Vadderns Tochter, Helene Hegemann, sowie die postmoderne Moderne und das Plagiat

Ob das Buch der Tochter vom Dramaturgen und Professor für Dramaturgie Carl-Georg Hegemann gut ist, das weiß ich nicht, es steht hier nicht zur Debatte, es interessiert mich nicht sonderlich, weil die meisten Texte von 15- oder 17jährigen in der Regel ästhetisch mißlungen sind, geschuldet auch ihrer mangelnden Bildung und ihres noch völlig unzureichenden, kaum zusammenhängenden Wissens. Glücklicherweise schrieb dieses Buch jedoch die Marketingabteilung von Ullstein. Aufgrund ihrer signifikanten Dürftigkeit lasse ich meist die Finger von solchen Texten, denn die Lesezeit ist knapp, es kann und soll nicht alles gelesen werden. Ich halte mich mittlerweile lieber an die sogenannten Klassiker der Moderne und der Vormoderne, weil die literarische Gegenwart ausgesprochen öde ist. Rimbauds gibt‘s halt nicht im Sixpack und in der Auslage. Insofern ist es für die Kritik in diesem Blog auch egal, ob das Buch „Axolotl Roadkill“ gelungen oder ästhetisch gescheitert ist. Wer mit 16 schreibt, mag bereits einiges erlebt haben oder nicht. Gereift ist es nimmer. Ohne „Axolotl Roadkill“ gelesen zu haben, wette ich darauf, daß es ohne den Namen der jungen Frau nicht einmal auf dem Schreibtisch des Lektors gelandet wäre, selbst bis zum Papierkorb desselben dränge es nicht vor, weil eine freundliche Hilfskraft es vorzeitig aussortierte.

Doch von Zeit zu Zeit taucht solche Jugendliteratur immer einmal wieder auf: Ob Irina Denezkina, Alexa Henning von Lange (wer war das nochmal?) oder Nick McDonell, in Phasen preßt das hervor; die (eigentlich bekannten) Gründe nenne ich gleich. Die Feuilletons loben das Buch von Helene Hegemann sehr. Vielleicht ist etwas dran. Da verhält es sich wie mit den Büchern von Daniel Kehlmann: man nimmt es sich vor: die müßte man mal lesen. Und doch ereignet sich der unendliche Aufschub.

Ja, diese jungen wilden Jahre und die Literatur, die das aufschreibt: Natürlich gehören diese Feuchtgebiete, die Irrungen, Wirrungen und die Gelage zur lang anhaltenden, absichtsvoll hinausgezögerten Pubertät: Wer‘s in der Schulzeit nicht hatte und – verlängert – in die Studienzeit hinein, der ist womöglich arm dran, dem fehlt etwas: fette Partys, feuchte Pussy, fiese Drogen, ich habe das ja ausgiebig in meinem Erzählungsband „Dicke Geier hat der Eier“ verarbeitet.

Im Grunde handelt es sich bei solchen Büchern wie von Hegemann et al. jedoch um Literatur aus der Retorte, die bewußt für den Markt produziert wird, weshalb die Analogie zum Musikvideo nicht falsch ist: Bedürfniserzeugung, Bewußtseinsindustrie, Vorgefertigtes, Tütensuppenliteratur. Das vermeintlich Innovative ist das Allzubekannte. Die verschiedenen Medien inszenieren einen Strom der Kommunikation; Skandälchen und Provokation werden in diesen Strom eingespeist, der zunächst einige Zeit fließt; es gereicht zum (nicht nur finanziellen) Wohle aller, bis die Sache versiegt oder platzt. Die Namen verschwinden sodann in der Versenkung oder kommen irgendwo in einer Talkshow, im Feuilleton, am Theater unter.

