Harald Martenstein und der Tagesspiegel

Die Causa Tagesspiegel, das Schnarchblatt aus Westberlin, das es gestern nicht einmal vermochte, zum 75. Geburtstag des genialen Henry Hübchen zu gratulieren, dürfte inzwischen auch in überregionalen Medien gelandet sein. Der Tagesspiegel hat letzte Woche eine Kolumne ihres langjährigen, seit 1988 für diese Zeitung schreibenden Journalisten und Kolumnisten Harald Martenstein offlline gesetzt, worauf Martenstein seine Mitarbeit für diese Zeitung aufkündigte. Konsequent von Marteinstein, beim Tagesspiegel aufzuhören. Ich schätze nicht nur seine Texte sehr, sondern auch seine Haltung. Dies ist wie mit Harald Schmidt: ab einem bestimmten Alter tun viele Dinge nicht mehr weh und man kann den Leuten auch ins Gesicht sagen, was man von ihnen hält. Martenstein ist einer jener, die witzig und lässig zugleich sind. Ein bißchen so, wie früher unsere altlinken Kunst- oder Philosophielehrer.

Hier der Text der gelöschten Kolumne zum Zwecke der Dokumentation. Damit sich jeder selbst ein Bild machen kann und nachfolgend mein Kommentar dazu:

Anfang Januar 2012 demonstrierten in Jerusalem ultraorthodoxe Juden gegen die Regierung, viele trugen dabei den „Judenstern“ aus der NS-Zeit. Ihrer Ansicht nach verhielt sich der Staat Israel ihnen gegenüber so ähnlich wie die Nazis. Auch beim „Marsch gegen Islamophobie“, 2019 in Paris, waren Judensterne zu sehen, nur mit fünf Zacken statt sechs.

Laut Godwins Gesetz, benannt nach einem US-Autor, taucht in jeder öffentlichen Diskussion von emotionaler Bedeutung irgendwann ein Nazi-Vergleich auf. Godwins Gesetz kommt der Wahrheit ziemlich nah. Dass Donald Trump, Wladimir Putin, Sebastian Kurz oder die AfD heute mit Hitler oder der NSDAP verglichen oder gar gleichgesetzt werden, versteht sich von selbst, obwohl sich dabei Historikern die Fußnägel hochrollen und man so etwas durchaus „Verharmlosung des Holocaust“ nennen könnte. Origineller war die britische Zeitschrift „New Statesman“, als sie Angela Merkel „die gefährlichste deutsche Führungspersönlichkeit seit Adolf Hitler“ nannte, originell sind auch Vergleiche der NSDAP mit der CSU (etwa durch den SPD-Politiker Florian von Brunn). Den Vogel abgeschossen hat wohl Dieter Dehm, Linkspartei, als er die Bundespräsidentenwahl 2010 so kommentierte: „Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl hätten zwischen Hitler und Stalin?“ Zur Wahl standen Joachim Gauck und Christian Wulff.

Wer den Hitlervergleich bemüht, der natürlich nie stimmt, möchte sein Gegenüber als das absolut Böse darstellen, als Nichtmenschen. Der Vergleich will Hitler gerade nicht verharmlosen, er macht ihn zu einer Art Atombombe, die einen politischen Gegner moralisch vernichten soll. Der Judenstern dagegen soll seine modernen Träger zum absolut Guten machen, zum totalen Opfer. Er ist immer eine Anmaßung, auch eine Verharmlosung, er ist für die Überlebenden schwer auszuhalten. Aber eines ist er sicher nicht: antisemitisch. Die Träger identifizieren sich ja mit den verfolgten Juden. Jetzt, werden auf Corona-Demos häufig Judensterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ getragen. Von denen, die das „antisemitisch“ nennen, würden wahrscheinlich viele, ohne mit der Wimper zu zucken, Trump mit Hitler und die AfD mit den Nazis vergleichen. Der Widerspruch in ihrem Verhalten fällt ihnen nicht auf.

Ein Supermarktleiter hat vor ein paar Jahren seine Sekretärin, die ihm wohl zu dominant auftrat, mit den Worten „Jawohl, mein Führer!“ gegrüßt. Sie klagte, wegen Hitlervergleichs, er wurde fristlos entlassen. In zweiter Instanz wandelte ein weises Gericht die Kündigung in eine Abmahnung um. Die einzige Kirche, der ich angehören möchte, ist die, die man im Dorf lässt. Dieses Zitat stammt von dem „konkret“-Chefredakteur Hermann L. Gremliza, einem meiner Jugendidole.

Man muß diese Sicht nur bedingt teilen und auch Martenstein entschuldigt das Tragen von Judensternen keineswegs, aber seine Kolumne ist dennoch gut gewesen und eine Zeitung wird auch solche Position aushalten müssen und können und es sollten dort auch solche Zeilen sagbar sein – zumal Kolumnen und Glossen keine Nachrichten und Reportagen sind, sondern Sichtweisen einer bestimmten Person zeigen. Etwas mehr Ambiguitätstoleranz hätte dem Tagesspiegel gut angestanden. Konsequenterweise hat Martenstein dann gekündigt und die Arbeitsbeziehung abgebrochen.

Martenstein schreibt teils Satiren und milde, sehr milde Polemiken, die immer mit einem Augenzwinkern daherkommen und die im Ton freundlich sind. Man lese zum Gegenpol einfach mal den teils herrlichen bissigen Wolfgang Pohrt sowie den fein-nfrechen Wiglaf Droste oder den zuspitzenden und mit Polemik nicht sparenden und von Martenstein oben genannten Herman L. Gremliza (alle leider schon tot) – da wird deutlich ätzender und beißender in der Kritik ausgeteilt. Aber die weiß- und weichgespülten Mingelbürschen und Mingel-Mägdelein hören bei anderen das Gras laut wachsen, nur eben leider nicht bei ihrem eigenen, teils übergriffigem Verhalten.

Harald Martenstein gehört in meinen Augen mit zum Besten, was an Kolumnenschreibern so schreibt. (Er teilt im übrigen gegen alle aus, nicht nur gegen Woko Haram.) Das ZEIT-Magazin, seit Jahren ein Schatten seiner selbst und noch überflüssiger als die Beilage für ZEIT-Werbung aus dem ZEIT-Shop, lebt einzig durch die Kolumnen von Martenstein und die Kochrezepte von Elisabeth Raether. Selten lese ich dort eine gute Reportage, meist aber lustige Kolumnen. Und so war es auch am Sonntag im Tagesspiegel. Aber der neuerdings erhobene vornehme Ton derer, die da anbräunen, wo nichts zum Anbräunen ist, wird vermutlich nicht verstummen, und es werden die Debatten und die hysterischen Einsätze, von beiden Seiten, den Fake-News-Verbreitern und der Woko Haram, schärfter. Es gilt, dagegenzuhalten. Gegen beide Seiten.

Martenstein ist ein astreiner Linker, der innerlinke Kritik an der Mingelkindskopflinken und an deren Identitären betreibt – so wie das früher in den 1980er Jahren auch die Titanic tat, wenn sie über das absurde Gebaren des Alternativmilieus und die Betroffenheitsschwätzer herzog. Ich erinnere noch gut die Rubrik „Briefe an die Leser“, wo Bettina Wegener in Anspielung auf die Textzeile „Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen, hör ich auf zu singen“ gebeten wurde, doch bitte mit dem Singen aufzuhören. Oder aber Eckhard Henscheid, der einer bestimmten Linken in scharfem und witzigen Ton ihre Phrasen um die Ohren schlug. Oder zeichnerisch F. W. Bernstein, Clodwig Poth und Marie Marcks. Und der Ton der Kritik und der Satire war damals teils deutlich schärfer. Erinnert sich noch jemand an die Geiselnehmer in Gladbeck mit dem Viererphoto im Auto und dazu von Titanic die Bildmontage „Abba sind wieder da!“? Ja, das war hart und bitter und an schwer an der Grenze, vor allem aber war es eine bissige Satire gegen das Verhalten vieler Medien. Dagegen ist Martenstein ein alter, freundlicher, weißer Mann.

PS: Eigentlich hätte ich meine Kolumne mit dem provokanten Titel versehen müssen „Nazis, mit langen Haaren“ – frei nach jenem Schlagertext „Mädchen mit blonden Haaren“ (kennt heute vermutlich keiner mehr). Aber dieser lustige Titel fiel mir erst hinterher ein.

CC-Lizenz Wikipedia; https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Kolumnist_Harald_Martenstein.jpg

Eine Lanze für die Berliner Zeitung und eine kräftige Watsche für den Tagesspiegel im Blick auf den 100. Geburtstag von Franz Fühmann

Der Dichter Franz Fühmann hatte am 15. Januar seinen 100. Geburtstag. Westberlin und die Potsdamer Straße, wo einstmals Tante Tagesspiegels Redaktion saß, mag ein wenig, wenngleich zu Schöneberg gehörend, dem fiktiven Stadtteil Altmottenburg angehören, wo man im Muff des Westmilieus nüscht mitbekam, als noch selig die Mauer stand. Aber daß einer der bedeutenden ostdeutschen Dichter im Januar ein derart rundes Jubiläum feiert, hätte auch in die verstaubteste Feuilletonstube Askanischer Platz 3 durchdringen müssen, wo inzwischen der Tagesspiegel seinen Sitz hat, und es hätte dazu eine Würdigung geben müssen. Als Verantwortlicher für den Literaturteil täte ich mich da ein bißchen schämen. Es brachte der Tagesspiegel gar nichts. Es brachte die Berliner Zeitung dankenswerter Weise zwei Artikel:

„Franz Fühmanns 100. Geburtstag: Miststücke von Büchern. Franz Fühmann war einer der wichtigsten Autoren der jungen DDR. Weitgehend unbekannt ist sein Scheitern an einem Projekt über Theodor Fontane.“

Und ein zweiter Artikel noch dazu, in der BLZ:

Briefwechsel: Franz Fühmann und Christa Wolf in ihren Briefen: Gemeinsam gegen die Dogmatiker. Ein Stück Literaturgeschichte, ein Stück Lebensgeschichte für viele Leser: „Monsieur – wir finden uns wieder“.“

[Schon der Titel dieses Bandes gefällt ausnehmend gut]

Und auch auf der Literaturseite am Sonntag im Tagesspiegel: gar nichts. Ihr seid schon rechte Schnarchnasen beim Tagesspiegel. Stattdessen findet sich auf der Titelseite am Samstag im Feuilleton: „Wollen wir Masken auch im Fernsehen?“ (hui was für ein Thema!), und am Sonntag dann „Sprühdosenduell in Belgrad“: ist zwar interessant, aber dann hätte wenigstens im Literaturteil eine Fühmann-Würdigung stehen müssen. (Und ja, Tagesspiegel: das ist die erste Anzählung, von wegen Abonnement.) Und genau aus solchem Grunde des Checkerhaften, des Schnellen und Nicht-so-derart-Westberlin-Behäbigen habe ich die Berliner Zeitung gerne gelesen: weil ich als Wessi immer neugierig auf den Osten war. Und das nicht nur, wegen der Klasseostbräute, sondern vor allem wegen der Geschichten von dort. In der BLZ standen Dinge, die man sonst nirgends las, und auch, weil ich nicht belehrt, sondern informiert werden wollte, wie das lange Zeit in dieser Zeitung üblich war: Erzählen, was ist.

Den Briefwechsel zwischen Wolf und Fühmann gibt es im Aufbau-Verlag. Gute Dichterbriefe lese ich gerne – man nehme nur die von Hölderlin, da findet sich eine ganze Poetik darin. Und was dort erzählt wird aus jenem Land, das es nicht mehr gibt, werde ich dann ja sehen.

