Drohnenangriff auf Moskau

Es ist seltsam: Jene Leute, die ansonsten hochverhalten, nein gar schweigsam bei jedem russischen Terrorangriff auf Kiew und andere Städte in der Ukraine reagieren, warnen und mahnen immer dann, wenn die Ukraine sich gegen Bombenterror zur Wehr setzt, daß dieser Krieg nicht eskalieren dürfe. Nun: Wer wie Rußland Wind sät, wird Sturm ernten. Hat irgend jemand die Briten 1940 gebeten, doch bitte nicht Nazi-Deutschland und seine Städte anzugreifen, weil solche Gegenwehr den Krieg eskalieren und die deutsche Bevölkerung aufbringen und nervös machen könnte? Ganz sicherlich nicht. Wer in einem Krieg Zivilisten bombardiert, so wie die Russen das tun, der muß damit rechnen, daß das, was gesät wird, als Ernte zurückkommt.

Auch das anfangs vor einem Jahr noch plausible Argument, daß mit solchen Angriffen auf Rußland die russische Bevölkerung näher an Putin heranrücken würde, ist nach über einem Jahr russischem Angriffskrieg nicht mehr valide. Denn diese Leute verehren Putin oder sie schweigen ganz einfach. Es ist eine Minderheit, die sich gegen das totalitär-faschistische System in Rußland zur Wehr setzt – und man kann es den Menschen nicht einmal verdenken. Denn wer demonstriert, landet für Jahre in einem Lager. Für Rußland selbst kann der Sturz Putins nur noch eine Befreiung bedeuten. Und da Rußland dieses Befreiungsschlag von alleine nicht vermag, muß also mit vielfältigen Mitteln nachgeholfen werden.

Gezielte Angriffe auf Rußland, im Guerilla-Modus, sind legitim, und es gibt im Politischen und in der Geschichte kaum einen Grund, den Feind, der einen brutal angreift, vorher zu fragen, ob man wohl auch zurückangreifen dürfe. Und ansonsten ist es in diesem Falle ratsam, daß Putin seine eigene Medizin zu schmecken bekommt: abstreiten, lügen, verschleiern. Vranyo läßt sich auch umdrehen. „Was ukrainische Freischärler in Belgorod? Wir doch nicht! Das sind innerrussische Konflikte. Wie auch die Drohnen über Moskau.“ Es ist wie mit den russischen Marsmännchen, die 2014 plötzlich auf der Krim auftauchten und wie mit der russischen Armee im ukrainischen Donbas, die es dort 2014 angeblich gar nicht gab und wo Putin frech Merkel und Hollande ins Gesicht log. Mit Schurken ist es sinnlos ehrlich zu spielen. Das war bei Hitler so und das ist, wenn auch in manch anderem Kontext, auch bei Putin ähnlich. Nun bekommt der blutige Lurch seine eigene Medizin zu schmecken. Wer Kinder, Frauen und Männer eines souveränen Staates attackiert und umbringt, der muß damit rechnen, daß es hier einen Rückkoppelungseffekt gibt. Und wenn Russen nicht gegen diesen Krieg auf die Straßen gehen, dann müssen sie damit rechnen, ebenfalls Opfer zu werden. An Putin ist es, die Logik dieser Eskalation zu beenden. Denn er hat sie schließlich angefangen.

Kaliningrad umbenennen!

Sehr richtig machen es die Polen, die nun auf ihren Karten die russisch besetzte Enklave Kaliningrad in Krolewiec umbenennen wollen. Auf t-online heißt es:

„Wir wollen keine Russifizierung in Polen, daher haben wir beschlossen, Kaliningrad und seine Region in unserer eigenen Sprache zu nennen“, erklärte Entwicklungsminister Waldemar Buda am Mittwoch.“

In Deuschland sagen korrekterweise viele immer noch Königsberg, so auch ich, denn Kant, Herder und E.T.A. Hoffmann kamen ganz sicherlich nicht aus Kaliningrad oder studierten und lehrten dort, sondern diese schöne und durch deutschen Wahnsinn zerstörte Stadt hieß und heißt: Königsberg – so wie der Chef der Tatortkommissare Schimanski und Thanner. Und es ergibt auch keinen Sinn, eine Stadt nach einem Schurken namens Michail Iwanowitsch Kalinin zu benennen, der unter dem Massenmörder und Diktator Stalin diente und dort für Terror und Vernichtung verantwortlich war – so auch für die sowjetischen Massaker in Katyn an den Polen. Wir würden wohl sicherlich auch keine Ortschaft mit dem Namen Rudolf-Hess-Stadt uns wünschen. Also schreiben wir von nun an wieder, wie es richtig heißt, Königsberg. So wie ich das bereits seit Jahrzehnten mache.

Der Name Kaliningrad ist ein Import aus stalinistischer Ära, und wir alle sind viel zu lange auf das sowjetische Befreiungsnarrativ hereingefallen, dem es eben nicht nur um Befreiung ging, sondern darum eine totalitäre Ordnung in den von nun an sowjetisch okkupierten Gebieten zu installieren.

Gerne übrigens können die Polen diese Region übernehmen. Nach dem Zusammenbruch Rußlands vielleicht. Ich bin inzwischen ein richtiger Fan von NATO-Imperialismus und ich hoffe inzwischen sogar, daß die Verschwörungsunternehmer Daniele Ganser, Dirk Pohlmann und Ken Jebsen mit ihren geschäftstüchtigen Insinuationen und ihrem Geraune recht haben. Unsere Divise gen Moskau: Mehr Ramstein wagen oder Ramones-Platten auflegen.

Rußland, die Hyperschallraketen und die „Friedens“freunde

Im Grunde ist es sehr einfach, diese Hyperschallraketen abzuschießen, die uns von den Rußlandfreunden entweder mit angstzitternder oder vor Bewunderung tremollierender Stimme als die neue V3 gepriesen wurden (V3 frei von Herwig gestohlen). Es bedarf dazu nur eines intelligenten Abwehrsystems, das die Kinschal auf dem Radar verfolgt. Das System errechnet, an welchem Punkt bei Mach 10 die Hyperschallrakete zum Zeitpunkt X eintreffen wird, es registriert auch Abbremsungen und Richtungsänderungen und genau so programmiert, setzt sich dann das Abwehrgeschoß, kurz bevor die Kinschal ihr Ziel erreicht, in Bewegung. Rußlands Hyperschallraketen sind teuer, aber bei guter und intelligenter Flugabwehr auch wirkungslos.

Und im Blick auf unsere „Friedens“freunde, für die Waffenlieferungen von Übel sind und die den Krieg angeblich nur noch mehr eskalieren lassen: Wie wohl sähe Kiew heute aus, wenn es nach dem russischen Bombenterror in der Nacht zu Dienstag keine Patriot-Raketen und keine Gepards gäbe? Mit einem normalen Verstand kann man sie sich selber beantworten. Aber zu diesem normalen Verstand sind diese Leute entweder nicht in der Lage, solches nennt sich dann Dummheit, wenn man von der Urteilskraft keinen Gebrauch zu machen vermag. Oder aber es sind diese Friedensfreunde das, wofür ich sie eher halte: Putinpropagandisten.

Mein Ceterum Censeo: Haben die deutschen „Friedens“freunde und Pazifisten schon ihre Großdemonstration vor der russichen Botschaft veranstaltet angesichts des russischen Bombenterrors gegen Zivilisten oder haben sie die Botschaft mit einer Menschenkette blockiert? Daß sich diese Friedensfreunde natürlich nicht nach Kiew begeben, um mit Menschenketten die Wohnviertel oder Krankenhäuser zu schützen, so wie einige dies weiland bei der US-Invasion im Irak taten, kann ich sogar noch nachvollziehen. Denn das wissen jene „Friedens“freunde so gut wie alle anderen auch, daß die Russen wohl kaum auf diese Leute irgend eine Rücksicht nehmen würden.

