Zum Tod Jeanne Moreaus

Die damalige Freundin pflegte, wenn ich den Rekorder anschmiß und eine dieser DVDs mit französischen Filmen da in die Öffnung hineinschob zu sagen: „Du und Deine alten Schwarzweiß-Filme!“ Als wir „Sie küßten und sie schlugen ihn“ schauten, verstand sie mich. Erst recht nach „Jules und Jim“. Wenn Jeanne Moreau in nur einem einzigen Film gespielt hätte, nämlich in diesem, wäre sie bereits mühelos in den Olymp der Akteure aufgestiegen – jener Ort, wo paradiesisches Cinema ohne Unterlaß gegeben wird und alle guten Filme dieser Welt vorhanden. Aber das stimmt so natürlich nicht, denn Jeanne Moreau spielte in vielen Filmen ihre großen Rollen: Vollendet in Antonionis „La Notte“, ebenso in Orson Wells „Der Prozeß“: Allein ihr Gesicht in der Totale reicht aus, um diese Mimik niemals mehr zu vergessen. Ihren strengen Blick, ihren herausfordernden Blick, doch ebensowenig der Schalk, der sich in ihrem Gesicht immer auch spiegelte, ich denke nur an Louis Malles Revolutionskomödie „Viva Maria!“ Vielseitig eben, nicht bloß auf den dramatischen Blick reduzierbar. Eines der legendären Gesichter der „Nouvelle Vague“. Doch das sind Etiketten. Was überzeugte, waren ihre Gesten, ihre Mimik, konkret im jeweiligen Kontext des Spiels. Dieser Zug um den Mund herum, das Leuchten der Augen, es schimmert in seiner Art wie aus einer anderen Epoche herüber, etwa wenn Catharine, Jules und Jim in Paris über jene Stahlbrücke um die Wette laufen – sie in Männeraufmachung mit der Schiebermütze, unschwer als Verkleidung auszumachen, die Männer in ihren Hüten. Eine solche Welt, die inzwischen unterging. Ach, diese schönen alten Zeiten, an denen man bemerken muß, daß auch deren Betrachter langsam zu einem Fossil gerät. Filme, die in ruhigem Fluß, aber doch in ganz neuen Bildern – damals – eine Geschichte erzählten.

Ich kann gar nicht einmal sagen wieso: aber „Jules und Jim“ war mir einer ihrer liebsten Filme. Was sicherlich damit zu schaffen hat, daß ich ihn in jungen Jahren sah – in einer Zeit also, die prägt und wo sich die Eindrücke von Kunst um so tiefer ins Gemüt wie in den Geist senken. Ebenso hat es damit zu tun hat, daß dieser Film ganz unterschiedliche Ebenen in eins bringt und in einer Weise verbindet und kombiniert, daß eine große Kunst dabei entsteht: Das Sentimentale, ja bis hin zum Kitsch reicht es in diesem Film, aber ohne dabei in den schlechten Kitsch abzugleiten, eine Geschichte von Liebe und Freundschaft – und das in einer fatalen und doch spielerisch leichten Konstellation zu dritt. Ein entsetzlicher Krieg, der das Lebensgefüge der Menschen zerreißt, während die Generäle, Feldherren, Kaiser und Politiker ihren Champagner dazu schlürfen. (Freilich, diese Szene kommt im Film nicht vor, aber man kann sie sich in einer Bosheitsaufwallung dazudenken, denn genau das evoziert dieser Film ja ebenfalls. Und in diesem Sinne ist „Jules und Jim“ zugleich einer dieser grandiosen Antikriegsfilme, weil er zeigt, indem er es nicht ausspricht.)

Und dann sehen wir eine Trennung, die Liebe eines Deutschen zu Frankreich. Die Ansprüche von Besitz gegen das anfängliche Spiel der Freiheit, das den Reiz der Jugend ausmacht. Vielfach sind das Archetypen, die dieser Film visualisiert. Insbesondere jener Aspekt der Freundschaft, als eine Art von erotischer Utopie, die Menagerie à trois, in ihrer Leichtigkeit, Anfangs als ein unbeschwertes Spiel des Lebens und Liebens. Utopie von Erkenntnis, Utopie von Dasein – doch ahnt man bereits das Fragile, das in diesen feingeistigen Übungen des jungen Lebens liegt. Als könne es ewig so sein, als könnte junge Künstler auf ewig jung und unbeschwert verweilen. Doch das gleitet fort und das Leben fordert einen Preis, nichts bleibt, wie es ist, und der Fluß nimmt alles und alle Dinge mit in seiner Bewegung. Ich habe selten schönere und tiefere Bilder von der Liebe und vom Verlust im Kino gesehen.

Es ist „Jules und Jim“ einer dieser Filme, die man einmal nur auf einer großen Kinoleinwand gesehen haben muß. In einem echten Kino, nicht auf dem Bildschirm des Fernsehers. Wenn Jeanne Moreaus und Oscar Werners Gesicht in die Nahaufnahme rücken, wenn sie einander berühren, so bedarf es, um das genau zu erfassen und auf sich wirken zu lassen, einerseits des Abstands im Raum, im Dunkeln sitzend, tief im roten Kinosessel gebannt, und zugleich nötig ist dazu eine Größe des Bildes in der Ferne. In diesem Sinne ist Kino eine erhabene Kunst. Jeanne Moreau gab diesen Bildern mit ihrem Spiel eine adäquate Gestalt.

Heute lege ich die DVD mit „Jules und Jim“ in den Rekorder. Verneige mich vor einer der größten und ausdrucksstärksten Schauspielerinnen. Adieu, liebe Jeanne Moreau!

2 Gedanken zu „Zum Tod Jeanne Moreaus

  1. „Der Prozess“ (OmU) von Orson Wells kann derzeit auch in der Kafka-Ausstellung mehrmals täglich angeschaut werden. lg_jochen

  2. Ah, danke für den Tip, lieber Jochen. Die Ausstellung habe ich schon auf meinem Radar, allein schon, weil ich mich gerade für einen kleinen Vortrag über Kafkas „Prozeß“ im September in Weimar vorbereite.

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