Vom Subjektiven der Befindlichkeiten, die meist ohne Belang sind, hin zu solchen Polungen, die Wahrnehmung und Wirklichkeit, das eben, was wirkt, in ein subjektives Bild bringen: Kinobilder, zum Glück diesmal nicht in Cinemascope. (Wenngleich das Format für die Kinoleinwand gut taugt.) „Blow up“ ist ein Film, der das Subjektive seiner Zeit wie auch das Gesellschaftliche, eben den Geist des Swinging London der 60er Jahre, jene Brüche und Veränderungen in dieser Gesellschaft, in eingängige und kluge Bilder bringt: Zwischen dem biederen Geist der ausklingenden 50er Jahre, ungeheurem Elend mitten in Europa, dem aufkommendem Pop samt politischem Protest und dem Faible für Mode. Prägnant und den Ton dieser Stadt einfahrend. Der subjektive besondere Blick ist nur da exzeptionell und von Bedeutung, wenn er auf ein Mehr verweist, das über das alltägliche Befinden ragt: Der Verfasser dieser Zeilen legte sich, nachdem er 1983 zum ersten Mal Antonionis Film in einem Kino sah, eine Nikon F 3 zu. Er besaß aus unergründlichen Quellen einiges an Geld. Ebenfalls kaufte er sich eine Mittelformatkamera. Zu seinem Bedauern reichte das Geld nicht mehr für eine Hasselblad. So wurde es, im führenden Fotofachgeschäft der Stadt erstanden, eine Rolleiflex SLX, die allerdings viel zu viel Elektronik besaß, wie er befand. Leider fehlte ihm für das Photographieren im Mittelformat die Ruhe, denn es muß durch den Schachtsucher alles genau positioniert und exakt angeordnet werden. Das übt zwar den photographischen Blick, hindert aber den nervösen, sprunghaften Geist in seiner Kreativität. Er ist eher der Kameratyp 35-mm. Schnell, unruhig, flexibel, ADHS-mäßig, zielsicher aus der Hüfte, beweglich, agil, taktil. Er machte auch die Mode- und Frauenphotos lieber mit der Nikon, weil es sich aus dem Körper heraus, damit er den Körper der Frau mit dem Objektiv umfinge, besser bewegen ließ.
Copyright: „Nikon F3HP with 85mm f2“ von Arne List – Eigenes Werk.
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Zudem fanden sich durch die mobile Kameraposition ungewöhnliche und fremde Perspektiven. Filme prägen oftmals die Wahrnehmungen und bringen neue Blicke hervor. Nach „Der weiße Hai“ änderte sich das Badeverhalten. (Adorno prägte für diese Muster treffend und exakt passend den Ausdruck „Kulturindustrie“) Solche Anverwandlungen finden sich auch in Antonionis „Blow up“: Was war im London der 60er Jahre eher da: Eine bestimmte Pose und ein Habitus des Modephotographen, der eher sich selbst als das Modell in Szene setzt, oder lieferte erst der Film die Matrix solcher Exaltiertheiten? Die Szene der Modephotographen in London, die selber bereits ein Stück Pop waren, gab es freilich bereits vor „Blow Up“: die sogenannte Black Trinity (David Bailey, Terence Donovan und Brian Duffy), die sich in Antonionis Film dann im Beispiel des Photographen Thomas verdichtete. Andererseits prägte Antonionis Film, gleichsam als filmisches Narrativ, wiederum die Szene der ambitionierten, der professionellen und der hobbymäßigen Modephotographen. Im Sinne der Stillnachahmung, indem eine Pose kopiert wurde und so in der Kopie der Haltung ein bestimmter Habitus durchschlug. Aber das sind sicherlich Petitessen. Sie weisen jedoch auf den Aspekt des Zeitgeistes, der ebenso mit diesem Film verknüpft ist.
Es ist „Blow Up“ der Film – manche behaupten sogar, es sei Antonionis bester. Wären da nicht „Beruf Reporter“ und „Zabriskie Point“ und „La notte“. Ganz egal, wie gewichtet: Antonionis „Blow Up“ ist nicht nur ein Film, der flott die Geschichte eines Photographen im wilden London der 60er Jahre erzählt und sich dabei ebenso im Detail mit dem Medialen befaßt – das machen insbesondere „Zabriskie Point“ und auch „Beruf Reporter“. Sondern in „Blow Up“ fokussiert sich vielmehr die Medienreferenz und der Modus des Medialen, der bei Antonioni grundsätzlich Thema ist, auf die Apparaturen Filmkamera und Fotoapparat. Das bewegte Bild steht gegen das statische, und beide Bildweisen arbeiten ineinander. (Ich will in einem zweiten Teil noch genauer auf den Film selber eingehen. Darin könnte ich ebenso über das Sexualisierende dieser unten abgebildeten Szene und über Machtpositionen des Blickes schreiben, sofern es mich denn und dann noch reizt. Die Kamera als der wunderbarste symbolische Phallus, was uns die Arbeit des realen Eindringens erspart. Insbesondere im Hinblick auf Lewis Carrol/Charles Lutwidge Dodgson und seine Photographien von Alice P. Liddell, die seinerzeit noch ein Kind war, scheint mir die Position der Blicke, die Macht und der Sexus bedeutsam. Sexualität und Wahrheit gewissermaßen als ein photographisches Dispositiv. Was irgendwann hier im Blog einen eigenen Beitrag zur Folge haben muß.)