Ohne westliche Waffen wären solche Bilder wie dieses aus Kiew undenkbar. Und ohne westliche Waffen wäre die Ukraine heute der Vasallenstaat Putins: Verschleppungen, Folter, Hinrichtungen, Kinderentführungen inklusive und dazu noch Putins Extradisziplin: die Vergiftung von Dissidenten. Dazu morgen mehr.

8. Mai: Tag der Befreiung – 9. Mai 2023: Rußlands Tag der Schande

Der 9. Mai ist in Rußland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion der Tag der Befreiung vom Faschismus und auch in Berlin wird er ritualisiert begangen – wobei ich nichts gegen Rituale habe, sie sind auf verschiedenen Ebenen, nicht nur der symbolischen, wichtig: ob dies nun Gottesdienste sind, Gedenkveranstaltungen, Krönungen von Königinnen und Königen oder die Vereidigung von Bundeswehrsoldaten samt Großem Zapfenstreich. Oder eben jene Kranz- und auch Besuchsrituale an den drei sowjetischen Ehrenmalen in Berlin.

Inzwischen aber ist dieser 9. Mai zugleich einer von vielen Tagen der russischen Schande, solange, seit dem 24. Februar 2022, eine russische Soldateska in der Ukraine wütet und Menschen tötet und mit Bombenterror ein Volk zu demoralisieren versucht. Putins imperialistische Feier zum 9. Mai und sein Zurschaustellen einer Größe, die als Makulatur sich erwies, ist schon aus diesem Grunde ein Betrug, weil es jenes Land, das mit erheblicher Unterstützung der USA den Sieg über Nazideutschland errungen hat, seit 1991 nicht mehr gibt, nämlich die Sowjetunion, eine blutige Diktatur und im Hitler-Stalin-Pakt samt dem geheimen Zusatzprotokoll zugleich Täter und, wenn man es rigide interpretieren will, Mitinitiator des Zweiten Weltkrieges: betrogener Betrüger am Ende.

Und wer von der Sowjetunion und ihren in der Tat erheblichen Opfern spricht, der muß allerdings auch Katyn sagen: als im März 1940 die Sowjets in den von ihnen besetzten polnischen Gebieten jene polnische Elite und polnische Militärs umbrachten: erschossen, per Genickschuß und in der Erde verscharrt. Nur einige wenige, wie der polnische Maler und Autor Józef Czapski, entgingen dem Massaker von Katyn; Czapski landete in einem der sowjetischen Konzentrationslager. Unbedingt lesenswert ist jenes Buch „Proust. Vorträge im Lager Grjasowez“ (2006 bei der Friedenauer Presse erschienen). Czapski hielt jene Proustlesungen in einem der Lager Stalins, um bei Verstand zu bleiben und sich und die anderen Menschen zumindest durchs Denken am Leben zu erhalten.

All diese Aspekte gehören zum 8./9. Mai mit dazu. Es ist für Westeuropa einerseits ein Tag der Befreiung gewesen, für die Deutschen der Tag der Niederlage, darin zugleich, zumindest für Westdeutschland, die Möglichkeit zur Freiheit lag und damit also zumindest implizit ein Tag der Befreiung. Für ganz Ost- und Mittelosteuropa sowie für den östlichen Teil Deutschlands jedoch war es ein Tag, der keine Befreiung brachte: es war der Übergang von einer Diktatur in die andere. Denn keineswegs bedeutete der Sieg über den Faschismus für die Länder des Baltikums, für Polen und Tschechoslowakei Freiheit und Unabhängigkeit. Und auch die USA und Großbritannien trugen in der Konferenz von Jalta das ihrige dazu bei. Insofern gibt es gute Gründe, weshalb die baltischen Länder, die Ukraine, Polen und Tschechien sowjetische Ehrenmale entfernten oder aber wie in Kiew umänderten.

Was nun die T-34-Panzer am Ehrenmal an der Straße des 17. Juni betrifft, so sollten diese Panzer und die Artillerie mit Tüchern schwarz verhüllt sein, solange die Russen in der Ukraine Terror ausüben und Zivilisten töten. Schließlich war es immerhin möglich, die damalige Charlottenburger Chaussee, an der das Ehrenmal 1945 erreichtet wurde, in „Straße des 17. Juni“ umzubenennen, nachdem eben jene T-34-Panzer den Arbeiteraufstand gegen das Ulbricht-Regime in der DDR niederwalzten. Insofern wäre also eine temporäre Umwidmung denkbar. Diese sowjetischen Panzer sind nicht nur Symbol für den Verteidigungskampf der Sowjetunion und ihrem Sieg über Nazideutschland (dank Unterstützung der USA), sondern ebenso steht dieser Panzer als Sinnbild für die Unterjochung der Völker Mittelosteuropas: von der brutalen Niederschlagung des Arbeiteraufstands am 17. Juni in der DDR, über den Einmarsch in Ungarn 1956 und die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Und immer mußten all jene Regime, die unter der Aufsicht Moskaus standen – im Warschauer Pakt war man per Zwang, in der NATO freiwillig (nebenbei und was gerne vergessen wird) – immer und zu jeder Zeit gewärtig sein, daß bei der kleinsten Abweichung Sowjetpanzer im Land standen: wie in Polen, als Wojciech Jaruzelski von 1981 bis 1983 das Kriegsrecht verhängte, um dem Einmarsch der Sowjets zuvorzukommen. Der Hintergrund waren die Proteste der ersten freien Gewerkschaft Solidarność und der Demokratiebewegung. „Lieber Jesus im Herzen, als Marx im Arsch“ schrieb damals Wolf Biermann treffend und war fortan bei der konkret-Linken (und nicht nur bei der) nicht mehr so wohl gelitten. Und da ich als damaliger Linker Biermann seit jungen Jahren sehr geschätzt habe und schon aus diesem Grunde dem Ostregime und der DDR nichts abgewinnen konnte, so erwies sich auch dieser Satz als evident und richtig. Als Drohung hingen immer wieder jene Panzer über den Ländern, die in der Gewalt Moskaus standen. Der Name „Straße des 17. Juni“ erinnert daran. Und auch daß dieser Tag in der alten Bundesrepublik ein offizieller Feiertag war.

Und auch im Blick auf den gegenwärtigen Krieg Rußlands gegen die Ukraine ist ein angemessenes Gedenken nicht mehr möglich, zumal dieser 8./9. Mai von Putin imperialistisch instrumentalisiert wurde und wird – so auch heute wieder, solange nicht, so Gott will, ein paar Drohnen diese Feierlichkeit stören: losgesandt vom Kommando Mathias Rust. Solange russische Soldaten und russische Panzer in der Ukraine Krieg gegen ein souveränes Land führen, solange in der Ukraine Kinder nach Rußland verschleppt und Menschen deportiert werden, sollte in Deutschland an jenen Ehremmalen auch an diesen Krieg erinnert werden. Zur Lage in der Ukraine schrieb die WELT am 7. Mai:

„‚Einen würdigen Platz in unserer russischen Familie‘ werde die ukrainische Region Cherson einnehmen, sagte der russische Vize-Regierungschef Marat Chusnullin 2022 bei einem Besuch in dem besetzten Gebiet. Weil der Großteil der Ukrainer daran allerdings nicht interessiert ist, setzt Russland immer mehr auf Zwang, um die Menschen in den eroberten Regionen an sich zu binden.

