„Ich habe Dir nie einen Imbißgarten versprochen!“

 
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Sie: „Aber einen Kaktusgarten. Konntest du damit nicht warten?“ Er: „Wo fing es an, was ist passiert?“ Sie: Blickt ratlos. Er: „Und warst Du nicht fett und rosig? Bis auf die Beschwerlichkeiten. Warst du nicht Gott weiß wie privilegiert?“ (Ferch im Spätsommer 2015, aus unserer Serie 25 Jahre keine DDR)
 


 

9. November: Ihr sagt Bullenterror? Wir nennen es Kundenbindung! (1. Teil zum 9.11.)

Am 9.11. fand in Berlin ein verkaufsoffener Sonntag zum Shopping statt, dazu wurden als Rahmenprogramm einige andere Veranstaltungen abgehalten. Ich habe von diesem Tag einige Photographien gefertigt. Einen zweiten Teil der Serie „Unser 9. November“ gibt es morgen. Wie immer mit viel Liebe, Herz und Wohlfühlfaktor auf Ihrem Lieblingsblog „Aisthesis“ feilgeboten.
 

Berlin-Wedding, Ecke Ackerstraße

So sprang mich das Wort vorgestern auf der ersten Seite des „Zeit“-Feuilletons an. Na, wie denn, wo denn, wat denn, klar, den Namen kennste doch, böllerte ich in meinem fettesten Bolle-Berlinerisch in der Küche feist vor mich hin! Armeleutegegend. Biermilieu. Engelhardt macht den Stengel hart, dichtet der berliner Baustellenpoet immer wieder aufs neue. „Am westlichen Ende der Ackerstraße“ hieß eine Reportage, die Moritz von Uslar in der „Zeit“ über jene Straße am Rande des Weddings schrieb. Nun wunderte ich mich zwar, was ein solcher Text mit Lokalkolorit im Feuilleton sucht: Einblicke für Nicht-Berliner? Arme begucken für Bildungsbürger? Street Credibility für gestandene Feuilletonleser, die nicht nur in Kultur machen, sondern auch einmal die Welt der anderen sehen möchten, nachdem sie von Biennalen, Bildern und Büchern gesättigt sind? Belustigung oder Sozialreportage? Unterschichtis gucken gehen und Hartz IV als hippen Szene-Gag irgendwie lustig und witzig finden wie weiland der Kreuzberger Dummspecht Seeliger? Ganz so schlimm denn doch nicht. Uslar kann distanziert schreiben, und er schaut sich gerne bei denen da unten um. Das kennen wir bereits von seiner Brandenburg-Reportage aus dem Ort Zehdenick, wo er drei Monate in einer, wie er es nannte, „teilnehmenden Beobachtung“ im Landkreis Oberhavel unter Tankstellenjugendlichen und Landmenschen kurz vor Berlin verbrachte. Klingt für die kundige Fachfrau und den Fachmann des Tiefenblicks durch die schöne Wendung „teilnehmende Beobachtung“ gut nach Soziologie, und als Mehrwert assoziiert sich durchs Beobachten zugleich ein essayistisch-beschreibender Aspekt.

Solche Aufenthalte in den entlegenen Regionen (aber doch nahe genug am Zentrum) besitzen zugegebenermaßen einen gewissen Reiz, und sie haben das Zeug zur Reportage, sofern sie nicht den Sozialkitsch des Gesinnungsmoralisten (das Zauberwort linker Kritik heißt: Distanz – darauf kann man gar nicht genug insistieren) bedienen oder einfach nur paternalistisch im semiproletarischen Gestus sich einen Lebensraum mit Menschen aneignen. Der kalte Blick des Beobachters ist erforderlich. Die Menschen und die Dinge ins Eis gefrieren, um sie in ihrem Eigenleben schreiben und beschreiben zu könne. Das ist das Kunstvolle an einer guten Reportage: Lesbar machen, was in den Zwischenräumen siedelt und wohnt. Ohne Begrifflichkeiten wie Gentrifizierung oder dem ganzen Gendertröten- und Heteronormativitätsgeschwätz auskommen. Und dennoch könnten in den Faltungen und Falten, an den Rändern und im Pflasterstein all die Fehlstellungen sichtbar werden. Direkt am Material. Nicht anders als eine Literatur, die von dem einen spricht und doch etwas ganz anderes meint. Anstatt ständig im Hohlpathos zu proklamieren. Aber für solche Subtilitäten sind die wenigstens empfänglich und auf derart knappem Raum wie in einer Zeitung scheint mir solche Art von Reportage über Stadtteile und Straßenzüge kaum entfaltbar. Von dialektischen Bildern ganz zu schweigen. Die einen singen immer noch „Roter Wedding“ – was mir nicht unlieb ist, wenn es denn wenigstens aus den Kehlen von waschechten Proletarier=innen tönt und nicht von Bürgersöhnchen oder Pastorentöchtern, die mit 40 immer noch links spielen, lieblich oder simulationsradikal geträllert wird. Die anderen haben bereits ihre Eigentumswohnung oder mit dem Verwerterblick ihre Irgendwas-mit-Medien-Agentur aufgeblasen, die sich gut in solchen Zonen ansiedeln läßt. Auch das verschafft eine gewisse Credibility. Der Wedding scheint aufwertbar. Definitiv. Das bleibt für den Blick des teilnahmslosen Aseptikers ein spannendes Feld.

