„Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon ‚rasselnd wieder in die Höh‘ richten‘ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: ich war, ich bin, ich werde sein!“
(Rosa Luxemburg, letzter Artikel in Die Rote Fahne, Nr. 14.
Jahrgang 1919, 14. Januar 1919: „Die Ordnung herrscht in Berlin“)
„Die intellektuelle Verzweiflung mündet weder in Weichlichkeit noch in den Traum, sondern in die Gewalt. (…) Es geht lediglich darum, zu erkennen, wie man seine Wut in die Tat umsetzen kann: ob man sich wie Verrückte, um Gefängnisse bloß im Kreis drehen oder ob man sie niederreißen will.“
(George Bataille, Das finstere Spiel (1929))
„Die Revolution sagt:
ich war
ich bin
ich werde sein“
(RAF-Auflösungserklärung März 1998)
Himmelfahrt schien mir ein guter Tag zu sein, um einen weiteren Text über die RAF zu schreiben bzw. in diesem Fall über eine Art Vorlaufgeschehen. Der Blogger che2001 hatte an dieser Stelle eine kleine Geschichte und einen Abriß der sozialen Bewegung gegeben und auch etwas zur Theorie des Antiimperialismus geschrieben. Diese Fragen haben mich spätestens zum Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wenig, um nicht zu sagen gar nicht interessiert. Ich kam aus einer anderen Ecke, zwar nicht unbedingt politisch völlig anders, aber ich sah mich und sehe mich bis heute nicht als Teil irgendeiner Bewegungslinken, des Genossentums oder als jemand, der sich in irgendeiner sozialen Bewegung engagiert oder dort mitmacht, und ich weiß nicht einmal, ob ich mich selbst als links bezeichnen würde. Nein, vermutlich nicht.
Ich kam Anfang der 1980er Jahre von der Kunst, der Literatur, von der Ästhetik sowie den Ausläufern von Punk und Krachmusik wie der der Einstürzenden Neubauten, und einer an Marx, Hegel, Adorno, Benjamin und Marcuse orientieren Gesellschaftsanalyse her – das, was man klassischerweise Kritische Theorie nennt, deren Rezeption wesentlich durch einen jugendlichen Blick und damit durch eine politische Brille geprägt war, die sich Texte eben auch passend bog. Wobei mir Adorno in seiner Zurückhaltung gegenüber dem blinden Aktionismus der wilden Bürgerkindchen noch der liebste war. Diese Mischung philosophischer Texte zur Gesellschaft paarte sich – freilich alles rudimentär und kaum in einem systematischen, gründlichen Studium – mit französischem Einschlag: Sartre und auch Foucault; und dazu eine Minimallektüre Martin Heidegger, der ja in einem gewissen Sinne ebenfalls zu den französischen Denkern zählt, war doch Freiburg eine gute Zeit lang nach dem zweiten Weltkrieg in französischer Verwaltung und wurde Heidegger nachdem zweiten Weltkrieg vor allem in Frankreich von so unterschiedlichen – linken – Denkern wie Sartre, Lacan, Lyotard, Foucault, Deleuze und auch Derrida in aufgeschlossener Weise rezipiert.
Das ewige Denken in Oppositionen verstellte in diesen Fragen der Philosophie wie auch denen hinsichtlich der Gesellschaft den Blick und noch viel mehr geschieht hierbei die Einengung des Blickes durch einen vorgeprägten Referenzrahmen. Philosophie geht es nicht in unidirektionalem Zugriff um die unmittelbare Frage, wie mittels Praxis und Aktion Gesellschaft sich wandelt, gar revolutioniert, sondern sie nimmt Bedingungen von Denken in den Blick, fragt nach den Möglichkeiten von Praxis, fragt nach den Möglichkeiten ihrer eigenen Möglichkeit, fragt, wenn man im Feld der politischen Philosophie unterwegs ist, auch danach was Gemeinschaft und Gesellschaft überhaupt sind, unter bestimmten Bedingungen, fragt nach den Formen unseres Denkens, um solche Bestimmungen von Praxis überhaupt erst zu leisten, und dazu gehört zugleich die Besinnung und Bestimmung der Theorie. Ihre Fragen sind die nach dem Guten, dem Gerechten, nach der Freiheit und mit all dem verbunden insbesondere nach der Schönheit auch.
