Dieser Text ist eine überarbeitete und stark erweiterte Fassung eines bereits im Juli 2019 erschienenen Artikels von mir, der sich mit einem Beitrag von Werner Rügemer auf den Nachdenkseiten befaßt. Warum ich diesen Artikel hier und heute bringe? Weil solche von mir immanent geübte Textkritik anhand einiger weniger ausgewählter Aspekte zeigen soll, wie Verschwörungsmythen funktionieren und wie man mittels solcher Halbwahrheiten Propaganda und Falschinformationen in Umlauf bringt. Diese Mechanismen zu durchschauen, ist insbesondere im Hinblick auf die Faktenlage im Blick auf die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg außerordentlich wichtig. Dabei lasse ich in diesem Essay die Hintergründe zu Rügemer und seine teils antisemtischen, antiamerikanischen Ausfälle unerwähnt bzw. nenne sie nur in diesem Zusatz, damit die Leser wissen, mit wem sie es hier tatsächlich zu tun haben. Daß Rügemer zugleich Recherchearbeit im Blick auf Wirtschaftskriminalität und Verflechtungen von Poltik und Wirtschaft leistete, steht dazu nicht in Widerspruch. Allerdings tangieren solche Verschwörungseinschläge am Ende dann auch die mehr oder weniger seriösen Arbeiten eines solchen Menschen. Ähnlich verhält es sich mit dem Autor Holger Strohm, der Anfang der 1970er Jahre und dann in erweiterter Auflage auch für die 1980er einen der Klassiker der Anti-AKW-Bewegung schrieb, nämlich „Friedlich in die Katastrophe“, darin nicht nur die Funktionsweise verschiedener Reaktortypen und die damit auftauchenden Problematiken analysiert wurden, sondern vor allem auch die gesellschaftlichen Aspekte wie etwa ein sich ausbildender Polizeistaat. Das Buch ist bis heute wichtig, auch wenn Strohm in die rechtsextremistische Esoterik und in die Richtung von Chemtrails-Verschwörung abgedriftet ist und inzwischen kaum noch ernstgenommen werden kann.
Für diesen Text freilich tun diese Umstände um die Aktivitäten von Rügemer nichts zur Sache, da es hier lediglich darum geht zu zeigen, nach welchem Muster solche Artikel auf den Nachdenkseiten produziert werden und wie Verschwörungserzählungen funktionieren.
***
Am 26. Juli 2019 erschien auf den NachDenkseiten ein Text mit dem Titel „Verschwörung in der Verschwörung“. Der Artikel stammt von Werner Rügemer und handelt vom Widerstand des 20. Juli sowie der Verquickung des OSS, also der Auslandsspionage der USA, und insbesondere geht es darin um die Aktivitäten des durchaus fragwürden Allen Dulles. In den frühen 1940er Jahren war er im Auftrag des OSS Gesandter in der Schweiz, mit guten Kontakten nach Deutschland und zum Widerstand, von 1953 bis 1961 Direktor des CIA, also im Kalten Krieg und zu einer Zeit, als die Sowjets die Wasserstoffbombe entwickelt hatten, ein gnadenloser Wettkampf der Systeme im Gange war bzw. der Kampf der Systeme hauptsächlich in Entwicklungsländern oder unterentwickelten Ländern wie Korea ausgetragen wurde. In dieser Zeit seines Amtes war Dulles an zahlreichen politischen Aktionen wie der Ermordung des kongolesischen Präsidenten Lumumba und an Regimewechseln im Iran und in Guatemala beteiligt, außerdem Mitglied der Warren-Kommission, die zum Tod von JFK ermittelte. Eine in manchem Aspekt problematische Person und damit – und wo Geheimdienst drinnen steckt, da ist immer gut Munkeln – eine gute Voraussetzungen also für steile Thesen und für ein geschichtliches Mischmasch, um eine Verschwörungserzählung in den Umlauf zu bringen. Und genau so macht es Rügemer auch im Blick auf den 20. Juli.
Herausgekommen ist ein schlecht recherchierter Text mit rheotorischen Tricksereien, die ein ungeübter Leser nicht bemerkt, aber womöglich dann als Thesen über die bösen westlichen Alliierten nachbetet. Es wird ein simples Narrativ geboten, geschichtliche Fakten werden unterschlagen und verdreht. So rührt der Autor einen kruden Brei an. Wie er das macht, zeige ich anhand von Zitaten und Belegen im folgenden.
