Putins Tote

Im schönen Odessa wurde bei einem Raketenangriff der Russen die Mutter Valeria und ihre kleine Tochter Tochter Kira getötet. Vermutlich dachten sich Putin und seine Soldateska, daß man mit der Säuberung von Nazis am besten schon im Säuglingsalter anfängt. Auch Baby-Nazis sind Nazis, dachte sich der bleich-blutleere Baby-Hitler.

Der Tod einer Mutter und ihres Babys nennt sich dann wohl Kollateralschaden. Als solches die USA taten, in Vietnam etwa, war der Slogan der Demonstranten nicht etwa: „Vietcong leg die Waffen nieder!“, sondern man rief „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!“ und dieser Ho Chi Minh war nun alles andere als ein demokratisch gewählter Präsident, der auch nur annähernd ins Schema Menschenrecht und Freiheit fiel, sondern vielmehr ging auch er blutig vor. Ein lupenreiner Demokrat war jener Ho Chi Minh sicherlich nicht. Aber es ging eben auch um einen Befreiungskampf. Und das ist in der Ukraine ebenfalls der Fall, nämlich gegen eine imperialen Aggressor Putin. Und auch der Unterschied Ho Chi Minh und Wolodymyr Selenskyj dürfte intuitiv bereits ins Auge springen.

Und nein: es ist nicht mehr nur Putins Krieg. Bei der Zustimmung der Russen zu diesem Krieg ist es ein Krieg Rußlands gegen einen souveränen Staat – anders übrigens als der Irak, für alle Äquidistanzler aus dem Stall Zarenknecht-Blöcker und dem der Schreibtischtäter von den Nach“denk“seiten. Und in diesem Sinne muß Rußland genau so behandelt werden wie jenes Deutschland von 1933, 1939 und 1941. Keine russische Kultur im Austausch mit Moskau, St. Petersburg und anderen Städten, außer es handelt sich um Dissidenten und Emigranten, keine Ausstellungen, keine russischen Sportler, keine Teilnahme der Russen an internationalen sportlichen Wettkämpfen, keine russischen Oligarchen, die im freien Westen ihre Kinder auf die Internate in Frankreich und England schicken. Russische Propaganda-Autokorsos in Deutschland nur unter strengsten Auflagen und beim geringsten Verstoß: Abbruch. Und die Polizei wird doch sicherlich den einen oder den anderen technischen Mangel an einem Fahrzeug feststellen.

Aber aller Zorn über den Verbrecher in Moskau nützt nichts: Es verlieren bei diesen Angriffen Ukrainer ihr Leben. So diese Mutter und dieses Kind. Und das geht immer so weiter. Von den Deportationen der Ukrainer ganz zu schweigen und ebenso von den Verbrechen, die die Russen in Mariupol anrichten – in den Katakomben des Stahlwerkes halten sich im übrigen unzählige Kinder auf. Solange die Russen nicht aus der Ukraine vertrieben sind und Putin kapituliert, wird der Mord an Zivilisten immer weiter gehen: Entweder sie werden im Krieg getötet oder sie werden beim Widerstand sterben. Wie es den Ukrainern in den ehemals besetzten Gebieten geht, zeigten Butscha, Irpin und Mariupol, wo inzwischen weitere Massengräber entdeckt werden.

Um Putin zu vertreiben oder zu besiegen, braucht es Waffen. Und wer nun sagt: „Aber Waffen schaffen keinen Frieden!“, der muß zum einen geeignete Vorschläge machen, wie Putins Soldateska aus der Ukraine zu vertreiben ist und zum anderen sollte er lieber die Ukrainer fragen, wie sie die Sache sehen. Deren Stimmen sind entscheidend und nicht diejenigen, die hier in ihren Sesseln sitzen und ihre Ruhe wollen: Lumpenpack-Pazifisten ist das Wort der Stunde. Was zählt, sind die Ukrainer: die Stimme der in freien Wahlen ernannten Regierung des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist entscheidend und nichts sonst und dann schaut der freie Westen, das freie Europa, was es sinnvoll leisten kann. Solange solch junge Frauen und Babys von Russenraketen umgebracht werden, ist jedes Reden von Pazifismus ein Hohn auf die Opfer.

Der russische Bombenangrifff auf Odessa ereignete sich am orthodoxen Karsamstag. Es gab 6 Tote, darunter jenes Baby, und 18 Verletzte. Soviel zu Putins Frieden und zum Osterfrieden.

Die „Befreiung“ von Mariupol

Die „Befreiung“ der Stadt sieht so aus, wie unten zu betrachten ist, wenn dann tschetschenische Räuberbanden ins Land einziehen: Man kann sich nun gut vorstellen, weshalb es für die Ukrainer keine gute Idee wäre, zu kapitulieren. Es wartet die Hölle auf diese Menschen. Es warten Folter, Mißhandlungen, Vergewaltigungen von Frauen und Mord. Und sofern die UN nicht umgehend diesen Krieg stoppen, sollte zu überlegen sein, ob nicht eine Koalition der Willigen in den Krieg eingreift. Insofern: Waffen für die Ukraine, Militär für die Ukraine.

„Russia’s „liberation“ of Mariupol looks like this, according to Ramzan Kadyrov’s Telegram channel“

Aus den ZEIT-Ticker:

Russland lehnt Waffenruhe zu Ostern offenbar ab 

„Nach Aussagen des ukrainischen Präsidenten hat Russland den Vorschlag einer Feuerpause über die orthodoxen Osterfeiertage abgelehnt. Das sagte Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft. Dies zeige, was der christliche Glaube und einer der fröhlichsten und wichtigsten Feiertage den Führern Russlands gelte, sagte Selenskyj.

„Wir werden aber trotzdem die Hoffnung behalten. Die Hoffnung auf Frieden, die Hoffnung darauf, dass das Leben über den Tod siegt.Wolodymyr Selenskyj“

Zuvor hatte Papst Franziskus zu einer Waffenruhe in der Ukraine aufgerufen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres und der Großerzbischof der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche sprachen sich dafür aus.“

Auf Putins Kälte läßt sich nur mit Kälte und das heißt mit Waffen und am Ende auch mit dem Einsatz einer Koalition der Willigen in der Ukraine reagieren, sofern es für die Ukraine brenzlig wird. Dies muß der nächste Pfeil im Köcher des freien Europas und der übrigen freien Welt sein, der Putin trifft. Und wie in Butscha finden sich auch in Mariupol Massengräber mit Zivilisten. Und an dieser Stelle muß dann auch ein Wort zu einem UNO-Einsatz gesagt werden: Solange bei solchen schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie Putin sie verübt, immer wieder die Gegenstimmen einen von der UN gedeckten Militäreinsatz zur Hilfe für die Ukraine verhindern, muß ein anderes Prozedere her. Ohne UN-Mandat. Aber das sind Überlegungen, wie sie nur Juristen anstellen können, die sich im Völkerrecht auskennen. Politisch, aber auch im Sinne einer philosophischen Begründung wäre ein solcher Einsatz im Sinne des Begriffs der Menschenwürde von seiner Begründung her gedeckt. Denn es handelt sich bei Putins Krieg um einen Angriffskrieg. Gäbe es 1939 bereits die UN und hätte man bspw. in der UN Japan, Italien, Ungarn und Rumänien abstimmen lassen, so wäre das Ergebnis ebenfalls zugunsten eines Zusehens ausgefallen. Europa wurde von Hitlers Angriffskrieg nicht durchs Zusehen befreit. Und ähnlich ist es auch im Umgang mit Putin.