Nach Informationen des britischen Verteidigungsministeriums wurde den Bewohnern in den noch russisch besetzten Teilen der Oblast Cherson östlich des Dnipro ein Ultimatum gesetzt: Wer bis zum ersten Juni keinen russischen Pass angenommen habe, der solle enteignet und deportiert werden.
[…]
Damit setzt Russland auf eine Strategie, die es bereits 2014 auf der annektierten Halbinsel Krim und seit 2019 auch in den Regionen Luhansk und Donetzk angewandt hat. Laut der Zeitung „Kyiv Independent“ hat Russland seit 2019 eine Million Pässe auf ukrainischem Territorium ausgestellt. Auf die Krim wurden zusätzlich Hunderttausende Russen angesiedelt. Offiziell nennt Moskau das Verteilen russischer Pässe eine „humanitäre Maßnahme“.
[…]
Tatsächlich sehnen sich die meisten, die das Pass-Angebot annehmen, in erster Linie nach Stabilität und finanzieller Sicherheit, sagt der Ukraine-Experte Mattia Nelles zu WELT AM SONNTAG. Nelles hat lange für eine Stiftung in der Ukraine gearbeitet und hat Verwandte in der Region Luhansk. Sozialleistungen, Gehälter und Stellen seien in den besetzten Gebieten an den russischen Pass geknüpft – wer keinen hat, werde in vielen Fällen nicht bezahlt.“

Es ist die immergleiche Methode, schon 2014 auf der Krim und dann im selben Jahr im Donbas. Und weiter heißt es im Text:

„Die wahrscheinlich perfideste Russifizierungs-Maßnahme ist die systematische Verschleppung ukrainischer Kinder. Unter dem Deckmantel medizinischer Hilfe wurden Tausende Kinder nach Russland gebracht, wo sie anschließend durch Umerziehung ihrer Heimat entfremdet werden sollen. Der ukrainischen Regierung zufolge sind mindestens 19.000 Kinder betroffen.

Laut einem UN-Bericht verstößt dies „gegen internationales humanitäres Recht und kommt einem Kriegsverbrechen gleich.“ Der Internationale Strafgerichtshof erließ deswegen einen Haftbefehl gegen den Wladimir Putin und gegen Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte.“

Solange Kinder und Erwachsene nach Rußland verschlepppt, Menschen gefoltert und Zivilisten auf offener Straße erschossen werden, bleibt der 9. Mai der Tag der russischen Schande.  Wieweit man solche Feierlichkeiten in Deutschland wird unterbinden können, ist eine juristische Frage. Richtig ist es aber, daß die russischen Fahnen und Georgsbänder auf solchen Veranstaltungen verboten sind. Und unbedingt ist auch darüber nachzudenen, die Panzer und die Artillerie des sowjetische Ehrenmals im Tiergarten zu verhüllen, solange Rußland völkerrechtswidrig Teile der Ukraine besetzt. Vielleicht mit der Ukrainischen Flagge. Erinnerungsrituale haben immer auch etwas mit konkreter Erinnerungspolitik zu tun. Im 2. Weltkrieg war die Sowjetunion Täter und Opfer in einem und zudem unter Stalin eine blutige Diktatur, die in ihrer Brutalität Hitler in nichts nachstand. Und  zugleich war es das Land,  das die höchsten Opferzahlen aufwies.

Wenn eine Gestalt wie Putin die Erinnerung an den 2. Weltkrieg derartig instrumentalisiert, um den eigenen Imperialismus zu rechtfertigen, dann gewinnen auch solche Mahnmale und die zelebrierten Feierlichkeiten eine neue Dimension – zumal wenn sie von Putin derart mißbraucht werden, so zeigt dieses Verhalten Rußlands, daß es nicht ums Gedenken und Erinnern an die Toten des Krieges geht. Man sehe nur, wie der 9. Mai in Rußland schon lange nicht mehr im Zeichen des 2. Weltkriegs und der verschiedenen Sowjetvölker steht, sondern es wird an diesem Tag Putinscher Raschismus und russischer Nationalismus abgefeiert, Erinnern und Eingedenken werden von Rußland und in Deutschland von jenen Putin-Freunden instrumentalisiert. Der 24. Februar 2022 hat auch die Qualität des 9. Mai und damit die Rituale an jenen sowjetischen Ehrenmalen grundlegend verändert.

Photographie: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

World Press Photo 2023 „Mariupol Maternity Hospital Airstrike“: Putins Tote

Das Kind, das diese Mutter im Leib trägt, wurde tot geboren. Die Mutter starb kurz nach der Geburt. Als der Photograph Evgeniy Maloletka dieses Bild schoß, wußte er noch nicht, was mit dem Kind und was mit der Frau geschehen würde. Die Frau heißt Iryna Kalinina, das Baby sollte Miron heißen. Iryna Kalinina wurde 32 Jahre alt. Diese Photographie und die dazu zu erzählende Geschichte zeigen in nuce das Grauen, das Putin über Europa bringt. Es ist eine dieser Photographien, die wir niemals im Leben vergessen, und ebensowenig die Geschichte die hinter dieser Photographie steckt. Sie ist unwiederbringlich mit Rußlands und mit Putins Terror verbunden. Wir nenne solche Bilder ikonisch, so wie jenes neunjährige Mädchen beim Massaker vom My Layi in Vietnam oder die Photographie jenes Jungen im Warschauer Ghetto. Doch hinter all diesen Bildern stehen vor allem Geschichten.

„Mein Name ist Iryna Kalinina, und ich werde dieses Jahr Mutter.

Ich bin als Einzelkind in einem Dorf bei Mariupol aufgewachsen und als Erwachsene in die Stadt gezogen.

Ich liebte meine Stadt am Meer und machte lange Spaziergänge zu meinem Lieblingstheater, in die Nähe der Moschee und vor allem zum Pier, wo ich den Ostwind in meinen Haaren und die Gischt des Wassers auf meinem Gesicht spüren konnte.

Im Jahr 2021 zogen wir in eine größere Wohnung, weil sich etwas Wunderbares ereignet hatte. Wir bekamen endlich ein Baby, nachdem wir es jahrelang versucht hatten. Wir begannen mit der Renovierung eines Kinderzimmers.

Am Nachmittag des 9. März schlug ein russischer Luftangriff im Innenhof ein, direkt vor meinem Fenster. Die Druckwelle ließ das Glas zerspringen, Ziegelsteine in den Raum fliegen und die Decke auf mein Becken und meinen Kopf krachen. Die Rettungskräfte brauchten 30 Minuten, um mich in den Trümmern zu finden, mich auf eine Armeetrage zu heben und die enge Treppe hinunterzutragen.

Tötet mich jetzt, sagte ich den Ärzten. Ich werde nicht überleben, wenn ihr meinen Sohn nicht retten könnt. Meinen Miron. Sie konnten Miron nicht retten und sie konnten mich nicht retten.

Ivan suchte in dieser Nacht überall nach mir. Am nächsten Tag sagten sie ihm, er solle bei den Toten suchen. Und da hat er mich gefunden, in einem nummerierten Sack mit anderen undokumentierten Toten.

Zuerst hat er mich nicht erkannt. Er wollte mich nicht erkennen.“

Maloletka sollte man im übrigen unbedingt auf Instagram folgen, um sich ein Bild von den russischen Greultaten und Kriegsverbrechen zu machen.

Diese Photographie zeigt, daß Rußland bei der Bombardierung von Zivilgebäuden und Krankenhäusern nicht einmal vor Kindern halt macht. Zu all dem schweigt die „Friedens“bewegung. Kein einziges Schild mit der Aufschrift „Russen raus aus der Ukraine!“

Christian Gruber schrieb auf Facebook:

„Der Vorwurf des systematischen Mordes an der ukrainischen Zivilbevölkerung wird durch jede neue Aussage von gefangenen russischen Kämpfern bestärkt. Aktuell kursieren die Aussagen von zwei Angehörigen der Söldnertruppe Wagner, bei denen es auch um den Mord an Kindern geht.

