Galerietage in Berlin. Der Hipster, die Backstube Thoben und der Aesthic turn

Kunstwochenende in Berlin. Im kecken Ton subjektiven Befindens plaudert Ronja von Rönne in der Samstagswelt des Feuilletons prominent auf der ersten Seite über das Gallery Weekend. Sie berichtet uns, daß sie mit moderner Kunst nichts anfangen könne. Früher, in den Jahren des Qualitätsjournalismus wählte der Redakteur eine Kunstkennerin und erteilte ihr einen Rechercheauftrag. Heute läuft es anders. Ohne Inhalt fabulieren, schickt sich als neues Journalistenformat, und es ist gut, wenn eine Zeitung Autoren im Anekdotenstil über die Dinge schreiben läßt, mit denen jene Autoren nichts am Hut haben, denn am Ende drückt auch das die Preise der Schreiber. Für Qualität muß man etwas zahlen. Fürs Loslabern nicht so viel. Es wird in symbolischer Währung honoriert. Da ist der Schreibplatz Lohn genug. Aber vielleicht ist es von der „Welt“ bloß die angemessene Reaktion auf einen entleerten Kunstbetrieb, Rönne schreiben zu lassen. Während in der Abendschau vom Samstag Sascha Hingst mit einem Adorno-Zitat den Anfang macht – ich staunte nicht schlecht: Aufgabe der Kunst sei es, Chaos in die Ordnung zu bringen. Exakt heißt es in Adornos „Ästhetischen Theorie“: „Mehrfach ist, zuerst wohl von Karl Kraus, ausgesprochen worden, daß, in der totalen Gesellschaft, Kunst eher Chaos in die Ordnung zu bringen habe als das Gegenteil.“ Sympathisch fand ich diesen Ausschweif in dialektische Ästhetik trotzdem.

Ob freilich Kunst dieses Verwirren noch leistet, bezweifle ich. Chaos, Bruch und Anarchisches verflogen oder wurden im Betrieb als wohlfeile Regung eingemeindet. Kunst stiftet Seelenheil, vom Épater le bourgeois blieb nicht einmal der Bourgeois übrig und das wirkte ebenso auf die Kunst zurück. Keiner regt sich auf. Alle regen sich an, wenn sie von Galerie zu Galerie schlendern oder im BMW-Shuttelservice kutschiert werden. Ich blicke in aufgekratzte Gesichter. Es hätte auch das von Ronja sein können. Die Provokation, die einst ein Manet mit seiner nackten „Olympia“ im Pariser Salon auslösten oder die Wut auf die Blutorgien eines Hermann Nitsch sind längst ausgedampfte Geschichte. Das Reinheitsgebot für Kunst fordern allenfalls noch AfDler oder die Identitären in Wien, wenn sie eine Jelinek-Aufführung im Burgtheater stürmen. Vielmehr delektieren wir uns an den Werken – verbrämt im Jargon der Kunsttheorie als ästhetische Erfahrung – wie wir eine fluffige Crème brûlée löffeln. Mit zufriedenen Gesichtern stehen die Menschen in den Galerien der Auguststraße, der Linienstraße, im alten Berlin in Kudammnähe oder rund um die Potsdamer Straße. Geschmack ist auf sein unmittelbar sinnliches Surrogat geschrumpft, Kunstwerke werden geschlürft, wie später bei den Empfängen dann die Austern. Sie prickeln und machen Lust auf mehr. Wie ein Champagner. Vom Wahrheitsgehalt eines Werkes oder von ästhetischer Wahrheit sind beim Betrachten kaum noch Spuren zu finden. Allenfalls rudimentär und in Vereinzelung. „Was weiß Kunst?“ fragt Alexander García Düttmann und plädiert im Untertitel seines Buches für eine „Ästhetik des Widerstands“.

