It’s the language, stupid! – Monika Rincks „Risiko und Idiotie“

Dichter sind seltsame Gesellen. Sie wollen partout gelesen werden. Sie nehmen dafür vieles in Kauf, selbst Unbill und jahrelanges Hausen auf prekärem Niveau. Vielleicht sogar politische Verfolgung, obwohl sich solche Posen im sicheren Westen leicht einnehmen lassen:

„Das Risiko besteht nicht in Verfolgung, sondern darin, ungelesen und mißverstanden zu bleiben und darüber bitter zu werden, oder sprachlich zu vereinsamen, in einer längst nicht mehr ansprechbaren Welt.“

Ein zentraler Satz. Das wohl ärgste, was dem Dichter wiederfahren kann. Dichter brauchen Öffentlichkeit, sie gieren nach Lesern. Verstummen heißt Ende, weil Texte zu Monologen für eine düstere Schublade werden. Das ist der Tod. Auf diese Weise wieder zum Idioten werden. Ein Idiot ist etymologisch genommen, so Rinck, eine Privatperson. Das Idion des Autors: eigentümlich und speziell. Das Proprium, das was den Dichter auf dem Markt und in der literarischen Kommunikation auszeichnet, die je eigene Sprache, verwandelt sich in der Einsamkeit oder in der Verbannung ins Extrem: Solipsismus, doch ohne Publikum. Ovids Metamorphosen. Solche Privatiers existieren in unterschiedlichen Metiers. Auch in der Kunst. Und für jeden Künstler besteht prinzipiell das Risiko zu scheitern – sei es monetär, sei es als Stimme – und mit den Texten ungehört zu verhallen, weil kein Resonanzraum offensteht, wie Monika Rinck sogleich im Auftakt ihrer Essaysammlung anmerkt. Trotz der Freiheit des Wortes, die uns die Gesetze garantieren, als Künstler alles sagen zu dürfen, trotz Kunstfreiheit also schwebt über dem Dichter diese Tendenz zum Verstummen und seine mögliche Irrelevanz.

Das erste Buch, das zweite und beim dritten schon klemmt es. Oder es entstehen Wahnsinnsgedichte: Pallaksch, pallaksch oder die Jahreszeiten, im Wechsel, unermüdlich neu bedichtet. Oder gar nichts mehr. Solche Schublade des Schweigens gibt es auch heute, oft vom Markt diktiert. Lyrik verkauft sich schlecht, darunter hat der Kookbook Verlag zu leiden.

Nun kann man sich als Nicht-Dichter für die heutige Zeit fragen, weshalb einen das Dichter-Jammern und das Begehren nach Relevanz interessieren sollten. Und diese Frage ist mehr als berechtigt. Beim Kauf von guten Bäckerbrötchen will unsereiner nichts über die Schwierigkeiten des Backens und die Härte des Bäckerlebens hören will, sondern wir kaufen knusprige Brötchen. Aber Monika Rinck geht es in diesen Texten weniger um solch Monetäres oder um den Klageton, sondern um etwas Prinzipielles: sich dem Scheitern und der Sprache auszusetzen. Scheitern an einer Sache und es dennoch zu versuchen, als Dichter nicht aufzustecken. Auch auf die Gefahr hin, nicht verstanden zu werden oder im Fortdriften gar für irre gehalten zu werden. Oder daß bei manchem die Zeit noch lange nicht gekommen ist. Ich dachte bei diesen Passagen insbesondere an Alban Nikolai Herbst, der vom Literaturbetrieb schmählich und ganz und gar unangemessen unter den Tisch gekehrt wird. Diese Dinge hängen genauso mit der Produktion von Relevanz zusammen, die der Kulturbetrieb geflissentlich betreibt: die einen sind wohlgelitten, andere nicht. Auch eine Frage der Netzwerke, aber eben nicht nur.

Schweigen, verstummen, nicht gelesen zu werden: Des Dichters Risiko. Circulus vitiosus. Also lautet der Titel: „Risiko und Idiotie“. Rinck schreibt einen flotten Stil. Das bewegt, das klingt, das regt an: dieses gleiten, springen, stolpern vom Stöckchen aufs Hölzchen. Ihr ist sprachlich und von den Ideen her ein mäandernder Essay gelungen. Anregend für die Gedanken des Lesers, denn eine Vielzahl an Bezügen entfaltet Rinck, zitiert viel, und man bekommt auch auf die Sekundärliteratur Lust.

