Gallery Weekend – nachträglich. Some Photographers, two Painters

Am 1. Mai hätte ein Text zur bildenden Kunst folgen sollen, denn es war Galerie-Wochenende in Berlin. Aber ich schrieb statt dessen, weshalb es heute schwierig ist, links zu sei. Und sowieso: auch das Politische läßt sich bekanntlich als ästhetisches Phänomen betrachten, solange man daraus nicht den ästhetischen Staat ableiten will oder mit Hingabe die Ästhetisierung der Politik betreibt. Besser Langeweile als Faschismus, wie Habermas sinngemäß sagte. Da hat er recht – andererseits gibt es ja auch andere Alternativen als den Faschismus. Ich kann politischen Aktionen lediglich etwas abgewinnen, wenn sie eruptive Ereignisse sind, wenn sie die Dimension des Alltäglichen durchbrechen, wenn sie meine Sinne reizen. Aber ich betrachte dies als Zuschauer, mich interessiert – im Sinne einer entfernt teilnehmenden Beobachtung, als Photograph oder mitlaufender Chronist – die Menge in der Revolution. Ebenso wie der Mensch in der Revolte. Ohne je involviert zu sein. Insofern ist für mich aus jenem aisthetischen Kitzel der Nerven heraus das schockhafte Ereignis als solches ästhetisch bedeutsam, betrachtet aus der sicheren Distanz. Das freilich ist eine riskante Haltung. Denn wenn man diesen Blick ganz ohne Inhalte praktiziert, eine Art Praktik ohne Praxis, kann man genauso die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen 1992 wie auch bei jenem legendären Maikrawall vor 30 Jahren ästhetisieren: als es bei Bolle und bei den Vietnamesen brannte. Man kann von Glück sagen, daß niemand starb. Nun also die Kunst. Benjaminschen Proklamationen eher abhold.

Gallery Weekend also – so sperrig dieses Wort ins Deutsche übersetzt klingt, so komplex und sperrig ist auch das Event. Die 47 „offiziellen“ Galerien mögen zu „bewältigen“ sein; deren Werke, all die Installationen lassen sich komfortabel betrachten. Aber die ans Gallery Weekend andockenden Kunsträume sind schier unendlich. Keiner, der das alles ablaufen könnte. Was bedeutet: nicht bloß drei Sekunden aufs Bild schauen, um dann weiterzuhetzen. So wie man einen 1000-Seiter der Weltliteratur nicht in drei Tagen mit Siebenmeilenstiefeln durcheilt. In dieser Hetze entgleitet das Wesentliche, die Details rutschen durch. Also nimmt sich der Leser Zeit.

Allerdings dienen solche Leistungsschauen und Messen – erst am 29.4. endete die Art Cologne – nicht der ästhetischen Versenkung, nichts soll analysiert werden, sondern der Kunstkenner verschafft sich einen Überblick, was auf dem Kunst-Markt läuft, was geht und was nicht, was dernier crie und was abgewirtschaftet bloß noch an der Wand hängt. Spazieren und das was da ausgestellt wird, betrachten, taxieren, bewerten. Immer wieder gerne erwähnt bei solchem Berliner Spaziergang und als eine absurde Dissonanz wahrgenommen, ist der Kontrast zwischen der Potsdamer Straßen mit ihren Ein-Euro-Läden, dem türkischen Gemüseladen in der XL-Variante, heruntergekommene Döner-Spelunken und ebenso alte, noch verbliebene Bars wie das „Joseph Roth“. Und natürlich peu à peu sich ausweitend die Galerien, die sich rund ums ehemalige Gebäude des Tagesspiegels gruppierten und manch Altes verdrängen. Das Farben- und Tapetengeschäft „Erwin Fron“ in der Kurfürstenstraße gibt es nicht mehr. Der Laden steht leer. Letztes Jahr existierte er noch und stellte sogar ein paar Farbbilder aus. Aber das half nichts. Und dort, wo vor zwei Jahren ein griechischer Kulturklub sein Domizil hatte, ist eine Galerie. Die Besitzerin einer kleinen Druckerei mußte den jungen wilden Künstlern weichen. Gegen Gentrifizierung wird immer dann erst protestiert, wenn das zahlungskräftige Klientel von noch Reicheren verdrängt wird.

