FU Berlin, 7.5.: Antisemitischer Protest (1)

Die Besetzung der FU Berlin durch Israelhasser und Antisemiten
und dazu ein Offener Brief

Gestern wurde von antisemitischen wie antiisraelischen Studenten die FU Berlin besetzt, genauer gesagt an der sogenannten Rost- und Silberlaube. Da ich nicht weit entfernt wohne, dachte ich mir in diesem Falle, daß ich dort mit dem Fahrrad hinfahre, um zu sehen, ob es Gegenprotest gibt und vor allem aber, um zu dokumentieren, was passiert. Da ich diese Nachricht erst gegen Mittag wahrnahm, bekam ich die Besetzung des Theaterinnenhofes nicht mehr mit. Rost- und Silberlaube waren beide abgesperrt, als ich dort ankam. Ich habe mir hinterher dann Informationen durch die Sichtung zahlreicher Videos im Internet verschafft. Als ich an der FU ankam, drang aus dem Gebäudekomplex ein dauernder Feueralarm. Die Türen waren verschlossen. Eine gespenstische Situation. Und traurig vor allem für eine Freie Universität.

Konsequent jedoch und robust (großes Lob!) hat die Berliner Polizei sehr schnell den teils antisemitischen Protest aufgelöst. Vorher bereits wurde im Inneren der Universität geräumt, da der Rektor Günter M. Ziegler, der bisher nicht durch übermäßigen Einsatz gegen Antisemitismus an der Universität auffiel, diesmal rechtzeitig die Polizei zur Hilfe gerufen hat. Das war genau richtig. Denn man darf solchen Leuten in keinem Fall den universitären Raum überlassen. Nicht einmal für wenige Stunden. Die Zelte des Protestcamps im inneren Theaterhof, nomen est omen, Intifada-Theater, wurden rasch geräumt. Draußen vor der FU-Mensa versammelten sich weiterer Aktivisten. Drei Aufforderungen zum Verlassen des Geländes gab es. Diese wurden nicht befolgt. Und dann wurde mit Ketten und Polizeigriffen der Platz leergemacht. Sehr gut. Natürlich gab es das übliche Gemosere und „Ganz Berlin haßt die Polizei“-Rufe.

Es ist nun einmal, auch vom Gesetz geregelt, so: Wer nach der Aufforderung der Polizei, den Ort zu verlassen, sich nicht entfernt, muß mit polizeilichen Maßnahmen rechnen, die bis hin zu einfacher körperlicher Gewalt und Schmerzgriffen gehen. Mein Mitleid mit diesen Leuten hält sich in Grenzen. Zumal die Polizei moderat vorging. Genausogut hätte man eine Hundestaffel einsetzen können oder mit Schlagstöcken und Schildern den Raum zurückgewinnen können. Auf solche Maßnahmen wurde verzichtet. Die Polizei trug nicht einmal Helme. Im ganzen also alles gemütlich.

Bei den Protesten nahmen auch Externe, also Nicht-Studenten, und viele migrantische Araber teil, mit den üblichen Rufen. Eine seltsame Melange: teils aggressiv und mit Macho-Gebaren auftretende Araber, teils Studenten und insbesondere viele Studentinnen aus dem woken Milieu, die hysterisch herumkreischten, als hätte man sie einem Hamas-Hauptmann zugeführt oder daß man sie für Patienten einer psychiatrischen Klinik hätte halten können; teils auch Kopftuch-Frauen, die sich auffallend ruhig, aber präsent verhielten. Die ganze Aktion heute schien mir geplant und orchestriert. Einige der Demonstranten wurden hinterher dann mit Autos abgeholt und luden Transparente und Banner ein. Zelte und Vorräte wurden mitgebracht.

Besonders „Yallah, Yallah Intifada“ fand ich in diesem Kontext interessant und es zeigt, woher hier der Wind weht. Bei den „Free Palestine“-Rufen war kein einziger dabei, der diesem Slogan hinzufügte „from Hamas“. Die Hamas, der 7. Oktober und die israelischen Geiseln wurden von diesen entsetzlichen Leuten mit keinem Wort thematisiert. Daß die Angriffe auf Gaza eine Ursache haben, war überhaupt kein Thema, an keiner Stelle.

Daß diese antisemitische Aktion ausgerechnet am 7. Mai geschah, eine konzertierte Aktion dazu, da parallel auch in Leipzig solche Attacken auf die Universität stattfanden, sehe ich nicht als Zufall an. All das sieben Monate nach dem 7. Oktober: auch solches kann man als symbolisches Statement interpretieren – zumal ich, persönlich vor Ort, keinerlei Rufe „Free Gaza from Hamas“ oder irgendeine Parole oder ein Statement gegen die Hamas und für die Freilassung der Geiseln gehört habe. Was im übrigen Free Palestine für Israel und für die dort lebenden Juden bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen. Die Massaker vom 7. Oktober 2023, die in der Eruptivität denen der SS in Osteuropa in nichts nachstanden und teils noch deutlich bestialischer waren, was die Folter von Kindern vor den Augen der Eltern betraf, weisen darauf. Während die SS ihre schrecklichen Taten verbergen wollte, prahlten die Gaza-Araber vor ihren eigenen Leuten in Videos und Bekundungen mit dem Massenmord. Auch das ist der Umschlag von Quantität in eine neue Qualität des eliminatorischen Antisemitismus. Hier werden Historiker genügend Arbeit haben.

Thema war all das jedoch nicht. Hierüber schwiegen die Studenten und ihre von Außen herbeigeeilten Helfer. (Was es nebenbei für jüdische Studenten bedeutet, Kommilitonen mit dem Arafat- und Leila Chaled-Feudel zu sehen, wäre noch einmal ein Thema für sich. Demnächst wird vielleicht auch die Swastika in linken postkolonialen Kreisen als altes Glücksymbol oder als Symbol indischer Weisheitslehre wieder hoffähig .) Und auch hier zeigt sich einmal wieder, wozu das Mitläufertum von ersichtlich biodeutschen, bioblöden Studenten führt. Jenen Aktivistinnen, die da an der FU steindumm herumkreischten und in schriller Stimmlage ihre Sprechchöre herauskrähten, möchte ich doch gerne einmal zur Anschaulichkeit 72 Gaza-Araber auf den Hals wünschen, die mit diesen Damen genau das tun würden, was sie mit Shani Louk und anderen Frauen gemacht haben. Wir erinnern uns an das Bild der blutig gefickten Frau in der Jogginghose im Auto: Ob diese entsetzlich dummen Aktivistinnen dann immer noch davon fabulieren, daß Terror Widerstand sei und ob sie dann wohl noch immer in schriller Stimmlage „Viva, viva Palestina!“ rufen werden? Insofern: ihr könnt euch euer ganzes Viva-Palestina-Gegröle in eure schlecht riechenden Aktivistengendersternchen-Arsche hineinschieben. Und nein: ich wünsche niemandem eine Vergewaltigung an den Hals, nicht einmal solchen Kindermenschen, aber ich erwarte, daß gerade solche Leute, die sich als Studenten sehen, ihren Kopf gebrauchen. Und da machen solche Hinweise vielleicht für das eine oder andere intersektionale Hamsterköpfchen mit den seltsam getönten Haaren die Sache anschaulich.

Auch glaube ich nicht wirklich, daß die Gaza-Araber eine besondere Sympathie für eine nonbinäre Geschlechterordnung oder für Schwule hegen. Diese Art von „intersektionalem Feminismus“ würde in Gaza, in der Westbank, in Syrien, im Irak, in Saudi Arabien oder im Iran nicht einen Tag überleben. Statt einmal nur die Selbstanwendung zu praktizieren oder zumindest über diese nachzudenken und einen Systemabgleich vorzunehmen, werden Dummheiten auf Transparente geschrieben. Wer dekolonisieren will , sollte zunächst einmal die Frage nach Zwangsverschleierung, Zwangsheirat und Frauenrechten stellen. Und dazu vielleicht auch die unrühmliche Rolle der Araber im afrikanischen Sklavenhandel. Postcolonial Studies at its worst.

Wie dem auch sei: Skandalös ist es, daß eine ganze Universität wegen eines antisemitischen Mobs, teils Studenten, teils Externe, die Gebäude stürmen, abgeschlossen und abgesperrt werden muß. Es wird Zeit, daß es Gesetze gibt, die es ermöglichen, diejenigen Studenten, die derart den Universitätsbetrieb stören und verunmöglichen, zu exmatrikulieren. Two strikes and you are out! Diese Sprache wird verstanden. (Und inzwischen bin ich auch der Ansicht, über Studiengebühren nachzudenken.) Solche Art von Protest, die den Universitätsfrieden stört, darf erst gar nicht einreißen. Diskussionen und Debatten im universitären Kontext: ja. Aber ganz sicherlich keine Besetzung und schon gar nicht das Stören des Universitätsbetriebes samt Herumgekreische.

Dank noch einmal an die umsichtige und zugleich konsequent vorgehende Berliner Polizei. Antisemitismus und Universitätsbesetzungen durch Antisemiten und Israelhasser dürfen in Deutschland keinen Platz haben – auch nicht, wenn sie im Gewand vermeintlicher Israelkritik daherkommen. Was die gezeigten Photographien betrifft, diesmal, so haben andere Photographen deutlich bessere Bilder gemacht. Mit einer ca. 15 x 10 cm großen Israelfahne vorne im Hemd macht es sich leider nicht ganz so entspannt Photos. Man wird automatisch zum Zielobjekt der Antisemiten und kann auch nicht derart agieren, wie ich es sonst mache. Und dazu gehört, mit diesen Gesellen ins Gespräch zu kommen und so zu tun, als ob man ihre Ziele teilt (da bekommt man dann am ehesten die Wahrheit zu hören und wie diese Leute ticken.) Was mir nur eben bei diesem Thema mehr als schwerfällt.