Butscha-Ausredentools der Zarenknechte und der Blöckers

Im Zuge mancher Einlassungen und der Nebeltöpfe zu Butscha, ein passender Dialog, den ich bei Florian Klenk (Chefredakteur beim österreichischen Falter) auf seinem privaten Facebookaccount gefunden habe:

Leser: die Bilder aus Butscha sind fake. Die Leichen wurden hingelegt, die bewegen sich.
Ich: nein, es gibt sogar Satellitenbilder, viele Reporter, viele Leichen an vielen Orten.
Leser: von US-Satelliten!
Ich: es gibt auch Augenzeugenberichte, viele Leute erzählen dasselbe
Leser: alles erlogen
Ich: Wieso glauben Sie, dass alles erlogen ist?
Leser: weil der Westen und die Amerikaner die Ukraine im Griff haben.
Ich: und deshalb legen die Ukrainer hunderte Leichen auf die Straßen und schaufeln Massengräber und dutzende Journalisten vertuschen das?
Leser: ja, im Krieg lügen alle Seiten!
Ich: haben sie einen Beleg dafür?
Leser: Lesen Sie mal nach, wie das russische Verteidigungsministerium die Sache sieht. Sie werden staunen!
Ich: Danke, mach ich

Und bei Martin Amanshauser (Schriftsteller und Journalist aus Österreich) heißt es treffend:

„die leichen wurden inszeniert, die leichen sind erfindung, die leichen bewegen sich auf den videos, die leichen liegen in viel zu regelmäßigen abständen, die leichen haben sich selbst umgebracht, die leichen sind schauspieler, den leichen geht es blendend, die leichen sind ein hoax von radikalen gruppen, die leichen waren schon tot, als die soldaten kamen, dort an jener stelle lagen von jeher leichen, es gab und gibt aber ohnehin keine leichen, die leichen sind reine provokation der nato, die leichen sollten zu diesem zeitpunkt doch schon viel verwester sein, eine der leichen richtet sich nach dem video auf, echte leichen sehen anders aus, es gibt in wirklichkeit keine leichen oder zumindest kaum leichen, ein paar schon, aber jeder krieg ist grausam, die wahrheit ist sein erstes opfer, auf beiden seiten. erklär mir doch, warum die leichen auf diesem foto… ! beweis mir doch, dass die leichen auf diesem video… ! erklär! beweis! … wir werden doch ohnehin nur betrogen und verarscht. man muss skeptisch bleiben, alles hinterfragen und selbst nachdenken!“

Genau so geht der Reigen derer, die bei Putins Morden mittun, weil sie dessen Propaganda mitverbreiten. Entweder geschieht dies aus Unwissenheit oder Naivität: dann ist es Dummheit und frei nach Marxens Wort aus dem „Kapital“: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es.“ Oder aber das Weiterverbreiten von Desinformation geschieht in voller Absicht, so wie dies bei Leuten wie Tom Wellbrock, Tobias Riegel, Mathias Bröckers, Ulrich Heyden, Ken Jebsen und Dirk Pohlmann der Fall ist. Diese Menschen sind ein bewußter Teil von Putins (Mord)Maschinerie, sie werden dafür bezahlt oder tun es freiwillig. Und für solche Leute wie Wellbrock, Riegel, Pohlmann, Jebsen, haben wir auch einen Namen: Schreibtischtäter, die sich an Putins Morden beteiligen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, wie dessen Soldateska. Die Morde von Mariupol, die Kriegsverbrechen in Butscha, Charkiv, Mariupol, Irpin und vielen anderen Städten und Ortschaften, bis hin zur Verschleppung von Ukrainern nach Sibirien und hinter den Polarkreis müssen sich die genannten Autoren zurechnen lassen. Sie sind Täter.

Ansonsten auch Guido Rohm, dessen Bücher und Kurzgeschichten ich nur empfehlen kann (exemplarisch bei ihm auf seinem Facebookaccount nachzulesen) mit einem seiner herrlichen fiktiven Texte, welche das naive Denken auf den Punkt bringen:

„Jahrelang hasst man die USA, diese Verbrecher.“
„Und dann kommt dieser Putin und macht einem alles kaputt.“
„Das ist doch nicht richtig von dem.“
„Da steckt eine Menge USA in dem, anders kann man sich das nicht erklären.“
„Das hätte ich von dem nie gedacht, dass in dem …“
„Vielleicht hat der CIA den …“
„Das würde es erklären.“
„Schade ist das, dass der uns so in unserem Hass auf die USA behindern muss.“
„Sehr schade. Als Linker hat man es nicht einfach.“
„Nicht einfach.“
(Aus „Nicht einfach“)

Dieser Dialog bringt jene eingeschränkte Wahrnehmung auf den Begriff. Mit den Mitteln der Kunst und der Satire die Realität und jene Modi des restringierten Denkens freilegen.

Dieser Kommentar der Sahra Zarenknecht freilich ist leider keine Satire. Sie meint solches ernst. Das eben geschieht, wenn ideologische Muster und Feindbilder das Denken vernageln, statt daß sich kluge Analyse nach den jeweiligen Zeitumständen richtet und sich dabei immer wieder, je nach Situation, neu ausrichtet. Da Zarenknecht nicht dumm ist, muß man davon ausgehen, daß all dieses Unsinnsgeposte mit voller Absicht geschieht. Eine Person in der Bedeutungslosigkeit. Scientologysierung des Denkens nenne ich solche Muster.

Demonstrieren in Moskau

„Sie stand vorm Moskauer Verteidigungsministerium. Auf ihren Schild hatte sie geschrieben: „In diesem Moment werden Ukrainerinnen von russischen Streitkräften vergewaltigt und ermordet. Stoppt den Krieg“. Minuten später wurde sie festgenommen und abgeführt. Wohin, weiß man nicht.“ So schreibt Guillaume Paoli auf Facebbook.

So ergeht es Menschen, die in Moskau ihr Recht auf Demonstration wahrnehmen. Während die Zarenknechts und Blöckers hier im Land in ihrem nicht enden wollenden Furor des Laberns und der impliziten Verteidigung von Putins Kriegsverbrechen nicht müde werden, auf den ach so bösen Westen zu zeigen, fällt zu Moskau kein Wort, oder wenn, dann nur am Rande und allenfalls als Lippenbekenntnis, damit man sich nichts nachsagen lassen muß. All diese Dinge, die gegen den Westen und die Nato kritisch geäußert werden, dürfen hier gesagt werden, es dürfen hier in Berlin – leider – sogar Konvois mit Russenfahnen durch die Stadt fahren. Es können, ohne daß die Polizei sie festnimmt und verschleppt, hier beim Ostermarsch die Friedensfreunde mit ihrer Äquidistanz ungehindert durch deutsche Städte laufen – was in Ordnung ist, denn wir sind, anders als Rußland, eine Demokratie. Sie dürfen mit ihren Friedensphrasen der Äqudistanz herumlaufen, auch wenn man deren Sicht für naiv bis dumm hält, weil deren Plakate ausblenden, wer den Angriffskrieg begonnen hat. In Moskau reicht ein Wort, um vom Fleck weg verhaftet und interniert zu werden. Es reicht, wenn man auf dem Roten Platz steht und sich die Hand vor den Mund hält und stehenbleibt. Es reicht, wenn man bereits ein leeres, weißes Schild hochhält, auf dem nichts steht. Wie mutig solche Aktionen sind, zeigt sich auch darin, daß Demonstranten nach solchen Protesten Gefahr laufen, ihre Arbeit zu verlieren. Was das in einem Land bedeutet, in dem es – anders als in Deutschland – keine Sozialabsicherung gibt, kann sich jeder ausrechnen.

Rußland ist, das hatte bereits Adorno in den 1950er Jahren festgestellt, ein gigantisches Arbeitslager. Und das ist unter dem Regime des blutigen Lurchs bis heute nicht anders.

