Die Brechung des Blicks, die Verfransung sowie die Tonspur zum Wochenende (kulturindustrielles Pastiche)

„Die echte Zeit ist bedeutungslos“ (Don DeLillo, Der Omega Punkt)

Wir erhalten in der Ordnung sowie in der Darbietung der Bilder nur noch die Fetzen, die sich in die Retina brennen. Selbst dann, wenn sich die Bilder den Anschein von geordneter Folge geben. Es bleiben Fragmente im Blick, Wahrnehmungstrümmerteile als Bild. Dieses Gestöber der Partikel überlagert noch den blinden Fleck, ritzt und schneidet die Retina an, beschneidet in dieser herrlich kleistschen-buñuelschen Weise die Augenlider und erzeugt insgesamt ein weißes Rauschen. „Mein letzter Seufzer“. Dieses Rauschen ist das von Bildern, die in vielfältiger Weise den Blick konditionieren und zugleich erweitern. Daß sich in unseren Wahrnehmungen Interferenzen und Überlagerungen einschleichen, Trugbilder, Phantasmagorien (der Waren) sich über unsere Sinne legen und unsere (Denk-)Verhältnisse sowie Daseinsform bestimmen und wir in den Bilderwelten der Großstadt die Chocks parieren mußten, stellte bereits Walter Benjamin in seinen Studien zu Baudelaire als einer der ersten fest. Die Technik – als eine Weise des Seins – bestimmt das Bewußtsein. (Wobei man hier zugleich auch eine materialistische Simplifizierung bei Benjamin wittern und konstatieren kann, wie bereits Adorno das in jenem Brief von 1936 tat: der schädliche Einfluß von Brecht – sage ich mal so mit einem kleinen Augenzwinkern.) Und auch in der Kunst kann man – nicht anders als in den übrigen Rahmungen des Medialen – den Bildern nur schwer noch trauen. Zwei Weisen des bitteren, des kalten und dennoch exakten Blickes gilt es am Wochenende zu ergründen: zum einen die kalten, harten, dokumentierenden und zugleich inszenierenden Photographien von Erasmus Schröter (DDR) in der Galerie „only photographie“ (noch bis zum 23.10). Schröters Bilder sind Höhepunkte einer teils surrealen, teils Menschen festbannenden (DDR-)Photographie at its best, die gekonnt mit dem Licht arbeitet: die Bilder dokumentieren und überspitzen zugleich, der Blick von Schröter fällt dabei nicht unbedingt freundlich aus. Erasmus Schröter ist einer der ganz großen Photographen aus der DDR, 1956 in Leipzig geboren, 1985 ausgebürgert. Traurig, daß es bei Wikipedia nicht einmal einen Eintrag zu ihm gibt. Ich verlinke  auf seine Facebookseite, weil ich von diesen Bildern derart angetan bin, daß ich beim Betrachten immer wieder nur Staunen kann. (Auf die großangelegte Ausstellung in der Berlinischen Galerie „Geschlossene Gesellschaft. Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989 werde ich demnächst eingehen.) Was die Sprache und die Erweiterung der ästhetischen Form betrifft, so haben die Photographinnen und Photographen der DDR für die Kunst der Photographie Großes geleistet und Bilder produziert, die ein gelungenes Pendant zur Photographie des so demokratisch-freien Westens bilden. (Ein feiner Besprechungstext zu Schröter folgt. Naturgemäß.) X

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(Alle Photographien: © Erasmus Schröter)

Die andere Weise des Blickes, der dem Zusammenhang, dem Kontext, dem Sinn sowie dem normalen Fluß der Bilder nicht mehr traut, gehört der Darbietung des (Medien-)Künstlers Douglas Gordon (GB). In der Akademie der Künste wird bis zum 4.11. Gordons Mehrkanal-Videoinstallation „Pretty Much Every Film and Video From About 1992 Until now“ gezeigt, die einen Zusammenschnitt seiner Filme und Videos bietet. Für den Fetischisten des fragmentieren, des gedehnten, des verzerrten Bildes, der Montage und des veränderten Blickes (auf Film) wie es bereits Godard nicht müde wurde, den herkömmlichen Blick, das herkömmliche Bild zu dekonstruieren, indem vom Konzept einer linearen Weise des Erzählens abgewichen wurde, ist diese Ausstellung sicherlich von Bedeutung. Douglas Gordon erhielt bereits im zarten Alter von 30 Jahren den Turner Prize (1996), und in diesem Jahr den Käthe-Kollwitz-Preis.

Sein bekanntestes Werk ist „24 Hour Psycho“, das 1993 zum ersten Mal in Glasgow und dann in Berlin gezeigt wurde. Darin wird der Hitchcock-Film „Psycho“ auf eine Länge von 24 Stunden gedehnt. Imposant dabei und vollständig ins Fragment, in die Details und in die Splitter aufgelöst: die legendäre, dramatische, dramaturgisch perfekte Duschvorhangszene. Keine meiner Freundinnen mag bei mir duschen, seit ich es gelernt habe, diese Szene in der nötigen Verlangsamung und Ausdehnung perfekt nachzuspielen und die Imitatio Norman Bates zu geben, ganz im Geiste einer Ästhetik des Bösen und der schwarz-blutigen Romantik (wie wir sie in Frankfurt/Main in einer großen Ausstellung bewundern können), und es läuft den Frauen, ganz wunderbar wie in dem De Palma-Film „Carrie – Des Satans jüngste Tochter“, das Blut in die Wanne. Auch wenn es nicht das der ersten Menstruation ist und niemand dabei ins Lachen fällt. Aber diese Details gehören gar nicht so sehr hierher. Das Strafrecht (und auch das Völkerrecht) werden wir dann am Sonntag zur Besprechung von Juli Zehs Debüt „Adler und Engel“ streifen.

Gordon verlangsamt die Szene und das erzeugt mit dem selben Material im Grunde eine ganz neue Montage, obwohl nichts anders geschnitten wird und die Abfolge der Bilder bleibt wie sie ist. Bloß gerät der Fluß der Zeit aus den Fugen. Mehr nicht. Eine so simple wie geniale Idee, das Wesen von Film und Zeit gleichermaßen zu transformieren. In Don DeLillos Roman „Der Omega Punkt“ spielt dieses Kunstwerk, daß dann 2006 im Museum of Modern Art in New York gezeigt wurde,eine wesentliche Rolle. Zu Douglas Gordon und der Ordnung des Blickes würde ich gerne die zwei Bände des semiotisch-phänomenologisch inspirierten Kino-Buches von Gilles Deleuze gegenlesen („Das Bewegungs-Bild“ sowie „Das Zeit-Bild“). Aber es reicht – schlechter Kalauer, aber eben leider wahr – die Zeit dazu nicht aus.

Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser, das Wochenende des Nikolai E. Bersarin ist gut ausgefüllt, und der Bewohner des Grandhotel Abgrund muß keine Menschen sehen, sondern er befaßt sich lediglich mit Bildern und den Szenen, die sich im Kopfkino auf so wunderbare Weise abspielen. Die Struktur des Begehrens knüpft sich in gleicher Weise in die Phantasmen wie sie auch auf das Reale angewiesen ist, um all die feinen Texte und die Bilder zu erzeugen, die so liebevoll in unseren Köpfen spuken. In diesem Sinne: Ihnen einen guten Start ins Wochenende und hier Ihre geliebte und bewährte Tonspur zum Wochenende. Lassen Sie es krachen! x

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2 Gedanken zu „Die Brechung des Blicks, die Verfransung sowie die Tonspur zum Wochenende (kulturindustrielles Pastiche)

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