Morgen gibt es dann noch einen Beitrag zu jenem öffentlichen Brief, der heute die Runde machte, nämlich das entsetzliche wie naive „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten„. Die, nebenbei, mitnichten alle in Berlin lehren, sondern vielmehr aus irgend einer Ferne teils einen traurigen Sermon dazugeben, ohne überhaupt gesehen oder auch nur im Ansatz über Videos recherchiert zu haben, was sich an der FU zutrug. Aber Hauptsache, man kann sich aktivistisch positionieren. Mitten dabei das Erdogan- und Milli Görüs-Fangirl Kübra Gemüsay – mit Wissenschaft hat diese Frau freilich soviel zu tun, wie Björn Höcke mit einem Lehrstuhl für Kritische Theorie. Im ganzen ist dieser Brief ein entsetzliches und auch trauriges Dokument. Und bei einigen der Namen dort zeigt es das vollendete Scheitern der Kritischen Theorie. Diese ist tot. Was bleibt, ist Leichenfledderei. Aber dazu morgen mehr.

Ostermarsch und „Friedensfreunde“ und was das leider auch mit Teilen der SPD zu tun hat

Wie immer fanden dieses Jahr in Deutschland die obligatorischen „Ostermärsche“ statt. Was vor Jahrzehnten und in den 1950er und in den 1960er Jahren noch eine sinnvolle Einrichtung gewesen ist, um vor den Gefahren von Atomwaffen zu warnen, und im Westen in den 1980er Jahren dann sinnvoll war, wenn auch und vor allem die Atomraketen der Sowjetunion in die Kritik gerieten – Parolen wie die der DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ waren in den 1980ern sehr selten -, ist für die Gegenwart zu einer absurden Veranstaltung Ewiggestriger, DKPler und Putinapologeten geworden. Allenfalls Verschwörungsunternehmer wie Daniele Ganserer profitieren von solchem Publikum, indem sie ihren kruden Unsinn unters Volk bringen.

Die Empörung, die es bei Friedensfreunden hervorrufen würde, wenn muslimische Attentäter, an denen deutlich die Spuren von Folter sichtbar waren, von der US-Regierung derart vor den Augen der Öffentlichkeit gezeigt würden, möchte man sich nicht ausmalen. Von den Kriegsverbrechen Putins in der Ukraine ganz zu schweigen. All das war bei keinem der Friedensmärsche irgendwie Thema und es waren auch keine Plakte zu sehen sein, die die Freilassung der entführten ukrainischen Kinder und der entführten ukrainischen Zivilisten forderten. Und auch der Fall der per Zwang in den Krieg verschleppten Inder durch Putins Schergen dürfte auf diesen Demos kaum Thema gewesen sein:

„Anfang März setzten sieben Inder einen Hilferuf ab. Wegen eines angeblichen Einreiseverstoßes nach Russland hätten Beamte sie vor die Wahl gestellt: 10 Jahre Haft – oder: Küchenhelfer bei der Armee. Doch statt Kücheneinsatz drohte ihnen der Einsatz an der Front. Das Video ging viral, aber der Hilferuf verhallte. Über Telefon konnten wir mit einem der sieben Inder ein Exklusivinterview führen. Wochen nach dem Video meldet sich Gurpreet Singh von der ukrainischen Südfront. Der 20-Jährige schildert, wie er und seine Freunde von russischen Vorgesetzen mit Gewalt in den Kampf getrieben werden. Es habe Tote und Verletzte gegeben. In einem nordindischen Dorf trafen wir zuvor Gurtpreets Mutter. Sie fürchtet, vor Angst um ihren Jungen verrückt zu werden.“ (Arndt Ginzel)

Einen Bericht zu diesem Grauen gibt es im ZDF an dieser Stelle.

Daß in Berlin diese „Friedens“märsche auch diesmal nicht vor der russischen Botschaft stattfinden, sagt viel über die Gesinnung der Veranstalter und ihrer Teilnehmer aus. Und all das läßt sich nicht mehr mit einer gewissen Naivität mancher Teilnehmer entschuldigen.

Allerdings gibt es auch in SPD-Kreisen Stimmen, die irgendwie anehmen, es ließe sich mit Putin verhandeln und es gäbe in den Fragen des Krieges eine Art Äquidistanz. Politiker wie Rolf Mützenich sprechen davon, daß man diesen Krieg „einfrieren“ müsse – was auch immer damit gemeint sein mag. Ob freilich jene Ukrainer, die in den nun von Russen okkupierten Gebieten leben müssen und unter dem Joch und den brutalen Greueln einer Besatzungsarmee stehen, ebenso gerne ein Einfrieren sehen oder ob sie nicht vielmehr den tiefen Wunsch hegen, von Russen befreit zu werden, lassen wir dahingestellt. Und auch eine prominente SPD-Stimme wie Julian Nida-Rümelin schrieb in einem Kommentar bei dem taz-Journalisten Jan Feddersen:

„An erster Stelle Putin, aber auch, diejenigen, die Ukraine daran gehindert haben, frühzeitig nach nur einem Monat Krieg, ihn auch wieder zu beenden, haben schwere Schuld auf sich geladen. Hunderttausende ukrainischer und russischer Soldaten sind seitdem gestorben. Diejenigen, die hartnäckig einen umfassenden Sieg der Ukraine für möglich hielten und damit den Krieg unnötig verlängerten, haben schwere Schuld auf sich geladen. Wer jetzt immer noch einen umfassenden Sieg der Ukraine, der vom Westen möglicherweise mit dem Einsatz von Bodentruppen erzwungen werden soll, verfolgt, riskiert den dritten Weltkrieg.

Ich habe Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre zu denjenigen gehört, die davor gewarnt haben, von einer KaltenKriegsmentalität nun im Zeichen der Entspannungspolitik zu einer Idyllisierung der Diktaturen unter sowjetischer Kontrolle in Europa überzugehen. Ich habe die SPD, obwohl selbst dort aktiv , dafür kritisiert, dass sie zur Solidarnosc nichts zu sagen wusste, und zugleich ist es eine historische Wahrheit, dass ohne die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr es nicht zu Erosion der sowjetischen Herrschaft und nicht zum Ende des Kommunismus gekommen wäre. Die SPD hat keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen. Der Menschenrechtsbellizismus der NeoCons in den USA, der Nouveaux Philosophes in Frankreich und nun in unausgegorener Kopie bei Baerbock & Co ist ein gefährlicher Irrweg, der zusammen mit dem russischen Neo-Imperialismus und dem chinesischen Supermachtstreben die Welt destabilisiert. Die SPD muss dagegen halten, um den Frieden in Europa zu sichern und ihrer historischen Mission treu zu bleiben.“

Dieses Umbiegen von Fakten erinnert leider stark an jene schrödersche SPD-Moskau-Connection. Hinzu kommt: Es ist nicht die Aufgabe westlicher Politiker, sich die Gedanken Putins zu machen. Und nein, ganz definitiv haben nicht jene eine Schuld auf sich geladen, die auf den Sieg der Ukraine gegen einen brutalen Angriffskrieg setzten und bereits seit dem 24 Februar 2022 dafür plädierten, die Ukraine mit allen nötigen Waffen auszustatten und die Soldaten daran auszubilden. Was nun die Verhandlungen betrifft, die angeblich hätten aufgenommen werden sollen, so bringt der Blogger und Facebookautor U.M. die Fakten im Blick auf das sogenannten Istanbuler Kommuniqué gut auf den Punkt:

„Am 29. März 2022 – keine sechs Wochen nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine – hat die Ukraine weitreichende Zugeständnisse angeboten. Nur um Verhandlungen aufzunehmen und einen Waffenstillstand zu erreichen.
Die Ukraine wäre letztendlich bereit gewesen, auf weite Teile ihrer Souveränität zu verzichten.
Dieser Vorschlag wird inzwischen als Istanbuler Kommuniqué bezeichnet.
Er wird so in die Geschichtsbücher eingehen.
Russland hat diesen Vorschlag einen Tag später abgelehnt und sich geweigert, Verhandlungen aufzunehmen.

Das wird ignoriert. Und gerät in der öffentlichen Wahrnehmung durch die ständige Propaganda in Vergessenheit. Die Ukraine hat quasi alles angeboten, was sie überhaupt anbieten kann. Unter der Prämisse, als eigenständiger Staat weiter existieren zu können. Doch genau darum geht es offensichtlich. Es kann doch nicht sein, dass so viele Menschen das nicht mitbekommen haben. Oder einfach ignorieren.

Wer Verhandlungen fordert, soll deutlich sagen, was er bereit wäre Russland anzubieten. Und er täte gut daran, sich die abgelehnten Vorschläge vorher durchzulesen. Denn es gab noch mehr. Aber womöglich müsste er einsehen, dass Russland nicht verhandeln will.“

Wenige Tage nach dem 29. März wurden die russischen Kriegsverbrechen in Butscha bekannt. Damit war jede Grundlage zur Verhandlung zerstört. Der Fehler des Westens ist es nicht gewesen, nicht verhandelt zu haben, sondern viel zu zögerlich Waffen, Material und Munition zu liefern und die europäische Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft umzustellen.

Vor diesem Hintergrund ist das, was Julian Nida-Rümmelin schreibt, eine Verdrehung von Tatsachen. Man kann es auch Manipulation nennen. Und hier geht es eben nicht bloß, wie manche mutmaßen mögen, um unterschiedliche Meinungen. Meinungen lassen genau dann als Aussagen keine Gültigkeit zu, wenn sie an den Fakten vorbeigehen und diese ausblenden. Als Philosoph sollte Nida-Rümelin der Unterschied zwischen „behaupten“ und „gelten“ eigentlich bekannt sein. Ansichten, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmen und wo ein Sprecher dennoch seine „Meinung“ aufrecht erhält, sind entweder Falschbehauptungen oder aber rhetorische Tricksereien und Diskursnebel, der in bestimmter Absicht erzeugt wird.