Ja, es existieren Designer-Drogen, warum nicht auch designte Literatur? Mit Projekten wie „Crazy“ und dem deutschen Froileinwunder in der Literatur der 90er fing es an, daß die Marketingabteilungen der Verlage Planwirtschaft vorlegten. (Vielleicht auch schon früher, ich habe es vergessen. In den 80ern war die Kritik ja vom Erstlingswerk des 23jährigen Michael Chabon sehr begeistert.) Dieses In-Szene-Setzen läßt sich sodann beliebig steigern, Papa, Förderer oder der großen Ranschmeiße sei Dank. Auch der Hype und der Verriß gehören zu solchen inszenierten Projekten. Ich selber mache da ja bereits mit, weil ich darüber schreibe, mich darüber auslasse; Schweigen wäre im allgemeinen Gebrabbel und im weißen Rauschen der Medien besser. Besser weitermachen im Text mit Benjamin und Adorno, dem dialektischen Bild, der Phantasmagorie, einem neuen Aufsatz zur Postmoderne.

Es geht, wie gesagt, gar nicht so sehr darum, ob der Roman gut oder schlecht ist; es spielen ästhetische Kriterien in der Bewertung der Causa Hegemann zunächst eine untergeordnete Rolle. Auch das Thema Plagiat: das sei hingenommen, wenn es hier nur um ein zwei Sätze ginge. Natürlich gibt es nicht das Original, geschenkt und gewußt, es sind die Übergänge von „Original“ und Umschrift sehr fließend. Schlimm ist daran aber, und hier fasse ich die sehr guten Beobachtungen, die Hartmut zu diesem Thema auf „Kritik und Kunst“ unter dem Titel „Plagiat und Postmoderne“ anstellte, zusammen: daß es nämlich nicht angehen kann, sich einerseits (als Subjekt) medial derart zu spreizen, die geballte Ladung „Personality“ und Monetäres in Anspruch zu nehmen, und wenn einer es dann an der Person festmachen möchte, wird, wie etwa in dem grottenschlechten Artikel auf SpOn von Daniel Haas, die lange Nase gezeigt: Es ist ja alles nur ein textuelles Spiel, das gehört doch dazu. Was erregt ihr euch so sehr?

Obwohl Hartmut und ich einiges, was die Postmoderne betrifft, wohl unterschiedlich betrachten und bewerten, muß ich den Sätzen Hartmuts zustimmen, kann es selber gar nicht anders und besser formulieren, als er es in seinem Blog macht. Und weil mir diese Ausführungen zu einem Begriff vom Subjekt, das sehr wohl für Dinge verantwortlich ist, so gut gefallen, zitiere ich sie einfach mal. Diese Ausführungen Hartmuts treffen die Sache exakt: Wenn ich mich als geniale 17jährige hype und hypen lasse, da bin ich mit meinem guten Namen als Subjekt (selbstverständlich, comme il foucault, dissoziiert) präsent; wenn ich das nicht will, muß ich dieses Spiel abbrechen. Da zieht jedoch eine Frau die Wunderkindnummer durch – wenn auch sich kalkuliert sträubend, medial den Widerwillen bekundend, das gehört ja zum Geschäft – und macht hinterher, wenn die Dinge schlecht laufen, auf unschuldiges Kindchenschema-Gesicht: „Ach, böse, böse, das hätte ich nicht tun dürfen. Da war wohl eines meiner zahlreichen Ichs total gedankenlos und egoistisch. Upps.“

Nein, so geht es eben nicht, so läuft das nicht. Völlig richtig schreibt Hartmut auf „Kritik und Kunst“:

