Ein paar Worte zu Trump

Ich habe heute morgen eine kurze Zeitungslektüre gehabt. Das Gute an diesem Tagesbeginn: Lieste einen Artikel, kennste alle. Da sich Berichte, Kommentare, Leitartikel im Ton ähneln, reicht es die ersten drei Zeilen zu lesen und dann zu überfliegen. Unterkomplexe Analysen, Überheblichkeiten, das übliche Gerede. Angefangen bei der Alarmkommunikation auf SpOn, denen irgendwie der Arsch auf Grundeis zu gehen scheint und nun müssen sich zudem auch die Jungs um Joffe mit den Transatlantikern ganz neu verständigen. Mein Mitleid hält sich da in Grenzen. Auch das mit einem bestimmten linksliberalen Juste Milieu.

Was wäre übrigens, wenn die Wähler Trumps keine überwiegend Abgehängten sind, sondern Trump bewußt wählten, weil sie in ihm eine Chance sehen? So etwas wie einen Neuanfang. Eine Wirtschaft, die nicht bloß an Börsen mit Geld spekuliert und dann verspielt, sondern vielmehr eine Gesellschaft, die auf Erwerbsarbeit setzt. Es ist die Wirtschaft, an der alles hängt. Die Aussicht, daß der altbekannte Widerspruch von Arbeit und Kapital in nächster Zeit ausgehebelt wird, hegen nur noch wenige, und mit einem nationalkonservativen Kapitalisten wie Trump wird diese Revolte sowieso nichts. Aber eben auch nicht mit einer neoliberalen Politikerin, für die die USA ein Geschäftsmodell ist. Die meisten in den USA sind froh, wenn sie überhaupt drei Arbeitsplätze haben – einer reicht nämlich oft nicht. Da liegt die Crux.

Ja, es ist eine feine Watsche für den linksliberalen Mainstream, der lieber über das Gender-Gap und über fünfzehn Geschlechter, über die Minderheit der Minderheit einer Minderheit, die als Minderheit einer Minderheit benachteiligt wird, nachdenkt. Das alles, mit Verlaub, ist jenen in den USA, die in Autos schlafen, weil sie kein Dach mehr über dem Kopf haben, schnurzegal. Und das ist auch denen egal, die morgen diesem Schicksal ausgesetzt sein können. Denn diese Drohung schwebt beständig über den Menschen und hält sie im Kapitalismus gefügig. Ja, Trump wurde auch von Rednecks gewählt. Aber ebenso aus einem Protest heraus, der sich in keiner Partei mehr wesentlich wiederfindet und der nicht nur mit dem konservativ-weißen Milieu zu tun hat. Eine krude Gemengelage oft. Das alles unter dem Slogan Protestwähler zu fassen, greift viel zu kurz und ist unterkomplex. Die Kolumnisten lieben bequeme Erklärungen.

Es sind übrigens, was die Zahlen betrifft, nicht überwiegend die Abgehängten, die Trump wählten – bei den Menschen mit niedrigem Einkommen wählte eine Mehrheit Clinton –, sondern es ist Angst vor drohendem Abstieg – der Mittelstand in den USA zerbrach – und der Wunsch, alte Eliten abzuwählen. Und zu diesen Eliten gehören eben auch fast alle Kommentatoren. Auch die in der BRD. Das sollte man für die nächste Bundestagswahl im Auge behalten.

Dieses Wahlverhalten ist der Effekt einer Politik, die Jahrzehntelang das eigene Land zum Ausverkaufsplatz für neoliberale Wirtschaftspolitik machte, und Hillary Clinton samt ihren Freunden in Wallstreet samt dem militärisch-industriellen Komplex stehen genau für diese Linie. Da hilft auch alles Kaschieren mit ein paar linken Bonbons nichts, und der aufgesetzte Frauenbonus ist in diesen Fragen der Wirtschaft wahrlich das lächerlichste Effekt oder zumindest naiv. (Als ob es Margret Thatcher nie gegeben hätte.) Was ist eigentlich falsch an einem Politiker, der sagt, wenn Ford in Mexiko seine Autos baut, dann wird Ford in Zukunft für den Import dieser Autos in die USA hohe Zölle zahlen? Zumindest entdecken die Wähler eine Tendenz, sehen in Schemen eine der Ursachen ihres Elends. Mögen am Ende die Abgründe des Kapitalismus auch sehr viel tiefer reichen als in die Schutzzollfrage hinein.

Mit böser Zunge kann man sogar sagen: Im Gegenteil die Wahl ist gut gelaufen, es ist die Wahl von Trump ein Zeichen dafür, daß die Demokratie funktioniert, daß Menschen durchaus ihr Unbehagen artikulieren, auch wenn das Ergebnis der Wahl nicht allen paßt. Aber das hätte es bei Hillary Clinton ebensowenig. Weshalb wählten so wenig Latinos und Schwarze Clinton? Wäre sie alle zur Wahl gegangen, hätte Clinton gesiegt. Auch das bleibt eine Frage. Die USA sind und bleiben ein tief gespaltenes Land.

Und für die linken Freunde in der BRD, für die Hillary-Linke, nochmal ins Stammbuch geschrieben, aber das ist jetzt wieder der Friedensblick aus Europa: Wie anders kann man eigentlich eine Flugverbotszone über Syrien durchsetzen als militärisch? Sofern sie nicht durch die UN gedeckt ist, müßte sie ggf. auch gegen die Russen durchgesetzt werden. Was das bedeutet, sollte jeder wissen. Ob wir wirklich für einen weiteren islamistischen Staat nach IS-Vorbild den Frieden in Europa aufs Spiel setzen wollen, sollte man sich gut überlegen. Wer droht, muß einlösen können und auch einlösen wollen, das bleibt Grundannahme der Machtpolitik. Sonst ist die Drohung eine Hülse und damit überflüssig.

Eine gute Analyse zur Wahl finden wir von Jens Berger auf den Nachdenkseiten.

Schön beschrieb diese Linksmaskerade der Clintons auch Zizek in der „Zeit“:

„Der gleiche Volkszorn, der Trump gebar, brachte auch Sanders hervor, und während beide der weitverbreiteten sozialen und politischen Unzufriedenheit Ausdruck verleihen, tun sie es auf entgegengesetzte Weise: der eine mit rechtem Populismus und der andere mit der linken Forderung nach Gerechtigkeit. Und hier ist der Trick: Der linke Ruf nach Gerechtigkeit geht häufig Hand in Hand mit den Kämpfen um die Rechte von Frauen und Homosexuellen, für Multikulturalismus und gegen Rassismus und so weiter. Das strategische Ziel des Clinton-Konsenses besteht darin, all diese Kämpfe von der linken Forderung nach Gerechtigkeit abzutrennen – weshalb das lebende Symbol dieses Konsenses Tim Cook ist, der Apple-Chef, der stolz einen offenen Brief gegen die Diskriminierung von LGBT-Personen unterzeichnet und jetzt problemlos Hunderttausende Foxconn-Arbeiter in China vergessen kann, die Apple-Produkte unter Sklavenbedingungen montieren. Er hat ja seine große Geste der Solidarität mit den Unterprivilegierten gemacht und die Abschaffung jeglicher Geschlechtersegregation gefordert. Wie so oft stehen die Großunternehmen stolz vereint mit der politisch korrekten Theorie.“

 

54 Gedanken zu „Ein paar Worte zu Trump

  1. @“Was ist eigentlich falsch an einem Politiker, der sagt, wenn Ford in Mexiko seine Autos baut, dann wird Ford in Zukunft für den Import dieser Autos in die USA hohe Zölle zahlen? Zumindest entdecken die Wähler eine Tendenz, sehen in Schemen eine der Ursachen ihres Elends. Mögen am Ende die Abgründe des Kapitalismus auch sehr viel tiefer reichen als in die Schutzzollfrage hinein.“ —— In den Neunzigern forderten mal deutsche Linke, ich meine im Umfeld der PDS-nahen „Komitees für Gerechtigkeit“, Enteignung und Verstaatlichung deutscher Firmen, die ihre Produktion vollständig ins Ausland verlagern. Das galt damals als ultralinks.

  2. Stimmt. Und es ist das eine gute Forderung. Wobei man innerhalb eines kapitalistischen Systems sehen muß, wie man das umsetzt.

  3. Schaut euch mal dieses Video von Trump an: https://www.youtube.com/watch?v=vST61W4bGm8

    Das sind eigentlich alles linke Forderungen, die er da erhebt: Das korrupte Establishment aus Banken, Großunternehmen und Politikern entmachten, weniger statt mehr Freihandel, keine Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer, Schluss mit der Globalisierung. Abgesehen natürlich von der illegalen Migration, deren Schädlichkeit die Linke bisher nicht eingesehen hat.

  4. Das mögen auf den ersten Blick linke Forderungen sein oder zumindest decken und überschneiden sich im appellativen Charakter einige Aspekte. Aber deshalb ist die Politik eben nicht links, sondern nationalkonservativ. Ebenso gab es ja beim Nationalsozialismus diesen Verteilungsaspekt. Der von che geschätzte Götz Aly schrieb darüber. Aber in diesen Ausprägungen ist das Soziale immer scheinhaft. Zumal Trump keineswegs das ökonomishce System seines Landes in Frage stellt und soziale Ungerechtigkeiten grundsätzlich beseitigen will. (Was auch gar nicht funktionieren wird, wenn man lediglich Stellschrauben änderen will.) Linke Politik jedoch stellt grundsätzlich diese Art der Ökonomie in Frage, sie unterscheidet auch nicht nach Ethnien und stellt vor allem keine Skalen der Wertigkeit von Menschen auf, weil Menschen jener oder einer anderen Kultur entstammen.

  5. ach, ja. Das vorhersehbare, verlegene und unbeholfene Gebaren, wenn die Nachrichten nicht ins Skript, ins favorisierte, kultivierte und sorgsam gepflegte Narrativ passen: Als Merkel kurz nach ihrer Wahl zur Kanzlerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz wiederholt gefordert hatte, dass alle Animositäten auf den Tisch müssten und Putin sich über Raketenstationierungen in Polen u. der Türkei beschwert hatte, lautete es einheitlich auf allen Öffentlich-Rechtlichen „Putin hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz die USA angegriffen“. Ende der Durchsage. 9/11: Peinliche Verlegenheit, dass dem vermeintlich treuherzig zuschauenden Fernsehpublikum das nun nicht „erklärt“ werden konnte. Wieder, bei der Trump-Wahl. Ich zappe da nach 0 Uhr rein, und begriff erst nicht: Es war doch klar, dass sich Trumps Sieg abzeichnete. Wie sie sich wanden, um zu der Aussage zu gelangen, dass Trump wohl siegen würde! Wie sollte man das denn auch dem deutschen Publikum „erklären“!?

    Ist desh. die „Lügenpresse“, die btw., in Sachen Silvesternacht höchst selektiv und krass tendenziös berichtet (was auch auffallen kann, ohne Hartmuts blog zu verfolgen), bzw. sind desh. die Öffentl.-Rechtlichen links? Natürlich werden wir hier verneinen (ich jedenfalls).