Konstantin Olmezov †

Am Sonntag, den 20.3.2022 hat sich der ukrainische Mathematiker Konstantin Olmezov (27) in Moskau das Leben genommen. Auch einer von Putins Toten. Auf Twitter auf dem Kanal „Ukrainian Mathematicians“ heißt es über Konstantin Olmezov:

„Konstantin Olmezov R.I.P. (1995-March 20, 2022) Konstantin was from Ukraine, he studied in Donetsk National University. He left Donetsk because of the war and eventually began graduate studies in mathematics in MIPT, Russia. Konstatnin was in love with additive combinatorics. He was also a poet, his telegram channel is full of poems. What follows is edited death note of Konstantin. He was detained for 15 days on February 26 during his first attempt to flee Russia. Then he was invited to continue graduate studies in Austria and tried leaving again. He purchased airplane tickets to Turkey, but second escape also wasn’t successful. Then he committed suicide.“

Aus dem abschiedsbrief auf seinem Telegram-Kanal, aus dem Russischen übersetzt von Maya Vinokour:

Hello. My name is Konstantin Olmezov. As of this writing, I am of sound mind and memory, and if you are reading it, most likely I will never write anything again.

Once, a long time ago, when I was first thinking seriously about that which cannot be named on the Russian internet, I started looking for self-help videos. In one such video, a psychologist says that the main thought that drives almost everyone who intends to do this is: “The world owes me and the world has not lived up to my expectations.” I took this idea to heart and realized that, given the situation at the time, such a position was inappropriate—and the problem was solved. I returned to life relatively quickly.

But now, I think exactly this: “The world owes me and the world has not lived up to my expectations.”

The world should strive to correct errors. And it doesn’t. The world should be comprised of thinking, empathetic, and responsible people. And it isn’t. The world should permit creative freedom and freedom of choice. And it constantly takes them away. The world should consider these demands normal. And it considers them excessive.

That which began on February 24 changed certain existential positions within me. It is more than horrible how people who only yesterday seemed to be leading quite mundane lives so easily acquired all the characteristics I’d read about in books. I am afraid our language doesn’t yet have words to reflect the extreme nature of what is happening. It turns out that in order to start resembling characters from books and songs, all you have to do is not read or listen to them; and millions of people are capable of doing this.

I came to Russia in 2018 to study mathematics. I came because I had fallen in love with a type of mathematics that wasn’t represented in Ukraine—additive combinatorics. I fell in love for real, I was head over heels—the way people fall in love with people. I spent days and nights with it. My love wasn’t especially diligent, my mathematical achievements are very modest, but there’s actually no contradiction there, because I do even worse when it comes to regular love.

I was always critical of Russian politics and always thought Russian culture was on a higher plane. I thought it capable of transcendence. This illusion inside my head was almost unshakeable, but now it has dropped away, all at once and irrevocably. Vysotsky, Filatov, Shpalikov, Astrakhan, Tarkovsky, Mikhalkov (before his recent demonic possession)1, Vinogradov, Linnik, Shkredov, Tchaikovsky, Rakhmaninov, Scriabin—I’m afraid that these and many other names mean absolutely nothing to the majority of those whose actions the majority of Russians currently support. They mean nothing to them to a point we can’t even imagine. But regardless, they support them.

It’s so ridiculous that everyone still believes that you can achieve everything by force. That if you break people hard enough over your knee, you can force them to forget what is happening right in front of them. That if you gag everyone, you can suffocate their thoughts, too. You would think these observations belong in the realm of politics or psychology, but no, it’s culture yet again—it’s not a strategy for working with reality, it’s an expression of an attitude toward the phenomenon of subjectivity as such. That’s what it means when “being determines consciousness.”

On February 26 I attempted to leave Russia. This was a somewhat stupid act, but only insofar as it was poorly planned. I don’t regret it, I only regret that I didn’t do it on the 23rd, when there was already every reason to do so.

I was leaving to defend my country, to defend it from those who wanted to take it away from me. To defend my president, whom I myself elected, the same way a boss feels obligated to defend a subordinate. Speaking of which, I didn’t vote for Zelensky in the first round of elections in 2019. And I wouldn’t have voted for him in 2023, either. But however unpleasant I found him, what matters to me is freedom of choice and the freedom to take responsibility for that choice, responsibility up to and including fully experiencing the consequences. This is very difficult to explain to many Russians and pro-Russian Ukrainians—how violent changes from the outside, even if they improve well-being across all possible parameters, might be unacceptable just by virtue of being violent and coming from outside. It’s a little bit like rescuing someone from their helicopter parents.

They arrested me as I was getting on the bus. The fault for this lies, I think, with my own big mouth and one person with whom I rashly shared my plans. Once arrested, I concluded that my freedom had been taken away forever, and told the FSB everything I thought about what’s going on, right to their faces. That was stupid, but it couldn’t have been otherwise. It was the last thing I could hit them with, and I lashed out with all my might. I was even amused at how helplessly they tried to answer me, how absolutely innocent their faces looked as they repeated the crudest propaganda clichés with total guilelessness.

Once confined to a cell, I sought only one thing—death. I made no fewer than ten attempts using seven different methods. In retrospect, some of these seem silly and obviously doomed to fail, but they were sincere attempts. And the only thing I dreamed of, sitting there, was to be released in order to gain the opportunity to make a final attempt, this time with a fair chance of success. (By the way, I still don’t understand why they released me in the end.)

To me, unfreedom is worse than death. My whole life, I’ve tried to have freedom of choice in everything—in food, in my profession, in my place of residence, in the type of soap I use to wash my hands and which party I vote for. I only ever ate food that tasted good to me, and if I didn’t have the opportunity to do so, I preferred to go hungry.

There are only two methods of fighting unfreedom—displacement and rejection. Displacement is when you’ve been able to choose freely all your life, and then, when they lock you up, you start to pick out books to read during your imprisonment. I can only fight unfreedom by rejecting it, by refusing to remain in the very situation of unfreedom. If I am prevented from choosing how and where to live, I prefer simply not to live.

I love Donetsk very much, even if it is with a strange love.2 Despite my vile childhood, it’s still the city where I wrote my first computer program, my first poem, went onstage for the first time, earned my first paycheck. It’s the city where every little bench, every twist and turn of the path in every park is saturated for me with its own kind of rhyme, with some problem that I worked to solve there, with names, faces, with pleasant and terrible events. Every corner of every path.

I love Kyiv very much—it’s the city where I first attained an independent life, where I first endured hunger and loneliness, where I first fell truly in love, where I wrote my best poems. While I lived there, there was a period when I wrote two poems every three days, more than ever before. Every bridge over the Rusanivsky Channel, every tree in the woods behind the Lisova metro station, every bench in Victory Park are suffused for me with their unique forms of pain and love.

I love Moscow very much—it’s the city where I first stood on my own two feet, became financially independent, where I proved my first and only theorems, where I really and truly started believing in my own abilities. Where there is Tsaritsyno! I feel pain for both sides in this war, but I see with my own eyes who’s defending their own land, and who’s trying to seize someone else’s.

I see with my own eyes who’s defending their right to be responsible for their own life, and who seeks to justify their own degradation.

There’s this hackneyed question: “to be or not to be.” I always tried to ask myself that from time to time. I feel like if a person doesn’t ask themselves that question on a regular basis, then the continuation of their life cannot be a conscious choice.

It’s a well-known question, but the author follows it up with another: “whether ‘tis nobler in the mind to suffer/ The slings and arrows of outrageous fortune.” The answer to that question is unequivocal for me today: to be silent, to lie, to pretend that nothing is happening either in the world or in my soul—is indecent; to put myself in harm’s way and spend my whole life in prison, helpless—is indecent; to live in hiding, thereby bringing trouble on the heads of others, to constantly seek help, to fear everyone—is indecent; to act as a partisan, doing harm to another nation while on its territory—is doubly indecent. I’m a Ukrainian, a person of another culture. (I know that some will think this is a weakness; so be it.) I don’t see a way to continue to live decently.

At some point I became hopeful that my second attempt to leave would be successful. I am immensely grateful to the people who gave me the gift of that attempt and apologize for not being able to make use of it. I am too afraid of being imprisoned again, for real this time—I did too many stupid things during my first arrest.