Wenn wir schon anekdotisch über bildende Kunst schwätzeln und im Rönne-Sound statt Kenntnissen Nichtwissen für Text auftischen, dann werfe ich mich auf ein Randphänomen des Galerienwochenendes: Die Frakturen. Die zeigen sich deutlich sichtbar in der Potsdamer Straße. Aber ebenso in der Markgrafenstraße in Kreuzberg, nahe Springer und taz. Dort steht zwischen Charlottenstraße und Markgrafenstraße eines der letzten Gewerbegebäude, das nicht recht mehr in diese Gegend zwischen eleganten Hochhäusern zu passen scheint. Ein Lidl ist darin untergebracht, ein Hostel, ein Geschäft für Essens- und Trinkbedarf aus Spanien und eben auch einige Galerien. Alles hier sieht aus, als warte es nur auf den Abriß.

Zurück aber zur Potsdamer Straße. Keine 300 Meter vom schicken Galeriegeschehen entfernt, wie es sich im ehemaligen Haus des „Tagesspiegels“ abspielt, wo Erlesenes der Kunstwelt seine Location hat, liegt Wulle. Wulle ist keine In-Galerie oder eine neue Cocktailbar, die sich an der Potse zum Absinthsuff auftat, sondern das gute alte Woolworth. Beständig und billig. Wo Kanaksprakfrau mit Kopftucht günstig Omaschlüpper ersteht oder weniger wohlhabende Biodeutsche Shirts kaufen. Das Warenwesen in seiner Billigform. Wenn man möchte, kann man durch den Laden laufen und ohne zu kaufen die Plastik- und Kunststoffprodukte in ihrem Ausstellungswert besehen. Der Unterschied zwischen Wulle und einer Galerie ist, was die in Theoriedesign vielbeschworene ästhetische Erfahrung wie auch den absurden Sinnesreiz des ästhetizistischen Aufsteigerns anbelangt, nicht sonders groß. Es könnte Wulle oder irgendein anderes Warenhaus genauso eine Riesengalerie mit Ready Mades sein. Die Brillo-Box hat unsere Wahrnehmung entweder verdreht oder aber gut verschärft. Das kommt auf die Perspektive an.

Dieses Wesen von Mensch, das bei Wulle nicht betrachtet, sondern kauft, wohnt und wohnte bislang in dieser Umgebung. Der Sozialpalast z.B. ist keine drei Straßenzüge entfernt. Genannt Pallasstraße. Ein Hochhaus, das über eine Straße ragt, darunter dann die Autos z.B. zum Biomarkt auf dem Winterfeldtplatz fahren. Eine Nummer größer in Berlin gibt es das nur an der Schlangenbader Straße. Eine Autobahn führt unter einem Hochhauskomplex hindurch.

Den üblichen Hipster zu erwähnen, den ubiquitären mit dem Bart, ist im Bericht öde, denn er gehört zum Distinktionsmerkmal Kunst in der Art dazu wie Hure auf Kurfürstenstraße, und der Hipster verirrt sich nie nicht ins Woolworth, um zu shoppen. Nicht mal aus Spaß. Dafür aber finden wir ihn in den Galerien. Belustigende Szene in der Galerie Fuchs, wo Montagen von Tomi Ungerer gezeigt wurden. Da stehen sie, staunen, einer der beiden Hipster, in weinroter Hose und einer weißen Kapuzenjacke, die halbangezogen wie bei Kindern zwischen Ellenbogen, Unterarm und Hüfte baumelt, murmelt so zum anderen und schüttelt voll Unverständnis sein bärtiges Köpfchen: „Das ist ja echt 68er-Kritik.“

Der Hipster sieht diese Menschen, die in ihrem Kiez seit Jahrzehnten leben, allenfalls belustigt als Requisiten. Oder gar nicht. Auf der Potse aber sitzen nur wenige Schritte vom nächsten Hipster entfernt, der einen dunklen Poncho-Umhang aus Schurwolle trägt, wie vor 20 Jahren die Indiomusiker in den Fußgängerzonen (nur das deren Gewänder bunter waren, während das vom Hipster drastisch feiner ist), die Frauen vom Kiez. Sie hocken auf den Plastikstühlen vor der Backstube Thoben mit den schlechten billigen Brötchen, die nach Luft schmecken. Die Frauen plaudern, sie trinken ihren Kaffee, sie lachen, sie zeigen ihre Goldzähne oder es erfüllt das Gebiß eine Lücke. In Sichtweite, aus der Richtung zum „Wintergarten“-Varieté hin wehen Gitarrenklänge herüber und ein schwarzbärtiger Mann von rundlicher Gestalt singt französische Lieder: Wenn man nichts hat als die Liebe. Ein neues Bistro feiert mittags Eröffnung. Weine und Speisen der französischen Küche werden gereicht. Gemüse und Fleisch vom Grill, Rosé- und Weißwein fließt oder steht im Glas. Anders als Thobenkaffeeleute trinken und essen. Potsdamer Straße. Ich frage mich, wie lange die Menschen, die hier wohnen, noch wohnen. Die Frau, mit der Druckerei, die ihr Leben ausmacht und ihr den Unterhalt sichert, muß sich mit Vermieter und Künstlern streiten, die in dem Gewerbehof anderes vorhaben und gerne Bierflaschen liegenlassen.

