Who’s that Boy? Wer ist Julian Assange?

Um es gleich vorweg zu sagen: Assanges Enthüllungen über Kriegsverbrechen der US-Army im Irak bleiben nach wie vor verdienstvoll und für diese Art von journalistischer Arbeit darf er nicht verurteilt werden. Aber es bleiben in anderen Fällen erhebliche Fragen. Assange hat massiv Menschenleben gefährdet, so lautet einer der Vorwürfe gegen ihn, auch von Journalisten, er hat 2016 im Wahlkampf Clinton gegen Trump dem Regime Putins und Trump zugearbeitet. Assange und Wikileaks brachten viel über die USA und wenig über das totalitäre Rußland seit Putins Machtübernahme seit seiner ersten Amtszeit 2000 und seinem verbrecherischen Regime, das von Anfang an mit seiner „Regierung“ verbunden war – Stichwort: Morde an Oppositionellen wie Anna Politkowskaja, den Anschlägen auf Wohnblöcke durch den russischen Geheimdienst, um den Tschetschenienkrieg in Gang zu bringen: oder auch die Gaserpressungen gegen die Ukraine im Jahr 2008: hier schwieg die Plattform, hier schwieg Assange. (Zumindest sind mir hier keine Dokumente bekannt, wenn es sie gibt, korrigiere ich mich hier gerne.) Zudem: Wer damals im US-Wahlkampf 2016 solche Details veröffentlicht, wie geleakte Mails von Clinton, der weiß, was er tut und er weiß auch, warum er es tut, so meine These. Einige interessante Überlegungen zum Fall Assange las ich auf der Facebook-Seite von Frank Merten bzw. von Grga Jelačić Gargamel:

„Wagenknecht versucht Assange zu einem westlichen Nawalny zu stilisieren. Dabei hat Assange mit seinen Leaks unermessliches Leid über belarussische Oppositionelle und afghanische Informanten gebracht und interessanterweise nie irgendetwas gegen Russland veröffentlicht.

Unter den Hunderttausenden geleakten und von Assange veröffentlichten Dokumenten gibt es kein einziges, das irgendjemanden der russischen Regierung gefährden würde, weder Einzelpersonen noch Unternehmen.

Im Jahr 2012 weigerte sich der „Held der modernen Welt“, geleakte Daten zu einer zwei Milliarden Euro schweren Transaktion zwischen Assad und einer russischen Regierungsbank zu veröffentlichen.

Im Jahr 2016 weigerte er sich, russische Geheimdienstunterlagen über die Beteiligung des russischen Militärs und der Geheimdienste in der Ukraine zu veröffentlichen, mit der Begründung, dass „die Quellen nicht glaubwürdig“ seien, während alle anderen Quellen völlig glaubwürdig seien.

Könnte es sein, dass sie mit Hilfe russischer Dienste gesammelt wurden?

Er weigerte sich, denjenigen Teil der „Panama-Papiere“ zu veröffentlichen, die die korrupten Aktivitäten russischer Oligarchen aufdecken.

Er veröffentlichte vertrauliche Informationen über afghanische
Nato-Informanten, die von den Taliban daraufhin hingerichtet und gefoltert wurden.

Er veröffentlichte vertrauliche Informationen über Regimegegner in Belarus, die ebenfalls inhaftiert oder getötet wurden.

Viele fragen sich noch heute: Für wen arbeitet er?“

Ähnliche Bedenken finden sich auch bei Michael Hanfeld in einem Kommentar in der FAZ vom 18. Juni 2022:

„Assange hat mit Wikileaks zur Aufklärung von Verbrechen der amerikanischen Armee beigetragen, er hat aber auch wahllos Daten über den Krieg in Afghanistan ins Internet gekippt, damit möglicherweise Menschen gefährdet und sich mit seinen Mitstreitern – Investigativredaktionen von Medien aus der ganzen westlichen Welt – überworfen, die erst prüfen und dann veröffentlichen wollten. 2016 hat Assange Material über die demokratische Partei und den Wahlkampf Hillary Clintons verbreitet, das aus russischen Quellen stammt – angeblich von Hackern, wahrscheinlicher vom russischen Geheimdienst. Assange gefiel Putin und Donald Trump, der plötzlich ausrief: „Ich liebe Wikileaks!“

Nichts Belastendes zu sehen war bei Wikileaks über Putins Regime und das, obwohl, wie eine anonyme Quelle der Zeitschrift „Foreign Policy“ sagte, Assange in der Zeit des amerikanischen Wahlkampfs 2016 reichlich Material über Korruption im Kreml zugespielt wurde. Wer auf geheimes Material über Kriegsverbrechen der russischen Armee in der Ukraine hofft, braucht auch nicht auf Wikileaks zu setzen. Das hat Wikileaks nicht auf dem Zettel. Die Agenda von Assange, der 2012 eine Talkshow bei Russia Today hatte, konzen­triert sich auf die USA. Wer ihn für einen Helden der Pressefreiheit hält, sollte einmal genau hinsehen.“