Not to mention that I am disappointed in both individual people and humanity as a whole. When, in the 21st century and in the middle of the night, an army attacks a completely foreign country that presents no danger to it and every soldier understands what he is doing but pretends he doesn’t. When a government official says, “We didn’t attack,” and journalists amplify that message. And every journalist understands that it’s a lie but pretends not to. When millions of people look on and understand that what is being done will be on their conscience and their history, but pretend that it has nothing to do with them. When black is called white and softness—bitterness, and not in a conspiratorial whisper or with winking irony, but seemingly from the heart. When Zadornov’s joke about the American who says that “Russians are cruel because they attacked the Swedes near Poltava” ceases to be a joke and stops being about an American talking about Swedes.3 When the world seriously considers the possibility of the very thing it has been trying to prevent for seventy-five years, but doesn’t consider any new models of prevention. When force once again claims to be the main source of truth, and betrayal and hypocrisy—the main source of peace.

When all of this is happening all around us, I utterly lose hope that humanity will take a different path. I utterly lose the desire to do anything for or with these people. I knew that we would backslide sooner or later, that the beast is incorrigible. But I couldn’t imagine that it would be so quick or so simple, like the flip of a switch.

Does what used to lend meaning to our lives make sense any longer? Of course everything will return, but it will return just as weak as before, and fall just as easily as soon as some thug takes a swing at it.

I can’t say I’m ashamed of my life, but I could have done better. I mostly didn’t have time to accomplish the things that only I can do and that would have improved people’s lives. But would they even be useful now?

I wanted to create an app that helps people make conscious decisions, that enables people to hold what I thought of as internal referenda, answering the same question many days in a row. This idea gave me life, but who needs elections and referenda now? Who is actually interested in even their own opinion? I wanted to “color in” Szemerédi’s theorem, transforming a mathematical proof into a creation at the intersection of the arts, into something on the scale of a film. I am certain that mathematics deserves as much.

I wanted to help people escape cognitive distortions and logical contradictions, to seek and formulate their own models of the world. I feel like I was good at that.

None of that matters anymore, and I’m writing about it not to arouse pity, but to insist on its significance.

I was unforgivably lazy and thought I had a lot of time. That was a big mistake.

I feel somewhat ashamed before my Ukrainian friends. Please believe that I never wanted or did anything to hurt Ukraine and always kept in mind my readiness to leave if, by chance, what is happening now were in fact to occur. Unfortunately, I was simply unable to do so, my approach wasn’t savvy enough . . . The FSB agents who detained me spoke to me as though I were a traitor, but on the morning of February 24 it was I who felt betrayed. Yes, it may seem silly—but even having acknowledged, rationally and out loud, that war was possible, on an emotional level it was a shock, to a shocking degree. I was naively certain that juridical tact toward Ukrainians would make it possible to escape when things came to a head. But I had stuck my head too deep into the tiger’s maw. That was the second big mistake; I’ve certainly made a few, and now I have to pay.

I hurt from every shell that falls onto the streets of Kyiv. Reading the news, I keep seeing those streets and neighborhoods in my imagination.  From the first day to this moment I was with you heart and soul, although, of course, that didn’t save any lives . . .

I am an absolute atheist. I don’t believe in hell, I’m heading into the void. But that void appeals to me more than a reality in which half the people have devolved into savagery, while the other half indulges them—even if they throw up their hands in collective insanity, even if they “evacuate” far away from the front lines. I don’t want any part of either.

And last but not least, a little poem:

Do Russians want no war posters?
Ask the armored riot police;
Ask those diving down into the metro;
Ask the one clinging to the throne.

Do Russians want broken cities?
Ask the overstuffed trains.
Do Russians want destroyed hospitals?
Ask the dried-out eye sockets of infants.

Do Russians want to change anything at all?
Ask what few news media are left.
Do Russians want to root out Nazism?
Ask the students emblazoned with the “Z.”4

Your calling card will be this awful year,
You truly unwavering people,
Prepared to bathe in blood or shit,
So long as all no war posters disappear.

Хотят ли русские плакатов „нет войне“?
Спроси об этом у омоновца в броне,
Спроси об этом у ныряющих в метро,
Спроси об этом у вцепившегося в трон.

Хотят ли русские разбитых городов?
Спроси об этом у забитых поездов.
Хотят ли русские разрушенных больниц?
Спроси у высохших младенческих глазниц.

Хотят ли русские хоть что-то изменить?
Спроси об этом у оставшегося СМИ.
Хотят ли русские искоренить нацизм?
Спроси об этом у студентов с буквой „цыц“.

Твоей визиткой станет этот жуткий год,
Воистину непоколебленный народ,
Готовый хоть в крови купаться, хоть в говне,
Но лишь бы не было плакатов „нет войне“.

Was von einem Leben übrigblieb: Boris Romanchenko

Dies ist, laut der Facebookseite von Igumen Savvatiy Sobko, das, was vom Leben des 95jährigen Boris Romanchenko aus Charkiw übrig blieb. Romanchenko überlebte vier Konzentrationslager der Nazis: Buchenwald, Mittelbau Dora, Bergen-Belsen und Peenemünde. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine überlebte er nicht.

Krieg wird manchmal dann verständlicher, wenn wir ihn am Einzelschicksal zeigt. Dazu sind Photographien wie diese da. Manchmal leisten das Reportagen. Im Fall von Boris Romanchenko wäre beides gut gewesen: Die Geschichte seines Lebens und sein Ende in Russenraketen zu erzählen. Eine Sache für das ZEIT-Dossier wäre dies.

Nach einem Monat des Mordens und Zerstörens, des Einsatzes von Steumunition hört der Mörder aus Moskau mit dem Töten nicht auf. Er hätte verhandeln können und seinen Angriff für die Zeit der Verhandlung stoppen können. Das alles tat Putin nicht. Das einzige, was ihn stoppen kann, ist militärische Gegenwehr. Und das bedeutet: die Ukraine mit allem an Waffen, an Material und an Hilfsgütern zu unterstützen, was sie braucht. Wir sind im freien Europa Millionen von Menschen, wir können spenden und helfen, jeder wo, er kann. Und langfristig gesehen muß es die Perspektive sein, daß auch Rußland zu einem freien Europa gehört, wo Menschen ihre Regierung und ihre Lebensform frei wählen können, wo sie auf der Straße demonstrieren können, ohne verhaftet und zusammengeschlagen zu werden. Wo Menschen als Journalisten frei schreiben und arbeiten können, ohne ermordet zu werden, wie die Journalistin Anna Politkowskaja, oder zusammengeschlagen zu werden, wie Nikolai Andruschtschenko in St. Petersburg. An den Folgen des Überfalls verstarb Andruschtschenko. Das ist das Rußland Putins. Es gehört beseitigt. Und dieser Angriff auf die Ukraine ist, anders als Putin sich dies dachte, der erste Schritt zu seinem Ende. Der Kreml-Kritiker Michail Chodorkowsk formulierte es im Tagesspiegel sehr richtig: „Putin ist ein Mafioso“. Aber das trifft nur einen Teilaspekt:

„In der Vorbereitung des Krieges habe Putin eine Reihe von Fehlern gemacht, sagte der Kreml-Kritiker, der auf Einladung des Zentrums Liberale Moderne in Berlin ist. Der russische Präsident sei sicher gewesen, dass seine Truppen in der Ukraine wenn nicht mit Blumen, so doch ohne Widerstand empfangen würden. Vor dem Einmarsch seien riesige Geldsummen zur Verfügung gestellt worden, damit in den ukrainischen Städten russlandfreundliche Kräfte bereitstanden. „Dieses Geld ist einfach geklaut worden“, sagt Chodorkowski mit einem Lächeln. Auch das Geld, das für die Modernisierung der russischen Armee ausgegeben werden sollte, sei gestohlen worden.“

Solches immerhin macht Hoffnung. Und die Korruption, Rußlands erstes Exportgut, noch vor dem Gas, schlägt am Ende um, weil die Gier stärker ist als Verstand.

