Dieser Text wird auf diesem Blog der erste und auch der letzte Artikel zur vermutlich sterbens- und steinlangweiligen documenta 2022 sein – außer vielleicht, es fällt mir noch die eine oder die andere Polemik ein. So wollte ich am 20.6. auftakten. Aber aufgrund eines antisemitischen Machwerkes der Gruppe Taring Padi hat sich das erledigt. Allerdings bleibt es wohl dabei: Ich werde nicht nach Kassel fahren, dafür ist mir meine Zeit und vor allem mein Geld zu schade – wenngleich Kassel als Stadt einer der spannenden bundesrepublikanischen Städte ist: Wegen der Architektur, dieser seltsamen Nachkriegsmoderne aus Beton, Funktionalität und dem neuen Wirtschaftswunder. Die Häßlichkeit und die Unwirtlichkeit der Städte verkeht sich ins Gegenteil. Kassel ist solch ein Ort. Hier kann man also mit Fug und Recht vielleicht doch sagen: Das beste an der documenta 15 ist Kassel. (Wäre vielleicht auch ein guter Spruch fürs Stadtmarketing.)

Es gab einmal eine Reisesendung, am Sontag beim NDR, die hieß „Zwischen Hamburg und Haiti“. Für die Fahrt nach Kassel kann man nun schreiben „Zwischen Lumbung und Humbug“. Absatz und Neubeginn.
Wir bereisen lieber andere Orte. Denn wer schöne und gute Kunst sehen will, der mache doch in seinen Ferien dieses Jahr eine Deutschlandreise (auch wenn Sprit teuer ist, ein guter Riesling liegt immer bei 10 Euro, aber es lohnt sich) und besuche zum Beispiel das wunderbare Museum Georg Schäfer in Schweinfurt, auch von der Architektur her ein faszinierender Bau, und der Betrachter tut einen schönen Gang durch die Kunstgeschichte – so zum Beispiel Carl Spitzweg, der sehr unterschätzte witzig-geniale Maler, wie auch Max Slevogt sind dort zu sehen. Oder er fahre nach Chemnitz und schaue das architektonisch ebenfalls wunderbare Musuem Gunzenhauser sich an: unter anderem findest sich dort eine Vielzahl an Gemälden von Otto Dix; ein Dix, der nicht ins Exil ging, sondern unter den Nazis weitermalte: seltsam-kalte, aber doch faszinierende Landschaften in realistischem Stil. Ebenfalls findet sich dort eine Vielzahl an Gemälden von Alexej von Jawlensky.
Und weil wir im Osten uns befinden und die Reise westwärts geht, haben wir vorher noch einen Abstecher nach Halle ins Kunstmuseum Moritzburg getan, darin sich insbesondere deutsche Malerei vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart findet. Daß ich hier eine der schönsten Sammlungen für die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts und auch der DDR-Kunst, nämlich das Museum der bildenden Künste in Leipzig, nicht eigens erwähne – obwohl: nun tue ich’s ja doch – hat allein darin seinen Grund, daß ich davon ausgehe, daß jeder Mensch mit ästhetischem Verstand bereits diese herrliche Kunsthalle einmal in seinem Leben mindestens besucht hat. Auch die Sichtachsen und die Architektur sind eine Reise wert. Und wer sich für die verschiedenen Maler der DDR interessiert, findet hier eine kleine, feine Sammlung.

Weiterhin bereise man, so wurde es mir empfohlen, ich war selber noch nicht dort, das Museum Schloß Schwerin, wie auch das Staatliche Museum Schwerin: Was vom Namen wie Residual-DDR klingt, erweist sich als ganz und gar wundervolle Kunstsammlung. Allerdings muß man sich diese Reise bis 2024 aufheben, da die Kunstsammlung in Renovierung ist, und so bleibt zunächst mal nur das Schloß und die schöne Stadt. Genannt werden sollte solche Perle, die abseits des Weges liegt, aber doch. Wenn wir schon bei Diversität sind. Und von dort geht es weiter in den hohen Norden – fast schon zu den Wikingern. Haithabu ist nicht weit entfernt.