Im Tagesspiegel-Gebäude selbst befinden sich die Großgalerien von Blain|Southern, was vom Klang her genauso ein Ölkonzern sein könnte. Und Esther Schippers, die vom Schöneberger Ufer ins Tagesspiegel-Gebäude zog. Blain|Southern zeichnet sich durch eine riesige Halle aus, in der früher die Druckmaschinen der Zeitung standen – allein wegen des Gebäudes lohnt der Besuch. Ideal für Gemälde von Jonas Burgert, und zwar mit den Maßen 6 x 22 Meter. Eine ganze Wand breit (siehe unten, Photo 5 u. 6). Da sehen wir ein wild-expressives Getümmel. Menschen verknäult in Farbe, eine malerische Großtat. Ich bin bei solch Pompösem ansonsten skeptisch, wenngleich die Riesengemälde im Louvre von David oder Gericault ebenso durch diese Größe ihre Wirkung entfalten – man denkt da auch an Kants Erhabenes, als Monumentales hier direkt auf die schiere Bildgröße bezogen. Diese Größe weckt eine ästhetische Idee in uns. Ein Objekt, das sich über die normalen Ansprüche der Sinnlichkeit erhebt, kein Guckkastenbild, sondern ein Koloß thront da. Das sollte man sich ansehen. Mal unabhängig davon, wie man das Kunstwerk selbst bewertet.

Spannend am Gallery Weekend ist, daß man auf interessante Kunst stößt und dafür nicht einmal den Museumseintritt bezahlen muß – wobei ich nichts gegen den Eintritt bei Museen haben – für die, die es sich leisten können. Die meisten Ausstellungen sind eine Zeit lange zu sehen, über das Weekend hinaus. Jonas Bungert noch bis zum 29. Juli.

Beeilen hingegen muß man sich in der galerie hiltawsky in der Tucholskystraße in Mitte. Dort sind die Photographien der legendären Lee Miller noch bis zum 6. Mai in einer wilden Petersburger Hängung im ersten Raum und schön nebeneinander im hinteren Teil, im schmalen Flur zu sehen. Ein Ansammlung, die man so schnell nicht wieder in den Blick bekommt: Reisephotos, Bilder in surrealistischer Manier, Reportagephotos aus dem befreiten Nazi-Deutschland. In der wilden Mischung versinkt leider das geniale Einzelbild. Aber es ist eine Galerie nun einmal kein pädagogisches Museum. Für einen Überblick jedoch reicht es.

Ebenso gibt es diese feine Übersicht in der Galerie Kicken (Linienstraße 161A), aber dort wohlgeordnet und jede Photographie einzeln für sich: nämlich die Bilder von Sibylle Bergemann und dazu andere legendäre Ost-Photographen wie Harald Hauswald, Arno Fischer, Helga Paris. (Bis 1.9.) Ebenfalls Sibylle Bergemann in der Galerie Loock (Potsdamer Straße 63). Bergemann ist schwer im Schwange, „Frauen. Und in Farbe“: das sind Mode- und auch Reisephotos, eine Masse wundervoller Bilder. Sehr genau hat Bergemann diese Menschen gesehen und abgelichtet. Ich haderte lange mit mir, ob ich ein oder zwei dieser Photos hier und bei Kicken kaufen solle.

