Von allen Frauen die liebsten,
warn mir die, welche piepsten.
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Bitte, liebe Leserinnen, legen Sie mir meinen Vers nicht frauenfeindlich aus. Betrifft doch dieses von mir gedichtete Phänomen auch eine Figur aus der Hochliteratur, oldschool sozusagen, und zwar die Sängerin Josefine, welche die gewogene Lesererin aus Kafkas später Erzählung kennt. Und so würde ich darüber gerne schreiben wollen, aber es geht nun einmal nicht.
Ich winde mich, ich ziere mich, flüchte vom Schreibtisch an ganz andere Orte. Ach, ich weiß nicht, ob ich wirklich mag. I moag net. Mir zieht sich das Zwerchfell zusammen; diaphragmatische Konvulsionen stellen sich ein. Aber an anderer Stelle habe ich es versprochen, das gilt es zu halten, denn was du bist, bist du nur durch Verträge: Zumindest diesen zweiten Teil noch schreibe ich über jenes naseweise Kind sowie sein zartes Büchlein. Es ist wirklich zum Gotterbarmen, und ich habe mir diese Lektüre angetan. Ich zog sie bis zum Schluß durch; also die Lektüre, nicht die Hegemann. (Gott bewahre, ich steh auf blond.)
Ich weiß nicht, was Maxim Biller et al. geritten hat, solche Lobeshymne in der FAZ zu schreiben. Insbesondere über Ursula März von der „Zeit“ wundere ich mich. Bei Iris Radisch hingegen gar nicht, denn manche kommen zum Posten des Literaturkritikers wie die Jungfrau zum Kinde, wie Jesus zum Kreuz, wie Mohammed zum Jack Russell Terrier, wie Abraham zum Tranchiermesser. Für meine damalige Freundin und heutige Mitbewohnerin sowie für mich war das Auftreten von Frau Radisch im „Literarischen Quartett“ jedes Mal Anlaß, in schallendes Gelächter oder aber böse Häme auszubrechen. Zumindest war das mal eine andere Art von Erheiterung als der ewig vertrottelte, beständig angesüffelt wirkende Karasek. („Bersarin“, schallt da die gestrenge Stimme, „du sollst nicht in Nebensätzen ablenken, sondern in die Sache gehen, dich vertiefen! Versteife dich auf den Text!“ Was bleibt mir da noch weiter übrig, wenn so die vielfältigen Stimmen zu mir sprechen.)
Ja, womöglich kommt im Text „Axolotl Roadkill“ sogar die eine und die andere Einsicht zusammen: Da erwacht in dem mittelalten Rezensenten des Feuilletons die Erinnerung an das Verlorene: Daß diese Zeit der Jugend als die beste des Lebens erscheint: Wie das war, als man erwachsen wurde. Denn davon handelt das Buch wesentlich. Gelebtes Leben, hingerotzte Wörter, an jeder Ecke unerhörte Begebenheiten. EIn einziger Tag ein odysseeischer Kosomos. Es gehört das Buch zur Adoleszenz-Literatur, allerdings zu der der verfickten, verkotzten und natürlich voll abgefahrenen Sorte. Solches mag manchen in seinem Urteil gewogen machen. Da wagt eine einmal etwas. Zugleich ist das Buch der Versuch, einen Vater zu finden und den Ort der Herkunft zu ergründen, ein tastendes Suchen nach Unbekanntem.
Und es ist natürlich nicht jeder Satz des Buches schlecht geschrieben, nicht überall formuliert der Schreiber, wer immer es sein mag, pubertär. Manchmal schreibt er auch altklug. Das Buch melangiert unheilvoll, und diese ersten 204 Seiten wimmeln von Klischees, schiefen Bildern, Wortmüll und -ballast, die nicht Prinzip der Konstruktion sind, sondern sich vielmehr dem Mangel schulden, eine Geschichte kompositorisch bewältigen zu können. („Geh‘ doch nach Leipzig in die Schule!“, möchte man da rufen.) Insofern ist es eben, wie Maxim Biller fabuliert, kein Buch, vor dem sich jeder, der über dreißig ist, hüten müsse.
Da ist Marcel Reich-Ranicki recht zu geben, wenn er (in anderem Kontext, nicht in bezug auf Hegemann) sagt, daß es nicht reiche, sich in die Perspektive des Kindes zu versetzten, nur um einen Vorwand zu haben, naiv und unbeholfen schreiben zu dürfen. Nein, gerade der Kinder- oder Jugendblick ist der schwierigste, die wenigsten können das, hier eine differenzierte, genaue, ja besondere Sichtweise zu entwickeln. Meist dient er als Vorwand, schludrig zu formulieren und zu komponieren.
