Francesca Woodman: Zwischen Surrealismus und der Inszenierung des Körpers als Frau

6a00df351e888f88340147e2830437970b-800wi Dies ist keine Gabel, und es ist auch nicht das Bild einer Gabel, sondern es ist das Spiel der Referenz im Bild mit Gabeln und mit einem Löffel sowie einem Gesicht dabei. Ist es ein Portrait? Die Anordnung der Photographie wirkt wie Zitat und Kunstscherz in einem. „Ceci n’est pas une pipe“. Der Verrat des Bildes. Ein genial auskomponiertes Bild, in dem – wie verlassen – das Besteck auf der Fensterbank kalt als Objet trouvé daliegt, und als Kontrast dazu diese eine Gabel in der Hand der Frau, die durch diese Positionierung noch einmal ganz anders als die übrigen Gabeln wirkt. Zuhanden sozusagen und nicht bloß vorhanden. In Pose gebracht und im Dreieck zwischen einem gemalten Bild und der Fensterbank gezwängt, und das Gesicht einer jungen Frau, die Betrachter ungerührt anblickend.

Seit dem 30. Januar bis zum 21. Mai zeigt die Vertikale Galerie in Wien  Bilder der US-amerikanischen Photographin Francesca Woodman.  Woodman ist wahrscheinlich den wenigsten bekannt – allenfalls einige Eingefleischte der Photographie, die sich für das Spiel des Frauen-Körpers interessieren, kennen sie. Mit nur 22 Jahren beendete sie ihr Leben im Jahre 1981. Geboren wurde sie am 3. April in Denver. [Eigentümlich, daß wir mit dem Tod anfangen und nicht mit dem Leben.]

Der Körper selber, situiert in Räumen, gerät in der Photographie Woodmans zum Spielfeld und zur Inszenierung des Bildes als (Selbst-)Portrait und weist doch in der Anordnung des Körpers als Bild-Material darüber hinaus. Gerne wird bei solch dramatischen Umständen wie einem frühen Tod von der Biographie her gedacht: Der frühe Tod und das Mädchen samt den Photographien sowie das Verschwinden im Bild der verschlierenden, gespensterhafen Doppelbelichtungen.

FW_Space2_Woodman-1024x1015Daß eine Frau in der Wand verschwindet, ihr Körper sich hinter den Tapeten auflöst, ist ein Motiv (oder eine Metapher), die das Unsichtbarwerden anzeigt, das zugleich mit der Erstarrung zu tun hat. Die Wand als Materie bleibt hart und so wird es auch der Körper. Es birg sich, wie schon in Ingeborg Bachmanns „Malina“ der Körper darin. Interessant wäre es, die Photographien Woodmans mit dem Todesartenzyklus zusammenzulesen. Mit diesem metaphorischen Verschwinden korrespondierte leider ebenso das ganz und gar reale Vergessenwerden dieser Photographin: nämlich das Verschwinden aus dem Raum der Kunst. Insofern ist es löblich, daß die Ausstellung und das dazugehörende Buch diese Photographin im deutschsprachigen Raum bekannt machen. Bisher gab es lediglich im Phaidron-Verlag eine umfassende Monographie mit englischem Begleittext. Begleitend zu dieser Ausstellung wird zudem im Verlag der Buchhandlung Walter König die erste deutschsprachige Monographie erscheinen. Unter anderem mit einem Text von Elisabeth Bronfen.

Zugleich aber ist bei solch aufreizenden und gleichzeitig dramatischen biographischen Bezügen, die sich zunächst als Vehikel der Interpretation anzubieten scheinen, weil es ja um eine Art Ich-Inszenierung und photographisches Selbst-Portrait geht, Vorsicht ratsam, denn schnell befindet man sich in der Falle jener reduktionistischen Lesart, in der das Werk bloßer Effekt der Biographie bleibt. Doch diese Photographien sollten nicht allein unter der Optik „Der Tod und das Mädchen“ beschaut, besehen, gelesen werden, sondern in ihrer Autonomie und das heißt für sich selber stehen. Sicherlich: die Betrachter werden nicht von den Umständen dieses kurzen Lebens absehen können, diese Aspekte spielen in jegliche Lektüre mit hinein – sei es auch unbewußt. Doch im Rahmen der Kunst und der Fiktionalisierung, in den Weisen der Poetisierung und der Textualisierung (auch als Bild, auch Bilder bilden Texte, die gelesen und geschaut werden wollen), verflüchtigt und komprimiert sich ein Leben ins Werk. Und was wissen wir schon von Francesca Woodmans Leben? Wie indiskret, darin zu schnüffeln, anstatt diese verstörenden, teils gehetzten, teils in ihrer Anordnung traum-absurden Photographien als solche und beim Wort zu nehmen.

fashion156-francesca-woodman06 Auffällig ist vor allem, daß es meist geschlossene enge und schäbige Räume sind, in denen sich das Photographie-Ich von Woodman als (inszenierter) Körper in Szene setzt. Die Analogie zwischen Ich und Innenraum, zwischen dem Interieur der Psyche und dem Interieur des ramponierten Raumes, dem Verschwimmenden und dem Ausdruck des Subjekts als Zerbrechliches liegt sicherlich nahe. Wenn wir aber anerkennen, daß Körper und Gesicht nicht bloß der Ausdruck und die Erscheinung des Inneren oder eines Wesens sind, sondern ebenso sehr der Ausdruck des Gesellschaftlichen, der sich in einem Medium manifestiert – sei das nun Malerei, Photographie oder Film und bedingt auch das Theater, wo sich der Körper bildlich ausstellt –, dann bekommen diese Photographien noch einmal eine ganz andere Dimension, die völlig außerhalb aller Selbstfindungs- und Selbstinszenierungsvarianten liegt: dem mit den Dingen einswerdenden Körper eignet das Moment der Verdinglichung, der auch den Blick auf den Körper berührt.