    Als Konsequenz würdest Du also nicht lediglich der Linken Schönschau-Akrobatik diagnostizieren, eine gewisse Naivität von „Gutmenschen“. Sondern eben dass sie einem unkritischen Mainstream huldigt oder auf den Leim geht. Ich persönlich erhalte mir diese Schönschau-Perspektive, übrigens, indem ich Deutsch als Zweitsprache für Syrier usw. unterrichte. Klappt wunderbar.

    Nun mein Eingeständnis: Dass ich natürlich die links-liberalen Intellektuellen Amerikas bewundere (ach, und erst die russische Intelligenzija!)! Sind einfach viel mehr „sophisticated“ als die Linke in Deutschland. „Political Correctness“ gebietet doch schon allein das Stilgefühl und die, hier im Blog darf ich´s ja sagen, gute Erziehung. Wie in Modefragen verbietet hier das „korrekte“ Verhalten jede Frage nach einer Begründung. Das ist dem deutschen Durchschnitts-Linken einfach zu hoch. Alles, auch die Frage, so müsste die Schlussfolgerung lauten, ob weiße Socken ok sind, braucht eine Begründung. Ergo ist die „Political Correctness“ dogmatisch zu vertreten. In England versteht man sofort, dass es Dinge gibt, die nicht nach einer Begründung verlangen. Ein Gefühl für Stil, Takt.

    Und hier möchte ich alle sich als „links“ Verstehende warnen: Die AFD und Consorten nehmen das linke Verbal-Geplänkel für wahr und versuchen auf diese Weise enttäuschte Linke unter ihren Bannern zu versammeln. Die letzte Option des Souveräns, nämlich in der Ausahmesituationen „durchzuregieren“, – oh schau, Joschka Fischer las Carl Schmitt -, getrauen sie sich nicht, auf ihr Programm zu schreiben, wie würde das auch aussehen, wir bräuchten einen Trump, einen Putin einen, …. zurück nach spätestens ´39 …, – diese Option, die sie eigentlich fordern müssten, fordern sich nicht, weil sie naiv-enttäuschte Linke einkassieren wollen. (Im Übrigen hat Merkel mit ihrem „Welcome“ genau das gezeigt.) Es ist schon absurd: die ultra-rechten glauben die Selbsttäuschungen der Linken ! Ich habe Pläne für Katastrophen-Fälle gesehen; Epedemien und dergl. Da wird, militärisch liegen die Pläne bereits in Schubladen, „zu“ gemacht. Schießbefehl – so what?

    – Hat denn wirklich irgendjemand auch nur eine Sekunde geglaubt, dass wegen einer sehr spontanen Äußerung der Kanzlerin Deutschland für die nächsten 10 Jahre oder so keine Grenzen mehr haben würde? Offenbar haben das die AFD-Leute und dergl. geglaubt – oder jedenfalls zu glauben vorgegeben.

    In ihrer Unfähigkeit, glas-klar zynisch zu argumentieren, folgen sie, AFD und Consorten, eigentlich dem vermeintlich „linken“ Paradigma. Erkennen wir aber den wahren Zynismus hinter vorgeblich „linker“ Politik, und betreiben diese pragmatisch, sind wir ihnen bereits Meilen voraus, und werden sie längst abgehängt haben werden.

    Genau den Wohlfühl-Nicht-Zynismus, den man manchen Linken ohne Stilbewusstsein möglw. nachsagen kann, hat sich AFD und Consorten angeeignet. Es ist eigentlich eine linke Partei. Als ob Politik ohne Zynismus möglich wäre. Wie albern, wie lächerlich!

    Im Übrigen hat es durchaus Kritik an der einschlafenden links-.liberalen Szene von inside gegeben. Worüber sich der der perlentaucher tatsächlich zu wundern schein.

    Der links-liberale Mainstream ist eben doch nicht nur korrupt. Zadie Smith. Es reicht nicht, in meinen Augen, der Linken ihre Selbsttäuschungen ihre Verblendung vorzuhalten. Wenn daraus nur der implizite Aufruf zum AFD-Wählertum resultiert.

  6. Nein, der linksliberale Mainstream ist nicht korrupt. Er ist in seiner Filterblase hochkorrupt. Aber schauen wir mal, wie es weitergeht, wenn der so weitermacht. Die ökonomisch Abgehängten interessieren sich in Berlin bestimmt für sexfreie Werbeflächen und die Debatte um Unisextoiletten hat sicherlich eine sehr hohe Priorität auf dieser Agenda. Wie geschrieben: der Zizek-Satz bringt es auf den Punkt. It’s the economy stupid, so muß man der Frau Clinton mal in Erinnerung bringen. Schade, daß sie diesen Satz vergessen hat. Aber so ist es eben, wann man auf seinen Ehemann nicht hört.

  7. Das Problem liegt wesentlich darin, daß arrivierte Mittelschichtenkinder ihre Kasperletheaterspiele aufführen und glauben, es interessierten diese Diskurse irgendjemanden. Geh mal herum, ziggev, und zeige den Leuten manche Blogeinträge und manche Debatten in der Berliner (Medien)-Blasenwelt. Die bekommen das Lachen. (Und auch diese Diskurse gehören mit dazu.) Wenn die verschiedenen linken Positionen es nicht schaffen, diese Leute mit dem Relevanten zu erreichen, platzt diese Blase irgendwann. Und zwar sehr laut. Und wer neben und in den Flüchtingsunterkünften Gewalt und Tumult erlebt, den werden die vielen guten Geschichten wenig interessieren. Das ist leider so. Und wem dort, wie kürzlich meinem Vater, zwei Frauen in Burkas entgegenkommen, dem wird das Unbehagen schwierig auszureden sein. Und selbst ich frage mich ernsthaft: Was soll das? Wozu führt das? Wäre die Türkei oder Saudi-Arabien nicht ein geeigneteres Asylland gewesen, weil es religiös näherkommt? Solche kleinen Dinge sind es, und es sind leider viele Dinge und Aspekte, die die Leute so wählen lassen, wie sie wählen. Wir befinden uns in den ernstesten Umbruchszeiten, die ich je erlebt habe. Weil das erste Mal ein radikaler Schwenk nach rechtsaußen denkbar ist. Und dagegen helfen keine Filterblasendiskurse mehr.

  8. „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!“ Marie Antoinette; Der Weg vom Distinktionsgewinn in den Totalabsturz scheint umwölkt von Blasen aus Realitätsverlust und Anmaßung…
    Deshalb: Augen auf im Nebelmeer.

    .

  9. @Bersarin et al
    Volle Zustimmung: Ich habe die ganze Wahlnacht vor dem Fernseher verbracht, und das war mal wirklich spannend, vor allem CBS (auf Phoenix), wo die versammelte Kommentatorenelite aus Washington Post, NYT und anderen Medien versammelt waren und ihr völliges Scheitern dokumentierten. Das war Gestammel! Aber immerhin sind die Kommentatoren selbstkritisch genug, um das noch in der Wahlnacht zu bemerken – und einzugestehen. Das ZDF etwa war davon Lichtjahre entfernt. Es bot seine ambitionierteste Intellektuelle auf: Bettina Schausten – und fand zudem noch Promis, die je später der Abend, desto deutlicher ihr ohnehin nicht mitreißendes Niveau unterboten, sobald sie ihre eingeübte Phraseologie verlassen mussten, weil sie auch mit viel gutem Willen offenkundig nicht mehr zur Realität passten. Es war ja eher eine Wahlparty geplant als eine kritische Berichterstattung – nur leider traf der Sekt nicht ein.
    Ich sitze dann da in meinem Sofa und denke: Scheiße – könnte doch nur einmal die Linke bei der Rechten so viel lernen wie die Rechte bei den Linken. Da wird jedenfalls schamlos geklaut und verdreht: Globalisierungskritik, Kritik an postdemokratischen Verhältnissen, Klassenpolitik – und ruppig nationalisiert. Da auch die sich selbst noch für liberal und links haltenden Protagonisten über kulturalistische Denkweisen kaum mehr hinaus kommen, muss die Rechte häufig eigentlich nur das Vorzeichen umdrehen, damit alles irgendwie nach Freiheit klingt. Denn identitäre Begründungen sind, ohne dass es noch weiter auffiele, längst durch die Identitätspolitik von Minderheiten etabliert. Das ist fatal. Fatal deshalb, weil sich hier zwei Gruppen gegenüber stehen, die sich in der Form häufig sehr viel ähnlicher sind als der gegensätzliche Inhalt vermuten lässt. Natürlich rechne ich mich freiheitlichen Bewegungen, die häufig in Minderheiten (wobei ich hoffe, es wird politisch verstanden wie es gemeint ist, Frauen sind nämlich natürlich keine Minderheit) vertreten wird, viel eher zu als ihrem nationalistischen Gegenteil. Umso schmerzlicher und ärgerlicher bis zur Wut verstören mich das zunehmend erbärmliche intellektuelle Niveau und die teils bis ans Asoziale gehende soziale Ignoranz. Ergebnis ist ein zuweilen nur noch loser Kontakt zur Realität. Das ist mein Hauptvorwurf an die schamanische Autosuggestion der politischen Korrektheit – und diese Ignoranz macht Multikulturalisten und Universalethiker zu Ideologen des Neolibaralismus. So werden wichtige Ideen zuschanden gerichtet: durch ihre Protagonisten viel gründlicher als ihre Gegner es allein vermöchten!! Das Ergebnis dieser Realitätsblindheit wird uns nun die nächsten Jahre eingehend in Atem halten.

  10. Da kann ich Dir nur zustimmen. Und insbesondere hier: „Das Ergebnis dieser Realitätsblindheit wird uns nun die nächsten Jahre eingehend in Atem halten.“

    Nein, Frauen sind natürlich keine Minderheiten.

  11. @ Jumid auch wenn es nicht mein Blog ist, danke dafür, dass Du meine Wahrnehmung des Mediengeschwätzes bestätigst !

    Meine Wenigkeit lebt im hamburger nördlichen Speckgürtel. Easy-going: Du brauchst nur ein paar Codes einzuhalten, dann geht es. Es wäre kein Zufall, solltest Du einem (ehem.) ZEIT-Herausgeber beim Einkauf begegnen (ließe sich fortführen …) Das links-liberale Bürgertum funktioniert aber hier noch super. Da wird Geld gesammelt, um eine Kneipe zu finanzieren, wo der Harz-IV-Empfänger ziggev seine mit viel Fleiß eingeübten Blues-Balladen vortragen kann.