Wer also Kunst, Kultur und Landesegeschichte von Schleswig und Holstein sich betrachten will, der fahre zum Schloß Gottdorf bei Schleswig. Man kann dort einen ganzen Tag verbringen, schlendern, schauen, stöbern und Kuchen essen. Sogar Moorleichen gibt es zu sehen und immer wieder wechselnde Ausstellungen über die Monate. Und auch die Landschaft in der Umgebung ist ein Kunstwerk für sich: Nordisch by Nature, nordische Landschaft, Land zwischen den zwei Meeren, das Naturschöne in Gestalt. Und von dort aus einmal quer durch Schleswig-Holstein zum Emil-Nolde-Museum in Seebüll. Auch hier wieder ist es dieses Zusammenspiel von Archtektur, Ausstellungsraum, Kunstwerken und dem Garten, welches sich aufs Sehen auswirkt und worin sich zeigt, daß Bilder einen Ort haben. Durch diese Umgebung wird die Betrachtung eines Werkes mitbestimmt. Deshalb eben ist auch die Betrachtung der so schönen Gioconda eine lästige Sache, weil ich im Louvre diese Schönheit nicht für mich allein oder zumindest nur mit wenigen habe, sondern sie mit Hunderten von Leuten teile, die das Gemälde durch ihr Smartphone sich betrachten. Das ändert auch die Qualität eines Bildes hinsichtlich seines Betrachtetwerdens. Während Fragonards frivoles Liebes- und Eifersuchtsgemälde „Der Riegel“ oder Jean-Auguste-Dominique Ingres‘ herrlicher Orientalismus, wie in „Das türkische Bad“ und in „La Grande Odalisque“ oder auch “ Die Badende von Valpincon“ nahezu unbetrachtet an den Wänden hängen. Kein Mensch zu sehen. Alles drängelte vor den Gemälden im großen Saal.

Ebenso sollte man auf solcher Fahrt diesen Sommer einmal wieder Werner Tübkes Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen bereisen und weil Naumburg nicht weit weg ist, dort im Naumburger Dom die Stifterfiguren und jene hoheitsvoll-wunderbare Uta von Naumburg. Weiblich, ragend, kühl und mit diesem für jene Zeit so besonderen Gesichtsausdruck. Umberto Eco formulierte es auf eine witzige Weise: „Wenn Sie mich fragen, mit welcher Frau in der Geschichte der Kunst ich essen gehen und einen Abend verbringen würde, wäre da zuerst Uta von Naumburg.“ So geht es mir auch, wenn wir denn überhaupt Kunstwerke aufs Kulinarische herunterbrechen wollen.
Es gibt in Deutschland viel wunderbare Kunst zu sehen: Modernes, Spätmodernes, Klassisches oder weit in die Vergangenheit Reichendes. Kassels Documenta scheint mir nach dem, was ich las und in Zeitungen sah, sehr verzichtbar, vor allem im Blick auf die dort dargebotene Agitprop-Kunst. Diese Kunst-Show hat, so scheint es mir, eher etwas von einer gymnasialen Mittelstufe-Projektwoche beflissener Schüler, die auch mal was Politisches ausstellen wollen: ein wenig Ökologie, ein wenig Kolonialismus, auch ein Wandbild muß her, ein wenig Gesellschaft und irgendwie auch Kunst. Verstörend an alledem allenfalls, daß da nichts ist, was wirklich verstört. Langeweile herrscht vielmehr, so scheint es mir: das von Berlin aus nach Kassel schippernde „Citizenship“, es fährt ökologisch und nachhaltig, um voranzukommen, muß man, Prinzip Trettboot, auf Fahrrädern kräftig in die Pedale treten. Bevor ich mich mit diesem Boot befasse gucke ich mir dann doch lieber John Hustons „African Queen“ mit Katharine Hepburn und Humphrey Bogart an. Man kann sowas als Kunst machen, aber wirklich aufregend ist es nicht.