Was mich damals – neben dem Politischen – an der RAF bzw. an deren Anfängen interessierte, war die Verbindung von Kritik, Theorie und Praxis in Fragen der Gesellschaft und aufs Feld des Ästhetischen gewendet die Kombination von Phantasie, Surrealismus und Gewalt, und zwar als ästhetische Praktik, wie sie im Surrealismus angelegt war – aber eben nicht nur ästhetisch und als Kontemplation am Ende, wie sich zeigen wird. Oder um es mit einem kleinen Band von Karl Heinz Bohrer aus dem Jahr 1970 zu sagen: „Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror“. Nicht als Glorifizierung solchen Gewaltprojekts, das mag in den Jahren der Jugend und in einer politischen Naivität damals eine gewisse Rolle gespielt haben: man könne der schlechten Gesellschaft, man könne einer parlamentarischen Demokratie (mit all ihren Tücken freilich) mit einem Aktionismus beikommen – eine Art Verklärungshaltung, weil all die Aufstände gegen das sogenannten „System“ von Erfolglosigkeit gekrönt schienen, statt einmal die Perspektive zu verändern und den Gedanken auch zu wagen, daß all diese Veränderungen in kleinen Schritten geschehen – zumal in einem doch demokratischen System, das viele Spielräume zuläßt und über Öffentlichkeit, soziale Bewegungen und Debattenkultur zumindest Möglichkeiten besitzt. Zudem sind Morde und die Verletzung von Menschen, wie das schon bei der Baader-Befreiung 1970 geschah, keine Kunstaktionen, sondern fallen in die juristische Kategorie. Wie jeder andere Terror in einem Rechtsstaat auch.
In diesem Sinne bezieht sich die Bezeichnung „Surrealismus und Terror“ auf eine frühere Phase des Studentenprotests, im Grunde also eine Form von Widerstand seit Mitte, Ende der 1960erJahre, als es noch keine RAF gab; nämlich wie das in den politischen Happenings und auch den „Subversiven Aktionen“ betrieben wurde. Zu solchem Konzept gehören dann später auch die Aktionen der Kommune I in Berlin, die sich ihre Aktionen und vor allem ihre Provokationen der bürgerlichen, der teils kleinbürgerlichen Gesellschaft sehr genau von der Kunst abgeschaut hatten. Denn diese Aktionen hatten bereits in der Kunst der späten 1950er Jahre ihre Vorläufer, vor allem in der politisch-praktisch-ästhetischen Situationistischen Internationale und in der BRD in der SPUR-Gruppe in München, wo Dieter Kunzelmann mit beteiligt war. (Kunzelmann lebte später auch in der KI und war 1969 mitverantwortlich für einen – zum Glück gescheiterten – Anschlagsversuch auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin.)
Aber ebenso bestanden die Vorläufer solcher ästhetischen Entgrenzung in der Kunstform des Happenings der späten 1950er Jahre sowie beim Fluxus im Rheinland, der Wiener Gruppe, was die Entgrenzung der Literatur betraf, und dem Wiener Aktionismus, wobei der Begriff als solcher erst Ende der 1960er ins Spiel kam, aber die grenzüberschreitenden Kunstaktionen von Herman Nitsch und Günter Brus fanden bereits in den Anfang der 60er statt. Out of the limit.
Was alle diese letztgenannten Bewegungen jedoch im Unterschied zu den Situationisten und der SPUR-Gruppe ausmachte, war der Umstand, daß nicht unmittelbarer Agitprop (oder zumindest Formen desselben) das Ziel war und es floß auch nicht unmittelbar das Soziale als direkte politische Aktion in die Kunst ein, sondern diese Verweise stellten sich – etwa bei Beuys – erst auf vermittelte Weise ein. Das sollte sich vorab schon mit den Situationisten ändern, die wiederum (unter anderem) auf Bretons Surrealismus-Manifeste rekurrierten. Und diese Linie politischer, in die Gesellschaft aktiv eingreifender und ebenso einer entgrenzenden Kunst, die die Trennung von Leben und Kunst aufzuheben gewillt war – das also, was man die Souveränität der Kunst nennen kann-, zog sich bis zu jenen Aktionen der Berliner Kommune I. Dazu sei zunächst jenes von der K1 verbreitete Flugblatt sowie das zum Verständnis des Kontextes wichtige Flugblatt 6 zitiert, darin es einerseits um konkrete Politik, aber auch um eine Art Happening geht:
Flugblatt Nr. 6
Neue Demonstrationsformen in Brüssel erstmals erprobt
In einem Großhappening stellten Vietnamdemonstranten für einen halben Tag kriegsähnliche Zustände in der Brüsseler Innenstadt her.
