Daß Wladmir Putin nicht erst seit 2014 oder 2008 ein brandgefährlicher Politiker ist, der 1999 niemals in die große Politik hätte gelassen werden dürfen, zeigt die Dokumentation „Putin – der gefährliche Despot“. (Sie lief letzte Woche auf ZDF-Info und ist in der Mediathek noch einsehbar.) Wir sehen dort Putins Werdegang: Von der Ablehnung Putins durch den KGB für eine Tätigkeit im Ausland wegen Unbeherrschtheit und fehlender rationaler Selbstkontrolle, so daß es nur für die Provinz reichte, nämlich Einsatz in der Ostzone in Dresden, über seinen unheilvollen Aufstieg, als Boris Jelzins ihn 1999 zum Ministerpräsidenten ernannte, bis hin zu seiner Abschottung durch Corona und den verrückten Bildern, wo man Putin und Staatsgäste oder seine Lakaien an elend langen Tischen sah und meinte, es mit einem psychisch schwer gestörten Menschen zu tun zu haben.
Die Dokumentation einfaltet ein prägnantes und treffendes Portrait , was seinen politischen Aufstieg angelangt und auch Putins Kunst, Netzwerke der Macht zu knüpfen, wird thematisiert. Zentral für das Verständnis von Putins Tun bleibt jene bezeichnende Aussage von ihm: „Einmal KGB, immer KGB!“. Denn dort hat er gelernt und das sollte man bei all seinen Drohungen gegen den Westen immer im Hinterkopf behalten: Geschult darauf Gegner zu zermürben und andere Menschen zu bedrohen. Putins Methode dabei: Tricksen und täuschen, lügen und betrügen: Politikern frech ins Gesicht lügen, daß es keine russische Invasion in die Ukraine gibt, um dann zwei Tage später loszuschlagen. „Putin – der gefährliche Despot“ ist eine sehenswerte und leider auch erschreckende Dokumentation. Erschreckend vor allem deshalb: wir hätten all das schon lange wissen können. Nur wenige, wie Marielouise Beck und die Journalisten Golineh Atai, Alice Bota und Michael Thumann haben vor dem System Putin sowie vor dessen neoimperialen Ansprüchen gewarnt. Anfang 2022 brachte es auch der Buchtitel von Catherine Belton auf den Begriff: „Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“. Zentraler Trick solcher neoimperialer Gelüste ist das Vernebeln der eigenen Ansprüche, indem in Dauerschleife aus den Kontext gerissene Meldungen gebracht und Lügennarrative sowie Falschbehauptungen installiert werden – in Deutschland gibt es dafür Putins willige Helfer: von Tom J. Wellbrock, über Dirk Pohlmann, Mathias Bröckers bis hin zu Albrecht Müller und zur AfD sowie den einschlägigen Kreisen in Schnellroda: unsere neue Querfront. Ich kann nur jedem raten, sich das, was diese Leute von sich geben, gut anzuhören, um dann abzugleichen, was Historiker und Forscher wie der ukrainisch-amerikanischer Historiker und Hochschullehrer Serhii Plokhy, die Historiker Karl Schlögel, Gwendolyn Sasse und Experten wie der Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik Carlo Masala und Experten wie Manfred Quiring und Winfried Schneider-Deters zu schreiben haben.
Wie Putins Propaganda auch beim russischen Volk wirkt und wie Putin und sein System den Menschen den Raschismus und eine neue imperiale Außenpolitik einträufeln, zeigt die Dokumentation „Putins Propagandamaschine – Das manipulierte Volk“ – insbesondere im Blick auf die Instrumentalisierung des Zweiten Weltkrieges für einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im neuen russischen Totalitarismus, für den manche auch den treffenden Begriff des Raschismus prägten, geriert sich die Lüge als Antifaschismus und als Methode für totalitäre und imperialistische Innen- wie Außenpolitik. Fürs Innere werden die Lügen und die Propagandaerzählungen verbreitet, Putins Helfer instrumentalisieren die Toten im Kampf gegen Hitler-Deutschland, wenn da vom „Unsterbliches Regiment“ schwadroniert wird.
Was man dieser Dokumentation freilich gewünscht hätte, wären jene historische Fakten, wie man sie bei den oben genannten Wissenschaftlern und Experten nachlesen kann, statt nun Putin-Narrativ an Putin-Narrativ zu reihen. Aufschlußreich dabei freilich, wie diese Narrative bei den Russen verfangen. Angesichts der Tatsache freilich, daß es in Rußland lange schon keine freien Medien mehr gibt, nicht weiter verwunderlich. Die Situation in Rußland erinnert an das Deutschland von 1933: ein totalitärer Staat mit Propaganda, darin Systemkritiker in Lagern verschwinden, mit Gift umgebracht werden oder aber Journalisten wie Anna Politkowskaja und Oppositionspolitiker wie Boris Nemzow im Treppenhaus der eigenen Wohnung oder auf offener Straße von hinten erschossen werden. Putins Rußland eben, während in Deutschland die Friedensbewegung antiamerikanische Parolen ruft. Zu Putin aber schweigen sie.
