Krise der Kritik?– Kritik der Krise. Zu einer Debatte um Karen Köhlers „Miroloi“

Von Zeit zu Zeit flammen in der Literaturkritik Debatten um die Funktion oder um die Maßstäbe der Literaturkritik auf – meist verbleibt das im inneren Resonanzraum des Betriebes, selten nur, wie im Falle Martin Walsers beim „Tod eines Kritikers“ oder Fassbinders „Die Der Müll, die Stadt und der Tod“ dringt es über die literarische Sphäre hinaus. Und von Zeit zu Zeit wird die Frage nach dem, was Literatur leisten kann, anhand eines konkreten Romans zum Thema: Ob das Knausgards autobiographisches Schreiben samt einer hemmungslosen Ich-Suada ist oder 1990 der Disput um Christa Wolfs „Was bleibt“ – der freilich mehr eine politische als eine literaturtheoretische Auseinandersetzung war. Nun brach es über Karen Köhlers neuem Roman „Miroloi“ herein – Verrisse im Deutschlandfunk von Jan Drees, in der taz von Moritz Baßler, in der „Zeit“ dieser Woche von Burkhard Müller. Inzwischen wurde der Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert. Und da stellt sich umso mehr die Frage über die Qualität eines Buches und über die Maßstäbe der Literaturkritik, und es stand da plötzlich auch die Frage im Raum, weshalb ein solches Werk auf der Liste landet. All of old, nothing else ever.

Karen Köhlers Erzählungen „Wir haben Raketen geangelt“ aus dem Jahr 2014 fand ich belanglos bis schlimm: und so beendete ich meine Kritik mit dem Satz: „Wir haben uns durch die Prosa gehangelt.“ Den neuen Roman kenne ich nicht. Es geht mir in meinem Text hier mehr um die Mechanismen einer Literaturkritik, die allzu schnell mit Krisenszenarien bei der Hand ist und Grundsatzfragen aufmacht, die ihren Grund eigentlich gar nicht so sehr im Roman, sondern in völlig anderen Mechanismen haben. Solche Romane wie von Köhler sind da bloß eine Art Katalysator – so schlecht oder so gelungen sie auch sein mögen.

Unter der Überschrift „Neue Maßstäbe der Gegenwartsliteratur. Schönheit, Stil und Geschmack“ schreibt Moritz Baßler in der taz:

„Wenn das aber Literatur ist, und so sieht’s ja wohl aus, dann hat sich der Literaturbegriff in den letzten Jahren radikal gewandelt und wir brauchen neue Maßstäbe der Schönheit, des Stils und des Geschmacks. Sie müssten uns helfen zu klären, womit und in welcher Hinsicht ein Buch wie „Miroloi“ überhaupt zu vergleichen wäre und wie man dann entsprechend werten könnte.

Vielleicht sind diese Maßstäbe auch längst vorhanden oder werden zumindest ausgehandelt, aber eben in den Lese-Communities, in den Netzwerken der Leserinnen selbst und nicht bei den Expertinnen und Experten, die ihre Begriffe akademisch an dem geschult haben, was, wie Robert Musil einmal formulierte, „durch ungefähr hundertfünfzig Jahre als die Dichtung, als die Dichtung der großen und Urmaße gegolten hatte“.

Auf diese Kritik von Baßler reagierte im „Freitag“ Marlen Hobrack mit einem Artikel, der  „Kriterienkrise“ betitelt ist. Jedoch: Das ist alles kein neues Problem, der Befund scheint mir eher trivial. Alle ein, zwei oder drei Jahre schreibt einer eine Krise der Literaturkritik oder der Literatur herbei, die letzte große Debatte zu den Möglichkeiten und Grenzen der Literaturkritik war 2015, nachzulesen im „Perlentaucher“. Handke konstatierte in Princeton bei der Gruppe-47-Tagung 1966 Beschreibungsimpotenz, regelmäßig schimpft Biller über Schlappschwanzliteratur (den Ausdruck fürs weibliche Geschlecht und die Suche danach spare ich hier), auch ist die Causa Tarkis Würger etwa ein halbes Jahr alt, und wenn es keine Krise ist, dann wenigstens ein kleines Grummeln, womöglich ob eines Simon Strauß-Romans im Januar 2018, wo sich ein Taz-Redakteur als Anbräuner betätigte.