Daß ich solche intervenierende Kunst für trivial halte, brauche ich nicht extra dazuzusagen. Zumal solch erweiterter Kunstbegriff am Ende zu einer Entleerung von Kunst überhaupt führt und sich die Sache auf dem Bastel-Bau-und-Heimwerker-Niveau ansiedelt: jeder kann irgendwie irgendwas und kann es eben doch nicht. Kunst, die neugierig auf andere Kontinente, auf Ökologie oder auf Fragen des Klimawandels machen will, sollte uns etwas mehr zu erzählen haben als solche Flußfahrtgeschichte. Und auch wenn ich mir diese vier in der FAZ gezeigten Bilder von Werken ansehe, bleibe ich skeptisch. Die Textilkollagen der Künstlerin Malgorzata Mirga-Tas aus der Zigeuner- bzw. Roma- und Sinti-Kultur scheinen mir zwar interessant und es ist gut, Blicke auf andere Kulturen und Kontinente zu erhalten. Aber ob ich mir dafür dieses Gesamtspektakel einer fröhlichen Schülerprojektwoche, die 100 Tage währt, dazu noch in einer derart durchschaubaren Weise, ansehen möchte?: „I would prefer not to“. Es ist dies eine Form von Kunstgewerbe, wie sie auf Dritte-Welt-Workshops erbastelt wird. In den 1980er Jahren und davor waren es Frauen in Walle-walle-Gewändern und nach dieser unnachahmlichen Mischung aus Achselschweiß und Patschuli-Moschus duftend. Dann doch lieber die griechische Säulenordnung und um auszurufen: Et in Arcadia ego, da bereise ich lieber gleich vor der Haustür Potstdams Parklandschaft oder das Schloß Glienicke mit dem herrlichen Schinkel-Casino, davor man mit einer Frau Wunder ein Sommerpicknick veranstaltet, um abends den Sonnenuntergang zu schauen. Preußische Parklandschaft gegen Kurhessens Politprop.

Und bei jenem Werk der bereits im Beitrag vom 20.6. erwähnten und durch kruden Antisemitismus aufgefallenen Gruppe Taring Padi scheint mir die im Vordergrund stehende Frau sowie ihr Shirt samt der damit korrespondierenden Tasche noch der interessanteste Teil des Bildes zu sein und man sehnt sich nach längst abgelebt geglaubter Farbfeldmalerei. Man merkt bei solchen Werken das gut Gemeinte und ist verstimmt, wie ein altes indonesisches Fischersprichwort lautet. Und das ist nach jenem widerlichen Wandbild auf dem Friedrichsplatz eine freundliche Umschreibung.