„Monsieur, wir finden uns wieder“
Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Franz Fühmann 1968 bis 1984
224 Seiten, gebunden, 24 Euro
ISBN 978-3-351-03958-5
Aufbau-Verlag Berlin

Ich denke, dies ist ein schönes Jubiläumsbuch und das möchte ich gerne lesen. Darin auch ein Spottgedicht von Christa Wolf, zu jenen Zeiten, als der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann im November 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde:

„Im neblichten Monat November war’s,
die Blicke wurden trübe,
da ward eine Affaire zur Staatsaktion –
aus Furcht vor Trauer und Liebe.

Im schönen Monat Dezember war’s,
die Tage wurden kälter,
da küsste mancher manchem den Ars –
wir Kumpels werden halt älter.

Nun kömmt der frostklare Januar –
mit ihm die neuen Lieder.
Die Miserere ist vorbei.
Monsieur – wir finden uns wieder.“

Danke, Berliner Zeitung, daß Ihr an dieses Jubiläum gedacht habt. Der Titel in der FAZ immerhin „Der Eremit von Märkisch-Buchholz“ bringt einen schönen Brandenburg-Sound. Daß auch die ZEIT in der Ausgabe dieser Woche keinen Artikel brachte (den Artikel zu Fühmann und Höllerer Ende Dezember fasse ich nicht als Geburtstagsartikel auf), ist ebenfalls kein Ruhmesblatt und zeigt einmal wieder, welchen Stellenwert die Ostliteratur im Westdeutschen Feuilleton hat. Ihr seid schon arge Brunzen.

„Berliner Zeitung“ oder ein langer Brief zu einem kurzen Abschied von meinem lang währenden Abo

Im Jahr 1999 geriet ich nach Berlin, kannte die Stadt zuvor nur flüchtig: sie war erheblich im Umbruch, die letzten Zuckungen jener wilden Jahre nach der Wende waren noch zu beschauen, aber zugleich zeichnete sich ab, daß diese Stadt im Lauf der Zeit ein anderes Gesicht erhalten würde. Als ich nach Berlin zog, dachte ich lange, welche Tageszeitung zu lesen sei, um am Stadtgeschehen teilzunehmen und um zu wissen, was im Kiez und auch andernorts passiert: was geht am Theater, was in den Galerien und Museen? Gutes und kluges Feuilleton, das neben der Information auch Analyse bietet: Kunst samt Kritik. Es gab drei Zeitungen, die zur Auswahl standen: Die Berliner Morgenpost, der Tagesspiegel und die Berliner Zeitung. Ein Kollege, typischer Ostmensch, im guten Sinne, riet mir zur Berliner Zeitung, die sei die beste. Sicherlich auch ein Rat aus Ostpatriotismus heraus – nicht im Sinne von: die DDR war knorke, sondern: es gab dort Dinge, die zu bewahren und die weiterzubetreiben es sich lohnt. Und das stimmt allemal – nicht nur im Blick auf die Berliner Zeitung. So fiel am Ende meine Wahl auf jene alte und zugleich junge Zeitung. Obwohl altes DDR-Gewächs war sie inzwischen frisch und innovativ. Nice and fresh, wie man heute zu sagen pflegt. Gründlich überarbeitet und verbessert, Relauch wie man so schön sagt. Und der funktionierte.

Es gab eine Zeit und die währte lange, da habe ich die Berliner Zeitung gerne gelesen, freute mich morgens auf die Zeitung, die ich dann gegen Mittag bzw. am Abend mit Lust las. Das war schon so eine Art von Tradition und auch das handliche Format tat ein übriges dazu – Rheinisches Format, für jene, die den Begriff suchen. Aber vor allem waren es die Inhalte und die Art, wie Journalistinnen und Journalisten schrieben: eine gute, umfassende Berichterstattung über die Stadt, auch auf der Lokalebene. Und vor allem ein frisches, kluges, intelligentes, offenes und teils auch witziges Feuilleton. Es war eine Freude, die Zeitung zu lesen und es war vom Intellektuellen wie auch von den Informationen her bereichernd. Dagegen war die westliche Konkurrenz genau das, als was man sie spöttisch benannte: „Tante Tagesspiegel“: leicht saturiert, ganz nett, aber ein bißchen staubig auch. Und die „Morgenpost“ war eher eine Familienzeitung für den bürgerlichen Mittelstand – also auch nicht ganz meine Sache. Die Berliner Zeitung hingegen besaß etwas, das man mit dem Begriff „Geist“ zusammenfassen konnte. Sie traf einen Ton der Zeit, ohne sich am Zeitgeist anzubiedern. Mit ihr begleitete ich gerne jene wilden Zeiten, selbst dann noch als die Zeitungsbranche ab Mitte der 00er Jahre in eine heftige Krise geriet, als es krachte und die Zeitung an den Rendite-Raffke David Montgomery verscherbelt wurde. In dieser Zeit geschahen, zum Leidwesen der Redaktion, die ersten Einbrüche in der Qualität des Blattes. Aber es war am Ende auszuhalten – auch wenn die Zeitung leicht ausdünnte. Lediglich aus Protest gegen solche Einsparungen, aber nicht, weil ich mit der Redaktion unzufrieden war, kündigte ich 2008 mein Abonnement, um es aber nach einem Monat dann doch wieder aufzunehmen.

Und wie es so ist, erlebt ein Leser mit seiner Zeitung zusammen Höhen und Tiefen: Es gibt Artikel, da sagt man „genial, was für eine kluge und analytisch genaue Sichtweise“ – etwa wenn Dirk Pilz abwägend und gründlich über die Heidegger-Debatte und dessen Schwarze Hefte schrieb, und das ohne in die üblichen Dichotomien zu verfallen. Andererseits gibt es Texte da ärgere ich mich als Leser. Und genau so muß es auch sein. Da war der einstmals teils witzig-bissige Jens Balzer als Musikkritiker, leider geriet er immer mehr auf dem Weg nach Identitätspolitikshausen und die achtzehnte Beschreibung von Helene Fischers oder eines anderen ihm unliebsamen Popstars Bekleidung ist am Ende nur bedingt witzig und nudelt sich ab. Aber auch Balzer ließ sich verkraften – dafür gab es zur Freude Arno Widmann und Harald Jähner – und irgendwann ging dann auch Balzer – was freilich mit der Verschlechterung der Lage Mitte der 2010er Jahre zu tun hatte und weil die Redaktion in sogenannte Newsrooms umzog. Und leider ging eben auch Jähner; und Pilz, mit dem ich politisch in vielem nicht einer Meinung war, verstarb. Aber immer noch blieb ich der Zeitung treu. Zumal diese Zeitung unterschiedliche Sichtweisen unter einem Dach vereinen konnte. 2019 dann stieg das Unternehmerpaar Silke und Holger Friedrich in die Zeitung ein und übernahm. Sie kamen nicht vom Journalismus, aber dieser Umstand mußte nichts bedeuten, denn ein Verleger braucht nicht schreiben zu können, sondern er soll ein angeschlagenes Schiff steuern und auf guten Kurs bringen. Ich war nach der Misere der letzten Jahre zuversichtlich.

Doch leider fiel dieser Wechsel nicht so aus, wie ich es mir erhoffte: nicht die Stärkung des Lokalteils war Ziel, sondern er wurde geschwächt. Nach nunmehr bald 22 Jahren Abonnement dieses mir lieb gewordenen Blattes habe ich im Januar dieses Jahres mein Abonnement endgültig gekündigt und bin zum Tagesspiegel gewechselt. Und damit bin ich nicht unglücklich. Im Gegenteil: ich finde dort das, was ich inzwischen bei der Berliner Zeitung vermisse, und es ist auch keine Verlegenheitslösung, sondern die bessere Wahl. Warum der Wechsel?

Zum einen ist der Berlin-Teil derart ausgedünnt, daß es im Blick auf Lokales keinen Unterschied mehr macht, ob ich gar keine Zeitung lese oder ob ich die Berliner Zeitung lese. Kleines Beispiel: Mitte Januar gab es in Berlin mehrere Brände, die Feuerwehr war stark in Anspruch genommen. Einer der Brände fand genau in der Straße statt, wo ich wohne: eine schwerverletzte Person wurde aus dem Haus gebracht und auf dem Gehsteig behandelt. Die Sanitäter und der Notarzt machten eine halbe Stunde Herzdruckmassage, um sie dann mit Kanülen zu verkabeln. Leute lesen eine Lokal-Zeitung, weil sie das, was in ihrer Nähe geschieht, noch einmal und mit Hintergründen versehen lesen wollen: deswegen der Lokalteil. Warum brannte es? Was geschah? War die Feuerwehr am Rande ihrer Kapazität oder ging es gut? Die großen W-Fragen im Journalismus eben. Wo, wie, was, warum, wieviel, weshalb. Eigentlich etwas, das bereits der Volontär lernt und weiß. Wenn aber Lokalredaktionen kaputtgespart werden, um dann mit dem Geld eine Wochenendausgabe zu finanzieren, die eher einem Life-Style-Magazin für politisch Rechtschaffene gleicht, statt einer Zeitung für die ganze Stadt, dann brauche ich keine Lokalzeitung mehr. Und wenn die Themenpalette sich auf das beschränkt, was im inneren Berliner S-Bahn-Ring passiert, brauchen Bewohner, die dort nicht wohnen und die der identitätspolitische Zirkus in Kreuzberg-Friedrichshain und eine Buchhandlung wie She said oder irgendwelche Transidentitäten nur am Rande interessieren, sich diese Zeitung nicht mehr zu kaufen. Anders der Tagesspiegel, der ein breites Themenspektrum fährt – auch politisch.  

Zweitens halte ich jene sich leider vermehrt in der BLZ breitmachende Tendenz des Belehrjournalismus für verhängnisvoll – sozusagen die Nils-Minkmarisierung des Journalismus. Wenn Journalisten meinen, Haltungen verkaufen zu müssen und Erzieher ihres Volkes zu spielen, indem eine Redaktion bestimmte Themen (Gender-Transgender, Identitätspolitik, Rassismus als Dauerbrennerthema in schöner Lifestyle-Form aufgepimpt) nicht nur in einer Unwucht in die Zeitung bringt, sondern auch mit jenem Haltungsnotenton und dem wedelnden, erhobenen Zeigefinger versieht – Anfang Januar von Susanne Lenz der Hauptaufmacher des Feuilletons „Rassistisch oder zeitgemäß?“ und so zieht sich das von Lenz bis Hanno Hauenstein –, dann ist das zwar die Entscheidung der Zeitung. Und meine Entscheidung ist es dagegen, als Leser diese Art von Berichterstattung nicht zu goutieren. Nicht per se wegen dieser Themen, sondern wegen einer Debattenunwucht und einer Einseitigkeit in der Ausrichtung. Kaum vorstellbar, auch einmal einen Bericht zu lesen, weshalb es sinnvoll sein kann die englische Queen mit einer Weißen zu besetzen, weshalb es ein biologisches Geschlecht gibt und wir daran festhalten müssen, weshalb es sinnvoll ist, den Namen Mohrenstraße zu belassen. Vermutlich würden diese Texte eher noch von Götz Aly kommen. Im Falle der Mohrenstraße setzte dieser sich in der BLZ vehement für die Beibehaltung dieses Namens ein. Nur eben: Aly ist kein Journalist und nicht Mitglied der Redaktion, sondern externer Kolumnist – wie überhaupt, auch bei der ZEIT, interessante und kluge Perspektiven oftmals eher von Externen kommen und nicht von jenen in ihrem Sud brutzelnden Journalisten des täglichen Klein-klein. Aber vermutlich würde, wenn jemand, der fester Journalist ist und der solche Artikel schriebe, es bald mit einem Aufschrei auf Twitter zu tun bekommen, wie dies unlängst der Tagesspiegel-Autorin Fatina Keilani widerfuhr, die inzwischen dann auch nicht mehr beim Tagesspiegel arbeitet: „Sagste einen falschen Satz, kriegste einen vor den Latz“ hieß es mal in der antiautoritären Kindersendung Rappelkiste kritisch: ja, die Revolte frißt ihre Kinder. Und diesem neuen digitalen, identitären Mob – orchestriert teils von Leuten aus dem Medienmilieu – mögen sich immer weniger Journalisten aussetzen, schon gar nicht, wenn man keinen großen Namen hat, der einen schützt. Nur noch wenige, wie Jan Feddersen, Deniz Yücel oder der Kolumnist Aly, der gegenüber jeder Parteinahme für Kolonialismus unverdächtig ist, können es wagen, jemanden wie Kathleen Stock gegen einen transaggressiven Mob, der bis ins deutschuniversitäre Milieu vermeintlicher „kritischer“ Theorie reicht, zu verteidigen.