Die sogenannten Halbwertzeiten für Literaturkrisen sinken wie die Zinsen für Spareinlagen und scheinen sich auf einen Halbjahresrhythmus herabgebrochen zu haben. Ob ausgerechnet Köhlers Roman zu solchem Befund taugt, bezweifele ich – aber sei’s drum. Baßler hängt die Sache zu hoch. In diesem Aspekt hat Hobrack recht – in ihrer Verteidigung von Köhler weniger. Dem Hanser Verlag aber mag es gefallen, es ist wie bei Kreislers „Musikkritiker“: „Je schlechter, um so mehr freun sich die Leut.“

Ein Problem ist allerdings, wenn Literatur am Reißbrett geschrieben wird. Die Dialektik tagespolitischer Aktualität und des gesellschaftlichen Engagements: Autoren wollen ein aktuelles Thema aufgreifen, zugleich wissen manche, daß bei Verlagen und in Lektoraten gerne auch Bücher verkauft werden, daß es weniger gut gelitten ist, wenn sie als Remittenden zurückkehren und daß mit gefälligen Mitteln mehr Effekt erzielt wird als mit einer experimentellen und artifiziellen Literatur, die noch irgendwie versucht, die avancierten Standards und die Fragen ästhetischer Form mit zum Thema zu machen. Wie man jedoch auf eine Short- oder Longlist gelangt: Das läßt sich dann am Ende so einfach doch wieder nicht planen. Zu den Möglichkeiten solcher Bücher schrieb 2018 Jörg Magenau ein spannendes Sachbuch: „Bestseller. Bücher, die wir liebten – und was sie über uns verraten“.

Ob solches Reißbrettverfahren bei Köhlers Roman der Fall ist, weiß ich nicht und darum soll es hier auch nicht gehen. Sondern vielmehr um die Mechanismen, die hinter solchen Szenen stecken, wenn immer einmal wieder das Krisenszenario ausgerufen wird. Und da hilft es dann auch nicht, wie Hobrack vorschlägt, den Begriff der „Frauenliteratur“ zu „reclaimen“: Mißlungene Prosa bleibt mißlungene Prosa – egal unter welchem Label ich rubriziere und welches Etikett ich aufs Buch klebe. Ob ein Roman aber mißlungen ist, muß sich am Text selbst erweisen und da nützen keine Proklamationen pro oder contra Köhler, sondern man muß zeigen: Show, don’t tell. Der Schreibschulenrat für Autoren gilt ebenso für die Zunft der Kritik.

Wer zudem die Geschichte der Literaturkritik ein wenig kennt – was leider nicht mehr so selbstverständlich ist –, der wird sich noch an Debatten um die Pop-Literatur Ende der 1990er Jahre erinnern oder an Günter Grassens „Weites Feld“. Und vom Hörensagen vielleicht an Martin Walser oder Ingeborg Bachmanns „Malina“ oder an die Dispute um die literarische Qualität von Texten aus dem Resonanzraum der „neuen Subjektivität“ in den 1970ern. Man kann das immer wieder, von Jahr zu Jahr neu durchexerzieren. Der deutsche Kritiker, die deutsche Kritikerin ist soldatisch – sozusagen eine zeitungsmäßige Ein-Mann-oder-Frau-Kaserne.

Das Feld der Literatur ist ein weites und seine Grenzen haben sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erheblich ausgedehnt. Ein irgendwie nur halbwegs verbindlicher Kanon an ästhetischen Kriterien jedoch existiert schon lange nicht mehr und hat in der Ästhetik für die Moderne eigentlich seit der „Querelle des Anciens et des Moderns“ nicht existiert, sondern vielmehr entzündeten sich an solchen Fragen nach der ästhetischen Norm die heftigsten Dispute, und Ende des 18. Jahrhunderts mündete dies, was die Literatur der Moderne betraf, in Schillers „Über naive und sentimentalische Dichtung“ und zeitgleich 1795 erschien Friedrich Schlegels „Über das Studium der griechischen Poesie“, das sich mit ganz ähnlichen Fragen befaßte: Was ist modern und wie stehen wir zur Tradition? Und jedes Mal meinen Kritiker, den Nordpol neu auszumachen. Dem ist aber nicht so, denn meist stoßen sie bloß auf eine uralte Frage. In der Literaturkritik geraten unterschiedliche Literatur-Konzepte, Stilempfindungen, vielfach auch bloß subjektive Präferenzen aneinander. Begründungen bleiben oft vage und sind ins nebulöse Orakel des Kritikers gehalten. Und leider macht auch Moritz Baßler seine Eindrücke, so gerne ich sie teilen würde, wenn ich an das schreckliche „Wir haben Raketen geangelt“ denke, nicht an Zitaten fest, sondern muß proklamieren: Das ist die eigentliche Schwachstelle seiner Kritik, Marlen Hobrack nennt sie leider nicht.