Putins beschießt irrtümlich Munitionsfabrik

„Charkiv (dpo) – Das dürfte Putin überhaupt nicht gefallen haben: Offenbar haben russische Streitkräfte in der Nähe der ukrainischen Stadt Charkiv versehentlich ein Gebäude beschossen, bei dem es sich um ein rein militärisches Ziel handelte. Dabei wurden keine Zivilisten verletzt oder getötet.

Ein Kreml-Sprecher gab sich heute zerknirscht: „Als wir das Gebäude unter Beschuss nahmen, wussten wir nicht, dass sich darin ein Munitionslager der ukrainischen Armee befindet“, beteuerte er.

Stattdessen sei man davon ausgegangen, dass es sich bei dem Gebäude, von dem nahezu nichts mehr übrig ist, um eine Schule, einen Kindergarten, einen Spielplatz, ein Geburtskrankenhaus oder einen Wohnblock handelte.

In der russischen Führung wurde der Vorfall kritisch aufgenommen. „Wir werden herausfinden, wer diesen sinnlosen Angriff befohlen hat und die Person zur Rechenschaft ziehen“, so der Kreml-Sprecher. „Dieser Vorfall zeichnet ein völlig falsches Bild unserer Spezialoperation.“

Als Wiedergutmachung kündigte die russische Militärführung den Einsatz von weiteren Hyperschallraketen und Streumunition gegen zivile Strukturen an. Außerdem wolle man noch häufiger Flüchtlingskonvois beschießen und Kinder entführen.“

So berichtet der POSTILLON.

Putin go home: Für eine freie Ukraine!

Morgen laufen in Berlin diverse Demonstrationen gegen Putins Angriff auf die Ukraine. Mit Bomben, Streumunition, Granaten, Panzern, Schiffen und Flugzeugen überfiel er das Land am 24. Februar. Und dagegen wollen wir protestieren: Ab 13 Uhr am Brandenburger Tor, über die Straße des 17. Juni, bis vor die Russische Botschaft und hoffentlich auch mit einem gewissen, nun ja, Druck, auf dieses Gebäude. Hoffentlich mit vielen Deutschen, Ukrainern, Russen. Und nein: ich gehe morgen auf keine Friedensdemonstration, sondern wir fordere die Bundesregierung auf, Waffen an die Ukraine zu liefern, sofern Putin nicht aus der Ukraine sich zurückzieht.

Und um die Situation nochmal auf den Punkt zu bringen: Wenn Diktator Putin mit seinem Krieg aufhört, ist in der Ukraine wieder Frieden. Wenn die Ukraine mit dem Krieg aufhört, gibt es keine Ukraine mehr.

Putin hat am 21.2.2022 eine rote Linie überschritten. Und wir sollten morgen nicht nur gegen Putin demonstrieren, sondern auch dafür, daß die Bundesregierung nun auch Waffen an die Ukraine liefert. Zu den 5000 Helmen liefern wir 5000 Flugabwehrraketen, 50.000 Haubitzen, 50.000 Gewehre, Bazookas, Granaten, Panzer. Diese Sprache versteht der blutig-blutleere Lurch. Solange der Korridor von Slowenien, Ungarn, Rumänien und Polen noch offen ist, müssen Deutschland, Frankreich, England, die Niederlande, Dänemark und das ganze freie Europa liefern, liefern, liefern, schnellstmöglich, sofern die ukrainische Regierung dies wünscht und sofern sie dies braucht. Denn viel Zeit bleibt nicht. Und ebenfalls sollte man den Widerstand gegen russische Soldaten mit Präzisionsgewehren und allen Mitteln der Guerilla stärken. Denn diese Art von Guerilla-Widerstand könnte bei einer derart schwachen Armee der EU auch für das freie Europa eine Option sein. Kein russischer Soldat darf sich auf dem Territorium der Ukraine sicher fühlen. Dazu humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge.

Herrlich aber, Anlaß zur Hoffnung und ein Symbol des tapferen Widerstands ist Präsident Wolodymyr Selenskyj! Ich hätte es niemals gedacht und es ist dieser Mann über sich selbst hinausgewachsen: im sogenannten postheroischen Zeitalter finden wir einen Helden und einen mutigen Mann wie Selenskyj, der Haltung zeigt. Er flieht nicht, sondern er bleibt in Kiew. Da verfangen Putins widerliche Lügen nicht, und es zeigte sich Selenskyj dann auch am Samstagmorgen lebend in Kiew. Das ist nicht nur ein mutiger, sondern auch ein kluger Schachzug, denn nun muß Schlächter Putin zusehen, was er macht. Wenn der demokratisch gewählte Selenskyj, Präsident eines souveränen Staates, durch Putins Schergen stirbt, wird man dies Putin zurechnen können und man wird dann diesen Mann irgendwann vielleicht vor einen Internationalen Strafgerichtshof bringen.

Oder aber man kann nur hoffen, daß ihn die eigenen Leute stoppen und daß es im Militär vernünftige Menschen gibt, die gegebenenfalls einen Putsch gegen Putin veranstalten. Wenn er dabei das Schicksal Ceaușescus erleidet, dürfte die Trauer in Europa nicht sehr groß sein.

Was wichtig ist: morgen zu zeigen, daß Putins Armee aus der gesamten Ukraine verschwinden muß und daß, wenn er es nicht tut, der blutige Diktator mit seinen Faß- und Streubomben mit erheblichen Widerstand zu rechnen hat.

Wir sind alle keine Hellseher und auch keine Experten für die konkrete Lage und was passieren wird. Aber um der Freiheit willen, darf man in solchem Fall niemals klein beigeben. Wir sollten uns in der Causa Ukraine an den ehemaligen Premierminister Winston Churchill erinnern!

#StandWithUkraine

Donald Trump

Den wohl treffendsten Text zu vier Jahren Donald Trump verfasste der Autor Guido Rohm. Darin pointiert er vorzüglich das Wesen dieses Mannes:

Donald Trump hatte beim Golfen erfahren, dass Joe Biden zum nächsten Präsidenten ausgerufen worden war. Aber von was, fragte sich Donald Trump, der nicht wusste, was ihm die Nachricht sagen sollte. Er war der Präsident der USA. Er hatte die Wahl mit großem Abstand gewonnen. Das hatte er eben erst, kurz vor seinem letzten Schlag, getwittert. Er war ja selbst ein wenig überrascht gewesen, die Wahl so überzeugend zu gewinnen. Ein ganz klein wenig. Na, geben wir es zu, er war nicht überrascht gewesen. Und jetzt kam diese Meldung über Joe Biden rein, der der nächste Präsident werden sollte. Vielleicht von einem drittklassigen Inselstaat. War er bereits getürmt?

Trump griff sich einen seiner Leute vom Secret Service und fragte: „Wo soll denn dieser …“ Er tat, als müsse er sich erinnern, „dieser Tom, nein, dieser Fred, auch nicht, dieser Joe Biden Präsident geworden sein?“

Der junge Mann vom Secret Service schluckte und sagte schließlich: „Ich weiß es nicht.“

Sehr gut. Solche Leute hatte er am liebsten um sich. Deshalb hatten sie doch ihn, den besten Präsidenten aller Zeiten.