    Ja, und es passierte, dass mich die Angst beschlich. Ich kann aber – wenn´s drauf ankommt – perfektes Deutsch. Nichts lag näher, als dies dem syrischen (alkoholabhängigen) Glasermeister beizubringen.

    bersarins Pessimismus ist leider, wie ich einsehen muss, leider nur zu berechtigt. Wir können nur darauf hoffen, dass, wenn ein paar berliner Bläschen geplatzt sind, die Energien der sodann freigesetzten Jugend mit Gehirn freigesetzt werden werden …

  12. Links-liberale Filterblasenwelten: Das Erstaunliche ist, dass die linksliberal sind. Wer sich in meiner Alterskohorte und in den Zwanzigern der eigenen Biographie mit Genderfragen, Foucault und Butler beschäftigte war eindeutig linksradikal. Der poststrukturalistische Antisexismus bzw. Radikalfeminismus verstand sich als Ergänzung zum Kommunismus bzw. Anarchismus, und es wurden Heldinnenlieder auf die Rote Zora gesungen. Nicht die aus dem Jugendbuch von Kurt Held, sondern auf die Frauengruppe der Revolutionären Zellen. Erstaunlich finde ich, wie dieser in der äußersten Linken beheimateten Diskurse es schaffen konnten, zu einem moralinsauren bildungsbürgerlichen Quasi-Mainstream innerhalb bestimmter akademischer Milieus zu werden.

  13. Von Leuten, die früher bei jedem Bombenangriff der USAF in deutschen Städten die Einkaufspassagen entglasten zu formulierungsfixierten TugendwächterInnen, was für eine Karriere…

  14. @che
    Das wollte ich zumindest nicht sagen, dass Filterblasen allein linksliberal seien, es erstaunt nur deswegen, weil man ja unter universalistischer Argumentation antritt und nun feststellen muss (etwas spät): ach, die Argumente hängen ja in der Luft. Das hat seine Voraussetzungen m.E. auch in der Ignoranz gegenüber materiellen Bedingungen, in denen diese eben eine Rolle spielen kann. Und nun gehöre ich nicht zu den Zynikern, die Universalismus deswegen für falsch hielten. Aber dann müsste man ihn eben auch aus der Aufklärung und dem Allgemeinen begründen und nicht mit Differenz. Mit Differenz kam die Rechte allezeit prima klar. Ich würde hier auch schon unterscheiden, etwa zwischen aufklärerisch argumentierenden Feministinnen und identitär argumentierenden. Für die ersteren gibt es im Diskurs eben nur gleichberechtigt Beteiligte, für Zweitere ist der Anspruch der Frauen unmittelbar, vor aller Diskussion, normativ. Das ist ein Unterschied um´s Ganze auch bei gleichlautender Forderung. Das erzeugt auch das Gefühl des Autoritären bei vielen. Versuch doch mal, wie ein Freund von mir, in einer öffentlichen Verwaltung auch als hochqualifizierter Mann einen adäquaten Job zu bekommen. Nahezu unmöglich, selbst wenn sich keine Frau meldet, die benachteiligt werden könnte. Dann wird eben noch mal ausgeschrieben. (Keine Erfindung, so war´s tatsächlich). Wie will man so etwas begründen? Wer aufklärerisch (ich bleibe beim Altmodischen) argumentiert, der würde nicht das alleinige und Hauptkriterium darin sehen, dass eine Frau Präsidentin wird. Das ist eine völlig inhaltsleere Forderung (Siehe Thatcher, Merkel, Clinton) – und eines, was die Wahl in den USA zeigt, ist, dass das offensichtlich auch viele Frauen so sehen. Das mag wichtig sein, aber als eines unter anderen Kriterien. Was wäre durch eine Frau an der Spitze gewonnen, auch und gerade für Frauen? Ich vermute gar nichts. Und wer aufklärerisch argumentiert und links, würde auch nicht das einzige Problem in der Geschlechterbesetzung von Vorständen in Dax-Unternehmen, sondern dem fiele eventuell ja auch ein sozialer Bias auf, der mindestens so gravierend ist. Wer aber dann so quotiert, der muss sich sagen lassen, dass er Oberschichtentussis pampert – so einfach, so grob gesagt und sonst niemanden. Das ist m.E. schlicht nicht links, mag es noch so feministisch daher kommen.
    Die von Dir angesprochenen Bündnisse haben m.E. nur an der Oberfläche funktioniert, wenn überhaupt je außerhalb von Seminarräumen und Selbsthilfegruppen. Dazu waren sie wohl schlicht zu ahnungslos gegenüber Ökonomie und sozialer Schichtung. Darüber zu sprechen war doch äußerst unfein, das waren Begriffe von „Gestern“, wo wir doch alle so postpostpost sind: postideologisch, postmarxistisch, postindustriell, postaufklärerisch. Die Geste und vor allem die Zugehörigkeitsgeste, das Betroffenseins und des autoritär argumentlosen Verabschiedens (als ginge es um Mode), war doch viel wichtiger, der Insidersprech.
    Dazu zwei Beispiele: Anfang der 90-er las ich Marx, drei Bände Kapital. Nichts war damals toter als ihn ökonomisch zu lesen, wie wir es taten. Damit konntest Du den ganzen Foucault- und Derridajüngern nicht kommen. Hip wärest Du in bestimmten Kreisen gewesen, wenn Du herausgearbeitet hättest, wie männlich dieser Blick war, und auch dass dieses Buch jetzt aber zu dekonstruieren wäre, und zwar subito. Oder alternativ: eine Machtanalyse. Und Identität in einem aufgeklärten Sinne: ach wie altmodisch, wo wir doch alle so viele Identitäten haben, Patchwork – Identitäten und uns immer neu erfinden (so jetzt noch Frau Ehmke in ihrer Dankesrede). Ich habe noch keinen getroffen, der sich selbst erfunden hat, mag an mir liegen. Ich halte das in dieser Absolutheit für Bullshit. Ich könnte die Reihe beliebig verlängern ….
    Eine sehr gute Freundin von mir feixte sich immer eins und sagte: hör gut zu, ich bin Frau, behindert und habe Migrationshintergrund (in dem Fall türkisch/kurdisch), damit bin ich Star in jeder Selbsthilfe- und Unigruppe, keiner kann widersprechen – und schlug sich dann laut lachend auf die Schenkel, und fügte hinzu: jetzt muss ich nur noch lesbisch werden, dann kriege ich den Nobelpreis. Und kriegte sich dann gar nicht mehr ein. Kurz: der sagte das alles gar nicht, eines war sie nämlich nicht: Mitglied im Club der alternativ-normierten Hochschulsprache. Unibildung und -sozialisation fehlen. Das sagt ihr alles nichts, sie findet das komisch, da kann ich Dich gar nicht trösten. Und wählt eisern SPD. Und meckert über ihre „Landsleute“ (und das geht nur in Anführungsstrichen, das bin ich nämlich auch, ich habe immer gesagt, zu ihrer Freude, „meine falsche Türkin“, sagt sie inzwischen selbst), schimpft etwa, wenn da, in ihren Worten, so´ne Ayshe mit Kopftuch alles besser weiß (deutsches Pendant wäre grob: Theken-Helga), obwohl diese Ayshe kein Deutsch spricht und mit der Krankenkassenkarte der Nachbarin zum Doktor geht, weil ja auf illegalem Dauerbesuch. So kraus ist die Realität. Und diese Freundin ist eine der herzigsten, gutmütigsten, unkompliziertesten und offensten Menschen, die ich kenne, auf die lass ich nix kommen. Aber manchmal frage ich mich, in welcher Theorie kommt sie eigentlich vor? Und in welcher Realität kamen bis Dienstagnacht Trumpwähler vor (was sie übrigens niemals wäre)? Irgendwo lief und läuft etwas para, und zwar ganz gewaltig und schon seit langem. Nichts davon ist neu!
    Und jetzt wird es wieder etwas theoretischer: zunehmend hatten offensichtlich immer größer werdende Teile der Realität keinen Platz, zum Universellen gibt es keinen Gegenbegriff mehr, außer das Partikulare, Hass und Menschenfeindlichkeit. Und Begriffe ohne Gegenbegriff zerfallen in sich dialektisch. So etwas bricht irgendwann auf, nicht unbedingt, wie man feststellen muss, zum Guten. Ich teile den Pessimismus von Bersarin, wir werden uns alle noch umgucken, insbesondere jene Vabanquespieler, die glauben, sie könnten nun einen autoritären Typen wie Trump für sich funktionalisieren. Das wird zu Enttäuschungen führen. Wer hier wen funktionalisiert, hat Trump schon eindrucksvoll mit den gesamten, sicher amerikanischen, teils auch internationalen Medien vorgeführt. Die dachten das auch eine Zeit, er sei ihr nützlicher Quotenesel, bis sich dieses Phänomen erledigt. Und genau umgekehrt war´s: die einzigen, die treu bis zum Ende vom ihm am Nasenring ihrer Sensationsgier und Quotengeilheit durch die Manege geführt wurden, waren die Medien selbst – und zwar einschließlich der Qualitätsmedien. Wir sollten uns warm anziehen.
    Und, als kurzes Fazit: Ich denke, die vermeintliche Linke ist überhaupt nicht links! Nie gewesen! Schon gar nicht der Poststrukturalismus … Der Realitätsschock dieser Wahl ist erst wirklich angekommen, wenn viele bemerken: so wie wir dachten, dass wir seien, waren wir gar nicht. Wir stehen nicht für´s Ganze, wie wir uns immer vorgemacht und implizit behauptet haben. Von da an könnte man wirklich anfangen nachzudenken. Und das ist kein Reflexionsresultat, sondern einzig und allein Ergebnis einer Machtverschiebung. Das ist besonders bitter.

  15. Diese Art von ironischem Umgang mit dem ganzen Identitäterä pflegte ich, pflegten wir auch. Das ging ja so weit, dass ein kurdischer Genosse weggeschmissenen Döner für seinen Hund einpackte und behauptete, der sei für seinen Freund, denn „wir Kurden sind die Juden von heute, da muss man ja Menschenversuche machen“. Aber wir lasen in den frühen Neunzigern Marx ökonomisch, um den Zusammenbruch des Ostens als Scheitern einer nicht konkurrenzfähigen Nationalökonomie streng nach Marx erklären zu können. Und als wichtigste aktuelle linke Theoretiker galten Karl-Heinz Roth („der Karlo“), Angelika Ebbinghaus, Mike Davis und Detlev Hartmann. Wer hip sein wollte ging nachts Nazis jagen.

  16. @ ziggev: Mit dem Inhalt des Links von Deutschlandradio kann ich nicht so viel anfangen. Mir teils zu schematisch. Ja, allerdings gibt es zum Pessimismus einigen Anlaß. Vor allem, weil es ein langer Prozeß ist, Wähler zurückzugewinnen. Die SPD und die Grünen müßten im Grunde ihr gesamtes Personal austauschen. Wer nimmt Göring-Eckart, Özdemir, dem Langhaardackel Hofreiter oder Habeck noch linke Politik ab? Mit den Grünen haben wir – etwas pauschalisiert – eine ökologische FDP. Biofleisch und Veggieday für Besserverdiener. Wobei sie in den unteren Schichten ja vielleicht mit Crystal-Meth und Volker Beck punkten können.