Sujet dieses Buches ist die dichterische Sprache, deren Zeitgenossenschaft und ebenso, frei nach Adorno, die Materialbeherrschung. It’s the language, stupid! Aus der stillen Poetenkammer heraus tönt und klingt es, oft lautmalerisch, und in die schalldichte Poetenkammer wieder hinein. Wer weiß schon, wer das liest. Eine hermeneutische und hermetische Situation. Aber auch eine Paradoxiefalle. Die „Privatsprache des Dichters“ will sich und darf sich nicht in bloße Mitteilung fügen und möchte dennoch öffentlich im Gespräch sich entfalten. Wie und auf welche Weise mache ich mich also verständlich? Oder in die andere Richtung gedacht, hin zur spezifischen Sprache des Dichters, aufs Idiom bezogen: Wie unterlasse ich es, verständlich zu sein, um mich dem Diktat der Kommunikation zu entziehen, mich der Kommunizierbarkeit nicht zu beugen? Das ist relevant, wenn wir etwa an einen Dichter wie Jean Paul denken, auf dessen „Ideengewimmel“ Rinck sich kapriziert, aber genauso im Falle Paulus Böhmer. Das Ideal wäre die Agora, der spezielle Bezirk, wo Unterschiedliche sich auf Ähnliches beziehen: ideal einer Gemeinschaft. Doch die gibtʼs qua Strukturwandel der Öffentlichkeit nicht mehr. Ein Gedicht will gelten, tut es aber selten. Das Grunddilemma des Lyrikers: „Einsamer nie …“, dichtete Gottfried Benn.

Rinck zitiert den Dichter Steffen Popp aus einer Dankrede zum Peter-Huchel-Preis:

„Poetisches Denken ist auch in dieser Hinsicht vor allem ein Widerstand, den man dem gewohnten Denken, seinen Logiken und rhetorischen Mustern gegenüber aufbringen muß, wenn sich etwas einstellen soll, man im Text eine Erfahrung vermitteln will, die diesen Namen verdient.“

Um diese Aporie der Darstellung kreisen in unterschiedlichen Tonlagen die Texte von Monika Rinck, die dieser Essay-Band versammelt. Manches wurde seinerzeit als Vortrag gehalten, anderes ist frisch publiziert. „Risiko und Idiotie“ liefert, wenn man die unterschiedlichen Arten von Text auf einen Begriff bringen mag, eine Poetikvorlesung ohne Hörsaal: Wie zu dichten sei, wie die Wirkung des Wortes bemessen? Das reicht vom „Prinzip Diva“, das vom Idioten, als „Ablehnung falscher Kooperationsangebote“ bezeichnet und als eine „lustvolle Form des Entzugs“ gehandelt wird, bis hin zum Komischen und seiner Beziehung zum Unbewußten. Pathos (der Tiefe) und Bathos (der Oberfläche) liegen klanglich dicht beieinander und zeichnen dennoch den Unterschied um‘s ganze. Dichtung ist beides. Nicht nur der hohe Ton, sondern ebenso der kleine, gemeine Witz, als Aperçu aufblitzend, so Rinck. Diese Vermittlung von Höhe und Tiefe macht die Essays von Rinck spannend: daß sie sich nicht in eine Richtung schlägt, sondern diesen Gegensatz, sagen wir mal von Rilke und Gernhardt, einfach auszuhalten und beides denken und auch dichten zu können. Zumal ja im Gernhardtschen Scherz oft ein tiefer Ernst liegt. Und bei Rilke … Aber lassen wir das.

Aber wie vereint man es im Gedicht? Rinck geht performativ vor, sie zeigt, worüber sie schreibt und läßt also im Vollzug ihres Essays uns sehen, was sie mit dieser Vermittlung und der gleichzeitigen Differenz der Gegensätze meint. Diese Figuren von Dichtung und des Sprechens über Lyrik entfaltet Rinck diskontinuierlich und in einer eruptiven Schreibweise; den phantastisch schweifenden Jean Paul zitierend und sich auf den Shandyismus des Laurence Sterne beziehend. Rinck mischt, mixt, assoziiert – das ist Popton und Theoriediskurs in einem. Sie bricht die Regeln der bloß diskursiven Essayistik. Das liest sich manchmal anstrengend, aber wer sich als Leser auf diesen Weg einläßt, wird mit Einfällen belohnt. In diesem Sinne wird Rinck der Funktion des Essays gerecht: Sich für eine Sache im Denken und Schreiben zu öffnen, sich auszusetzen, auch auf die Gefahr hin zu scheitern und Schiffbruch zu nehmen.

„Stellen Sie sich vor, Sie würden alles sofort verstehen. Es gäbe keinen Widerstand, weder innerlich noch äußerlich. Müssten Sie sich dann nicht darauf versteifen, dass die Welt exakt Ihrem Erkenntnisvermögen entspreche, (…) und damit die Möglichkeit von Überraschung und Erstaunen verabschieden?“

Wörter um eine Sache gruppieren, so daß diese qua Konstellation von Begriffen sich freisetzt. Obwohl Rinck mit der einfachen Form von Kommunikation als bloßer Mitteilung bricht, besteht sie auf dem kommunikativen Aspekt von Dichtung. Exemplarisch zeigt sie dies in ihrer Kritik an dem Germanisten Hans Schlaffer. Ihm sind Gedichte „einseitige Sprechhandlungen“. Rinck widerspricht dieser Haltung energisch. Mag die Kommunikation des Gedichts verschachtelt und manches Mal dunkel wirken, so wirft sich das Gedicht dennoch jedesmal auf ein ansprechbares Gegenüber. Unmittelbare Verständlichkeit jedoch kann nicht Prinzip von Dichtung und auch nicht das von Kunst sein. Insofern möchte Rinck auf einen erweiterten Begriff (lyrischer) Kommunikation stoßen. Das setzt eine Hermeneutik voraus und zugleich zeigt es, wenn wir deuten und uns verständigen, die Grenzen dieser Hermeneutik.

