Reise in die andere Epoche – Tage in Wien

„In Österreich mußt Du entweder katholisch
oder nationalsozialistisch sein
alles andere wird nicht geduldet
alles andere wird vernichtet
und zwar hundertprozentig katholisch
und hundertprozentig nationalsozialistisch“
(Thomas Bernhard, Heldenplatz)

 Die Stadt ist mit dichten Lagen Geschichte bedeckt, überzogen von der Patina, und abgestrahlter Glanz legt sich wie Pollenstaub auf den Monumenten und Gebäuden nieder. Kirchenkuppeln, Kirchturmspitzen und Paläste in hellem Stein. Strahlwerk und Triebkraft. Barock wirkt als gesellschaftlicher Kitt, und zugleich spiegelt sich darin die Strahlkraft der Vanitasmotive, die ich so sehr liebe: die Spiegel, die Hunde, die Schädel, die Meßwerkzeuge. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Unter dem Stephansdom, Unterleib: die Gräber: Knochen, Särge Fetzen von Gewändern. In der Kapuzinergruft: die Särge: Staub und Knochen, das, was vom Hause Habsburg blieb: der Modergeruch, zwischen Stein und Gebälk. Salbungsvolle Reden der Übriggebliebenen und die Überreste der Geschichte. Es wispern die untergründigen Geister, es höhnt die Stimme von Karl Kraus den ewigen Lügnern hart ins Ohr. Die letzten Tage der Menschheit. Der heilige Trinker Roth: verstorben im Exil in Paris. Überhaupt ist diese Stadt mit Geschichte, mit Geschichten, mit Leben und Tod durchzogen, durchsetzt, durchseucht. Berggasse: Das alle freizulegen, was sich im Subjekt an Verdrehtem und Sperrigem, an Kultur und Gesellschaft sedimentiert und wie Muschelkalk als Kokon sich ums Metall und um den Stein der Begräbnisstätten schichtete. Jenes kollektive Unterbewußte sowie die andere Struktur, die unser Streben unbewußt bestimmt oder manchmal auch konterkariert. Thanatos und Eros in Verschränkung. Geschichtsträchtige Pfade, wie man so sagt, und insbesondere im Angesicht eines schalen Jubiläums vor 100 Jahren. Aber es ist dies die Geschichte der Mächtigen, derer, die oben und im Licht stehen. Wir freilich wissen es im stummen Sinne des Ästhetizismus, nach der Sprache ringend und haspelnd in den Gossen, aus den Goschen gespien, seewärts fahrend und die nervösen Sinne, die erhabensten aller Hysteriker sprechen schnell und gewiß:

Manche freilich müssen drunten sterben
wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
andere wohnen bei dem Steuer droben,
kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen mit immer schweren Gliedern
bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
anderen sind die Stühle gerichtet
bei den Sibyllen, den Königinnen,
und da sitzen sie wie zu Hause,
leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
in die anderen Leben hinüber,
und die leichten sind an die schweren
wie an Luft und Erde gebunden.

 Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
noch weghalten von der erschrockenen Seele
stummes Niederfallen ferner Sterne.

 Viele Geschicke weben neben dem meinen,
durcheinander spielt sie all das Dasein,
und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
schlanke Flamme oder schmale Leier.

(Hugo von Hofmannsthal, Manche freilich …)

 Die Fragen eines lesenden Arbeiters, erstickt im Ruderschlag, Adornos Lektüre der Sirenen-Episode aus der Odyssee bleibt nach wie vor aktuell. Die ästhetizistische Verstrickung wandelt sich später, einige Jahre nachdem Hofmannsthal dieses Gedicht schrieb, zur Armut, die bekanntlich ein großer Glanz aus Innen ist, wie Rilke in Hohlpathos und kunstgewerblich insinuierte. Die freudlose Gasse. Wiener Kreis. Wien webt in unseren süßen Träumen todestrunken die Schleier, Reiseschleier, Reisefieber, Wien ist die Stadt der Melancholie, des Schimpft, der Literatur (vor hundertundzehn Jahren), die Stadt der Mehlspeisen und Weine, des Zitterspiels, natürlich!, der Schrammelmusik, Loos und Wittgenstein, Ornament und Verbrechen und in der Nacht der Schrei: Harriiieee. Donauwärts, die Wellen, slawisch verspült. Ostwärts verweht, Galizien und die Bukowina. Eine untergegangene Welt, wo Bücher und Menschen wohnten, wie der Dichter Paul Celan in seiner Bremer Rede sprach. Der Vielvölkerstaat. Alles das aber gibt es nicht mehr. Oder vielmehr: das existiert nun in anderer Weise. Wien ist eine Stadt wie jede andere. Und genau dahin reise ich für über eine Woche. Ich war noch nie dort.