Die Ackerstraße ist eine von vielen Straßen in Berlin, die ihre Armut nach außen tragen. Freilich gibt es in den Tiefen des Weddings oder in Neukölln Straßen und Viertel, die sind heftiger und unangenehmer als diese kleine Ackerstraße. Insofern bezieht sie als Gegenstand einer Reportage ihren Reiz eher aus ihrer speziellen Lage, denn sie stößt aus dem alten Westberlin heraus südöstlich auf die Bernauer Straße. Gewiß, 25 Jahre Mauerfall wollen auch im Feuilleton auf eine pittoreske Weise begangen sein, mal abseits der ausgetretenen Pfade. (Aber weshalb Wedding und nicht besser Dahlem? Auch hier noch: Alles wie vor 25 Jahren, nur ein wenig mehr hinter Mauern, sprich: hohen Gartenzäumen und -hecken.) Uslar spiegelt in groben Zügen das wider, was die Ackerstraße war und ist. Damals ein Zipfel Straße, der im Niemandsland der Todesstreifen endete; zu Mauerzeiten in den 60er Jahren neu bebaut und von den Weddinger Mietskasernen befreit. Sechster Hinterhof, siebter Hinterhof, Zillemillieu. [„Zille klopft dem Elend auf den Popo“ schrieb Adorno in den „Minima Moralia“. Das wird nun wieder vielen nicht gefallen: der pöse pöse Adorno macht den Zille madig und nimmt den armen Menschen die Unbefangenheit und ihre Residual-Romantik von der Resterampe, entlarvt diese vermeintliche Unbefangenheit gar als das, was sie ist: Kulturindustriell produzierter und vorfabrizierter Müll nach Standards.]

Die Moderne des sozialen Wohnungsbaus hielt als Sozialmaßnahme der sozialen Marktwirtschaft in den 60ern Einzug und schaufelte in Etappen die Betonbauten. Bis in die 80er Jahre. Nicht anders als in der DDR. In der Ackerstraße läßt sich diese Art des Bauens, diese Mischung aus Beton, Grünfläche und Funktionalität – wie an vielen Ecken Berlins – gut bestaunen. All das inmitten der Stadt. Diese Art von Architektur als bequemer Lebensraum für viele, aus Beton gegossen und hochgezogen, verschleift sich durch den gesamten östlichen Wedding, der an Mitte und den Prenzlauer Berg grenzt. Ob man nun vom Mauerpark aus die Gleimstraße tunnelwärts schlendert und von dort weiter Richtung Gesundbrunnencenter oder aber ins Brunnenviertel spaziert.

Die Ackerstraße ist ruhig, wie so viele der Nebenstraßen im Wedding, sie pausiert noch eine Weile, zeigt dem geneigten Betrachter eine Zone, in der selbst in den 00er Jahren des 21. Jahrhunderts die Zeit stehen blieb, während keine zweihundert Meter weiter im hippen Teil von Ostberlin alles anders und angesagt ist. Läden, Menschen, Lebensgefühl. Von Uslar beschreibt knapp die Szenerie dieser westlichen Ackerstraße. Die Menschen, die Trinker, die Frau, der ein Lädchen gehört, die Kneipe, die Betonplatten, die Straßen, die Geschichte. Der Text nennt das alles richtig, und er tischt nur am Rande die ewiggleichen, rührseligen Mauergeschichten auf. Aber er bleibt dennoch leblos und leer. Wirkt wie eine Pflichtübung. Abgeranzte Wessis begucken gehen. Lose Aufgesammeltes. Andererseits erwarte ich in der „Zeit“ keinen Text, als wäre er von Benjamin oder Bersarin geschrieben. Die Trockenheit der Schreibform mit dem leicht abgeklärten Ton, der süffisant registriert, was ist, funktioniert bei Uslar nur bedingt. Schalkspositivismus.