Nein, eine Zeitung soll nicht nur die Weltsicht des Lesers widerspiegeln, in diesem Falle eben meine, sondern ich möchte eine Zeitung lesen, die auf einem breiten Spektrum informiert und verschiedene Stimmen zu Wort kommen läßt. Und bei einer Tageszeitung, die für viele Leser dasein will, sollten viele Stimmen abgebildet werden. Und das kann auch bedeuten, daß jene Zeitung in einer Reportage oder einem Interview einen Querdenker, einen Neonazi, einen Linksextremisten, einen Veganer, einen Fleischliebhaber oder einen Transmenschen zu Wort kommen läßt.

In den Artikeln gehäuft eine bestimmte politische Tendenz zu bedienen und nicht zu berichten, sondern zu belehren, gehört zu den Gründen meiner Abo-Kündigung. Vom geschrumpften Lokalteil ganz zu schweigen. Daß eine Volontärin wie Maxi Beigang in ihren Texten in Dauerschleife eine Politagenda der trivialen Art fährt, stößt ebenfalls unangenehm auf. Man kann solche Art von Agendaschreibe vielleicht als Kinderjournalismus abtun: von jungen Menschen, die sich bei ihrer Peer-Group profilieren wollen. Doch das ist eben kein Journalismus mehr, sondern PR – und wer will als Journalist schon zu einer Margarete Stokowski herabsinken? Und das gilt auch – oder gerade – fürs Feuilleton. Solchen Haltungsjournalismus kann ich als Leser noch goutieren, wenn er Einzelfall ist. Das eben ist jene Vielfalt. Wenn aber diese Vielfalt zum Einheitsbrei und dann zur Einfalt wird, läuft bei einer Zeitung etwas falsch. Und wenn ich von der Schreibe und der politischen Haltung Autorinnen wie Antonia Groß und Maxi Beigang nicht mehr auseinanderhalten kann, dann sollte sich eine der beiden Damen überlegen, ob sie sich vielleicht einen anderen Markenkern zulege möchte. Man vermeidet solchen Brei, wenn man sich selbst einfach mal beim Schreiben zurücknimmt. Ich möchte nicht lesen, was 25jährige junge Frauen oder Männer so denken und was sie den Tag über bewegt. Ich kaufe keine Schülerzeitung, sondern eine Tageszeitung. Auch sehe ich nicht ganz ein, warum ich mich für das Tagebuch einer Jungjournalistin wie Beigang interessieren sollte – nicht einmal sofern dieser Text satirisch gemeint war. Dafür gibt es Blogs. Auch dies ist leider eine Tendenz, die ich verstärkt im Journalismus beobachte. Journalisten, die zunehmend um sich selbst kreisen und über sich, über ihre Kinder, über ihre Mütter, über ihren Tagesablauf berichten. Warum sollte das normale Leser interessieren?

Aber nicht einfach wegen solcher immer wieder ins Blatt gebrachter Themen ist diese Art von Journalismus verhängnisvoll – gerne kann man in guter Weise über Feminismus berichten oder über Rassismus, den es ja objektiv gibt –, sondern wenn ich als Leser bemerke, daß ich belehrt werden soll und mich eher in die Zeiten des Neuen Deutschlands der alten Art zurückgesetzt fühle, dann stellt sich Widerwille ein: ich will als Leser ernstgenommen werden und nicht das Objekt kinderpädagogischer Versuche sein. Wenn ich solche Tendenz verstärkt feststelle – das ist zumindest mein subjektiver Eindruck – dann ist es Zeit abzubrechen. Insbesondere wenn ich den Eindruck habe, daß sich eine Zeitung an eine bestimmte Zielgruppe und an einen bestimmten Zeitgeist andient.

Ich habe die Berliner Zeitung jahrelang geschätzt. Sie war Anfang der 2000er Jahre in meinen Augen die beste Tageszeitung, teils sogar der Bundesrepublik – zumindest in meinem kursorischen Sichtungsvergleich. Diese Zeit ist lange vorbei. Wenn ich bei einer Zeitung einen Großteil der Texte nur noch ärgerlich abbreche; wenn ich in einer Lokalzeitung keinen angemessenen Lokalteil mehr finde; wenn die Wochenendausgabe zu einem Hochglanzmagazin für Bobos wird, dann ist es Zeit, mit dem Lesen insgesamt und also auch mit dem Abonnement abzubrechen. Eine Tageszeitung lebt davon, daß der Leser sie morgens gerne liest. Sie lebt nicht davon, daß ich morgens beim Briefkasten jedesmal denke: „Gott, was erwartet mich jetzt wieder für ein Schmarrn?“ Daß ich eine Ausgabe gerne las, war leider bei der BLZ nur noch sehr bedingt der Fall. Mit dem Wechsel der Eigentümer hatte ich mir eine Qualitätssteigerung der gedruckten Zeitung versprochen. Die blieb jedoch weitgehend aus. Das ist schade, weil ich die BLZ lange Zeit gerne gelesen habe. Nun ist es vorbei und da führt kein Weg zurück.

Imaginieren ist alles – Michael Angele „Frank Schirrmacher. Ein Portrait“

An den Ufern des Mains herrschte, um die Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Frank Schirrmacher, Sohn eines Ministerialbeamten, einer der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. – Dieser außerordentliche Mann würde, bis zu seinem Ende für das Muster eines guten Blattmachers haben gelten können. Sein Umgang mit Kollegen freilich ließ oft zu wünschen übrig, selbst als selbiges in seligen Zeitungszeiten noch geholfen hatte, und es waren diese Fehltritte oft zu bemängeln und zuweilen schäbig zu nennen. Zugleich aber trugen den Genius auf Adlers Schwingen oft Ideen, Launen und Einfälle mal kapriziös mal mit Furor empor in elysisches Gefilde. Keinen Gott und keine Obrigkeit fürchtete er. Eine zwieschlächtige Gestalt.

Nein, angenehm berührt bin ich nach der Lektüre von Michael Angeles Buch von diesem Typus Feuilletonist nicht, und ich kann mir nicht vorstellen, daß es in irgendeiner Form erquicklich sei, „unter Schirrmacher gedient zu haben“, wie es Don Alphonso schrieb. Aber jeder macht seine eigenen Erfahrungen. Das Bild über einen Menschen setzt sich am Ende aus den Facetten und Perspektiven zusammen, die der Chronist zusammenträgt. Ich bin zwar einerseits, nachdem ich die ersten 20 Seiten von Angeles Portrait las, ganz froh, kein Kulturjournalist zu sein, sondern als Kulturblogger arbeiten zu dürfen und gelegentlich für den Freitag zu schreiben, ansonsten aber nicht weiter involviert zu sein – ein Feuilletonchef, der vor der Tür eines mißliebigen Kollegen im Vorbeigehen immer wieder Kotzgeräusche macht, weckt kaum Sympathie. Aber die Neugier auf Klatsch und Tratsch überwog doch den moralisierenden Vorbehalt. Nicht nur Kulturblogger sind Voyeure, und süffisante Berichte aus dem Innenleben des Feuilleton-Betriebs zu erhaschen, macht Spaß, zumal wenn es wenig kostet, schon gar nicht die Nerven eines geopferten Lebens. Solange man eben auf dieser Wurstsuppe nicht mitschwimmen muß.

Imaginieren ist alles, denke ich mir, sich als Lauscher in der Feuilleton-Redaktion Frankfurt-Main mit dazugesellen – freilich ohne die Mühen der Ebene und ohne das arbeitsame Dabeisein, ohne den schirrmacherschen Anranzer. Da lausche und lese ich neugierig, wie schon bei Fritz J. Raddatzʼ brillant-witzigen Tagebüchern oder seiner Autobiographie, vielleicht nicht gar so garstig wie Truman Capote, was die böse Anekdote und den süffisanten Klatsch betrifft, aber doch ein brennender, inspirierender Geist. Raddatz reizt und hat diesen Esprit, den ich bei Schirrmacher vermisse. Raddatz besaß jenen Stil des Großbürgers – von der Kleidung und vom Habitus angefangen: die Art, wie er Zigaretten hielt –, den ich bei Schirrmacher nicht wahrnehme. Wollte man sich beide als Autohändler vorstellen, so verkaufte Schirrmacher Opel Rekord B und Raddatz die Sportwagen von Alfa Romeo. Beide spielten Rollen, waren Schauspieler von bestimmten Charakteren, aber Raddatz füllte sie bei weitem besser aus, während Schirrmacher ein Mann aus dem Volk blieb, wenn ich Michael Angeles Portrait folge. Will man Feuilletonchefs aus dem Volk? Nein. Auch ein Grund für die Krise des Feuilletons. Der Großbürger, der Dandy sind verschwunden, es bleibt das Mittelmaß.

Schirrmacher ist solches Mittelmaß, soviel steht für mich nach der Lektüre von Michael Angeles Portrait fest, und er ist dennoch eine faszinierende Person, überbordend, voll sprühender Intelligenz quecksilbrig, zwanghaft, ein Kontrollfreak, ein Hochstapler, ein Narziß mit Goldmund, ein Mann mit Phantasie, ein Rauschmensch, wie Angele schreibt. Vielleicht macht gerade diese Spannung zwischen dem Normalen, also dem, was wir als Mittelmäßiges wahrnehmen, und der überschäumenden ADHSler-Tatkraft den Reiz an diesem Menschen aus. Schirrmacher war kein outrierter Modedandy, seine Wirkung in der Erscheinung beruhte auf etwas anderem: Dem Wort, seiner Art, andere zu begeistern und für sich einzunehmen. Das breite Spektrum der Person Schirrmacher fängt Angeles Portrait gut ein, liefert viele Geschichten, Anekdoten, aus dem Nähkästchen geplaudert – was man halt gerne hört. Ja, Schirrmacher war ein umtriebiger Geist, er gestaltete das Feuilleton unterhaltsam, was nicht jeder gleichermaßen goutierte. Er bugsierte das Feuilleton in neue Gewässer: die der Gesellschaftskritik, des politischen Feuilletons, und er entdeckte vor allem das Internet als neues Kommunikationsmedium, holte Blogger wie Don Alphonso ins FAZ-Boot.