„Ob nun – ohne dass ich das ineins setzen will – Sascha Anderson jahrelang Stasi-Tätigkeit ausübte oder Helene Hegemann bloß ein bißchen abgekliert hat – es ist eigentlich immer das Gleiche: Schriftsteller, die sich zu Stars haben ausrufen lassen, die die sehr wohl personengebundenen Zuschreibungen der Szene, zusamt der materiellen Vorteile, die sich daraus meist ergeben, genossen haben, entdecken ausgemacht dann postmoderne Texttheorien, entdecken ausgemacht dann die Destruktion von Subjekt- und Wahrheits-Begriff, wenn sie beim Mogeln erwischt werden. Und da wirds dann ranzig. Denn man merkt die Absicht und ist verstimmt. Solange es gut fürs Geschaftl ist, werden die Gesetzlichkeiten – das ist jetzt auch und gerade juristisch zu verstehen! – der Bürgerlichen Gesellschaft stillschweigend abgenickt – Eigentum, Talk-Show-Auftritt, ICH bin der Autor…und wenn die Sach´ scheep gangen iss, wird das Hohelied Foucaults gesungen. Sorry, aber das ist mir, im Modus des Bürgerlichen betrachtet (das Künstlerische spielt jetzt mal keine Rolle!) zu verlogen, zu verkommen. Foucault hat, als Monsieur Delacampagne, bekanntlich einmal den Vorschlag unterbreitet, alle Autoren sollten ein Jahr lang ohne Namen veröffentlichen. Hätte Helene Hegemann ihre Anzitationen und Brechungen als Melissa Meiners oder gar anonym veröffentlicht – alles wäre in Ordnung gewesen.“

Genau so ist es. Wir fügen kein Jota hinzu.

„Das hier ist es: Postmodern schwatzen, identitätsphilosophisch abkassieren – das ist es, was mich so anwidert. leute, die daran glauben, dass es so etwas wie Wahrheit letztlich nicht gibt, dürften (was soll der Konjunktiv?) eigentlich keine Unterlasungserklärungen verschicken…“

Wie gesagt, ich teile Hartmuts Positionen zur Postmoderne nicht überall, aber das, was in der Causa Hegemann geschieht und dazu ein solcher Artikel wie der von Haas, das ist einfach nur eine bittere Lachnummer und Ärgernis in einem.

Man lese auf SpOn das hier:

„Wenn dann aber die Risiken eines solchen, nicht mehr selbstherrlich auf Individualität und Originalität pochenden Schreibens deutlich werden, dann fängt das Gezeter an. Es scheint für viele, auch für das Feuilleton, eine große Kränkung darin zu liegen, dass die für gut befundene literarische Provokation eine genuin postmoderne, das heißt aus Versatzstücken montierte ist.“

So, so; und es ertappt sich der Schreiber dieser Zeilen auf SpOn nicht beim heimlichen In-sich-Hinein-Prusten? Man fragt sich, welches Ich da gerade schreibt: das, was nicht alle an der Muschel hat oder das, welches gerade mit dem Versuch kämpft, den Poststrukturalismus adäquat zu verstehen und darin grandios scheitert? Man weiß es nicht, man wird es nicht erfahren, wo der Has im Pfeffer liegt. Und so geht das fröhlich weiter im Text. Da werden Foucault, der Tode des Autors, das sogenannte Intertextuelle verwurstelt und zerhackt, daß es weh tut.

Was mich an dieser Debatte und diesen trüben Theorie-Gestalten wie Haas so stört, das sind ihre zwei auf der Party angelesenen Zeilen Barthes und Foucault, weshalb ich hier noch einmal auf einen Text von Jens Balzer aus der „Berliner Zeitung“ verweisen möchte, den ich mir an anderer Stelle anläßlich von zehn Jahren „Tristesse Royale“ erlaubte zu zitieren:

„Auch lag auf dem Kaffeetisch in seinem Zimmer dekorativ ‚Die Ordnung der Dinge‘ drapiert. Nach dem Zustand des Buches zu urteilen, hatte Joachim darin noch keine einzige Zeile gelesen. Aber er wusste immerhin aus Gesprächen, dass es darin um eine ‚Absage an den alten Subjektbegriff‘ ging. Dessen intellektuelle Kritik schien ihm die passende Ergänzung zu seinen zuletzt gesammelten Schallplatten zu sein …“

Daß Foucault (und im Grunde auch Roland Barthes) für diese völlig falsch verstandene Dekonstruktion des Autors herhalten müssen, ist mehr als ärgerlich, weil durch solches Verschwurbeln und Verwursten ein interessanter Philosoph banalisiert und aufs Niveau von SpOn bzw. von Daniel Haas heruntergezogen wird. Warum läßt man nicht einen Redakteur schreiben, der dieses Gebiet der Literaturtheorie in einem Studium bearbeitet hat und dem ein paar wesentliche Unterscheidungen geläufig sind?