Was übrigens eine Kapitulation der Ukraine für Europa bedeutet, dürfte sehr viel schlimmer sein als all die halbgaren Drohungen Putins – denn wir sollten nicht vergessen: Putin ist KGB-Mann, das Drohen ist sein Prinzip und nichts macht solche Leute stärker als die Angst, die man vor ihnen hat. Was im Falle einer Kapitulation droht, ist eine Flüchtlingswelle von ungeheurem Ausmaß. Bereits jetzt hat Deutschland, hat die EU erhebliche Schwierigkeiten, die Massenmigration aus den arabischen Ländern wie auch aus Afghanistan sowie aus Afrika zu bewältigen. Was das für Länder bedeutet, die nicht, wie Rußland, eine faschistische Diktatur sind, sondern sich durch Wahlen auszeichnen, läßt sich leicht vorhersagen. Zumal dann, wenn auch konservative Parteien nicht mehr glaubhaft vermitteln können, daß sie das Migrationsproblem angehen. Weiterhin dürfte sich mit einer Kapitulation keinesweg ein „Frieden“ einstellen, sondern zum einen wird der Widerstand gegen russische Besatzung wachsen, es wird einen Guerillakrieg gegen Rußland geben und es steht zu vermuten, daß Putin, wenn man seine weitschweifigen „historischen Exkurse“ zur Geschichte Rußlands nimmt, als nächstes anderer Regionen wie das Baltikum und Teile von Finnland heim ins Reich holen wird, von Georgien und Moldawien ganz zu schweigen. Putins Rede vom Handelsraum, der von Wladiwostok bis Lissabon reicht, ist ganz wörtlich zu nehmen. Nämlich als neue Einflußsphäre einer faschistischen Diktatur. Und in welcher Weise Putin Gründe inszeniert, haben wir nach dem Anschlag in Moskau gesehen und vor allem nach dem 24. Februar.

An Nida-Rümelins Kommentar ist aber noch ein zweiter Aspekt interessant, gerade im Blick auf die sogenannte Friedenspolitik der SPD: Die Sowjetunion und damit auch der Ostblock sind nicht primär zusammengebrochen, weil Willy Brandt und Egon Bahr jene Entspannungspolitik fuhren, sondern weil die NATO Ende der 1970er Jahre gegen die sowjetische Aufrüstung mit SS 20-Raketen einen Rüstungsbeschluß umsetzte und weil Ronald Reagan ein massives Rüstungsprogramm fuhr und auf scharfen Konfrontationskurs ging, der die UdSSR in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten brachte. Ginge es nach der Entspannungspolitik der SPD – zumindest was die Existenz der DDR betrifft, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ist bis heute hin für Europa ein wichtiger Schritt gewesen -, so existierte in den Kopfgeburten mancher Politiker die DDR vermutlich noch heute. Nein, es war nicht die Entspannungspolitik, die die Sowjetunion zu Fall brachte, sondern einerseits die Mangelwirtschaft und daß in der UdSSR ein Politiker wie Gorbatschow auf den Plan trat und dem Elend ein Ende bereitet. Und es war, mit dem Aufstieg Gorbatschows verbunden, der Protest von großen Teilen der DDR-Bevölkerung gegen das Honecker-Regime. Der Ostblock war wirtschaftlich am Ende und das wäre er auch ohne Brandt und Bahr gewesen. Ich halte diese Geschichte der Entspannungspolitik für einen Mythos, mit dem die SPD seit Jahrzehnten lebt und den sie immer wieder reinszeniert und der dafür herhalten muß, wenn Teile der SPD auf Pazifismus machen. Dieses Wiederkäuen ist fast so schlimm wie das Absingen von „Das weiche Wasser bricht den Stein“ auf SPD-Parteitagen. Helmut Schmidt immerhin gehörte zu jenen, die unbeirrbar am Nachrüstungsdoppelbeschluß festhielten – auch gegen weite Teile seiner eigenen Partei und der damaligen Friedensbewegung, bei der auch ich mitdemonstrierte. (Der Irrtum bei jungen Menschen ist nochmal etwas anderes als solcher bei Erwachsenen: letzteren kann man verzeihen, denn es ist das Privileg der Jugend, eine neue und bessere Welt zu träumen. Die schwierige Aufgabe der Alten ist es, dies irgendwie einzuordnen und darauf angemessen zu reagieren. Aber das ist wiederum eine andere Geschichte)

Für die Ukraine, so läßt sich als Fazit für die Ostermärsche festhalten, kann das nur bedeuten, sie mit allen möglichen Mitteln weiterhin militärisch zu untestützen. Und zwar vor allem mit solchen, die es erlauben, die russischen Nachschublinien empfindlich zu treffen. Die Unterzahl der Truppen kann nur durch die Qualität der Waffen und durch die Güte der Truppen ausgeglichen werden. Peace kann man nur eine chance geben, wenn es Waffen gibt, die diesen Frieden erst einmal herstellen und dann vor allem sichern. Krieg ist schrecklich und bringt entsetzliches Leid unter die Menschen. Doch Pazifismus wird sinnlos, wenn er das Recht des Stärkeren bedeutet.

Photographie: Wikipedia, CCC-Lizenz

Engelseis. Im Trakt, 18. Oktober

Hier nun die im letzten Blogbeitrag angekündigte Lovestory.

Vorbemerkung: Die folgende Geschichte vom Liebespaar Gudrun Ensslin und Bernward Vespers geht auf ein Schreibprojekt zurück, das Gunnar Kaiser 2018 ins Leben rief, und zwar eine Kurzgeschichte über bekannte Liebespaare der Literatur zu schreiben. Leider zerschlug sich das Projekt und so wurde dieser Text nie gedruckt. Gunnar Kaiser ist im Oktober 2023 an einem Krebsleiden verstorben. Ich habe über eines der interessantesten Liebespaare der bundesrepublikanischen Geschichte eine kleine Skizze gefertigt.

Engelseis. Im Trakt, 18. Oktober

Das Leben spult im Augenblick des Todes noch einmal in Bildern ab, so sagt man, und das ist kein Gerücht oder die Legende von Mystikern, die es den Wissenschaftlern und den Theologen zeigen wollen, und das ist auch kein idealistisches oder materialistisches Manifest vom Vorrang des Geistes vorm Hirn oder umgekehrt, daß da im Augenblick des Todes nur noch Hirn nachlebt und Neuronenzauber veranstaltet. Denn ich muß das wissen. Ich weiß das jetzt. Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Es passiert der Reigen an Bildern, wenn man an diesem Punkt steht, wo nichts mehr geht, weil ein Leben endet: daß es sich fügt. Beim Paniktod in der Zelle auf dem engen Raum. In der Angst, vor dem, was nun kommt, wenn du weißt, was geschieht, laufen diese Bilder kurz davor an. Alles sprang noch ein einziges letztes Mal zurück, bevor wie hier aufhören. Rückblenden und all der Furor meiner Zeit und Epoche, was wir taten und waren, unsere Kämpfe und unser Lieben, mein Bernward, wie das Private politisch wurde. Sie schießen auf uns! Wie damals. Wir drehten die dicken Dinger, so dachten wir, und am Rad der Geschichte. Wir trugen den Kampf in die Städte. Wir fuhren ein. Manches von der Zeit mit dir liegt inzwischen im Nebel. Manches von den Tagen in Tübingen mit dir in den frühen 1960er Jahren. Geh endlich fort, Bernward! Aber du bist es ja längst. Hier im Trakt. Eppendorfer Schlaf mit Tabletten. Bücherpläne, Projekte, Anthologien, die wir in Tübingen planten, das weiß ich noch. Diese Literatur, von deinem Ich her geschrieben und die des Nazi-Vaters. „Letzte Ernte“. Gehetzt, gewütet, gedichtet. Bernward Irrsinnsreise, wie ich dich nannte. Ich habe in Paris im Hotelbett gelegen und dein Buch gelesen, deine Reise, unser gemeinsames Kind. Nein, es stimmt nicht, da war ich bereits weg und ein paar Monate später tot, als Jörg das Buch auftat. Ich habe all das gelebt, ich habe es nicht gelesen. Ich habe in Paris gelegen und ein neues Leben angefangen. Mit ihm, mit Andreas, mit diesem Schalk im Nacken. Grete und Hans, der fürchterliche Ahab und sein schmalgliedriger Smutje mit den kleinen und schön festen Brüsten. Nun geht das Zeichen, es ist weit nach zwölf und Mitternacht vorüber, aus der Wüste heraus im afrikanischen Staub, Mogadischu klingt wie ein Traumland, weit weg, das Radio, im Versteck, im Plattenspieler, Feuerzauber los; die Nachricht, die Nachrichten bloß. Es ist Nulluhrvierzig, gleich dreiviertel nach Mitternacht. Ich nehme den Stuhl, ich knote und knote es fest, wir knoten es haltbar, sie knoten, sie knoten ein Tuch, da hängt man gut und eng, sie werden gleich knoten kommen. Ich höre die Schritte im Gang, im siebten Stock. Sie sehen mich. Die ganze Zeit, sie hören uns. Nur wir. Reglos bleiben ist besser und weil sich nun die Tür öffnet. Und lose baumelnde Beine am Strick, am Zellenfenster. Ein weißes Auge gleich.