Wien: das ist der Zuckerguß, von den Torten bis zu den überzuckerten Gebäuden. Das protestantische Wien: es ist verschüttet, denn Wien wurde im Zuge der Gegenreformation mit dem „Blendwerk des Barock“ überzogen und rekatholisiert, wie Gerhard Roth es schreibt.

Ich weiß nicht, was mich in dieser Stadt erwartet, und dennoch schwirren im Kopfe Vorerwartungen, weil Wien durch bestimmte Bilder und Szenen geprägt ist. Man müßte den Inhalt des Bewußtseins, gleichsam phänomenologisch im Sinne einer Epoché oder der Tabula rasa, leerfegen und in die Stadt reisen, als hätte man keine einzige Geschichte mehr im Kopf, kein Bild und kein Klischee, denn so wie das ewige Paris-Gefasel oder Berlin-Gefasel uns den Sinn verstellt, beschädigt auch der Wien-Text das Denken. Ich betriebe die phänomenologische Reduktion. Den Kopf freizubekommen, um für die Photographie Platz zu schaffen, wäre sicherlich ebenfalls ein spannendes Projekt. Doch es geht nicht ohne den Text. Wenn wir freilich bedenken, daß auch Bilder eine Form des Textes sind, dann ist es gut wie es ist. Schreiben, flanieren, sehen. Wahrnehmen. Aber diese Diktionen gehen mir bereits gegen den Strich: wenn die ästhetischen Imperative des Immergleichen formuliert werden. Denn sofern alle offen in der Wahrnehmung und für die Dinge sein wollen oder es zumindest im Phrasensound vorgeben, dann möchte ich das lieber nicht und die Zerlegung einer Stadt ist schließlich kein Creativ-writing-Kursus mit Wohlfühlfaktor, sondern harte Arbeit.

Dennoch beträufeln diese Bilder beständig das Denken: Das Kunsthistorische Museum vor allem, und wer erinnerte sich nicht an seine Lektüre von Bernhards „Alte Meister“: Grandios die Heidegger-Beschimpfung und Bezichtigung darin sowie die Intensität der Kunst als Reflexionsraum, und dennoch vermag, so die Erkenntnis des Protagonisten Reger, kein Kunstwerk den einzig geliebten Menschen zu ersetzen. Was für eine Suada und was für ein Textstrom über Kunst und Leben, den Reger da entfesselt. Im Text Bernhards.

Wien bietet Potential und wenn ich bei „Wien“ einen Buchstabendreher setze, habe ich zudem „Wein“. Ich werde vielleicht doch hier und demnächst die „Chronik meines Alkoholismus“ aufschreiben: Der Blogtrinker. Doch dies ist ein anderes Thema, dazu komme ich ein andermal. [Wunderbarer Götz Widmann! Aber alles steht, wie jegliches im Leben, hart auf der Grenze.]

3-596-11407-1Was zur Einführung in diese Stadt lesen? Es kam mir sofort Gerhard Roth in den Sinn (nicht der Hirnforscher, sondern der österreichische Schriftsteller). Aus dem Zyklus „Archive des Schweigens“ las ich „Eine Reise in das Innere von Wien“: sehr genau beobachtet Roth das, was abseits der ausgetretenen Pfade läuft: im Stephansdom oder im Narrenturm, in der „Hitlervilla“, vulgo, dem Männerwohnheim Meldemannstraße, in welchem Hitler von 1910 bis 1913 wohnte. Die österreichische Geschichte mit ihren Verstrickungen und dem Hang jeglicher Geschichte, aus der Perspektive der Herrschenden und der Mächtigen zu schreiben, liest Roth aus dem Heeresgeschichtlichen Museum heraus. Wie auch beim Stephansdom und an anderen Orten buchstabiert er einen anderen Blick auf die Geschichte Wiens aus. Das, was nicht im Baedeker oder in DuMonts Kunstreiseführer geschrieben steht, die lediglich in satten Farben schönmalen und die Kunstgeschichte zum Glanz der Herrschaften illuminieren lassen. Weiterhin sei „Die Stadt. Entdeckungen im Inneren von Wien“ empfohlen. Roth schreibt Geschichte und Geschichten, aus denen die Leser um ein Stück gebildeter, wissender, wahrnehmender heraustreten, nachdem sie diese Texte gelesen haben. Roth beschreibt und beobachtet essayistisch, er ist zudem einer jener klassischen Flaneure, der mit dem Photoapparat durch die Stadt streift, um das Abgelegene ins Bild zu bringen.