Und Allgemeingut sollte natürlich sowieso sein, daß dieser Begriff eines vielfältigen, gespaltenen, dekomponierten, fragmentierten Subjekts sowie der erweiterte Textbegriff ein wesentlicher Bestandteil der literarischen Moderne sind, welche seit über 100 Jahren in vielfachen Konstellationen durchgespielt wurden: Man denke an Bachmanns fragmentierte Subjekte im Todesarten-Zyklus, jene Frau, die in der Mauer verschwand, oder an Max Frischs ersten Satz aus dem Stiller, oder man erinnere den Titel „Mein Name sei Gantenbein“. Und auch in der frühen Moderne finden sich zahlreiche Texte: man lese Hofmannsthals Chandos-Brief, man gehe von Benn über Kafka zu Joyce und Proust zurück zu Rimbaud. Das ist doch alles nicht neu und nicht erst mit Foucault auf dem Markt: Wer hat‘s erfunden? Nein, nicht Ricola und die Schweizer, das reicht bis in die Romantik zurück. Hartmut hat das ja alles genannt.

Aber das eine ist Kompositionstechnik wie bei Joyce, Proust, Dos Passos, dem leicht überschätzten Burroughs oder Döblins „Alexanderplatz“ (Adorno mochte dieses Buch nicht, nebenbei gesprochen), das andere sind Personen, die (längere Passagen) fast wortwörtlich abschreiben. Das eine ist Referenz auf das, was ist und was uns als Wirklichkeit dargeboten wird (Herr Haas bezieht sein Salär ja nicht virtuell-textuell-aufgelöst, sondern hält es nach dem Gang zum EC-Automaten in den fröhlichen Händen, auch wenn man nicht weiß, wofür.) Das andere ist das Leben des Textes. Wenn Frau Hegemann also als die Frau mit der Maske und ohne Namen, vielleicht als Mme Foucault, auf der Bühne aufkreuzte, nicht einmal der Verlag wüßte, wer sie ist, die Sache stünde anders. Sie hat sich jedoch ganz bewußt als Frau Hegemann positioniert, da wird sie dann mit ihren 17 Jahren auch die Suppe auslöffeln und mit dem Namen des Autors oder dem „nom du père“ herhalten müssen.

Was schreibt „Kritik und Kunst“: „Sollte eine 16,17jährige von den Mechanismen des Markts überrollt worden sein: Geschenkt! Sollte es – Stichworte: Ullstein, Papi, Privilegien – hier aber Unklarheiten geben, dann immer gib ihr Kante! Da bin ich dann Schwein. Da möge der Name Helene Hegemann wieder und wieder mit dem Namen Forestier vergoogelt werden, bis die Suppe dick ist.“

Nun, Frau Hegemann tut mir einerseits leid. Denn bei all ihrer vermeintlichen Abgebrühtheit und Hipnes muß man sie im Grunde vor sich selber schützen, denn sie ist gerade einmal 17, demnächst 18 Jahre alt. Schade auch, wenn ein eigentlich in diesem Betrieb erfahrener Vater seiner Sorgfaltspflicht nicht nachkommt. Andererseits: Was soll‘s? und wohl bekommt‘s: Postmodernism can be so hard (boiled). Doch wer weiß schon was?: Vielleicht gehört genauso dieses Stück Plagiatsgeschichte als hübsche Inszenierung dazu; immerhin war Vaddern ja beim Theater tätig, da weiß er als geschulter Dramaturg sicherlich, worauf es wirkungsästhetisch ankommt. Lassen wir uns überraschen.