    Vielleicht aber tut dem Land eine Verschiebung auch gut. Mein Rat an die CSU: Bundesweit antreten. Mein Rat an die Linken: das ganze ehemalige Piratenpack rausschmeißen und die Westverbände aus Absurdistan säubern.

  17. Tja, Marx in den 90ern war das, was man einen toten Hund nannte. Allerdings haben die Derrida-Jünger gerade den Marxbezug bei Derrida verkannt. Allenfalls gab es ein tertium comparationis über Adorno, so daß Kritik der Politischen Ökonomie, Dekonstruktion und Kritische Theorie in eine Konstellation kamen. Aber das sind Seminar-Petitessen und Anekdoten aus einer längst vergangenen Zeit.

    Daß der Poststrukturalismus nicht links sei, ist mir zu pauschal. Wie wir in der Diskussion über Foucault kürzlich festhielten, gibt es bei ihm einen Bezug zu Marx – wenn auch kritisch. Schlimmer ist das, was sich daraus und aus der Butlerrezeption ableitete. Daß sich irgendwann der Diskurs umkehrte und eigentlich nur noch die Patchworks der Minderheiten relevant waren. Man könnte mal einen Minderheiten-Wet-Shirt-Contest machen. Das wurde so feinverästelt, daß es absurd geriet. Ob dahinter zugleich ein System steckt, um links von offizieller Seite zu spalten, weiß ich nicht, manchmal glaube ich es, daß da bewußt Leute Encounter-Theorie einbauten, damit man lieber über den Rassismus weißer Männer debattiert, die Rastazöpfe tragen, anstatt über die realen Unterdrückungsmechanismen und wie man die Leute rebellisch machen kann.

    Andererseits war die Linke immer schon gespalten und es gab dort die absurdesten Spinner. Jede Anti-AKW- oder Friedensdemo der 80er zeigte mir das. Insofern wundern mich auch heute die Rassismus- und die Homophobieschnüffler aus Absurdistan nicht besonders. Bis hin zur dummen Mode der Triggerwarnungen. Mal ehrlich: wer die Realität nicht aushält und Triggerwarnungen braucht, sollte besser in eine Therapie gehen, aber die Finger vom politischen Kampf lassen. Das klingt nach Abschweif. Hat aber alles indirekt mit Trump zu tun.

    Wie geschrieben: Didier Eribon schildert in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ sehr gut, wie die Arbeiterklasse immer weiter nach rechts driftete, weil in der politischen Landschaft keine Partei mehr da ist, die sie vertritt.

    Und wenn solche Arschschranzen wie Martin Delius, Julia Schramm oder die Titten-Helms in der Linkspartei in Berlin sind: dann gute Nacht.

    Interessant ist, daß Eribon eben selbst ein Schwuler ist und insofern diese doppelte Perspektive ganz gut darstellen kann, ohne ins übliche Lamentieren zu geraten. Sondern er macht die Lage anschaulich. Das, was er beschreibt, können theoretisch auch Leute mit einer leicht homophoben Einstellung begreifen. Aber solche Veränderungen im Bewußtsein und gesellschaftlicher Wandel verlaufen eben langsam, brauchen Zeit. Für die USA sehe ich sowieso schwarz. Aber das System und die Gesellschaft dort ticken sowieso ganz anders als in der BRD. Insofern ist es schwierig zu vergleichen.

  18. eigentlich nur mäßig interessant bis langweilig, diese möchtegern-linke Bauchbepinsrlei, . Wir versuchen in der real World Syriern usw. Deutsch beizubringen.

  19. @Bersarin
    Das alles hat sehr viel mit Trump zu tun und mit dieser diffusen Wut, die orientierungslos darin zum Ausdruck kommt. Das glaube ich auch. Aber dem kann, das ist mein Pessimismus, im Moment nicht wirklich etwas entgegen gesetzt werden. Vieles ist gut und richtig und wird auch gesagt werden – und wird im Moment wenig helfen, weil die Dinge so machtvoll ineinander verzahnt sind. Es ist in der Tat kaum möglich, Einzelnes so einfach zu ändern ohne sich kurzfristig selbst zu schaden. Insofern könnte eigentlich Wut etwas Produktives sein. Und vielleicht ist auch das der Grund, warum dichte, fest vernetzte Systeme entweder überleben oder aber wirklich in die Luft fliegen. In gewisser Weise haben die Leute natürlich Recht, wenn Sie sagen, bleibt mir vom Halse mit euren rationalen Argumenten, die stärken eh nur den Status Quo. Das stimmt. Frau Wagenknecht argumentiert in etwa so, deswegen im Übrigen auch für den Nationalstaat als zumindest demokratisierbare Einheit. Das treffen auch die Trump- und Brexitwähler einen Punkt – nur gerät diese Wut in die traurigsten Hände.
    Für Foucault habe ich so eine kleine Hassliebe, Eure Diskussion im Blog habe ich verfolgt. Mindestens meine Achtung vor seinem Werk ist groß. Das kann ich zu dem, was daraus angelegentlich geschlossen wird, so nicht behaupten, wie Du ja auch. Und Deinen Bemerkungen zum okkulten, aber bisweilen massiven Sektenwesen, das sich daraus gebildet hat, samt „sprachhygienischer“ Eintrittskarte. Was denkst Du: Müssen wir Ähnliches bei vielen Flüchtlingshelfern auch befürchten, dass wir hier so eine sich abschließende Bewegung bekommen in Teilen, so dass wir hier bald von antirassistischen, feministischen, schwulen und lesbischen, migrantischen Bewegungen sprechen sollen, mit eigenem Sprachduktus für Flüchtlingshelfern und erst einmal abzuleistenden politischen Bekenntnissen? Deutet der bei einigen mir auffällige Wechsel, nicht mehr von Flüchtlingen, sondern von Geflüchteten zu sprechen, darauf hin? Oder sehe ich Gespenster?
    Leider starb Foucault zu früh, er schien die Aporien, in die er sich theoretisch manövriert hatte, möglicherweise gesehen zu haben, darauf deutet einiges hin. Leider blieb ihm keine Zeit mehr, das bleibt Spekulation.
    Das Buch von Eribon miss ich jetzt dringend mal lesen …..

  20. @ziggev
    Für Sie sicher nur mäßig interessant – ich wollte Sie nicht langweilen. Aber es geht hier um politische Probleme, die so nicht aufzulösen sind. Ein Elend ist genau die konfrontative Zweiteilung zwischen persönlicher Hilfe, die nötig und großartig ist, und politischen Problemen, ohne die Sie kaum beantworten können, warum denn Syrer grad Deutsch lernen sollten? Dividiert man das auseinander, wird beides scheitern. Sie müssen das nicht links oder sonst wie nennen, und sich auch nicht dafür interessieren. Ob sich das für den Syrer überhaupt lohnt, Deutsch zu lernen, darüber wird politisch entschieden, und sicher nicht allein durch Verteilen von Bettwäsche und Handtüchern und das Erlernen der Sprache. Wenn´s häßlich kommt, wird nämlich bald die Frage aufkommen, wieso Deutsch lernen, für die paar Jahre? Sie setzen hochpolitische Dinge voraus, die keinesfalls unumstritten sind, heute noch weniger als vor ein paar Wochen. Es ist genau diese Selbstverständlichkeit, eine ganze Kaskade von Voraussetzungen, über die keineswegs endgültig entschieden ist. Sie setzen voraus, dass jeder, der kommt, auch bleiben kann. Letztlich sagen Sie in dieser Kaskade, dass wir bei jedem, den wir natürlich aus dem Mittelmeer retten müssen und wollen (alles andere ist unerträglich), schon mal gleich über die Rente und alle Zwischenstufen bis dorthin nachdenken können. Eine Abstimmung darüber empfehle ich in Zeiten wie diesen nicht. Da besteht die Gefahr, dass in Ihre „real world“, die Sie gegen eine irgendwie diffuse „unreal world“ abgrenzen zu sollen meinen, ganz „real“ andere Zwänge einbrechen. Ähnliche real surprises ereignen sich grad am Fließband, das schien mir das Thema zu sein.
    Über Nothilfe in lebensbedrohlichen Zwangslagen kann man nicht diskutieren, ohne zum Unmenschen zu werden, über Art und Umfang der Integration, darüber, in welchem Masse sie wünschenswert ist oder nicht, durchaus – und zwar auch ohne steiles moralisches Gefälle. Bisher müssen Sie alles, was Sie nicht selbst leisten, für die Allermeisten im Konjunktiv formulieren, etwa: wenn wir genug bezahlbare Wohnungen hätten, sollten die Ankommenden auch darin wohnen (was wir im Moment teilweise dadurch lösen, dass wir unbezahlbare Mondpreise durch aberwitzige Subventionen in für Flüchtlinge bezahlbare verwandeln – Preise, die besser nicht laut ausposaunt werden!). Wenn wir genug passende Arbeitsplätze hätten, wäre das die beste Integration (in Wirklichkeit rationalisieren wir jetzt, und in der kommenden Industrierevolution 4.0 noch mehr, die passenden Arbeitsplätze gerade weg). Und wir haben ein Rentensystem, bei dem jeder, der mit 30 Jahren kommt, und sagen wir einmal günstigenfalls 5 Jahre braucht, um finanziell klar zu kommen, bei einem Durchschnittseinkommen (das die wenigsten erwartet!) keine Chance, eine Rente auch nur auf Existenzminimum zu erwirtschaften. Da wachsen viele Probleme zusammen, die auch nicht gelöst sind, wenn der Syrer fließend Deutsch parliert, so wünschenswert das ist. Ich will nicht Ihren Einsatz schmälern, das liegt mir völlig fern. Aber verengen Sie ihn auch nicht selbst auf diese Bauchnabelperspektive, so nach dem Motto, wenn wir mal kräftig anpacken, dann wird das schon. Ich glaube, wenn wir Erfolg haben wollen, sollten wir nicht, was wir vorne bei den Flüchtlingen eventuell gut oder richtig machen, mit dem Hintern bei der Unterschicht wieder einreißen. In dieser Frage lauert schlicht Gewalt. Zumindest sollte man darüber nachdenken, sofern man nicht glaubt, man bekäme Verteilungskonflikte durch Gesundbeten oder Apelle aus der Welt. Und da geht es um den Sozialstaat, also um Politik. Und davon würde ich gerne Ihr Engagement abgrenzen: das ist schön und begrüßenswert und möge Ihnen Erfüllung bringen, vor dem skizzierten Hintergrund ist es aber auch Ihr Privatvergnügen. Das will ich Ihnen nicht vergellen, ich halte es auch für wertvoll, nur bitte schließen Sie nicht implizit und normativ daraus, ob sonst noch etwas wichtig ist. Ihre hedonistische Reaktion, das langweile Sie, ist natürlich da schon ganz passend.

  21. @ Bersarin
    Eine gute und treffende Lektüre finde ich übrigens Bloch´s „Erschaft dieser Zeit“. Er stand vor einem ähnlichen Problem.