„Kommt jetzt der Götterbote Herpes?“, fragt Monika Rinck an verschiedenen Stellen ihres Essays immer wieder. Ein fein geflügeltes Wort, ein running Gag, der sich durch das Buch zieht – die Flügel passend zum Gegenstand. Auch Nike assoziierend, Nike (aber im Mehrsinn naɪki gesprochen, nicht Nike nur), die Siegesgöttin mit Laufschuhen.

Es nennen sich die Essays im Untertitel „Streitschrift“, und das sind sie einerseits auch: Polemos nämlich, der durch die Welt ragende Streit, Kampf der Gegensätze – auch um die Dichtung, mag mancher auch deren Relevanz bestreiten. Und Herpes – zwischen Geschlechts- oder Lippenkrankheit und dem göttlichen Hermes lauttauschend gleitend. Trennscharf sind bei Rinck die Dimensionen nie zu haben, sie fährt keine Dichotomien auf, zwischen Komik und Ernst, Pathos und Bathos, Paulus Böhmer und Robert Gernhardt, und Kommunikation bedeutet immer auch, daß wir uns verhört und versprochen haben könnten. Auch dieses Mißverstehen gehört zu ihren Zügen, sofern wir an Celans Büchnerpreis-Rede denken, wenn er von den Hasenöhrchen spricht, die über einen Text hinauslauschen und wenn das Kommende und das Kommode verwechselt werden. Rinck setzt diese Tradition Celanscher Poetik fort.

Rinck probiert, sie zitiert, sie scheitert, denn schreiben und dichten können mißlingen. Abbruch ist die kleine Schwester von Anspruch: „Vielleicht liegt gerade in dem Risiko, unverständlich zu sein, eine ganz eigene idiotische Form der Rettung – die ihre eigenen, anderen Möglichkeiten der besseren Adressierung findet.“ Denn: „Wer sich schlau ein Schlupfloch graben will, gräbt sich nur ein frühes Grab.“

Aphoristisches wechselt bei Rinck mit Zitaten, Ideen und Assoziationen, mit Witzen und Texttheorie. Rinck oszilliert zwischen Theorie und der Praxis. Proklamieren läßt sich in Essays zur Lage der Lyrik manches, am Ende aber will es eingelöst werden. Rinck ist selber Lyrikerin und verfasste diverse Gedichtbände mit Titeln wie „Verzückte Distanzen“ oder „Honigprotokolle“. Wie dichten? Was geht? Was nicht? Wohin des Weges? Die alte Frage der Kunst, aus der Produktion heraus gestellt: Wie dichterisch wirken? Autonomie oder Souveränität, ohne als ästhetischer Souverän diktatorisch oder apodiktisch über den Ausnahmezustand der Dichtung entscheiden zu müssen. Und in der Angst, vor lauter Denken über Dichtung im Elfenbeinturm der Theorien die Praxis restlos zu verpennen.

Aber gut ist es, sich zunächst bedeckt zu halten und sich nicht in die Entscheidung zu zwingen. Hier finden wir das Motiv dafür, weshalb Rincks Essay sich nicht dem argumentativen, diskursiven Zwang beugen möchte, sondern mäandert, gleitet, spielt, streitet. Denn über die Sache der Dichtung nachzudenken, ist ja, folgt man ihren Texten, ebenso eine Art von Praxis. Dazu bedarf es vieler Formen und mehr als nur der Verständlichkeit. Rinck exerziert das Variable in verschiedenen Textübungen vor und zeigt, wie eine Theorie der Dichtung als Praxis funktioniert und wirkt. Dichtung und das Denken übers Dichten sind immer auch eine Form von Gespräch – das machen Rincks Essays deutlich.

Rinck schreibt, von Einfällen und Launen getragen, Capprichios und kapriziös, sie schlägt Kapriolen und Haken und manchmal dem Leser eine lange Nase. Ichlastig, ichlästernd. Hinter allem Schabernack aber, der Rinck umtreibt, liegt Ernst – Pathos nämlich. Die Frage nach der Wirkung von Dichtung. Wer spricht und in welcher Form? Die Diva, als die sich Rinck bezeichnet, der Idiot, das Risiko, das sich dem Scheitern öffnet? Was und wer ist das: dieser Idiot? Fürst Myschkins seltsame Blicke. Die Unschuld des Dichters eher nicht. Rinck komponierte ein gelungenes Buch, von dem man sich durchs „Ideengewimmel“ tragen und treiben lassen kann. So und nicht anders funktioniert ein Assoziieren, das uns auf Lesereise mitnimmt. Man muß nicht alles von dem, was Rinck schreibt und was sie will, verstehen, aber der Leser sollte sich überraschen lassen und offen sein.