Wenn Angele in seinem Buch mit der Figur des Karlson vom Dach beginnt – ein Spitzname, auf den Schirrmacher von irgendwem, vermutlich von Dirk Kurbjuweit, so Angele, getauft wurde –, dann legt das freilich eine Blickrichtung nahe, auf die hin wir Schirrmacher lesen (sollen). Diese Pointe als Auftakt ist zwar einerseits trefflich gesetzt und läßt schmunzeln, lenkt aber auch in die falsche Richtung und schafft gleich für den Anfang eine bestimmte Farbe, in die die Figur Schirrmacher getaucht wird und unter der wir ihn lesen sollen. Das fixiert ein Bild und wird dem Schillernden der Figur Schirrmacher nur bedingt gerecht. Kindkaiser, Caligula, „das gebildetste Kind, das jemals ein Feuilleton leitete“. Alles das nicht wirklich schmeichelhaft. Aber vielleicht kann man diesen Karlson-Zug bei Schirrmacher einfach Eigensinn nennen: den des Egoisten, des Phantasievollen, des Mittelmäßigen, der es vermochte, sich biographisch diesem Maß zu entwinden. Dieser Zug gerade, dieses Changieren zwischen Kind und Erwachsenem macht die Figur Schirrmachers spannend, so meine Lesart von Angeles Portrait. Sein Charakter pendelte irgendwo zwischen „destruktivem Narzissmus und Kreativität“.  Schwierig festzumachen, was genau er war:

„Wer bei Schirrmacher nach einem Stilprinzip sucht, findet es ex negativo in der Furcht vor dem Unbedeutenden.“

Und dazu gehört bei Schirrmacher auch die Angst, selber wieder zu den Unbedeutenden zu gehören. Sozialer Aufstieg ist mühsam, Abstieg leicht. In diesem Sinne brannte Schirrmacher – eine Kerze, die man an beiden Enden anzündet, um noch einmal einen Vergleich mit Fritz J. Raddatz und seiner Selbstbeschreibung zu bemühen. Dazu gehörten Ideen:

„Am 27. Juni 2000 erschien die legendäre Ausgabe der FAZ zur Entschlüsselung des Genoms. Schirrmacher ließ ein Feuilleton drucken, das über sechs Seiten hinweg fast nur aus Sequenzen mit den Buchstaben A, T, G und C bestand. Es war Schirrmachers größter Coup als Blattmacher. Er, der sich für Kunst nicht sonderlich interessierte, hatte die ästhetische Kategorie des Erhabenen aufs Blattmachen angewandt.“

Schirrmacher war den Themen der Zeit auf der Spur: Internet, Überalterung der Gesellschaft. Ego-Kultur. Gewissermaßen zeigt sich hier die Genialität solchen Mittelmaßes: Alle wissen es bereits und haben das Thema vage im Kopf, kollektiver Unterstrom, ein Gefühl. Aber keiner sagt’s und wagt’s. Und wie es mit der Wahrheit so ist: es bedarf eines klugen Kopfes, der sie ausspricht. Das Trüffelschwein eben. Themen wollen nicht neu erfunden, sondern entdeckt werden. Der begabte Journalist zeichnet sich aus, weil er im Vorfeld merkt, was anliegt und das dann ins Feuilleton bringt.

„Das ist Feuilleton. Wo Langeweile eine Todsünde ist, wird die Neugierde zur Kardinaltugend – auch wenn sie von der Klatschsucht manchmal kaum zu unterscheiden ist,  aber wer möchte das ernsthaft beklagen?“

Nun also, nachdem er vier Jahre tot ist, schreibt Michael Angele, stellvertretender Chefredakteur beim Freitag, über Frank Schirrmacher. Keine Biographie, sondern, wie es im Untertitel heißt, ein Portrait, was bedeutet, daß ins Buch Subjektives einfließen kann, daß nicht jede Regung von der Geburt bis zum Abschied detailliert aufgeschlüsselt werden muß. Das Portrait ist ein Text für die Schnelle, kann eine Skizze sein, ohne sich in der Feinarbeit verlieren zu müssen – was kein Makel ist. Wir erfahren bei Angele in flinken Strichen und pointiert manches über Schirrmachers Umtriebe – Anekdoten spare ich mir, dazu sollte man das Buch lesen –, seine Ränkespiele, viel über den Zeitungsbetrieb, die Verfilzungen im Medienbetrieb. Ja, Journalisten sind ein eigenes Völkchen und leider sind viele Journalisten meilenweit von denen entfernt, für die sie schreiben. Wir lesen über Schirrmachers Umgang mit Menschen, seinen Instinkt, sein Gespür für Macht, wen man zur rechten Zeit umwirbt und ihn zur rechten Zeit wieder fallen läßt.

Aber weshalb sollten wir ein solches Portrait lesen, warum sollte sich ein Leser dieses Buch kaufen, wenn er nicht selbst aus dem Milieu der Kulturschreiber stammt? So fragte auch eine Freundin und winkte bloß ab, als ich mit weitschweifigen Erklärungen anhob. Ein Buch von Journalisten für Journalisten, mithin das Übliche des Betriebs, der sich selbst bedient, der um sich kreist und seine eigene Bedeutung selbstreferentiell kreiert, entgegnete sie lakonisch. Ein Verein, der über sich schreibt, sich selbst zum Thema macht. Womit jene Freundin recht hat. Luhmannsche Autopoiesis des Medienbetriebs und zudem viel Klatsch und Tratsch – in diesem Sinne weckt Angele den Voyeur. Und mancher Redakteur wird vermutlich wie bei den Raddatz-Tagebüchern schauen, ob er mit Namen im Register auftaucht. Und für Frauen sei es mit dazu gesagt: It’s a man’s world. Geschichtlich also schon mal interessant, wie dieser Feuilletonbetrieb lange Zeit tickte. Als Männerdomäne.

Das Buch ist nichts für die, die Zeitungen einfach nur lesen, aber nichts über die Interna wissen wollen. Neugierige jedoch und Zeitungsfreaks kommen auf ihre Kosten, Betriebsvoyeure ebenso. Schirrmacher-Fans jedoch werden enttäuscht sein, denn Angele schreibt keine Hagiographie – allerdings auch keine Vernichtung. Das Buch ist auf angenehme Weise ausgewogen. Angele kennt Schirrmacher kaum, ist ihm höchstens zweimal begegnet, gehört also nicht zum inneren Kreis junger Männerbünde, hat keine Rechnung offen, muß nichts zurückzahlen oder nachträglich loben. Das Buch ist flott geschrieben, wie es sich für Journalisten gehört, keine Schnörkel gesetzt, keine Umstandskleidprosa. Das ist zwar für sich noch kein Qualitätskriterium, aber für unbedarfte Leser nicht ganz unwichtig.

Denn immer noch treibt den Rezensenten hier die Frage um, weshalb man das Buch lesen sollte. Aber frei nach dem Billy Wilder-Satz „Du sollst nicht langweilen“ sind guter Stil und eine spannende Story über einen interessanten Mann wesentliche Aspekte, weshalb man zu diesem Buch greifen könnte. Es ist kurzweilig oder um es im Amazon-Sound zu schreiben: Leser die Felix Krull mochten, würden auch Angeles „Schirrmacher“ kaufen. Vor allem aber wegen solcher Passagen und Beobachtungen aus dem Medienbetrieb lohnt die Lektüre, etwa im Hinblick auf die sechs Seiten der Genom-Sequenz im FAZ-Feuilleton vom 27. Juni 2000:

„Den Versuch, das Undarstellbare sinnlich erfahrbar zu machen, das ist, was man die Ästhetik des Erhabenen nennt. Schirrmacher hat versucht, die Ästhetik des Erhabenen auf Zeitungsformat zu bringen. Er, der immer Grenzen sprengen wollte, hat das Feuilleton an seine Grenze gebracht. Es war ein letzter Höhepunkt, bevor es vom digitalen Wandel erfasst wurde.“

Dieser Wandel im Zeitungsmachen und die Krise des Journalismus durchs Digitale sind unterschwellig ebenfalls Buchthemen.

Daß es sich, wie Andrian Kreye in der SZ schrieb, um ein „durch und durch boshaftes Buch“ handele, ist schlichter Blödsinn. Angele schont nicht, das ist richtig, aber er bleibt dabei in sachlichem Fahrwasser. Und mal ehrlich: Ein wenig Voyeure sind wir alle und wollen keine kreuzbraven Geschichtchen für Pastorentöchter hören. Die Tagebücher von Raddatz lasen wir nicht, weil es darin sittsam zuging und Raddatz für alle Kollegen lobende Worte fand, sondern weil er schrill lästerte. Kreyes Vorwurf, daß Angele sich im letzten Kapitel in die Grauzone des Boulevardjournalismus begebe, weil er dort seinen Besuch bei Schirrmachers Mutter schilderte, ist lächerlich. Was sonst sollte ein Journalist, der ein Portrait schreibt, wohl machen als Freunde und Angehörige zu befragen? Kartensatz legen und Glaskugel sind für Journalisten nicht die geeigneten Verfahren, eher die detailierte Recherche. Dies sollte man auch bei der SZ wissen. Angele befragte zahlreiche Kollegen und Bekannte. Interessant freilich, daß viele der Befragten anonym bleiben wollten.

Warum also lesen? Um es in dieser Hinsicht kurz zu machen: Es ist ein Buch für alle, die sich für Medieninterna und für die Mechanismen von Macht interessieren, um dabei hinter die Kulissen lugen zu dürfen. Böse Zungen könnten behaupten, daß sich hinter Angeles Neutralität eine besonders subtile Form von Hintersinn verbirgt. Unter der Maske des Reporters, der vermeintlich ausgewogen Freunde, Gefährten und Rivalen befragt, schaufelt man häppchenweise die delikaten Dinge hervor. Daß Angele sozusagen ein im Gewand des Redlichen auftretender Capote ist. Egal wie: Er hat das gut getroffen und wie es bei einem Portrait so ist, werden unterschiedliche Menschen unterschiedliche Blickwinkel von einem Menschen liefern. Angele liefert einen feinen Reigen von Eindrücken.

Wenn ich darin freilich manche der Schilderungen über Journalisten lese, vom devoten Verhalten bis hin zu Untertanengeist, gegen den Diederich Heßling fast ein Revoluzzer war, graust es einem wiederum: wenn der Rotarsch-Pavian aufkreuzt, wird gekuscht. Handelt es sich hier um dieselben Journalisten, die ansonsten immer für eine moralisierende Belehrung gegenüber anderen gut sind? Auch auf solche Widersprüchlichkeiten des Betriebs weist Angeles Buch. Andererseits gab es ebenso eine Rebellion des Schirrmacher-Feuilleton-Teams wegen des verdorbenen Betriebsklimas, wo Mißtrauen und Furcht herrschten. Bedingungen, unter denen Kreativität, Ideen und Schreiben kaum wachsen und gedeihen.

Der Leser erhascht also einen Blick hintern den Vorhang – ins Arkanum FAZ-Feuilleton. Es ist aus einem durchaus subjektiven Blickwinkel geschrieben, auch wenn Angele viele Perspektiven und Stimmen zu Wort kommen läßt. Da es sich allerdings um eine Epoche handelt, die es in der heutigen Ära nicht mehr in dieser Form gibt, lesen wir zugleich ein schönes Stück (Zeitungs-)Geschichte über jene Zeit, als Männer noch Macht besaßen. Tempi passati, und das ist vielleicht auch ganz gut so.

Michael Angele: Schirrmacher. Ein Portrait. Aufbau Verlag 2018, 222 Seiten, EUR 20,00

 

Die Vermessung der Literatur im Computer

Um einen Gefühlsstadtplan von London zu schaffen, durchsuchten Computer der Universität Stanford diverse Romane von 1700 bis 1900, um zu finden, auf welche Weise und in welcher Form Emotionen in Romanen auftauchen. Der Literaturwissenschaftler Franco Moretti nennt dieses Verfahren in Anspielung auf das Close Reading der Literaturwissenschaft „Distant Reading“: Romane werden nach bestimmten Begriffen, Wortfeldern oder Satzarten durchforstet. Dass diese Analyse nicht zwangsläufig die Quantifizierung von Literatur zur Folge hat, zeigt Morettis Buch „Der Bourgeois. Eine Schlüsselfigur der Moderne“. (Eine Buchkritik findet sich hier im Blog.) „Distant Reading“ und hermeneutische, dialektische oder dekonstruktive Lektüre müssen keinen Gegensatz bilden – auch wenn viele immer noch den alten Oppositionen anhängen. Sofern sich dieses Verfahren nicht im quantifizierenden Zählen und in der Begriffshuberei erschöpft, daß die Wörter „Scham“ und „Schaf“ in einem Roman 78 und 15 Mal vorkamen, scheint mir darin ein ähnliches Potential zu liegen wie die Suchfunktionen bei Texten: auf schnelle und unkomplizierte Weise an Begriffe und Fundstellen zu gelangen – zumal manche Verlage sich nach wie vor weigern, ihren Büchern anständige Sachregister beizufügen.