Im c/o Berlin, das im Oktober 2014 im Amerika-Haus neu eröffnete, gibt es eine Ausstellung zu Antonionis „Blow up“. Diese Ausstellung war 2014 bereits in Wien, in der „Albertina“ zu sehen. Wer sich für die Details und die zahlreichen photographischen Beigaben zu diesem Film interessiert, der ist in dieser Ausstellung gut aufgehoben. Sie gliedert sich in fünf Felder: 1.: die Szene der Londoner Modephotographen und die Mode dieser Zeit im wilden London, 2.: der Voyeurismus des Photographen, wenn er auf seine Suche geht und in die Sphären des Privaten dringt, 3.: die Dokumentation des Sozialen samt dem Elend in Londons East End über das Medium der Reportage- und Dokumentationsphotographie, 4.: das Swinging London der Pop-Musik und die Kunstszene der 60er Jahre in ihrem Abstraktionsprozessen, die die Wirklichkeit in einer eigenen Weise der Bildlichkeit anordnet, sowie 5.: das Verhältnis von Wirklichkeit, Wahrnehmung Medialem und Wahrheit.
Zu diesen fünf Bereichen werden Ausschnitte aus dem Film gezeigt und zudem Photographien präsentiert. Bei diesen Photographien handelt es sich meist um Film stills, die am Set von bekannten Photographen gemacht wurden. Jene sensationellen Bilder, die Thomas im Maryon Park aufnahm und deren Vergrößerung dem Film den Titel lieferte, wurden zum Beispiel von Don McCullin geschossen. Insofern ist das photographische Moment des Films sehr genau an der Sache selbst und von Antonioni gründlich recherchiert. Aber ebenso gibt es die unabhängig vom Film in harter Schwarzweißphotographie gefertigten Dokumentarbilder vom Elend aus dem Londoner East End und insbesondere aus dem Viertel Whitechapel zu sehen, die von Don McCullin geschossen wurden: Bettler, Gestrandete, Gestrauchelte, arme Menschen. Neben dem Glamour der Modewelt ein drastischer Kontrast. Photographien, die eigentlich für sich selber genommen bereits eine eigene Ausstellung wert gewesen wären. Überhaupt wäre dies für diese Ausstellung zu „Blow Up“ ein sehr viel anregenderes und schöneres Konzept gewesen: Gleichsam als eine Art Tunnelsystem Verzweigungen zum Film zu bilden.
Wer „Blow up“ nicht gesehen hat, wird mit den im c/o Berlin gezeigten Photographien, den Filmausschnitten und den wenigen Kunstwerken nicht viel anfangen können. Interessant ist es allerdings, manche der Film Stills als Photo-Abzug sich ansehen zu können. Sozusagen wirkt hier das auratische Moment der Photographie: Anders als die Reproduktionen im Katalog entsteht bei den präsentierten Photographien der Eindruck, dichter dran zu sein. Die Körnung, die Materialität. So werden zum Beispiel ganze Kontaktstreifen von den Mode-Shootings oder von der Verfolgungsszene im Park gezeigt, wo der voyeuristische Mann mit der Kamera jene Frau ablichtet, die den Mann küßt und umarmt. Diese Kontaktstreifen besitzen optisch eine andere Qualität als die bloße Katalogseite. Gleiches gilt für die Photographien von Don McCullin, wenngleich ich es als ungemein störend empfand, daß diese Bilder nicht wie üblich plan an der Wand hingen, sondern auf Brettern an Vorder- und Rückseite angebracht wurden, die im rechten Winkel zur Wand montiert waren, so daß die Betrachter eine Art Eiertanz aneinander vorbei aufführen bzw. eine Halbkreisbewegung ausführen mußten, um dann gedrängt Rücken an Rücken zu stehen, wenn sie dann die Rückseite des Holzbrettchens betrachten wollten. Der Sinn dieser Anordnung hat sich mir verschlossen. Vielleicht war es Platzmangel, vielleicht das Bedürfnis für kommunikative Nähe zu sorgen.