In diesem Sinne möchte ich mich für einige Tage von meinen Leserinnen und Lesern verabschieden. Ich weiß nicht, ob ich in Wien zum Schreiben kommen werde oder einige Photographien hier im Blog einstellen kann. Das wird sich zeigen. Ihnen bis dahin eine gute Zeit. Spätestens am 14. Juli, quatorze juillet, geht es weiter. On verra. [Und heute? Heute ist ein ganz besonderer Tag. Es wird ein Picknickkorb gepackt und eine Flasche Riesling-Sekt lagert im Kühlschrank.]

Ich kann nicht anders, noch einmal der geliebte Georg Kreisler: „Wie schön wäre mein Wien ohne Wiener“: „Und wer durch dies Paradies muß//Findet später als Legat//Statt des Antisemitismus//Nur ein Antiquariat!“ Was für ein rattenscharfer Text! „In Grinzig endlich Ruh und’s Burgtheater zu!“
 

 

Die Tonspur zu Gefahrengebiet und volkspolizeilicher Abriegelung der Ohlauer Straße

Anzustimmen ein Loblied auf unsere gute alte Berliner Volkspolizei, die es dieser Tage, wenn man den Verlautbarungen der GdP zuhört, schwer hat. Acht Tage lang einen Kiez abzuriegeln wie das Zonenrandgebiet wie weiland in der DDR ist sicherlich eine harte Arbeit. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt“, so sagte es die kompetente grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain/Kreuzberg Monika Herrmann sehr richtig. Wer übrigens glaubt, Gefahrengebiet und Komplettabriegelungen seien nur Petitesse, der irrt: Das ist ein Vorspiel, um zu sehen, was künftig geht.

Unvergessen, großartig und Dank wie immer an: Georg Kreisler!

Wer jetzt nicht bei den GRÜNEN austritt, kann nur noch korrumpiert genannt werden.

Jüdisches zum Samstagabend samt Tonspur zum Sonntag

Was machen wir, wenn es den Jesus, der zum Messias wurde, gar nicht gab? Dann sind wir ziemlich in den Arsch gekniffen und womöglich auf einen Betrüger hereingefallen. Egal aber – die theologisch-metaphysischen Spitzfindigkeiten sowie die Frage nach der Verklärung des Leibes bleiben. Es bleiben die Gemälde, die Gleichnisse sowie ihre Auslegung, die Lektüren des Textes, die Geschichten, es bleiben die sakralen Bauten und auch die Repressionen des offiziellen Apparates Kirche. Das Christentum zu verdammen ist so dämlich wie sich ihm hemmungslos hinzugeben. Ich bin nicht wirklich religiös gestimmt, mich interessieren an den Religionen vielmehr die Regeln, die Riten, die Diskursformen, samt den kulturellen Ausprägungen.

Ich selbe habe mich mit dem Judentum lediglich in Ansätzen während meines Studiums beschäftigt. Um in den Text Walter Benjamins besser hineinzugelangen und Verständnis für den Gedanken des Messianischen zu entwickeln, las ich einige der Schriften von Gershom Scholem, blätterte ein wenig in einem Buch zu Kabbala. Das war’s dann.

Zum Judentum kam ich im Grunde eher durch einen Zufall. Mit meiner damaligen Freundin, die heute meine Exfreundin ist, stand ich irgendwann im Jahre 2005 bei Reichelt in den Gängen zwischen Nudeln und Fertigbackmischungen. (Für die Nichtberliner Leserinnen und Leser: Reichelt ist eine Supermarktkette, die es nur in Berlin gibt.) Wir überlegten, was wir für unsere Mahlzeiten einkaufen sollten, dann ging es am Tschibo-Stand vorbei, wo wöchentlich wechselnd verschiedene Preziosen und besondere Dinge wie Funkwecker oder Funktions-BHs feilgeboten werden. „String Tangas?“ machte sie neckisch. „Nein, steh ich nicht drauf“, so ich. „Aber ich trage doch manchmal welche!“, sie leicht vorwurfsvoll. Wir haben nun ein Unterwäscheproblem. „Ja, bei Dir mag ich es schon, aber ich mag es im Grunde nicht wirklich.“ Leicht bohrender Blick von meiner damaligen Freundin, die heute meine Exfreundin ist. Dann schweifen ihre Augen ab und wanderten hin auf ein circa 40 cm großes schwarzes Plüsch-Pferd mit einem roten Halsband und weißen Fesseln. Sie betrachtete es, befühlte es, blickte kurz nach mir mit ihrem verschmitzten Lächeln, und da wir bereits ihr sprechenkönnendes Obi-Streifenhörnchen in unserer Obhut hatten, erweichte sich mein Herz. Ich kaufte ihr das Pferd. An der Kasse das übliche Prozedere: „Duuuu, Frau Micheeeels, was kostet das Schibuu-Pfärt?“ (Bitte liebe Klassismuskritikerinnen und -Kritiker: ich bin kein Klassenfeind, mein Mitgefühl ist immer mit dem Proletariat, solange es an der Kasse nicht bummelt und meine kostbar-wertvolle Zeit vertrödelt.) Mit einer Stimmlage wie in Loriots „Papa ante portas“: „Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein!“ entgegne ich, prononciert-gestelzt und staubtrocken sprechend: „Dieses Pferd kostet fünf Euro fünfundneunzig.“ Für meine damalige Freundin, die nun meine Ex-Freundin ist, gab dieser doch sehr kurz-bündige Satz einen Running Gag in unserer Beziehung. Beziehungen leben von Ritualen – selbst bei Intellektuellen.

