Digitale Raubkopien und Open Access

Ich schätze es nicht, wenn man geistiges Eigentum raubt: Autoren von Texten stecken Zeit und Kraft in ein Buch, Verlage ermöglichen es, daß Texte dauerhaft sich verbreiten. Ebensowenig aber kann ich es leiden, wenn sich ein Verlag am Verkauf von inzwischen vergriffenen Büchern gesundstößt. Wenn ich nämlich sehe, wie der Verlag Walter de Gruyter Buchpreise festlegt, kann ich gut verstehen, daß sich Menschen im Internet bedienen und digitale Raubkopien von Büchern ziehen.

Beispiel gefällig? Häufig begegnen mir beim Recherchieren von Wissenschaftsliteratur Werke, die inzwischen vergriffen sind. Etwa weil es den Verlag nicht mehr gibt. Der einzige Bezugsort, den ich finde, ist oft der Verlag de Gruyter und häufig offeriert er die Bücher zu einem Preis von 109,95 EUR. Etwa von Michael Theunissen: „Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat“ oder kürzlich durch Zufall entdeckt, „Ästhetik im Widerstreit. Interventionen zum Werk von Jean-François Lyotard“. Ladenpreis: Satte 109,95 Euro. Das waren damals in den späten 80ern, vor Beginn des postfaktischen Zeitalters, als die Menschheit noch die Wahrheit sprach, 215 Deutsche Mark. Nie hätte ich als Student für solche Bücher das Geld gehabt. Allerdings war der damalige Verlagspreis deutlich niedriger. So konnte ich mir den Sammelband kaufen. Nun steht dieses Büchlein von 225 Seiten in meiner Bibliothek, insofern brauche ich es nicht mehr zu erwerben.

Ich kenne in etwa die Produktionspreise für Bücher: weiß was es kostet, ein solches vergriffenes Werk zu scannen (zu digitalisieren) und dann über Print on Demand zu drucken. Es ist nicht ganz billig. Aber so teuer, daß ein Verlag 109,95 Euro verlangt, Freunde des wissenschaftlichen Publizierens, ist es ebensowenig. Die Gründe, die einen solchen Preis rechtfertigen, würden mich interessieren. Es mag ein Zufall sein, daß diese Bücher weder über Amazon noch über Euro Books antiquarisch zu beziehen sind, wie das ansonsten bei vielen vergriffenen Büchern der Fall ist. Ich weiß es nicht; seltsam jedoch finde ich es schon. Und noch viel seltsamer scheint mir diese Art der Preisgestaltung, die geradezu zum digitalen Diebstahl herausfordert. Bücher müssen ihren Preis haben, insbesondere, wenn Vergriffenes nachgedruckt wird. Sofern jedoch ein Buch über Jahre vergriffen ist, muß es die Möglichkeit geben, an solche Werke in einem Open Access heranzukommen bzw. solche Bücher für einen kleinen Preis zu beziehen. Denn leider hat nicht jeder Verlag die Möglichkeit oder die Lust, eine umfangreiche Backlist vorrätig zu haben.

Ganz anders hingegen macht es der transcript Verlag: Das Buch „Ereignis. Eine fundamentale Kategorie der Zeiterfahrung. Anspruch und Aporien“ 2003 erschienen, herausgegeben von Nikolaus Müller-Schöll, ist inzwischen (leider!) vergriffen. Aber der Verlag stellt dieses Werk im Open Access zur Verfügung. Ich hätte es sogar gekauft und bis zu 50 oder 60 EUR für dieses interessante Buch bezahlt. Tolle Titel und Themen sind darin versammelt, wie ich überhaupt dem transcript Verlag für sein wissenschaftliches Programm ein Kompliment machen muß. Von Jean-Luc Nancy findet sich in dem Sammelband ein Aufsatz zum „Ereignis der Liebe“, von Hein Dieter Kittsteiner „Karl Marx in der Kehre Heideggers. Über das Fernbleiben des Ereignisses in der Kunst als Event“. Ohne zu wissen, worum es in den Texten geht, reizen bereits diese Titel zum Lesen. Zumal der Begriff des Ereignisses philosophisch, ästhetisch und auch politisch ein zentraler Begriff ist: Geschieht es? Und vor allem muß man, in der Logik von Beschreibung, Darstellung und Interpretation immer wieder fragen: Was geschieht?

Anderes Thema aber, anderes Feld. Auf was für feine Fundstücke wir jedoch manchmal beim Stöbern im Netz stoßen. Sozusagen vom Ereignis des Zufalls.