Für diese Texte paßt gut der Begriff des Webens und Flechtens, wenn man das Wort von seiner lateinischen Bedeutung nimmt. Rinck spinnt. Aber nur im Versponnenen öffnen sich neue Perspektiven. Wer sich davon nicht abschrecken läßt, daß ihre Essays weit abschweifen, findet sowohl in den einzelnen Kapiteln wie auch in der vielfältig zitierten Literatur Brauchbares vor, mit dem sich in Sachen Lyrik und Literatur weiterdenken läßt.

Als Kritik an diesem ansonsten hervorragenden und beim Lesen inspirierenden Buch sei angemerkt, daß Rinck an manchen Stellen mehr für ihre Dichterkollegen zu schreiben scheint und weniger für den gewöhnlichen Lyrik-Leser – aber das läßt sich dann eben, im Rahmen des Textes, mit dem Prinzip Diva erklären. Ansonsten aber spielt diese Essays zwischen den Schauplätzen von Hermeneutik als Präsenz von Sinn und jenem leider oft aufs Schlagwort reduzierten Poststrukturalismus als Überborden des Rests, als Entzug sowie einer ungezielten Triebbewegung. Mit Rincks letztem Kapitel gedacht: „Encore! Encore! Encore! Encore!“ (in Versalien!), und da lesen wir Lacans Eifer heraus und im Namen seines Seminars, das ebenfalls das „Encore“ im Titel trägt und in dem das Begehren als Mangel überwunden ist. Viel Raum für Assoziationen. Man kann dieses Encore auch als eine Zugabe begreifen. Da capo, noch ein Buch. Sie selbst fordert, am Schluß der Lektüre, wie es nach einer guten Performance, nach einer herrlichen Theaterpremiere üblich ist: „Champagner! Champagner für alle!“ Nun kommt er also – der Götterbote Herpes. Wir trinken aus der Flasche! Kommunikation und Lyrik sind ansteckend. Sie sind Kommunion.

Monika Rinck: Risiko und Idiotie. Streitschriften, kookbooks Verlag 2015, 272 Seiten, Broschur mit Umschlag-Poster, gestaltet von Andreas Töpfer, 19,90 Euro, ISBN 9783937445687

91 Gedanken zu „It’s the language, stupid! – Monika Rincks „Risiko und Idiotie“

  1. Es dichten mehr als lesen – und es lesen viel weniger als whatsappen und youtuben und instagrammen und fcebooken. It’s not the laguage, stupid – it’s rather – – – – – : – – – – The Medium, which seems to face a major shift from writing to – – – – basically – – – onlining, – – – I’d put it this way.
    Therefor, poetry books are a dying or severly declining breed. cf Enzensberger „Meldungen vom Lyrischen Betrieb -Drei Metaphrasen“ in dem unsterblichen Essay-Band Zickzack. Und guckt auch, was dessen Freund Michael Krüger über seine Reihe Akzente geschrieben hat – und – – – und – – –
    PS
    1 grammaticher (Kohl) Holperer in der language stupid Passage harrt der Zuwendung.

  2. Daß mehr dichten und weniger lese, ist leider ein Grundproblem. Jeder heute irgendwie ein Artist, ein Dichter, und sei es für 15 Minuten: Die verbleibenden Zuschauer unter der Zirkuskuppel: Ratlos.

    Der fehler ist korrigiert, einen zweiten fand ich auch noch. (Vermutlich sogar noch mehr, obwohl ich meine Texte eigentlich immer auf Fehler überprüfe: aber wer sieht beim Eigenen schon alles?)

  3. Ich seh‘ – buchstäblich – oft keine Fehler. Steve Sailer, in dessen Kommentariat sich eine ziemliche Asperger-Versammlung tummelt, die nicht wenige Kräfte versammelt, deren Anklangsnerven auf dieser Frequenz höchst reaktiv sind, hat mich darauf gebracht: Wenn man mit einiger Routine liest, liest man oft nur Bruchstücke der Wörter – und von da an denke ich noch weiter: Je mehr man im Text mitfliegt, desto weniger ist man beim nochmaligen Durchlesen geneigt, die fürs Verständnis unnötigen Zeichen (=vermutlich sehr viele – vielleicht mehr als die Hälfte) mitzulesen – dei übersieht man (=ich, z. B.) alle, und hat damit einen erheblichen blind spot, wo sich die Buchstaben tummeln können, wie es ihnen beliebt…

    Ich hab‘ heut Mittag im Sonnenschein und im Schatten unterwegs auf dem Rad nochmal Enzensbergers Aufsätze kontempliert und bin bei der Formulierung Überproduktionskrise hängengeblieben…die natürlich zart ironisch gemeint ist.