Freilich ist die Literaturkritik im Alltagsgeschäft der Zeitungen keine ästhetische Theorie, wo es ans Grundsätzliche geht und ästhetische Kategorien und Kriterien abwägend, reflexiv oder analytisch-ordnend geprüft werden. Und wenn der Raum dafür nicht gegeben ist, sollte sie auch nicht so tun, als sei es an ihr, die Grundsatzfragen zu stellen, ohne das im Detail einlösen zu können. In solcher grundsätzlicher Kritik nämlich geht es dann nicht mehr darum, ob Raymond Carvers Kurzsatzstil präzise-treffend, gefällig oder simpel ist oder ob ein aus der Kindersicht geschriebener Roman tatsächlich infantil sein muß. Marcel-Reich Ranicki merkte dazu einmal trefflich an, die hohe Kunst der Literatur bestehe eben darin, aus der Kinderperspektive heraus nicht kindlich zu schreiben. Und wenn die Kinderperspektive dann nur dazu dient, im Stil herabzudimmen, weil der Autor es in Sprache nicht besser kann, dann funktioniert ein Text nicht.

Literaturkritik sichtet, teils tagesaktuell, schaut, ob ein Plot klug erzählt ist, schaut auf Tricks, Ticks und Stil, belegt das Urteil, wenn es gut läuft, in der Rezension mit Zitaten, vergleicht mit anderen Texten. Auf dieser Ebene können Kritiker gar nicht einig sein, sofern sie es nur bei ihren Empfindungen belassen – und sie müssen es auch nicht, denn weshalb sollte Einigkeit per se ein Kriterium sein? In solcher Subjektivierung liegt das Problem, das eine von der Ästhetik her inspirierte Literaturkritik anzugehen und zu lösen versucht, indem sie zumindest die Stilkriterien in einen umfassenden Rahmen ordnet. „Wer, wie, was. Wieso weshalb warum?“ Die alte Sesamstraßenfrage, ästhetisch ins Grundsätzliche gewendet. Kluge Kritiker, wenn man ihnen den Raum an Zeichen gibt, und das geht meist nicht unter 12.000 oder besser noch 18.000 Zeichen, können eine solche Verortung vornehmen, die etwas mehr als nur ein subjektives Geschmacksurteil bedeutet. Dafür ist freilich heute in den Feuilletons kaum noch Raum. Man vergleich nur die „Zeit“-Literaturkritiken aus den 1980er und dann die aus den 2000er Jahren, was die Zeichenzahl betrifft. Und in diesem Sinne sind diese Fragen nach der Literaturkritik vielfach Scheindebatten oder laue Lüftchen in Blasen- oder Scheibenwelten.

Wir haben keine Krise der Literaturkritik, sondern eine der (ästhetischen) Begründungen, und weil das ein so grundsätzliches Problem ist, flammt es, selbst zu den nickeligsten Anlässen immer wieder einmal auf und tarnt sich als Krise – Adorno übrigens faßte das in seiner „Ästhetischen Theorie“ unter dem Terminus der nominalistischen Situation in der Kunst und versuchte doch, dieser Situation qua Reflexion irgendwie Herr zu werden.

Damit komme ich zu einem zweiten Aspekt. Denn solche Debatten, auch die manchmal hart geführten Dispute und solch unterschiedliches Einordnen und Werten von Büchern sind nämlich ein Teil des literarischen Diskurses und gehören damit zur literarischen Öffentlichkeit. Und in diesem Sinne lese ich solche immer einmal wieder aufflammenden Auseinandersetzungen nicht als Krise der Literaturkritik oder der Literatur und ihrer Kriterien – man erinnere sich auch noch ans Jahr 1987, als es um den Simmel-Roman „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“ ging –, sondern als essentiellen Bestandteil des Mediums Literaturkritik – auch um immer wieder aufs neue  das Besteck zu schärfen, denn die Waffe der Kritik kann nicht die Kritik der Waffen ersetzen. Bei Simmel etwa stand klar die Frage nach E- und U-Literatur und auch die nach dem politischen Engagement von Literatur im Raum und wie man dieses Fragen des Politischen ästhetisch verpackt. Oder auch die Debatte zum Echolot von Kempowski: Ob das bloße Aufsammeln und Anordnen von geschichtlichem Material bereits Literatur sei.