Wo vor zwei Jahren in der Kurfürstenstraße ein Verein mit Griechen seine Räume hatte, zeigt nun eine Galerie Photographien von geschundenen Kühen. Aber vielleicht war auch der Verein mit den Griechen bereits eine Inszenierung von geschundenen Griechen, denke ich mir. Ein Kunstprojekt. Man sollte in der Potsdamer Straße auch Woolworth, das finanziell wackelt, als einen Show-and-Collectorsroom betreiben.

15 Gedanken zu „Galerietage in Berlin. Der Hipster, die Backstube Thoben und der Aesthic turn

  1. bin ein Bewohner des lichten,werdenden Zwischenraumes und deshalb manchmal anderer An -bzw.Einsicht als Sie.Aber das hier ist großartig…!!!

  2. Man muß auch keineswegs immer einer Sicht sein. Manchmal sind Abstände derart groß, daß auch Argumente nicht überzeugen.

  3. Die Potse kenne ich als das, was der Name schon ausdrückt: Die vulgäre Straße der Billigpuffs, die Armutsversion der Reeperbahn. Die Worte, die auf otse/otze enden sind ja die schlimmsten Begriffe der deutschen Sprache. Im Jargon des Kiez werden die dort arbeitenden Frauen im günstigsten Fall „Amüsiermatratzen“ genannt.

    Ansonsten schließe ich mich dem Kollegen Quast an: Superbeitrag!

  4. I accept chaos; but I don’t know, wether chaos accepts me – – reading Nietzsche ’n‘ Wilhelm Reich
    Die Fotos 9 (l n r) von oben und fünf und zehn (r n l) von unten fand ich interessant – und gelungen.
    Das Porsche-Wappen kann man auch im kleinen Vorschau-Bild erkennen, obwohl es auf meinem Bildschirm nur einen ca. viertel Quadratzentimeter einnimmt.

  5. @ che: In der Tat. Potse ist hier die berlininterne Bezeichnung. Ich wiederhole sie in ironischer und zugleich dokumentierender Absicht. Lokalkolorit gleichsam.

  6. @ Dieter Kief
    Das Porschewappen auf dem silbernen Grund samt der Reflexe: einfach nur schön. Es stach mir sofort ins Auge. Zumal ich einen Faible für Autos aus den 50er, 60er und 70er Jahren habe. Das Chrom, der Lack, die Formen: nichts anderes als ästhetische Erfahrung. Und ein wenig Madeleine noch dazu, weil die Erinnerungen an eine Kindheit Ende der 60er, bis Mitte der 70er wieder hervortreten. Die Autos hatten es mir von ihren Formen (die Motoren waren mir egal, die PS-Zahl ebenso) schon als Kind angetan. Die wenigen DKWs, die man noch sah, der Caymann, den Simca, den NSU Prinz. Und dann diese Farben!

    @Kreidler
    Gerne geschehen. Manchmal gelingt ein Text und fließt aus der Tastatur. (Feder sagt man heute wohl nicht mehr.)

  7. @Uwe (zu Deinen Kommentaren unter den einzelnen Bildern)
    Ich hatte versucht – als Spiel und im Wahn der Abstraktion – die Photographien um einen kleinen Teil an die Malerei anzugleichen. Sozusagen ein leichtes Photo-Capriccio. Formen, die verfließen, verschlieren. Referenz sicherlich auch an G. Richter, den ich als Künstler ausgesprochen schätze.

