Aus dem Wörterbuch der textunsicheren Phrasen

Ich möchte nie und nirgends von jemandem, der sich Schriftsteller oder Autor nennt, lesen: „Ich weiß nicht, wo mich meine Texte hinführen.“ Würden wir einen Politiker wählen, der behauptet: „Ich weiß nicht, wohin mein Handeln, Tun und Trachten politisch führen wird.“? Wir hielten den Mann zu recht für einen politischen Amokläufer oder zumindest für einen Dilettanten. Würde ich solch einen Satz einem Taxifahrer durchgehen lassen, der die Geliebte wie auch mich nachts durch die Kühle und die Unwirtlichkeit Berlins nahe meiner warmen Stube bringt: „Ich weiß nicht, an welchen Ort Euch meine Fahrkünste heute tragen werden.“? Schnell stiegen wir aus und liefen lieber scheu und schamvoll Hand in Hand lange Wege durch die Nacht Berlins und zitterten aneinander. Würden wir einem Maurer unseren Hausbau anvertrauen, der ausruft: „Ich weiß nicht, zu welcher Steingestalt mich meine Arbeit hinführen wird.“? Ganz gewiß nicht. Wir wohnten lieber in einem Baumhaus oder in einem schwachsinnigen Auerhaus.

Mag sein, daß Schreiben, Texten, Taxifahren arbeitsmäßig nur insofern in einem Kontext stehen, als viele Schriftsteller ein schlechtes Auskommen haben und also Taxi fahren müssen, aber ansonsten gehören diese Tätigkeiten unterschiedlichen Kategoriebereichen an. Künstlertum ist ein wandelbarer Prozeß, ohne Zielvorgabe. Taxifahren und Maurern nicht. Aber wollen wir wirklich derart tief in solche Geheimnisse und in die schlimmen Abgründe des Schreibbetriebes blicken? Oder ist die Illusion nicht viel schöner, der Schriftsteller wie auch der Kritiker von Literatur wissen, was sie tun? All diese herrlichen, ästhetizistischen Féerien!

„Der Vorsatz des jungen Jean Paul war, ‚Bücher zu schreiben, um Bücher kaufen zu können‘. Der Vorsatz unserer jungen Schriftsteller ist, Bücher geschenkt zu bekommen, um Bücher schreiben zu können.“ (Karl Kraus) Und das ist dann mal keine Phrase, sondern bissige Dichtung und bittere Wahrheit.
 
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2 Gedanken zu „Aus dem Wörterbuch der textunsicheren Phrasen

  1. geht mir ähnlich. immer etwas verdutzt lese ich oder höre solches, dass dann nun von Autoren bzw. Autorinnen davon berichtet wird, dass sich ihre Persona im Schreibprozess irgendwie verselbstständigten, die eigene Logik entwickelten und dergleichen verschiedenes mehr. Ein Schreibprozess sei mehr eine Erkundung der sich so entwickelnden „eigenen Logik“ der gerade erst erfundenen Protagonisten. Natürlich habe ich ganz und gar nichts gegen solches mind-tripping, einmal die eigene Phantasie in Gang gesetzt! Nein, ganz gar nicht. Nur müsste solche schriftstellerische Hingabe an einen, z.B.,“stream of consciousness“ in der Schreibe selbst reflektiert werden, und uns geneigten Lesern durch diese Reflektion als Literatur dargeboten werden.

    ansonsten stehe ich immer etwas hilflos davor.

  2. Prinzipiell kann man alles schreiben, wenn die Geschichte trägt. Was mich stört, sind Proklamationen, bei denen ich das hochrot ringende Getexte einer Autorin oder eines Autors mir betrachten muß, der bastelt und doch nur Schieflage bringt oder sich in krankenschwesternhafter Bedeutungshuberei ergeht: hier ein Wickelchen, da ein Pflasterchen. Und am Ende bleibt es bei hilflosem oder was noch schlimmer ist, bei halbgaren Versuchen und Prosapostulat. Andererseits sind Blogs, Literaturblogs eben auch Einsichten in die Werkstatt. Insofern ist diese Art des Schreibens natürlich legitim. Nur halte ich es für Verschwendung meiner Zeit, Halbfertiges, Halb- oder Garnichtgutes lesen zu müssen. Aber das ist Ansichtssache.

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