  22. @Ziggev, ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit ist etwas, in das ich seit 1982 involviert bin, und zwar durchaus in der Hardcore-Variante, d.h. inklusive Verstecken von „Schüblingen“, wie das im Unmenschen-Amtsdeutsch heißt und dem Rassistenpack mit dem Schlagstock entgegentreten. Aber es sind ja gerade die flüchtlingsempatischen Kreise, die solche Debatten führen, die Neusprech-Umerziehung a´la Mädchenmannschaft geht ja geradewegs in die Flüchtlingsräte hinein, da kommt schon das Sprachverbot, nicht mehr Flüchtlinge sagen zu dürfen, sondern stattdessen „Geflüchtete“. Ansonsten bin ich ganz bei Jumid.

    @Bersarin, den Begriff „Toter Hund“ kenne ich eigentlich nur in dem Zusammemnhang, dass Verrätern in linken Gruppen ein solcher als Warnung vor die Tür gelegt wird. Und die Debatten der Neunziger, das war für mein Umfeld sehr viel Marx. Von den Poststrukturalisten kannten wir nur Foucault, Bourdieu und Baudrillard, die für uns so selbstverständlich zum linken Kanon gehörten wie Horkdorno, Gramsci, Poulantzas, Eldridge Cleaver oder die Texte der RAF. Dass es noch andere Postmoderne gab haben wir erst 1993 wahrgenommen, und Lyotard etwa zählte für uns ins Counter-Lager, neben Glucksmann, Fukuyama und Huntington, der übrigens Lohnschreiber der CIA war.

  23. Was das Thema Absurdistan angeht: So, wie am Neusprech der Mädchenmannschaft Diskussionsgewinne festgemacht werden wurden auch damals schon Hierarchien identitär begründet. Ich musste mich (in den 1990ern) für meine bürgerliche Herkunft rechtfertigen. Es wurde behauptet, Menschen aus Arbeiterfamilien seien grundsätzlich sozial kompetenter als solche aus der Mittelschicht, Ausdrücke wie „eklig“ wurden exklusiv nur für Verhaltensweisen von Upper- oder Uppermiddledclassmenschen bzw. für Personengruppen an sich, z.b. Popper oder Yuppies gebraucht. Studierter Arbeiterkinder galten hingegen als Avandgarde, ebenso, wie von Netbitch seinerrzeit geschildert, Lesben, die sozusagen als die höchste Form der Feministinnen kategorisiert wurden. „Das ideale revolutionäre Subjekt ist die behinderte schwarze Lesbe jüdischen Glaubens“, wie die Sprecherin des autonomen Antirassismusplenums, ironisch „Die Kleine Vorsitzende“ genannt, ebenso ironisch formulierte. Unsereins lachte ja über diese Absurditäten ab, viele nahmen sie aber sehr ernst. Und bei den Hektolitern Moralin, die von bestimmten Fraktionen jetzt schon vergossen wurden ist leider damit zu rechnen, dass das alles in noch schlimmerer Form wiederkommt.

  24. @ Jumid: Was Du zu ziggev schreibst, sehe ich bis ins Detail ebenso. Danke für die schöne Ausführung. Auf diese Weise kann ich sie mir sparen.

    Der Hinweis auf Bloch war gut. Obwohl ich kein großer Bloch-Freund bin und mich bei vielem seiner Thesen eher skeptisch verhalte. Aber seine Leipziger Vorlesungen und auch „Subjekt- Objekt“, „Spuren“ „Avicenna und die aristotelische Linke“ und viele andere Bücher sind lesenswert, in der Tat.

    @ che: Tote Hund ist so eine Redewendung aus der Philosophie. Marx gebrauchte sie in Bezug auf die Behandlung Spinozas, insofern die Anspielung,aus dem „Kapital:

    „Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber gerade als ich den ersten Band des Kapital ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel so zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit einen Spinoza behandelt hat, nämlich als ‚toten Hund‘.“

  25. @ (vom Che): „Aber es sind ja gerade die flüchtlingsempatischen Kreise, die solche Debatten führen, die Neusprech-Umerziehung a´la Mädchenmannschaft geht ja geradewegs in die Flüchtlingsräte hinein, …)

    Genau das kann ich nicht bestätigen. Ich bin einfach nur immer wieder baff-erstaunt, wie effektiv der von CDU-Kreisen organisierte Freundeskreis für Flüchtlinge, wo ich mich engagieren darf, arbeitet. Das ist hier, nördlich von Hamburg, wie in Bayern. Vorbildliche Flüchtlingsarbeit, im Einzelnen geregelt von zwei Lesben (Pärchen).

    Und das geht alles ohne jegliche Reibungsverluste vonstatten, weil von zwei Lesben organisiert, die alle Fäden über dieses Organisationszentrum laufen lassen.

    Junid hat natürlich recht, wenn er (oder sie? BTW, Jumid, Sie können mich ruhig dutzen) mir einen gewissen „Hedonismus“ diagnostiziert. Wenn es denn hedonistisch ist, die eigene Sprache zu lieben und in jeder Unterrichtsstunde die jeweiligen Erfolge zu verzeichnen.

    Z.B. beim Laut „sch“. Ich erklärte also: „Sch, wie in Moschee“ … pause … „Halt, müsstet ihr doch kennen, sch, wie in Moschee“ … pause … Dann: „Ja, ok, kennen wir im Prinzip, du meintest also ‚Moschee‘, also ‚Sch‘, warum sagst Du das nicht gleich?“

    Oder unterscheiden zw. „g“ und „k“. Ich also, damit eine Art Gespräch in Gang kommt, „gibt es Katzen in Syrien? Jetzt wurde es etwas kompliziert, um die Frage zu erklären, und dass es eine Frage ist. Aber nun ganz klar: in Syrien gibt es viele Katzen. Gibt es in Syrien Kamele? – Ich weiß es nicht ! Gibt es in Syrien Kirchen? Abstimmungsprobleme; aber, na klar, das gewünschte Ergebnis kam natürlich, denn ein paar Fetzen Englisch parat: „No problem, in einer Großsatdt gibt es 3,4, 5 ‚Kirchen‘. No Problem“.

    Ich hatte nie diese linken Identitätsprobleme. Auch nie was mit Renegatentum nachdem Fall der Mauer. Nichts hat mich in meinem Leben mehr angeekelt, als dieses innerlinke Distinktionsgewinnlertum.

    Dabei ist es doch so einfach. Einfach nur den einem aufgegebenen
    Humanismus pflegen. Ist es denn wirklich so schwer? Die eigene Sprache soweit zu lernen/verstehen, damit wir sie irgendjemand sonst beibringen können.?

    Was immer vergessen wird: Das erste Experiment auf europäischen Boden genannt „Demokratie“ endete mit einer brillanten Rede von Alkibiades, der die Athener zum Syrakus-Abenteuer überredete. Und dann ist Schluss gewesen mit „Demokratie“ in Europa für ca. die nächsten 2000 Jahre. – Ich sehe keinen Grund für einen besonderen Optimismus, dass es diesmal anders laufen wird.

  26. ich glaube an die humanistische Idee, wie sie von Erasmus, Luther, Melanchton, Zinzendorf, vielleicht sogar von Grimmelshausen vertreten wurde. das sind, M.E., die ‚basics‘, um auch nur eine blasse Idee von dem europäischen Projekt zu gewinnen.

  27. @ziggev
    Lieber ziggev, ich bin ein Er, 53 (na, fast), wohne in Berlin, Vorname Jürgen. Und ich muss mich mäßigen und entschuldigen, Hedonismus ist nicht das Wort, das ich hätte nehmen sollen. Das ist angriffig, und das war gar nicht meine Absicht. Ich glaube auch ans Humane, und ganz ohne falsches Pathos oder Ironie: Menschen wie Du stehen dafür, dass es dieses Humane auch gibt. Das meine ich ganz ernst. Die praktischen Flüchtlingshelfer sind das Beste, was wir in der „Krise“ hatten und haben. Und ich finde auch – und sag´s absichtlich ganz einfach: wenn man etwas Gutes und Richtiges tut, sollte man darauf stolz sein. Ich finde das gehört dazu, dass man abends zufrieden ins Bett geht und sich sagt, ich habe heute etwas Sinnvolles getan, für andere und auch für mich. Ich wollte das Sprachenlernen und Dich nicht diffamieren oder herabsetzen oder zynisch in schräges Licht rücken.
    Und Du hast Recht: vielerorts läuft das, parteiunabhängig, von den Linken bis zur CSU, gut. Das ist keine wirkliche Parteifrage auf dieser Ebene , Gott-(oder Nietsche-)seidank.
    Was mir Sorgen macht muss ich vielleicht anders formulieren und solidarischer, denn so ist es gemeint: wir alle müssen politisch sehr aufpassen, dass die Flüchtlingshelfer nicht bald im Regen stehen, weil es dort Aufgaben gibt, die nur durch alle, die Gesellschaft, den Sozialstaat, den Steuerzahler zu lösen sind. Ansonsten könnte sich irgendwann das gute Tun ins Absurde verwandeln. Es gibt allzu Viele, die Flüchtlinge und ihre Helfer zu gerne funktionalisieren möchten. Der erste Flüchtling hatte ja noch nicht beide Beine über die Grenze gebracht, da ging es schon um den Mindestlohn. So schnell können die Syrer gar nicht von der Türkei nach Deutschland reisen, wie interessierten Kreisen ihre ideologische Nützlichkeit einfällt. Und häufig steckt hier der Teufel im politischen Detail, ich weiß das das kleinlich klingt, ich halte es aber für ganz wichtig. Natürlich müssen die Gesundheitskosten getragen werden von uns allen – oder nur von Pflichtversicherten? Natürlich müssen sie vernünftig wohnen – aber wie geht das mit den paar Dukaten, die Schäuble offiziell spendiert, was sich im Wesentlichen auf eine Monatsmiete pro Neubürger beläuft. Wird´s der Markt richten? Natürlich eine rhetorische Frage in diesem Blog – nein! Schon allzu häufig wurde der Sack geprügelt und der Esel war gemeint. Das wird nicht aufhören. In ein paar Jahren werden wir hören, die Sozialkosten laufen aus dem Ruder – wir können darauf warten. Ich meine es als Unterstützung, dass eine Gesellschaft sich darauf ganz anders einstellen muss. Sie wird mehr von öffentlichen Aufgaben halten müssen als die unsere, insbesondere als unsere Regierung meint und überhaupt denken kann (heute die Meldung: Schäuble will die Autobahnen verkaufen, so die Denke, mit der wir es zu tun haben). Das die Flüchtlingsfrage zu einem Brennglas wird und damit Flüchtlinge zu Sündenböcken, liegt an unserer defizitären Politik und ist nicht die Schuld der Neubürger. Viele kommen unverschuldet vom Regen in die Traufe. Flüchtlinge werden dann für etwas haftbar gemacht, was sie nicht verbockt haben. Ich nehme fast an, da sind wir uns schnell einig. Das habe ich eigentlich sagen wollen, es klang dann doch etwas zu derb. Es ist so ähnlich wie mit den Tafeln: ein Segen, dass es sie gibt, ein Skandal, dass sie offensichtlich nötig sind, zum Erbrechen, wenn Frau von der Leyen, die den Hartzlern die Wurstscheiben auf´s Brot zählt und nach unten abrundet, die Schirmherrschaft übernimmt.
    Eventuell ist es so derb geworden, weil ich nickeliger und pedantischer werde in der Beschreibung dessen, was ich sehe, weil ich für ein Kennzeichen unserer öffentlichen Debatten (im Allgemeinen, nicht hier Blog) halte, das sie sich gerne in Scheinkonsense, Skandalisierung nicht von Fragen, sondern viel schlimmer: Realitäten rettet. Da wird so rumgemauschelt, man drückt sich und duckt sich weg, vor Freund und Gegner.
    Und hier war ja die Überschrift: Trump! Ich glaube, was man Populismus nennt (ich mag diese Leerformel als Erklärungsplacebo überhaupt nicht, aber nehme sie mal), sollte man nicht in seiner Schwäche, sondern in seiner Stärke ernst nehmen. Und für eine unzweifelhafte Stärke halte ich, dass er die blinden Flecken eines Scheinkonsenses und einer Realitätsverweigerung brutal offen legt. Er leuchtet genau in die Winkel unserer Illusionen, in die alle anderen absichtlich nicht gucken. Und sich zufrieden geben. Nicht alle, aber ein Mainstream. Damit bricht sehr viel auf, und wird zugleich brandgefährlich zugespitzt. Nichts deutet darauf hin, dass etwa Trump die Probleme, die er benennt – unpräzise, rassistisch pervertiert, frauenfeindlich, hetzerisch, immer mit seinen Holzfällermanieren – , auch löst. Aber auf eine Art scheint er ins Schwarze zu treffen. Deswegen bin ich manchmal etwas schwankend wie so viele, die sich eher die Hand abhacken würden, als den Typen zu wählen, ich freue mich keine Sekunde über seinen Sieg, aber gleichzeitig jede Sekunde, dass Clinton verloren hat. Trump ist das ätzende Symptom, Clinton die Krankheit. So überspitzt würde ich das mal formulieren. Und ein Teil des Problems ist, dass wir uns in so einem Konsens wiegen, der uns selbstverständlich ist, ein Konsens, in dem Du etwa Deutsch unterrichtest – und eines morgens wachst Du auf und stellst fest: den Konsens gibt es gar nicht. Daher gehört das auch politisch begleitet, das meinte ich nur. Bestimmte Selbstverständlichkeiten sollte man kritisch beäugen, um einen Teil von offener Gesellschaft zu verteidigen – eher dieser Kontext war gemeint.