Eine Krise der Kritik wie der Literatur hätten wir, wenn Literatur keinerlei Reaktion, keinen Disput mehr hervorbrächte, wenn wir Kritiker oder wir Leser die Bücher nähmen, läsen und wortlos beiseite packten.

Solches Hervorheben der Notwendigkeit des Streits ist übrigens kein Plädoyer für Relativismus oder eine herabgesunkene Form des De gustibus non est disputandum, sondern es geht einer guten Kritik ja gerade um das Ringen von Kriterien und teils auch um normative ästhetische Maßstäbe, die mal gut, mal weniger gut begründet sind und die im öffentlichen Raum immer wieder neu ausgehandelt werden. Sichtbar wird diese Frage nach einem normativen Rahmen in puncto Literatur an solchen Disputen wie dem Zürcher Literaturstreit zwischen Emil Staiger und Max Frisch oder die doch sehr unterschiedlichen Auffassungen über die Literatur der Avantgarde bei Adorno und Georg Lukács oder aber 2015 im Streit ums autobiographische Schreiben eines Knausgard. All das ist keine Krise der Kritik, sondern zeigt, daß diese Kritik höchst lebendig ist und daß die Möglichkeiten oder eben Unmöglichkeiten von Literatur immer wieder neu ausgehandelt werden.

8 Gedanken zu „Krise der Kritik?– Kritik der Krise. Zu einer Debatte um Karen Köhlers „Miroloi“

  1. Was mich immer erstaunt ist die Heftigkeit mit der diese „Literaturskandale“ plötzlich einbrechen – und dann, nach wenigen Wochen, verstummt sind. Man muss ja auch weiterhin zusammenarbeiten, also „Mund abputzen“. Ich bin ja nur selten ein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber manches Skandälchen scheint recht künstlich zu sein, denn was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn Frau Köhler ein schlechtes Buch geschrieben hätte und was ist schlimm, wenn einige Kritiker dieses schlechte Buch gut finden?

    Sicherlich sind die Kriterien der Literaturkritik mürbe geworden. Die Frage ist, ob die Sockel, auf dem sie einst einmal ruhten, nicht schon sehr lange porös sind. 2015 in Erlangen war ich in einer Podiumsdiskussion u. a. mit Ursula März und dem „Verbrecher“ Sundermeier. Es ging u. a. um das „Kumpelsystem“ in der Literaturkritik. Frau März erklärte zu Beginn, dass sie eine solche Diskussion für überflüssig halte und kündigte schon mal an, zehn Minuten früher zu gehen, weil sie in einer anderen Veranstaltung das neue Buch des damaligen DLF-Redakteurs Hajo Steinert moderieren musste.

    Ich bin inzwischen soweit, dass ich die professionellen Kritiker für ziemlich arme Würstchen halte. Einer sagte mir einmal, dass er zwischen 160 und 200 Bücher im Jahr lesen MUSS. Aber wie kann man drei bis vier Bücher pro Woche mit der notwendigen Aufmerksamkeit und Tiefe lesen? Wieviel wird davon „quer“ gelesen? Und was bedeutet das für eine Literaturkritik, die sich immer mehr mit außerliterarischen Bezügen beschäftigt? Wenn dann noch eine Kritik mit 12.000 Zeichen verfasst werden soll – wieviele Stunden muss dann ein Tag haben?

    Es ist en passant interessant, dass Jörg Magenau (einer der wenigen professionellen Kritiker, auf dessen Urteil ich noch etwas gebe) der aktuelle Vorsitzende der Buchpreis-Jury ist. Jener Magenau, der das Bestseller-Symptom untersucht hatte.

  2. Da erscheinen die Zeiten selig in denen man das Literarische Quartett guckte, sich über Reich-Ranicki amüsierte und das Ganze nicht ernst nahm sondern als Popkornkino betrachtete. So war das jedenfalls in meiner WG: Die Sendung hatte einen Unterhaltungsstatus wie Lindenstraße oder Magnum.

  3. Das ist leider die Dynamik solcher Skandale: Alle schreiben und tun mit, so auch dieser Blog, dessen Relevanz und Reichweite freilich wiederum begrenzt ist, und so schaukelt sich eine Petitesse immer weiter hoch. Und in einem Jahr wissen die wenigsten noch, worüber eigentlich gestritten oder debattiert wurde – außer jene vielleicht mit dem guten Gedächtnis.

