Teil 3 der Serie: Ich zeige sieben Bücher, die sich in irgendeiner Weise mit Photographie beschäftigen und die mich prägten und faszinierten – seien das Bildbände oder aber Theoriebücher. Dies aber nicht stur sieben Tage hintereinander, sondern in loser Folge.
[Hier geht es zu Teil 1 (Time-Life-Bücher) und zu Teil 2 (Helmut Newton)]
Wer sich mit Photographie beschäftigt, sei es als Betrachter von Photos oder in der Praxis, wer photographiert, eigenen Bilder zeigt, Photos von anderen intensiver betrachtet und sich dazu Gedanken macht, wird am Ende auch um die Theorie der Photographie nicht herumkommen – allein deshalb, weil einem die eigenen Gedanken nicht mehr genügen und der Betrachter sich seine Perspektiven erweitern möchte. Solche Theorie beginnt basal bereits in der Dunkelkammer, über den Weg der Technik und des Wissens ums Machen, wenn der Jüngling oder das Girlie anfängt die eigenen Filme und die eigenen Bilder zu entwickeln. Man muß wissen, was man da mit der Chemie, im Entwicklerbad und am Vergrößerer tut und wie das geht – auch rein technisch. Was ist ein Negativfilm und wie funktioniert er? Was ist Photopapier, was ist eine Photographie und wie entsteht sie – physikalisch wie auch technisch? Und ähnliches gilt fürs Photographieren selbst, die ich in der Dunkelkammer abziehe, nicht nur die Seele in der Silberschicht, sondern die krude Chemie darin: wie lange belichte ich, welches Papier wähle ich, welchen Härtegrad? und so haben vermutlich Millionen von Menschen Ansel Adams Zonensystem studiert oder Klassiker der Bild-Komposition wie Harald Mante oder eine der bekannten Photoschulen gelesen. Wer weiß, wie es technisch geht, weiß am Ende auch, was er in der Landschaft oder auf der Straßensafari mit einer Kamera machen soll und wo man gekonnt eine Regel bricht und wo besser nicht, so daß durch diese Kombination von Phantasie, Können und Vermögen eben jene „Seele in der Silberschicht“ sich zeigt, die eine besondere Photographie ausmacht.
Ähnliches auch mit der Theorie. Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild? Nein, das ist es nicht. Eine Photographie von Jeff Wall, von Martin Parr, von Alfred Stieglitz oder von Joel Meyerowitz sind vier sehr unterschiedliche Arten mit Bildern umzugehen. Aber wie sich nähern, was lesen? Wer nicht gerade einen Lehrstuhl für Photoästhetik hat oder sich mit diesem Thema als Forscher und Wissenschaftler befaßt, wird über einige wenige Bücher kaum hinausgekommen sein: Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz, vielleicht noch seine „Kleine Geschichte der Photographie“ und Kracauers wichtige, aber nicht gut bekannte Schrift „Die Photographie“, ansonsten Roland Barthes „Die helle Kammer“, vielleicht noch ein Text von André Bazin und von Villem Flusser „Für eine Philosophie der Fotografie“. Aber schon Namen wie Douglas Crimp, Michael Fried und Rosalinde Krauss werden vermutlich nur noch den Theoriemenschen der Ästhetik etwas sagen.
Wer also ein Arbeiter des Details im Weinberg des Herrn ist oder wer solcher werden will und wer weit in die Geschichte der Photographie hineinblicken möchte, nämlich in ihre Anfänge Ende der 1830er Jahre, mithin ihrer „Erfindung“ – im eigentlichen Sinne gab es mehrere Erfindungen verschiedener photographischer Verfahren, die Welt und uns selbst realistisch und mittels der Sonne abzulichten – wer es also gründlich und im Detail mag, mit einem Theporie-Ausblick bis in die Gegenwart, der muß unbedingt zu dem von Wolfgang Kemp und Hubertus von Amelunxen herausgegebenen Bandes „Theorie der Fotografie. 1839-1995“ greifen. Dabei aber wollten die Herausgeber dieser vier Bände, die 2006 in einem kompakten Einzelband erschienen sind, „keine Quellensammlung der Theorie-Geschichte, sondern ein „Kompendium aktiver, aktivierender Aussagen“ entstehen lassen – also auch solche Texte von Leuten, die aus der Praxis kommen, werden gezeigt und dazu verschiedene, einander befehdende oder auch ergänzende Theoriestränge. Dabei geht es immer wieder, bis in die Gegenwart hinein, um die Frage, ob Photographie eine Kunst ist und auch, wie es um die Kunst des Realismus in der Malerei bestellt ist – verbunden durch das neue Medium Photographie, das die Verfahrensweise jene Malerei (Futurismus und Kubismus sind eben auch Reaktionen auf die neuen optischen Medien), erheblich tangierte und auch umgekehrt, indem um 1900 und darüber hinaus Photographien nun die Malerei nachahmten: so bei den Piktoralisten.
