La Belle de France – in Trauer, zum Tod von France Gall

Es war die Musik meiner Eltern, in den frühen 60er Jahren, der kleine Bersarin war nicht einmal ein Jahr alt, Kennedy keine zwei Jahre tot, und auf den Mond sollte der Mensch erst vier Jahre später fliegen, drei Jahr also, bevor die Schwester des Kolumnisten geboren wurde, das Jahr 1965, langsam begannen Studenten aufmüpfig zu werden und gegen Regeln und Verbote zu protestieren, als France Gall beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, wie dieser Contest damals noch hieß, mit  Poupée de cire, poupée de son antrat. Und gewann. Eine unbeschwerte Zeit, trotz aller politischen Beschwernisse. Eine Zeit erotischer Freizügigkeiten.

So wie Serge Gainsbourg, der jenen Song für France Gall schrieb, kann man heute nicht mehr singen. Es ergingen über die Sängerin und den Texter Kübel von Denunziationen. Weil nämlich jegliche Regung in einer biederen Moral erstickt wird. Waren die linken 68er damals noch für die Befreiung von Frau, Gesellschaft und Sexualität angetreten und standen ihnen die Konservativen damals als Feinde gegenüber, so haben sich heute die Register empfindlich verschoben. Die heutige kulturalistische Linke hat den Part der Konservativen übernommen, Ideologiekritik verkam unter der Hand zum Werkzeug von Inquisition. Die Grünen sind inzwischen eine Verbotspartei und beim Namen Heiko Maas fällt den wenigsten heute Gutes ein. Sänge heute eine Frau Poupée de cire, poupée de son in der naiven Weise, wie France Gall es tat, träte beim Spiegel die Hysterikerin Stokowski oder irgendeine andere sogenannten, selbsternannte Twitter-Feministin an, um in schrillem Ton Banales zu posten und die Standardspielmarke Sexismus einzusetzen. Die Lust am Mehrdeutigen ist dem zwanghaften Bekenntnis gewichen. Nicht mehr „Zeig mir, ob er steht!“, sondern wiedermal jenes unsägliche „Sag mir, wo du stehst!“

Oder aber es herrscht eine solche Ubiquität des Sexuellen, daß jeglicher Nebensinn und jegliches Subtile einfach nur verblaßt und verschimmert. Von Erotik keine Spur mehr, sondern angesichts derb gezeigter Titten und Ärschen in Videos und von Halbstarkposen der Hip-Hop-Macker bietet der Pop aufdringlich die Körper dar. Nein, früher war nicht alles besser. Aber manche Musik hatte mehr Kraft und Potential. Selbst dort, wo es bloß Unterhaltung war. Ein Hauch von Mode und ein Tick des Zeitgeists, an dessen Gewand sich aber immerhin noch die Idee von Schönheit und von Lust heftete, wie sie einst die Moderne, auch als Imago von Erotik, beschwor. Ein Moment von Freiheit blitzte in solchen Liedern wie von France Gall auf. Eine durchzechte Party, ein Engtanz und übrig blieben morgens ein paar schöne Luftballons. Oder zertanzte Schuhe oder ein neues Lebewesen, das da im Bauch sich bald regte und mit den Monaten langsam zu strampeln begann, weil’s die Pille noch nicht gab. Es wurde gelebt und nicht gelabert. Männer stellten sich tatsächlich manchmal noch ihrer Verantwortung anstatt ein Ticket für Holland zu besorgen oder sich einfach aus dem Staub zu machen. [Sicher – es gab auch das Gegenteil. Feige Männer existieren zu allen Zeiten.]

All jene freien und manchmal eben auch wieder verklemmten Momente jener 60er Jahre und der frühen 70er schossen mir durch den Kopf, als ich die CD mit Songs von France Gall vorhin hörte. Die Erzählungen meiner Eltern. Der kiffende Hippiefreund Klaus, der einmal seinen Joint in der Zigarettenschachtel vergaß. Muttern, die nichts ahnte, verschenkte die Packung mit den letzten drei oder vier Zigaretten darin an die Handwerker. Die werden statt Astra („Wer Häuser baut und seine Frau verhaut, der trinkt auch das, was Astra braut!“) mal einen anderen Spaß gehabt haben. (Gott hab ihn selig, den guten alten Klassismus.) Unsere Vormittage an der Elbe, die Schiffe, die Wellen. Manchmal denke ich, daß die Frauen zu dieser Zeit sehr viel emanzipierter waren als sie es heute sind. Aber das mag ein Trug sein oder eher für die DDR zutreffen. In der BRD sah es von der Gesetzeslage, seien es die Scheidungsgesetze oder die Möglichkeit der Frau vom Gesetz her einem Beruf nachzugehen, anders aus.

Aber das ist ein anderes Thema, beim Betrachten jenes Videos Laisse tomber les filles aus dem Jahr 1964, dem Geburtsjahr des Autors, fiel mir auf, wie frei und wie wild, aber auch wie unschuldig damals noch die Bilder von der Hand gingen. Anders als in den 50ern, die freilich beileibe nicht so verklemmt waren wie es schien und im Vergleich zum Heute, wo schon ein Wandgedicht sexuellen Argwohn erregt. Was diese Bilder zeigten: Ausgelassenheit und Bruch zugleich – am deutlichsten vielleicht fand sich dieses Spiel und dieses Vexierbild in Jean Luc Godards Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola aus dem Jahr 1966. Vielleicht sehr französisch, das ganze. Aber diesen Ton der Freiheit kriegt man auch mit, wenn man etwa die Briefe von Gudrun Ensslin an Bernward Vesper oder Ensslins Briefe von 1968 aus dem Knast an Andreas Bader liest. Eine seltsam bedrückende und doch zugleich freie Zeit. Etwas Neues brach sich Bahn. Auch wenn ich den Erzählungen meiner Eltern folge.

Feiern wir also jene unbeschwerte schöne Zeit und denken an die schönen Lieder und an jenes ausgelassene Frankreich von France Gall und Serge Gainsbourg. Adieu, France Gall! Sie starb heute, in Neuilly-sur-Seine an ihrer Krankheit namens Krebs.

Schauen wir also zur Erinnerung die Videos und hören diese schöne und so sehr französische Musik.

4 Gedanken zu „La Belle de France – in Trauer, zum Tod von France Gall

  1. Ist ja auch eine Frau. Da muß es nicht wie ein Kerl klingen. Und Französinnen sind eben keine Walküren und auch keine sozialen Konstrukte.

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