Überhaupt das Politische der Documenta und dazu der Gaza-Kitsch von Mohammed Al Hawajri von der Gruppe Eltiqa. Nichtmal ignorieren, wäre eigentlich das Motto, wenn die Sache nicht so ärgerlich und derart symptomatisch wäre. Vor allem aber:ein Titel wie „Guernica Gaza“ ist billiger Agitprop, der Täter zu Opfern verkehrt und zudem eine widerliche Asoziation bzw. eine Parallele zu den Nationalsozialisten und Israel zieht. Klar, Kunst darf das. Aber es ist dies deshalb noch lange keine gelungene Kunst. Eine Verkehrung im übrigen und eine Codierung, wie man sie auch von rechtsextremistischen Antisemiten kennt: hier eben geliefert von arabischen, die in Kassel anscheinend ein Forum bekommen haben. Kunst darf das, klar, aber niemand muß solche Scheiße goutieren und es ist dies deshalb noch lange keine gelungene Kunst, sondern vielmehr das Gegenteil. Eine kitschige und durchschaubare Agenda nämlich ohne doppelten Bode und eine die Sache erweiternde Ebene. Interessant vor allem, daß die Polit-Leute von Ruangrupa bei ihrer eigenen Heimat Indonesien und den Problemen dort, gerade auch in puncto Rassismus in Indonesien, sehr schmalllipig sich verhalten. Marco Stahlhut brachte in der FAZ vom 21. Mai dieses bigotte Verhalten in einem Artikel mit der Überschrift „Warum so viele blinde Flecken? gut auf den Punkt:
„Trotz aller Verstiegenheit im Vokabular über Israel und die Palästinenser haben Ruangrupa bisher kein einziges kritisches Wort über Papua verloren, und schon gar nicht haben sie kritische Künstler aus dieser östlichsten Provinz Indonesiens eingeladen. Dabei ist Papua das größte schwelende Problem des Landes. Man kann sich freilich nicht sicher sein, ob Ruangrupa es überhaupt sehen. Zu einer Vorveranstaltung der Documenta im Goethe-Institut von Jakarta hatten sie zwar eine Fotoschule aus Papua eingeladen, aber deren Repräsentanten waren vergleichsweise hellhäutige Indonesier. Papuas sehen dagegen als ethnische Melanesier mit ihrer dunklen Haut und krausem Haar sehr verschieden vom Rest der Landesbevölkerung aus.
Dabei gäbe es wichtige Künstler aus Papua. Einer von ihnen ist Wensislaus Fatubun, ein Filmemacher und informeller Lehrer, politisch engagiert – alles Bereiche, die Ruangrupa doch so sehr am Herzen liegen.
[…]
Erst im März warnten UN-Vertreter in eindringlichen Worten vor „schockierenden“ Verstößen gegen die Menschenrechte in Papua, einschließlich Tötung von Kindern, Folter, verschwundener Menschen und Massenvertreibungen. Und erst vor wenigen Tagen sollen Papuas in verschiedenen Orten ihrer Heimatinsel für ein Unabhängigkeitsreferendum demonstriert haben, wie Amnesty International Australien behauptet. Allerdings kann die Authentizität von Videos dieser Demonstrationen nicht verifiziert werden.
Kein Wort zu alldem von Ruangrupa, kein kritisches Wort generell zum beschämenden Umgang mit dunkelhäutigen Menschen in Indonesien, und dies trotz aller von der Gruppe zur Schau getragenen Sensibilität für Rassismus. Offenbar ist der nur dann ein Problem, wenn er sie angeblich selbst betrifft. Im Übrigen auch kein kritisches Wort von Ruangrupa zum chinesischen Völkermord an den muslimischen Uiguren – ein andauerndes Verbrechen, das die kulturelle Auslöschung einer ganzen Ethnie zum Ziel hat. Ebenso kein kritisches Wort zur Militärjunta in Myanmar, die die muslimischen Rohingya und andere ethnische Minderheiten verfolgt – alles Ereignisse, die sich geographisch viel näher an Indonesien abspielen und ungleich menschenverachtender sind als das Verhalten Israels in den palästinensischen Gebieten.“
Aber für eine in der Sache gegründete Kritik wird der Kritiker am Ende eben doch sich diese documenta anschauen müssen, ob das so ist. Ansonsten eben bleibt es, wie dieser Text auch, zunächst mal eine Mutmaßung, was das Gesamt dieser Ausstellung betrifft. Das feine ist aber: da hier in Berlin bereits die 12. Berlin Biennale ist, brauche ich vermutlich gar nicht so weit zu fahren, um ähnliches, wenn nicht gleiches zu sehen. Oder um es mit Adorno/Horkheimer zu sagen:
„Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“ (Adorno/Horkheimer: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug)
Freilich kann man diese ganze Documenta-Farce, die sich die Ausstellungsmacher da geleistet haben, auch einfach mit einem Satz von Mutter Kempowski in „Ein Kapitel für sich“ beschreiben: „Bist Du wirklich so dumm, mein Junge?„