In den besetzten Gebieten herrscht Willkür und der pure Wahnsinn.“

Jene Putinfreunde, jene Jebsens, Röpers, Pohlmanns und andere „Friedens“freunde, die bei Twitter unter dem Hashtag #NichtmeinKrieg ihre Rußlandpropaganda verbreiten, kann man nur entgegnen: Stimmt, es ist nicht euer Krieg! Denn ihr werdet nicht von Russen bombardiert, eure Kinder werden nicht von Russen verschleppt, eure Frauen werden nicht von Russen vergewaltigt, eure Freunde nicht von Russen gefoltert. Und nein: an all dem sind weder die USA, noch die NATO schuld. Denn nicht die NATO und nicht die USA morden, vergewaltigen und plündern in der Ukraine, sondern ganz normale Russen. Kinder- und Menschenverschleppungen gibt es für Gratis.

Photographie: © Evgeniy Maloletka, Associated Press

Heute vor 80 Jahren: Der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto

Am 19. April 1943 begann der Aufstand der im Warschauer Ghetto internierten Juden – nicht zu verwechseln mit dem Warschauer Aufstand von 1944. Wenn man das heutige Warschau besucht, ist dieses Ghetto einerseits unsichtbar, weil Warschau von den Deutschen derart zerstört wurde und doch ist dieses Ghetto andererseits und wenn man sehen will, zugleich auf jedem Schritt in dieser Stadt präsent. Wie auch das einstmals jüdische Leben dort.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, schreibt heute im „Tagesspiegel“:

„Die Beschäftigung mit der deutschen Geschichte, zumal mit der Zeit des Nationalsozialismus, glich in Deutschland in weiten Teilen einer Art Selbstbeschäftigung. Wer kann es den Generationen des Wirtschaftswunders, des Kalten Krieges oder der Wiedervereinigung verdenken? Im Vordergrund stand die mühsame Auseinandersetzung mit der eigenen Täterschaft, zumindest in der Bundesrepublik ab den 1960er Jahren.

Eine selbstbestimmte jüdische Identität, die über die Opferrolle hinausgehen konnte, passte kaum in die zum Teil radikale „Bewältigung“ der eigenen Vergangenheit. Und die jüdische Welt selbst war sprachlos, zu sehr damit beschäftigt, sich nach dem Horror der Schoa neu zu finden. Wen interessierte es also, dass zum Beispiel Willy Brandt 1970 vor dem Mahnmal des Ghetto-Aufstandes in Warschau kniete, wenn sich daraus geschickt ein Symbol der deutsch-polnischen Versöhnung stricken ließ.“

Diesen zuletzt genannten Aspekt fand ich den interessantesten: das wußte und weiß kaum jemand, an welchem besonderen Ort Willy Brandt damals niederkniete, und das Regime in Polen ließ 1970 bei dieser Geste der Versöhnung jene Juden weitgehend außen vor, und auch in der BRD im öffentlichen Diskurs war dieser Ort der aufständischen Juden, die sich wehrten, allenfalls am Rande ein Thema: zu sehr waren wir mit der Versöhnungspolitik mit dem Machtbereich des Ostblocks beschäftigt, zu sehr war Deutschland mit sich beschäftigt.

Und weiter heißt es bei Schuster:

„Wir befinden uns in einem erinnerungspolitischen Wandel, der erfahrungsgemäß gleichermaßen Gefahren wie Chancen in sich birgt. Der Übergang in eine Zeit ohne Zeitzeugen der Schoa wird unseren Blick auf die Vergangenheit und wie wir erinnern und gedenken spürbar verschieben. Wir erleben dies an neuen Debatten über die Einzigartigkeit der Schoa, die wir vor mehr als 30 Jahren für entschieden glaubten. Oder wir spüren auch, wie einige postkoloniale Theorien mit grober Radikalität benutzt werden, um den Schutzwall gegen jede Form von Antisemitismus, ein konstitutives Element dieses Landes, einzureißen.“

Wer für die Gegenwart über Antisemitismus spricht, der darf auch vom arabischen Antisemitismus nicht schweigen, vor zwei Wochen erst, am Ostersamstag wieder in Berlin zu sehen, wo auf einer Araberdemo antisemitischen Parolen gegrölt wurden. Von Leuten, die seit Jahrzehnten mitten in Deutschland leben. Der Schoß ist fruchtbar noch. Und wer dabei wegsieht oder beschönigt, löst dieses Problem nicht.

In diesem Sinne bedeutet der Blick in die Vergangenheit zugleich auch, auf die Gegenwart zu schauen: egal ob rechtsextremistischer Antisemitismus, egal ob rechtskonservativer im AfD- und Schnellroda-Milieu, egal ob jener Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft heraus – noch im Deutschland der 1990er Jahre erinnere ich mich gut an jene Redewendung „Bloß keine jüdische Hast!“. Egal also von wo, egal ob linker und linksextremistischer oder arabischer oder postkolonialer Antisemitismus; keine dieser Formen ist hinzunehmen. Erst zuletzt wieder jene antisemtischen Machwerke auf der documenta 2022 haben gezeigt, daß Antisemitismus und Judenhaß keine Angelegenheit ist, die sich nur im rechtsextremen oder im rechtskonservariven Milieu abspielt.

Warschau, im Juli 2012

Ostermärsche und „Friedens“bewegung

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wenn Pazifismus bedeutet, daß das Recht des Stärkeren sich durchsetzt, dann ist diese Haltung kein Pazifismus, sondern unverhohlene Parteinahme für einen Aggressor – in diesem Falle Rußland, das ein souveränes und friedliches Land überfallen hat. Solches Verhalten hat weder mit Frieden noch mit Pazifismus irgend etwas gemeinsam. „Frieden schaffen ohne Waffen“ ist in solcher Konstellation im besten Falle und in freundlicher Auslegung naiv bis dumm. Und wenn man mit Vernunft und Verstand diese Sache betrachtet, so ist diese Parole nichts weiter als entsetzliche Propaganda für den russischen Angriffskrieg. Die einzigen, die Frieden ohne Waffen schaffen könnten, wären die Russen, indem sie sich umgehend aus der Ukraine zurückziehen, die Kriegshandlungen einstellen und mit den Verhandlungen beginnen. So würde in der Tat Frieden ohne Waffen geschaffen. Von dieser Forderung aber haben wir bei der „Friedens“bewegung und auch bei all jenen, die wie Alice Schwarzer, Erich Vad, Sahra Wagenknecht oder Teile der SPD-Riege ihre Appelle schreiben, noch nichts gehört.

Und hat irgendwer auf diesen „Friedens“märschen irgendein Plakat mit der Aufschrift „Rußland raus aus der Ukraine!“ gesehen? Vermutlich nicht. Anders als bei solchen Kriegen, an denen die USA beteiligt war: in solcher Lage war auch die sogenannte Friedensbewegung schnell mit solchen Slogans am Start. Im Falle Rußlands aber: nicht einmal mehr eine Äquidistanz, allenfalls ein oder zwei Alibisätze. Wer, wie die Friedensbewegung, schwere Kriegsverbrechen bis hin zu genozidalen Aktionen Rußlands deckt – die Verschleppung von Kindern gehört nach der Auffassung der UN zu den genozidalen Praktiken, um ein Volk auszulöschen -, der muß sich dieses Verhalten zurechnen lassen. Lumpenpazifismus, wie Sascha Lobo letztes Jahr schrieb, ist für jene Leute, die da an den Ostertagen auf die Straße gingen, eine freundliche Umschreibung. Auf alle Fälle aber ist solche Haltung, die da öffentlich auf der Straße zu Schau getragen wird, schäbig. Wer bei solchen Demonstrationen mitläuft, muß sich dieses Mitläufertum zurechnen lassen. Und da hilft auch eine vermeintlich gute Absicht nichts. (Eine Absicht, die man im besten Fall als Naivität bzw. Dummheit interpretieren kann.)