  28. Die „Linke“ muss bereit sein, über die Leichen ihrer rechtsgrünversifften falschen Freunde aus der anarchistisch verblödeten Mittelschichtsschnepfenecke zu gehen, wenn sie jemals wieder was reißen will.

    Discuss:
    http://bennorton.com/adolph-reed-identity-politics-is-neoliberalism/

    http://www.nakedcapitalism.com/2016/06/adolph-reed-identity-politics-exposing-class-division-in-democrats.html

    http://platypus1917.org/2015/04/04/unite-many-interview-adolph-l-reed-jr/

    (Sorry wegen der Kürze, ich habe einen neuen Job angenommen, und muss am bis Montag ein Projekt fertigstellen).

  29. Ich bin froh, daß dort endlich mal nicht linksversiffte Grüne steht. Denn die Grünen sind genau das nicht: links.

  30. „Scheinkonsens“ oder „Realitätsverweigerung“ – Zitat Jumid. ich gebe Europa=Deutschland noch c.a, 20 Jahre, Maximum. Dann werde ich aber abgelebt haben werden. Und es wird zukünftige Historiker noch erstaunen, wie stabil sich noch das deutsche Sozialsystem erweisen wird. DAS wird in die Geschichte eingehen.
    .

  31. The backstage manager was pacing all around by his chair

    “There’s something funny going on,” he said, “I can just feel it in the air”
    (Bob Dylan Lilly, Rosemary & The Jack of Hearts)

    Well, the sword swallower, he comes up to you

    And then he kneels

    He crosses himself

    And then he clicks his high heels

    And without further notice

    He asks you how it feels

    And he says, “Here is your throat back

    Thanks for the loan”

    Because something is happening here

    But you don’t know what it is

    Do you, Mister Jones?

    elites lived in both parties, Trump warned. The Republicans were tools of job-exporting fat cats who only pretended to be tough on immigration and trade in order to win votes, when all they really cared about were profits. The Democrats were tools of the same interests, who subsisted politically on the captured votes of hoodwinked minorities, preaching multiculturalism while practicing globalism. Both groups, Trump insisted, were out of touch with the real American voter. Neither party saw the awesome potential of this story to upend our political system.

    So ungefähr, Männer – und auch die eine oder andere Frau.
    Bloch gut, Reck gut, Konrad Heiden (gerade von Aust wiederbelebt) gut. Aber far away.

    Was hier und da gesagt wird – auch von Uwe gesagt wird: Da stimmt was nicht – (s. o. – Dylan…) – – Dylan war einer der Prominenten, die sich n i c h t geäussert haben während dieser Wahl. There’s something funny going on – sag ich jetzt, abweichend von Dylan, she said, I can just feel it in the air….

    Dylan sagte nix, Randy Newman sagte nix, Cohen sagte nix, Taylor Swift sagte nix, Richard Ford sagt jetzt nix mehr: Es müssten andere ran, weil das Land sich geändert habe, er sage, sagte er offenbar dem Spiegel, nun nix mehr. Wiedermanns langes Gesicht in dem Moment hätt‘ ich sehen mögen. Gut.

    Matt Taibbi im aktuellen Rolling Stone sagt ungefähr so: Scheiße, Scheiße, Scheiße (= FUCK, FUCK, FUCK…) – wir haben das Ding – – als Journalisten – – versemmelt. Keiner von uns – gar keiner aus der New Yorker Blase war sich unfein genug, zu schauen, was die Leute (alle Leute ausserhalb der Blase) bewegt.
    Taibbi macht mal einen Anfang – es wird interessant sein zu sehen, was er aus diesem Anfang macht. Das wird entscheidend sein!

    Hier der link zu Taibbis mea culpa:

    http://www.rollingstone.com/politics/features/president-trump-how-america-got-it-so-wrong-w449783

    Hier zwei Zitate:

    Trump made idiots of us all. From the end of primary season onward, I felt sure Trump was en route to ruining, perhaps forever, the Republican Party as a force in modern American life.

    Und – auch nicht schlecht:

    elites lived in both parties, Trump warned. The Republicans were tools of job-exporting fat cats who only pretended to be tough on immigration and trade in order to win votes, when all they really cared about were profits. The Democrats were tools of the same interests, who subsisted politically on the captured votes of hoodwinked minorities, preaching multiculturalism while practicing globalism. Both groups, Trump insisted, were out of touch with the real American voter. Neither party saw the awesome potential of this story to upend our political system.

    Ich schließe:
    The question now is: Where – do we go from here?

    (Es ist sinnvoll, hier wir zu sagen – es weht da scheints ein großer Wind – auch um uns).

  32. Here’s a little more meat to the chilling bone

    Bei meinem vorigen post ist das erste Zitat nach den Dylan-Zitaten überflüssig und Wiedermann ist Volker Weidermann und Uwe ist Jume – ok now…