Dabei geht Rügemer der Frage nach, wieweit die westlichen Alliierten von Dullesʼ Wissen um die Zustände in Nazi-Deutschland Gebrauch gemacht haben, um einen Regime-Sturz in Deutschland vorzubereiten beziehungsweise zu verhindern, wie der Autor nahezulegen versucht, so daß also durch diesen „verhinderten“ Regimesturz noch mehr Leid über die Welt gekommen wäre, weil damit der Krieg sich weiter fortsetzte. Rügemer versucht zu zeigen, wie jene Regierungen von Großbritannien und den USA angeblich die eigene Bevölkerung über die Zustände in Deutschland täuschten, in dem sie verbreiteten, alle Deutschen wären Nazis und dazu Dullesʼ Recherchen unterdrückten, es gäbe in Deutschland einen breiten Widerstand. Das gipfelt bei Rügemer in dem Satz:
„Merke, auch für heute: Regierungspropaganda und reales (Geheimdienst-)Wissen sind zwei sehr verschiedene Dinge! Fake information, fake production – sie kann auch darin bestehen, dass das Gegenteil von dem behauptet wird, was man weiß.“
Intuitiv würden diesem Satz manche zustimmen. Geheimdienste sind manchmal böse [nur der russische FSB natürlich nicht, der würde niemals Novitschok einsetzen oder in Moskau Wohnblocks in die Luft sprengen, darin die eigenen Landsleute leben]. Und auch demokratisch gewählte Regierungen können zuweilen und ebenfalls aus pragmatischen oder aus politisch-sachhaltigen Gründen, weil es keine anderen Optionen gibt, unangenehme Handlungen oder einschneidende Maßnahmen in Gang bringen. Ja, das ist manchmal so und manchmal stecken sehr handfeste und gute Gründe dahinter A zu tun und B zu lassen. Mittels solcher vagen Konstrukte und mittels dese Ausblendens komplexter Hintergründe und politischer Fakten ist es leicht, eine Scheinkritik zu erzeugen, so wie Rügemer dies betreibt. Und der Leser nickt sie ab. Irgendwas wird schon dran sein. Schaut man sich aber den Gang von Rügemers Argumentation genauer und gründlicher an, kann man schnell sehen, mit welchen rhetorischen Tricks er arbeitet und wie vermeintliche Argumente sich als Betrug erweisen.
Warum dieser Aufwand und dieser lange Text? Ich will zum einen zeigen, daß vermeintlich Gutes mit unlauteren Methoden zum Schlechten gerät und nicht nur argumentativ, sondern auch von der Sache her schlecht ist, und ich will zeigen, daß die Abwägung verschiedener Hinsichten einer Sache (hier des Widerstands vom 20. Juli und der Reaktion der Alliierten darauf) und das heißt also die komplexe Entfaltung eines geschichtlichen Sachverhaltes besser ist als eine perspektivische Verengung des vermeintlich gesellschaftskritischen Blicks zugunsten einer im Kopf bereits vorab festgezimmerten These der bösen US-Macht und ihrer dunklen Helfer.
Solcher Tunnelblick passiert, weil man sich wie Rügemer in dogmatische Verabsolutierungen verstrickt, die der eigenen Ideologie geschuldet sind. Confirmation bias auch genannt. Und es läuft dann wie in dem bekannten Witz: Radiodurchsage „Achtung, auf der A 4 kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen!“ Autofahrer: „Waass, einer? Hunderte!“. Der Manipulierer paßt mit Gewalt die Fakten an die eigene Ideologie an – das also, was Rügemer „Fake information“ nennt und was er anderen vorwirft – und zieht unlautere Schlüsse, die sich bei umfassender Sichtung des Materials nicht ergeben hätten. Ob Rügemer dies in bewußter und damit in manipulierender Absicht macht oder ob er um die Fehlerhaftigkeit seiner Argumente nicht weiß (also aus Torheit schreibt), spielt dabei keine Rolle, da es hier nicht primär um die Intentionen des Autors geht, die wir nicht kennen, sondern um die Strukturen solchen Vorgehens bei Verschwörungsideologien, indem stringente Argumentation von solchen Leuten hintertrieben und die Rolle von historischen Ereignissen und Zusammenhängen dekontextualisiert und wie bei Rügemer im schlimmsten Fall sogar verfälscht wird. [Kennt man freilich die Hintergründe um Rügemer, kann man durchaus und wie es für die Nachdenkseiten inzwischen üblich ist, von Manipulation, Propaganda und Falschinformationen ausgehen. Und zwar über die Betrachtung der Faktenlage.]