Dieses Arrogante in deinem Auftritt und doch ganz verdruckster Junge, das paßte ganz und gar nicht zueinander. Ich mochte das aber, deine Widersprüche, deine Verklemmtheit und deine Aggressivität, mit der du die Thesen zur Literatur vortrugst oder Literatur in Thesen hämmertest – ach was, deklamiertest, im Weinsuff, der Poser aus Tübingen, der um die Frauen buhlte, nicht nur um mich, um Ricke auch. Im Dreierpack. Dein Schwadronieren im Park, am Necker, die Häuser spiegeln im Fluß und Frost an den Schuhen von der Wiese im Abend, wie du täppisch den Arm um mich legtest und die Überlegenheit zu spielen versuchtest. Hölderlintage, die deutsche Misere, die sich durchzieht, und bleierne Zeit nun, durchzechte Nacht, Liebster, du konntest schön davon sprechen, als wir so endlos im Park gingen und uns in unsere Worte und in unser Sehnen verloren. Ein unendliches Gespräch wie wir glaubten. Männerding, das Frauending war zuhören und lauschen. Ich tat es nicht, ich sprach. Deine Haltung, deine Schüchternheit und deine Anmaßungen zogen mich. Intellektuelle Überheblichkeit stelltest du zu Schau. Ein lächerliches Anzugjackett trugst du beim ersten Mal, als wir uns beim Brunnen trafen, der nur in deiner Erinnerung ein Brunnen war und in Wahrheit doch nur eine Bank auf dem Marktplatz, Eitelkeit, in der du dich spreiztest, dein so unvorteilhaft dir stehender Nadelstreifenanzug mit Weste, Uhrkette samt einer Uhr, die sich als schäbig erwies. In der Hose staksten verbeulte Cordhosenbeine und dazu ein weißes Nyltest-Hemd. Abends das Hemd auswaschen und auf den Bügel hängen, morgens wieder das gleiche Hemd anziehen. Darüber ein Pullunder manchmal. Eine ausgeleierte Baumwollunterhose, wenn ich Dir den Cord abstreifte. Deine Zimmer-Buchte in den Tübinger Tagen, die wir heimlich aufsuchten, Damenbesuch verboten, eng im Roigelhaus, nichtschlagende Verbindung. Nicht ganz so links, wie wir das später anklingen ließen. Aber Leben sind veränderbar. Was liegt zwischen diesen 15 Jahren? Ein beschauliches Tübingen, die neue Bibliothek im Hegelbau, wo wir lasen und studierten, Walter Jens‘ Kolloquium am Donnerstag, wo alles, was Namen hatte, zuhörte, Berlin, das Kind und der Computer von Horst Herold – ein Name wie von Nabokov. Oder von Disney. Ein Leben im Stift. Deine Schreibübungen, dein Übervater, dessen Vermächtnis du vollstrecken wolltest, aber das kam alles anders, als du es dachtest. Wie viel Wut und Gewalt ist für einen Ausbruch aus dem Käfig nötig, wie viel Stemmkraft, wie viel Denkkraft? Die Ideen müßten ästhetisch werden, die Revolution sinnlich spürbar machen. Vielleicht. Anschaulich zumindest haben Andreas und ich diese Ideen gemacht, die im Vorfrühling in Köpfen keimten, tickten und anschlugen – das fing in Tübingen an, 62, 63, daß da ein Geist wehte. „Praxis, du sagst es, Baby!“ Frei, ungebändigt tobten wir los. Optimismus der Tathandlungen war die Parole, die wir riefen, was wir auch lebten in dieser Keimzeit, die am Ende, Hölderlinturm, so bleiern wurde und nichts Offenes mehr hatte. Ungastlich. Und auch die gestundete Zeit, was wir da lasen. Das schießt jetzt alles zusammen in diesen Sekunden im Trakt, die lyrischen Verdichtungen der braven Germanistikstudentin von einst, die ich mal war. Studienstiftungswesen im dritten Anlauf immerhin. Anders als ich das damals dachte, geht das jetzt in der Praxis hier. Big raushole. Aber anders als geglaubt. Eine Art metaphysischer Flug. Ohne Funken. Ein Abgang. Ohne dich.

Aber es mußte sein. Ich bin die Aktive, ich habe einen Sprung getan. Du nicht. Los, sag es mir jetzt und gib es zu, kneif mich, beiß mich in die Brustwarze, in meine kleinen Brüste, fasse sie, umfasse die Hüfte! Saug sie und beiß mich, sag es einfach, das Wort, sag es mir! Küsse. Ich bin dabei gelähmt. Nimm mich. Aber das ist lange her. Als du dich nicht trautest und als du in der Besucherritze des Pensionsbettes verschwandst, weil das dumme Bett auseinanderglitt, als du endlich zur Sache kommen wolltest. Du warst sturzbetrunken. Wie so oft. Und lagst auf dem Boden. Ich glaube, du wolltest nicht. Nein, du konntest nicht. Physisch. Geistig. Worte.

Wir wollten das offenhalten, was sich Beziehung nennt, im Bürgerlichen, dieses Tübinger Nest und Pfarrerskram bei mir, darauf rotzten wir schließlich, und unter dem Kuppelparagraphen war es nie leicht, für die Nacht gemeinsam eine Unterkunft zu ergattern, uns miteinander zu paaren. Ich mochte es, wenn du mir deine Finger reinschobst. Oder die Zunge und später dein pralles Glied. Da gab es alle diese Buchprojekte, die er im Kopf hatte. Mein du. Mein unbeholfenes, freches, selbstgefälliges du. Er hat russische Lippen, dachte ich mir. Wußte er das? Die Deutsche Geschichte punkt Null ist gerade sechzehn Jahre her und wir fangen jetzt an, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Auch mit Gewalt. Wem die Fragen nicht brennen, bei dem zünden vielleicht die Antworten. So geht das, nicht anders. Heidelberg, Frankfurt, Kommando Petra Schelm. Zieht den Trennungsstrich, jede Minute!

Fast ein Medeaspiel dann. Das Felixkind ist fort und ich bin auf meiner eigenen Reise. Für ein Kind ist kein Platz, nicht hier und nicht anderswo. Primat der Praxis. Ich blicke mit Haß und Verachtung auf jene Zeit zurück, ich reise nun in dieser Zeit, nichts anderes mehr. Wir lösten unser Verhältnis, ich löste mein Verhältnis zu Welt. Ich bin nun Schauspielerin, war Schauspielerin bereits im Schultheater in Cannstadt, damals, und später in Frankfurt haben wir uns verkleidet, haben uns Perücken aufgesetzt, auf Andreas‘ Kopf, auf meinen Kopf, und auch auf den von Thorwald, im Frankfurter Kaufhaus nachts. Das Warenfetischding. Die ganze alte Scheiße. Es geschahen die unerwarteten Dinge, doch das Erwartete blieb aus. Knapp war die Zeit, knapp war unsere Zeit. Sie schießen wieder auf uns. Auf Ohnesorg damals, auf Dutschke. Osterunruhen. Wir hätten nichts von Bedeutung falsch gemacht, schriebst du mir in den Arrest. Und dabei haben wir uns geändert, schriebst du, und dabei ginge unsere Geschichte zuende, schriebst du. Wie du dich nun nach meinem Geschlecht sehnst, jetzt wo ich nicht mehr bei dir bin. Wie du wartetest, wie du mir die Briefe nach Preungesheim in den Knast schriebst und die Bücherpakete dazu und die Kosmetik, die ich wollte, weil es im Knast häßlich ist, wie du mit Felix in Berlin mit Liebe umgingst, unser Kind, und wie du hofftest.

Ich habe dich geliebt. Über jedes Maß, und das erinnere ich noch. Bis zum letzten Zug, jetzt am Knoten, Reisende, wir im Herbst 1962, Spanien, Europa, in die Estramadura, Cervantesspuren. „Er lebt in Texten“, sagte ich mir – sogar auf den Reisen. Großer Walfang dann später. In Chiffren schreiben, big raushole und Kassiber. Zweite Feuerbachthese, die bürgerlichen Fotzen wollten von ihrem Leben nicht lassen. Das geht durch den klaren Kopf, das Leben mit dir, jetzt hier, letzte Sekunden ohne Kairos. Dreiviertel nach Mitternacht nun. Feuerzauber vorbei. Mühlhausen. Aber da war ich schon nicht mehr dabei. Man sagt, der Mensch könne etwa zwei Minuten ohne Luft aushalten. Das kommt in etwa hin. In weniger als drei Minuten werde ich fort sein. So wie du es lange schon bist, mein Bernward, mein Andreas, nach Tübingen, nach Berlin, nach Eppendorf, 1971 nach den Tabletten. Wir bringen unsere Reise zu ihrem Ende, mein Geliebter, wir haben ein Kind. Call me!

„immer finde ich die altdeutsche Weisheit bestätigt, daß alle schwüre der liebe falsch werden, sobald sich etwas besseres findet, in unserm fall ist das weib der skruppellosere teil, aber das ist auch egal.“ (Bernward Vesper im Februar/März 1968 in einem Brief ins Gefängnis nach Frankfurt-Preungesheim an Gudrun Ensslin)

„‚Unsere‘ Geschichte mag zehnmal zuende sein, die Geschichte ist es nicht.“ (Gudrun Ensslin am 19. April 1968 in einem Brief aus dem Gefängnis Frankfurt-Preungesheim an Bernward Vesper)

Rezipierte Hintergrundliteratur:

Gudrun Ensslin/Bernward Vesper: „Notstandsgesetze aus Deiner Hand“. Briefe 1968/1969

Ingeborg Gleichauf: Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin

Michael Kapellen. Doppelt leben. Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Die Tübinger Jahre

Das RAF-Ding oder wie die Kindheit dieses in ein Miniaturwunderland brachte

Nun ist durch die Festnahme von Daniela Klette die RAF also wieder einmal im Gespräch. Ich weiß bis heute nicht, was ich von diesem RAF-Ding halten soll – gerade auch im Blick auf einen Facebook-Beitrag von Birgit Kelle anläßlich des nun in einer Neuauflage wieder erschienen Buches der Meinhof-Tochter Bettina Röhl: „Die RAF hat euch lieb“. Die Bundesrepublik im Rausch von 68 – Eine Familie im Zentrum der Bewegung. Ich kann die Apodiktik gegen Meinhof ganz nicht teilen, weil ich diese entsetzliche Entwicklung aus der Zeit heraus verstehe. (Den journalistischen und auch politischen Fanatismus von Meinhof teile ich nicht, sehr wohl aber manche ihrer Anliegen in den frühen Jahren als konkret-Autorin.) Ich halte es am Ende mit Rudi Dutschke – sanft war er, sanft wie alle echten Radikalen, wie Wolf Biermann 1979 in einem Nachruf damals sang. Und ich kann zugleich diese Aussagen von Meinhof zum Olympia-Massaker 1972 nicht im Ansatz goutieren. Das ist nicht nur Haß auf Israel, das ist dezidiert antisemitisch.