  33. @ziggev
    Das wäre ja noch etwas, wenn sich das Sozialsystem als stabil erweisen würde ….. wenigstens etwas.
    Ich war mir jetzt nicht so sicher, ob Du die Zitate „Scheinkonsens“ und „Realitätsverweigerung“ analytisch zustimmend anführst oder aber als Verfallszeichen, denen zu widersprechen sei. Ich will deshalb kurz schreiben, was ich damit präzise meine.
    Eines der erstaunlichsten Phänomene der letzten 30 Jahre, der neoliberalen Revolution, scheint mir zu sein, wie glatt, widerspruchslos und mit welcher hohen Zustimmung (anders kann man es nicht sagen) sich diese hat durchsetzen können. Das ist einfach ein erstaunliches Phänomen. Denn alle Regierenden in unseren westlichen Ländern sind ja gewählt, frei und geheim. Wie konnte es geschehen, dass Mehrheiten bis weit in unterprivilegierte Schichten hinein, eine Politik wählen, die ihnen schadet: die Verzicht (einseitig) predigt, die verbietet, die ihnen ihre sozialen Sicherheiten nimmt und ihre öffentlichen Gemeinbesitz verscherbelt, den sie nach Verkauf über die Zeit dreimal bezahlen. Wie kann es sein, dass viele Begriffe, die diesen Prozess beschreiben, in öffentlichen Debatten quasi delegitimiert worden sind? Eine Schwierigkeit, die ich seit vielen Jahren habe, ist die, dass ich mich, wenn ich dieses kritisiere, bestenfalls erstaunten großen Kulleraugen gegenüber sehe, schlimmerenfalls aber bespottet fühle: das ist alt, von gestern, konservativ (besonders dieses ganz erstaunlich), oder noch schlimmer: totalitär (etwa wenn ich von Eigentumseingriffen und Verteilungsfragen spreche), rassistisch und völkisch (wenn ich erwähne, dass Staatsbürgertum auf Grenzen beruht und nicht unendlich offener staatsbürgerlicher Zugehörigkeit), eurozentrisch (wenn ich Globalisierung im Kern als europäische Expansion beschreibe und mir, jetzt polemisch, nicht einleuchtet, was daran chinesisch sein soll, wenn ein KP – Chef verkündet, er ersetze nun die Ideen eines Denkers aus Trier und London durch jene eines Denkers aus Edinborough oder Edinburgh, warum ein sich fortschrittlich gerierender afrikanischer Denker in seiner Schrift „Kritik der schwarzen Vernunft“ schon im Titel nicht ohne ethnisierende Anleihen bei einem Philosophen aus Königsberg auskommt und das als sekundären Afrokitsch bezeichne, oder warum jemand wie Pankaj Mishra einen Verständigungspreis für seine selbstkritikfreien Auslassungen in Wort und Schrift bekommt und nur die Hellhörigeren mehr als nur leise Anklänge an – wieder polemisch zugespitzt – identitäre Pegidaideologeme wahrnehmen konnten – alle anderen klatschen selbstdemütigend brav Beifall), beleidigend (weil selbst Vernunft und Aufklärung gegendert gehören) und so weiter und so fort.
    Was hat das alles mit Trump zu tun, wo doch was ich hier schreibe, auch verdächtig nach linkem Stammtisch klingt, wo man allzu zu handfest und schnell von Bratkartoffeln auf´s böse Weltkapital kommt? Ich glaube, es hat damit zu tun, dass Teilen des Westens inzwischen dämmert, dass sich ihre eigenen Prinzipien der Menschenrechte und des konsumistischen Freihandels, seine Technologisierung auch als universalisierte gegen ihn selbst wenden. Man begreift allmählich, dass zu diesen Prinzipien immer gehörte, dass man sich selbst vorbehielt, verbindlich zu interpretieren, wann und für wen sie jeweils gelten und für wen nicht. Er merkt, dass der gefeierte Sieg im kalten Krieg die unangenehme Konsequenz hat, dass der Sieger in Feierlaune nun Hüter des einzigen noch übriggebliebenen Gesellschaftsmodells ist, an dem man sich orientiert: an seinen Verheißungen auf Wohlstand. Und dass er es nun ganz unvermittelt und direkt mit den ideologischen Forderungen und Versprechen seines eigenen Modells zu tun bekommt: Menschenrechte, die für alle gleich gelten, und Anspruch auf einen fairen Anteil am Konsum. Während ersteres dafür steht, dass man legitim diese Forderungen niemanden argumentativ überzeugend verweigern kann, steht zweiteres dafür, dass diese Rechte und Forderungen keineswegs freiheitlich individualistisch interpretiert werden, wie das der liberalen Seele wohl gefiele, sondern sozial. Jetzt wollen die anderen das auch – und sie stimmen mit den Füßen ab. Hier geht es nicht darum, was wir gönnerhaft, nach irgendwelchen Kriterien, anderen zugestehen, sondern was sie sich in der Lage sind zu nehmen – auch ohne uns untertänigst zu fragen, was wir wohl zu geben bereit wären. Das ist ein großer gemeinsamer Nenner vieler Konflikte, die wir sehen. Solange die EU einen größeren Anteil am Kuchen durch Integration in ihre massendemokratischen, konsumorientierten Lebensmodell verspricht, wird die Ukraine darum kämpfen. Dieses ist auch für China, bei aller Widersprüchlichkeit, das Ziel, das man über die schiere Größe seines Nationalstaates erreichen möchte – das hängt an der nationalistisch interpretierten Einheit Chinas, nicht an Freiheit und Menschenrechten in einem westlichen Sinne. Kein Syrer wird in ein eventuell freies, aber zerbombtes Syrien zurückgehen, das ihm zwar Pressefreiheit und Nichtverfolgung garantieren mag, nicht aber Teilhabe an dem westlichen Wohlstandsmodell verspricht (deswegen die Aufweichung auch der Kriterien unter denen jemandem zumuten kann, nach vorübergehendem Schutz für Leben und Gesundheit eine Rückkehr zu akzeptieren, weil nämlich ein Nachkriegssyrien mit Ländern wie Schweiz, Schweden oder den Niederlanden nichts zu tun haben wird, nicht einmal mit Griechenland oder Moldawien, und dorthin zu gehen würde ja schon schwierig und als kaum zumutbar betrachtet). Und deswegen kann auch Trump mit dem westlichen Wohlstandsversprechen – nicht wegen, sondern in weiten Teilen sogar trotz seines verheerenden Wahlkampfes – punkten. Das verbindet übrigens Nationalisten und Migration: dass man sich davon Teilhabe verspricht. Diese ist als Resultat auch in bisher wohlhabenden Ländern als Folge der Globalisierung für viele gefährdet oder schon verloren. Der Nationalstaat ist jedoch die kleinste Einheit, in der man Ansprüche mit einiger Aussicht auf Erfolg in einem nur noch als global zu beschreibenden Verteilungskampf durchsetzen kann. Das macht ihn in den Augen vieler attraktiv – liberale Diskurse und Warnungen hin oder her. Solange dieses so ist, werden liberale Mahnungen bei Vielen abprallen. Sie werden allgemein akzeptiert, aber eben nur auch, unter anderen, und nur nach innen. Und in diesem Kontext sind des einen Syrer und Somalier des anderen Mexikaner und Polen. Die Grundstruktur der Probleme ist bei allen natürlich relevanten konkreten, lokalen Gegebenheit, die modifizierend wirken, aber dennoch bei unserer Flüchtlingskrise, dem britischen Brexit und dem amerikanischen Trumpsturm sehr ähnlich. Clinton hatte hier nur mehr vom Gleichen zu bieten, das meinte: sie sei zuverlässig. Ich sage nicht, dieses Problem der Globalisierung sei das einzige, das ist natürlich zu simpel, ich möchte aber sehr wohl behaupten, dass keines der erwähnten Phänomene ohne diesen Zusammenhang zu begreifbar ist.
    …. und eben dieses macht mich so pessimistisch: in diesen Fragen – und das zeigt Trump ganz deutlich, bisher „nur“ rhetorisch – lauert nackte Gewalt. Gewalt, die im Zweifel ohne Nationalismus oder Ideologeme auskommt. Und – Schleife zurück – hier sind wir bei Scheinkonsensen. Einer dieser Scheinkonsense ist, dass mit der Abschaffung der Nationalstaaten, möglichst in einem Weltstaat mündend, der Frieden ausbräche. Ohne jeden Zweifel haben nationalstaatliche Konflikte Kriege verschärft, zumindest wurden sie in seinem Namen geführt. Es ist aber keineswegs eine hinreichende Kritik nationalstaatlicher Ideologien, wenn man ihre Selbstbeschreibungen zum Nennwert nimmt und daraus schließt, Gewalt und Krieg würde mit dem Absterben der Nationalstaaten aus der Geschichte verschwinden. Ein eventueller Weltstaat verwandelt jedoch voraussichtlich nur Kriege in Bürgerkriege. Das Gleiche gilt für Ideologien. Wir sehen inzwischen Kriege, die Ideologien gar nicht oder nur noch als hauchdünne Firniss benötigen. Da geht´s um nacktes Überleben. Ein treffenderes Beispiel als Syrien ist der bei uns kaum beachtete Konflikt im südwestlichen Afrika, der seit Jahrzehnten tobt. Das ist der blutigste Konflikt unserer Zeit, nicht – bei aller unerträglichen Grausamkeit – der syrische. So unverzichtbar die Aufnahme syrischer Flüchtlinge mir erscheint, so sehr verdeckt das syrische Problem gleichzeitig einen Zusammenhang, der mit der dringenden Befriedung des Konflikts sich eben nicht erledigt. Marokkaner, die ihre Pässe wegwerfen, um hier als Syrer einzureisen, haben diesen Zusammenhang intuitiv besser begriffen als viele liberale Intellektuelle. Und dass die Flüchtlingsboote kaum mehr ausreichend betankt werden, um auch nur die lybischen Hoheitsgewässer zu verlassen, macht Schleuser zu effizienteren Experten in der Funktionalisierung humanitärer Menschenrechtsideale als Amnesty, das sich inzwischen zu einer Migrationsinstanz verwandelt, zu begreifen in der Lage ist. So zynisch sind die Zusammenhänge, in denen ich kaum sehe, wie man noch richtig handeln kann, wie etwas anderes als eine tragische Position des Schuldigwerdens möglich ist. Eine ähnliche Katastrophe spielt sich ab an der amerikanisch-mexikanischen Grenze, wo Menschen nicht im Meer ertrinken, sondern in perverser Symmetrie in der Wüste verdursten. An diesen Zuständen zerschellen unsere Begriffe. Und hier muss man sagen, dass der Bauch mancher als ungebildet diffamierter Trumpwähler Zusammenhänge dumpf, wütend, unproduktiv und destruktiv genauer erahnt als es einem lieb sein kann. Trump spürt dieses in seinem pragmatischen und schamlosen Opportunismus genauer als seine Gegner. Und deswegen hat er m.E. nach gewonnen. Das wäre ein Beispiel für das, was ich Realitätsverlust nenne.
    Dieses, ziggev, meine ich. Ich könnte noch fortfahren, durch Beispiele zu erläutern, was ich meine mit Scheinkonsensen, die nicht tragen, und Realitätsverlusten in Blasen, die ein Internet gar nicht brauchen. Hier reicht die zunehmende soziale Desintegration zur Erklärung weitgehend aus. Die Technisierung dieser Blasen durch´s Internet ist der erste Schritt in ein erneutes Verkennen der Lage durch technizistische Scheinerklärungen. Hier werden wieder Spiegel und Ursache verwechselt. Da kann man dann wieder schön moralisierend über Werteverlust salbadernd – nicht vergessen: unsere Werte.

  34. @Ziggev“@ (vom Che): „Aber es sind ja gerade die flüchtlingsempatischen Kreise, die solche Debatten führen, die Neusprech-Umerziehung a´la Mädchenmannschaft geht ja geradewegs in die Flüchtlingsräte hinein, …)

    Genau das kann ich nicht bestätigen. Ich bin einfach nur immer wieder baff-erstaunt, wie effektiv der von CDU-Kreisen organisierte Freundeskreis für Flüchtlinge, wo ich mich engagieren darf, arbeitet. Das ist hier, nördlich von Hamburg, wie in Bayern. Vorbildliche Flüchtlingsarbeit, im Einzelnen geregelt von zwei Lesben (Pärchen)“ —– Aber sobald Du hin zu Leuten kommst, die jahrelang oder jahrzehntelang vernetzt, überregional und organisiert Flüchtlingsarbeit machen und zum Beispiel auch Abschiebebedrohte verstecken oder Neonazis handgreiflich entgegentreten hast Du ganz bestimmt mehrheitlich nicht mit CDU-nahen Leuten zu tun, sondern mit Flüchtlingsräten, Antirassismusgruppen, Antifa und Flüchtlingsselbstorganisationen, und die sind mehrheitlich in der linken Szene verwurzelt. Und wer sich dort bewegt ist kaum in der Lage, diese moralinsauren Diskurse völlig zu ignorieren, auch wenn sie für die Flüchtlingsarbeit selber ohne Bedeutung sind. Ich erinnere nur an die letzte große Auseinandersetzung die ich, nur noch über Bande, mit Momorulez hatte. Da ging es um das Nobordercamp bei Köln. Eigentlich ein Zeltlager, das als Stützpunkt für konkrete Blockadeaktionen gegen Abschiebungen auf den Flughäfen Köln/Bonn und Düsseldorf dienen sollte. Dies wurde von jungen Studierenden aus Berlin und Potsdam, teils weißdeutsche und teils aus Westafrika stammend, okkupiert und zu einem Teach-In zum Thema Gender und Critical Whiteness umfunktioniert. In der Praxis sah das dann so aus, dass nicht genehme Standpunkte und Ansichten durch das Verteilen von Creeper-Cards, Hochhalten von Stoppschildern und kollektives Ausbuen zensiert wurden. Roma, denen eigentlich die Solidarität galt, deren Abschiebung verhindert werden sollte, wurde von deutschen Studis verboten Fleich zu grillen da Linke vegan seien. Geflüchtete aus Schwarzafrika sahen sich Studierenden aus ihren Heimatländern gegenüber, die ihnen Vorträge über Rassismus und Critical Whiteness hielten und jenen Eliten angehörten vor denen sie geflohen waren. Da fielen dann Ausdrücke wie „Pflanzerkinder“ und „Söhne Mugabes“. Von unseren wackeren Blog-MoralistInnen gab es sehr einseitigen Beifall für die autoritären Jungspunde. Und das ist kein Einzelfall.