Ach ja und was all dieses Zusammenschustern und -klauen anbelangt, wofür der Begriff des Samplings herhalten muß, das wußte schon Max Frisch, etwa in seiner Erzählung Montauk: „Lebe im Zitat.“ (Gesamtausgabe Bd. VI, S. 685) Ein Text, der jener „Neuen Subjektivität“ der 70er Jahre geschuldet ist. Damals erstrebte ein Autor das Ziel, möglichst authentisch, ja wahrhaftig zu berichten, sei es aus der Arbeitswelt, der Welt der Frau oder der inneren Welt heraus: das zu sagen, was der Fall ist. Nachdem die Identitätslogik versagte, erscheint dies nicht mehr ohne weiteres möglich. Da muß zu Konstrukten und Steigerungen Zuflucht genommen werden. Die Art, wie das geschieht, gereicht jedoch dem Buch nicht zum besten, und deshalb stimmt dort einiges nicht.
Sprachmüll schreibend aufzuhäufen, um Sprachmüll als Sprachmüll zu entlarven, mag in aufklärerischer oder provokativer Absicht geschehen, wie zuweilen bei Jelinek. Es kann aber gut passieren, daß sich in diesem Verfahren Spiegelungen einstellen und bloß weiterer Sprachmüll produziert wird. Über Hegemanns „Axolotl Roadkill“ kann man mit Fug und Recht sagen: Plattitüden pflastern ihren Weg: „‚Ich gebe kein Geld mehr für Drogen aus, die Musik nicht zum Klingen bringen.‘“ Das sind irgendwo aufgeschnappte Sätze.
Da hilft auch das dem Buch vorangestellte Motto von Pro7 „We love to entertain you“ nicht mehr viel. Wenn man nichts zu sagen hat, redet man sich auf die Unterhaltung, das Zitat und das kulturindustrielle Wesen heraus, welches man – selbstredend – persifliert. Wenn das dissozierte Ich aber von einer Welle der Signifikanten zur anderen Signifikantenwelle gleitet und surft, Theoriekost und Kotz verrührt, dann bleibt nicht viel mehr übrig als bloßes Iterieren und Speien. Dabei hätte es zu einem gutes Buch über das Erwachsenwerden geraten können, trüge der Text nicht so dicke auf. Der Wunsch, ein Ich zu sein, und die Suche, vermittelt über die abwesende Mutter, die sich umbrachte, ist ja per se kein schlechtes Thema. Ein Plot ist da.
Aber der Text ist viel zu dicht dran, und so sieht er nichts. Woran sich einmal wieder zeigt: Unmittelbarkeit nix gut, wie schon Hegel wußte. Es war aber keine Lektorin, kein Lektor vorhanden, der die Sache hätte lenken können. Wenn ein Gescheiterter über sein Scheitern schreibt, ein Suchender über sein Suchen berichtet, dann sollte er dies aus der Perspektive desjenigen tun, der einen Abstand aus der Reflexion besitzt. Durch irgend einen Trick muß man eine Barriere erzeugen, erzählerisch eine andere Position konstruieren. Clemens Meyer meisterte dies in seinem großartigen Debüt von 2006 „Als wir träumten“. Selbst Judith Hermann mit „Sommerhaus später“ traf – zunächst einmal – gut den Ton. Daß sie in die medial inszenierte Spur des deutschen Froileinwunders hineingestellt wurde (oder sich hineinstellen ließ), spricht nicht gegen ihren Text. Den selten dämlichen Begriff des Fräuleinwunders haben nicht die Schriftstellerinnen geprägt, wenngleich sie ihm auch nicht oder nur zaghaft widersprachen. Was die Oberflächlichkeit und das Vorgestanzte der Sprache betrifft, so ist Judith Hermann gegen Hegemann aber ein Gold.
Es gibt so viele gute und lesenswerte Debüts. Dieses Buch von Hegemannn gehört definitiv nicht dazu. Es lohnt nicht einmal, sich darüber an einzelnen Textstellen lustig zu machen.
So, zum Schluß: Und wie sonst selten, stehen wir da: besoffen. Die Hose auf und keine Frage bleibt offen.
Und wer als junger Mensch gerne liest und ein Buch über junge Menschen lesen möchte, das mehr ist als eine Aneinanderreihung von Abgefucktheit, und wer auf der nächsten wilden Party ein wenig glänzen will, und zwar nicht durch ausgefallene Drogen oder merkwürdige Tiere (ja, liebe Leserin, lieber Leser, Sie ahnen, was kommt und was man nicht machen soll, weil uncool), der nennt natürlich keinesfalls den Namen Hegemann, denn um als wirklicher Kenner sich zu erweisen, wirkt dies eher schädlich, sondern sie oder er werden, wie nebenbei, den Namen Denton Welch in sich hineinnuscheln, wenn es um Literatur zur Adoleszenz geht. So zum Beispiel nuschele man das Buch „In Youth is Pleasure“.