Und auch diese schon einmal gezeigte Karikatur bringt den Irrsinn derer, die meinen, mit einem Aggressor und notorischen Lügner wie Putin verhandeln zu können, gut auf den Punkt.

Wer nach über einem Jahr russischem Angriffskrieg und den vielfältigen Möglichkeiten, sich durch Bücher zu informieren, dies nicht getan hat, um auf dem Stand des Wissens zu sein, der muß sich dem Vorwurf aussetzen, vor den russischen Verbrechen und vor dem russischen Angriffskrieg nicht nur seine Augen zu verschließen, sondern diesen auch explizit zu billigen. Schweigen heißt zwar nicht zustimmmen. Doch wenn dieselben Leute, die ansonsten bei der Kritik an den USA und ihren Praktiken immer vorne mit dabei waren – und hier meine ich nicht einmal Verschwörungsunternehmer wie Daniel Ganser, Ken Jebsen, Dirk Pohlmann oder Mathias Bröckers, sondern ganz normale Menschen, die sich für links halten: wenn also diese Menschen nun bei Rußland schweigen oder aber relativierende „Entschuldigungen“ finden, dann heißt das, einen doppelten Standard zu installieren.

Mit Putin ist nichts zu verhandeln, solange er diesen Krieg in dieser Weise führt. Frieden kann in diesem Fall nur mit Waffen Gestalt gewinnen, um auf einen Aggressor maximalen Druck auszuüben. Eine Friedensbewegung, die sich diesem Dilemma nicht stellt und in die Reflexion nimmt, muß sich nicht nur dem Vorwurf intellektueller Unterkomplexität aussetzen – dieser wäre in diesem Fall noch der harmlosere. Unwissenheit und Dummheit kann man abstellen, indem man sich informiert. Wer jedoch, wie Wagenknecht, Lafontaine und Sevim Dağdelen, bewußt täuscht, der muß damit leben, als Propagandist und Botschafter Putins tituliert zu werden. Und dies gilt auch für große Teile der „Friedens“bewegung. Zu recht ist solche Art von Propaganda in der Versenkung verschwunden.

Der Wunsch nach Frieden ist eine menschliche und mehr als richtige Hoffnung. Wenn dieser Wunsch jedoch an die falschen adressiert ist, so wird er pervertiert und gerät zum Hohn für die Opfer russischer Aggression und russischen Terrors.

Im Reigen der Abschweifungen oder worin Habermas falsch liegt. Ein Plädoyer für Realismus

Einmal wieder, wie bereits nach dem ersten Friedensaufruf im März 2022, hat Jürgen Habermas einen Essay, einen langen zudem, über eine zentrale Frage geschrieben: „Wie einen Krieg beenden?“ Und vor allem: „Wie geschieht dies auf eine effektive Weise, ohne daß Europa in einen Weltkrieg driftet?“ Daß diese Frage in der gegenwärtigen Situation und im Blick auf Putin jedoch von Habermas kurz zu beantworten ist, sei vorweggestellt und wer sich lange Wege sparen will, der lese die letzten vier Sätze dieser Kritik. Ich mache mir aber dennoch die Mühe, auf einige Aspekte von Habermas im Detail einzugehen. Er schreibt im Blick auf die Präliminarien:

„Auch aus Kreisen der SPD hörte man nun, dass es keine „roten Linien“ gebe. Bis auf den Bundeskanzler und dessen Umgebung nehmen sich Regierung, Parteien und Presse beinahe geschlossen die beschwörenden Worte des litauischen Außenministers zu Herzen: „Wir müssen die Angst davor überwinden, Russland besiegen zu wollen.“ Aus der unbestimmten Perspektive eines „Sieges“, der alles Mögliche heißen kann, soll sich jede weitere Diskussion über das Ziel unseres militärischen Beistandes – und über den Weg dahin – erledigen. So scheint der Prozess der Aufrüstung eine eigene Dynamik anzunehmen, zwar angestoßen durch das nur zu verständliche Drängen der ukrainischen Regierung, aber bei uns angetrieben durch den bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung, in der das Zögern und die Reflexion der Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht zu Worte kommen.“

Zunächst einmal heißt „Sieg“ nicht alles mögliche, sondern ganz primär geht es dabei um den Abzug der Russen aus den am 24.2.2022 überfallenen Gebieten. Dies ist die primäre Forderung der Ukraine, dies ist die primäre Forderung des Westens und vieler anderer Länder. Habermas spitzt hier eine Auslegung zu bzw. biegt sie um. Rote Linien heißt im Kontext von Hilfeleistungen des Westens: rote Linien im Blick auf Waffenlieferungen; diese rote Linie aber hinsichtlich der Waffen kann es nicht geben, weil prinzipiell alle konventionellen Waffen tauglich sind, die Ukraine in ihrer Verteidigung zu unterstützen. Und alle politischen Akteure betonen immer wieder, daß die NATO in keinem Fall Teilnehmer in einem Krieg sein dürfe. Diesen Wunsch hat auch die Ukraine respektiert: es kommen von ihr keine Forderungen, daß auch NATO-Truppen zum Einsatz kommen sollten. Insofern besteht keinerlei Gefahr, daß die NATO oder Staaten der NATO aktiv in diesen Krieg eingreifen.

„Rußland besiegen zu wollen“ heißt, wie gesagt, zunächst einmal, daß Rußland aus der Ukraine sich zurückzieht. Kein Mensch jedoch spricht von einem Einmarsch in Moskau. Sehr wohl aber muß es legitim sein, darüber nachzudenken, wie es mit Putin weitergeht und was möglicherweise nach Putin kommt – solches Durchspielen  von  möglichen Szenarien ist Bestandteil einer jeden vorausdenkenden (Geo)Politik.

Was diese Passage ebenfalls problematisch macht, ist der Umstand, daß sich Habermas hier gleichzeitig ins Fahrwasser einer unkritischen Äquidistanz manövriert: der „Prozess der Aufrüstung“ ist einzig und allein durch den russischen Angriff auf die Ukraine motiviert und durch nichts anderes. Die „Dynamik“ liegt in den immer neuen Angriffswellen Rußlands und im grausamen Beschuß von Zivilisten – von dem, was Rußland in den besetzten Gebieten anstellt, ganz zu schweigen. Und das Recht auf die Selbstverteidigung der Ukraine zu stärken, mit Worten und mit Waffen, hat nichts zu tun mit einem „bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung“: bellizistisch sind jene, die einen brutalen Angriffskrieg gegen ein souveränes Land führen und nicht jene, die für eine Verteidigung plädieren, die im Falle eines Krieges nun einmal nur mit Waffen und nicht mit Worten geleistet werden kann.