    Was Sie zur Literaturkritik schreiben, ist bedenkenswert. Der Auftritt von März in Erlangen allerdings mehr als interessant und auch performativ sehr lehrreich. Literaturkritik in vielen Zeitungen, leider auch oft in der „Zeit“ ist teils nur noch eine Beschreibung samt knapper Bewertung. Aber wie auch, um Gottes Willen, soll eine Kritik auf 3500 Zeichen aussehen? Hier ein sinnvolles Format zu entwickeln, scheint mir durchaus attraktiv, wenn auch schwierig. Allerdings fürchte ich, wird diese neue Form von Literaturkritik eher in anderen Medien als den doch sehr konventionellen Zeitungen entstehen wird. Und Blogs können es sich eh leisten, längere Rezensionen zu schreiben, die eher schon einem Literaturessay gleichen. Die Komplexität eines Kunstwerkes zu entfalten, braucht Zeit und Raum.

  4. Was von Reich-Ranicki auch ähnlich beabsichtigt war: eine Literaturkritik nicht nur für High-Brow-Intellektuelle. Nichts ist schwieriger als gut zu unterhalten. Das wußten Billy Wilder wie auch Reich-Ranicki. (Ob solche Formate der Sache gerecht werden und nicht vielmehr ein eher derangiertes Verhältnis zur Literatur schaffen, steht auf einem anderen Blatt. Ich bin da in der Einschätzung solcher Formate gespalten. Manche Sendung war durchaus lehrreich und anschaulich. Amüsant war es allemal.)

  5. Ist das alles nicht zu sehr Symptom — Erregung, Infantilisierung, Identitätsthematik –, um es überhaupt ernst nehmen zu können, ernst im Sinn einer thematischen Auseinandersetzung (nicht aber einer Diagnose)?

  6. Ja und nein. Einerseits befeuert man ein Thema: indem man sich dazu äußert und den Äußerungen eine weitere hinzufügt, macht man eine womöglich eher kleine Sache immer größer. Das Phänomen der Internet-Erregungen. Wellen, die sich ausbreiten und in einem Jahr wissen allenfalls Leute mit gutem Gedächtnis noch, worüber man sich ereiferte und debattierte.

    Dennoch meine ich, daß man sich mit diesen Phänomenen auch thematisch auseinandersetzen sollte. Nicht nur auf der Ebene der Literaturkritik, sondern auch, weshalb bei Menschen nach bestimmten Romanen ein Bedürfnis besteht, die von der Literaturkritik eher verrissen werden. Tarkis Würger war ja auch solch ein Beispiel für solche Diskrepanz. Die Diskursphänomene, die dahinter stehen, scheinen mir schon interessant. Und natürlich erst recht die Fragen nach den ästhetischen Kriterien. Hinzu kommt noch, daß ästhetischer Streit eben auch ein Aspekt der literarischen Öffentlichkeit und damit auch von Literatur ist. Kein Autor schreibt für die stille Kammer. Und was in den Diskurs fällt, der sich manchmal eruptiv aufsteigert – wobei ich denke, daß Köhler ein Strohfeuer ist – das läßt sich oftmals schwer voraussagen.

  7. Baßlers Text ist doch eigenartig, im Lichte dessen vor allem, dass er Literaturwissenschaftler ist. Dass er über Literatur nicht anders schreiben kann, kann ich mir nicht vorstellen, die interessante Frage ist doch, warum der Text so geschrieben wurde, wie er vorliegt. Meint Baßler, dass der öffentliche Raum das so verdient? Darauf ernsthaft zu antworten, ist doch unsinnig, weil der Text das gar nicht „will“. In diesem Sinn: Ja, zu Diskussionen über ästhetische Kriterien und über Diskursphänomene.

  8. Baßlers Text wäre interessant, wenn er seine Thesen an Köhlers Text belegbar festgemacht hätte. So stehen seine Thesen etwas lose im Raum. Ob wir freilich neue Maßstäbe für Schönheit und Literatur brauchen, das bezweifle ich in dieser Form, und ich weiß auch nicht, wenn ich das nehme, was ich über den Roman las, ob Köhlers Buch zu einer solchen Debatte wirklich taugt.

    Es wirken diese seine Formulierungen ein wenig, nun ja, lose.

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