PS und als Nachtrag: Wer einmal schöne bestsellerreife Satzproduktionen aus der Klischee-Küche lesen möchte, den verweise ich umgehend auf „Kritik und Kunst“: Fast wie bei Raymond Queneaus Gedichtbuch, wo man sich selber aus Papier-Bauteilen ein beliebiges Gedicht machen kann, bietet Hartmut die wunderbarsten Phrasen der Beliebigkeit frei Haus zum Gebrauch. In der Tat: diese Sätze von Hegemann, die auf dem Blog „Gefühlskonserve“ zitiert werden, sind billige Ficki-Ficki-Kotzi-Kotzi-Prosa.

Wann kommt eigentlich das kalkuliert provokative Konzentrationslager-Sex-Buch: „Ich fickte den Karl Fucktor“? Ullstein übernehmen Sie.

13 Gedanken zu „Vadderns Tochter, Helene Hegemann, sowie die postmoderne Moderne und das Plagiat

  1. Schon lange frage ich mich, was mit den Journalisten los ist. Diese Mischung
    aus Dummheit und Korruptheit-offenbar auch in den Feuilletons. Ich habe lange auf einen solchen Kommentar gewartet (der heutige in der FAZ- leider etwas spät- ist auch nicht schlecht).
    Danke!
    B.S.

  2. Es ist in der Tat erstaunlich, wie stramme Verteidiger des bürgerlichen Privateigentums und der ihm gemäßen identitären Subjektivität plötzlich ihren Hang zur textkommunistischen Kolletivität entdecken.

  3. Pingback: Philosophische Schnipsel » Im Klaustall der Literatur: Auch ein Axolotl nährt sich von Plagiaten

  4. Ich wünsche einen schönen guten Tag.
    Der Artikel greift schön auf, was wirklich der Fall zu sein scheint. Der Feuilleton scheint einfach keine Lust mehr haben öfter schlechte Kritiken abzugeben und auf ein wirkliches Talent zu warten, da wird lieber direkt ein Talent geschaffen, denn ein Wunderkind, dass gibt den Leuten das Gefühl, dass zum schreiben keine große Arbeit gehört, sie müssen nur was besonderes sein, und das ist natürlich jeder für sich. Da Talent und Können aber nicht wirklich verhanden, weil ja einfach nur als Wunderkind dahingestellt, wird einfach das was sie machen als moderne Kunst bezeichnet. Im Endeffekt gehört dazu aber nichts und ich nenne das einen fehlenden Wortschatz.

    Aber noch ein paar Wörtchen an den Artikelschreiber:

    Jugendliteraten über einen Kamm zu scheren, nur weil die „gehobene“ Literaturbranche bisher nicht wirklich einen Erfolg aufzuweisen hatte (was bei älteren Autoren auch nicht wirklich der Fall war) finde ich ein wenig gefährlich.

    Abgesehen davon noch zwei Sachen: Das Buch würde dir (ich hoffe ich werde für mein dreistes Dutzen jetzt nicht beschimpft) nicht empfehlen das Buch der Helene Hegemann zu lesen, denn Ästhetik findest du da ganz bestimmt nicht. Mit Daniel Kehlmann hat der Feuilleton dagegen – meine Meinung – doch mal einen Glückstreffer gemacht; denn ob seine Geschichten nun gefallen mögen oder nicht, mit der deutschen Sprache umzugehen, dass versteht er wirklich sehr gut; und neben all dem Stuss, wo die Autoren nicht mehr wissen was ein Konjunktiv ist und Wortdopplungen sowie immer die selbe Wortwahl an der Tagesordnung ist, wirken seine Bücher Lesetechnisch sehr entspannend.

    So, dies war meine Meinung dazu. Ich hoffe konnte vielleicht auch ein wenig helfen.