Für das Ausland und besonders für Deutschland wird der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge verwischt und unsichtbar gemacht: russisches Giftgas in Syrien: „Nein, nichts Genaues weiß man nicht!“ Der Abschuß der Malaysia-Airlines-Flug 17 mit 298 Toten unter Mithilfe russischer Militärs:“Nein, nichts Genaues weiß man nicht!“ Seit 2014, als Russen im Donbas agierten und die Destabilisierung der Ukraine betrieben: „Nein, nichts Genaues weiß man nicht!“ Und so werden auch in Deutschland ganz bewußt von einschlägigen Propagandaportalen wie Russia Today, den Nachdenkseiten, Apolut oder Nuo Viso Lügen verbreitet oder aber Fakten werden manipulativ gegen den Strich gebürstet.
Ein keines Beispiel aus der Trickkister der Manipulation: Da wird im Brustton der Empörung auf einem dieser Portale bereichtet, daß die Ukraine die Rentenzahlungen für die Menschen im Donbas gestoppt hat. Leider nur wird zu dieser in der Tat richtigen Information nicht dazugesagt, daß es sich hierbei um genau die Gebiete handelt, die nun unter russischem Einfluß stehen, wo spätestens seit 2014 durch Rußland Abspaltungsbewegungen gefördert werden und wo russisches Miltitär agiert. In der Tat werden in jenen Gebieten, die unter dem Einfluß des russischen Aggressors stehen, der die territoriale Integrität der Ukraine zu untergraben versucht, keine Renten mehr gezahlt. Warum auch? Es betankt die Ukraine ja auch nicht die Panzer der Rebellen im Donbas. Und solcher Unfug wird dann von den Hörern solcher Kanäle bedenkenlos nachgeplappert, ohne sich dabei weiter mit dem Kontext und der tatsächlichen Situation im durch Rußland indirekt okkupierten Donbas zu befassen.
Dem System Putins und jenen oben genannten Putin-Vasallen hier in Deutschland geht es aber nicht einfach nur darum, gegen die Wahrheit nun die Lüge zu setzen, sondern vielmehr den Begriff der Wahrheit und der historischen Fakten selbst zu zerstören. Ich hatte dies vor einem Monat anhand des vranyo-Ritual als Spezialität russischer Politik herausgestellt: vranyo steht für ein Lügenmärchen, so Volker Eichener, „das gar nicht ernst zu nehmen ist. Ein Russe hat vranyo einmal mit folgenden Worten definiert: ‚Du weißt, dass ich lüge, und ich weiß, dass du es weißt, und du weißt, dass ich weiß, dass du es weißt, aber ich mache ohne mit der Wimper zu zucken weiter und du nickst ernsthaft und machst dir Notizen.'“
Und weiter heißt es bei Eichener in seinem Essay „Russlands Krieg gegen die Ukraine: Kann man mit habituellen Lügnern verhandeln?“ im Blick auf solche Art des Lügens, darin der Begriff der Wahrheit bewußt in die Unschärfe gezogen werden soll:
„Der langjährige russische Außenminister Lawrow hat es zu einer Meisterschaft gebracht, vranyos mit einem spöttischen Unterton zu erzählen: Denkt ihr, ich sage euch die Wahrheit? Natürlich erzähle ich euch ein Märchen – und einige von euch sind auch noch dumm genug, es zu glauben. Vranyos sind zum Ritual geworden: Westliche Medien oder Regierungen beschuldigen Russland, ein (Kriegs-) Verbrechen begangen zu haben, und Russland erzählt ein vranyo. Zum vranyo-Ritual gehört, der Gegenseite ebenfalls ein vranyo zu unterstellen, so dass vranyo gegen vranyo steht.
Vranyos werden nicht nur eingesetzt, um die Medien und die Bevölkerung in die Irre zu leiten. Als der französische Staatspräsident am 20. Februar 2022, also vier Tage vor Kriegsausbruch, mit dem russischen Präsidenten telefonierte, erzählte Putin vranyos am laufenden Band. Die größte Lüge war, dass Putin zu diesem Zeitpunkt längst entschlossen war, den Angriff zu starten, aber sagte, die Truppen würden bereits abgezogen.“
Solches Verfahren der Destruktion bringt auch der Soziologie Nils C. Kumkar auf den Begriff, nämlich mit dem Titel seines Buches „Alternative Fakten. Zur Praxis kommunikativer Erkenntnisverweigerung“. Kumkar zeigt, daß solcher Dauerbeschuß mit „alternativen“ Fakten, also mittels Lügen und Betrügen, im Diskurs sehr wohl eine kommunikative Funktion erfüllt – nämlich sollen ganz bewußt Wahrheit und Erkenntnis sabotiert werden. Bereits 1967 hat Hannah Arendt diese Umdeutung von Wahrheit in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“ pointiert:
„Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, daß es einen Ersatz für die Wahrheit nicht gibt. Denn das Resultat ist keineswegs, daß die Lüge nun als wahr akzeptiert und die Wahrheit als Lüge diffamiert wird, sondern daß der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.“ (Hannah Arendt, Wahrheit und Politik)
Dem ist bis heute nicht viel hinzuzufügen. Genau um solches Zerstören von Orientierung im Wissen und in der Wahrheit geht es jenen oben genannten Portalen sowie jenen Protagonisten Bröckers und Co., die ihre Verschwörungsmyten von Neuer Weltordung verbreiten. Allerdings bleibt kritisch gegen Arendt anzumerken, daß in solcher Verwischung von Wahrheit und Lüge am Ende doch die große Lüge installiert werden soll. Freilich nach der Manier von Paranoikern, die in einem Wahngebäude wohnen: Hat man einmal die erste Prämisse dieses Irrsinns akzeptiert, folgert sich alles weitere von selbst.