Insofern ist Rügemers Text darin auch wieder gelungen: denn er eignet sich immerhin als Beispiel, um zu studieren, was passiert, wenn Behauptungen ohne Belege dogmatisch verabsolutieren werden und dabei zu unsauberen Konstruktionen gegriffen wird, um die Behauptung vermeintlich abzusichern, und wenn all jene nicht ins Gerüst passende Fakten unterschlagen werden. Diese Art von Trickserei und diese Manipulation von Fakten machen Leute wie Rügemer derart gefährlich. Genau das ist das Prinzip, welches die Nachdenkseiten und andere Akteure der Verschwörungsszene seit Jahren durchziehen.
Ärgerlich ist vor allem die methodisch unsaubere Arbeit des Autors sowie eine Guilty-by-Association-Logik, indem Aspekte, die nicht im selben Kontext stehen, auf Verdacht aneinander gekettet werden, um rhetorisch eine bestimmte „Stimmung“ zu erzeugen, die dann unbezüglich und qua eines Fehlschlusses durch Assoziation kurzerhand als Pauschalanwurf auf die Gegenwart umgebogen wird. Diese polemische Absicht, als bewußt rhetorische Verzerrung in diesem Artikel (eine von mehreren, nebenbei), zeigt sich kondensiert im letzten Satz des Textes:
„Wer das missglückte Attentat vom 20. Juli 1944 so als Vorbild feiert – und sich zudem auch noch die Beleidigung der Attentäter durch Churchill kommentarlos gefallen lässt – wie die diskreditierte herrschende Klasse in Deutschland, scheint bereit zu sein, vergleichbare Opfer auch heute hinzunehmen. Man ist ja schon mittendrin.“
Was Rügemers Text unseriös macht, sind die polemischen Mittel und die rhetorische Tricks, um bestimmte Denkmuster beim Leser zu installieren und mittels logisch falscher Übertragungen geschichtliche und politische Aspekte zu analogisieren, die nicht analog sind. Zunächst einmal: Etwas nicht zu erwähnen („sich […] kommentarlos gefallen lässt“), heißt nicht, es bereits zu goutieren (argumentum e silentio) – insofern läßt sich daraus zunächst mal gar nichts ableiten und der Satz bleibt eine Phrase. Churchills Äußerungen (so wie Rügemer sie wiedergibt: „Churchill: ‚Nur ein Kampf der Hunde untereinander‘“) entstammen zudem einer Zeit, in der Krieg herrschte. Und wer je von Warschau, Rotterdam, London oder Coventry hörte, wird sich ein Bild machen können, in welchem Zustand sich Europa befand und was Churchills Äußerungen motivierte. Daß Churchill 1944, also nachdem Nazideutschland praktisch schon in Trümmern lag, „not amused“ von dieser nacheilenden Tat war, kann man nicht nur aus historischer Perspektive, sondern vor allem aus Churchills Gegenwart heraus nachvollziehen und es ist ist von dort aus auch begründbar. Auch hier wirft Rügemer völlig unterschiedliche Perspektiven in einen Topf und verrührt diese, um daraus dann seine krude Sicht zu gewinnen.
Wer im übrigen die Behauptung aufstellt, daß die „herrschende Klasse“ – wer immer das sein mag, Rügemer schweigt darüber, Genauigkeit ist seine Sache auch an dieser Stelle nicht – diskreditiert sein solle, der muß belegen, womit und wodurch sie diskreditiert ist. Die, die heute den 20. Juli feiern, waren kaum mehr am NS-Regime beteiligt – durch die NS-Zeit kann diese „Klasse“ also kaum diskreditiert sein. Dadurch, daß sie die Attentäter feiert, ebenfalls nicht, denn die Attentäter vom 20. Juli entstammten sehr unterschiedlichen politischen Gruppierungen. Vielleicht ist sie aber einfach auch nur deshalb diskreditiert, weil sie Rügemers Ansicht nicht teilt. Davon abgesehen, daß solche Akte in der Regel symbolisch sind und zum Gedenken dienen – auch diesen Umstand vermag Rügemer intellektuell nicht zu erfassen. Sie sind nicht dazu da, an diesem Tag, auf Gedenkveranstaltungen Differenzen und Debatten von Historikern irgendwie zum Thema zu machen, sondern zunächst einmal zu erinnern. So wie auch der 27. Januar kein Kolloqium zur Shoah ist, so ist auch der 20. Juli kein Kongreß zu Fragen des deutschen Widerstands gegen Hitler – so problematisch man ansonsten den 20. Juli auch sehen mag. Die Debatten zum 20. Juli finden vielmehr in der Forschung und für das gebildete Publikum ebenfalls im Feuilleton oder auf den Wissenschaftsseiten von Tages- und Wochenzeitungen statt.