Hier wäre unbedingt zu prüfen, ob solche Vorwürfe zutreffen. Wenn das der Fall ist, dann spricht dieser Befund eine deutliche Sprache und die geht gegen Assange dann. Eine gewisse Einseitigkeit in der Durchführung und in der Darstellung läßt sich zumindest bei Assange nicht leugnen. Mich erinnert solches Vorgehen dann doch sehr an Verschwörungsunternehmer wie Daniele Ganser, Ken Jebsen oder Dirk Pohlmann. All das freilich, selbst wenn es zutrifft, ändert nichts daran, daß diese Art von Umgang mit Assange für einen Rechtsstaat unwürdig ist. Ein Hochsicherheitsgefängnis mit Isolationshaft, sofern diese Angaben stimmen, ist in einer Demokratie kein Ort für einen solchen Gefangenen. Daß sich Assange allerdings vor einem Gericht verantworten muß, halte ich ebenfalls für richtig. Wer derart Menschenleben gefährdet und auch in einen US-Wahlkampf eingreift, muß sich das auch juristisch und nicht nur politisch zurechnen lassen. Für die Details sind hier die Juristen zuständig. Uns als Laien entzieht sich solch ein komplexer Fall – zumal wir in Deutschland in der Regel kaum und besonders gut mit dem US-Rechtssystem vertraut sind.

Was nun den Menschen Assange anbelangt: Jemand kann Held und Übeltäter in einem sein. Das eben ist die Ambiguität von uns Menschen. Im Recht sein und doch Unrechtes tun – wir kennen dies prominent in der Literatur, wenn wir Heinrich von Kleists großartigen „Michael Kohlhaas“ lesen: ein Mann, der uns anfangs hoch sympathisch war und denn wir doch zunehmend auch mit einem Grauen betrachten.

Dennoch und trotz solcher Ambiguität: vielleicht kann ein Staat wie die USA in diesem Fall und wie bei Chelsea bzw. Bradley Manning am Ende Gnade vor Recht ergehen lassen. Assange hat lange genug in Gefängnissen gesessen. Ihm wurden, wie in Schweden die mutmaßliche, angebliche Vergewaltigung, Dinge angehängt, wo wir vermuten können, daß es sich hier weniger um eine Straftat, sondern eher doch um „Rattenficken“ handelt, um „Dirty Tricks“ von US-Geheimdiensten. Und es handelt sich bei Assange eben nicht nur um eine juristische, sondern auch um eine politische Dimension, wenn auch in großen Teilen eine höchst fragwürdige, was Assanges Einmischung in den US-Wahlkampf und die Einseitigkeit der Enthüllungen anbelangt, die Rußland und China weitgehend außen vor läßt. Zudem: Wer, wie sehr viele Assange-Freunde und -Unterstützer, dem freien Westen immer wieder vorwirft, daß er seine eigenen Standards nicht einhält, aber niemals wirklich darauf hinweist, daß solche Standards in Diktaturen wie Rußland und China niemals möglich waren – Rußland hatte allenfalls ein kleines Zeitfenster in den 1990er Jahren -, der muß es sich gefallen lassen, daß man ihm doppelte Standards und eben auch ein Spiel mit gezinkten Karten vorwerfen kann. Und in diesem Sinne ist die Causa Assange zudem eine völlig andere als die von Nawalny, als er noch lebte.

Auf Facebook kommentierte es Petra Seeger sehr treffend:

„Ich hielt Assage immer für einen Guten … bis er massiv mit Hilfe Putins in den US- Wahlkampf eingegriffen und dafür gesorgt hat, dass Trump kurz vor dem Rededuell (Amt-Emails auf privatem Server) Munition gegen Hillary Clinton in die Hände bekommt.
[…]
Egal, auf jeden Fall haben wir Assange Leaks (und Putin, der dafür mitsorgte, dass er sie bekam) zu diesem Zeitpunkt zu verdanken, dass Trump Präsident wurde. Assage ist hochintelligent. Er wusste, welche Folgen diese Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt haben würde.
Unverhältnismäßig und unverzeihlich! Was hat er sich dabei bloss gedacht und davon versprochen??? Was hat ihn geritten? Er wird es schon 1000x bereut haben.
Weder Putin noch die Amerikaner haben ein Interesse daran, dass er noch jemals dazu den Mund aufmacht. Letztendlich war er ein nützlicher Trottel, denn er badet es seitdem aus.

Er hat damit unfassbar viel Leid ausgelöst und bekommt dieser schwergestörte Trump eine zweite Amtszeit, dann ist das eine Spätfolge seines Handeln.
Aber was wäre eine Strafe? Ihn lebendig verrotten zu lassen, um ihn mundtot zu machen … Das ist die Gangart eines Putins, aber nicht einer Demokratie.“

Mein Fazit: ich bin mir in der Sache Assange lange nicht mehr so sicher wie noch vor ein paar Jahren, ob da nicht durchaus auch ein Mensch zu recht angeklagt wird. Denn kein Staat der Welt kann Geheimnisverrat durchgehen lassen – schon gar nicht, wenn dadurch Menschenleben gefährdet oder Wahlen manipuliert werden. Andererseits ist ein solches Strafmaß, wie es ihm in den USA droht, völlig absurd und unangemessen. Insofern ist es richtig, daß die Leute für die Freilassung von Assange protestieren. Und um es auf den Punkt zu bringen: der freie Westen sollte das Gebot der Gnade kennen. Dies eben unterscheidet uns von faschistischen Diktaturen wie Putins Rußland, die ihre Gegner einfach in KZs und in Straflager auf Jahrzehnte einsperren lassen oder sie dort ganz einfach umbringen und totschlagen, so wie bei Nawalny.

Quelle: Wikipedia: Copyright: David G. Silvers, Cancillería del Ecuador – https://www.flickr.com/photos/dgcomsoc/14933990406/
Julian Assange during a press conference attended by international media
CC BY-SA 2.0

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..