Aus „Der beste und großartigste Präsident aller Zeiten“

(Zu finden an dieser Stelle)

Kleiner Nachtrag noch, sofern einige darüber sich freuen, wenn Trump nun auf die Anklagebank käme: Da allerdings wüßte ich einige geeignetere Präsidenten, die eher vor einem US-Gericht bzw. vor dem Internationaler Gerichtshof in Den Haag ihren Platz hätten. US-Präsidenten und ihre Beraterstäbe, bei denen es angesichts ihrer Verbrechen gegen Menschen und andere Länder angemessener wäre, wenn man sie angeklagt (und meinetwegen auch verurteilt) hätte: von Bush über seinen Vize Dick Cheney, samt Lyndon B. Johnson, Richard Nixon: wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Immerhin hat Trump qua Search and Destroy, Agent Orange, Brandbomben, Fake-News Tonkin, Flächenbombardement anderer Länder, Drohnenkriegen auch gegen die Zivilbevölkerung und qua Regime Change unter anderem in Iran, Chile und Libyen nicht derartiges Leid und Elend über die Welt und vor allem über Menschen gebracht. Gestern erst wieder zu sehen auf ZDF-Info eine Dokumentation über den Vietnamkrieg, die zeigte, was die USA völker- und menschenmordend in Vietnam taten und wie sie ein Land mittels Bomben, Feuer und Gift in eine Mondlandschaft verwandelten. Eine sehenswerte Dokumentation, die dann die kurze Ära Trump doch noch einmal in einem anderen Licht erscheinen läßt im Vergleich zu diesen Präsidenten.

 

 

Vom Kaufhausbrand, vom RAF-Land, von Irrtum und von Wirrwarrsound – Kunst und Praxis

„Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon ‚rasselnd wieder in die Höh‘ richten‘ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: ich war, ich bin, ich werde sein!“
(Rosa Luxemburg, letzter Artikel in Die Rote Fahne, Nr. 14.
Jahrgang 1919, 14. Januar 1919: „Die Ordnung herrscht in Berlin“)

„Die intellektuelle Verzweiflung mündet weder in Weichlichkeit noch in den Traum, sondern in die Gewalt. (…) Es geht lediglich darum, zu erkennen, wie man seine Wut in die Tat umsetzen kann: ob man sich wie Verrückte, um Gefängnisse bloß im Kreis drehen oder ob man sie niederreißen will.“
(George Bataille, Das finstere Spiel (1929))

„Die Revolution sagt:
ich war
ich bin
ich werde sein“
(RAF-Auflösungserklärung März 1998)

Himmelfahrt schien mir ein guter Tag zu sein, um einen weiteren Text über die RAF zu schreiben bzw. in diesem Fall über eine Art Vorlaufgeschehen. Der Blogger che2001 hatte an dieser Stelle eine kleine Geschichte und einen Abriß der sozialen Bewegung gegeben und auch etwas zur Theorie des Antiimperialismus geschrieben. Diese Fragen haben mich spätestens zum Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wenig, um nicht zu sagen gar nicht interessiert. Ich kam aus einer anderen Ecke, zwar nicht unbedingt politisch völlig anders, aber ich sah mich und sehe mich bis heute nicht als Teil irgendeiner Bewegungslinken, des Genossentums oder als jemand, der sich in irgendeiner sozialen Bewegung engagiert oder dort mitmacht, und ich weiß nicht einmal, ob ich mich selbst als links bezeichnen würde. Nein, vermutlich nicht.

Ich kam Anfang der 1980er Jahre von der Kunst, der Literatur, von der Ästhetik sowie den Ausläufern von Punk und Krachmusik wie der der Einstürzenden Neubauten, und einer an Marx, Hegel, Adorno, Benjamin und Marcuse orientieren Gesellschaftsanalyse her – das, was man klassischerweise Kritische Theorie nennt, deren Rezeption wesentlich durch einen jugendlichen Blick und damit durch eine politische Brille geprägt war, die sich Texte eben auch passend bog. Wobei mir Adorno in seiner Zurückhaltung gegenüber dem blinden Aktionismus der wilden Bürgerkindchen noch der liebste war. Diese Mischung philosophischer Texte zur Gesellschaft paarte sich – freilich alles rudimentär und kaum in einem systematischen, gründlichen Studium – mit französischem Einschlag: Sartre und auch Foucault; und dazu eine Minimallektüre Martin Heidegger, der ja in einem gewissen Sinne ebenfalls zu den französischen Denkern zählt, war doch Freiburg eine gute Zeit lang nach dem zweiten Weltkrieg in französischer Verwaltung und wurde Heidegger nachdem zweiten Weltkrieg vor allem in Frankreich von so unterschiedlichen – linken – Denkern wie Sartre, Lacan, Lyotard, Foucault, Deleuze und auch Derrida in aufgeschlossener Weise rezipiert.

Das ewige Denken in Oppositionen verstellte in diesen Fragen der Philosophie wie auch denen hinsichtlich der Gesellschaft den Blick und noch viel mehr geschieht hierbei die Einengung des Blickes durch einen vorgeprägten Referenzrahmen. Philosophie geht es nicht in unidirektionalem Zugriff um die unmittelbare Frage, wie mittels Praxis und Aktion Gesellschaft sich wandelt, gar revolutioniert, sondern sie nimmt Bedingungen von Denken in den Blick, fragt nach den Möglichkeiten von Praxis, fragt nach den Möglichkeiten ihrer eigenen Möglichkeit, fragt, wenn man im Feld der politischen Philosophie unterwegs ist, auch danach was Gemeinschaft und Gesellschaft überhaupt sind, unter bestimmten Bedingungen, fragt nach den Formen unseres Denkens, um solche Bestimmungen von Praxis überhaupt erst zu leisten, und dazu gehört zugleich die Besinnung und Bestimmung der Theorie. Ihre Fragen sind die nach dem Guten, dem Gerechten, nach der Freiheit und mit all dem verbunden insbesondere nach der Schönheit auch.

Was mich damals – neben dem Politischen – an der RAF bzw. an deren Anfängen interessierte, war die Verbindung von Kritik, Theorie und Praxis in Fragen der Gesellschaft und aufs Feld des Ästhetischen gewendet die Kombination von Phantasie, Surrealismus und Gewalt, und zwar als ästhetische Praktik, wie sie im Surrealismus angelegt war – aber eben nicht nur ästhetisch und als Kontemplation am Ende, wie sich zeigen wird. Oder um es mit einem kleinen Band von Karl Heinz Bohrer aus dem Jahr 1970 zu sagen: „Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror“. Nicht als Glorifizierung solchen Gewaltprojekts, das mag in den Jahren der Jugend und in einer politischen Naivität damals eine gewisse Rolle gespielt haben: man könne der schlechten Gesellschaft, man könne einer parlamentarischen Demokratie (mit all ihren Tücken freilich) mit einem Aktionismus beikommen – eine Art Verklärungshaltung, weil all die Aufstände gegen das sogenannten „System“ von Erfolglosigkeit gekrönt schienen, statt einmal die Perspektive zu verändern und den Gedanken auch zu wagen, daß all diese Veränderungen in kleinen Schritten geschehen – zumal in einem doch demokratischen System, das viele Spielräume zuläßt und über Öffentlichkeit, soziale Bewegungen und Debattenkultur zumindest Möglichkeiten besitzt. Zudem sind Morde und die Verletzung von Menschen, wie das schon bei der Baader-Befreiung 1970 geschah, keine Kunstaktionen, sondern fallen in die juristische Kategorie. Wie jeder andere Terror in einem Rechtsstaat auch.

In diesem Sinne bezieht sich die Bezeichnung „Surrealismus und Terror“ auf eine frühere Phase des Studentenprotests, im Grunde also eine Form von Widerstand seit Mitte, Ende der 1960erJahre, als es noch keine RAF gab; nämlich wie das in den politischen Happenings und auch den „Subversiven Aktionen“ betrieben wurde. Zu solchem Konzept gehören dann später auch die Aktionen der Kommune I in Berlin, die sich ihre Aktionen und vor allem ihre Provokationen der bürgerlichen, der teils kleinbürgerlichen Gesellschaft sehr genau von der Kunst abgeschaut hatten. Denn diese Aktionen hatten bereits in der Kunst der späten 1950er Jahre ihre Vorläufer, vor allem in der politisch-praktisch-ästhetischen Situationistischen Internationale und in der BRD in der SPUR-Gruppe in München, wo Dieter Kunzelmann mit beteiligt war. (Kunzelmann lebte später auch in der KI und war 1969 mitverantwortlich für einen – zum Glück gescheiterten – Anschlagsversuch auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin.)