Weiter schreibt Habermas im Blick auf nachdenklichen Stimmen:

„Wenn ich mich diesen Stimmen anschließe, dann gerade weil der Satz richtig ist: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren!“

Die Ukraine gewinnt jedoch diesen Krieg nicht mit Worten. Insofern ist dieser Satz ein leeres Mantra und muß abstrakt bleiben. Vielleicht aber sollten wir in unseren Medien und in unseren öffentlichen Diskursen die Ukrainer und die Mitteleuropäer selbst vielmehr zu Wort kommen lassen, um zu hören, was sie brauchen, damit sie sich gegen Rußland behaupten können. Das wäre zielführender. Wie im übrigen die Ukraine diesen Krieg nicht verlieren kann, beantwortet Habermas in seinem ganzen Essay mit nicht einem einzigen Wort. Darauf gehe ich noch weiter ein. Habermas führt in einer Kaskade von Ableitungen eine Menge an Unterscheidungen und Fragen ein, die jedoch im Reigen der Abschweifungen den zentralen Aspekt nicht nur aus den Augen verliert, sondern er unterschlägt vor allem den für die Ukrainer wesentlichen Aspekt, wie man die Russen aus der Ukraine verdrängen kann, und schiebt diese Fragen auf die Seite – läßt sie, um es zuzuspitzen, hinter einem Diskursnebel verschwinden. Habermas thematisiert teils berechtigte und auch politisch interessante Aspekte wie jene Fragen zum Völkerrecht und den Lehren, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben – die nur alle nichts dazu uns sagen können, wie wir Putin an den Verhandlungstisch bekommen können. Es sind Abschweifungen, die in der Sache nur bedingt dienlich sind. Und  es sind in diesem Sinne leider nur Nebeltöpfe.

Habermas bringt in seinem Essay unterschiedliche Aspekte zusammen. Das eine ist die Frage nach einer neuen Friedensordnung, die zunächst in einer mehr oder weniger fernen Zukunft liegt. Nur haben diese Überlegungen etwas von einem Glasperlenspiel, das schön anzusehen ist und fein klingt, aber das Flirren und Klingen macht eben noch keinen Frieden und vor allem sagt uns Habermas nicht, wie er sich diesen Weg dorthin vorstellt bzw. wie er politisch zu bewerkstelligen ist: der Kommunikationstheoretiker ist in dieser zentralen Frage erstaunlich unkommunikativ und verschwiegen. Mit diesem Schweigen  hängt ein weiterer Aspekt zusammen, der von Habermas ebenfalls nicht ausreichend zum Thema gemacht wird, nämlich auf welche Weise der Westen die Ukraine auf eine effektive Weise unterstützen kann, ohne daß es dabei zu einem Weltkrieg kommt und zugleich ohne dabei Putins Spiel der Erpressung mit einem solchen Weltkrieg mitzuspielen. Das Plädoyer fürs Verhandeln bleibt bei Habermas im luftleeren Raum.

Die Lage des Westens wird bei Habermas allerdings hinsichtlich innen- wie außenpolitischer Fragen der Regulierung thematisch:

„Der Westen hat eigene legitime Interessen und eigene Verpflichtungen. So operieren die westlichen Regierungen in einem weiteren geopolitischen Umkreis und müssen andere Interessen berücksichtigen als die Ukraine in diesem Krieg; sie haben rechtliche Verpflichtungen gegenüber den Sicherheitsbedürfnissen der eigenen Bürger und tragen auch, ganz unabhängig von den Einstellungen der ukrainischen Bevölkerung, eine moralische Mitverantwortung für Opfer und Zerstörungen, die mit Waffen aus dem Westen verursacht werden; daher können sie auch die Verantwortung für die brutalen Folgen einer nur dank ihrer militärischen Unterstützung möglichen Verlängerung des Kampfgeschehens nicht auf die ukrainische Regierung abwälzen. Dass der Westen wichtige Entscheidungen selber treffen und verantworten muss, zeigt sich auch an jener Situation, die er am meisten fürchten muss – nämlich die erwähnte Situation, in der ihn eine Überlegenheit der russischen Streitkräfte vor die Alternative stellen würde, entweder einzuknicken oder zur Kriegspartei zu werden.“

Damit liefert Habermas allerdings gute Argumente, warum der Westen seine Waffenlieferungen unbedingt forcieren muß, und zwar bevor verhandelt wird. Denn insbesondere, weil in demokratischen Staaten die Stimmung sich ändern kann, ist es wichtig, daß in diesem russischen Angriffskrieg möglichst schnell militärische Resultate erzielt werden, um Rußland derart zu schwächen, daß es sich zu Verhandlungen gezwungen sieht. Leider aber gerät Habermas auch in dieser Passage wieder in jene Haltung der unkritischen Äquidistanz: „eine moralische Mitverantwortung für Opfer und Zerstörungen, die mit Waffen aus dem Westen verursacht werden; …“ ist ein seltsamer Satz: Wenn Waffen aus dem Westen, wie im Juli 2022 durch die Lieferung von HIMARS geschehen, dazu dienen, daß der Beschuß von ukrainischen Zivilisten massiv zurückging, weil durch diese Waffen die Artillierie- und Raketenstellungen der russischen Aggressoren ausgeschaltet wurden, dann ist die Lieferung solcher Waffen naürlich sinnvoll. Das sollte auch Habermas wissen. Und da, wo Habermas zuvor noch zwischen Angreifern und Opfern differenziert hat, sind plötzlich auch jene, die dem Opfer des russischen Überfalls, nämlich der Ukraine, beistehen, auf der Seite von Tätern? Eine seltsame Logik. Doch selbst wenn die Ukraine auch russisches Territorium beschießt und Artillerie- und Raketenstellungen dort mit Waffen langer Reichweite vernichtet, so liegt der Grund nicht darin, daß die Ukraine Rußland angreift, sondern in dem banalen Faktum, daß Rußland am 24.2.2023 die Ukraine überfallen hat. Gegenwehr bei einem Angriffskrieg ist vom Völkerrecht gedeckt.

Wenn Habermas davon spricht „Fatal ist, dass der Unterschied zwischen ‚nicht verlieren‘ und ‚siegen‘ nicht begrifflich geklärt ist“, so trifft das noch viel mehr auf die begriffliche Klärung von „verhandeln“ zu. Verhandeln setzt nämlich zunächst einmal voraus, daß mindestens zwei Akteure bereit sind das zu tun – und bei einem Angriffskrieg ist es unabdingbar, daß vor allem der Aggressor überhaupt bereit ist zu verhandeln. Ist dies nicht der Fall, dann ist jedes Differenzieren und jegliches Ausbuchstabieren von Begriffen am Ende sinnlos. Der Beweis vermeintlich überragender Analysequalitäten gerät nämlich schnell am kruden Faktum zunichte und wird zu jenem oben genannten selbstzweckhaften Gespinst. Vor allem wenn sich zeigt, daß da mit falschen Mitteln die falsche Sache analyisiert wird.

Wenn wir schon analysieren, dann sollten wir dabei auch auf die einzelnen Schritte achten, und zwar im Sinne einer zeitlichen Reihenfolge – nicht nur im Blick auf „verhandeln“. Zunächst einmal heißt „nicht verlieren“, daß die Ukraine nicht kapitulieren muß. Und was ist dazu unabdingbar erforderlich? Worte? Nein. Waffen. Waffen. Und nochmals Waffen. Und gut ausgebildete Soldaten, die in der Lage sind, Verteidigungsoperationen und komplexe Verbundangriffe auszuführen. Und bei genügend Waffen werden vielleicht auch die Worte Wirkung entfalten. Primär heißt „nicht verlieren“ also, daß die Ukraine nicht noch weitere Gebiete verliert, indem sie damit gezwungen sein wird, einen Diktatfrieden anzunehmen, einen „Frieden“, der von Rußland aufgezwungen ist, und der, auch diesem Aspekt widmet Habermas leider zu wenig Aufmerksamkeit, nur weitere und neue Kriege erzeugen wird, aber keine bleibende Friedensordnung. Denn weder die Ukraine noch der Westen werden akzeptieren, daß Cherson und Charkiw unter russischer Besatzung stehen und es wird also in diesen Regionen ein auf Dauer gestellter Bürgerkrieg stattfinden. Diesen Überlegungen widmet Habermas keinerlei Beachtung. Und auch nicht den Überlegungen, was es für die Sicherheitsordnung Europas konkret bedeutet,  wenn die Ukraine verliert. Er schreibt zwar, die Ukraine dürfe nicht verlieren. Wie sie das aber bewerkstelligt, läßt Habermas seltsam in der Schwebe. Denn er hat ja sein  Mantra „Verhandeln“, das er als ungedeckte Voraussetzung und damit als leere Spielmarke immer wieder einwirft.