Die Frage ist immer, was man aus diesen Daten macht, wie man sie interpretiert, wie Wissenschaftler mit der Quantität von Daten umgehen und sie in eine neue Qualität führen. Moretti gelang es in „Der Bourgeois“, einen Blick auf den Bürger in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts zu werfen und diesem Begriff literaturwissenschaftlich Relevanz zu verschaffen. Trotzdem er Google Books benutzte.

Im „Spiegel“ schildert Moretti sein Vorgehen.

Die Bilder des Krieges: Eine Ästhetik des Schreckens oder ästhetische Lust am Schrecklichen?

Eigentlich eher eine rhetorische Frage, mit der ich einen mehrteiligen Besprechungsessay zu drei Photo-Büchern einleite: Kann man Krieg in Photos verklären, und inwieweit beeinflussen Photographien unsere Sicht auf ihn, indem Zeitungen ästhetisch ansprechende Kriegsphotographien drucken statt der Schockbilder? Diesen Vorwurf macht David Shields in seinem Buch „War Is Beautiful“ der „New York Times“. Tim Parks diskutiert in der Besprechung zu Shields Buch die Frage nach dem schönen Schrecken der Bilder. Zu finden ist dieser Beitrag in der New York Review of Books.

nature-war-beautifulEine alte Frage zwar, doch stellt sie sich immer wieder neu. Nicht erst seit Susan Sontags Kritik an der Photographie oder in Baudrillards provokant zugespitzter These „The Gulf War Did Not Take Place“, die er 1991 über den Irak-Krieg sowie dessen mediale Vermittlung äußerte. Wir sehen nicht mehr das, was ist – als ob je ein Bild das präsentieren könnte  –, sondern medial Vermitteltes, und wie im Falle des Irak-Kriegs abstrakt-absurd anmutende, zugeschlierte  Fernsehbilder: Grüngetönte, mit Nachtsichtgeräten aufgenommen Filmszenen, die angeblich zielgenaue Einschläge von Marschflugkörpern zeigen, Photos wie in einem B-Movie-Science-Fiction oder in einem aufgemotzten, frühen Konsolenspiel. Ohne Opfer, lediglich beschädigte Gebäude und Panzer. Von den Militärs und nicht von unabhängigen Kriegsreportern gelieferte Photos. Krieg kommt plötzlich als Präzisionsarbeit daher; Kriegsbilder passieren, wie schon im Zweiten Weltkrieg die Raster der Zensur, unterliegen einer Auswahl. Schön, schockierend, aufregend im Sinne einer Empörung oder einer Art visuellen Erklärung, geschweige denn irgendwie informativ waren diese Photographien aus dem Irak nicht. Es gab keine Opfer, es gab keinen Gegner. Die Photographien wirkten kalt, leblos, technisch.

Anders als die Bilder aus Vietnam, die gerade weil sich Kriegsphotographen relativ frei bewegen konnten, perverserweise eine ungeheure Dynamik und damit zuweilen sogar Schönheit besaßen. Genau das ästhetische Moment im Photo, was Roland Barthes in seinem Text „Schockphotos“ an solchen dann noch in Galerien zur Schau gestellten Bildern monierte und was in anderer Weise Susan Sontag in ihrem Buch „Über Photographie“ ebenfalls in die Kritik nahm. Der Vietnam-Krieg war einer der letzten großen, medial ausgetragenen Konflikte, der in Sachen Bildreportage einiges zuließ, das heute unmöglich durchführbar ist. Natürlich waren auch diese Kriegsreporter innerhalb der US-Army eingebettet und auf deren Schutz angewiesen. Aber das Feld schien offener, es gab mehr Kniffe und Tricks. Anders als drei Jahrzehnte später dann in Afghanistan oder dem Irak.

U.S. President George W. Bush carries a platter of turkey and fixings as he visits U.S. troops for Thanksgiving at Baghdad International Airport, November 27, 2003. Bush secretly traveled to Baghdad and paid the surprise Thanksgiving Day visit in a bold mission to boost the morale of forces in Iraq amid mounting casualties. REUTERS/Anja Niedringhaus, Pool EL NIE/SV

REUTERS/Anja
Niedringhaus, Pool
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Was zeigen uns die Zeitungen und  die Fernsehbilder vom Krieg? Was dürfen sie drucken und was nicht? In die Tageszeitungen gehören die ungeschminkten, ungeschönten Bilder hinein, nicht die unmittelbar ansprechenden, weil es um die harten Fakten geht. Dennoch besitzen auch solche eher verklärenden oder ansprechenden Photographien ihren Reiz, dienen der Information und müssen gezeigt werden. Aufgrund des Kontrafaktischen, weil sich in diesen Bildern ein Widersinn manifestiert und sogar multipliziert. Schönheit inmitten des Grausamen. Programm jeder Ästhetik. (Im zweiten Teil dieses Essays, wenn ich über Anja Niedringhausʼ Bildband „At War“ schreibe, komme ich auf den Aspekt der Schönheit im Schrecken zurück.) Wir müssen insbesondere solche Photographien zu lesen und zu betrachten lernen, die ikonographischen Charakter haben. Etwa das Bild aus dem Irakkrieg, wo George W. Bush 2003 zum Thanksgiving den Soldaten einen Truthahn mit Früchten serviert. Inszenierte Spontaneität. Das Obst jedoch ist aus Plastik, das Tablett scheint sich unter der Last zu biegen, doch der Vogel ist nicht echt und kaum zum Verzehr bestimmt. Ein bukolisches Idyll, eine symbolische Szene. Anders verhält es sich mit den Photographien, die Grausames zeigen und dennoch ihren Reiz entfalten. Trümmerlandschaften, die wie hergerichtet wirken. Tote, die fast friedlich und wie dahingestreckt schlafend auf einem Feld zu ruhen scheinen. Wir aber wissen: Diese Männer sind tot.

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Bilder von roher Gewalt, vom Schreckliche, vom Terror gibt es nicht erst, seit die Photographie zum Medium tagesaktueller Berichte wurde. Immer schon delektierten Menschen sich an Exzeß-Szenen im Modus des Ästhetischen, oder aber sie flößten ihnen unbändigen Schrecken ein, indem diese Darstellungen die Höllenszenarien und Verdammungen vor Augen führten, die ihrer sündigen Existenz harrten. In der bildenden Kunst hatte das Grausame früh seinen Ort. Ob bei Hieronymus Boschs Höllen- und Lustfahrten, die eher dem Bestiarium entsprangen, oder in der Kreuzigungsszene des Isenheimer Altars, die uns einen leidenden, am Kreuz verwesenden grüngelben Leib zeigt. Blut strömt aus der klaffenden Wunden, Fleisch ist zerrissen, der Körper ausgemergelt, mehr tot bereits als lebend. (Wobei sich dieser Altar keineswegs in einer Ästhetik des Schreckens erschöpft. Die verschiedenen Öffnungsszenen des Objekts zu den unterschiedlichen Anlässen des Kirchenjahres weisen darüber hinaus.)

Aber nicht nur in den metaphysischen und theologischen Leiddarstellungen stoßen wir auf den Schrecken. Sondern ebenso in den profanen Bildnissen begegnen wir ihm, wenn im Sinne des Realismus und als Appell ans Humane das Grauen des Krieges dokumentarisch ins Bild gebracht wurde. Drastisch in  Jacques Callots „Les misères de la guerre“ und  in Goyas „Desastres de la Guerra“. Doch spiegelt Kunst – sei sie auch dokumentierend – eine Realität wider? Das tut sie nicht einmal in ihren realistischen Varianten; noch der Realismus der bildenden Kunst ist – trivialerweise – nicht realistisch. Bilder repräsentieren nur bedingt. (Ich will die die Strategien der Repräsentation jedoch nicht umfassend in die Kritik nehmen, wie es in der Logik mancher Postmoderner der Fall ist. Es geht mir lediglich um einige einschränkende Bedingungen.) Den äußeren Bildern entsprechen innere. Bilder spiegeln unsere Sicht auf Realität, aber nicht diese selbst. Bilder und die Kunst überhaupt stellen eine Welt eigener Art ins Werk, darin liegt die Wahrheit der Kunst gegründet, die sich nicht bloß auf den Modus ästhetischer Erfahrung reduzieren läßt, und es zeigen uns jene Bilder Weisen der Wahrnehmung, die mit ästhetischer Wahrheit korrespondieren. Kunst weiß etwas, das wir noch nicht wissen – zumindest nicht diskursiv. Dieses Spiel zwischen Diskursivem und Deiktischem, zwischen Wissen und Entzug macht, insbesondere im Sinne Adornos, den Rätselcharakter des Kunstwerks aus.

Medusa

Diese Logik kompositorischer Verdichtung und Transformation des Dokumentarischen ist deutlich etwa an Théodore Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“ zu sehen, wo ein historisches Ereignis dramatisch und dramaturgisch in einer einzigen Szene derart aufgeladen wurde, daß es auf dem Pariser Salon von 1819 einen Skandal hervorrief. Nicht mehr Könige und Helden zu Pferde, Nymphen und Götter, historische Schlachten (nun gut,  die Franzosen hatten gerade einige entscheidende verloren) oder Einschiffungen nach Kythera und galante Feste bildeten das Sujet. Sondern die Leiderfahrung derer ohne Namen und göttlichen Stammbaum. Geblieben ist lediglich der Name und der Schrecken der Medusa. Insofern kann man in diesem Kontext gut davon schreiben, daß Nomen eben Omen sei. Nämlich die gescheiterte Rettung Schiffbrüchiger von der 1816 im Atlantik gesunkenen französischen Fregatte „Méduse“. Vor der Küste Westafrikas spielte sich dank eines, so steht zu vermuten, inkompetenten Kapitäns ein Seefahrtsdrama ab. Die „Méduse“ lief auf ein Riff, an ein Freikommen war nicht zu denken. Da die Rettungsboote nicht ausreichten, baute man aus den Schiffsteilen ein großes Floß. Das weiße Personal, Handwerker, Offiziere retteten sich in die Beiboote. Für die übrigen, solche, die wir heute Underdogs nennen, blieb das karge Gefährt übrig. Söldner des afrikanischen Korps, Exhäftlinge, Nicht-Europäer; die einzige Frau dort war eine Marketenderin. Das Floß wurde an eines der Rettungsboote vertaut. Doch die im Boot kappten das Seil schließlich, so daß die Ansammlung aus Holz und Mensch ohne Steuerung über den Atlantik trieb. 147 Seelen auf engstem Raum. Die, die am Rande kauerten, mußten damit rechnen ins Meer gespült zu werden. Ein schrecklicher Überlebenskampf. Vor Hunger verspeisten sich die Schiffbrüchigen gegenseitig – der in solchen Fällen übliche Kanibalismus. Überlebenstrieb. Man erschoß 65 der Passagiere, warf Schwache ins Meer. 15 Menschen überlebten die Floßfahrt.

Als in Paris das Publikum dieses Gemälde sah, war es empört. Doch nicht die Bilder sind der Skandal, sondern das, was ihnen zugrunde liegt. Das Reale, die Geschichte, die Wirklichkeit. Das sich Entziehende, Unabbildbare.