Zum Phänomen RAF etwas zu schreiben, ergäbe ein Buch – auch in biographischer Hinsicht als einer, der die 1980er Jahre mit einigen Sympathien für eine zutiefst radikale Linke der Autonomen erlebte und als Zaungast verfolgte. Ich kann die Kritik an der RAF und an Meinhof verstehen, was deren widerlichen Antisemitismus betrifft (und auch Meinhofs Umgang mit ihren Kindern) – das ging mir schon in den 1980er Jahren so, nachdem „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust erschien, und doch sehe ich zugleich die Verzweiflung dieser Leute nach dem 2. Juni 1967 und nach den Schüssen auf Rudi Dutschke dann knapp ein Jahr später.

Ich habe in den 1980er Jahren die frühe RAF teils mit Sympathie gesehen, was 1972 die Anschläge in Heidelberg und aufs Hauptquartier des V. US-Korps in Frankfurt/M betrifft: das hielt ich noch lange Zeit für richtig: Den entsetzlichen Krieg der USA in Vietnam gegen die Zivilbevölkerung in die USA tragen! Das war zumindest eine sinnvolle Reaktion, glaubte ich. Und zugleich doch auch naiv, ohne dabei auf die Sowjets zu sehen und jenen totalitären Kommunismus damit implizit zu tolerieren, von dem steindummen Vergleich der US-Bombardierungen mit Auschwitz und Endlösung in der RAF-Verlautbarung von 1972 zum Anschlag in Frankfurt ganz zu schweigen. Schleyers Entführung war bestialisch, zumal dabei Menschen erschossen wurden, die nichts mit seinen Verbrechen zu schaffen hatten. Allenfalls ohne Tote hätte diese Aktion einen Sinn ergeben, indem man Schleyer in seinem „Volksgefängnis“ derart verhört hätte, wie es die RAF tat, um ihn dann mit diesem an die Medien und die Bevölkerung weitergegebenen Wissen wieder freizulassen. Es möge die Öffentlichkeit über jenen Mann richten, der sich an Juden bereicherte.

Wenn von der RAF und den Toten aus ihren eigenen Reihen gesprochen wird und wurde, habe ich niemals „unsere Toten“ gedacht, schon damals in den 1980ern nicht. Es waren nicht „meine Leute“ und Rufe wie „Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen“ fand ich schon damals lächerlich, irgendwie saßen sie ja doch zu recht dort im Knast – was erwarteten sie? daß Helmut Kohl die Genossen zu einem Saumagen einlüde? Das ganze Genossentum, bis in die linken Bewegungen hinein, war mir immer suspekt. Aber ich hatte ein politische Interesse an diesem RAF-Ding einerseits. Und es war für mich die RAF zugleich ein Faszinosum.

Als Kinder der frühen 1970er Jahre spielten wir diese Fahndungen und diese Bilder, die wir im Fernsehen sahen, nach. Polizeisperren, Kontrollen, Schüsse. Mit den Matchbox- und Siku-Polizeiautos und sogar einen BMW gab es für die Terroristen, obgleich ich damals nicht wußte, daß BMW im Volksmund eben auch Baader-Meinhof-Wagen hieß. Polizei und Terroristen wurden mit Airfix-Figuren, Maßstab 1:72 nachgestellt. Besonders gut eigneten sich für die Polizei die Airfix-Soldaten der Briten und teils auch der Deutschen aus dem ersten Weltkrieg, weil sie Schirmmützen trugen. Für die Polizei in Demo-Ausrüstung mit Helm kamen die deutschen Soldaten der Wehrmacht und auch des ersten Weltkrieges und für den Bundesgrenzschutz die des Afrikacorps mit dem Mützen in Betracht. Die Panzerwagen der Polizei wurden durch Roco-Modelle der Schützenpanzer abgebildet und auch ein Schützenpanzerfahrzeug von Matchbox, das den BGS-Fahrzeugen, die auf den Flughäfen fuhren, im kindlichen Blick verblüffend ähnlich sah, kam zum Einsatz, wenn es darum ging, ein von Terroristen bewohntes Haus zu umstellen. (Das nur nebenbei für jene, die auch in diesen Zeiten aufgewachsen sind und solches wunderbares Spielzeug von Airfix, Matchbox und Roco gut kennen.)

Vermutlich habe ich die RAF vor allem und bis in die späten Jahre als ein ästhetisches Phänomen immer wahrgenommen und muß aus diesem Grunde nun bald einmal auch Frank Witzels Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ endlich lesen.

Und weil mich dieses Thema RAF seit Jahrzehnten im Bann hat, gibt es morgen oder übermorgen auch eine Liebesgeschichte dazu. Ich verspreche aber, daß diese nicht glücklich ausgeht – frei nach einem Lied von Georges Brassens: „Il n’y a pas d’amour heureux“.

Die Buchphotographie wurde der Facebookseite von Birgit Kelle entnommen

Was, nebenbei, die frühen Jahre der Studentenbewegung betrifft und auch den Weg von der Subversiven Aktion bis hin zu den Kaufhausbrandstiftungen, da sei unbedingt auf das im Hinblick auf die Ästhik instruktive Büchlein von Karl Heinz Bohrer verwiesen: „Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror“. Nämlich im Sinne einer Ästhetik des Schocks, der Überwätigung und eben auch, was dann später Bohrers Thema werden sollte, der Plötzlichkeit. Und auch auf diesen Blogbeitrag von mir::

Das Schweigen der Bekenner: Böhmermann, Eidinger, Tschirner, Passmann, Heufer-Umlauf, Deichkind, Marius Müller Westernhagen

Das große, das laute, der beredte Schweigen derer, die ansonsten beim Kampf gegen rechts ihre Gesichter in jede Kamera halten, die sich nur darbietet. Jene Prominenten und Menschen des Kulturbetriebs, die sich wortmächtig zu allen möglichen politischen Themen äußern. Sie sind plötzlich still. Und siehe da gab es ein großes Schweigen, als in Deutschland Juden nicht mehr auf die Straße konnten, weil sie Angst hatten, und als da in Neukölln und anderen Städten arabische Antisemiten den Straßen unsicher machten, Barrikaden ansteckten und Polizisten mit Steinen bewarfen. Und was ich und viele andere bereits am 8. Oktober und die Tage darauf ahnten: das große Schweigen: es ist genau so und auf diese Weise eingetreten. Das große Schweigen im Walde im Kultur- und Kunstbetrieb. Und das von denen, die man ansonsten zu jedem Anlaß twittern und reden sieht und die zu jedem Anlaß vor den Mikrophonen hängen..

Die WELT hat in einer großartigen Recherche all diese Prominenten, die gerne engagiert und weltoffen und gegen rechts sich geben, als das vorgeführt, was sie sind: Eine feige Bande.

Ein großer Dank an Frédéric Schwilden und die WELT, für diese so derart wichtige Aktion möglich machten. Es ist beschämend, was sich diese von Schwilden Genannten leisten. Aber daran, an dieses Schweigen werden wir uns und werden wir diese Leute immer wieder erinnern, wenn sie dann, wenn es wieder opportun ist, einmal wieder ihre Gesichter in die Kamera halten: das Schweigen von Klaas Heufer-Umlauf, der sich sonst zu jeden Furz äußert, Sophie Passmann, Lars Eidinger, Marius-Müller Westerhaben, Jan Böhmermann, Die Toten Hosen, Teresa Bücker, die sonst immer gerne ihren Mund auftut, Deichkind, die gerne große Show und Remidemi machen, wenn es nichts kostet, Jasmin Kuhnke, die vor zwei Jahren noch voll dabei war, als es darum ging rechte Verlage von der Buchmesse auszuladen, weil sie sich bedroht fühlte – ausgerechnet an dem wohl sichersten Ort der Welt: einer Buchmesse. Aber gut, man muß dazu sagen, daß Kuhnke auch ihr neues Buch verkaufen wollte. PR immer da, wo es paßt und auch der Kampf gegen Antisemitismus ist ben nur dann eine gute PR, wenn es opportun ist und niht weiter wehtut.

Es ist peinlich und es gut, daß die WELT diese Bigotterie einmal öffentlich gemacht hat. Danke.

„Unser Autor wollte Statements prominenter Deutscher gegen Judenhass sammeln. Aber bis auf eine Influencerin und eine Klimaaktivistin ist keiner dazu bereit – es hagelt Absagen. Die, die sich sonst am lautesten „gegen rechts“ äußern, schweigen lieber zum Antisemitismus.“

Und weiter heißt es dort:

„In Deutschlands Hauptstadt fliegen Molotow-Cocktails in Richtung einer Synagoge, und das Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden muss von mehr als hundert Polizisten geschützt werden. Deutsche Kartoffeln in Pumphosen und queere Expats rufen mit Habibis Parolen wie von Björn Höcke (AfD), nur eben auf Englisch: „Free Palestine from German guilt“ – „Befreit Palästina von deutscher Schuld“.

In Frankfurt am Main, aber auch in London, Sydney und Montreal rufen Menschen dazu auf, Juden zu töten; sie solidarisieren sich zu Zehntausenden mit der Terrororganisation Hamas, die vergangene Woche in Israel den größten Mord an Juden seit dem Holocaust begangen hat. Die Terroristen der Hamas ermordeten und entführten Holocaust-Überlebende, junge Raver auf einem Musikfestival, Kinder, Babys. Mehr als 1400 Menschen wurden ermordet.