Der Zeitfaktor, wie Habermas schreibt, spielt in der Tat eine große Rolle: dieser Faktor aber ist gerade ein Argument dafür, daß in Europa schon viel früher die Maschinen hätten angeworfen werden müssen, um Ausrüstung, Munition und Waffen zu produzieren, daß schon viel früher Patriot, HIMARS, Iris2, Leoparden und Marder geliefert werden und die Soldaten an diesen Geräten hätten ausgebildet werden müsse – wobei ich bei letzterem davon ausgehen, daß die Briten und die Amerikaner dafür schon gesorgt haben.

Thema wird bei Habermas aber auch die entsetzliche Gewalt des Krieges selbst.

„In dem Maße, wie sich die Opfer und Zerstörungen des Krieges als solche aufdrängen, tritt die andere Seite des Krieges in den Vordergrund – er ist dann nicht nur Mittel der Verteidigung gegen einen skrupellosen Angreifer; im Verlaufe selbst wird das Kriegsgeschehen als die zermalmende Gewalt erfahren, die so schnell wie möglich aufhören sollte. Und je mehr sich die Gewichte vom einen zum anderen Aspekt verschieben, umso deutlicher drängt sich dieses Nichtseinsollen des Krieges auf.“

Sollen und wollen: Habermasʼ Beobachtungen zum Krieg als entsetzliche Gewalt mögen richtig sein, aber sie sind nicht besonders originell und neu, und man kann in einem konkreten Krieg diese Überlegungen nicht unabhängig von Opfern und Tätern anstellen – dazu muß man nicht einmal Hitler und den Zweiten Weltkrieg bemühen, obwohl her Analogien naheliegend sind, was den destruktiven Charakter Putins wie auch Hitlers betrifft. Hinzu kommt, daß ein abstraktes Sollen oder in diesem Falle ein Nichtseinsollen leer und unbezüglich bleiben müssen, wenn, wie hier auf einen konkreten Fall bezogen, nicht wenigstens im Ansatz Vorschläge zur Lösung ausgebreitet und angeboten werden. Das freilich macht Habermas nicht mit einem Wort. Es bleiben bloße Proklamationen. Nun ist es zwar so, daß ein Intellektueller nicht bis ins letzte ausgefeilte praktische Pläne liefern muß. Aber er sollte, gerade wenn er, wie Habermas, viele Gebiete durchdringt und analysiert, auch in diesen Gefilden seine Analyse tätigen. Gerade auch wenn es ums Bestimmen von Prinzipien geht.

Ein Prinzip einzuführen, daß kein Krieg sein soll, ist eine gute Sache und man kann dieses Prinzip auch gut begründen. Aber ein Prinzip, das in der Wirklichkeit nicht zur Geltung gelangt, muß zugleich problematisch bleiben, wenn wir an Menschen wie Putin geraten, die keinesfalls gewillt sind, sich an dieses Prinzip zu halten. Ich will an dieser Stelle keine Debatte über Prinzipien und ihre Umsetzung sowie den Streit zwischen Kant, Fichte, Hegel und ihrer Anhänger in die Waagschale werfen und auch nicht debattieren, ob es ausreicht, ein Prinzip angemessen zu begründen. Wenn es jedoch, das ist meine Sichtweise, in der sozialen und gelebten Wirklichkeit keine Anwendung finden kann, dann müssen aus dieser sozialen Wirklichkeit heraus Mittel geschöpft und Möglichkeiten geschaffen werden, diesem Prinzip in irgend einer Weise Geltung zu verschaffen, sofern es ein logisch richtiges Prinzip ist. Im Falle des russischen Angriffs etwa hat eine supranationale Organisation wie die UNO kläglich versagt. Sie kann Beschlüsse fassen. Sie kann es aber genauso auch sein lassen. Die Auswirkungen für die Menschen in der Ukraine sind die gleichen. Wie also vorgehen?

„Demgegenüber hätte das erklärte Ziel der Wiederherstellung des status quo ante vom 23. Februar 2022 den späteren Weg zu Verhandlungen erleichtert. Aber beide Seiten wollten sich gegenseitig dadurch entmutigen, dass sie weitgesteckte und anscheinend unverrückbare Pflöcke einschlagen. Das sind keine vielversprechenden Voraussetzungen, aber auch keine aussichtslosen. Denn abgesehen von den Menschenleben, die der Krieg mit jedem weiteren Tag fordert, steigen die Kosten an materiellen Ressourcen, die nicht in beliebigem Umfang ersetzt werden können. Und für die Regierung Biden tickt die Uhr.“

Auch hier wieder finden wir bei Habermas jene Äquidistanz. Es sind in diesem Krieg nicht beide Seiten irgendwie gleich und beide Seiten führen gleichberechtigte Interessen an. Das Interesse der Ukraine nach territorialer Unversehrtheit und nach sofortigem Abzug der russischen Truppen von den am 24.2.2022 überfallenen Gebieten ist primordial und vor allem ist es vom Völkerrecht  gedeckt, wenn wir uns in rechtsphilosophischen Gefildenbewegen. Bei dieser Forderung geht es nicht um „unverrückbare Pflöcke einschlagen“, sondern um die Existenz eines souveränen Staates. Insofern sei hier noch einmal darauf verwiesen, daß die Ukraine am 29. März 2022 weitreichende Zugeständnisse und Verhandlungen mit Rußland angeboten hat, um überhaupt einen Waffenstillstand zu erreichen und die Ukraine war sogar bereit „auf weite Teile ihrer Souveränität zu verzichten“, wie es auf der Seite „Ungesunder Menschenverstand“ heißt. Dieser Vorschlag firmiert unter dem Titel „Istanbuler Kommuniqué“ und ist recherchierbar und nachzulesen. Rußland hat diesen Vorschlag einen Tag später zurückgewiesen. Und weiter heißt es bei „Ungesunder Menschenversand“:

„Wer Verhandlungen fordert, soll deutlich sagen, was er bereit wäre Russland anzubieten. Und er täte gut daran, sich die abgelehnten Vorschläge vorher durchzulesen.“

Am Ende läuft es bei Habermas auf Konjunktive hinaus. Hätte, müßte, wäre, sollte:

„Schon dieser Gedanke müsste uns nahelegen, auf energische Versuche zu drängen, Verhandlungen zu beginnen und nach einer Kompromisslösung zu suchen, die der russischen Seite keinen über die Zeit vor dem Kriegsbeginn hinausreichenden territorialen Gewinn beschert und doch ihr Gesicht zu wahren erlaubt.“

 Ja, das wird auch Olaf Scholz immer wieder und wieder mit seinen Telefonaten versucht haben. Der Effekt war gleich null. Putin hat Scholz deutlich zu verstehen gegeben, worum es ihm geht. Diese Aussagen von Habermas sind sehr freundlich gedacht – ich fürchte aber, daß all das Putin nicht interessieren wird. Und ich denke, daß dies auch all jene Experten sagen, die sich hinreichend mit Putin beschäftigt haben und die Putins politische Reaktionen einschätzen können. Putin geht es um die Niederwerfung der Ukraine. All das, all seine Ziele hat Putin deutlich und klar und vernehmbar immer wieder formuliert. Der zwanglose Zwang des besseren Arguments funktioniert jedoch leider nicht bei Leuten, die es nicht darauf anlegen, zu argumentieren, sondern wie Putin, eine Agenda durchzuziehen, die wesentlich durch Erpressung und Gewalt getragen ist.

Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn Putin sich an den Verhandlungstisch setzte. Aber er tut es nicht. Er weiß, daß die Zeit für ihn spielt, wenn der Westen nicht weiterhin die Ukraine massiv unterstützt. Und je mehr die Zeit für ihn spielt, weil der Westen ermüdet, desto fetter seine Beute. Um also, und damit drehen wir uns wieder im Kreis, Putin zu Verhandlungen zu bringen, muß man Druck auf Putin ausüben. Ich kann nur jedem raten sich diese heute von mir verlinkte Dokumentation „Gazprom – Die perfekte Waffe“ https://www.arte.tv/de/videos/108467-000-A/gazprom-die-perfekte-waffe/?  anzusehen. Wir finden dort Einblicke in Putins Welt, in Putins Denken, die jede Hoffnung auf Verhandlungen zunichte machen. Putin ist ein KGB-Gewächs, was seine  Methoden betrifft. Putin verfolgt eine Agenda und diese Agenda ist die Zerschlagung der Ukraine als souveräner und aus sich selbst heraus existierender demokratischer Staat. Putin sammelt an den Grenzen Rußlands eine Anzahl an Satelitenstaaten, wie bereits bei Weißrußland und Tschetschenien. Und Putin hat andere Staaten wie Georgien und Moldau bereits lange schon im Blick. Mit diesem Wissen im Kopf und mit diesen Fakten gerüstet, die sich in zahlreichen Büchern über Putin nachlesen lassen, wird man keine großen Hoffnungen hegen, daß Putin morgen an den Verhandlungstisch sich setzen wird.

Ich kann den Wunsch nach Frieden gut verstehen, den haben viele Leute, aber man muß  bei Politikern wie Putin ein hohes Maß an Realismus sich bewahren.

Es gibt für Habermasʼ Ausführungen im Blick auf Friedensverhandlungen eine Redewendung, die, wenn Habermas sie in Anschlag gebracht hätte, seinen Text erheblich kürzer hätte ausfallen lassen – und meinen dann auch. Sie lautet: Er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und der Wirt ist in diesem Falle Putin. Witze zu Putins Koch seien den Lesern erspart.

 

Das neue Ermittlerteam von „Tatort Moskau“

Passend zum vorgestrigen irrsinnigen „Manifest für den Frieden“ von Wagenknecht, Schwarzer und anderen überzog Rußland die Ukraine gestern wieder einmal mit Bombemterror gegen Zivilisten und gegen die Einrichtungen der Infrastruktur.

Waffenlieferungen an die Ukraine eskalieren nicht, wie Wagennknecht, Schwarzer et al. insinuieren, sondern diese Waffenlieferungen helfen, die Abschußstätten der Russen auszuschalten, damit Zivilisten am Leben bleiben. Solange Rußland Zivilisten tötet und die Ukraine angreift, braucht es Waffen, um diese Gewalt abzuwehren. Frau Schwarzer würde sicherlich einer Frau, die im Begriff steht, vergewaltigt zu werden, dazu raten, das Pfefferspray wegzutun und den Schlüpper freiwillig runterzuziehen – sonst macht es doch nur noch mehr Schmerzen. Und die Polizei solle sie mal besser nicht rufen, denn wer weiß, was der Vergewaltiger sonst noch tut. Und irgendwie war die Frau mit ihrer Aufmachung doch auch selber schuld. Das ist die Logik von Schwarzer, Wagenknecht und anderem Gesindel. Verhandelt werden kann nur dann, wenn Rußland seine Kriegshandlungen unmittelbar einstellt. Das macht der bleiche Lurch aus Moskau aber nicht.

Wie zu erwarten bei den Zarenknechten findet jene Demo in Berlin, die von dieser Gruppe für den 25.2.2023 geplant ist, nicht etwa vor der russischen Botschaft statt, da, wo sie hingehört, sondern vorm Brandenburger Tor. Es ist ein Trauerspiel. Und ich hoffe, daß genügend Gegendemonstranten dort und an diesem Tag erscheinen werden, um diesen Leuten einzuheizen.

Im besten Fall kann man solche Leute, die diesen Aufruf unterstützen, naiv nennen – bei Reinhard Mey und Henry Hübchen gehe ich davon aus. Aber einen Großteil dieser Unterzeichner muß man dumm und vor allem: bösartig nennen. Verhandeln läßt sich nur, wenn der Aggressor unmittelbar und sofort seinen Angriffskrieg einstellt. Wenn die Ukraine die Waffen niederlegt, gibt es keine Ukraine mehr. Wenn Rußland die Waffen niederlegt, dann ist der Krieg zuende. Es ist dies sehr einfach.

Das abstoßend-widerliche Grinsen dieser beiden Gestalten bleibt gut im Gedächtnis haften.

„Die heutige Tagesweisheit wird Ihnen präsentiert von Mahatma Putin“

Aus Mahatma Putins Lebenswerk „Die Logik des Vranyo“:

[Gefunden auf der Facebookseite „Kreative Wahrheiten“ – ehemals „Russisches Wahrheitsministerium“]

Und für die Freunde des Verhandelns frage ich mich nach den russischen Terrorangriffen auf Dnipro: Wie soll mit Kriegsverbrechern wie Putin verhandelt werden? Die einzige Friedensbewegung sind Patriot-Raketen gegen solche Marschflugkörper, die ukrainische Zivilisten töten, und Leoparden sowie weit aufs russische Territorium reichende Raketen und Artillerie, die den Krieg auch nach Rußland tragen.

Weiterhin bringt es, was das taktische Vorgehen betrifft, General Ben Hodges, der ehemalige Kommandeur der US-Armee in Europa, auf den Punkt:

„Oberste Priorität sollte die Fähigkeit der Ukraine zu Präzisionsschlägen mit langer Reichweite gegen die russischen Kräfte, Drohnen und Raketen haben, die zivile Ziele angreifen. Das wird solche russischen Angriffe reduzieren und es zudem den Russen erschweren, die Krim zu halten.

Von Odessa nach Sewastopol sind es 300 Kilometer. ATACMS-Raketen, die von Himars abgeschossen werden, würden den großen russischen Marinestützpunkt der Schwarzmeerflotte unhaltbar machen. Diese Waffen würden auch den Logistik-Hub bei Dschankoj bedrohen und sicherstellen, dass Russland die Brücke von Kertsch zur Versorgung der Krim nicht dauerhaft reparieren kann. So kann die Ukraine Russland zwingen, die Krim aufzugeben, ohne sie in einer Bodenoffensive erobern zu müssen.“

Und auch der weitere Raketenterror der Russen gegen die Ukraine, gegen Kinder und Frauen, gegen Zivilisten, zeigt, daß solche russischen Kriegsverbrechen nicht mit Worten, sondern nur mit Taten geahndet werden können. Dazu sind leider Waffen nötig und nichts anderes. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder naiv oder dumm. Oder beides: naiv und dumm.

Und wenn es in der deutschen Industrie heißt, die Leoparden können erst 2024 geliefert werden, dann frage ich mich inzwischen, was Scholz eigentlich ein Jahr lang gemacht hat. Daß der Ukraine geholfen werden muß, diesen Krieg zu gewinnen (und das heißt: Rußland derart zu schädigen, daß es verhandeln muß) stand spätestens seit dem 24.2.2022 fest. Und eigentlich schon früher, nämlich seit dem Herbst 2021 als der blutige Lurch aus Moskau seine Orkhorde um die Ukraine herum zusammenzog.