Der Association Fallacy des „vergleichbare Opfer auch heute hinzunehmen. Man ist ja schon mittendrin“, mit dem hier Unverbundenes zusammengeschlossen wird, um zu diskreditieren, funktioniert ebenfalls nicht und erweist sich als rhetorischer Effekt, um beim Leser eine Stimmung zu erzeugen statt ein Argument zu bringen oder aber Fakten zu liefern, die eine bestimmte Auslegung nahelegen. Welche Opfer es konkret sind, wird zudem von Rügemer im Nebel des Unwissens gelassen: so kann dann jeder selbst in freier Assoziation hinzufügen, was ihm gerade an Opfern einfällt. Container-Wörter mithin.
Weiterhin müßte Rügemer Roß und Reiter nennen und sagen, wer hier was und in welchem Kontext als Vorbild feiert, sonst bleibt solcher Bezug nämlich Ausdenk-Internetz. Und wo man „schon mittendrin“ ist, möchte ich als Leser dann ebenfalls gerne wissen. Wenn man solche Sätze liest, scheint es dem Autor insofern mehr um Polemik zu gehen und auch darum, Assonanzen hervorzurufen, die jeder nach eigenem Gutdünken und eigenem Gestus bedienen kann – mithin auch ein Appell an Emotionen – statt um sachliche Auseinandersetzung mit dem 20. Juli. Dazu greift Rügemer in die rhetorische Trickkiste und verquickt manches mit manchem.
Auch der Auftakt des Textes ist bereits in solch sophistischem Modus gehalten:
„In BILD, ZEIT, Süddeutsche, ARD, ZDF, bei der Bundeskanzlerin und auch in der aufklärerischen junge Welt: Bei allen Würdigungen des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 blieb auch zum 75. Jahrestag ein Beteiligter verbissen ausgeblendet: Der US-Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS).“
Davon einmal abgesehen, daß all die genannten und sehr unterschiedlichen Medien den 20. Juli in ganz unterschiedlichen Aspekten beleuchteten, ist nicht ersichtlich, weshalb für diese Betrachtung ausgerechnet der OSS zentral bzw. erwähnenswert sein sollte. Weil eine Sache X für Rügemer interessant ist, muß sie es nicht für andere sein und es lassen sich durchs „Nichtnennen“ ebensowenig irgendwelche Verschleierungstendenzen ableiten („verbissen ausgeblendet“). Woher nimmt Rügemer das „Verbissen“? Saß er mit in den Redaktionen und blickte in verkniffene Gesichter, die am Ausblenden waren und beim Ausblenden die Gesichtsmuskeln anspannten? Und genau so wie hier in dieser Art von freier Assoziation funktioniert auch das, was Verschwörungsideologen wie Ken Jebsen, Tom J. Wellbrock, Albrecht Müller, Jürgen Elsässer, Dirk Pohlmann und Mathias Bröckers machen: Manipulation am Leser, indem für einen Sachverhalt relevante Fakten ausgeblendet und komplexe wie komplizierte geschichtliche Zusammehänge dekontextualisiert werden. Exemplarisch führe ich es an diesem Text von Rügemer vor und wenn man will, kann man es an fast allen Beiträgen dieser „Autoren“ zeigen.
Rügemers erwähnt also den Geheimdienst OSS. Dazu muß man freilich einige Aspekte ergänzen: Daß Geheimdienste in einem Krieg notwendige Aufklärungsarbeit leisteten (Deutschland führte im übrigen, wie heute auch Rußland, einen Angriffskrieg und überfiel einen souveränen Staat). Insbesondere der OSS leistete wichtige Aufklärungsarbeit und dort arbeitete auch mancher der vor den Faschisten geflohenen Emigranten mit, so etwa Herbert Marcuse, um gegen Hitler zu kämpfen. Solche Geheimdienste waren in der militärischen Arbeit gegen das faschistische Deutschland unerläßlich und zu dieser Arbeit in Deutschland, um an Informationen zu gelangen, die wiederum für das Allliierte Bomberkommando relevant waren, gehören dann auch die erwähnten Kontexte und die Kontakte zum deutschen Widerstand. In diesem Kontext bekommen die Ausführungen von Rügemer mit einem Mal ein etwas anderes Licht als diese polemische und rhetorisch Volte, und es zeigt sich, wie notwendig Dullesʼ Arbeit der Informationsbeschaffung war, um nicht nur ein faschistisches Deutschland zu besiegen (und vor allem zu beseitigen!), sondern auch, um die Gefahren einer nicht minder brutalen Diktatur von Stalin zu bannen und im Zaum zu halten. Was es mit dieser Diktatur Stalins auf sich hatte, konnten wir im übrigen an den Ländern im Ostblock sehen, und zwar von 1945 bis 1989, dem Zusammenbruch dieser Dikatur.