Etwa auf der Hälfte der (westlichen) Ackerstraße liegt die Ernst-Reuter-Siedlung, die es ebenfalls in Ludwigshafen gibt. Die Zeit blieb auch hier stehen. Nichts, das sich bewegt und rührt. Wie auch? Das aber bleibt nicht ewig. Wie auch? Die Blätter im Wind, die zum Lüften geöffneten Fenster, manchmal ein Gesicht hinter der Gardine oder ein Mensch, der auf einem der Balkone raucht. Schneespuren auf den Gehsteigen, pudern wie weißer Staub die Flächen. Alles wie üblich, wenig Menschen, so erinnere ich mich. Denn ich bin die Ackerstraße im Jahre 2012 im Januar entlanggegangen und habe dort und in der Umgebung photographiert.
 


 

Daily Diary (107) – Fünfundzwanzig Jahre keine DDR

Naturgemäß, so möchte ich sagen, leistet die traurige Seele die Trauerarbeit: Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag. (Clodwig Poth) Vor wie nach arbeitet dieser Blog daran. Ich werde dann übersiedeln und mir ein feines Häuschen bauen. So zwischen Leipzig, Döbeln, Chemnitz. Nein, bauen lassen, ich bin zu ungeschickt und zu faul, um das selber zu bewerkstelligen. Oder besser noch: eine Wohnung in Leipzig selbst. Zwischen Ruinen und Moderne. Sandmann, lieber Sandmann … Melancholie des Alltags. Petrolblau ist eine schöne Farbe und „gib mir endlich einen Abend, einen kriminellen Abend, von dem ich zehren kann …!“ so singen es die Lassie Singers in Langeweile – wenngleich die besondere Situation des Blogbetreibers nicht treffend, was ja auch gar nicht nötig ist, Langeweile gab es nie, aber vom Sound her immer noch einer der besten, coolsten, schönsten Songs der Lassie Singers: Unvergessen! Kreuzberg, Hamburg, 90er, Leipzig, scheißegel. Und wie in diesem Song die Gitarren klirren und jaulen und das Schlagzeug schlägt: „einen Abend wie Harald Juhnke“. Einmal noch abstürzen beim Spanier und ein als Doppelbett gebuchtes Hotelbett in einem sogenannten Künstlerhotel, das, weil unbefestigt nebeneinander aus zwei Einzelbetten bestand, die Nacht über immer wieder auseinanderrückte.)

Wobei mich, wenn ich mich denn schon von den Assoziationsketten tragen lasse, die Pop-Musik hervorruft, der Sandmann wiederum an E.T.A. Hoffmann und an Freuds Aufsatz zum Unheimlichen erinnert. Jenes Motiv der herausgerissenen Augen. Wobei ich Freuds Deutung in eine ästhetische Richtung transformieren möchte: hin zu jenen zur Blindheit überredeten Augen (Celan).

 
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Egal wie, „Stadt, Land, Verbrechen“ ist für meine durchaus subjektive Sicht auch heute noch eine der schönsten deutschsprachigen Platten der 90er, keiner weiß es genau:
 

3. Oktober – Part zwei

Sie sind auf der Strecke geblieben, ob der Leidenschaften, der Verstrickungen, der vielfältigen Tätigkeiten. Und so bleibt mir nur übrig, sie nachzureichen: den zweiten Teile meiner Photographien, die ich machte, als ich am 3. Oktober, ruhig und in den Gedanken gefaßt, durch die Stadt spazierte.

Hier also, ohne große Worte, die Bilder.

Und vorweg gesagt: die Jugend hat immer recht, wie zum Beispiel hier. Ich stimme da vollumfänglich zu, auch als alternder, in die Mitte-des-Lebens-Krise trudelnder Mann. So muß es sein. So und nicht anders. Tja: Im Schatten junger Mädchenblüte.