Dieses Verhältnis von Photographie und Malerei und die Bedeutung der neuen Reproduktionstechnik für die Malerei zeigt sich etwa in Baudelaires Text von 1859 „Die Fotografie und das moderne Publikum“, darin bereits die Frage aufgeworfen wird, die dann 75 Jahre später prominent Walter Benjamin umtreiben wird: wie nämlich durch die Entwicklung einer neuen Technik und dadurch, daß sich Bilder in der Zukunft durch jene Form der Reproduktion massenhaft verbreiten können, es um die Bildende Kunst selbst bestellt ist und wie also die Photographie als solch neues Reproduktionsmedium nicht nur eine unmittelbare und mittelbare Auswirkung auf die Kunst, sondern auch auf die Rezeption und die Vermittlung von Kunst haben wird: Denn nun können jene vom eigenen Wohnort weit entfernte Gemälde betrachtet werden, die z.B. in Museen hängen, zu denen im 19 Jahrhundert nicht jeder unmittelbaren Zugang hatte, weil Reisen nicht nur beschwerlich, sondern auch teuer war. Wer in Washington ein Gemälde aus dem Louvre sehen wollte, war nicht mehr nur auf die Repro im Kupferstich oder auf ein Abmalen angewiesen, sondern konnte damit rechnen, daß ein Bild auch auf einer Photographie anschaulich wurde, wenn auch noch nicht in Farbe. Zu dieser Frage der Bedeutung der Reproduktion ist im übrigen das Buch von Wolfgang Ullrich interessant: „Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen“ (Wagenbach Verlag, 2009).
Will man sich, von den Anfängen der Photographie bis zur Gegenwart, einen generellen und zugleich kompakten Überblick über Geschichte und Positionen der Photographie verschaffen, um dann in die Texte des einen oder des anderen Autor einzusteigen, dann stöbere und lese man in diesem kompakten und klugen Buch. (Glücklich, wer noch die vier Einzelbände besitzt, da diese doch etwas besser in der Hand liegen als der Klotz.) Wer freilich lieber einen schnellen Überblick zum Thema möchte, greife zu „Texte der Theorie der Fotografie“ aus dem Reclam Verlag oder auch Reclams „Kleine Geschichte der Fotografie“; und wer es im philosophischen Detail lesen will, dem sei von Peter Geimer die Einführung bei Junius empfohlen: „Theorie der Photographie“. Für die Fragen der Technik(geschichte), von der Daguerreotypie über das Negativ-Positiv-Verfahren des William Henry Fox Talbot bis hin zur Erfindung der Kleinbildkamera und des Kodakfilms und damit auch der modernen und vor allem schnellen und unauffälligen Photoreportage sei von Beaumond Newhall die „Geschichte der Photographie“ empfohlen (Schirmer/Mosel, zuerst erschienen 1937, dann erweitert 1982)
Mit dem Buch von Kemp/von Amelunxen jedoch wird man im Hinblick auf unterschiedliche Theorie-Aspekte zum Experten bis ins Detail und nicht nur fürs grobe und vor allem bekommt der Leser einen Überblick über die (Theorie)Geschichte des Faches. Den einzelnen Texten sind zudem kleine Kommentare vorangestellt. Man kann also anlesend, stöbernd und flanierend sich durch dieses Buch bewegen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Und dieses Lesen und dieses Wissen ist im Laufe der Zeit dann mehr als nur den Auslöser einer Kamera zu betätigen und mehr, als sich nur Bilder anzusehen, denn in diesem Buch gerät zugleich die Geschichte der Photographie in den Blick, auch in solchen Formen und Versionen, die für unsere Gegenwart und fürs Heute kaum noch vorstellbar sind: angefangen von der Größe der Aufnahmegeräte, mit denen man bis in die 1920er Jahre, als die ersten Kleinbildkameras auf den Markt kamen, sich kaum unauffällig bewegen konnte, so daß das, was wir heute als Straßenphotographie und als gelungenen Schnappschuß kennen, nicht möglich war. Auch dieses technische Wissen und das Wissen um die Möglichkeiten gehört zur Photographie. Ebenso wie der ästhetische Status und der ästhetische Schauer einer Photographie, sei es gesellschaftlich oder auch erinnerungspolitisch, wie das in unterschiedlichen Formen Benjamin und Barthes aufschrieben und wie es insbesondere Barthes in bezug auf das Berührtwerden durch eine bestimmte Photographie festhielt.