    Seine eigentliche Pointe in Sachen Lyrik geht übrigens so: Da das lyrische Genre ökonomisch vollkommen belanglos ist, stellt es in einer überwiegend ökonomisch organisierten Welt einen sozusagen strukturell gegen die Versuchungen dieser Welt immunisierten Bereich dar. Etwa per se Anderes, sozusagen, und etwas, das schon allein deswegen, so Enzensberger weiter, sicher unsterblich ist – „unn des iss“, um wieder mit dem Daatterich zu schließen, „gewisslich aa ned schleschd.“

  4. In dieser Sache würde ich zwischen dem inhaltlichen Lesen und dem Korrekturlesen unterscheiden. Und in der Tat überfliegt unser Auge, wenn wir inhaltlich lesen. Rechtschreibfehler lassen sich zum Glück – weitgehend – durch die Auutokorrekturprogramme vermeiden.

    Ansonsten: Ja der gute Enzensberger, er trifft es wie so oft. Ich halte in Sachen Lyrik ebensowenig von diesen Untergangsgesängen, die aus dem Tagesgeschäft resultieren. Wissen kann man freilich nie, und nix Genaues weiß man nicht. Wenn man sich die Poetry Slam-Bewegung ansieht öffnen sich da seit Jahrzehnten neue Türen und ich denke auch, daß Lyrik bleibt. Notfalls eben in der Schublade.

  5. Online ist sie doch auch da und in den Verlagenund Feuilletons wird sie behandelt. Und die ganzen Stiftungen und Preise. Das sind keine Quantitée négligeables (jetzt habich ich doch tatsächlich beim Hinschreiben von négligeables gezögert, weil im Hinterkopf mitlief, ob ich hier nicht in Richtung nègre glitte – – – uhh, die GEspenster sind auch nach Helloween alive ’n‘ kickin‘).

  6. Eine s e h r schöne, weil eben auch intensive Besprechung, Herr Bersarin, die mir große Lust auf Rincks Buch macht, auch dann, wenn sie über die Nennung ausgerechnet meines Namens gewiß nicht erfreut ist. Da sie wiederum zu denen gehört, die der Betrieb, >>>> anders als mich, sehr schätzt – was sich in allerlei Gaben ausdrückt, die ihr das Leben erleichtern (seit ihrer ersten Publikation fast jedes Jahr einen Preis, meist sogar mehrere jährlich, >>>> 2015 waren’s gar vier) -, kann sie, wie von Ihnen gerühmt, in essayistischer Leichtigkeit auch recht schwebend tanzen. Da ich selber grad fast schon in Not, möchte ich diesen Einwand immerhin aussprechen – es ist keiner gegen das Buch, wohl aber einer, der die Verhältnisse von der andern Seite kennt, und nun schon seit Jahren. Wenn die Altersarmut anklopft, werden einem die Füße schwer – unabhängig davon, daß es einem gelungen ist, sich immerhin in die Literaturwissenschaft bleibend eingeschrieben zu haben. Weder meinen Vermieter noch einen Bäcker, und beide ganz zurecht nicht, interessiert das. Wobei der Bäcker kein Problem ist; zu essen, bei Freunden, bekommt man doch immer, und auch zu trinken genug. Das Überleben hakt ganz woanders.

  7. @Dieter Kief: richtig, allerdings es wirft das Online eben kein Geld ab, so wie das Bloggen am Ende nicht das Feuilleton ersetzen wird. Die Dialektik von Professionalisierung und Geld eben.

  8. Lieber Herr Herbst, das Bekanntsein oder viel eher: das Gelittensein im Betrieb ist ein Aspekt, den ich in der Tat auch sehe und der eben auch monetär Konsequenzen hat. Umso schlimmer und ärgerlicher ist es, da auch ich denke, daß Sie ein außerordentliches und für die deutschsprachige Literatur wichtiges Werk geschaffen haben, wenn dies keinerlei finanzielle Anerkennung findet. Vielleicht kann man nicht unbedingt erwarten, vom Schreiben leben zu können. Aber ab einem bestimmten Level wäre es angebracht, wenn ein Preis auch einen selbst einmal träfe. Und das wirft dann schon auch ein Licht auf einen Betrieb, wo die einen drinnen und die anderen draußen sind. Und auch ein Licht auf die kapitalistisch organisierte Konkurrenzgesellschaft, von der auch der Bezirk der Kunst nicht verschont bleibt. Es gibt keinen richtigen Kapitalismus im falschen.