Daß es Stalin ganz gut auch mit anderen Diktaturen aushalten kann, zeigte der Hitler-Stalin-Pakt von 1939, darin unter anderem im Geheimen Zusatzprotokoll die Annexion des Baltikums und die Aufteilung Polens festgehalten wurde. Und daß für Stalin auch mit einem eher national-rechts-deutschen, nicht-demokratischen Deutschland der Widerständler politisch sich besser leben ließe als unter einer liberalen und zudem kapitalistisch organisierten Demokratie im Stile der USA oder Großbritanniens, ist eine Annahme, die ebensowenig auszuschließen ist und deshalb nicht unerwähnt bleiben sollte, wenn man die Beziehungen der Sowjetunion zu den Deutschen im Dritten Reich sich betrachtet, wie Rügemer das in seinem Artikel macht. Und womöglich ist es auch leichter, ein von der rechten Diktatur infiziertes Volk nun für eine „linke“, stalinistische Diktatur umzubiegen. Im Blick auf Stalins Diktatur bleibt Rügemer schmallippig, während er nicht müde wird, über westliche Geheimdienste zu dozieren.
Weiterhin: Wenn, wie Rügemer schreibt, Dulles konstatiere, es gäbe einen breiten Widerstand, dann muß er dies schon genau zeigen. („Aber Dulles konstatierte: Es gab einen breiten Widerstand.“) Denn selbst wenn Dulles das konstatiert, muß es deshalb nicht richtig sein. Insofern ist es erforderlich, daß Rügemer zeigt, wie dieser „breite Widerstand“ ausgesehen haben soll bzw. was Rügemer unter dem Wort „breit“ versteht, wenn er diese Dulles-These als Grundlage seiner eigenen These verwendet. Insofern ist der Text auch an dieser Stelle schwach argumentiert. Stürzt diese These stürzt die gesamte Argumentation des Textes.
Öffentlicher Protest der Deutschen gegen Hitler und damit politisch größerer Widerstand in verschiedenen Formen kann mit dem Wort „breit“ nicht gemeint sein. Denn der Straßenprotest und der Widerstand gegen Hitler um 1933 und auch die Jahre danach und als dann zunehmend Juden sowie politische Gegner drangsaliert und am Ende liquidiert wurden, blieb nicht nur weitgehend, sondern fast vollständig aus. Er fand allenfalls im privaten Kreis statt. Wenn wir es durchzählten vielleicht ein paar zehntausend Menschen – von etwa 80 Millionen Reichsbürgern, von denen man Kinder und Alte abziehen muß, so daß man vielleicht bei 50 Millionen Menschen ist. Breiter Widerstand wäre dann, wenn ein paar Millionen Menschen auf die Barrikaden gegangen wären. Sie sind es aber nicht. Es gab keine Volkserhebungen gegen Hitler, sondern es sabotierten lediglich einzelen Akteure das System.
Hier vom „breiten Widerstand“ zu sprechen, ist lächerlich. Der überwiegende Teil der Deutschen tat mit, war begeistert oder schwieg aus Angst. Das NS-Regime wurde von großen Teilen der Bevölkerung getragen – so wie es Churchill und Roosevelt sagten und wie es Franz Neumanns „Behemoth“, den Rügemer zitiert, und auch zahlreiche weitere Forschung nahelegt. Das Regime um Hitler wurde getragen von Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit und aus Krisenjahren kamen und die jene Versorgungsdiktatur goutierten und mehr als das: die soziale Fürsorge durch den NS-Staat wurde akzeptiert und manches andere ebenso. Wo der breite Widerstand gegen Hitler war, das müßte uns Werner Rügemer schon zeigen. Kann er aber nicht.
Vor diesem Hintergrund erscheinen solche Sätze dann in einem etwas anderen Licht und es wird gut die polemische und verzerrende Absicht dahinter deutlich:
„Damit zeichnete der Geheimdienstler [Dulles] ein ganz anderes Bild als damals die US-Regierung und vor allem das State Department öffentlich propagierten: Ganz Deutschland sei im Griff der Nazis, alle Deutschen seien Nazis, der Terror seit total. Dulles schickte seine Berichte unter dem Codewort breaker (Brecher) nach Washington. Aber Roosevelt und seine Generäle logen weiter, Churchill machte begeistert mit: Alle Deutschen sind Nazis!“
Davon ab, daß man sich für diese Aussagen von Roosevelt und Churchill Quellenbelege und den Kontext wünscht, in dem diese Sätze gesagt worden sind: Nach dem Stand der Forschung kann man sagen, daß Deutschland ein tief vom Faschismus durchdrungenes Land war. Die paar zehntausend Leute bildeten kein Gegengewicht. Und von „breitem Widerstand“ kann schon gar nicht die Rede sein.
