22. Juni 1941: Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Ich bin kein großer Freund von Frank Walter Steinmeier, aber die Rede, die er zum Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion hielt, war stark und gut und wichtig. Um so schandbarer, daß der widerliche Bundestagspräsident Schwarzkonten-Schäuble eine Gedenksitzung des Bundestages zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion verweigerte. (Und die Tagesschau-Homepage des gebührenfinanzierten Fernsehens hat nichts Besseres zu tun als die Regenbogenflagge ganz oben auf ihre Seite zu setzen, um über die Causa München zu berichten.) Steinmeyers Rede macht nichts ungeschehen, aber sie bringt den Schrecken ins Gedächtnis. Dafür ist ihm zu danken.

„Was nun folgte, was am 22. Juni 1941 begann, war die Entfesselung von Hass und Gewalt, die Radikalisierung eines Krieges hin zum Wahn totaler Vernichtung. Vom ersten Tage an war der deutsche Feldzug getrieben von Hass: von Antisemitismus und Antibolschewismus, von Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker der Sowjetunion.

Die diesen Krieg führten, töteten auf jede erdenkliche Weise, mit einer nie dagewesenen Brutalität und Grausamkeit. Die ihn zu verantworten hatten, die sich in ihrem nationalistischen Wahn gar noch auf deutsche Kultur und Zivilisation beriefen, auf Goethe und Schiller, Bach und Beethoven, sie schändeten alle Zivilisation, alle Grundsätze der Humanität und des Rechts. Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei.

So schwer es uns fallen mag: Daran müssen wir erinnern! Und wann, wenn nicht an solchen Jahrestagen? Die Erinnerung an dieses Inferno, an absolute Feindschaft und die Entmenschlichung des Anderen – diese Erinnerung bleibt uns Deutschen eine Verpflichtung, und der Welt ein Mahnmal.

Hunderttausende sowjetische Soldaten sind schon in den ersten Monaten des Krieges, im Sommer 1941, gefallen, verhungert, erschossen worden.

Unmittelbar mit dem Vormarsch der deutschen Truppen begann auch die Ermordung jüdischer Männer, Frauen und Kinder durch Erschießungskommandos des SD, der SS und ihrer Hilfstruppen.

Hundertausende Zivilisten in der Ukraine, in Belarus, in den baltischen Staaten und in Russland wurden Opfer von Bombenangriffen, wurden als Partisanen unerbittlich gejagt und ermordet. Städte wurden zerstört, Dörfer niedergebrannt. Auf alten Fotografien ragen nur noch verkohlte steinerne Kamine aus einer verwüsteten Landschaft.

Es werden am Ende 27 Millionen Tote sein, die die Völker der Sowjetunion zu beklagen hatten. 27 Millionen Menschen hat das nationalsozialistische Deutschland getötet, ermordet, erschlagen, verhungern lassen, durch Zwangsarbeit zu Tode gebracht. 14 Millionen von ihnen waren Zivilisten.

Niemand hatte in diesem Krieg mehr Opfer zu beklagen als die Völker der damaligen Sowjetunion. Und doch sind diese Millionen nicht so tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, wie ihr Leid, und unsere Verantwortung, es fordern.

Dieser Krieg war ein Verbrechen – ein monströser, verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungskrieg. Wer heute an seine Schauplätze geht, wer Menschen begegnet ist, die von diesem Krieg heimgesucht wurden, der wird an den 22. Juni 1941 erinnert – auch ohne Gedenktag und Mahnmal.

Spuren dieses Krieges finden sich in alten Menschen, die ihn als Kinder erlebten, und in den jüngeren, in ihren Enkeln und Urenkeln. Man findet sie von der Weißmeerküste im Norden bis zur Krim im Süden, von den Ostsee-Dünen im Westen bis Wolgograd im Osten. Es sind Zeichen des Krieges, Zeichen der Zerstörung, Zeichen des Verlustes.

Zurück blieben Massengräber – „Brudergräber“, wie man auf Belarusisch, Ukrainisch und Russisch sagt.

[…]

Nichts, was damals weit im Osten geschah, geschah zufällig. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, des SD, der Waffen-SS und ihrer Helfer bahnten sich nicht planlos und brandschatzend ihren Weg. Sie folgten dem Vernichtungswahn und den mörderischen Plänen, die im Reichssicherheitshauptamt und in den zuständigen Reichsministerien erarbeitet worden sind. Und sie folgten der Wehrmacht, deutschen Soldaten, die zuvor schon die Bevölkerung beraubt, drangsaliert oder als vermeintliche Partisanen getötet hatte. Der verbrecherische Angriffskrieg trug die Uniform der Wehrmacht. An seinen Grausamkeiten hatten auch Soldaten der Wehrmacht teil. Lange, zu lange haben wir Deutsche gebraucht, uns diese Tatsache einzugestehen.

Die Pläne, denen die deutschen Soldaten folgten, hießen „Generalplan Ost“, „Hunger- oder Backe-Plan“, und erhoben Unmenschlichkeit zum Prinzip. Es waren Pläne, die das Ausbeuten und Aushungern von Menschen, ihre Vertreibung, Versklavung und schließlich ihre Vernichtung zum Ziel hatten.“

[Die komplette Rede von Steinmeier, gehalten in Karlshorst, ist an dieser Stelle nachzulesen.]

3 Gedanken zu „22. Juni 1941: Wer Wind sät, wird Sturm ernten

  1. Gut, dass Sie an die Schrecken dieses Krieges erinnern – und auch daran, dass dieser Krieg mit dem 22. Juni 1941 nochmal in eine schrecklichere, monströsere Phase eintrat; gut auch, dass Sie mit Steinmeier noch einmal daran erinnern, wer die Hauptverantwortung für diese Schrecken trug, wer die Verbrechen plante und durchführen ließ … ja, gut, dass Steinmeier diese Rede gehalten hat, aber schlecht, sehr schlecht, dass er sie in Karlshorst, in dem ollen Russenmuseum, halten musste – und nicht im Bundestag, wo diese Rede hingehört hätte. (Denn auch dort sitzen heute wieder die Kriegshetzer, nicht nur drüben bei Putin).
    Aber warum verlinken Sie unter Ihrem schönen Text dann so ein Militaristenlied?! Wäre – um nur ein Beispiel zu nennen – ein Hinweis auf Swetlana Alexijewitschs „Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg“ nicht angemessener gewesen?

  2. Ja, diese Rede hätte unbedingt in den Bundestag gehört.

    Ich brachte dieses Lied, weil es an die Rote Armee erinnert. Nur mittels Militär und Waffen und mittels der Roten Armee war es möglich, die Deutschen zu besiegen. Und es war eben auch diese Armee, die heftige Verluste erlitt, deren Gefangene nicht nach der Genfer Konvention behandelt wurden, bis hin zum sogenannten Kommissarbefehl.

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