Es ist nun die dritte Nummer der Broschüre „Kunst, Spektakel, Revolution“ erschienen – eine Zeitschrift, in der Texte zu Kunst und Ästhetik dargeboten werden, und zwar zumeist in einer Weise, die Kunst, ästhetische Theorie und Gesellschaft in einem materialistischen, teils an Walter Benjamin orientieren Sinne verbindet. Eine ästhetische Theorie, die sich jeglicher Politik enthält und Gesellschaft ausscheidet oder auf ontologische Konstanten reduziert, wie es die fragwürdige Hermeneutik eines Gadamers betreibt, kann nicht im Bezirk materialistischer (oder auch materialer) Ästhetik liegen. Ebensowenig aber kann ästhetische Theorie im Sinne eines unmittelbaren Engagements Politik werden. Eingriffe – wie ein Textband von Adorno heißt – sind nur in der Vermittlung und als Vermittelte möglich beziehungsweise denkbar, und zwar qua theoretischer Bestimmung und Besinnung. Der Ort von Praxis ist nicht die unreflektierte, unidirektionale Praxis, sondern es sind Theorie und Praxis nicht voneinander zu trennen. Dieses Verhältnis gilt ebenso für die Ästhetik.
Es lassen sich Phänomene der Basis nicht im Verhältnis ein zu eins auf ihren gesellschaftlichen Überbau reduzieren, sondern sie führen im Kunstwerk samt der damit korrespondierenden Lektüre ein Eigenleben, das zwar nicht unbedingt subversiv sich gestalten muß, aber es folgt zuweilen doch ganz eigenen Gesetzen und erzeugt einen Gegensinn. Die Féerie der Warenwelt im Paris des 19. Jahrhunderts ist Traum und Hölle zugleich, Alptraum und Verheißung. Das dialektische Bild als kritisches durchdringt und vermittelt diese Momente und zugleich erzeugt es die Extreme. Das Verhältnis von Struktur, Diskurs und Empirie ist verschlungen. Sei das nun im Phänomen „Liebe“ oder beim Geschmack. Begriffe sind gesellschaftlich codiert und konnotiert. Der Mond der Antike ist – trivialerweise – nicht der Mond über Soho oder der in einem Baugerüst am Ende des 20. Jahrhunderts.
Zentral in dieser dritten Ausgabe von „Kunst, Spektakel, Revolution“ sind die Vorträge, die im dritten Themenblock einer Vortragsreihe in der ACC-Galerie in Weimar gehalten wurden. Genaueres läßt sich der gleichnamigen Internetseite entnehmen. Es geht in diesem Heft um die fünf Sinne, und zwar im Zusammenhang mit einer materialistischen Ästhetik, die ebenso die gesellschaftliche Praxis mitbefaßt. Und wie es sich so schön fügt, findet sich in dieser Ausgabe auch von mir ein Text wieder, und zwar „Über die Geschmacksbildung in der Kunst. Zum Verhältnis von Schmecken und Geschmack“. Ich empfehle den Kauf dieser Zeitschrift, nicht nur wegen meines Beitrags, sondern auch um anderer Texte willen.
Mein eigener Beitrag geht in mehreren Schritten vor: zum einen entfalte ich – freilich in vergröberten Zügen – wie sich der Begriff des Geschmacks als ästhetische Kategorie seit dem 18. Jahrhundert entfaltete, um Kunstwerke jenseits eines malerischem Regelkanons oder einer Regelpoetik in den Blick nehmen zu können. Sodann erfolgt eine historische Verortung des Geschmacksbegriffes, wobei ich mich auf einen Text von Christoph Menke („Ein anderer Geschmack. Weder Autonomie noch Massenkonsum“) beziehe, der den Geschmacksbegriff als eine Art kommunikativen Vorgang der Selbstverständigung liest: im Geschmacksbegriff des 18. Jhds scheint ein (aufklärerisches) Moment der Befreiung durch. Die doch eher positive Sicht Menkes konfrontiere ich mit Adornos Kritik am Geschmacksbegriff unter den Bedingungen des Spätkapitalismus in einer Gesellschaft, die Bewußtsein und Empfindungen umfassend kolonialisierte, um dann Adorno wiederum mit Detlev Claussen gegenzulesen, dessen Text eine Art sensualistische Kritik eröffnet: weshalb der Geschmack auch eine Angelegenheit der Sinne ist, und zwar in jenem Sinn von Schmecken. (Detlef Claussen, Kleine Frankfurter Schule des Essens und Trinkens. Den Text kann man auf der Seite „beatpunk“ nachlesen.) Zum Abschluß beziehe ich diese direkte sinnliche Erfahrung zurück auf Adornos mikrologischen Blick als eine Form von ethisch-ästhetischer motivierter Philosophie, wie er dies unter anderem in seinem genialen letzten Teil der „Negativen Dialektik“ entfaltet – den „Meditationen zur Metaphyisk“. Um sich in etwa vorstellen zu können, was dieses Zusammenspiel meint, sei programmatisch und als pars pro toto auf die Madeleine-Episode aus Prousts „Recherche“ sowie an das (Text-)Geschehen, was sich dann um dieses Verhältnis von Schmecken und Erinnern gruppiert, hingewiesen.
Es ginge in den Vorträgen, die vom März bis Oktober 2011 in der ACC Galerie Weimar gehalten wurden, darum „über eine Auseinandersetzung mit den fünf menschlichen Sinnen einen spezifischen Zugang zur Ästhetik zu finden“ schreibt es Lukas Holfeld in seinem Vorwort mit dem fein mehrsinnigen Titel „‚Es rettet uns die Kunst!?‘“ in Anlehnung an einen Text von Marx in den „Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten“ Und es ist die uralte Frage der Philosophie nach dem Verhältnis von Sinnlichkeit und Vernunft, die sich hier als Kritik von Gesellschaft und Kunst neu stellt, um dabei verschiedene, teils sehr heterogene Ansätze und Perspektiven ins Spiel zu bringen. Eindringlich empfehle ich den Kauf dieses Heftes. Bestellt werden kann die Zeitschrift über das Kontaktformular des Blogs.
Den Macherinnen und Machern von „Kunst, Spektakel und Revolution“ sowie des Vortragsprogramms in der ACC Galerie sei hier an dieser Stelle für ihre sehr gute Arbeit und für ihre Mühe gedankt, ein derart anspruchsvolles Programm auf derart gutem Niveau auf die Beine gestellt zu haben.