Daß die westlichen Alliierten und insbesondere die britische Regierung 1944 und bereits schon Ende 1941 nicht mehr an Umsturzplänen interessiert waren, dürfte ebenfalls naheliegend sein: Deutschlands militärische Niederlage zeichnete sich zunehmend ab. Der Verstoß in Nordafrika kam zum Erliegen und auch an der russischen Front lief es Ende 1942 nicht wie gewünscht. Und bereits Sir Winston Churchills seit 1940 anhaltender Widerstand gegen Hitler, obwohl er mit ihm nach dem Fall Frankreichs durchaus ein Agreement hätte aushandeln können, zeigt die konsequente Haltung. Churchills legendäre Rede und seine Worte von „Blood, Toil, Tears and Sweat“ im Kampf gegen den Faschismus, gehalten am 13 Mai 1940 in Westminster, finden sich an dieser Stelle. Ein großer Politiker, ein Staatsmann und in Europa der einzige Politiker, der gegen Hitler, gegen die deutschen und die italienischen Faschisten vehement Widerstand leistete. Während der blutige Diktator Stalin, in dessen Land die Menschen verschwanden, mit Hitler paktierte.
Auch aus den Erfahrungen des ersten Weltkrieges im übrigen heraus lag es nahe, es nicht noch einmal zu solch einer desolaten Situation kommen zu lassen und das besiegte Land nicht zu besetzen: Das Deutsche Reich bestand 1918 weiter, die alten Kräfte konnten nicht nur subkutan wirken, sondern sie taten es bis in die Regierungsebene hinein. Bis auf das Rheinland und das Saarland stand Deutschland 1919 nicht unter alliierter Militärverwaltung. Das, was aus dieser Situation damals erwuchs, wollte man sich für ein zweites Mal ersparen, auch im Hinblick auf zwei Weltkriege, die von Deutschland ausgingen. Insofern kam nur die bedingungslose Kapitulation, wie sie 1943 auf der Konferenz von Casablanca von den westlichen Alliierten beschlossen wurde, infrage. (Stalin war ebenfalls eingeladen, aber reiste nicht an.) Auch dieses Motiv der westlichen Alliierten ist mitzunennen. Die Alliierten waren nicht an einem konservativ-rechts-nationalen Deutschland interessiert und in diesem Sinne konstatierte Churchill ganz richtig, daß es nur ein Kampf der Hunde untereinander war. Ende 1943 dann, auf der Konferenz von Teheran wurde zwischen den drei Alliierten (dem sowjetischen Diktator Stalin sowie dem Präsidenten Roosevelt und dem Premierminister Churchill) neben der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands ebenso die Aufteilung Deutschlands beschlossen. Rügemer hingegen mutmaßt:
„Der Widerstand durfte keinen Erfolg haben, denn der hätte nur „den Russen“ genützt und möglicherweise zu Friedensverhandlungen geführt. Die Feindschaft des Westens gegen die Sowjetunion mit der Gefahr eines neuen Krieges hatte spätestens schon 1943 begonnen – eine Kontinuität bis heute.“
Daß es Rügemer eher mit russischen oder sowjetischen Diktatoren hält, bleibt an solchen Stellen keine Mutmaßung mehr, sondern wird evident. Wenn es im übrigen darum ginge, die UdSSR unter Stalin kleinzuhalten und es ausschließlich auf ein Wettrennen der unterschiedlichen Blöcke ankäme, wie Rügemer insinuiert, und wenn es das Ziel wäre, eine kommunistische Diktatur sowjetisch-stalinistischen Vorbilds in Mitteleuropa zu verhindern, dann bleibt es unverständlich, weshalb in Teheran ein gemeinsames Vorgehen der Alliierten abgestimmt wurde und es bleibt unklar, weshalb die USA das Lend-Lease-Programm für die Sowjetunion erst am 12. Mai 1945, also einige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches, auslaufen ließen und nicht schon viel früher.