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Und so waren wir im Besitz eines Plüsch-Pferdes. (Neun Jahre später dann wird Tocotronic auf ihrem Album „Wie wir leben wollen“ singen: „Wir sind Plüschophile“) Beim genauen Betrachten und Diskutieren nun, und wir betrachteten und diskutierten viel in unserer Beziehung, wenn jene damalige Freundin, die seit fünf Jahren meine Exfreundin ist, nicht gerade mein bestes Weinglas auf dem Parkettboden des Arbeitszimmers zerschlug, um meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhaschen, die ich ihr entzog, weil ich lesend-schreibend an meinem Schreibtisch hockte und mir nichts als Stille wünschte, stellen wir aber fest, daß das Pferd, wir nannten es Pferdi, an seinem Pferdeglied beschnitten war. Auf unsere Nachfrage weshalb, teilte uns das Pferd mit, daß es jüdisch sei. Wir hatten also ein jüdisches Pferdi in unsere Wohnung. Was tun? So informierten wir uns über die Jüdischen Feste, wir feierten Jom Kippur, Pessach, Chanukka, Purim oder das Laubhüttenfest, und irgendwann dann hatte das Pferdi auch seine Bar Mitzwa. Sie mögen dies, verwunderte Leserin, verwundertet Leser, vielleicht merkwürdig finden, aber in Beziehungen und da, wo sich zwei Menschen sehr liebten, geschehen die eigentümlichsten Dinge. Dies war unsere Art, sich mit dem Judentum zu befassen. Wir sind dadurch zwar nicht jüdisch geworden, denn so einfach geht das nicht, doch erwarben wir einige Kenntnisse.

Zum Schluß sei ein jüdischer Witz gegeben:

Weshalb sind die jüdischen Männer beschnitten? Weil eine jüdische Frau nichts anfaßt, was nicht um mindestens zehn Prozent reduziert wurde.

Und da meine Freundin, die nun meine Exfreundin ist, und auch ich gerne Georg Kreisler hören, sei zur Erinnerung an diese Zeit die folgend Tonspur zum Sonntag geliefert:

Ja, so das mit der Geschichte, mit unserer Geschichte „Nichtarische“ Arien von 1966, traurig, verstörend und subtil:

Diese wunderbaren, schaurig-schönen Lieder, diese Liebeslieder – Zum Tode Georg Kreislers

Auf einen Plattentitel wie „‚Nichtarische‘ Arien“ muß eine(r) erst mal kommen: Böser, bissiger, schwarzer Humor und zugleich Melancholie sowie Traurigkeit mischen sich in diesen Chansons. „Ich fühl mich nicht zu Hause“: Und das heißt auch: nicht zu Hause in Israel, so dichtete der Jude Georg Kreisler. In einem seiner letzten Interviews sagte er, daß es den Staat Israel um seinetwegen nicht geben müsse. Eine harte Aussage in der Tat. Kreisler ist ein aus Österreich vertriebener Österreicher, der mit dem Leben davonkam, den Massenmord im Exil der USA überlebte, der sich mit Musik durchschlug. Er kehrte Mitte der 50er Jahre sodann aus dem Exil nach Wien zurück, denn hier war er am Ende doch zu Hause: in Österreich. Aber ja: wie schön wäre Wien ohne Wiener und Österreich ohne das braune und schwarze verlogene Pack dort. Vielfach sind Kreislers Lieder durchsetzt von dieser Vergangenheit und der dumpfen Spießigkeit jener bleiernen Jahre, noch das Stück „Zwei alte Damen tanzen Tango“ deutet darauf. Und weil ihm diese Subtilitäten im Text lieb waren, so haßte er irgendwann sein wunderbares Stück „Tauben vergiften im Park“ und mochte es nicht mehr spielen. Georg Kreisler war ein Musiker mit Sprachwitz sowie ein Melancholiker. Seine Couplets unterhielten nicht bloß geistreich, ein Stück wie „Der Musikkritiker“ ist neben dem Moment des gekonnt Albernen ganz einfach nur virtuos zu nennen; und zuweilen transportiert es auch die Alltagswahrheit: „Und jedem Künstler ist es recht, spricht man vom anderen Künstler schlecht.“