  5. Danke für den Text. Ich sträube mich nicht so sehr gegen Jugendliteraten bzw. junge Schreiber: Georg Bücher schrieb jung, Schiller auch, sondern gegen eine Literatur vom Reißbrett, die „junge Wilde“ designt, ohne, daß die Sache, also der Text, Substanz hat. Das ist DSDS für Verlage. Sicher, ich gönne es den Verlagen, denn auch diese wollen leben. Wenn das dann jedoch als der ganz große Wurf verkauft wird, so muß widersprochen werden.

    Ich denke dennoch, daß mit 16, 17, 18, 19 keiner den großen Wurf hinlegt, sondern vielmehr in der Phase des literarischen Ausprobierens sich befindet. Literarische Konstruktion von Welt lebt vom Abstand, nicht von der Unmittelbarkeit des Erlebten. Es gibt wenig Texte von 16-, 17jährigen, die ich als so gelungen bezeichnen würde, daß sie einen ganz großen Wurf ausmachen. (Ausnahmen, wie etwa Rimbaud, bestätigen diese Regel eher.)

    Ich will in Büchern natürlich keine Ästhetik finden, sondern gelungene Literatur, einen guten Text, eine spannend erzählte Story, eine Sprache, die man so noch nicht vernahm. Fände ich in einem Buch Ästhetik bzw. ästhetische Theorie vor, so wäre dies eher hineingepreßte Theorie. Es gibt aber nichts Schlimmeres als Thesenromane.

  6. Nun gut, dann ist das wohl falsch rübegekommen.

    Gut aber wir haben wohl eine verschiedene Ansicht von Ästhethik; ich sehe darunter in einem Buch acuh eine schöne Sprache und einen schönen Gebrauch dieser. Deshalb sagte ich, würdest du es nicht in Hegemanns Roman finden, der sehr auf Umgangssprache beruht. Kehlmann dagegen (das soll jetzt bitte nicht ein Vergleich sein) benutzt so finde ich eine sehr schöne Sprache. Ich persönlich mag auch seine Geschichten, glaube aber hier scheiden sich am meisten die Geister.

    Ich stimme dir aber zu mit dem DSDS für Verlage und empfinde das auch als sehr schlimm. ich gebe da gern dieses Beispiel, dass bei DSDS immer auf das Aussehen eingegangen wird, dabei sollte dieses doch mit dem Gesang nichts zu tun haben. Aber gutes Aussehen verkauft sich halt besser. Genau das gleiche ist es glaube ich hier mit dem Alter. Alle reiten darauf rum, dabei hat es mit dem Inhalt doch nicht sehr viel zu tun, mit der Literatur. Aber wenn jemand jung schreibt , was gut und schön ist, wir aufeinmal der Umkehrschluss gezogen, Die Literatur sei dadurch auch enorm hochwertig. Und dann wird sie hochgejubelt.

    Ich werde mir aber die Seite merken, eine sehr schöne Sicht auf die Dinge. Auch wenn ich gerne gewusst hätte, wie ihr zu dem Thema steht, dass Kopie aufeinmal auch Kunst sein soll… (?)

  7. Zu Kehlmann: ich habe mit „Ruhm“ vor einiger Zeit angefangen, es aber nicht zu Ende gelesen. Insofern kann ich zu Kehlmanns Büchern wenig sagen. Seine Rede über Brecht und zum Regietheater kommen naseweis herüber, was jedoch nicht gegen seine Literatur sprechen muß.

    Zur Kopie: Die Frage ist natürlich nicht leicht zu entscheiden. Ich werfe Hegemann ja nicht vor, daß sie, sozusagen, intertextuell arbeitet; Texte beziehen sich auf Texte, spielen mit ihnen, Texte greifen Texte auf, schreiben sie um, kritisieren sie, beschimpfen sie; das ist das Wesen von Texten, und das ist nicht einmal eine postmoderne oder moderne Einsicht.