  9. „ab einem gewissen Level“ ist eigentlich nicht das Problem – auch wenn ich’s vor zwanzig Jahren anders gesehen hätte. „Ab einem gewissen Alter“ indes wird’s prekär, im ökonomischen Sinn. – Ihr letzter Satz ist ein grandioses Bonmot; kann sein, daß ich’s klaue, doch selbstverständlich mit Link, also auf Ihre Site. In der Tat entspricht die Ballung der Preise der marxschen Kapitalkonzentration. Oft habe ich mich gefragt, ob die geballt Gepriesenen und Geprieseninnen nicht eigentlich schamlos sind. Sie könnten doch die Preise nehmen, das Geld indessen weiterreichen und in ihren Dankesreden dies auch deutlich begründen – womit andere auf das Karrussel mitgehoben würden, die es ganz ebenso verdienen. Mir fallen auf Anhieb Poetinnen und Poeten ein, meist sehr junge, oft aber auch ältere. Wobei ich, ehrlicherweise, nicht sagen kann, ob ich selbst es täte, ergösse sich all die Wohlfahrt auf mich. Vielleicht macht sowas blind und fühllos. – Ich weiß es einfach nicht. Woher auch? Aber der Gedanke liegt auf der Haut.

    Wohlgemerkt, ich möchte alles dies nicht gegen das von Ihnen besprochene Buch einwenden. Sondern dieses hier läuft simultan mit (und zeigt nämlich, wie sehr Marx auch irren konnte, etwa in seiner rein ökonomisch erschlossenen Unter- und Überbau-These; hier steh ich entschieden auf Mühsams Seite).

  10. Die Sentenz können Sie ruhig stehlen, es ist ja eh nur eine Abwandlung eines Adorno-Zitates.

    Ich weiß wohl, daß sich diese Kritik nicht gegen das Buch richtet, sondern gegen einen Systemmangel im Kulturbetrieb. (Was ja im Grunde auch mit hinein in dieses Buch von Rinck gehört und was sie über das Verstummen des Dichters auch indirekt anspricht. Ob Preisgelder darin explizit genannt werden, weiß ich im Detail nicht mehr, weil die Lektüre des Buches schon eine Zeit zurückliegt und diese Kritik schon länger für ein anderes Projekt „auf Halde“ lag.)

    Ich denke allerdings, solcher Preisregen macht in der Regel blind. Und die meisten brauchen vermutlich das Geld auch, um nicht mit der lästigen Zeitungschreibarbeit oder mit anderen Jobs im Kulturbetrieb ihr Geld zu verdienen. Und wie es so ist, und das hängt dann auch wieder mit meinem kleinen Aphorismus zusammen:

    „Nach Golde drängt,/Am Golde hängt/ Doch alles. Ach wir Armen!“

    Danke auch für den Podcast-Link, ich werde ihn mir gleich einmal anhören.

  11. Ist nicht die Erwartung, vom Schreiben von Gedichten leben zu können, ziemlich naiv? Wenn ich recht sehe, haben die miesten bedeutenden Lyriker einen Brotberuf gehabt. Borges war Bibiothekar, Neruda Diplomat, sogar Goethe war Minister.

  12. @ El_Mocho und Bersarin und Alban Nikolai Herbst

    „Vielleicht kann man nicht unbedingt erwarten, vom Schreiben leben zu können.“

    Das scheint mir nicht ganz richtig. Man muss auf seine Bestände sehen, das nämlich. Und sich klug verhalten. Das auch. Altersarmut ist nicht schön, aber vorm Verhungern schützt einen das Amt, hierzulande – oder halt sein eigenes soziales Netz.

    Die Altersarmut trift übrigens durchaus auch unkluge Bäcker usw.

    Man könnte antizyklisch rezensieren, und hochbepreiste Literatur im Zweifelsfall hintanstellen.

    Es gab immer mal Kritiker, die das, z. T. mit sehr schönen Erfolgen!, geschafft haben. Hut ab! Der unvergleichliche Peter Härtling etwa. Sehr glückliches ausgegangenes Beispiel: Der in der Tat überragende Georg K. Glaser und sein monumentales „Deutschland von links unten“-Portrait über die erste Jahrhunderthälfte im Südwesten – der Roman „Geheimnis und Gewalt“ – ein Roman, den ich selber zu meinen Beständen rechne, übrigens, – Glaser hat im Traum nicht daran denken können, von seiner Schriftstellerei zu leben, dennoch ist nun sogar – – – ein renommierter – – -nämlich der Georg K. Glaser Preis des Landes Rheinland Pfalz nach Georg K. Glaser benannt. Der Kapitalismus ist demnach garnicht durchwegs falsch, Bersarin, wie es aussieht. denn was wäre Rheinland-Pfalz ohne den Kapitalismus – jedenfalls kaum in der Lage und noch weniger vermute ich willens, solche Preise auszuloben…

    Georg K. Glaser hat übrigens nicht nur ein haltbares literarisches Werk geschaffen, er hat auch sonst nützliche Dinge gemacht, in Paris, wo er nämlich sein Lebtag als Kunstschmid gearbeitet hat. Selbständig, übrigens. Ein imposanter Kerl! – Ich finde, solchen gilt es nachzueifern. – Von mir aus – am dialektischen Umschlagspunkt, ne – auch mit öffentlich finanzierten Preisen.