Ohne den Treibstoff der USA wäre kaum ein sowjetisches Flugzeug geflogen und nur wenig Panzer gefahren. Die Kriegswende 1942/43 ist auch durch die umfangreichen Lieferungen der USA an Logistik, Panzern, Flugzeugen, Schiffen, Lokomotiven, LKWs, Stahl, Lebensmitteln bis hin zu Soldatenstiefeln erklärbar. Diesen Umstand sollte der Artikel ebenfalls erwähnen. Daß er es nicht tut, ist bezeichnend und zeigt die Stoßrichtung – auch des Antiamerikanismus dieses Autors. Ohne die umfangreichen US-Lieferungen wäre das Regime Stalins am Ende gewesen. Da er aber einseitig den Blick auf einen konservativen Geheimdienstmann richtet, muß Rügemer solche Aspekte bewußt ignorieren und er muß durch solche Perspektivenverengung dann zu einer monolithischen und verkürzten Darstellung gelangen.
Von der „Verschwörung in der Verschwörung“, von der Rügemer fabuliert, bleibt also am Ende nicht viel übrig, wenn man sich die historischen Fakten genauer betrachtet. Solche polemischen Sätze insbesondere zeigen dann gut, wohin die Reise von Rügemer geht:
„Ebenso wurden im weiteren Verlauf des totalen westlichen Krieges die ungleich zahlreicheren Kriegsopfer auf ziviler und militärischer Seite hingenommen: Unconditional surrender!“
Eine irre und perverse „Logik“, wie sie dieselben Leute, die sich Friedensbewegung und Mahnwache nennen, heute auch für die Ukraine in Anschlag bringen. Davon ab, daß die „Logik“ einer solchen Argumentation ebenso von einem Funktionär der NPD stammen könnte: unter Aufgreifung von Goebbels „totalem Krieg“ als Triggerwort – und hier wird es dann wieder antisemitisch, semifaschistisch unappetitlich bei Rügemer -, besteht seine Manipulation zunächst einmal darin, Täter und Opfern zu vertauschen. Den totalen Krieg führte Deutschland und brach ihn 1939 vom Zaun, nicht die Alliierten, die Polen beistanden. (Nicht anders übrigens als Putin dann am 24.2.2022 die Ukraine überfiel: Wie die Muster im Blick aufs Verdrehen von Fakten sich doch gleichen.) Weiterhin unterschlägt Rügemer, daß nur die bedingungslose Kapitulation Deutschlands durch die Widerständler und die verbleibenden Generäle sofort die Einstellung der Kriegshandlungen nach sich gezogen hätte. Darüber aber wollten viele der Generäle, die unter Hitler dienten, nicht verhandeln, ebensowenig die Widerständller, und die westlichen Alliierten wollten sich auch nicht auf einen Separatfrieden einlassen, bei dem das Deutsche Reich dann weiter gegen die UdSSR gekämpft hätte, wie von Teilen der Generäle angedacht. Soviel nur zu dem herbeikonstruierten Narrativ, den westlichen Alliierten ginge es darum, bereits 1943, also inmitten des 2. Weltkrieges auf Konfrontationskurs zur Sowjetunion zu gehen. Solche Passagen und Insinuierungen Rügemers zeigen wohin die Tendenz gehen soll: nämlich das Installieren eines klassischen Verschwörungsnarrativs. Auch hier wieder sehen von der Methode her, wie Verschwörungsmythen arbeiten und wie sie sich im Kopf mancher Leser festsetzen und dann weiterverbreitet werden. Gegen solche Fälschungen hilft nur Aufklärung anhand von Fakten.
Daß übrigens – zum Abschluß – die lesenswerte und bis heute bahnbrechende Studie „Behemoth“ von Franz Neumann zwar „den Terrorapparat [schilderte], ohne auf die frühe Förderung Hitlers durch die großen Kapitalisten wie Ford und Krupp einzugehen“ bedarf eigentlich keiner Erwähnung, denn es war eben letzteres gar nicht die Absicht der Studie, den militärisch-industriellen Komplex vor Hitler auszuleuchten, sondern „Behemoth“ befaßt sich in soziologischer Absicht mit den internen Funktionsabläufen des NS-Staates. Rügemer ist nicht einmal fähig, in einfachsten Bezügen zu denken, geschweige eine hinreichend valide Analyse zu liefern. Man merkt es dem Artikel noch in den kleinsten Stellen, selbst in einer Fußnote an: Auch hier wieder wird Rhetorik eingestreut, um eine bestimmte Richtung zu inszenieren. Daß übrigens Werner Rügemers Text nicht auf die Verbrechen Hitlers und den Völkermord Stalins eingeht, bedürfte wohl ebensowenig einer besonderen Erwähnung. Insofern frage ich mich, was die Absicht solcher von außen an eine Sache herangetragener Sichtweisen ist, wie sie Rügemer auffährt.