    Etwas anderes ist es aber, fast eins zu eins abzuschreiben, wenn man erwischt wird, den armen Foucault zu mißbrauchen, das Hohe Lied des Intertextuellen singend, beim Abkassieren jedoch ist man ganz bei sich seiendes Subjekt, gar nicht mehr dissoziert und oszilierend. Der Nörgler hat dies oben ja genannt.

    Zur Ästhetik: Das ist nun freilich ein weites Feld. Kurz nur soviel: Ästhetik handelt auch, aber nicht nur vom Schönen. Sprache kann, sie muß nicht „schön“ (im Sinne von gefällig oder gefallend) sein. Ist Kafkas Sprache schön? Sind Benns Gedichte schön? Es stört mich nicht, wenn Hegemanns Sprache nicht schön ist, sie kann gerne vulgär und zerhackt sein. Rainald Goetzs Sprache ist auch nicht schön, aber seine Texte sind teils ästhetisch gelungen.

    Schlimm ist es freilich, wenn man sich keine Mühe macht, die Arbeit am Material scheut, faul ist und Klischees produziert. Da kommen dann standardisierte Sätze heraus, Szenesprache, tausendmal gehört. Hartmut hat das auf „Kritik und Kunst“ (Link oben im Text) gut parodiert.

    Ich gebe jetzt auch mal einen Satz zum besten: „Mein zerschossenes Gehirn winselt dir die Lust in den Schoß.“ So etwas ist doch nur Klamauk.

    Es freut mich natürlich, wenn Du hier öfter einmal hineinlesen magst.

  8. Ich kann mich gar nicht genug bedanken für diesen wirklich instruktiven Beitrag. Charlotte Roche war schon die Pest, aber das Fräulein Hegemann ist die crossmediale Apokalypse. Ich arbeite übrigens für das Feuilletonunverdächtige Sat.1-Frühstücksferneshen und habe vor den Nebenwirkungen dieses Machwerks live gewarnt. So verrückt und diametral verlaufen die Kampflinien. Der BILD und FAS sei Dank!

  9. Zu Kehlmanns Art muss man ja doch sagen, er sei schon sehr von sich überzeugt, da kann ich nur zustimmen. Und da sind die beiden Felder noch kleine. Ich habe „Wo ist Carlos Montufar“ oder ähnlich von ihm gelesen; da drin sind mehrere Texte von ihm zu verschiedenen Büchern und Personen, sowie insgesamt über das Schreiben und es kommt mir doch manchmal so herüber, als meine er in diesem Bereich alles zu wissen und nichts mehr dazu lernen zu können.

    Aber zu Ruhm: ein nettes Büchlein mit netten Geschichten, doch an die Vermessung der Welt, ein hoch in den Himmel gelobtes Buch kommt es wohl nicht heran. Dennoch muss ich mal wieder den Kritikern der unzähligen Blätter die sich alle nach dem Mund reden widersprechen. Ich finde die Vermessung der Welt ist nicht Kehlmanns größtes Buch; das finde ich hat er schon mit Ich und Kaminski gebracht, welches ich sehr viel schöner fand und dir empfehlen würde. Wenn es sich lohnt etwas von Kehlmann zu lesen, dann das.

