „Serotonin“ die Traktoren und wütende Bauern. Doch Deutschland ist nicht Frankreich. Es gibt Songs von Traktoristen, die weit in die Vergangenheit Deutschlands hineinreichen: Zunächst mal mit Wolf Biermann in den 1960er Jahren: „Ballade vom Traktoristen Kalle“. Ein witziger Song und ein witziger Text in Brecht-Eisler-Manier und doch darüber weit hinaus und eine dieser typischen und zugleich schönen Biermann-Balladen.

Er war auch Aktivist, wie oft
Das weiß ich nich‘ genau
Noch öfter als er Aktivist war
War er furchtbar blau
Kalle nannten ihn die Bauern
Und er hatte rotes Haar
Doch geseh’n hat’s nur die Schwarze
Weil er bei ihr drinnen war

Und ein Klassiker des deutschen Schlagers darf dabei nicht fehlen, ein Song aus den netten 1980er Jahren, meine ich mich zu erinnern. Können aber auch die 1990er gewesen sein. Lange ist es her:

Ja, man kann sich bei solchen Demos über Galgen mokkieren, wer aber mal auf einer „Revolutionären 1. Mai-Demo“ war, der wird stärkeren Tobak gewohnt sein und aus den 1980er Jahren sind noch gut die „RAF-dich-auf!-Graffitis bekannt oder aber „Buback, Ponto, Schleyer, der nächste ist ein Bayer“-Slogans sowie bei bestimmten Politikern bis heute die dazugehörigen Rufe „Kofferraum“.

Wolfgang Pohrt zum 5. Todestag

„Allah ist groß, ein Cadillac ist größer“ (Wolfgang Pohrt, gestorben am 21. Dezember 2018)

Ich selbst lese ihn mit gemischtem Eindruck: vieles ist witzig und treffend, vor allem seine linke Selbstkritik sowie Pohrts Polemiken, und hervorzuheben ist seine Fähigkeit, Einstellungen und Perspektiven zu ändern, weil sich die Umstände geändert haben. Pohrts Bissigkeit, sein Sarkasmus und seine Polemik bereichern oftmals eine politische Debatte auf produktive Weise, Pohrt spitzt zu und man muß zugleich auch wieder wegen des frechen Rundumschlags lachen. So auch in seinem Rückblick auf die 1970er Jahre in dem Text „Nachruf auf ein Jahrzehnt“ , wenn er die damaligen Grünen beschreibt:

„Die Umzüge der Grünen, in der Kluft uniformiert, physiognomisch gleichgeschaltet, bleich, aber zäh, geschmacklos, aber nicht verkommen, häßlich, aber nicht ungepflegt, erinnern eher an den geordneten Rückzug einer geschlagenen Armee, an die letzten Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen.“

Das ist auf angenehme Weise böse, das ist, wenn ich mich an die frühen 1980er erinnere teils wahr, aber es ist, als hyperbolische Beschreibung, vor allem erst einmal lustig.

Und auch jene Polemik bleibt aktuell was die Wirkungslosigkeit der deutschen Linken betrifft:

„…, daß man Prognosen für die jüngere weltgeschichtliche Entwicklung besser und müheloser im Kaffeesatz hätte finden können als in der Theorie, und es läßt sich nicht leugnen, daß diese Entwicklung denselben Gang genommen hätte, hätten die Genossen damals statt Marx Micky Maus gelesen. Überhaupt hatte die Linke keine besonders glückliche Hand im Umgang mit politischen Geschäften, man kann fast sagen, daß jedes, worin sie verwickelt war, am Ende eine Pleite wurde: die black Panthers, der schwarze September, Chile/Allende, Tel Zatar markieren in der linken Seele Stadien aufschäumender Euphorie, auf die schockhafte Ernüchterung folgte. Die Linke in den 70ern: der geborene Verlierer, der ewige Prügelknabe, der am Ende von den vielen Nackenschlägen des Schicksals zermürbt nur noch eines will: in Ruhe seiner selbt angebauten Hafergrütze kauen.“

Und diese Hafergrütze wird, metaphorisch gesprochen versteht sich, bis in die Gegenwart hinein noch verspeist, gemischt heute mit Hafer- und Sojamilch und nicht mit der Milch von guten deutschen oder buntscheckigen Kühen: Ob antideutsch oder intersektional, es ist und bleibt dieselbe Qual. Nämlich identitätspolitisches Festbeißen. Während die ersteren den ewigen Antisemiten mit ihrer brummdeutschen Art zu erschnüffeln meinen, glauben letztere, daß qua Negersein bereits eine besondere Sprecherqualität erreicht sei. Nein, ist es nicht. Man kann sehr wohl Israel kritisieren, was die Siedlungspolitik im Westjordanland betrifft und trotzdem die Verteidigung Israels gegen die Hamas in Gaza richtig finden. In einer solche Lage wäre sicherlich ein Essay von Pohrt spannend zu lesen gewesen. Spannend deshalb, weil Pohrt oftmals originelle bzw. neue Perspektiven ins Spiel bringt.