Demnächst folgt dann hier auf „Aisthesis“ das Buchmesse-Special mit einer kleinen Besprechung von Juli Zehs Debütroman „Adler und Engel“. Um es gleich vorweg zu sagen: das Buch ist mäßig, aber ich kann gut verstehen, weshalb es mit solcher Wucht einschlug: Dennoch: stark überschätzt, es gibt Debütromane, denen ich mehr Einschlagkraft gewünscht hätte. Doch zu den Details demnächst mehr auf Ihrem Service- und Qualititätsblog „Aisthesis“. Und wenn  ich es schon bis zum Ende gelesen habe, so soll dabei wenigstens ein Text herausspringen.

3. Oktober 2012 – Erste Ladung

Auch dieses Jahr versäumt Ihr Serviceblog Aisthesis es nicht, den herrlichen dritten Oktober zu begehen. Im Sinne des Begriffes, naturgemäß: Als ästhetizistischer Flaneur. Ach, die guten alten Zeiten. „One way or another.“ (Blondie. Es kann kein Schäferhund schöner heißen.)

Als Feiertag und Datum wäre der 9. November womöglich angebrachter, aber da ist das Wetter zum Flanieren nicht mehr so freundlich und dem Spaziergänger gewogen.

Eine erste Serie von meinem heutigen Gang durch Berlin-Mitte gibt es auf Proteus Image

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Ansonsten bleibt zu sagen, als Tonspur zum Oktober: Wir wollen nur noch Girrrrls skateboarden sehen:

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Notizen aus der Provinz

20 Jahre keine DDR (18)

Notizen aus der Provinz: So hieß einmal eine Satiresendung in den 70er Jahren. Wir jedoch besitzen glücklicherweise unsere schönen Serien „20 Jahre keine DDR“ sowie „Ausgesucht öde Orte“. Und gestern ging mir bei einem Ausflug ins Berliner Umland das Herz über vor lauter Ödigkeit. Wenn die Langeweile, nach Heideggers Urteil, philosophisch von Bedeutung ist, weil  dem Sich-Mopsenden darin ein Aspekt des Wesens der Zeit sich auftut, so sollte auch die Ödigkeit einen angemessen Ort in der Philosophie erhalten. Einen ihrer Wohnsitze wird sie sich sicherlich in der sogleich präsentierten Stadt genommen haben. Aber ach, ach: im Grunde ihres Herzens wohnt die Ödigkeit in jeder Stadt.

So gilt es heute: „In den Staub mit den Feinden Brandenburgs.“  Denn ich bin, gegen den Rat eines Liedermachers, dahin gefahren: „Es gibt Länder wo was los ist, es gibt Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt Brandenburg.“, sang Rainald Grebe (http://www.youtube.com/watch?v=AzOTMXroAr0)

Und es existiert nicht nur das Bundesland, sondern etwa 30 km westlich von Potsdam auch die schöne Stadt Brandenburg. Durch diesen Marktflecken bin ich ein wenig geschlendert. Ich möchte diese Stadt nicht schlechtmachen, wie es mancher denken mag, wenn er diese Photographien sieht. Es gibt interessante Plätze in Brandenburg, die Stadt liegt am Wasser: ist umringt von Seen, die Havel fließt dort. Zudem: Ich würde im schönen München die gleichen Photographien machen, sage ich mir, während ein halbtrockener Riesling meine Stimme beim verlogenen Sprechen besonders geschmeidig macht und ihr ein haltbares Volumen gibt.

Nein, es sind diese Bilder in der Endbearbeitung nicht hinreichend auskomponiert, es handelt sich bei ihnen um Halbfertigprodukte.

Um schließlich auch die Freunde der populären Musik mir gewogen zu machen, um die Zugriffszahlen durch bestimmte, gezielt gesetzte Tags zu erhöhen, so möchte ich noch anmerken, daß ich beim Bearbeiten der Photographien Musik höre, wie ich es in den guten alten Zeiten analoger Photographie gleichfalls in meiner Dunkelkammer tat. Was ich höre? Zuerst ein wenig Marc Almond, die Sachen aus den 80ern, und dann Cobra Killer, um den kreativen Schwung zu bekommen. (Und zum alles krönenden Abschluß: Courtney Loves neue Platte Nobody’s Daughter. Immer wieder. Nicht viele mögen sie, ich schon.)

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Alle Photographien, wie immer und üblich: © Bersarin 2010