Für WELT AM SONNTAG wollte ich Stimmen prominenter Menschen in Deutschland gegen den Judenhass sammeln. Solidarität mit Menschen sichtbar machen, deren normales Leben in Deutschland und im Rest der Welt seit Jahrzehnten unter Polizeischutz stattfindet. Es sollte nicht um Politik gehen. Nicht um den Nahost-Konflikt. Einfach nur um die Solidarität mit Juden.
[…]
In Initiativen wie „Gesicht Zeigen“ engagieren sich doch Menschen wie Klaas Heufer-Umlauf gegen Rassismus. Und bei Festivals wie „#Wirsindmehr“ und wie sie alle heißen traten doch Künstler wie die Punkband Feine Sahne Fischfilet, der Rapper Marteria, die Toten Hosen oder Deichkind auf.

Die Schauspielerin Nora Tschirner unterschrieb doch eine Petition für ein Verbot der in relevanten Teilen rechtsextremen Partei AfD oder sammelte mit der afrodeutschen Autorin Jasmina Kuhnke Geld für mutmaßliche Opfer von mutmaßlichen Sexualstraftaten. Joko und Klaas spendeten ihre Instagram-Kanäle doch den Frauen im Iran; und gerade beim Deutschen Fernsehpreis überließ dieser Joko, der für seine Klima-Rettungsshow auf Amazon genau da ausgezeichnet wurde, doch einer iranischen Frau seine Dankesrede, damit sie noch mal auf die Gräuel im Iran aufmerksam machen konnte. Und natürlich trat auch Sophie Passmann in einer Sondersendung von Joko und Klaas gegen Frauenhass auf.
[…]
„Deutschland ist doch so bunt, so tolerant, so gegen Rassismus, dass sogar unglaublich erfolgreiche Schauspieler wie Lars Eidinger auf der Berlinale weinen, wenn unsere antirassistische Gesellschaft angegriffen wird. „Ich finde, unsere Gesellschaft ist so dermaßen vergiftet, was Hass und Missgunst angeht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass das so ein bisschen auch der Anlass für mich ist, dagegen zu kämpfen“, sagte Eidinger mit Tränen in Augen und auf seinem linken Zeigefinger kauend auf dem Podium der 70. Berlinale. Anlass war der schreckliche Anschlag in Hanau, bei dem ein Nazi zehn Menschen – neun mit Migrationshintergrund und seine Mutter – ermordete.
[…]
Die Agentur von Nora Tschirner und Klaas Heufer-Umlauf antwortete geschlechtergerecht: „Leider muss ich hier aus zeitlichen Gründen für beide Künstler:innen absagen.“ Auf eine nicht ganz ernst gemeinte Nachfrage, ob beide es denn bis zum 9. November schaffen würden, kam wieder eine Absage: „Leider sehen wir in naher Zukunft generell keine Kapazitäten.
[…]
Das Management von Joko Winterscheidt: „Wir müssen für Joko Winterscheidt absagen.“

Das Management von Sophie Passmann schrieb auf Anfrage: „Sophie Passmann ist momentan auf Tour unterwegs, daher muss ich diese leider aus zeitlichen Gründen direkt absagen.“

Lars Eidingers Agentur antwortete: „Vielen Dank für Ihre Anfrage an Lars Eidinger, für den wir leider absagen müssen.“

Das Management von Marteria schickte: „Leider müssen wir hier aus zeitlichen Gründen absagen, da Marten momentan mit einem Projekt eingespannt ist.“

Deichkinds Management schrieb: „Für Deichkind müssen wir leider absagen.“
Das Management von Anti-Rassismus-Autorin Alice Hasters antwortete kurz und knackig: „Leider nein.“

Das Management der Musiker von K.I.Z., Casper und Kraftklub: „Hier müssen wir leider für alle drei absagen.“

Das Management von Marius Müller-Westernhagen: „Leider können wir aus zeitlichen Gründen Ihrer Anfrage nicht nachkommen.

Die Agentur von Felix Lobrecht und Jasmina Kuhnke: „Leider werden die beiden nicht dabei sein können.“

Immer wieder Worte wie „müssen“, „leider“, „können nicht“, „aus zeitlichen Gründen“. In Instagram-Storys sah man derweil Nora Tschirner Eis essen und auf Filmpremieren gehen. Sophie Passmann spielte mit dem Podcaster Tommi Schmitt Fußball.
Das Schweigen der sonst so Lauten nennt Staroselski „eine Schande“, denn: „Am 9. November und am 27. Januar eine Nie-wieder-Kachel mit einem betroffenen Foto zu posten, ist einfach. Aber jetzt werden jüdische Wohnhäuser mit Davidsternen markiert, es wird zur Gewalt aufgerufen. Zu schweigen, aus Angst Follower zu verlieren, zeigt die Doppelmoral dieser Akteure.“

Das Schweigen der sonst so Lauten nennt Staroselski „eine Schande“, denn: „Am 9. November und am 27. Januar eine Nie-wieder-Kachel mit einem betroffenen Foto zu posten, ist einfach. Aber jetzt werden jüdische Wohnhäuser mit Davidsternen markiert, es wird zur Gewalt aufgerufen. Zu schweigen, aus Angst Follower zu verlieren, zeigt die Doppelmoral dieser Akteure.“

1994 sang Marius Müller-Westernhagen: „Schweigen ist feige.“ Im Jahr 2023 ist dieser Titel Programm. Bei Westernhagen, bei Joko und Klaas und bei all den anderen sonst so lauten.

https://www.welt.de/politik/deutschland/plus248095260/Deutsche-Prominente-Sonst-laut-gegen-rechts-beim-Judenhass-ganz-leise.html?

Arabische Straße in Neukölln

Die Araberkrawalle in Neukölln, brennende Barrikaden, zahlreiche verletzte Polizisten, ein widerlicher Mob, der einen Stadtteil ins Chaos stürzt, wie man es nur vom 1. Mai kennt, und auch die Ausschreitungen in Mitte vorgestern wundern mich nicht eine Sekunde: samt Angriffen aufs Holocaustmahnmal, das geschützt werden mußte. Und das wird auch die nächsten Tage derart weitergehen, so vermute ich. Denn der arabische Mob ist in Neukölln gut vernetzt und kennt seinen Kiez und es sind hunderte von Geschäften dort, die den Marodierenden einen Unterschupf bieten.

„Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt“, so erinnere ich diesen Satz noch gut, in völliger Naivität, vielleicht auch in gutem Glauben bei gleichzeitiger Torheit dahingesprochen von Karin Göring-Eckhardt.

Wer sich vom Personal her den Nahostkonflikt importiert, bekommt irgendwann die arabische Straße geliefert. Der Buchtitel „Desintegriert euch!“ hat eine interessante Wendung bekommen. Früher, als ich noch nach Neukölln fuhr, um eine Freundin zu besuchen, sagte ich zu ihr scherzhaft, wenn wir uns dann trafen: „Mein Ausflug nach Chan Yunis!“ Schön fand ich es dort nicht, aber ich besaß das Privileg, nicht in diesem Stadtteil wohnen zu müssen – mir reichten die Berichte der Freundin. Manchmal spielten wir im Auto zum Spaß Araberaufstand in Ramallah und wir waren die israelische Armee. Daß aus solchem Spaß einmal Ernst werden würde, habe ich damals nicht wirklich realisiert. Als ich dann, als Photograph und Beobachter, mehrere Araberdemos „besuchte“ und regelmäßig auch beim Al Kuds-Tag mitging – nicht weil ich diesen entsetzlichen Blödsinn gut finde, sondern weil ich hören wollte, was dort so gesprochen und gerufen wird –, wußte ich in etwa, was die Stunde geschlagen hat und was uns mit Pech einmal erwarten wird, wenn die Dinge im Nahen Osten anders liegen und es Krieg gibt. Man gebe sich auf solchen Demos einfach als einer der ihren aus – es geht insofern gut, weil da auch einige deutschen Nazis mitlaufen, etwa die Fascho-Rapperni Dee Ex – und es gibt dort die entsprechenden Stimmen, die nicht bloß einfach von Ungerechtigkeiten sprechen, sondern die ganz klar auf die Vernichtung der Juden aus sind.

Nun wird es viele geben, die sagen: das sei pauschal und nicht alle wären so. Das stimmt. Viele bleiben auch zu Hause und werfen keine Steine, zünden keine Barrikaden an. Aber ob das Denken, was da in den Familien herrscht so grundverschieden und anders ist als das von dem Mob jetzt auf der Straße, das wage ich zu bezweifeln. Meine schlimmsten Befürchtungen von 2015 – da wurde man gerne noch als Rassist gelabelt, wenn man seine Bedenken äußert – sind leider wahr geworden. Und ich war auch damals schon nicht der Ansicht, daß wir das schaffen, sondern daß da ein Berg an Arbeit und ein noch größerer Berg an Problemen auf Deutschland zukommt. Und ich befürchte auch, daß man Einstellungen in den Köpfen nicht mit noch so viel Integrationspolitik und Fördergeld raus bekommt (oder daß es zumindest Jahrzehnte wenn nicht ein Jahrhundert dauert) und auch das Prinzip Asabijah mag da eine Rolle spielen , zumal wenn mit Bildern und Geschichten aus Gaza und dem Westjordanland Propaganda gemacht wird, so wie jetzt bei dem Krankenhausbeschuß in Gaza. Oder wie es Carlo Masala schrieb: „Wenn ihr (wie ich auch) gedacht habt, die Trollfabriken in St. Petersburg sind der Endgegner, oh boy, die Hamas ist Champions League.“

Ein Teil dieses Migrationsproblems ist zudem eine intersektionale, postkoloniale, queerfeministische Linke und ein kulturalistisch-linkes Medienmilieu, die immer wieder abwiegelten, beschönigen und anbräunen, wenn man diese Probleme eines neuen arabischen Antisemitismus ansprach. Wer mit Ferda Ataman ins Bett geht, wacht morgens mit Kübra Gümüsay wieder auf. Nein, Probleme verschwinden nicht, indem man so tut, als gäbe es sie nicht. Auf jeder Araberdemo hier in Berlin konnte, wer sehen wollte, sehen.