Gegen Rügemers Text spricht nicht nur sein methodisch ungenaues Arbeiten und seine Verabsolutierung einer These zu einer Seite hin – bereits im Titel zeigt sich die Schlagseite des Textes, sondern auch der propagandistisch-ideologische Impetus seines Textes. Durch solche systematische Verzerrungen bekommt ein historischer Aspekt Schieflage. Bezieht man jedoch all die von mir genannten unterschiedlichen Hinweise mit ein, besitzt diese Angelegenheit eine doch etwas breitere Perspektive und ist deutlich komplexer als eine bloße Geheimdienstgeschichte samt verschwörerisch-bösen US-Staatsmännern sowie einem böse-finsteren Churchill.
Die Ironie dieser Sache ist dabei: Das was Rügemer den USA und Churchill vorwirft und was eben am Ende nicht zutrifft, betreibt er selber: nämlich die Produktion von Ideologie. Es ist jedoch wichtig, gerade an solchen doch relativ simplen Texten zu zeigen, wie die Produktion von Lüge und Propaganda funktioniert – gerade im Blick auf die Corona-Krise und den Krieg Rußlands gegen die Ukraine zeigen sich solche Manipulationen, insbesondere bei den Nachdenkseiten und all jenen Autoren, die da im Umfeld agieren.
Merke: Es muß bei Verschwörungsideologien immer ein Funke Wahrheit im Spiel sein: Wer sagt, der Regen falle in Wirklichkeit von unten nach oben und wir alle werden optisch von Reptiloiden in Gestalt von Angela Merkel, H. Clinton und Obama manipuliert, wird eher im Irrenhaus landen. Wer aber vermeintliche Fakten nennt, etwa, daß Länder um Rußland wie die baltischen Staaten, Polen und Rumänien nun in der NATO sind und Rußland angeblich einkreisen, kann auf Fakten rekurrieren, die zunächst mal plausibel wirken. (Davon einmal abgesehen, daß die Grenze zwischen NATO und Rußland gerade einmal 2 % der gesamten russischen Grenze zu anderen Ländern ausmachen: aber was schert schon die Wahrheit, wenn man wie Rügemer, Pohlmann, Jebsen, Ganser auch lügen kann.) Und was solche Ideologen zudem regelmäßig im Blick auf die NATO und die Erweiterung dieses Bündnisses verschweigen: Es wird von diesen Leuten so getan, als hätte
„die NATO die osteuropäischen und baltischen Staaten gewaltsam besetzt und dann in diesen Ländern eine Militärpräsenz aufgebaut. Diese Staaten wurden aber nicht besetzt, sondern suchten um eine Mitgliedschaft bei der NATO an. Niemand ist also irgendwohin „gerückt“, souveräne Staaten sind einem Bündnis beigetreten. So wie es demnächst Finnland und Schweden machen werden. Der einzige, der irgendwohin „rückt“, ist tatsächlich Putin.“
So schrieb es gestern Bernhard Torsch auf Facebook. Hinzu kommt: Der 8. Mai wird zwar in Deutschland (inzwischen) als Tag der Befreiuung gefeiert und er wird bis heute am 9. Mai in Rußland gefeiert. Nur wird dabei ein zentraler Umstand oft beschwiegen: Der 8. Mai war für die Länder Mittel- und Osteuropas, für Lettland, Estland, Litauen, Polen, Ungarn, die SBZ, später DDR, die Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien kein Tag der Befreiung gewesen. Sondern es begann eine neue und blutige Diktatur, die von 1945 bis 1989 dauerte. Auch diesen Umstand verschweigt uns Rügemer.
In Anbetracht all dieser von mir genannten Aspekte ist es folgerichtig, Rügemer einen Verschwörungsideologen zu nennen. Und ein Portal, das ungeprüft solche Artikel veröffentlicht, muß sich ebenfalls solches zurechnen lassen. Nach der Corona-Krise, aber auch schon seit 2015 in der Berichterstattung gegen die Ukraine und in der Parteinahme der Nachdenkseiten für Putins Rußland hat sich bereits gezeigt, woher der Wind dort und anderswo weht. [Zu der teils rechtsextremistischen Unterwanderung der Mahnwachen einer sogenannten Friedensbewegung seit 2014 schreibe ich vielleicht gesondert nochmal etwas.]
In diesen Zeiten des Hybrid-Krieges mit Rußland können und sollten wir uns freilich, was Haltung und was den Umgang mit einem Feind angeht, an jenem Mann ein Beispiel nehmen: nämlich an Winston Churchill, der standhaft blieb und mit eisernem Willen dazu beitrug, daß am Ende Deutschland nicht siegte.

[Photographie, Quelle: Wikipedia, gemeinfrei]