  8. @Bersarin:
    Ich kommentiere lieber einzelne Bilder als ganze Serien.
    Die Angleichung an die Malerei, von der Du sprichst, habe ich an verschiedenen Fotos erkannt und ja auch in meinen Kommentaren angesprochen: das Spiel mit Oberflächenund Texturen, aus denen sich dann das Motiv zusammensetzt, mitunter nur im Auge des Betrachters. Verfremdungseffekt und Selbstreflexivität inklusive.

    Gruß, Uwe

    PS Ich war übrigens auch da, nicht aber als Galeriehopper. Ich habe ganz gezielt mit zwei Freunden Orte angepeilt, deren Programm oder Location mich interessierte: Galerie Buchholz, wegen Tillmans, und Galerie König, wegen des Ambientes. Motor meines Berlin-Kurztrips waren aber zwei andere Ausstellungen: Stephen Shore und Lee Miller. Sie stellten sich als die Portalsfiguren heraus, mit deren Augen ich dann alles andere sah, was dazu führte, dass ich die Fallhöhe in Sachen Kunst sehr deutlich zu spüren bekam. – Danke übrigens, dass Du hier nochmals auf die Lee Miller-Ausstellung hingewiesen hast.

  9. @ Uwe
    Unbedingt richtig, einzelne Bilder zu kommentieren, zumal dann Bild und Text einen Zusammenhang erzeugen. Leider zeigt WordPress diese Kommentare rechts in der Leiste nicht an, was schade ist. Deshalb wies ich nochmal auf Deine Kommentare hin.

    Tillmans wollte ich auch anschauen, schaffte es aber nicht mehr. Lee Miller kann ich nur jedem empfehlen. Die Shore-Ausstellung wollte ich nächste Woche mir ansehen. Endlich.

    Beim Gallery Weekend kann ich mich nie entscheiden, ob ich mir lieber die Besucher und diese Atmosphäre oder die Werke ansehen soll. Na ja, beides geht auch. Unbedingt zu empfehlen sind die Montagen von Tomi Ungerer in der Galerie Michael Fuchs. Wie auch bei Esther Schipper diese nette Spinneninstallation samt drei- und zweidimensionalen Objekten von Tomás Sacaceno. Photographisch halte ich die Landschaftsaufnahmen von Michael Schmidt in der Galerie Nordenhake für sehenswert. Zielony hätte ich mir noch gerne angesehen. Und ein paar andere Dinge, aber irgendwann bin ich derart „overflashed“, daß ich nichts mehr aufnehme. Es fehlt mir bei zuviel Bild sowieso die Konzentration.

  10. Wenn die Unordnung zur Ordnung geworden ist, wäre vermutlich die einzige Möglichkeit, wieder Unordnung in die Ordnung zu bringen, die Darstellung von Ordnung und Kitsch. Right?

  11. Nicht zwangsläufig und nicht mit logischer Notwendigkeit. Genauso könnte es – in einer anderen Gesellschaft etwa, die die alte Ordnung stürzte – das Ende einer Kunst bedeuten, wie wir sie kannten, weil wir der Kunst in diesem bürgerlichen oder postbürgerlichen Sinne nicht mehr bedürften. (Ordnung muß übrigens nicht zwangsläufig mit Kitsch korrelieren.)

  12. oh, diese armen hipsters, wie sie herumhampeln zwischen dieser Endzeitkulissen des postnewtonschen Zeitalters, zwischen Beton und nochmals Beton! Früher waren diese Marionetten wenigstens noch auf Überdosis LSD, und wie war es nur LSD-mäßig, dass es immer nur Beton war, und immer wieder Beton !

  13. Da gibt’s nur einz: zurück zum Beton! Und zwar radikal!

    (Aber selbst der Kippenberger-Kunst-Punk ist eingemeindet.)

  14. yes, yes,yes – diesmal habe ich gemacht, was ich sonst nie tue, voll aufgedreht, bevor ich nen Video anklicke. Aber Volltreffer, es bietet sich kein Vergleich an, also nur: yes! (heute verzichte ich sogar auch meine Osho-mäßige „dynamische“ Meditation.)

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..