Auf die Solidaritätskonzerte der üblichen Verdächtigen des Unterhaltungsbetriebes werden wir nach den Angriffen auf Juden und jüdisches Leben in Deutschland wohl noch lange warten müssen: Udo Lindenberg, Campino, Danger Dan, Herbert Grönemeye, K.I.Z., die Ärzte und und und. Ich hoffe, ich täusche mich, und es ist ein Konzert am Brandenburger Tor oder wie auch immer, in Vorbereitung: Solidarität mit allen hier in Deutschland lebenden Juden und nicht nur gegen Antisemitismus im allgemeinen, sondern insbesondere gegen sich hier auf den Straßen austobenden arabischem Antisemitismus. Gerade hier und jetzt wird eine deutliche gesellschaftliche Ächtung fällig, damit auch jene, die heute und morgen in Deutschland die Straßen terrorisieren, bemerken: So nicht, hier ist die Grenze! Vor allem auch ihre Unterstützer mit ihrer klammheimlichen Freude im Gepäck. Ich fürchte aber, daß es dazu nicht kommen wird. Einmal wieder wird sich eine ansonten beim „Nie wieder!“ so wortreich meldende Linke wegducken. Zum Glück aber gibt es wenige Ausnahmen, die sich klar positionieren und die Probleme benennen. Nur eben: Es sind zu wenige, viel zu wenige.

Im Tagesspiegel von heute morgen heißt es:

„Da – nach vorläufigen Erkenntnissen – viele der gewaltaffinen Verdächtigen keinen regulären Jobs nachgingen, also über viel Freizeit verfügten, könnte die Lage noch Wochen so bleiben. „Ein Mix aus justizerfahrenen Islamisten, gewaltgeneigten Jugendlichen und immer noch zahlreichen, zumeist verständnisvollen Vertretern aus der Zivilgesellschaft macht es uns so schwer“, sagte der Beamte aus einer großen Sicherheitsbehörde. „Diese Mischszene ist zudem räumlich und methodisch flexibel.“

Auch sei es schwer, den Überblick über die Szene in Neukölln zu behalten. Eine typische Beobachtung machten Beamte am Wochenende, als sie verhinderten, dass 70 Männer und Jugendliche mit Palästina-Fahnen zu einer verbotenen Anti-Israel-Versammlung auf dem Hermannplatz gehen wollten. Als die Polizisten eingriffen, gingen die Männer in die Sonnenallee und verteilten sich in den dortigen Cafés. Ein mit der Lage befasster Beamter sagt nun, es gebe zu viele Lokale, wo die arabische Jugend abhänge und gewissermaßen auf einen Einsatzbefehl warte.

[…]

Behelmte Polizisten einer Hundertschaft, manche mit Hund, bewachten das Holocaust-Mahnmal auf der gesamten westlichen Seite in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, als 300 Personen vom dort zum Potsdamer Platz zogen. Auf der Straße des 17. Juni unterband die Polizei dann den Versuch Dutzender, eine Sitzblockade abzuhalten.

Die Bilanz der Polizei: 39 Festnahmen, 65 Strafverfahren, 20 verletzte Polizisten, zwei von ihnen mussten den Dienst beenden. Vor den Ausschreitungen in Mitte war eine angemeldete pro-palästinensische Mahnwache mit 350 Menschen am Pariser Platz friedlich verlaufen.

Zudem gab es in Neukölln Aktionen, vom frühen Abend bis 22 Uhr hatten sich im Reuterkiez immer wieder große Gruppe von bis zu 100 Personen gesammelt. Einige waren vermummt, immer wieder gab es Böller, Barrikaden, Steinwürfe und laut Polizei „volksverhetzende und israelfeindliche Parolen“. Die Polizei brauchte Stunden, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Gegen 23 Uhr errichtete in Gruppe von 60 Personen mit mehreren Müllcontainern an der Sonnenallee/Ecke Reuterstraße Barrikaden und setzte diese in Brand, Polizisten und Einsatzwagen, selbst Feuerwehrleute, die die Brände löschen wollten, wurden mit Steinen und Böllern beworfen. Ein Wasserwerfer der Polizei musste anrücken, um die Brände zu löschen. Bis kurz nach Mitternacht zogen sich die Auseinandersetzungen, auch in Nebenstraßen, hin. In der Neuköllnischen Allee brannte dann gegen 1 Uhr auf einem Sportplatz eine Mülltonne, eine halbe Stunde später in der Treptower Straße an der High-Deck-Siedlung ein Müllcontainer.

Am Mittwochmorgen gegen 3.45 Uhr dann konnten Objektschützer der Polizei nach Darstellung der Behörde verhindern, dass zwei Männer mit ihren Molotowcocktails eine Synagoge in der Brunnenstraße treffen. Die Brandsätze landeten auf dem Gehweg davor. Laut Innensenatorin Iris Spranger (SPD) haben die Angreifer die Molotowcocktails von der gegenüberliegenden Straßenseite geworfen. Die Aufnahmen einer Überwachungskamera seien aber kaum brauchbar, die Täter seien nur schlecht zu erkennen, hieß es aus der Gemeinde.

Eine interne Gefahrenprognose der Polizei nennt als Ziele für Attacken jüdische und israelische Einrichtungen, aber auch US-Liegenschaften. Zudem warnt die Polizei vor Angriffen „auf erkennbar israelische und jüdische Personen im Stadtgebiet (…) durch pro-palästinensisch gesinnte Personen“. „

Ja, was man sich ins Haus bestellt, bekommt man am Ende auch geliefert. Ich fürchte aber, daß es auch dieses Mal nur bei den üblichen Lippenbekenntnissen bleibt. „Nie wieder“ sagt sich leicht dahin.

Bildquelle: https://www.welt.de/vermischtes/article248076314/Neukoelln-zu-Gaza-machen-Mehr-als-170-Festnahmen-bei-Ausschreitungen-in-Berlin.html?

Die Sonnenallee

Was ich heute und die nächsten Tage auf der Sonnenallee gerne sehen möchte.

[Für alle Nichteingeweihten: „Inglourious Basterds“ sehen, Sgt. Donny Donowitz, genannt auch der Bärenjude.]

Ansonsten ist es mit Jan Fleischhauer zu sagen:

Und was wäre wohl in Deutschland los, wenn nach diversen Bedrohungen von Muslimen oder einem öffentlichen Aufruf von Rechtsextremisten dazu angehalten würde, Muslime zu jagen, zu töten und zu eliminieren, wo man sie trifft: und dann rieten Regierungsvertreter: „Bleiben sie zu Hause, liebe Muslime!“ Es gäbe einen Aufschrei, es gäbe von den üblichen Gestalten einen Aufstand der Anständigen.

Ach, und wie ich gestern gehört habe: in London sollten auf Anraten der Regierung die jüdischen Briten zu Hause bleiben: bzw. sie mußten, weil ihre Schulen geschlossen waren. Habe ich leider auch nirgends in den Nachrichten vernommen.

PEN Berlin und der deutsche Kulturbetrieb

Wo sind nach einer Woche eure Reaktionen zu dem Hamas-Terror in Israel, zu migrantischem Antisemitismus hier in Berlin, der jeden Tag auf der Staße zu erleben ist – in ganz Deutschland übrigens. Daß an einem Freitag wie heute Juden in Deutschland mit Angst sich auf den Weg in Synagogen oder Schulen machen? Wo sind eure Aufrufe? Wo PEN Berlin?

Ein so dröhnendes Schweigen. Und ich meine doch: Eine Woche ist eine Zeit, in der eine Organisation wie der PEN mindestens einen Aufruf oder einen offenen Brief starten kann – mindestens das, wenn es schon nicht zu Aktionen hinreicht. Aber wahrscheinlich wäre es peinlich, wenn da nur fünf PEN-Mitglieder diesen Offenen Brief unterschreiben würden. Ja, man kann bei diesen Dingen nur noch sarkastisch sein. Aber es möge bitte niemand mehr von diesen Leuten mit „Nie wieder“ und „Kein Fuß breit den Nazis“ kommen. Nein, Schweigen heißt nicht zustimmen. Aber manchmal kann ein Schweigen sehr beredt sein und sagt mehr als tausend Worte. Gerade bei Leuten, die ansonsten zu allen möglichen Themen den Mund auftun: angefangen beim Klima. Ach und da sind wir ja auch bei Greta Thunberg und bei FFF. (Es ist dieses Haltungsposting zwar von 2022, aber auch das spricht Bände.)

Und auch ansonsten aus einem bestimmten Miliue heraus: die ganze woke Scheißhausbande schweigt. Der Kulturbetrieb schweigt. Was macht eigentlich Daniel Bax? Wahrscheinlich schreibt er Artikel zur AfD – dahinter kann man sich prima verstecken. Hat Böhmermann schon eine Recherche zu den in Deutschland aktiven migrantischen, clankriminellen Netzwerken, die die Terrororganisationen Hamas und die Hisbollah mitfianzieren, angefangen? Wie sieht es bei den üblichen Verdächtigen aus, die bei jeder heruntergerissenen Regenbogenfahne sich zu Wort melden und noch bei der Frage „Woher kommst Du“ sich echauffieren?

Sobald diese Leute wieder aus ihren Verstecken gekrochen kommen, wenn es wieder opportun ist – spätestens bei den ersten Bildern aus Gaza werden sie es und sie werden Ursache und Wirkung mal wieder vertauschen -, sollten wir diese Leute an ihr allzu lautes Schweigen erinnern und es ihnen Tag für Tag vorhalten.

Man kann es nur mit dem klugen Hasnain Kazim schreiben:

„Wer unter denen, die zu Recht laut und deutlich Rechtsextremisten kritisieren, es nicht schafft, ebenso laut und deutlich Islamisten und muslimische Antisemiten zu kritisieren, möge bitte gern gänzlich die Klappe halten.“

Es gibt im Augenblick einen sehr guten Hashtag: #niewiederistjetzt. Und genau das trifft es.

