Neukölln (3)

 
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Dangerous Games – Gefährliche Spiele der Leidenschaft. (Neuköllner Skizze)

Gefahrenzonen Guter Titel, nicht wahr? Was erwarten Sie jetzt?: „Ich und sie und Onanie“? Nein? Na gut.

Ich lieferte auf „Aisthesis“ eine Serie mit Photographien zu dem Berliner Stadtteil Neukölln. Es folgen weitere Teile, aber ehrlich gesagt: Ich habe bisher  nicht viele Gebiete Neuköllns erkundet. Meistens mied ich diese Ecken. Wenn ich Reuterkiez oder Rollbergviertel hörte, da war mir um meine Kamera nicht wohl (ich trage an manchen Tagen rund 4.000 Euro am Leibe), obgleich ich mit Jugendlichen und Kindern aus – nennen wir es mal neutral – nicht so abgesicherten Verhältnissen eigentlich gut kann. Beim Squat Tempelhof 2009 (also dem Versuch, das Feld des ehemaligen Flughafens Tempelhof zu besetzen) geriet ich kurz mit solchen jungen Menschen aneinander, aber die Lage entspannte sich dann wieder. Auch habe ich bei dieser Demo in Neukölln Christian Ströbele photographiert. Dies tat ebenso ein Reporter vom Tagesspiegel. Mit einer ähnlicher Photographie wie ich sie fertigte, stand dann in der Online-Ausgabe des Tagesspiegels folgendes:

„Hans-Christian Ströbele von den Grünen ist auf der Seite der Demonstranten. Er stellt sich der Polizei in den Weg, um den Protestlern den Zugang zum Zaun zu erleichtern – vergeblich. – Foto: Heerde“

09_06_20_33 Nur waren die Umstände aber ganz andere. Ich stand eben daneben und konnte den Gesprächen lauschen. Ströbele verschaffte sich als Mitglied des Deutschen Bundestages rechtmäßig unter Vorzeigung seines Lichtbildausweises, wie es im schönen Behördendeutsch heißt, Zugang zu friedlich demonstrierenden Menschen, die von der Polizei festgenommen und sodann hinter die Polizeiketten gebracht wurden. Er beabsichtigte nicht zweihundert Gefährtinnen und Gefährten mitzunehmen. Zwei Bilder, zwei Geschichten. Die meine ist wahr. Der Tagesspiegel mußte sich korrigieren. Nachzulesen hier an dieser Stelle. Den von Herrn Bersarin photographierten Ströbele können geneigte Leserin, geneigter Leser sich an dieser Stelle betrachten.

Ja, so war das damals in Neukölln.

Mit Neukölln verbindet mich jedoch nicht nur die eine und die andere Demonstration oder Kneipennacht, sondern zu einer Zeit als die Blätter der Bäume noch grüner blühten, die Frauenbeine länger wuchsen, die Haare blonder schimmerten, als mein Elan größer ausfiel und das Wünschen noch geholfen hatte, wohnte eine Freundin in der Roseggerstraße – ein Viertel, das sich tief im Herzen Neuköllns befindet. Manchmal fuhr ich mit dem kleinen roten Auto zu ihr, um sie zu besuchen. Ich holte sie ab, wir machten Ausflüge, raus aus der Stadt, an die Spree, an den Wannsee. Als wir dann hinausfuhren oder zurückkamen vom Irgendwoher, und es standen oder gingen am Straßenrand in den Nebenstraßen immer diese arabischen, türkischen Jugendlichen, da sagte ich mit dem Einschlag des von anderswo aus Berlin Herkommenden, der sich besser glaubt, und im Tone der mir eigenen Überheblichkeit und Verachtung: „Das sieht hier aus wie in Ramallah!“ Und heiß war es zudem, wie in dem von der Welt abgeschnittenen Ramallah eben, der Asphalt flirrte unter der Sommerhitze, Summer in the City, gelungenes Klischee, nur eben in Ramallah. „Ja“, entgegnete C., „wie in Ramallah. Aber es ist schön hier.“