Die Condition humaine erweist sich in den Krisen als fragil, und der Lack der Zivilisation ist ausgesprochen dünn aufgetragen. (Freud machte sich in diesen Dingen keine Illusion. Das Unbehagen an der Kultur ist zugleich das an der menschlichen Unkultur.)  In diesen Bildern des Grauens und in manchem radierten oder in Malerei ausgefahrenen „Dokument“ finden wir das, was sich mit dem Titel „Die Erschütterung der Sinne“ bezeichnen läßt, wie 2013 eine Ausstellung im Dresdener Albertinum benannt war.

Doch dieser Erschütterung unserer Wahrnehmung – sofern sie im musealen Kontext überhaupt noch möglich ist und nicht zur Behaglichkeit regredierte – wohnt zugleich jener feine ästhetizistische Lustreiz und Kitzel inne: der delightfull horror. Zumindest solange wir ins Grauen nicht involviert sind und die Möglichkeiten zu einer rein ästhetischen Haltung entwickeln, die wie beim Lukrezschen und Kantischen Konzept des Erhabenen auf einem Abstand beruht. Interessant scheint mir dieser gleitende Blick insbesondere bei der Ausstellung „Kunst aus dem Holocaust“ im Deutschen Historischen Museum. Zu sehen sind dort Grafiken, die im Geheimen von Häftlingen aus verschiedenen KZs, Arbeitslagern und Ghettos gezeichnet wurden. Scheint es nicht vermessen, diese Zeichnungen mit dem Auge des Kunstkritikers zu betrachte und nach den Regeln aZeigen, wie es war. Mit dem Kunsthistoriker Didi-Huberman geschrieben: „Bilder trotz allem“.

Oder es leisten im Feld des Abbildrealismus Kriegsphotographien den Schock- und Schönheitsmoment. Diese Art von Photographien gibt es in verschiedenen Varianten. Seien es Photos, die einen verklärten Abdruck liefern und Kriegsszenen idealisieren, wie wir sie häufig in Zeitungen und im Fernsehen vorgesetzt bekommen, was David Shields kritisierte. Bis hin zu Extrem und Drastik: Leichen und separierte Körperteile, Sterbende, auf einem Not-OP-Tisch Verblutende. Zerfetzte wie der Leib Christi am Kreuz, nur nicht gemalt, sondern hart am Limit photographierte Szenen wie wir sie in Christoph Bangerts „War Porn“ oder in Stanley Greenes „Black Passport“ uns betrachten können.

In den nächsten Teilen schreibe ich über Anja Niedringhausʼ „At War“ sowie über die Bücher von Bangert und Greene.

Copyrightnachweise
Bild 1 entnommen von The New York Review of Books:
»Ozier Muhammad/Redux
A US marine convey, north of the Euphrates, Iraq; photograph published in The New York Times on March 26, 2003, and included in War is Beautiful«
Bild 2: Reuters/Niedringhaus, aus: SpOn.
Bild 3: Bersarin, 2011, im Musée d’Unterlinden, Colmar
Bild 3: CC-Lizenz, Wikipedia.

Comment cʼest – Feuilleton, Pop, Betriebssystem: schreibe FORMAT C:/Q

Nun bin ich seit Wochen kurz davor, mein über 30 Jahre währendes Abonnement der „Zeit“ zu kündigen, um auf die FAZ umzusatteln, was ich eigentlich schon lange hätte tun sollen, aber bisher aus Bequemlichkeit Monat um Monat hinausschob, und dann stoße ich endlich auf eine „Zeit“-Glosse, die zu lesen sich lohnt. Kritik der Kritik, eine Notiz aus dem Betrieb, die das Trallala des pseudosubversiven Popdiskurses beim Namen nennt. Wenn sich Kunstbetrieb, Feuilleton und Journalismus immer mehr nach der Kategorie der Unterhaltsamkeit ausrichten und ansonsten jeden komplexeren Anspruch mühelos zu unterlaufen sich anschicken: Wozu brauchen wir dann eigentlich noch diese Kultur-Seiten, wo all die Kultur-Journalisten fröhlich fabulieren, als schrieben sie für die „Bravo“ oder für die „Brigitte“?

Wenn Teile des Feuilletons unterhalten wollen, wie das Literarische Quartett oder andere Produkte im Kulturbetrieb, dann sollten sie es nach den harten Regeln der Unterhaltungsindustrie machen, so daß es im Resultat dann auch wirklich unterhaltsam ist und daß da nicht ein Mann in einem scheußlichen blauen Anzug sitzt, der wie eine Kopie Jörg Pilawas ausschaut. Schematisiert, konzeptualisiert, kalkuliert und standardisiert die Produkte! Und zwar auf eine Art, daß man auf den ersten Blick dieser Schablonen nicht gewahr wird. (Man mag gegen den alten Reich-Ranicki sagen, was man will, man mag seine Ästhetik als konservativ betrachten, aber als Kritiker gewitzt zu schreiben und zu unterhalten und dabei doch geistreich zu sein in seinem theatralischen Donnern: das vermochte er. Nicht immer zur Freude der Autoren. Aber es gibt eben keine Großkritiker mehr, was einerseits nicht schlecht ist, aber es fehlt im Feuilleton ein bestimmter Ton.)

Alexander Cammann bringt in der Zeit Nr. 49 des Jahres 2015 auf den Punkt, was im Betrieb fehlt. Nein, das ist kein Verfallsgejammere, wie gerne vorgehalten wird. Aber ich möchte im Internet wie auch im klassischen Feuilleton wieder Kritiken, Rezensionen, Berichte, Glossen lesen, die mich begeistern. Von Autoren, die schlauer als der Leser sind und die ihr profundes Wissen gerne teilen, um das der anderen zu erweitern. Die in ihrer Sprache etwas wagen, die mit Esprit schreiben können. Ich möchte nicht das lesen, was ich sowieso weiß, und in launigem Ton über irgendwelche Ereignisse wie Buchmessen, Lesungen, Bücher sich zu ergehen, mache ich abends in geselliger Runde selber. Dazu brauchtʼs keine Zeitung.

„Konsequenterweise kann heutzutage ein Pianist, der Beethovens Diabelli-Variationen eingespielt hat, nicht mehr danach gefragt werden, warum er dieses Stück so und nicht anders interpretiert hat, sondern danach, ob er auch Hip-Hop hört. Niemand käme auf die hingegen auf die Idee, Kendrick Lamar zu fragen, ob er auch den späten Beethoven hört. Während der popkulturelle Diskurs sich heute vorzugsweise im hermetischen Checker-Milieu entfaltet, müht sich jeder Museumsdirektor mit pädagogischem Begleitprogramm um einen niedrigschwelligen Zugang, als müsste er sich für seine Kunst schämen.

Nirgendwo geht es derzeit elitärer zu als ausgerechnet in den Deutungswettkämpfen populärer Kultur, im Ringen um die jeweils aktuell verbindliche Form. Nichteingeweihte haben weniger Zugangschancen als bei Schönbergs Zwölftonmusik: Die ewigen Distinktionsrituale des ‚Was geht/was geht nicht?‘ folgen fein ziselierten Codes zwecks Abgrenzung und Ausschluss, Abweichungen werden geächtet, allerneueste Trends und Tendenzen in einem ausdifferenzierten System unter Einsatz eines theoretisch hochgerüsteten Argumentationsarsenals durchgesetzt. Wenn schon der Gegenstand nicht hochkulturell ist, soll es wenigstens der Diskurs sein. Schade nur, dass man bei dieser Anstrengung zugleich auch noch so locker sein will.“

Schöner und treffender hätte man es nicht schreiben können. Wobei diese Distinktionskultur Pop allerdings ein Jahrzehnte währendes Phänomen ist – so alt wie der Pop selbst und diesem intrinsisch. Sein Wesen ist notwendigerweise Aus- und Abgrenzung. Das nahm er sich von der sogenannten Hochkultur – ein freilich in sich bereits problematischer Begriff. Die sogenannte hohe Kultur und der Pop sind lediglich zwei Spielmarken, zwei Seiten der einen Medaille – Janusgesicht der Spät-Moderne. Selbst die Provokation ist kein Phänomen des Pop, sondern von der Kunst geborgt und war dieser im Gestus der Avantgarden immer schon eingeschrieben: Grenzen zu überschreiten, heißt, sie anders als bisher zu ziehen. Aber eben auch: neue Grenzen zu erreichten. Unauflöslicher Widerspruch, der sich in der ästhetischen Form gründet. Das Bürgertum, das vom 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts noch als solches existierte und nicht bloß in seiner herabgesunkenen Variante einer neuen Bürgerlichkeit, die meist auf die Bräsigkeit hinausläuft, ließ sich in seinem Antagonismus gerne erschüttern, wenn die Künstler schrieben oder lauthals riefen: „Épater la bourgeoisie!“ und „Glotzt nicht so romantisch!“ (Dieses romantische Geglotze und Geklotze in Phrasen ist heute leider wieder en vogue.)

Pop ist die Fortsetzung der Hochkultur mit anderen Mitteln.

Die vermeintlich Pop-Progressiven finden das vermutlich gar nicht komisch. Bei Pop hört der Spaß auf.
 

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Nicht die Photographien sind das Grauen, sondern das, was sie zeigen: „Multicultural graveyard“

Solche Photographien, wie sie Khaled Barakeh auf seiner Facebook-Seite unter dem Titel „Multicultural graveyard“ einstellt, machen sprachlos, und sie eignen sich nicht wirklich gut, um daran Reflexionen oder gar Theorie anzuknüpfen. Andererseits kann und möchte ich solche Bilder nicht unkommentiert im Raume stehen lassen. Denn Photographien sind nie einfach nur Photographien. Zumal sich durchs radikale Schweigen nichts ändert und Khaled Barakeh diese Bilder sicherlich nicht deshalb einstellte, weil er Reflexion und Denken ausschalten wollte. Sondern ganz im Gegenteil. Das eine ist die emotionale Überwältigung durch das Grauen, das uns durch solche Bilder zur Anschauung gebracht wird: Direkt, einschließend in den Kopf. Das andere unsere Optionen und Reaktionen auf diese Photographien. Auf das, was wir sehen, wahrnehmen, in unsere Bezüge einordnen und was sich tagtäglich in der Welt abspielt. Was wollen wir tun? Was können wir tun?

Diese Photographien weisen auf ein Bündel an Bezügen: Zunächst bin ich und sind es viele andere schlicht schockiert, wenn ich mir diese Bilder betrachte. Tote Kinder, mit aufgerissenen Augen, von Wasser bedeckt, das sich in die Kleidung sog. Angesichts einer seit Jahren sich abspielenden Katastrophe im Mittelmeer wußten wir freilich alle, daß es diese Bilder gab und gibt, und wir wissen ebenso, daß es solche Photographien weiterhin geben wird. Und nicht nur dies, denn es sind nicht die Bilder selbst, die Photographien, sondern das, was sich real zuträgt: das, worauf die Photographie referenziert: daß da Kinder tot an einem Strand liegen, Körper, die das Meer wieder freigegeben hat und an Land spülte, ist das eigentlich Schockierende. (Ich möchte diese Photographien hier im Blog jedoch aus verschiedenen Gründen nicht zeigen. Unter dem Link kann man sie sich anschauen: das sollte genügen. Zum Betrachten der Bilder muß man jedoch bei Facebook eingeloggt sein. Im Augenblick funktioniert der Link noch nicht.)

Das Absurde oder auch Paradoxe solcher Bilder: Dieses Abgebildete, was sich jeder Bildlichkeit und jeder humanen Sprache entzieht, jeder Photographie entzieht, ist nicht abbildbar. Selbst dann nicht, wenn es unmittelbar in einem Bild sich zu bannen scheint. Andererseits reicht es eben nicht aus: Nein, nein, nein zu rufen, zu schreiben, zu schreien, zu weinen oder in anderen Arten und Weisen zu trauern und zugleich  ungemein zornig zu werden. (Diesen Zorn über das, was geschieht, sollte und müßte man zu einer produktiven Energie transformieren.)

