Abwesenheitsnotiz (In Paris)

Einige Tage schlendern, flanieren, spazieren, schauen. Über die Boulevards und die Straßen. Lange Zeit war ich nicht mehr in Paris. Paris – die steinerne Stadt. Mauern und Grau, wenn man sich im Flugzeug der Metropole nähert oder vom Hügel des Pére Lachaise über die Stadt blickt. Wir suchten die Gräber von Balzac und Proust. Wir fanden sie. Regen in der Stadt. Ich liebe das Grau der Steine, das durch den Regen noch grauer wirkt.

Allerdings – es fehlt mir in Paris meine Geliebte. Wo ist meine FAZ? Nichts zu finden hier, um im Bistro zu lesen. Freilich fehlt mir auch meine andere Geliebte. Die weit ostwärts weilt. Der Mensch braucht viele Dinge, er findet sie an verschiedenen Orten. Hier ist es die Stadt, die ich immer noch mag. Auf alle Fälle sind die Menschen im Vergleich zu den 80er Jahren sehr viel freundlicher geworden. Zumindest die jungen Leute. Daß der Pariser herzlich ist, kannte ich bisher gar nicht. Noch im Jahre 2004 rangierte die Höflichkeit des Parisers gegenüber Gästen knapp hinter dem Bretonen, der, als er einem Gast den gußeisernen Fuß eines Tisches auf den menschlichen Fuß wuchtete, kein Wort des Bedauerns fanden, sondern, nachdem die Frau laut vor Schmerz schrie, zornig die Frau anstarrte. Andere Länder andere Sitten. Ich begegnete der Grobheit wehrmachtsmäßig in zackigem Bestellbefehlston. Bellend bestellen in deutscher Sprache und dabei mit dem Finger auf die Karte deutend, damit der Bedienstete auch weiß, was wir wollen. Inzwischen ist es anders. Freundliche Menschen in den Bars und Geschäften.

Heute morgen, in einem der Gänge in der Metrostation Arts et Métier grölt plötzlich einer Allahu akbar. Sein Schrei hallt durch die Gänge, aber man sieht den Rufer nicht, es kommt vom gegenüberliegenden Gleis. Ich drücke mich in Fluchtroute. Keine schöne Vorstellung. Wieder 2 % mehr für Le Pen. An der Place de la République, vorm Denkmal, am Sockel schwimmt das Blumenmeer und die Bilder der Opfer kleben am Stein. Aber auch Plakate zu aktuellem Protest mischen sich darunter. Das Bataclan liegt ganz in der Nähe am Boulevard Voltaire. Auf der anderen Seite türmen sich die Reste aus Blumen und Kerzen. Verwelktes Andenken. Aus manchem Fenster hängt traurig im Regen die Tricolore. Ich mag Paris im Grau.

Das Gute an Paris – es gibt hier keine Kolumnen von Sibylle Berg oder Georg Diez. Ebenso keinen Böhmermann, kein Facebook. Paris entrückt.

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7 Gedanken zu „Abwesenheitsnotiz (In Paris)

  1. Temps de pluie, wie auf dem bekannten Gemälde von Gustave Caillebotte:
    Mögest Du ebensolche zufällig anmutende und dabei doch durch und durch konstruierte Alltagsszenerien auf den Straßen von Paris sehen und festhalten. Ich freue mich auf Deine Ausbeute. Gutes Flanieren, das ohnehin alleine besser gelingt. So bleiben alle Sinne offen und die Obsessionen des Blickens können sich frei entfalten.
    Gruß, Uwe

  2. @ Uwe
    Jeden Tag könnte ein kleines Photobuch entstehen. Mit den Notizen eines Flaneurs. Weg von der Heimat zu sein, übt den Blick des Photographen. Viel Photographierenswertes tat sich bisher auf. Ich werde, wenn ich wieder in Berlin bin, eine Auswahl davon zeigen.