Nun wollte ich mit C. keinen Disput über die Schönheit samt ihrer siebenfachen Ausfaltung vom Zaune brechen, zumal sich die ontologische Dimension der Schönheit sowie ihrer Akzidenzien und Potenzen nicht in einem roten Auto, das durch die Straßen Neuköllns fährt, in denen sich arabische oder türkische Halbwüchsige tummeln, abschließend klären läßt. Also trat ich auf die Bremse, fuhr, um die Situation zuzuspitzen, rechts an den Straßenrand. Ich erklärte C., daß dieses kleine rote Auto von nun ab ein gepanzerter Jeep der israelischen Armee sei, und ich bin der Fahrer und sie die Richtschützin, da in der Zva haHagana leJisra’el, kurz: Tzahal nun einmal auch Frauen ihren Dienst tun. (Sowieso hatten es mir Hagana und Irun gleichermaßen als Jugendlicher seit dem Film „Exodus“ ziemlich angetan, damit sowas nie mehr wieder geschieht. Aber das ist nun ein anderes Feld und sollte die Fahrt durch Neukölln nicht weiter überschatten.)

C. lachte, wie es ihre Art war, und entgegnete: „Gut. Gerne. Und wie geht das Spiel?“ „Ich fahre, ich sage dir Ziele an, du wirst das Ziel anvisieren und dann darauf schießen. Du wirst nicht weiter fragen, sondern einfach schießen, weil es sich um Kämpfer der Al Fatah und schlimmer handelt! Und es ist dies auch kein Spiel!“, entgegnete ich im ernsten Befehlston eines Feldwebels. Es fuhr der Jeep und ich schrie am Steuer: „Auf ein Uhr Jugendlicher, Flasche in der Hand, Steinflug. Auf halb zwölf junge Männer mit Benzin!“ Das Maschinengewehr bellte durch die Straßen, wie IMI Negev-Gewehre nun einmal bellen. Steinhagel prasselte auf den Jeep. Da wir zudem mit dem Tränengas-Gewehr System Mauser 98 ausgestattet waren, öffnete Tura’i Rischon Clawdia bei voller Fahrt auf die Menge zu eine der Panzerlucken und gab die Salven. Weißer Rauch in den Straßen und hallende Schreie. Schüsse und Schluß mit der Intifada.

So fuhr seinerzeit in den letzten Jahren des letzten Jahrhunderts ein gepanzertes Fahrzeug der israelischen Armee durch Neukölln und streckte den arabischen Widerstand nieder. Es gibt nur wenige Frauen, die solche seltsamen Spiele witzig und spannend finden. C. gehörte zu diesen Frauen.

Beruhigt und aufgeräumt fuhren wir in Richtung Treptower Park, parkten den Jeep  und packten den kleinen Alugrill aus, den auch wir, wie all die anderen Griller, hinterher einfach auf dem Rasen stehenließen. Das leckere deutsche Rindfleisch und die Hühnerbeine schmeckten vorzüglich. Ein aus der Kühlbox gefischter Riesling rundete das reichhaltige Essen ab. Neukölln macht Spaß, Treptow auch.

Daily Diary (96) – 12:44:17, 12:44:45, 12:44:54

Diese drei Bilder liegen auf folgender Datums- und Zeitachse: 17. Februar 2013 (Berlin, Neukölln), 12:44:17, 12:44:45 und 12:44:54 Uhr. Einzusehen in den Metadaten, die in eine digitale Aufnahme eingeschrieben werden. Und insofern gebe ich diesen drei Bildern genau diese drei Titel. Es ist der Auftakt zu einer Neukölln-Serie, die demnächst hier im Blog folgt. In der Photographie bilden Zeit und Datum manchmal eine eigenwillige, eine spezielle Anordnung, die auf den Punkt paßt. Solche Anordnungen sind dem Zufall geschuldet, genauso wenn sich zwei Menschen treffen, die sich berühren. Dennoch entsteht ein zunächst lesbares Bild. In der Stimme überbetont, könnte ich schreiben: Das Wesen der Photographie ist immer die Zeit und das Es-ist-vorbei. Dieses eine Mal, dieses Datum. Während ich Drogen zu mir nehme, gehen die Zeiten und die Daten vorbei. Kloster Schulpforta im November. Virusinfektion. Die Weinflaschen. Jeder Punkt und jedes Zeichen. „Platons Pharmazie“. Stimmlich vernommen. In die Schrift gebracht. Jedes Bild, jeder Laut erzeugt einen Text. Supersonic.