Israel und Juden in Deutschland: Zwei Sätze heute morgen aus der Zeitung

„So habe in dieser Woche nur unter Polizeischutz die Flagge Israels als Zeichen der Solidarität vor dem Rathaus Neukölln gehisst werden können.“

„Nur in der Schule, wo er als Vertretungslehrer jobbt, lügt er nun manchmal über seine Herkunft. In der Willkommensklasse seien Menschen mit verschiedenen migrantischen Hintergründen. Wenn Schüler ihn fragen, ober er wirklich deutsch sei, verschweigt er seine israelische Staatsbürgerschaft. Nicht aus Angst, sagt Joel. Sondern, um vermeidbaren Konflikten aus dem Weg zu gehen.“
(Beides: Tagesspiegel vom 12. Oktober 2023, Berlinteil)

Diese beiden Sätze sagen alles über den Zustand, den wir in diesem Land haben. Daß israelische Staatsbürger und jüdische Deutsche Angst haben müssen, zu zeigen, wer sie sind. Ein jüdischer Fußballverein in Berlin, nämlich Oberligist TuS Makkabi stellt seine Spiele aus Sicherheitsgründen ein. Die interventionistische Linke, die gerne die Opfer sprechen läßt, ist bei jüdischen bzw. israelischen Opfern mehr als schmalllippig – aber in der simplen Logik dieser Gesellen sind Siedler ja gar keine Opfer, sondern können nur Täter sein. Aber vielleicht ist es bei dieser Linken genau so wie es der Buchtitel von David Baddiel sagt: „Jews don’t count!“ (Danke an Herwig für den Hinweis auf dieses Buch.) Und genau das vergiftet diesen ganzen linken Diskurs – die documente 2023 ist bestes Beispiel für eine entsetzliche Einseitigkeit und ein Blick, bei dem Juden nicht vorkommen.

Vielleicht ist die Rede, daß wir, also alle demokratisch gesonnenen Menschen, uns unserer Land zurückholen müssen, nun doch einmal angebracht. Den Aufschrei möchte ich erleben, wenn ähnliches wie jetzt passierte, weil Rechtsextreme hier in Deutschland lebende Juden oder eben ganz einfach jüdische Deutsche bedrohen. Danger Dan und K.I.Z. wären gar nicht mehr von der Bühne zu bekommen und auch die ansonsten immer so haltunsstarken Schauspieler, angefangen bei Iris Berben, würden laut ihre Stimme erheben und wir hätten am Samstag in Chemnitz, wo gestern erst hunderte arabisch-migrantische Antisemiten ihr Gesicht zeigten, oder in Berlin, wo jeden Tag auf der Sonnenallee der Aufstand der Unänständigen seinen Ort hat, erheblichen Protest und Kundgebungen. Hier aber: Schweigen, schweigen schweigen.

Vor allem haben wir ein Problem mit dem massiven Schweigen der sogenannten Kulturszene über jenen migrantischen Antisemitismus. Wo sind die Veranstaltungen gegen Antisemitismus – in diesem Falle migrantischer? Wo sind die Lichterketten? Wo ist der Aufschrei? Wir haben gegenüber Israel eine Verantwortung im eigenen Land: daß wir nie wieder es dulden, daß hier jüdisches Leben erstickt wird, daß in Deutschland auf Demos Araber, die hier wohnen und leben, „Juden ins Gas“ rufen oder aber schrecklichste Massaker von Barbaren feiern.

Über das, was hier in unserem Land geschieht und was ein (Groß)Teil der arabischen und türkischen Migranten denkt und was sie so machen: Darüber müssen wir reden. Und auch über eine seit Jahrzehnten falschen Integrationspolitik und über Moscheen, in denen Sachen gepredigt werden, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Susanne Schröter und auch Constantin Schreiber und ebenso Ahmad Mansour, Hamed Abdel-Samad und Seyran Ateş haben lange lange schon und immer wieder vor diesem migrantischen Milieu gewarnt. Und da waren dann immer gerne die Anbräuner unterwegs, die versuchten, das Hinweisen auf Probleme als antimuslimischen Rassismus abzutun. Und da haben wir all die Daniel Bax, die Max Czolleks, das Islamistenfangirl Kübra Gümüsay und viele mehr. Was mögen die im Augenblick wohl twittern oder blueskyen?

Das „Nie wieder“ ist eine Schönwetter- und Sonntagsparole, wenn es nichts kostet und wenn rechte Ausländerhasser und rechte Antisemiten auf die Straßen gehen. Gegen rechten Antisemitismus und Ausländerhaß zu sein, war einfach und bequem. Jetzt aber , bei jenem arabischen Antisemitismus Roß und Reiter zu nennen: Da knirscht es heftigst im Gebälk. Insofern muß dieser Slogan besser nun lauten: „Nie wieder ist jetzt!“ Und dem müssen Taten folgen. Wer hier in Deutschland erheblich den Rechstsfrieden stört und lediglich eine Duldung oder einen begrenzten Aufenthaltstitel hat, wer nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder eine doppelte: Da müssen auch juristisch Maßnahmen geschaffen werden, daß die Leute merken: Sie bekommen ein Problem.

Kennedy in Berlin: Jene historische Rede

Heute vor 60 Jahren, am 26. Juni 1963, hielt John F. Kennedy jene bekannte Rede vor dem Schöneberger Rathaus. Sie ist bis heute aktuell, sie ist zugleich eine Referenz auf die brutale Blockade Berlins durch Stalin 1948 – auch sie hat dieses Jahr ihr trauriges Jubiläum. Gefeiert wird dabei vor allem diese großartige Unterstützung durch die USA durch die Luftbrücke, und aus genau diesem Grunde sind die Amerikaner in Berlin bis heute beliebt – zumindest bei vielen Berlinern (den echten) der älteren Jahrgänge. Auch aus diesem Grund und zur Pflege von Gemeinsamkeiten ist es traurig und politisch fahrlässig, daß es das „Deutsch-Amerikanische Volksfest“ im schönen Zehlendorf nahe des US-Hauptquartiers an der Clayallee nicht mehr gibt. Wirtschaft schlug 2010 die Politik.

Auf diese Blockade, auf das Eingemauertsein rekuriert jene Kennedy-Rede, und sie zeigt, daß Freiheit nicht zum Nulltarif zu haben ist, sondern unsere dauernde Anstrengung braucht – auch in dem, was wir manchmal abschätzig Sonntagsreden nennen. Vor allem aber ist diese Kennedy-Rede rhetorisch brillant:

„I am proud to come to this city as the guest of your distinguished Mayor, who has symbolized throughout the world the fighting spirit of West Berlin. And I am proud to visit the Federal Republic with your distinguished Chancellor who for so many years has committed Germany to democracy and freedom and progress, and to come here in the company of my fellow American, General Clay, who has been in this city during its great moments of crisis and will come again if ever needed. Two thousand years ago the proudest boast was „civis Romanus sum.“ Today, in the world of freedom, the proudest boast is “ Ich bin ein Berliner.“
[…]
Es gibt Leute, die sagen, dem Kommunismus gehöre die Zukunft. Sie sollen nach Berlin kommen.
Und es gibt wieder andere in Europa und in anderen Teilen der Welt, die behaupten, man könne mit dem Kommunismus zusammenarbeiten. Auch sie sollen nach Berlin kommen.
Und es gibt auch einige wenige, die sagen, es treffe zwar zu, daß der Kommunismus ein böses und ein schlechtes System sei, aber er gestatte es ihnen, wirtschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Aber laßt auch sie nach Berlin kommen.

Ein Leben in Freiheit ist nicht leicht, und die Demokratie ist nicht vollkommen. Aber wir hatten es nie nötig, eine Mauer aufzubauen, um unsere Leute bei uns zu halten und sie daran zu hindern, woanders hinzugehen.
[…]
Die Mauer ist die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems. Die ganze Welt sieht dieses Eingeständnis des Versagens. Wir sind darüber keineswegs glücklich; denn, wie Ihr Regierender Bürgermeister gesagt hat, die Mauer schlägt nicht nur der Geschichte ins Gesicht, sie schlägt der Menschlichkeit ins Gesicht. Durch die Mauer werden Familien getrennt, der Mann von der Frau, der Bruder von der Schwester, und Menschen werden mit Gewalt auseinandergehalten, die zusammen leben wollen.“

In sehr einfachen Worten pointierte Kennedy das brutale System der Unterdrückung durch den Sowjetkommunismus der UdSSR. Und wir kennen alle das Ende dieser Rede:

„All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words ‚Ich bin ein Berliner!'“

Heute würde Kennedy etwas anderes sagen, nämlich „Ich bin ein Ukrainer!“ Die Freiheit des Westens, die Freiheit, scharfe Kritik am System zu üben, ohne morgen verboten, vergiftet oder eingesperrt zu sein, wird heute in der Ukraine verteidigt. Und dazu braucht es nicht nur Worte, sondern vor allem Waffen: von Flugzeugen bis hin zu Raketen, Schiffen und Panzern. Kennedys Rede ist auch im Hinblick auf Putin aktuell. Und es gibt nur eine Sprache, die solche Regime der Gewalt und des Terrors verstehen: die der Härte. Kennedy ist in der Kubakrise standhaft geblieben, und Chruschtschow war bereit zu verhandeln.

Maßstäbe setze, nebenbei, Kennedys Rede auch für weiteren Präsidentenbesuche aus den USA: für die Visite und die übliche Rede ein eingängiges, wenn nicht gar ein geflügeltes oder ein geistreiches Wort zu finden. Freilich ging das nicht immer gut. Der aus den 1920ern entlehnte oder dort zumindest prominent gewordene Satz „Berlin bleibt doch Berlin“ wirkt banal, erfreute aber damals in der geteilten Stadt sicherlich all jene Berliner, die da eingemauert waren. Kräftiger schon Reagans Worte im Jahr 1987: „Mister Gorbatschow, tear down this wall!” Und genau das geschah.

Bildquelle: bpb, und dort der Beitrag „Hoffnungsträger einer neuen Zeit“.