Diese seit Jahren größte Brandkatastrophe Belgiens hatte ein Vorspiel. Zur Zeit des Brandes fand in dem großen Kaufhaus A l’innovation (Zur Erneuerung) gerade eine Ausstellung amerikanischer Waren statt, die deren Absatz heben sollte. Dies nahmen eine Gruppe Antivietnamdemonstranten zum Anlass, ihren Protesten gegen die amerikanische Vietnampolitik Nachdruck zu verleihen.
[…]
Der Verlauf des Happenings spricht für eine sorgfältige Planung: Tags zuvor fanden kleinere Demonstrationen alten Musters vor dem Kaufhaus mit Plakaten und Sprechchören statt und in dem Kaufhaus wurden Knallkörper zwischen den Verkaufsständen gezündet. Das Personal wurde an derartige Geräusche und Zwischenfälle gewöhnt. Die Bedeutung dieser Vorbereitungen zeigte sich dann bei Ausbruch des Feuers, als das Personal zunächst weder auf die Explosionen noch auf Schreie und Alarmklingeln reagierte. Maurice L. zu dem Brand: ‚Sie werden verstehen, dass ich keine weiteren Angaben über die Auslösung des Brandes machen möchte, weil sie auf unsere Spur führen könnten.‘
Das Feuer griff sehr schnell auf die übrigen Stockwerke über und verbreitete sich dann noch in den anliegenden Kaufhäusern und Geschäften, da die umgebenden Straßen für die anrückende Feuerwehr zu eng waren. Der Effekt, den die Gruppe erreichen wollte, dürfte wohl ihren Erwartungen voll entsprochen haben. Es dürften im Ganzen etwa 4000 Käufer und Angestellte in die Katastrophe verwickelt sein. Das Kaufhaus glich einem Flammen- und Rauchmeer; unter den Menschen brach eine Panik aus, bei der viele zertrampelt wurden; einige fielen wie brennende Fackeln aus den Fenstern; andere sprangen kopflos auf die Straße und schlugen zerschmettert auf; Augenzeugen berichteten: ‚Es war ein Bild der Apokalypse‘; viele erstickend schreiend. Das Riesenaufgebot an Feuerwehr und Polizei war wegen der Neugierigen und der ungünstigen Raumverhältnisse außerordentlich behindert – ihre Fahrzeuge waren mehrmals in Gefahr, in Brand zu geraten.
Maurice L.: „In der vorigen Woche hatten wir eine anonyme Bombendrohung an das Kaufhaus durchgegeben, um festzustellen, welche Maßnahmen die Polizei und welche Sicherungsmaßnahmen das Kaufhaus ergreifen.“ – Da zu erwarten war, daß die Betroffenen die Ursachen des Brandes mißdeuten würden, hatte die Gruppe nach Maurice L. schon Tage zuvor und vor allem am Tag des Großhappenings Flugblätter verteilt, die auf die Zustände in Vietnam hinwiesen und empfahlen, die Ausstellung im Kaufhaus A l’innovation „hochgehen“ zu lassen. Nach sieben Stunden erst war das Großfeuer unter Kontrolle – der Schaden beträgt nach vorsichtigen Schätzungen ca. 180 Mill. DM.
Über die Ursachen des Brandes wurden von der Polizei bisher noch keine genauen Angaben gemacht. Obwohl alle Anzeichen für dieses Großhappening sprechen, wie es Maurice K. schilderte, wagen Polizei und Öffentlichkeit bisher nicht, die Antivietnamdemonstranten offen zu beschuldigen, da dies einem Eingeständnis einer erfolgten weitgehenden Radikalisierung der Vietnamgegner gleichkäme. Es könnte zudem bewirken, daß andere Gruppen in anderen Städten wegen der Durchschlagkraft dieses Großhappenings nicht nur in Belgien zu ähnlichen Aktionen ermuntert würden. Und selbst wenn sich durch eine Unvorsichtigkeit der Demonstranten die Urheberschaft dieser oben genannten Gruppe eindeutig herausstellen würde, dürfte dies nicht dazu führen, daß die Polizei das Ergebnis veröffentlicht, da der obige Effekt der Ermunterung anderer Gruppen eine solche Veröffentlichung inopportun erscheinen läßt.
Kommune I (24.5.67)“
Und im Flugblatt 7 heißt es dann provokant-witzig und zugleich doch mit einem ernsten Hintergrund, wenn Tote mit zweierlei Maß gemessen werden:
„Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brüssel eine amerikanische Woche eröffnet: ein ungewöhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole:
Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Grossstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen.“
Flugblatt 8 setzt fort und steigert:
„Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?