Manche meinen, solche Photographien zu machen und vor allem zu zeigen, sei zynisch. Ich halte die Zustände, die solche Bilder produzieren und daß es überhaupt möglich ist, daß diese Bilder entstehen können, für sehr viel zynischer. Und vor allem die, die für solche Photographien sorgen und am Ende verantwortlich sind: Von den USA (die sich einen Dreck um die Flüchtlinge scheren, sondern Konflikte bewußt eskalieren lassen), über Europa, bis hin zum Iran, dem Assad-Regime, Rußland sowie den Rebellengruppen, die in dieser Region einen totalitären Religionsstaat anstreben, und vielen anderen, die in solchen Konflikten ihr Süpplein kochen – bei Waffenlieferanten und -produzenten wie Heckler & Koch angefangen. Aber was ist nun zynisch? Sind es nicht genauso die Zeitungen, die uns Photographien vorenthalten und uns geschönte Kriege zeigen? Meist bekommen wir irgendwelche Trümmerlandschaften zu sehen. Allenfalls, wenn die Partei, die dem Westen nicht genehm ist, Kriegsverbrechen begeht, zeigen die Medien von Zeit zu Zeit Bilder des Grauens. Photographien, wie sie etwa Christoph Bangert in seinem (2014 erschienenen) Buch „War Porn“ über den Krieg im Irak zeigt, sind in den Zeitungs- und Fernsehmedien kaum zu sehen. Ebensowenig Reportagestrecken wie von Stanley Greene in seinem Buch „BLACK PASSPORT. Journal eines Kriegsphotographen“ (Beide Bücher werden hier im Blog demnächst besprochen.)

Es gibt Szenen, die sind da, die geschehen, einfachso und eben doch nicht einfachso, die lassen sich nicht verdrängen und es ist gut und wichtig, daß es mutige und tapfere Photographen gibt, die sich diesem Entsetzlichen stellen und es für uns festhalten.

Andererseits bleibt mir die Skepsis: Angesichts der Flut von Bildern wage ich es zu bezweifeln, daß solche Photographien am Ende unser Bewußtsein tangieren. Die Kreise der Hölle bleiben und es werden sich neue Höllen auftun, wenn die alten vorbei sind. Und es stumpfen die Bilder sich ab. Solche Bilder zu zeigen, insbesondere in Medien, in Zeitungen, scheint mir zugleich und bei aller Notwendigkeit ein heikler Akt. Einerseits muß man es wohl, um in Europa ein Bewußtsein zu erzeugen. Andererseits werden wir Betrachtenden beim Dauerbeschuß mit solchen Szenen irgendwann diese Photographien nur noch zur Kenntnis nehmen und in unsere Normalität eingliedern. Diese doppelte Perspektive wird sich nicht aufheben lassen und wir werden mit diesem Widerspruch leben müssen. (Ob er sich aushalten läßt, wäre eine weitere Frage, der die nach der Humanität, nach der Condition humaine berührt.)

Daß Photographien als effektive Waffe gegen den Krieg fungierten und dazu beitrugen, einen solchen Krieg zu beenden, passierte im letzten Jahrhundert ein einziges Mal: nämlich beim Vietnamkrieg, wo sich unkontrolliert und geradezu viral die Photos und Fernsehszenen vom Krieg, Brand und Gemetzel bis ins Wohnzimmer ausbreiteten. Als übten und testen die USA, was Bilder vermögen und als veranstaltete jemand ein Seminar über die Macht und die Reichweite von Bildern. (Dazu vielleicht auch: Elisabeth Bronfen: Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung.)

Hinter solchen Bilder scheinen mir die semantischen Diskussionen, ob wir nun Flüchtlinge, Flüchtenden, Heimatvertriebene, Vertriebene, Refugees sagen sollen relativ unerheblich. Tote bleiben diese Kinder allemal und es werden noch sehr viel mehr solcher Bilder kursieren. Und was noch viel schlimmer ist: Es sind nicht die Bilder, sondern daß sich dahinter Menschenleben verbergen, Geschichten von Müttern, von Vätern, die um ihre Kinder trauern, sofern sie es denn irgendwohin schafften und überhaupt noch die Zeit zur Trauer fänden, weil der Kampf ums Überleben am Ende alle Energie auffrißt. [Eine Schande bleibt es allemal, wie manche hier in der BRD und wie Länder wie Ungarn diese Menschen empfangen.]

Hinweis in teils eigener Sache

Am Freitag, den 24. August Juli, sendet Deutschlandradio Kultur um 19:15 Uhr unter der Rubrik „Readerʼs Corner“ einen Beitrag von Sieglinde Geisel über Literaturblogs: „Im Netz ist jeder Leser ein Kritiker“. Darin kommt auch meine unbescheidene Stimme zu Wort – wie oft und wie häufig, weiß ich freilich nicht. Ich habe mich aber trotz eines thymotischen Grundzuges in meinem Wesen, wenn es um Literaturblogs geht, die ihren an sich selbst gestellten Anforderung nur minimal Herr oder Frau werden, sehr zurückgenommen. Hoffen wir mal, daß andere dort zorniger sind, damit nicht immer nur ich den bad guy geben muß, der gegen den Schrunz dieser Welt wettert. Aber wie es so ist: Wir, die wir den Boden für die Freundlichkeit und guten Text (nein, nicht guten Sex!, der interessiert den Monsieur Teste nicht) bereiten wollten, konnten selbst nicht freundlich sein.

Eine kurze Angabe zum Inhalt findet sich im Programmteil von Deutschlandradio Kultur unter der Zeitangabe Neunzehnuhrfünfzehn, oderauch viertel Acht, wie der Berliner, der Ostdeutsche, die  Menschen im einstmalig Böhmischen (man achte auf die Zeitangaben im Werk von Kafka),  der Franke wie der Bayer zu sagen pflegen. Viel Vergnügen beim Hören und möglicherweise Gewinn von Erkenntnis.

Die Modalitäten des Internet: Münkler-Watch und die ewig währende Erregungsposse des Shitstorm

Natürlich wieder eine Posse aus der Humboldt-Universität zu Berlin. Diesmal traf der Erregungseifer – von verschiedenen Seiten und Lagern her – den relativ bekannten, inhaltlich und von der Sache her durchaus kritisierbaren Politikwissenschaftler Herfried Münkler, dessen Vorlesung nun von einem Blog namens Münkler-Watch auf rassistisches, eurozentristisches oder frauenfeindliches Gedankengut hin überwacht wird. Münkler steht durch eine Gruppe Studenten unter Beobachtung, weil er sich erlaubt, in einem Seminar klassische Texte der Politikwissenschaft immanent zu lesen und die Argumente der Autoren zunächst so dazustellen, wie diese sie in ihrem Text schrieben. Ja: Es sind diese Autoren meist Männer, weil zu dieser Zeit meist Männer schrieben. Das ist bedauerlich, aber es läßt sich als Faktum nun einmal nicht beseitigen. Und es wohnt den meisten Autoren ein eher eurozentristischer Blick inne. Da sie in Europa schreiben und das zu einer Zeit als Cultural Studies noch nicht erfunden waren, scheint mir dies nicht allzu befremdlich. Was nicht bedeutet, die Texte nicht kritisieren zu dürfen. Nur: Bevor man sie kritisiert, muß man sie gelesen und auch verstanden haben. Eine durchaus differenzierte und gute Sicht der Dinge liefert Nils Markwardt, bei bei Zeit-Online nachzulesen.

Medial in Szene gesetzt, erwächst aus dieser Sache von unterschiedlichen Lagern her der Disput. Mancher schäumt angesichts dieses Münkler-Blogs vor Aufregung unangemessen über, so Friederike Haupts Text in der FAZ. Wenn man Polemik macht, sollte man diese auch beherrschen. Andererseits scheint mir ebenso die Kritik von Münkler-Watch überzogen und sachlich aus dem Ruder zu laufen, denn es handelt sich um eine Vorlesung zu den Grundlagen. Da geht es zunächst um die Basistexte. Um den Eurozentrismus jedoch zu kritisieren, sollte man seinen Gegner besser kennen als diese sich selber. Ja, was für eine Ungeheuerlichkeit von Münkler, daß er nicht sogleich den distanzierende Warnhinweis mitlieferte und am besten als Aufdruck über den Texten plazierte: „Kant-Lesen schadet Ihrer Gesundheit und kann zu Rassismus und Eurozentrismus führen.“ Da ist sie wieder: die unendliche Triggerwarnung. Äußerungen Münklers jedoch in einem Interview der „Zeit“ dieser Woche machen alles nicht besser. Den Studenten zu unterstellen, es wären dies Methoden wie 1933, ist nicht nur absurd, sondern verharmlost eine Situation, die mit nicht vielem in Deutschland vergleichbar ist. Das sollte einem Politologen wie Münkler eigentlich bekannt sein. (Fast möchte man, was diese von Münkler geäußerten Bezichtigungen anbelangt, dem Münkler-Watch-Blog, denn doch eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Und wenn ich mir manche der dort geschriebenen Kommentare durchlese, zeigt sich, daß der Kampf gegen Rassismus mehr als wichtig ist. Es fragt sich allerdings nur, in welchen Formen und in welcher Weise der erfolgen sollte.)

In den guten und seligen Zeiten sprengten Studentinnen Vorlesungen noch mit Titten-Attentaten. Dazu reicht es heute nicht mehr hin, dazu ist die prüde und weichgegenderte Studentin (mit oder ohne Unterstrich) nicht mehr in der Lage, denn Tittenzeigen, und überhaupt jegliche sexuelle Regung ist im Lager des neokonservativen Pietismus naturgemäß verpönt. In genau diesem Pietismus einer Gesinnungslinken und in einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Erregungseifer liegt das Problem, das implizit dann die Betreiber des Münkler-Watch-Blogs betrifft – mögen sie in einigen Punkten ihrer Kritik auch richtig liegen. Eine Haltung, die Linkssein lediglich als Simulationsprojekt und als Sprachschnüffelei betreibt, um einer Sprecherpositionen wahlweise Sexismus, Homophobie, Rassismus unterzujubeln, führt zu einem verhängnisvollen Modus der Kritik. Denn auf diese Weise entsteht eine Szenerie des generellen Verdachts. Jedem Begriff und jeder unliebsamen Äußerung oder Lebensregung wird ein rassistisches, homophobes oder eurozentristisches Motiv untergeschoben, jede Äußerung wird zunächst einmal gewichtet, ob sich darin nicht verborgenes Verbotenes zeigt. Was früher in einer simplen Variante als Vulgärideologiekritik betrieben wurde, hat sich heute zu einer anderen Gemischlage verdichtet, die aus den USA herüberschwappte: Othering sowie die tatsächliche oder vermeintliche Diskriminierung verschiedener Gruppen. Mittlerweile hat sich das zu einer Tendenz geballt, in der es nicht mehr um reale Diskriminierungen von Minderheiten geht, sondern um Diskurshoheiten: Anderen Diskriminierung unterzujubeln.