    Ermöglicht haben das Glaser-Wunder übrigens viele – sicher an erster Stelle Härtling, aber nicht zuletzt auch der nicht gerade üppig mit Preisen bedachte Heidelberger Romancier und Poet und – – – reale, geldbringende Arbeit durchaus auch (Stadtführungen, z. B.) erledigende – – -Michael Buselmeier.

  13. Von Gedichten mag sein, bei Romanen sieht die Angelegenheit anders aus. Die meisten Autorinnen und Autoren leben, wenn sie von Literatur leben, von Zeitungsartikeln, Rundfunkaufträgen, einige auch vom Film, etwa im Dokumentarbereich, sowie bisweilen als Lektoren und von der Lehre. Um indes entsprechende Aufträge zu bekommen,.ist ihre Anerkennung unerläßlich, die sich wiederum eben in Preisen, also dem Gepriesenwerden, ausdrückt oder darin, daß sie die Feuilletons prominent behandeln. Und hier liegt das Problem für nahezu alle, die sich dem Zeit“geist“ verweigern kurz: für jene, die sich nicht anpassen und schon gar nicht den Kotau vor vermeintlich – und im Betrieb de facto – Mächtigen machen. Dabei macht es die Situation nicht leichter, daß insgesamt im LIteraturbereich vergleichsweise wenig Kapital umläuft; die wenigen gut dotierten, ich sage mal, Stellen sind rar; sie werden von nur sehr wenigen besetzt, die dann allerdings gut ausgestattet sind.
    Unabhängig hiervon haben Sie recht. Als Brotberufe bedeutender Autorinnen und Autoren gibt es sogar ein Klumpung, nämlich von Ärzten und besonders Juristen. Letzres ist mir höchst einsichtig, weil es exaktes Formulieren erfordert. Für mich erkannte ich dies zu spät, sonst hätte ich, statt Philosophie, tatsächlich Jura studiert. Es war mir sogar angeboten worden, von Juristen, die es mir finanzieren wollten. Ich war jung, ich war heißblütig, ich wollte nichts als schreiben – und lehnte ab. Das war ein Fehler. Nun läßt er sich nicht mehr rückgängig machen. – Das Problem wird aber erst jenseits der 60 virulent. Da kann man nämlich sowohl geistig wie körperlich in Form sein, wie man nur will, man bekommt keine Anstellung mehr oder nur über „Beziehungen“, für die indes das oben Gesagte gilt. Wer sich dem Betrieb brav eingepaßt hat – und den grad gängigen politischen Ideologien -, wird belohnt. Die andren fallen runter selbst dann, wenn ihre Arbeit an Universitäten längst zum Lehrstoff wurde.
    Offen wird über dieses kaum gesprochen, weil man mit Recht befürchten muß, dann erst recht in, tja, Ungnade zu fallen – ein Wort, das die quasi-feudalen Umstände recht gut bezeichnet, in denen Dichterinnen und Dichter leben. Dies ist um so heikler, als die Bedeutungshoheiten nicht etwa eigene Gelder, sondern Steuergelder verteilen; sie selbst tragen weder ein Risiko, noch geht’s an ihre eigenen Taschen. Das wäre ganz etwas andres.

    (Als advocatus diaboli ließe sich der letztre Gedankengang übel fortsetzen. Wenn es nämlich Steuergelder sind, also die Bevölkerung die Preise und Auszeichnungen finanziert, weshalb gehen sie dann an Bücher, die sie, wie uns die Bestsellerlisten zeigen, gar nicht mag? Die verkauften Auflagen auch Monika Rincks werden über 1000 Exemplaren kaum liegen, eher sind es weniger, möglicherweise viel weniger. Das gilt auch für die grandiose Lyrik Katharina Schultens‚, Ulf Stolterfohts, Paulus Böhmers und anderer; als Ausnahme ist mir nur Daniela Danz bekannt, die es mit einem Buch auf über 5000 Exemplare brachte, zurecht. Aber selbst das ist eine, volkswirtschaftlich betrachtet, ausgesprochen unbedeutende Zahl.
    Wir können sagen, es habe seit Ende des Zweiten Weltkriegs der Staat die Aufgabe übernommen, die einst mäzenatische Auftraggeber erfüllten; in der Kunst haben sie, vor allem in den USA, nach wie vor Mäzene inne. Die Literaturförderung benimmt sich wie diese, aber eben ohne eigene –
    persönliche – finanzielle Leistung; dennoch fördert sie Ingroups, anstelle zu diversifizieren. Daher die Ballung der Preise auf bestimmt Namen. Es wird nicht grundlos von einem Preiskarrussel gesprochen: auf der kleinen Drehbühne kommen dieselben Pferdchen wieder und wieder, und Kutschchen, und manchmal ein Hubschrauberchen, damit’s nicht so auffällt.
    Wohlgemerkt, ich finde das Fördersystem wichtig, da es einen wahrenden Kulturauftrag erfüllt; ungut wird es, wenn er intentiös erfüllt und damit eben nicht erfüllt wird.)

