Von besonderer Bedeutung ist in diesem Kontext der zu einem großen Teil antisemitischen und antiisraelischen Universitätsbesetzung ein sogenannter Öffentlicher Brief, der gestern erschien: „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten“. Unterzeichnet unter anderem von solchen prominenten Namen wie Patrick Eiden-Offe, Rahel Jaeggi, Eva von Redecker, Michael Celikates, Daniel Loick, Michael Wildt, Diedrich Diederichsen (Akademie der bildenden Künste Wien), Juliane Rebentisch (Hochschule für Gestaltung Offenbach/Main), Oliver Nachtwey (Universität Basel), und Dominik Finkelde (Hochschule für Philosophie München), die alle vier ganz sicher nicht vor Ort waren und sahen, was an der FU geschah. Und ich wette überhaupt, daß keiner dieser Leute, die dort unterschrieben, an der FU Berlin sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt und sah, was sich zutrug und was gerufen wurde – angefangen bei der Behauptung, daß Israel einen Genozid begeht. Und ich glaube auch nicht, daß die Unterzeichner über mehrere Stunden Video-Material sichteten. Kein einziger der Besetzer, der nur im Ansatz die Hamas verurteilte oder gar, als Bedingung für einen Waffenstillstand, die Freilassung der Geiseln forderte. (Ich berichtete gestern über das Geschehen.) Ein Schild, das am U-Bahnhof Dahlem lag, mit der Aufschrift „Terrorismus ist kein Widerstand“, wurde mit Füßen getreten und dann von den Aktivsten weggeschmissen. Als die kleine israelische Fahne, die ich eingesteckt am Hemd trug, herunterfiel, wurde sie ebenfalls mit den Füßen getreten, und zwar indem ein junger Mann darauf herumtrampelte. Als ich dies photographierte (den Boden wohlgemerkt), wurde ich abgedrängt und meine Kamera zugehalten. Von der rechtswidrigen Besetzung eines Gebäudes einmal ganz abgesehen, die völlig indiskutabel und durch nichts zu rechtfertigen ist.
Wer sich mit solcher Szene solidarisch erklärt, muß sich dies zurechnen lassen. Und das gilt auch für die dort protestierenden Studenten, die sich die dort gerufenen Parolen zurechnen lassen müssen. Ich erinnere noch zu Corona-Zeiten 2020 die Kritik, die es von jenen Leuten gab, wenn Kritiker der Corona-Maßnahmen auf Demos mitliefen, wo auch Rechtsradikale und Verschwörungsschwätzer anwesend waren. Sie wurden dafür gerügt und es wurden ihnen gesagt, daß sie sich diese Gesellschaft dann auch zurechnen lassen müssen. Nun ist es aber so: Was in die eine Richtung gilt, gilt auch in die andere Richtung.
Gleich zum Auftakt heißt es in diesem Brief:
„Als Lehrende der Berliner Hochschulen verpflichtet uns unser Selbstverständnis dazu, unsere Studierenden auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen und sie in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern.“
Einmal von der anbiedernden Phrase „auf Augenhöhe“ abgesehen: Polizeigewalt wäre es, wenn Studenten plötzlich auf dem Nachhauseweg in Polizeiwagen gezerrt und dort verprügelt würden. Das ist aber nicht geschehen. Wer aber nach der Aufforderung sich zu entfernen, sich nicht entfernt, wird, da die Universität richtigerweise von ihrem Hausrecht Gebrauch macht, dann von der Polizei abtransportiert oder mittels einfacher Gewalt weggetragen oder beiseitegeschoben. Die Studenten kamen der Aufforderung, den Platz zu verlassen, nicht nach. Die Polizei schob die Studenten langsam beseite. Viele der Studenten wehrten sich massiv gegen dieses Abdrängen und so kam es aufgrund dieser Gegenwehr zu einem vermehrten Geschiebe. In diesem Kontext von Polizeigewalt zu sprechen, ist zynisch und vor allem bösartig. Und es ist nun einmal so, egal ob Corona-Leugner oder Student: Wer den Aufforderungen der Polizei nicht nachkommt, muß bestimmte Konsequenzen in Kauf nehmen. Beim Widerstand gegen Polizeibeamte kann es zudem geschehen, daß der Störer abgeführt wird, um seine Personalien aufzunehmen und eine Anzeige zu erstatten.