Pohrt schreibt am Ende dieses in seiner Kritik beißenden und polemischen Nachrufs in einem PS und als Antwort auf seine linken Kritiker:

„Die Behauptungen in diesem Text sind sowohl sarkastisch als auch ernst gemeint, nicht aber humorig. Du kritisierst den apodiktischen Charakter des Papiers, den Mangel an Argumentation. Es gibt aber Wahrheiten, die man durch Beweise und Argumente verwässert und um ihren Gehalt bringt. Man spricht ihnen damit die Evidenz ab, die sie besitzen, und bringt sie um ihren Stachel. Man unterschlägt, daß es sich dabei nicht um esoterische Produkte höherer Einsicht, sondern um Selbstverständlichkeiten handelt, und gerade im anstößigen Charakter von Selbstverständlichkeiten, die keiner zugeben will, liegt die Wahrheit von Erkenntnissen., die eigentlich sehr trivial sind – wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Man verharmlost bisweilen, indem man sich argumentativ auf einen Schwindel einläßt, diesen zum verzeihbaren Irrtum, wie wenn jemand irgendwo das fixe und das variable Kapital durcheinandergebracht hätte. Begründen heißt stets auch zugeben, daß es sich um eine Sache handelt, die divergierende Meinungen duldet und über die sich reden läßt. Bei jeder Sache ist dies aber keineswegs der Fall: über die Todesstrafe, über die Frage, ob Juden oder Schwarze Menschen sind und ob an der Astrologie nicht vielleicht doch etwas dran ist, lassen wir gar nicht erst mit uns reden.

Es ist also keineswegs der bessere Text stets und unter allen Umständen derjenige, welcher argumentiert und ganz manierlich diskursiv entwickelt, und insofern Ressentiments unerbittlicher urteilen als Argumente, urteilen sie im Falle von beispielsweise Strauß und Carstens gerechter.“

Von Fall zu Fall ist das richtig – solange solcher Zug nicht zum Dogmatismus erstarrt, sondern skeptisches Korrektiv bleibt. Leider neigen die unterschiedlichen Lager der Linken zum Dogmatismus. Im Leben zu erreichen – auch als philosophisch-lebenspraktische Weisheit und Wahrheit – wäre vielleicht jener heitere und gelassene Konservatismus, wie wir ihn bei Odo Marquard finden:

„Die Geschichtsphilosophen haben die Welt nur verschieden verändert; es kömmt darauf an, sie zu verschonen.“ (Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie)

Das galt für die alten und das gilt für die neuen Welterrettungsprojekte.

Viel wäre über Pohrt zu schreiben. Und so sollte man Pohrt auch nur mit Pohrt beenden (zumal das Thema des Geschlechterkampfes nachhaltig aktuell ist und bleibt):

„Von Mann zu Mann: Mit dem Vorwurf, wir seien autoritäre Patriarchen, Schwerenöter [ein Wort, das heute kaum noch jemand benutzt, leider (Bersarin)] und männliche Chauvinisten, lebt sich‘ prächtig, zur Not auch im Büßerhemd. Aber wenn die Frauen dahinter kommen, was für kümmerliche Wichte und arme Würstchen die vermeintlich männlichen Chauvinisten sind – dann geht’s uns wirklich dreckig. Wir haben nicht auf den Barrikaden gekämpft, wir haben auch keine kleine Fabrik umsichtig durch alle Krisen gesteuert, außer Problemen haben wir nichts zu vererben, die Therapie haben wir hinter uns, die Rente vor uns – und nun heißt es, wir seien zu männlich! Nicht nur, daß jemand auf die Schnappsidee verfällt, uns für herrisch mutig, tapfer, kühn, ritterlich usw. zu halten, sondern wir sollen sogar zu männlich sein, alle diese Tugenden im Überfluß besitzen! Das müßte uns ans Herz gehen wie einem lahmen Greis, wenn ihn die Courtisane mit den Worten tadelt: ‚Nicht so stürmisch, mein Herr. Sie rauben mir den Verstand.'““ (Wolfgang Pohrt, Nachruf auf ein Jahrzehnt)