 
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Unterbrechung des Standbildes durch das Bewegungsbild einer Tonspur zum Sonntag.
 

 

Und dazu eine ganze Schleife von Musikstücken, in die Nacht hinein gehört, von Holes „Nobody‘s Daughter“ über „Georgia on my Mind“ bis Placebos „Every you every me“. Es bleiben die Reste eines Datums.

 

Neukölln – Photographien

„Neukölln, du alte Hure“ so heißt ein Musikstück von Kalle Kalkowski. Und weiter im Text: „Neukölln, Niemandsland“. Dieses Stück ist ein Abgesang und zugleich eine Hymne auf Neukölln. Es beschreibt, wie es im Kiez zugeht oder teils auch: zuging: Rau und hart ist das Pflaster dort, und zwar in jeder Hinsicht. Vor noch zehn Jahren war es nicht ratsam, abends durch den Reuterkiez zu schlendern oder zu flanieren, wenn man nicht unbedingt mußte oder wer nicht die entsprechende Street Credibility besaß. Heute herrscht da eine Mischung aus szenigen Kneipen, Bars, Eckkneipen resp. Bierschwemmen, die vom Urneuköllner besucht werden, und türkischen sowie kurdischen Kulturvereinen. Alles dicht nebeneinander. Das hat durchaus seinen Reiz, birgt jedoch die Gefahr, daß ein Viertel teurer wird. Die Mietpreise Nordneuköllns, auch Kreuzkölln genannt, gehen in die Höhe. Allerdings, fatale Ironie: diejenigen, welche das beklagen und trotzdem in diese Bars oder aber, um dem zu entfliehen, in die traditionellen Eckkneipen gehen, sind lediglich die Vorreiter des Kommenden. So auch wir. Aber ich mag nichts zur Gentrifizierung schreiben und analysieren, das machen andere besser. Solange kein Ableger von Tim Mälzers „Bullerei“, keine Zweigstelle von Tim Raues Restaurant, kein Starbucks oder keine Filiale vom IndoChine dort ein Lokal eröffnen, ist es gut. Aber dies alles ist bloß eine Frage der Zeit, bis dann nach den Künstlern die ersten IT-Firmen und die Werber herziehen.

In der Nähe der Schönleinstraße am Kottbusser Damm kehrten wir bei einem Griechen ein, der zwischen den Spielsalons und den Imbissen herausstach. Das Essen war in Ordnung, der Wein schlecht (gibt es überhaupt guten griechischen Wein?) und die eine der beiden blonden Kellnerinnen war so geraten, wie ich mir eine blonde Frau vorstelle. Vor allem: lange Beine. Schon diese Reihung bedeutet in der Gleichung eine Verdinglichung vermittels des Blickes sowie des Vorstellungsvermögens. Ich habe der Kellnerin beim Bezahlen, als sie sich vorbeugte und der Kragen des T-Shirts Dinge freigab, in jenen Ausschnitt geschaut. Sowas macht man nicht. Doch ich gestehe: ich kann nicht anders, vor allem, wenn eine Frau jung und erotisch ist. Und ich sehe meine Fehler ein, um sie dann am nächsten Tag erneut zu begehen.

Demnächst werde ich – vielleicht – einen Text zum Prenzlauer Berg schreiben, um mit einigen Vorurteilen über dieses Viertel aufzuräumen und um andere Vorurteile wiederum festzuzementieren. Ich werde einen kleinen Spaziergang beschreiben, und es wird Photographien geben, so wie heute zu Neukölln: Neukölln bei Nacht.