Wer zudem solches wie „auf Augenhöhe“ schreibt, der begibt sich als Hochschullehrer oder Dozent leider auf genau das Niveau solcher Leute, die mit Gewalt einen Boykott gegen Israel erzwingen wollen und dazu andere Studenten in Geiselhaft nehmen. Ob diese Hochschullehrer ähnliches auch schrieben, wenn rechtsidentitäre Studenten die Universität besetzten und sich kritisch zur Migration äußerten? Sicherlich nicht. Weiter heißt es:
„Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.“
Hier bleibt nachzufragen, ob solche Solidarisierung auch dann gälte, wenn Studenten ein Protestcamp erreichten, um Forderungen aufzustellen, daß die Migration nach Deutschland zu begrenzen sei. Oder eben irgend eine andere Parole, die einem linken Kulturestablishment deutlich weniger genehm ist, etwa ein Protestcamp, das die Wiedereinführung der Atomkraft erzwingen will. Die Phrase von „ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind“ hat zudem etwas Scheinheiliges und es zeigt sich in diesem Satz, daß keiner derjenigen, die solches schreiben und unterschreiben, am FU-Campus anwesend waren. Ein Protest zudem, der Gebäude und Räume besetzt, die ansonsten von anderen genutzt werden würden, ist keineswegs friedlich, sondern hier handelt es sich um Gewalt und Nötigung. Es kann nämlich der Betrieb nicht stattfinden. Bibliotheksbesuche müssen ggf. abgebrochen werden, weil eine aktivistische Minderheit meint, über universitäre Räume und damit über eine Allgemeinheit verfügen zu können. Es waren eben nicht tausende von Studenten wie bei einem Universitätsstreik für bessere Bildungsbedingungen, sondern wenige hundert Aktivisten, davon zudem Zugereiste. Auch aus diesem Grunde und um für weitere Aktionen zu beliebigen Themen keine Präzedenzfälle zu schaffen, war es richtig, daß die Universitätsleitung von ihrem Hausrecht Gebrauch machte.
„Es ist keine Voraussetzung für grundrechtlich geschützten Protest, dass er auf Dialog ausgerichtet ist. Umgekehrt gehört es unseres Erachtens zu den Pflichten der Universitätsleitung, solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben.“
Nein, ist es nicht. Aber es ist eine Universität mit diversen Institutionen, von Mensa bis Bibliothek auch nicht der Ort, um alle anderen mit einem persönlichen Anliegen symbolisch in Geiselhaft zu nehmen und ihnen solchen Protest aufzunötigen. Grundrechtlich geschützter Protest wurde im übrigen nicht verhindert. Die Studenten hätten eine Demonstration anmelden können. Das haben sie aber nicht getan. Die Universität ist keineswegs verpflichtet, jedem Hansel mit abstrusen Forderungen eine dialogische Lösung anzubieten. Eine Universität ist kein Streichelzoo und auch keine Therapiegruppe. Würde diese Forderung der Unterzeichner auch für Leute gelten, die gegen die Corona-Maßnahmen protestierten und sich auf dem Campus breit machten? In diesem Fall nämlich würde jemand wie Daniel Loick und der Herr Celikates und die Frau Jaeggi plötzlich sehr schweigsam werden, so steht zu vermuten und es ist da plötzlich schnell vorbei mit „Demokratie“. Der Offene Brief würde still, heimlich und leise im Papierkorb versenkt.
„Diese Pflicht hat das Präsidium der FU Berlin verletzt, indem es das Protestcamp ohne ein vorangehendes Gesprächsangebot polizeilich räumen ließ. Das verfassungsmäßig geschützte Recht, sich friedlich zu versammeln, gilt unabhängig von der geäußerten Meinung. Die Versammlungsfreiheit beschränkt zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts („Fraport“) das Hausrecht auch für Orte, die, wie wohl auch der Universitätscampus der FU Berlin, öffentlich zugänglich sind und vielfältigen, darunter öffentlichen Zwecken dienen.“
Das verfassungsmäßig geschützte Recht ließe sich etwa mit einer Demo wahrnehmen oder mit einem Protestmarsch über den Campus und dann etwa in Richtung Steglitz oder Zehlendorf zu laufen. Das wurde aber nicht getan. Zudem wurden bei dieser Aktion keine Flugblätter verteilt, sondern es wurde ein auf Dauer und Bleiben hin konzipiertes Camp eingerichtet. Das Aufstellen von Zelten und das Aufbauen von Infrastruktur bedeutet, daß diese Leute auf unbestimmte Zeit bleiben wollen und also Besetzer sind: das ist etwas völlig anderes als das Recht auf eine Demonstration. Das Recht, sich in einem öffentlichen Raum zu versammeln, schließt keineswegs ein, den Betrieb derart zu behindern, daß eine gesamte Universität geschlossen werden muß. Auch diesen Aspekt sollten Akademiker, die sich hauptberuflich in irgendeiner Weise, so steht zu vermuten, mit dem Denken beschäftigen, gegenwärtig haben.
„Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben – beides ist mit Polizeieinsätzen auf dem Campus unvereinbar. Nur durch Auseinandersetzung und Debatte werden wir als Lehrende und Universitäten unserem Auftrag gerecht.“
Nur daß es diesen Campusbesetzern keineswegs um Debatten ging, sondern darum, eine in großen Teilen antisemitische Ideologie auf einen Campus zu tragen. „Yallah, Yallah, Intifada“ und das Gefasel von einem Genozid sind antisemitische Positionen, denen es weder um Dialog, noch um Abwägung geht. Die Geiseln und die entsetzlichen Massaker an Juden und Nicht-Juden am 7. Oktober waren auf keinem der Plakate und in keinem der Chöre irgendwie ein Thema. Im Gegenteil: die Besetzer verwechselten Ursache und Wirkung. Die Unterzeichner dieses Briefes hätten das wissen können – wenn sie denn vor Ort gewesen wären. Und wenn sie es denn gewesen sein sollten, zumindest einige, dann ist dieser Brief um so schlimmer. Die Leitung der FU und die Polizei haben hier alles richtig gemacht. Auch vor dem Hintergrund, daß die auf eine bestimmte Dauer gestellte Universitätsbesetzung durch Antisemiten und Israelhasser eine auch symbolisch verheerende Wirkung hat – und dies auf mehreren Ebenen.
Dialog kann in Seminaren stattfinden oder in einberufenen Plena oder einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung, bei der freilich regelmäßig genau jene Aktivisten vom 7. Mai auftauchen, die dann diese Veranstaltungen, wie etwa an der HU seinerzeit, mit Geschrei und Gewalt stören. Insofern ist auch das Wort vom Dialog in vielen Fällen leider nur fadenscheinig.
Es bleibt also solch offener Brief ein leeres Statement. Für die Geisteswissenschaften ein Trauerspiel und vor allem eine entsetzliche Selbstdiskreditierung. Solche wie Patrick Eiden-Offe, Nachtwey, Robin Celikates, Daniel Loick, Rahel Jaeggi, von Redecker, die üblichen Verdächtigen also und teils Vertreter einer woken Linken, unterschrieben solchen Blödsinn. Antisemitismus also als Freiraum an Universitäten. Um sich dann als dritte und vierte Generation einer angeblich „kritischen“ Theorie zu fühlen. Und nein: Das Besetzen von Hörsälen und Universitätsgebäuden, wie das in Berlin geschah, ist eben keine Diskussion – schon gar nicht wenn das mit der Verdrängung anderer Leute erkauft wird, weil die Gebäude nicht für die Lehrveranstaltungen nutzbar sind. Und wie gesagt: die meisten dieser Unterzeichner waren vermutlich niemals vor Ort, aber sie wollen das Narrativ eines friedlichen Protests inszenieren. Daß dadurch Antisemitismus salonfähig wird und an Unis durch solche Aktionen seinen Ort hat, nehmen diese Unterzeichner dabei billigend in Kauf. Sie wissen es nicht, aber sie tun es, um es ihnen mit Marx ins Stammbuch zu schreiben. Allenfalls kann man solche Leute naiv nennen. Das ist die höfliche Lesart. Daß sich Wissenschaftler für ein solches Schmierentheater hergeben, ist traurig und bedenklich vor allem.
Wer anderen Studenten Streik und Besetzung als Widerstandform AUFZWINGT, zumal in einer Sache, die nichts mit dem Universitätsbetrieb zu tun hat, der handelt zutiefst undemokratisch. Das hätten auch jene Wissenschaftler wissen können, die auf die schnelle ihren Offenen Brief hingeschrieben habe. Das in diesem Fall vermeintlich gut Gemeinte ist nicht nur mit heißer Nadel gestrickt, sondern entbehrt zudem noch jeglicher Reflexion auf die Sache. Was bei Wissenschaftlern besonders peinlich ist. Diese Liste ist lang. Und das eben macht sie so erschreckend.
Ging es Adorno und der Kritischen Theorie noch darum, Antisemitismus zu analysieren und damit auch sichtbar zu machen und zu bekämpfen, so haben sich inzwischen die Vorzeichen verkehrt: „Kritische“ Theorie, die ich in diesem Falle nicht mehr kritisch nennen möchte, macht Antisemitismus salonfähig – getarnt als Israelkritik. Es hatte damals gute und richtige Gründe, daß er 1969 bei der Besetzung des Instituts für Sozialforschung die Polizei rief. Ihn erinnerte solche an unheilvolle Zeiten, die Adorno hinter sich glaubte.