Bisher krepierten die Amis in Vietnam für Berlin. Uns gefiel es nicht, dass diese armen Schweine ihr Cocacolablut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mussten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus und zuletzt hätten wir gern HHH in Pudding sterben sehen. Den Schah pissen wir vielleicht an, wenn wir das Hilton stürmen, erfährt er auch einmal, wie wohltuend eine Kastration ist, falls überhaupt noch was dranhängt…es gibt da so böse Gerüchte. Ob leere Fassaden beworfen, Repräsentanten lächerlich gemacht wurden – die Bevölkerung konnte immer nur Stellung nehmen durch die spannenden Presseberichte. Unsere belgischen Freunde haben es endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergiessen. Ab heute geht sie in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an. Dabei ist nicht unbedingt erforderlich, dass das betreffende Kaufhaus eine Werbekampagne für amerikanische Produkte gestartet hat, denn wer glaubt noch an das `made in Germany´? Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie beim überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China. Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben:
burn ware-house, burn!
Kommune I (24.5.67)“
Man muß freilich dazu sagen: das legendäre Kaufhaus „À l’innovation“ in Brüssel brannte am 22. Mai 1967 wegen eines technischen Defekts ab und nicht wegen eines Anschlages. Ironie der Geschichte: es fand darin zu dieser Zeit eine Sonderausstellung statt, die amerikanische Konsumgüter, Waren also, präsentierte. Auch ein Angriff auf den Fetischcharakter dieser seltsamen Objekte, so ließ es sich von den Studenten deuten. Das eben war die Crux und hier trug sich also, quasi durch eine List der Geschichte, das Feuer über Vietnam gleichsam symbolisch zurück in die Warentempel. Nur eben diesmal auch mit Toten. Es starben in Brüssel 251 Menschen. Keineswegs aber hatten die Studenten eine Brandstiftung als Form des Protests benutzt, um politisch Aufmerksamkeit zu erzielen, so wie sie es vorgaben. Sie spielten jedoch mit dem Reizwert durch scheinbare Inszenierung sowie dem darauf folgenden medialen Echo, das solche Flugblattaufrufe unmittelbar nach sich ziehen würde. Ästhetisch wie auch politisch besaßen diese Flugblätter der K1 einerseits etwas (gewollt) Provokatives, um gegen gesellschaftliche Konventionen und die sogenannten Regeln des Anstandes zu verstoßen, aber auch um auf eine Doppelmoral aufmerksam zu machen, wenn es um Tote ging. Sie borgten zwar von den Situationisten und der Münchener SPUR-Gruppe, aber sie waren eben auch ästhetisch-naiv einerseits und politisch doch zugleich herausfordernd und provokant. Aktionen, die vermutlich heute noch provozieren und verärgern würden. Um so heftiger müssen die Reaktionen damals gewesen sein, zumal von einer Springer-Presse, die hier kräftig anheizte und damit ebenso zur Eskalation beitrug.
Vor allem aber spielte die K1 mit der Grenze zwischen politischer Aktion und ästhetischer Fiktion. Nagelte man man sie gerichtlich, wie dies dann auch geschah, als Anstifter zum Attentat fest, so konnten sie sich damit entschuldigen, daß diese Dinge als eine Kunstform gedacht waren. Entschärfte man es dann als Kunst, wie dies in bestimmten Zirkeln eines linken Establishments inm Kulturbetrieb geschah, so ließ sich frech kontern, daß es hier aber doch mehr noch um Politik ginge. Dabei hatten die Mitglieder der K1 aber in bezug auf die Frage der Gewalt, die ja zunächst in den Augen der Studenten eine gesellschaftliche war, sehr wohl Motive des Surrealismus aufgenommen: man denke vor allem an André Bretons Satz aus dem Zweiten Manifest des Surrealismus von 1930:
„Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen, der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe.“
Das ist zwar, wie auch das Bataille-Zitat im Eingang, einerseits als Aktionsprosa zu lesen, als Kunst, als brutale Phantasie im Sinne des Als-ob, denn getan hat es Breton am Ende eben doch nicht, aber es würde seine volle Wirkung nicht entfalten, stellte der Leser sich nicht vor, daß solcher Amok auch in der Wirklichkeit sich zutragen könnte und Breton realiter schösse. Nicht nur mit Worten. Was wäre, wenn Breton zum Revolver griffe und in die Menge schösse? Das ist dann nicht mehr bloß ein ästhetischer Akt. Gewalt zurück auf die Straße zu tragen, wenn auch teils nur symbolisch als eine besondre Form von Protest als/mit Kunst (aber eben nicht nur!), Protest etwa gegen den Krieg und die Toten in Vietnam, war auch das Ziel des Studentenprotest.