Verschwörungsmythen funktionieren als Zirkelschlußsystem: Man setzt eine Annahme X als wahr – sei es, weil man sie dogmatisch festschreibt oder weil man einzelne Beispiele sich herausgreift und von „einige“ auf „alle“ schließt – und das, was dann als wahr gesetzt wurde – die neue Weltordung, Corona-Diktatur, Rußland als vom Westen „überfallenes“ Land, Mainstreammedien manipulieren, Medien sind in der Sache X in ihrer Berichterstattung gleichgeschaltet – bestimmt dann im weiteren alle übrigen Ausführungen, die dann genau unter diesem Aspekt gedeutet werden. Jedes Zeichen, jede Aussage, jede Meldung kann dann bequem unter diese Prämisse sortiert und eingeordnet werden. Und so bestätigt und trägt sich solches System von selbst und es verstärkt sich dabei mit jeder weiteren Meldung. Noch der Gegenbelegt wird vom Verschwörungswahn als Beleg dafür genommen, daß eben der Kritik von jenem Deep State, von den Medien oder von der NATO gekauft und ein Systemknecht sei. Die Anhänger solcher Wahnsysteme gleichen von der Denkstruktur her Sektenmitgliedern, deren Gehirne gewaschen wurden, wie dies bei Scientology oder in manchen religiösen Erweckungsbewegungen geschieht.
In der Durchführung jedoch gleichen solche Zirkelsysteme paranoiden Wahnsystemen, die in sich dicht und geschlossen sind, so daß, wie beim Paranoiker, von außen nichts mehr hereindringen kann. Ähnlich freilich auch bei Sekten, mit denen jene genannten Verschwörungsportale, auch in der monothematischen Ausrichtung, einiges gemeinsam haben. Im Gegensatz zu den psychischen Wahnsystemen aber wirken Verschwörungsmythen gesamtgesellschaftlich; sie unterwandern Diskurse und Debatten. Selbst ihre Thematisierung dient ihnen noch, es ist der klassische Streisand-Effekt: törichten oder falschen Informationen wird in der Berichterstattung Aufmerksamkeit gewidmet und so trägt auch solches zur Verbreitung des Unsinns bei. Daß die Grenzen zwischen Verschwörungsmythen und paranoidem Denken fließend sein können, zeigt der Vegan-Koch Attila Hildmann und auch die Video-Auftritte des ehemaligen rbb-Journalisten Ken Jebsen zur Corona-Pandemie, wo Realität und Fiktion nicht mehr getrennt werden können. Man mache sich einmal den Spaß und sehe sich die Videos von Jebsen zur Corona-Pandemie an, wo er wie Joker geschminkt in irrem Stakkato mit dem Grundgesetz fuchtelt – dessen Art. 11. Abs. 2 er offenkundig nicht gelesen hat.
In ihrem Essay zu Auschwitz, zur Barbarei der deutschen Faschisten sowie den zugrundeliegenden Mustern der Kommunikation beschreibt Hannah Arendt implizit auch das System der Verschwörungsmythen, wenn sie die Methoden der Nazis analysiert:
„Dem von ihnen angerichteten Grauen liegt die unbeugsame Logik zugrunde, welche auch die Sichtweise von Paranoikern regiert, in deren Systemen alles mit absoluter Notwendigkeit folgert, wenn einmal die erste verrückte Prämisse akzeptiert worden ist. Der Wahnwitz solcher Systeme besteht natürlich nicht nur in der Ausgangsprämisse, sondern vor allem in der ehernen Logk, die sich durchsetzt, und zwar ohne Rücksicht auf die Tatsachen und – ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit – einer Wirklichkeit, die uns lehrt, daß es in der Praxis keine absolute Vollkommenheit geben kann.“ (Arendt, Nach Auschwitz)
Ambivalenzen und Ambiguitäten sind für solche Leute schwierig auszuhalten und weder im Wahn- noch im Zirkelsystem vorgesehen.