  35. Und, Ziggev, Du warst, als diese Debattenschlachten tobten mittendrin, insofern wundere ich mich sehr dass Du das alles ignorierst. Hartmut Finkeldeys Blog würde gar nicht existieren, gäbe es diese Diskurse nicht.

  36. @Jumid, es geht schlicht um Verteilungskämpfe, und da wo diese am härtesten sind um die gezielte Vernichtung der überflüssigen Esser, und das im Weltmaßstab.

  37. „Über Nothilfe in lebensbedrohlichen Zwangslagen kann man nicht diskutieren“

    Ja, OK, aber ich frage mich nur immer, warum man in erster Linie denen gegenüber zur Hilfe verpflichtet ist, die jung und stark genug für die gefährliche Reise übers Mittelmeer sind, und deren Familien wohlhabend genug sind, die paar Tausend Euro aufzubringen, die es kostet.
    Das Geld, das hier für die Integration der Flüchtlinge aufgebracht werden muss (erkleckliche Summen), fehlt an anderer Stelle. Besteht hier kein moralischer Konflikt?

    Meine Solidarität haben in erster Linie die Armen, die dazu nicht in der Lage sind; ich spende lieber für Hilfsprojekt in den Herkunftsländern, z.B. bin ich akiv für dieses Projekt in Venezuela: http://fundaepekeina.org/

  38. Interessante Debatte, zu der ich aus Zeitmangel leider wenig beitragen kann. El Mochos Beitrag ist interessant. Gerade für den Syrienkrieg gilt ja,daß einzig Frieden dort etwas ändern wird. Ein Land ausbluten zu lassen, ist ein Verbrechen. Darüber sollten sich alle Beteiligten, insbesondere die USA und manche Journalisten, die laut die Moral predigen, im klaren sein.

    Schöner Satz von Dieter Kief:

    „Dylan sagte nix, Randy Newman sagte nix, Cohen sagte nix, Taylor Swift sagte nix, Richard Ford sagt jetzt nix mehr: Es müssten andere ran, weil das Land sich geändert habe, er sage, sagte er offenbar dem Spiegel, nun nix mehr. Wiedermanns langes Gesicht in dem Moment hätt‘ ich sehen mögen. Gut.“

  39. @ Che, Jumids Diagnose des „hedonistuschen“ ziggevs ist ja gar nicht so unzutreffend gewesen. Und ich nehme seine Entschuldigungen, weil er vermutlich glaubte, ich würde so eine Bezeichnung als herabwürigend auffassen, nicht an. Denn diesen Hedonismus (jetzt mal ohne „Tüddelchen“, wie Hartmut sagen würde) habe ich seit Zeiten meiner Online-Existenz ostentativ hervorzukehren versucht (die kurz vor der Großen Che-Momorulez-Spaltung einsetzte).

    Die mentalen (nicht nur mentalen, ist mir bewusst) Katastrophen, die Du um das Nobordercamp bei Köln beschreibst, habe ich immer nur als Verwirrungen von zu früh Möchtegern-Schlauen wahrgenommen. Ich durfte mir die Gesellschaft auch mal „von unten“ anschauen, ofW und dergleichen mehr, von ganz unten. Und ja, ich konnte einfach nicht anders, als die Organisation, kommunistische Vernetztheit bewundern, die ich in der Bahnhofsmission HH bewundern durfte, insbesonderes in Gestalt jener unübertrefflichen skandinavischen Blondine, — der überaus talentierte der Gitarrist, dessentwegen ich gekommen war, beging aber dennoch den Suizid (was vorauszusehen war). Will sagen, ich bin einfach froh, überlebt zu haben.

    Und desh. schlägt mein Herz immer noch links. Aber (es ist mir schon bewusst, dass dies nicht unbedingt zu meiner Ehre gereicht) meine Haltung gegenüber den linken „Selbstzerfleischungsdiskursen“ (so in etwa Hartmut oder hf99) ist recht dominierend eine hämische.

    Versetz Dich doch mal in den jungen ziggev hinein! Homegrown ,wie Du weißt, eher links orientiert, und dann triffst Du nur auf selbstgerechte, zirkuläre, angeblich „linke“ Diskurse? Sich fortschrittlich Dünkende führten rein dogmatische Diskure i.d. 80ern! Das leben war zu kurz, um hie oder dort linksintern ein paar Nachbesserungen anzubringen! Dagegen der Versuch der reinen Absetzbewegung: Wie ist Denken (eben gerade im Unterschied zu jenen jede klare vernünfigen, nur auf (linke) Dogmatik reagierenden versuchten Denkbewegungen) möglich ?

    Seit dieser grundsätzlichen Entscheidung lache ich nur über linke Denkversuche. Oder sich „links“ verstehender. Wie irgendwo oben gesagt, ich leide keineswegs unter einem nach-98-Renegatenproblem, noch leide ich unter jeglichen linken Identitätsproblemen. Weil ich mir, einst, in früher Jugend, vornahm, klares Denken zu erlernen. Vorbilder sind mir hierzu natürlich Historiker mit professioneller Ausbildung, wie Du sie in meinen Augen vertrittst, gewesen; (…)

    Aber über die über alle Maßen mehr als peinlichen und vorprogrammierten linken Selbstmissverständnisse kann ich nur herzichst lachen.

  40. … gut, es ging mit einem fast Pennertum ineins, habe ich aber erlebt, und es waren eher sozialdemokratisch eingestellte, wohlhabende Kreise, die mich da ´rausholten, Inzwischen hatte ich aber ‚frsche Luft‘ gerochen, welch frischer Wind wehte doch aus der angelsächsischen Philosophie einem um die Nase !

    Es ist eine lange Lernphase gewesen, zugegeben, und ich bin kurz davor gewesen, zum katholischen Glauben (einer alten oxforder i.d. 30ern Mode folgend) überzutreten, aber ich bemerkte doch noch rechtzeitig, dass meine geistigen Wurzeln eher bei Erasmus, Zinzendorf und dergl. liegen. Ich stimme mit bersarin überein, dass es jetzt ein Umwälzung geben wird. Dass jetzt aber ein spezifischer linker Diskurs hinweggewischt sein werden wird, erfüllt mich nicht mit übermäßiger Trauer.

  41. Ein sehr guter Text zum Thema findet sich bei Lucas Schoppe:
    https://man-tau.com/2016/11/13/wie-man-einen-trump-bastelt/#more-2266

    „So schwindet gemeinsam mit dem Sinn dafür, dass die eigene Existenzgrundlage durch die Arbeit anderer geschaffen wird, auch der Sinn für eigene Privilegien – und politische Konflikte erscheinen als Ausdruck kultureller Differenzen, nicht als Resultate ökonomischer Ungerechtigkeiten.

    Wer die Welt wesentlich als sprachlich verfasste Angelegenheit wahrnimmt und beispielsweise glaubt, Ungerechtigkeiten ließen sich durch die richtigen Endungen von Wörtern aus der Welt schaffen, der kaschiert damit auch, wie sehr diese in akademischen Milieus wurzelnde Haltung durch die Arbeit anderer ermöglicht wird. Wenn diese anderen sich schließlich wieder bemerkbar machen, können sie als reaktionär und anti-emanzipatorisch einsortiert und dann mit gutem Gewissen ignoriert werden.

    Der Begriff der Emanzipation, der eigentlich für die Befreiung und soziale Inklusion Ausgeschlossener steht, wird zu einem Instrument der Exklusion und der sozialen Spaltung.“

    Und hier:

    „Wer beispielsweise nicht verstehen kann, warum eine Mehrheit weißer Frauen für Trump stimmte, hat vermutlich einfach die eigene Filterblase betoniert und fensterlos gestaltet. Ein Geschlechterkampf hat nur in eng begrenzten feministischen Kontexten einen Sinn – außerhalb davon aber wenig Bedeutung. Die meisten Menschen leben in Situationen, in denen das, was für Männer schlecht ist, auch für Frauen schlecht ist – und umgekehrt.“

  42. mich als ostentativ Nicht-Linker Verstehender, wie Linkssein in der Tradition der post-68-Diskurse verstanden wird, habe ich mir als Projekt seit einiger Zeit, durchs Internet ermöglicht, vorgenommen, die linken Diskurse zu verstehen, sofern es sich nicht um Lächerlichkeiten, propagierte Antilogik und dergleichen mehr handelt. Diese zweifelhafte Haltung ist mir natürlich auch deshalb möglich, weil ich die Leute auf der Straße kennen gelernt habe, also „unten“, worum sich linke Politik eigentlich kümmern sollte. Nebenbei, auf der Straße hörst du manchmal längst vergessene Ausdrücke; die Straße kann auch ein Untersuchungsfeld für eine Archäologie der Sprache sein. Und, ich habe eine solide Grundausbildung in musischen Fächern erhalten. D.h., dass freigewordene Ressourcen, nach der Entscheidung, „nichtpolitisch“ zu sein, nutzbare Beschäftigungsfelder bereits vorfanden.

    Aber was stellt sich nun heraus? Ich befürchte jedenfalls eine gewisse Überreaktion, nach der Trump-Wahl, aus einem – lasst mich bitte überspitzt sagen – linken Selbsthass.

    AFD und dergleichen vermeinen doch auf eine (vermeintliche) linke Hegemonie der Diskurse zu reagieren. Dass Merkels „Welcome“ nicht ein Deutschland ohne Grenzen nach sich ziehen würde, war doch klar und vorherzusehen. Die aus einem linken Selbsthass geborene Kritik an einer vermeintlichen (und innerliks noch umso mehr verstärkten) linken Diskurshegemonie, wo also links tatsächlich infolge gewisser Selbsttäuschungen fehlging, wurde 1 : 1 umgesetzt in Propaganda von Rechts.

    Ich wehre mich einfach dagegen, sich von dieser nur allzuleicht aufgestellten Falle schnappen zu lassen. Ein bisschen Mehr Traute! Bitte!

  43. Ich tippe mir ja hier die Finger schartig, aber genau deswegen weise ich seit 2003 bloggenderweise ständig auf die Positionen des Neuen Antiimperialismus hin und auf die Schriften von Detlef Hartmann, Angelika Ebbinghaus und Karl-Heinz Roth – sozusagen einsamer Missionar des Hartmann-Bunds;-) Der Kampf gegen die entfremdete Arbeit an sich, Leben als Sabotage steht dabei im Mittelpunkt. Ohne die Grundposition Legal-Ilegal-Scheißegal und einen radikalen Antietatismus kommt die Linke überhaupt nicht weiter.

  44. Übrigens formiert sich gerade in den USA initiiert u.a. von Bernie Sanders eine außerparlamentarische Opposition, die ganz explizit nichts Weniger will als die soziale Revolution.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..