Und genau darin verhalten sich diese Photographien surrealistisch und stehen in der Linie der surrealistischen Photographie: Mit dem Körper verbinden sich in den Photographien der Surrealisten Aspekte seiner Dekontextualisierung, der Dekonstruktion und Zufälligkeiten: wie die Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf dem Operationstisch verschiebt sich der Körper aus dem bloß sinnlichen Daseins-Rahmen, ohne dabei jedoch über-sinnlich zu werden. Insbesondere Man Rays Photographien weisen uns auf den unaufhebbaren Bildcharakter des photographierten (weiblichen) Körpers hin: Man denke nur an „Le Violon d’Ingres“ [Und das ist schon vom Titel mehrdeutig, denn violon läßt sich als Violine, als Polizeigewahrsam und im Sinne von viol ebenso als Vergewaltigung lesen. Alles zusammen be-deutet diese Photographie Man Rays.]

Der Körper, der nie nur der Körper, sondern mitsamt seiner gesellschaftlichen Aufladung in seiner Leiblichkeit und Nacktheit zugleich das Objekt der erotischen Begierde ist, verweist gleichzeitig auf den sexualisierten Körper. Photographie kann den Wunsch nach dem Körpers als Fetisch im Bilde schüren. (Denn nichts anderes als ein Fetisch ist der photographierte Körper – auch. Er dient als Ersatz, steht als Etwas für Etwas, vertritt im Medium Bild das eigentliche Objekt.) Oder die Photographie kann dieses Begehren umlenken und den besagten Kontext verschieben, indem sie den Fetisch und die Fixierung in Bild und Blick aufbricht. Bereits die surrealistische Photographie Man Rays oder die Puppenbilder Hans Bellmers unterliefen die bloße Sexualisierung – ohne sie jedoch auflösen zu wollen, denn der entsexualisierte anti-erotische Blick des Aseptikers, der Aseptikerin wären bloße Langeweile.

27340001 Francesca Woodmans Photographien stehen durchaus in dieser Tradition und erweitern das Spiel zugleich – manchmal hin zu einer alptraumhaften Sequenz. Es sind Photographien, die das Ungeschützte des Körpers und sein inszenatorisches Moment in einem zeigen. Wenn die offensiv gespreizten Beine einer Frau in einer Photographie dargeboten werden und wenn das, was ansonsten und meist in der Photographie als Vulva oder als Geschlecht sichtbar ist und was begehrt wird, von einem Spiegel verborgen wird, so tritt das Spiel von Inszenierung, Verdeckung und Projektion deutlich hervor. Ein Spiegel verdeckt die Vulva nicht wie ein Wäschestück, das als Fetisch wirkt, sondern er verweist auf eine andere Ordnung bzw. auf eine andere Blickachse. Zumal der steinähnliche Gegenstand (als im Bild Reales und zugleich als Gespiegeltes) assoziativ eine gewisse Nähe zur Form des menschlichen Gehirn zuläßt, und statt des Gesichts einer Frau sind lediglich Haare zu sehen, die sich über dem Spiegel ausbreiten. Der Spiegel verdoppelt, aber er weist dabei nicht auf den Apparat, der die Szene aufnimmt, sondern er steht leicht in der Schräge, so daß dieser Spiegel den drapierten Gegenstand sowie den Boden wiedergibt. Interferenzpunkt darin sind die Haare, die zugleich real im Bild und als Bild im Spiegel zu lesen sind; als wären sie, wie auch der Stein, gespiegelt und damit Bestandteil des Spiegelbildes. Was in der Photographie sinnlich betört und den Modus von Weiblichkeit heraufbeschwört, sind lediglich die langen, fallenden Haare, die lackierten Nägel und die schlanke ausgestreckte Wade des linken Beines der abgebildeten Person.

Aber die Photographien von Francesca Woodman lassen sich nicht in eine Richtung und auf ein Sujet hin festschreiben. Auch das Gespensterhafte, der Fetisch und der Körper in Spiel und Spiegel, als im Raum gebannter und darin zugleich sichverflüchtigender bleiben Moment. Groß macht diese Photographien ihr Rätselhaftes, das sich weder im Gender-Diskurs noch in einer Theorie der Gespenster und der Spiegel ausschöpft. Person ist etymologisch gefaßt mit der Maske verbunden. Schwebezustände und Verhüllungen. Das Selbst bleibt immer eine Rolle, insbesondere in die Facetten der Bilder gefaltet, unterliegt es der Dialektik von Zeigen und Verhüllen.