Jener Aspekte der Konsumkritik, wie sie die Kommune I im Sinne einer an Marx, Marcuse, Freud und Reich orientierten Gesellschaftskritik übt, findet sich allerdings bereits in einem Text der SPUR-Gruppe, nämlich 1962 in ihrem SPUR-BUCH, Heft 5. Er ist verbunden mit den Fragen künstlerischer Kreativität und einem kreativen Individuum überhaupt, teils auch in böser Ironie und Spott. Übertitelt ist das Kunst-und-Leben-Pamphlet mit der Zeile KANON DER REVOLUTION:
„Warum sind wir die einzigen Revolutionäre? Alle anderen werden durch Nicht-Kreativität von riesigen Kulturkaufhäusern gespeist; unsere Revolution fundamentiert nicht auf der Passivität aller – das Maul des Zivilisationsdrachens kotzt Meere von wohlverpackten Gütern auf die suggerierte Nachfrage der manipulierten Verbraucher.
Jeder muß kreativ werden:
Wer gerne mit Glaskugeln spielt, bekommt einen Park mit Glaskugeln. James Dean bekommt seinen Schamanenbaum, der aussieht wie die Raktenbasis von Cap Canaveral. Wer einen Mythos braucht, erhält spesenfrei und per Nachnahme seine Mutter Gottes ins Haus geliefert, damit er sich im göttlichen Beischlaf befriedige. Wer ‚Panem et Circenses‘ schreit, wird in Schlagsahne versinkend die Holi-Origen feiern, bis sein orgastischer Schrei röchelnd ins Leere fällt.“
Doch gerade die letzten Passagen klingen seltsam aktuell, obwohl sie inzwischen 58 Jahre alt sind – im Raum des Popkulturellen und im Angebot der Kulturindustrie, die noch die unterschiedlichsten Gruppen zu bespaßen sich anschickt, hat sich wenig verändert. Und auch hier wieder eine Kritik an Kultur als Ware. [Seit den 2000er Jahren gibt es in Berlin das Kulturkaufhaus Dussmann – und was das Paradoxe ist, wenn man diese Kritik nimmt: es ist in der Auswahl der Waren, also der Bücher, der CDs, der DVDs nicht einmal schlecht, sondern ganz und gar hervorragend. Man möchte es gar nicht missen. Es ist das, was damals für das Kind in Hamburg das herrliche „Spielzeug Rasch“ war: ein Paradies, eine Traumlandschaft. (Dazu müßte man nun Benjamins Passagenwerk gegenlesen und einige Zitate bringen, aber das führte den Text in eine andere Richtung.)]
„Alle diese Produkte sind im Begriff, sich als Ware auf den Markt zu begeben. Aber sie zögern noch auf der Schwelle. Dieser Epoche entstammen die Passagen und Interieurs, die Ausstellungshallen und Panoramen. Sie sind Rückstände einer Traumwelt. Die Verwertung der Traumelemente beim Erwachen ist der Schulfall des dialektischen Denkens. Daher ist das dialektische Denken das Organ des geschichtlichen Aufwachens. Jede Epoche träumt ja nicht nur die nächste sondern träumend drängt sie auf das Erwachen hin. Sie trägt ihr Ende in sich und entfaltet es – wie schon Hegel erkannt hat – mit List. Mit der Erschütterung der Warenwirtschaft beginnen wir, die Monumente der Bourgeoisie als Ruinen zu erkennen noch ehe sie zerfallen sind.“ (Benjamin, Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts, in: Passagen-Werk)
All diese Szenen und Hintergründe sind Vorlaufaspekte, die für die (heterogene) „Studentenbewegung“, aber auch für den RAF-Diskurs zentral sind und die auf das Szenario weisen, wo aus einem politischen Happening und der Verquickung von Kunst und Praxis am 2. April 1968 eine dezidiert politische Aktion getätigt wurde, die nicht mehr unmittelbar im Zusammenhang mit Kunst und ästhetischen Entgrenzungstheorien stand, sondern bewußt eine politische Entscheidung bedeute: nämlich der durch Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein beim Kaufhausbrand in Frankfurt. Gewalt gegen Sachen zunächst, um dann in Gewalt gegen Menschen überzugehen. Wie dann am 9. November auch der Anschlagsversuch auf das Jüdische Gemeindehaus Berlin durch die linksterroristische Gruppe Tupamaros Westberlin, an deren Planung wesentlich Dieter Kunzelmann beteiligt war, aber ebenso ein V-Mann namens Peter Urbach, der den Sprengstoff lieferte.
Demnächst mehr.
[Die Photographien wurden 1982 von Bersarin in Hamburg bei einer Solidaritätsdemonstration für El Salvador aufgenommen.]