Das Internet trägt als medialer Verstärker qua Blog, Facebook, Twitter usw. einen guten Teil dazu bei. Triviale Erkenntnis, aber man kann sie nicht oft genug aussprechen. Eine an sich einmal richtige Sache, nämlich Unterdrückung, versteckten bzw. subtilen Rassismus und Widersprüche zum Thema zu machen, verfällt ins Gegenteil: die Inquisition hält Einzug sowie daran anschließend der Beicht- und Bekenntniszwang. In bestimmten Kreisen geht das dann so: Männer, die mit einer Frau flirten und sie irgendwie mit Begehren anschauen, sind erst einmal grundsätzlich verdächtig und haben sich für ihr schandbares Verhalten zu rechtfertigen, Frauen, die sich körperbetont und erotisch aufreizend anziehen, sind ebenfalls verdächtig und müssen sich erklären, wie sie es als Frauen verantworten können, sinnliche Spitzenunterwäsche zu tragen; Frauen, die Kinder wollen sind verdächtig, Weiße, die zwecks journalistischer Recherche sich schwarz schminken sind verdächtig, weiße Schauspieler, die Schwarze spielen, sind nicht nur verdächtig, sondern sogleich Rassisten; Heterosexuelle, die sich im Park küssen, werden dazu aufgefordert, dies aus Solidarität mit Queeren, Schwulen und Lesben zu unterlassen. Statt Gesellschaft relevant zu kritisieren, werden Sprachregelungen getroffen, und es wird debattiert, ob in Büchern, die vor mehr als 50 Jahre geschrieben wurden, das Wort „Neger“ vorkommen darf. (Vermutlich tilgt man irgendwann bei Tom Sawyer und Huck Finn das Zigarettenrauchen aus den Büchern. In Japan ist es bereits soweit, daß dem David von Michelangelo ein Lendentuch umgehängt wurde. Ich habe das seinerzeit mal als Witz geschrieben. Ein Jahr später wurde der Wahrheit.) Prinzipiell ist diesen neodogmatischen Pietisten jeder verdächtig: Raucher, Flucher, Alkoholtrinker, Fleischesser, Zu-wenig-Esser, Sportbetreiber, Bergkletterer, sogar unschuldige in der Alpenlandschaft kopulierende Murmeltiere, denn die bestätigen die heterosexuelle, heteronormative Matrix. (Nein, das stammt nicht aus der Titanic, sondern ist der realen Welt der Blogs entnommen.)

Wichtig vor jedem Diskursbeginn: am besten gar nicht lesen oder etwas äußern, sondern vorm Aufschlagen des Buches und vorm Sprechen unbedingt die eigenen Privilegien und die Sprecherrolle checken. Sinnvoller wäre es freilich, statt Privilegienchecks zu veranstalten, wie sonst nur der BRD-Bürger sein Auto tüvmäßig durchprüft, zuerst einmal die Fakten zu checken und Redner- oder Textbeiträge nicht nach Quotierungen auszumitteln, sondern wer zu welchem Thema etwas kompetent beitragen kann und nicht bloß daherfaselt. Ob da nun unterkomplex und mit unvergleichlicher Naivität frei von jeglicher Marx-Kenntnis über den Marktbegriff schwadroniert wurde, wie weiland in der Blogosphäre geschehen, oder ob da ein billig zu habender Sprach-Antirassismus als Gesinnungsmonstranz von mea culpa murmelnden weißen Bürgersöhnchen und den Bürgertöchterchen vor sich hergetragen wird, die sich bei jedem Nazi-Aufmarsch sofort verpissen.

Für die Logik der Sache und den Gang des Argumentes ist es jedoch relativ egal, ob einer schwarz, weiß, hellbraun oder gelb im Gesicht ist oder ob Mann oder Frau oder irgendwas dazwischen. (Freilich nicht für die sozialen Umstände und die Bedingungen.) Aber wenn es schon darum geht, Privilegien zu checken, so muß sich halt auch eine politisch engagierte Autorin wie Noah Sow fragen lassen, wer eigentlich privilegierter ist: Der hellhäutige Betreiber dieses Blogs, der keinen Verlag zur Hand hat, der seine Texte veröffentlicht, der Flüchtling aus Gambia, der vor einer schwarzen Elite mit nichts als seinem Hemd und seiner Hose unter schlimmen Umständen in die BRD flieht, oder die dunkelhäutige Autorin, die bei Bertelsmann mit ihrem Buch „Deutschland schwarz weiß“ doch eine gewisse Wirkungsmacht zu entfalten vermag? (Das spricht nicht gegen ihr Buch: ganz im Gegenteil. Es ist so ratsam, dieses Buch zu lesen; wie es ratsam ist, sich die Filme anzuschauen, wo der Journalist Günter Wallraff als Schwarzer verkleidet durch die BRD reist.) Und ein weißer, männlicher Blogger, der das Privileg besitzt, einmal im Monat eine Radiosendung zu moderieren, sollte sich fragen lassen, weshalb er seine privilegierte weiße Sprecherposition nicht zugunsten der von ihm ansonsten in jedem Atemzug genannten Lampedusa-Flüchtlinge weitergibt und diese nicht ans Mikro oder an seinen Blog läßt. Es zeigt sich bereits an diesen Beispielen, zu welchen Absurditäten ein bis zur letzten Konsequenz gedachter Check von Privilegien führt. Daß dann nämlich niemand mehr etwas sagen, schreiben und veröffentlichen dürfte. (Es geht mir in meinem Text nicht gegen die Arbeit der Antirassisten. Wohl aber gegen den Rassismusvorwurf, der als mediale Spielmarke eingesetzt wird.)

Das Internet nun erzeugt ein besonderes Milieu – wenngleich es dieses immer schon gab, nur gewichtet und äußert es sich in diesem Falle anders und potenzierter, was einen Umschlag der Quantität in eine neue Qualität ergibt –, und es ist ein besonderes Medium, in dem die Erregungskommunikation des Shitstorm und die Logik des Verdachts gut gedeihen. Es lädt insbesondere zu solchen Formen des anonymen Denunzierens, die bis hin zum Rufmord reichen, geradezu ein, so daß ein neuer Pranger entsteht: Es streut jemand irgendein Gerücht über jemanden oder stellt falsche Behauptungen auf oder äußert in der Internetöffentlichkeit Dinge, die eigentlich nicht dorthin gehören, sondern im privaten Rahmen behandelt werden sollten. Es werden Sätze falsch zitiert, aus dem Zusammenhang gerissen oder am besten noch: gar nicht erst gelesen. Aber trotzdem wird eine falsche Behauptung oder eine bewußte Lüge in den Raum gestellt. Andere greifen dies auf, kolportieren es, übersteigern den Verdacht, schmücken ihn aus und schon hat man aus einer kleinen Angelegenheit ein großes Brimborium und Bohei gezaubert. Nein, gezaubert ist falsch: sondern bewußt inszeniert.

Über eine solche Inszenierung von Petitessen und über die Kommunikation der Aufgeregtheiten und Erregungen schreibt Don Alphonso auf seinem FAZ-Blog „Stützen der Gesellschaft“ einen ausnehmend klugen und lesenswerten Artikel: „Mit dem Rückgrat einer Qualle: Wie das Westfalen-Blatt eine Autorin dem Mob opfert“. Wie mittels eines bereits kleinen Shitstorms die Redakteurin eines Provinzblattes aus ihrer Tätigkeit gejagt wurde, weil sie die falsche Antwort auf die falsche Frage gab und wie die Rechtschaffenheit der korrekten Gesinnung mittlerweile zum Maßstab für die öffentlichen Diskurse gemacht wird.

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Nicht mehr die Debatte und der Widerstreit, gar Konträres sind Bestandteil von Diskussionen, wie man es von früher her kannte und wie man es eigentlich bei Debatten erwarten sollte, sondern das Einerlei homogener Meinungssoße wird gefordert. Ich kann mittlerweile Kolumnisten wie Harald Martenstein oder Wiglaf Droste, die auf das Dummerhafte solcher Politpossen mit deftiger Polemik reagiert, immer besser verstehen. Don Alphonso hat in der FAZ einen bemerkenswerten, abgewogenen und klugen Artikel geschrieben, hat eine weitere Posse derer mit der politisch korrekten Gesinnung uns vorgeführt. Don Alphonso gehört immer noch und weiterhin zum Klügsten, was die politische Blogosphäre hervorbringt, weil er sich dem simplen Schema rechts/links nicht beugt, weil er eine Komplexität und Unabhängigkeit des Denkens von politischen Markierungen sich bewahrt hat. Das schlägt manchmal ins Extrem der Polemik aus. Die beherrscht Don Alphonso rhetorisch perfekt. Im Gegensatz zum linksposierenden Schwätzertum mancher, die bereits bei der Lektüre von Sätzen, die mehr als vier Begriffe beinhalten, aufgeben müssen oder die in ihrer Kreuzberger Medienblase nach einem simplen Schematismus die Welt in hell und dunkel einteilen, weil es von der Denkkraft zu mehr nicht ausreicht als zum Dualismus.

Ergänzend zu Don Alphonsos Beitrag sei auf Hartmuts Text in seinem Blog „Kritik und Kunst“ hingewiesen, der diesen Vorgang auf den Punkt bringt. Wie eine eher läppische Frage eines Mannes sowie die Antwort darauf zu einem Auswuchs an Homophobie hochgekocht wird. Dieses Beispiel mag noch eines der harmlosen sein. Das Netz ist voll davon: Immer ein Stück weiter die Flamme drehen. Und kräftig Unterstellungen hinzufügen. Wie nicht anders zu erwarten, sind natürlich reflexartig in ihrer Schnappatmung die mit der simplen Gesinnung dabei, die dann Don Alphonso Homophobie unterschiebt und etwas insinuieren, was in dem Beitrag von Don Alphonso nun gerade nicht zum Ausdruck kommt. Hauptsache aber, es kann denunziert und eine dezidierte und komplex dargelegte, gute Argumentation mit inkriminierenden Schlagwörtern besetzt werden. Hinter solchen widerwärtigen Mechanismen des Umlügens von Sachverhalten steckt jedoch eine Methode: Wer homophob ist, mit dem braucht man nicht mehr zu diskutieren, denn er oder sie haben sich per se aus der Gemeinschaft der Vernünftigen und der Diskutierenden ausgeschlossen. Das eben ist der simple Trick dieser simplen Gestalten. Es wäre gut, wenn zumindest eine aufgeklärt denkende Linke darauf nicht weiter hereinfällt. Es handelt sich um Solidarität mit den Falschen. Neo-Pietisten und Denunzianten sind keine Partner, sondern Gegner.

Das schlimme an solchen Diskursen ist, daß man selber zum Teil dieser Erregungskommunikation beiträgt. Andererseits verhält es in diesen Dingen derart: Wenn hier nicht explizit eine Gegenöffentlichkeit hergestellt wird, wie unter anderem Don Alphonso es verschiedentlich macht und wie Hartmut es auf  „Kritik und Kunst“ seit Jahren trommelt, dann überlassen wir das Feld den falschen Leuten. Und zwar von beiden Seiten: Sei das der Neopietismus, der sich links dünkt, aber ohne es überhaupt zu bemerken mit Denkmustern arbeitet, die aus dem Archiv der klerikalen Inquisitionen, mithin dem 15. Und 16. Jahrhundert entstammen. Old school schlechthin und weder ihres Foucaults noch ihres Derridas mächtig, sondern bloß die akademischen Phrasen plappernd. Oder aber denen von der anderen Seite, eine in der Tat homophobe, antisemitische, antimuslimische Rechte. Von PI bis zu Pegida und Legida. Beide treffen sich in ihrem Extremismus und ihren Methoden nicht nur in der Mitte.

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Edit: Wobei ich ergänzen möchte, daß ich mit dem Begriff Pietismus eben jener Bewegung doch Unrecht tue. Zu ihrer Zeit mochte sie im 17. und 18. Jahrhundert theologische und lebenspraktische Berechtigung besessen haben. Was ich in meinem Zusammenhang eher meinte, ist ein heruntergekochter, herabgesunkener, sozusagen säkularisierter Begriff dieser Bewegung. Mithin eher eine Metapher. Genauso hätte ich – und das trifft die Sache doch schon eher – von einer Art evangelikalen Sekte sprechen können. Diese Art des linken Gesinnungssektierertums ist im Grunde seitenverkehrter Spiegel.