Aber die Vergangenheit, das Trauma ließ Kreisler so recht nicht los, und noch viel weniger diese unsägliche Verlogenheit samt dem fröhlichen Weiterso nach jenen 12, für Österreich bloß sieben Jahren.

„Lassen Sie nur meine Tante, schau’n sie, da liegt sie am Strand
Sie hat im Leben noch nie ein solches Leben gehabt
Nu, warum soll sie nicht spielen im Sand?

Lassen Sie nur meine Tante, ich weiß ja, es sieht nicht schön aus
Dass sie die anderen Gäste mit Steinen bewirft
Aber ich nehm’ sie bestimmt gleich ins Haus

Sie hat a Nichte, die lebt in Australien
Und einen Neffen, das ist ein Pilot
Und einen Bruder in Nordrhein-Westfalien
Aber sie glaubt, die sind schon tot

Lassen Sie nur meine Tante, sie wird ihn nicht beißen, den Hund
Und außerdem glauben Sie mir, dass sie verrückt ist, die Frau
Nu, das hat einen tieferen Grund

Lassen Sie nur meine Tante, schau’n Sie wie friedlich sie ruht
Und wie sie lächelt. Im Schlaf glaubt sie noch
Ihr Leben wird eines Tages noch gut

Jetzt sind es fast zwanzig Jahre, da wurde sie plötzlich so krank
Natürlich weiß man warum, und sogar Sie würden’s versteh’n
Aber ich glaub’, die Geschicht ist zu lang

Sie hat a Tochter in Bohrbeck bei Essen
Und einen Sohn, irgendwo knapp daneben
Und eine Schwester in Marburg in Hessen
Aber sie glaubt, die sind am Leben

Lassen Sie nur meine Tante, ich nehm’ sie dann mit mir hinein
Im Grunde nenn’ ich sie nur meine Tante
Sie ist in Wirklichkeit gar ka Verwandte
Und könnte ebensogut ihre eigne Tante sein!“

Ich habe diese bitter-bösen, traurigen, galligen, zum Lachen reizenden Lieder von Kreisler geliebt, und ich werde sie wieder und wieder hören. Georg Kreisler gehörte zu Österreich wie sonst nur Thomas Bernhard.

Und diese unsterblichen Lieder, die vergessen wir ihm nie. Danke, Servus und Adieu, Georg Kreisler!

Die Tonspur zum Sonntag …

Ja, da muß man schon ziemlich linksextrem in der Birne sein, um so etwas zu glauben. Daher die Bitte an meine Leserinnen sowie Leser (und ich schreibe dies nach hart getaner Arbeit): Schützen Sie auf Ihre Weise den freien Markt, das freie Spiel der freien, ungebundenen Kräfte. Es stehe jeder auf seinem Platz an seinem Ort, tue das seine. Nicht der Papa, jedoch die unsichtbare Hand des Marktes wird’s schon richten. Na Gott sei Dank.

Georg Kreisler – Meine Freiheit, deine Freiheit

Wieder einmal entnehme und räubere ich von dem guten Blog „Neuköllner Botschaften“, und zwar dieses Lied von Georg Kreisler aus dem Beitrag „Bundestagswahl (p)“, das ich für die Wahlen an diesem Sonntag und am 27.9. auch als Wahlempfehlung für die geneigten Leserinnen und Leser des Blogs „Aisthesis“ betrachte, und möchte dieses entnommene Stück im Sinne eines Multiplikators weiterverbreiten und -empfehlen, insbesondere für alle, die Lohnarbeit verrichten. Also nichts wie hin dort zu den „Botschaften“, den Beitrag lesen und anschließend noch Kapielski hören.

Auch rate ich dringlich zu, die Platten von dem großartigen Georg Kreisler zu kaufen. Mancher musikalisch-textliche Schatz findet sich dort. (PS: Auch der Vortrag von Thomas Kapielski auf den „Neuköllner Botschaften“ im obig genanntem Beitrag ist natürlich extrem zu empfehlen.)