    Ich will nicht, dass hier der Eindruck entsteht ich hätte etwas gegen Intertexturelles arbeiten und ich würde dafür auch nicht auf Hegemann herumhacken; anspielungen, spielen mit anderen Texten, Verweise, Inspirationen… alles schöne Dinge, schließlich will die Welt sich weiterentwickeln und nicht jedes mal neu erfinden. Ich will auch gar nicht wissen, wie ihr zu dem Thema steht sie hat geklaut; das es auf gut Deutsch „beschissen“ ist, was sie gemacht hat, nicht gesagt von wem sie es hat wissen wir wohl alle und sie am besten. Worum es mir geht ist, dass sie sich zwar entschuldigt hat, aber ihre Arbeit gut findet. Und auch die Jury der leipziger Buchmesse scheint dies so zu sehen. Aber ist dies wirklich noch gute Literatur? Zu Kopieren? Ich sehe das nicht, aber es strömt mir so sehr in Texten entgegen. Natürlich kann Hegemanns Buch rein theoretisch gut sein (auch wenn es nun nicht mein empfinden ist) aber ist es jetzt noch auf ihrem Mist gewachsen? Ist sie noch das Talent? Hier sind wir wieder beidem worum es in deinem Artikel ging: Es wird ein Talent erschaffen, welches vielleicht gar nicht da ist.

    Zum Ästethischen brauchen wir das nicht groß weiterzuführen, da ich dir in großem und ganzem Zustimme, dennoch Hegemann Texte nicht schön finde. Natürlich kann es das sein, natürlich kann die Sprache „schlimm“ und aller unterster Sau sein, wenn dies gekonnt eingesetzt wird.

    Gerne schau ich öfters mal vorbei. Gibt wenige Seiten die nicht eingenommen sind von ihrer Größe, aber dennoch verstehen (zumindest scheint es mir hier so) wovon sie schreiben.

  10. @ Peter Hetzel:

    Danke für Ihr Lob; ich kenne allerdings Ihre Moderation auf sat.1 nicht, fürchte aber, daß wir in den Argumenten eher wenige Gemeinsamkeiten haben. Zudem: nur weil das Feuilleton versagte, ist das Boulevard nicht besser.

    Das Problem ist nicht so sehr die Provokation als solche. Ich hänge im Hinblick auf Kunst sehr wohl noch einem „Epater le bourgeois“ an. Nur ist dieses mittlerweile sehr viel komplizierter geworden, denn die Provokation ist leergelaufen, ausgehöhlt, ist zum billigen Markteffekt geraten. Gerade diesen kritisiere ich; und ich denke, daß die Bild-„Zeitung“ und die FAS relativ unverdächtige Kanditaten sind, in irgend einer Weise den Markt zu kritisieren.

    Das Provokante und das Verkaufsargument gehen eine Laison ein, die allerdings so neu nicht ist.

    Auch die sogenannte Intertextualitä ist ja nicht per se böse, und oft ertappe ich mich dabei, die postmoderne Texttheorie gegen ihre Verächter zu verteidigen.

    Bei Hegemann stört mich nicht das Abschreiben, sondern das Kalkulierte dieser Angelegenheit. Wenn man abschreibt, darf man nicht so blöd sein, sich erwischen zu lassen. Es muß ein Schreibender die geborgten oder geklauten Sätze so drechseln, daß sie nicht mehr zu erkennen sind. Man muß sich die Ideen des anderen oder der anderen so einverleiben, daß sie zu einem fremden Stoff werden. Dies allerdings ist harte Arbeit. Das Ergebnis wird aber umso mehr entschädigen. Kafka hat man ja im Ernst auch nicht vorgeworfen, er kopiere Robert Walser. Fazit: Man sollte sich beim Anverwandeln Zeit nehmen.

    PS: Es gibt nichts, wirklich gar nichts, wofür ich der Bild-„Zeitung“ danken würde. Es taugt diese Zeitung nicht einmal zur Realsatire.

  11. @ Immanuel

    Je länger ich über Helene Hegemann nachdenke: Wenn meine Zeit nicht so knapp wäre, denn ich betreibe den Blog ja nicht beruflich, kaufte ich mir das Buch von Hegemann, schriebe eine Kritik.

    Die Empfehlung zur Lektüre von Kehlmanns „Kaminsiki“ greife ich dankend auf und hoffe, daß ich dazu komme. (Ich nehme mir jedoch leider sehr viel vor und schafffe doch nur ein Viertel dessen.)

  12. Pingback: google: „Hegemann Proust“ -Edit « wortanfall

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