Gleich nebenan die wohl seltsamsten Photographien, nämlich die des Norwegers Kåre Kivijärvi. Schwarz-weiß-Bilder zwischen 1959 und 1966 geschossen, hart im Kontrast, wie das zu seiner Zeit nur wenige Photographen praktizierten. Man kennt diese Art von Bildkontrast eigentlich eher aus der Japanischen Photographie Ende der 60er Jahre – wer es genauer sehen will, schaue sich den Bildband „Provoke“ vom Steidl-Verlag an, der von jenem gleichnamigen japanischen Photomagazin handelt: Provocative Materials for Thought. „Kåre Kivijärvi war ein komplizierter Mann voller Widersprüche. Er begann als Photojournalist, ums sich später als Romantiker zu bezeichnen.“ So beginnt der Ankündigungstext der Galerie Michael Janssen (Potsdamer Str. 63). Zu sehen gibt es Photographien aus dem Norden, Reisebilder aus Afghanisten. Kivijärvi photographiert die abgelegenen Orte dieser Welt, er macht Reportagebilder von der Seefahrt, in Nepal oder Grönland, Landschaftskompositionen, ein Kohlkopf im Feld.

Bei hunderten von Bildern trifft der Betrachter eine Auswahl. Willkürlich oder unwillkürlich – bei mir waren es die Gemälde der rumänischen Künstlerin Iulia Nistor. „canary in a coal mine“ heißt die Ausstellung in der Galerie Plan B (Potsdamer Straße 77-87, bis. 17.6). Ich kannte Iulia Nistor bisher nicht, aber wie es in der bildenden Kunst so ist, fallen einen momenthaft und ohne daß es einen Grund gibt, manche Werke auf den ersten Blick sofort an. Ästhetische Unwillkürlichkeiten. Wenn ein Künstler Farben in der Manier der Pastellmalerei weich auf die Leinwand bringt, springe ich nicht gerade vor Freude auf, weil das zartgetupfte Zartgetuschte meine Sache nicht ist. Oft sind solche Bilder verzärtelt und hinter die Zeit gefallen. Es haftet ihnen das Kunstgewerbliche an. Meist denke ich an Worpswede und an Schönwettermalerei. Aber natürlich: wie es immer ist – es gibt die Ausnahmen von der Regel. Diese Bilder von Iulian Nistor sind alles mögliche, nur nicht lieblich. (Photo 2 und 3)

Eine besondere Ausstellung findet sich in der Galerie Thomas Fischer (Potsdamer Straße 77–87). Irmel Kamp (*1937) photographiert das Neue Bauen in Tel Aviv und Brüssel. Es heißt ja, daß es in keiner anderen Stadt der Welt als in Tel Aviv derart viel Bauhausarchitektur gebe. Kamps Bilder zeigen diese Gebäude. Menschenleer und man könnte meinen alles sei kalt. Aber in der Anordnung und durch das Schwarz-weiß entfalten diese Photographien Spannung. Genau auskomponiert, exakt den Ausschnitt und den Anschnitt gewählt. Diese Leere der Straßen, wo nur die Dinge, das Haus, ein Auto so dastehen, berührt. Manchmal ragt bloß ein Zweig ins Bild oder Blätter, als wäre da auch noch die Natur. Der Mensch aber ist fort. Manches Haus sieht verfallen aus, andere wieder sind in einem passablen Zustand. Kamp geht es um die Besonderheit des jeweiligen Gebäudes, sein Spezifisches. Zwar für Menschen gemacht, aber erst weil diese Menschen fehlen, können diese Photographien veranschaulichen, daß Gebäude zwar für uns gebaut sind, aber dennoch ein Eigenleben führen. Reine Form und Funktion. Für jeden Bewohner zwar offen, aber erst der Bewohner ist es, der dann mit seinem Interieur dem Inneren zum besonderen Leben verhilft. Kamp zeigt Möglichkeitsbedingungen des Wohnens und des urbanen Lebens. Oberflächenbilder, die tief sind.

Ein Gedanke zu „Gallery Weekend – nachträglich. Some Photographers, two Painters

  1. Wie immer auch sehr schöne Kommentare und Lesarten von Uwe unter den Bildern, bei ein paar Anmerkungen habe ich selber eine Kleinigkeit hingeschrieben. Danke auch für Dein intensives Betrachten. Aber das ist bei Photographen eh selbstverständlich. Oder sollte es sein.

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