    @Diotima
    Klar doch! Und indeed, mir geht das deutsche Dampfgeplaudere der wohlgutmeinend politisch Linken so ungemein auf den Senkel. Moralisierendes ohne Moral, Faseln, ohne daß es was kostet. Sackhaft. Ich will Ernst Jünger. In Paris begreife ich wieder ein Stück mehr, weshalb das Grandhotel Abgrund der einzige Weg ist. Bestimmte Negation. Nirgends mittun. Reines Genießen.

  3. Ja richtsch, Adorno ist ein please bitte rühr mich nicht an, und Jünger auch.
    Dann kommen die Unterschiede.
    Jünger war besser aufgehoben im Gelände* (auch in seinem Wiflinger Dörflein u Garten), und Adorno im Konzertsaal.

    * ganz gut auch in Jugoslawien usw.!

    Zu Lüneburg 1 noch: Fotos machen wie hinter Glas – 1 Gedanke, der mich, ein wenig abgewandelt, beim Fotografieren häufig – und lange schon – begleitet.
    Er ist ein wenig überdeutlich, weil wir ja durchs Objektiv aufnehmen. Und er hat wahrscheinlich eine genealogische Seite: Wir sehen Bilder oft in Form von Spiegelungen.
    Daher zögere ich auch bei Ihrer Weiterung: Der Härte. Das scheint mir eine zu naheliegende Qualifikation. Das auch deswegen: Wenn es ein Wasser in Europa gibt, nach dem ich mich sehne, so ist es die kleine schwarze Pfütze am / Rande der Dämmerung, in der ein Kind sein Schiffchen, zart wie Maienfalter, treiben lässt…
    Da ist das bildgebende Medium zart – und wenn man mit dem anthropologischen Auge darauf schaut, ist dieses Medium so etwas wie das Mutterschiff des Bilderglücks – – und Rimbaud hat recht: Die Wasserspiegelung ist : Zart, weich, fliessend, zittrig, bewegt usw.

  4. Das war unangenehmes Ende meiner Bateau-Lektüre. Zwar will es sich nach den Exzessen in südlichen Seen nicht länger beugen unter die grausamen Brauen der Brücken der Flüsse in Frankreich, das ist ihm sicher – Peter Weiss hat die Pont Royal aber positiv konnotiert und ans trunkene Schiff erinnert die Mitte der Seite 19 im 2. Teil der Ästhetik des Widerstand als Suhrkamps Neue Folge 501 – da es seine Vergangenheit war, eh es die Treidler verlor durch Indianerspeere oder -pfeile. Aber sein Wunsch zu enden als lappiges Papierschiff auf traurigen Pfützen im tristen Sch’tiland, nachdem er zuvor in der Großen Natur vergammelt war und aufgegangen ins Eins, hab ich übel sentimental empfunden, als melancholisch oder depressiv. Nojo, er war 17 Jahr, braunes Haar.

  5. Bei Rimbaud, genauer an einem seiner Texte kam ich in Paris vorbei, nahe der Kirche St. Sulpice, in der Rue Férou, wo an die Wand gemeißelt einige der Verse aus dem Bateau Ivre stehen. Sicherlich zeige ich die Mauer, wenn ich die Photographien gesichtet und bearbeitet haben werde.

    Jünger war in der Tat im Gelände besser aufgehoben. Ganz gleich, ob Schlacht oder Käferwimmeln. (Wobei immerhin Adorno einer der ersten war, der das Naturschöne überhaupt erst für eine moderne Ästhetik wieder ins Spiel brachte. Das ist nicht gering zu veranschlagen.)

  6. Ja, Photographien wie hinter Glas. Als Prinzip der Komposition gelingt dies manchmal sogar, wenn kein Glas vorhanden ist. Aber es ist, als wäre eines vor das Objektiv gebaut.

    Meine Gewässer bleiben Elbe und Nordsee. Aber es stimmt – auch jene kleine Pfütze ist nicht zu verachten. Denn Erinnerungen haften am Detail.

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