Als Reminiszenz an einen jener Filme, der für die Filmgeschichte insofern bedeutsam ist, als er das Medium Bild zum Thema erhebt, mit ihm spielt, es auffächert und die Weisen von Wirklichkeit samt der Reflexion aufs eigene Medium, das diese Wirklichkeit darstellt, zum Problem bzw. zur Frage macht, scheint mir diese Ausstellung durchaus bemerkenswert. So zum Beispiel, wenn im letzten Raum drei Photographien gezeigt werden, wo aus der photographischen Weitwinkeleinstellung der Parklandschaft im ersten Photo das Gebüsch herausvergrößert wird, vor dem die Leiche liegen soll. In der extremen Totalen ist diese vermutete Leiche – dieser Bildpunkt, das unkenntliche Objekt X – bei der ersten Photographie im Fadenkreuz des Bildes positioniert, exakt in dessen Mitte in den Schnittlinien von bildteilender Horizontale und Vertikale angeordnet. Aber sie bleibt im ersten Bild lediglich schemenhaft und optische Mutmaßung. Auch im zweiten Abzug, der im Detail herausvergrößert wird, ist nur in Andeutung etwas sichtbar. Von dieser Referenzphotograpahie wird das Objekt im Reproduktionsverfahren, das dem Film den Titel gab, mit einer Großformatkamera herausgearbeitet und noch einmal vergrößert, bis schließlich in der dritten und letzten Photographie der Referenzpunkt nur noch als abstrakte Struktur und als photographische Körnung der Silberkristalle sichtbar ist. Es kann sein, es kann genauso nicht sein, daß da eine Leiche liegt. Dieser Abstraktionsprozeß korrespondiert mit jener modernen abstrakten Malerei, in der das Bild im Auge des Betrachters und in der Phantasie sich entwickelt, wie der Film dann an einer anderen Szene referenziert.
Diese drei Photographien nebeneinander belichten das (Unschärfe-)Verhältnis von Bild und Wirklichkeit und einem photographischem Bild, das Wirklichkeiten nicht mehr darzustellen vermag: wie sich schemenhaft aus dem abphotographierten Realen die Imago, das Phantasma und das je eigene Bild herauskristallisieren, bis am Ende eine Ansammlung photographischer Körnung zurückbleibt. Dennoch und gegen den postmodernen Bildrelativismus: die Wirklichkeit wirkt bei Antonioni, denn als der Photograph Thomas nachts wieder in den Maryon Park fährt, um zu schauen, was er vorher mit eigenen Augen nicht sah und nur durchs Objektiv der Kamera auf einen Film bannte, findet er die Leiche. Freilich wirkt diese „Realität“ nicht real, sondern im Medium Film, also dargeboten über Bilder, (und wir erinnern uns an Nietzsches Text „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischem Sinne“, an den Bilder- und Metaphernstrom), womit wir wiederum bei einer verschachtelten Konstruktion wären, die zeigt, daß all die Aspekte des neuen Realismus medial in Vermittlung sich befinden. So zumindest könnte man assoziieren, wenn wir an die im c/o Berlin gezeigten Blow ups samt der Referenzphotographie aus dem Maryon Park anknüpfen möchten.
Dennoch bleibt nach dem Besuch dieser Ausstellung trotz dieses Sujets Ungenügen zurück, und es ist jene photographische Exposition zu einem Film nicht mehr als eine Reminiszenz, die thematisch Aspekte dieses Films anspielt. Diese Veranstaltung kann allerdings im Modus der Bilder, in dem solche Ausstellungen nun einmal wirken, den medialen und kulturellen Verschachtelungen, die der Film vermittelt, nicht gerecht werden. Es bleibt ein Reigen an Bildern, an dem die Betrachter vorbeidefilieren. Interessant und weiterführend sind allenfalls die in Fremdphotographien hergestellten Bezüge, so etwa die Modephotographien der Black Trinity oder die Sozialdokumentationen von McCullin. Hier sowie beim Thema der medialen Referenz wäre anderes möglich gewesen, und es bekäme der Ausstellung besser, wenn sie sich in diesen Bereichen verzweigte.
Wer mehr möchte, ist mit dem Katalog zur Ausstellung besser bedient. Darin befinden sich einführende und weiterführende Texte zu den fünf Themenbereichen sowie Photographien und Film Stills. In diesem Schnitt, in dieser Kluft zwischen Text und Bild zeigt sich das Dilemma: was eigentlich im Medium des Films sinnlich erfahrbar werden soll, bedarf am Ende doch wieder des Textes. Den aber kann eine Ausstellung nur schwierig und um den Preis zahlreicher Wandtafeln mit Text vermitteln. Interferenzen über Audioguide oder Smartphone sind in solchen Kontexten eine gute Möglichkeit, den Strom der Bilder zu brechen oder ihn zu untermalen, zu unterfüttern und weiterzuführen.
Der Katalog erschien im Verlag Hatje Cantz und ist für 35 EUR erstehbar. Es lohnt sich, ihn sich anzuschaffen. Er vermittelt einen guten Blick auf die medientheoretischen Korrespondenzen, auf philosophische Implikationen und auf die Umstände dieser Zeit der 60er Jahre.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 4. April.