Aber ebenso bestanden die Vorläufer solcher ästhetischen Entgrenzung in der Kunstform des Happenings der späten 1950er Jahre sowie beim Fluxus im Rheinland, der Wiener Gruppe, was die Entgrenzung der Literatur betraf, und dem Wiener Aktionismus, wobei der Begriff als solcher erst Ende der 1960er ins Spiel kam, aber die grenzüberschreitenden Kunstaktionen von Herman Nitsch und Günter Brus fanden bereits in den Anfang der 60er statt. Out of the limit.

Was alle diese letztgenannten Bewegungen jedoch im Unterschied zu den Situationisten und der SPUR-Gruppe ausmachte, war der Umstand, daß nicht unmittelbarer Agitprop (oder zumindest Formen desselben) das Ziel war und es floß auch nicht unmittelbar das Soziale als direkte politische Aktion in die Kunst ein, sondern diese Verweise stellten sich – etwa bei Beuys – erst auf vermittelte Weise ein. Das sollte sich vorab schon mit den Situationisten ändern, die wiederum (unter anderem) auf Bretons Surrealismus-Manifeste rekurrierten. Und diese Linie politischer, in die Gesellschaft aktiv eingreifender und ebenso einer entgrenzenden Kunst, die die Trennung von Leben und Kunst aufzuheben gewillt war – das also, was man die Souveränität der Kunst nennen kann-, zog sich bis zu jenen Aktionen der Berliner Kommune I. Dazu sei zunächst jenes von der K1 verbreitete Flugblatt sowie das zum Verständnis des Kontextes wichtige Flugblatt 6 zitiert, darin es einerseits um konkrete Politik, aber auch um eine Art Happening geht:

Flugblatt Nr. 6

Neue Demonstrationsformen in Brüssel erstmals erprobt

In einem Großhappening stellten Vietnamdemonstranten für einen halben Tag kriegsähnliche Zustände in der Brüsseler Innenstadt her.

Diese seit Jahren größte Brandkatastrophe Belgiens hatte ein Vorspiel. Zur Zeit des Brandes fand in dem großen Kaufhaus A l’innovation (Zur Erneuerung) gerade eine Ausstellung amerikanischer Waren statt, die deren Absatz heben sollte. Dies nahmen eine Gruppe Antivietnamdemonstranten zum Anlass, ihren Protesten gegen die amerikanische Vietnampolitik Nachdruck zu verleihen.

[…]

Der Verlauf des Happenings spricht für eine sorgfältige Planung: Tags zuvor fanden kleinere Demonstrationen alten Musters vor dem Kaufhaus mit Plakaten und Sprechchören statt und in dem Kaufhaus wurden Knallkörper zwischen den Verkaufsständen gezündet. Das Personal wurde an derartige Geräusche und Zwischenfälle gewöhnt. Die Bedeutung dieser Vorbereitungen zeigte sich dann bei Ausbruch des Feuers, als das Personal zunächst weder auf die Explosionen noch auf Schreie und Alarmklingeln reagierte. Maurice L. zu dem Brand: ‚Sie werden verstehen, dass ich keine weiteren Angaben über die Auslösung des Brandes machen möchte, weil sie auf unsere Spur führen könnten.‘

Das Feuer griff sehr schnell auf die übrigen Stockwerke über und verbreitete sich dann noch in den anliegenden Kaufhäusern und Geschäften, da die umgebenden Straßen für die anrückende Feuerwehr zu eng waren. Der Effekt, den die Gruppe erreichen wollte, dürfte wohl ihren Erwartungen voll entsprochen haben. Es dürften im Ganzen etwa 4000 Käufer und Angestellte in die Katastrophe verwickelt sein. Das Kaufhaus glich einem Flammen- und Rauchmeer; unter den Menschen brach eine Panik aus, bei der viele zertrampelt wurden; einige fielen wie brennende Fackeln aus den Fenstern; andere sprangen kopflos auf die Straße und schlugen zerschmettert auf; Augenzeugen berichteten: ‚Es war ein Bild der Apokalypse‘; viele erstickend schreiend. Das Riesenaufgebot an Feuerwehr und Polizei war wegen der Neugierigen und der ungünstigen Raumverhältnisse außerordentlich behindert – ihre Fahrzeuge waren mehrmals in Gefahr, in Brand zu geraten.

Maurice L.: „In der vorigen Woche hatten wir eine anonyme Bombendrohung an das Kaufhaus durchgegeben, um festzustellen, welche Maßnahmen die Polizei und welche Sicherungsmaßnahmen das Kaufhaus ergreifen.“ – Da zu erwarten war, daß die Betroffenen die Ursachen des Brandes mißdeuten würden, hatte die Gruppe nach Maurice L. schon Tage zuvor und vor allem am Tag des Großhappenings Flugblätter verteilt, die auf die Zustände in Vietnam hinwiesen und empfahlen, die Ausstellung im Kaufhaus A l’innovation „hochgehen“ zu lassen. Nach sieben Stunden erst war das Großfeuer unter Kontrolle – der Schaden beträgt nach vorsichtigen Schätzungen ca. 180 Mill. DM.

Über die Ursachen des Brandes wurden von der Polizei bisher noch keine genauen Angaben gemacht. Obwohl alle Anzeichen für dieses Großhappening sprechen, wie es Maurice K. schilderte, wagen Polizei und Öffentlichkeit bisher nicht, die Antivietnamdemonstranten offen zu beschuldigen, da dies einem Eingeständnis einer erfolgten weitgehenden Radikalisierung der Vietnamgegner gleichkäme. Es könnte zudem bewirken, daß andere Gruppen in anderen Städten wegen der Durchschlagkraft dieses Großhappenings nicht nur in Belgien zu ähnlichen Aktionen ermuntert würden. Und selbst wenn sich durch eine Unvorsichtigkeit der Demonstranten die Urheberschaft dieser oben genannten Gruppe eindeutig herausstellen würde, dürfte dies nicht dazu führen, daß die Polizei das Ergebnis veröffentlicht, da der obige Effekt der Ermunterung anderer Gruppen eine solche Veröffentlichung inopportun erscheinen läßt.

Kommune I (24.5.67)“

Und im Flugblatt 7 heißt es dann provokant-witzig und zugleich doch mit einem ernsten Hintergrund, wenn Tote mit zweierlei Maß gemessen werden:

„Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brüssel eine amerikanische Woche eröffnet: ein ungewöhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole:

Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Grossstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen.“

Flugblatt 8 setzt fort und steigert:

„Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?

Bisher krepierten die Amis in Vietnam für Berlin. Uns gefiel es nicht, dass diese armen Schweine ihr Cocacolablut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mussten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus und zuletzt hätten wir gern HHH in Pudding sterben sehen. Den Schah pissen wir vielleicht an, wenn wir das Hilton stürmen, erfährt er auch einmal, wie wohltuend eine Kastration ist, falls überhaupt noch was dranhängt…es gibt da so böse Gerüchte. Ob leere Fassaden beworfen, Repräsentanten lächerlich gemacht wurden – die Bevölkerung konnte immer nur Stellung nehmen durch die spannenden Presseberichte. Unsere belgischen Freunde haben es endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergiessen. Ab heute geht sie in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an. Dabei ist nicht unbedingt erforderlich, dass das betreffende Kaufhaus eine Werbekampagne für amerikanische Produkte gestartet hat, denn wer glaubt noch an das `made in Germany´? Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie beim überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China. Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben:
burn ware-house, burn!
Kommune I (24.5.67)“

Man muß freilich dazu sagen: das legendäre Kaufhaus „À l’innovation“ in Brüssel brannte am 22. Mai 1967 wegen eines technischen Defekts ab und nicht wegen eines Anschlages. Ironie der Geschichte: es fand darin zu dieser Zeit eine Sonderausstellung statt, die amerikanische Konsumgüter, Waren also, präsentierte. Auch ein Angriff auf den Fetischcharakter dieser seltsamen Objekte, so ließ es sich von den Studenten deuten. Das eben war die Crux und hier trug sich also, quasi durch eine List der Geschichte, das Feuer über Vietnam gleichsam symbolisch zurück in die Warentempel. Nur eben diesmal auch mit Toten. Es starben in Brüssel 251 Menschen. Keineswegs aber hatten die Studenten eine Brandstiftung als Form des Protests benutzt, um politisch Aufmerksamkeit zu erzielen, so wie sie es vorgaben. Sie spielten jedoch mit dem Reizwert durch scheinbare Inszenierung sowie dem darauf folgenden medialen Echo, das solche Flugblattaufrufe unmittelbar nach sich ziehen würde. Ästhetisch wie auch politisch besaßen diese Flugblätter der K1 einerseits etwas (gewollt) Provokatives, um gegen gesellschaftliche Konventionen und die sogenannten Regeln des Anstandes zu verstoßen, aber auch um auf eine Doppelmoral aufmerksam zu machen, wenn es um Tote ging. Sie borgten zwar von den Situationisten und der Münchener SPUR-Gruppe, aber sie waren eben auch ästhetisch-naiv einerseits und politisch doch zugleich herausfordernd und provokant. Aktionen, die vermutlich heute noch provozieren und verärgern würden. Um so heftiger müssen die Reaktionen damals gewesen sein, zumal von einer Springer-Presse, die hier kräftig anheizte und damit ebenso zur Eskalation beitrug.

Vor allem aber spielte die K1 mit der Grenze zwischen politischer Aktion und ästhetischer Fiktion. Nagelte man man sie gerichtlich, wie dies dann auch geschah, als Anstifter zum Attentat fest, so konnten sie sich damit entschuldigen, daß diese Dinge als eine Kunstform gedacht waren. Entschärfte man es dann als Kunst, wie dies in bestimmten Zirkeln eines linken Establishments inm Kulturbetrieb geschah, so ließ sich frech kontern, daß es hier aber doch mehr noch um Politik ginge. Dabei hatten die Mitglieder der K1 aber in bezug auf die Frage der Gewalt, die ja zunächst in den Augen der Studenten eine gesellschaftliche war, sehr wohl Motive des Surrealismus aufgenommen: man denke vor allem an André Bretons Satz aus dem Zweiten Manifest des Surrealismus von 1930:

„Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen, der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe.“

Das ist zwar, wie auch das Bataille-Zitat im Eingang, einerseits als Aktionsprosa zu lesen, als Kunst, als brutale Phantasie im Sinne des Als-ob, denn getan hat es Breton am Ende eben doch nicht, aber es würde seine volle Wirkung nicht entfalten, stellte der Leser sich nicht vor, daß solcher Amok auch in der Wirklichkeit sich zutragen könnte und Breton realiter schösse. Nicht nur mit Worten. Was wäre, wenn Breton zum Revolver griffe und in die Menge schösse? Das ist dann nicht mehr bloß ein ästhetischer Akt. Gewalt zurück auf die Straße zu tragen, wenn auch teils nur symbolisch als eine besondre Form von Protest als/mit Kunst (aber eben nicht nur!), Protest etwa gegen den Krieg und die Toten in Vietnam, war auch das Ziel des Studentenprotest.

Jener Aspekte der Konsumkritik, wie sie die Kommune I im Sinne einer an Marx, Marcuse, Freud und Reich orientierten Gesellschaftskritik übt, findet sich allerdings bereits in einem Text der SPUR-Gruppe, nämlich 1962 in ihrem SPUR-BUCH, Heft 5. Er ist verbunden mit den Fragen künstlerischer Kreativität und einem kreativen Individuum überhaupt, teils auch in böser Ironie und Spott. Übertitelt ist das Kunst-und-Leben-Pamphlet mit der Zeile KANON DER REVOLUTION:

„Warum sind wir die einzigen Revolutionäre? Alle anderen werden durch Nicht-Kreativität von riesigen Kulturkaufhäusern gespeist; unsere Revolution fundamentiert nicht auf der Passivität aller – das Maul des Zivilisationsdrachens kotzt Meere von wohlverpackten Gütern auf die suggerierte Nachfrage der manipulierten Verbraucher.

Jeder muß kreativ werden:

Wer gerne mit Glaskugeln spielt, bekommt einen Park mit Glaskugeln. James Dean bekommt seinen Schamanenbaum, der aussieht wie die Raktenbasis von Cap Canaveral. Wer einen Mythos braucht, erhält spesenfrei und per Nachnahme seine Mutter Gottes ins Haus geliefert, damit er sich im göttlichen Beischlaf befriedige. Wer ‚Panem et Circenses‘ schreit, wird in Schlagsahne versinkend die Holi-Origen feiern, bis sein orgastischer Schrei röchelnd ins Leere fällt.“

Doch gerade die letzten Passagen klingen seltsam aktuell, obwohl sie inzwischen 58 Jahre alt sind – im Raum des Popkulturellen und im Angebot der Kulturindustrie, die noch die unterschiedlichsten Gruppen zu bespaßen sich anschickt, hat sich wenig verändert. Und auch hier wieder eine Kritik an Kultur als Ware. [Seit den 2000er Jahren gibt es in Berlin das Kulturkaufhaus Dussmann – und was das Paradoxe ist, wenn man diese Kritik nimmt: es ist in der Auswahl der Waren, also der Bücher, der CDs, der DVDs nicht einmal schlecht, sondern ganz und gar hervorragend. Man möchte es gar nicht missen. Es ist das, was damals für das Kind in Hamburg das herrliche „Spielzeug Rasch“ war: ein Paradies, eine Traumlandschaft. (Dazu müßte man nun Benjamins Passagenwerk gegenlesen und einige Zitate bringen, aber das führte den Text in eine andere Richtung.)]

„Alle diese Produkte sind im Begriff, sich als Ware auf den Markt zu begeben. Aber sie zögern noch auf der Schwelle. Dieser Epoche entstammen die Passagen und Interieurs, die Ausstellungshallen und Panoramen. Sie sind Rückstände einer Traumwelt. Die Verwertung der Traumelemente beim Erwachen ist der Schulfall des dialektischen Denkens. Daher ist das dialektische Denken das Organ des geschichtlichen Aufwachens. Jede Epoche träumt ja nicht nur die nächste sondern träumend drängt sie auf das Erwachen hin. Sie trägt ihr Ende in sich und entfaltet es – wie schon Hegel erkannt hat – mit List. Mit der Erschütterung der Warenwirtschaft beginnen wir, die Monumente der Bourgeoisie als Ruinen zu erkennen noch ehe sie zerfallen sind.“ (Benjamin,  Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts, in: Passagen-Werk)

All diese Szenen und Hintergründe sind Vorlaufaspekte, die für die (heterogene) „Studentenbewegung“, aber auch für den RAF-Diskurs zentral sind und die auf das Szenario weisen, wo aus einem politischen Happening und der Verquickung von Kunst und Praxis am 2. April 1968 eine dezidiert politische Aktion getätigt wurde, die nicht mehr unmittelbar im Zusammenhang mit Kunst und ästhetischen Entgrenzungstheorien stand, sondern bewußt eine politische Entscheidung bedeute: nämlich der durch Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein beim Kaufhausbrand in Frankfurt. Gewalt gegen Sachen zunächst, um dann in Gewalt gegen Menschen überzugehen. Wie dann am 9. November auch der Anschlagsversuch auf das Jüdische Gemeindehaus Berlin durch die linksterroristische Gruppe Tupamaros Westberlin, an deren Planung wesentlich Dieter Kunzelmann beteiligt war, aber ebenso ein V-Mann namens Peter Urbach, der den Sprengstoff lieferte.

Demnächst mehr.

[Die Photographien wurden 1982 von Bersarin in Hamburg bei einer Solidaritätsdemonstration für El Salvador aufgenommen.]