    Nachtrag kurz zu Dieter Kief:
    Der von Ihnen – und vielen anderen mit Ihnen – so hoch gepriesene Härtling hat andererseits, wenn ihm jemand nicht paßte, mit bösesten Ellbogen, auch mit Fußtritten agiert, und zwar in einigen Machtpositionen, die er hatte, fein hinter den Kulissen. Ich habe einen Brief von ihm, da würden Sie kotzen. – Glaser allerdings, da geb ich Ihnen recht, ist ihm sehr hoch anzurechnen.

    Was Buselmeier angeht, bitte verstehn Sie mich nicht falsch. Der meine ist kein Einzel“fall“. Hätte es nicht die junge Dichterinnen- und Dichtergeneration gegeben und das Internet, wär gerade Paulus Böhmer heute vergessen – der das Internet übrigens haßt, ohne das ihn keiner mehr kennte. Auch er wurde vom Betrieb über Jahrzehnte ausgesondert – übrigens auch Jelinek, deren Erfolg sich allein auf die Frauenbewegunggruppen in den Universitäten gestützt hat; sehn Sie sich mal in den Feuilletons an, wie sie behandelt wurde. Das kam der Behandlung Heinrich von Kleists durch Goethe und seiner Entourage durchaus gleich; den großen Wieland nehme ich aus, selbstverständlich. Es wird auch Wielands heute geben.

  14. Danke, Dieter Kief und Alban Nikolai Herbst, für diese beiden (schönen bzw. instruktiven) Kommentar. Das sehe ich ganz ähnlich: Sich für den Betrieb andere Modelle zu überlegen, solche, die durchaus machbar sind, wenn nur einige wollen. Vom Schreiben leben zu können, bleibt aber heikel. Ich sehe es von zwei Seiten: Einerseits bewundere ich die Verve, mit der Alban Nikolai Herbst sich in dieses Getümmel warf, andererseits habe ich immer auch den vielleicht kleinbürgerlichen, aber nicht ganz falschen Rat an Ulla Hahn für junge Autoren im Kopf: Schreiben sie, aber machen sie das aus einem Brotberuf heraus, denn die meisten Romanautoren werden kaum vom Verkauf ihrer Bücher leben. Undich fürchte, daß das sich unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht ändern wird. Zumal es, wie Sie, Dieter Kief, ganz richtig schrieben, manchmal – gefühlt zumindest – mehr Dichter als Leser gibt. (Hier in Berlin zumindest.)
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    „Wer sich dem Betrieb brav eingepaßt hat – und den grad gängigen politischen Ideologien -, wird belohnt. Die andren fallen runter selbst dann, wenn ihre Arbeit an Universitäten längst zum Lehrstoff wurde.“

    Ein ganz erhebliches Problem, das ich genauso sehe. Sie schrieben oft darüber und ich habe dazu meist stumm genickt. Was ich dann an Ihnen schätze: Ihre Haltung. Für etwas zu stehen. Das ist etwas, das heute ganz entschieden fehlt, das nicht mehr selbstverständlich ist, besonders in einem linkskulturalisischen Mainstreamwind im sogenannten Kulturbetrieb.

  15. @ Bersarin bzgl. des Ratschlags von der Frau vom superschlauen Genossen Klaus (von Dohnani, that is)

    Der Brotberuf macht den Bürger zum König, sag‘ ich mal – und er macht selbst Blaublütler freier als sie es jemals waren – sagt Georg Friedrich Prinz von Preußen, Burgherr zu Hohenzollern, heute exklusiv in der FAZ!

  16. Sie müssen auch sehen, welche Berufe Schriftstellern je zur Auswahl stehen. Frau Hahn, lieber Herr Bersarin, besetzte jahrelang eine Machtstellung bei Radio Bremen, die sehr gut dotiert war und die sie auch weidlich genutzt hat. Zudem war sie seit Reich-Ranickis Rosengabe ein Hätschelkind des Betriebs (wobei ihr, für R.-R.s Wertungen typisch – ihre politische Kehre weg von der DKP ausgesprochen geholfen hat).
    Prinzipiell ist ihr Rat dennoch richtig. Nur ist’s ein heikler, wenn es Künstler gegen geringen Lohn etwa in die Büros sperrt, an die Kasse von Supermärkten usw. Dort holen sie sich wahrscheinlich, wie seinerzeit ich, Themen und bekommen schwere Bedrückungen mit, auch und gerade mancher Arbeitsverhältnisse und ihrer Ausweglosigkeit, es geht aber irgendwann auf die Distanz und den freien Atem, geht auf die Psyche und damit die künstlerische Kraft selbst des Ausdrucks. Ich halte solche Erfahrungen für poetisch enorm wichtig; man muß sich von ihnen aber auch lösen können – was schon dann nicht funktioniert, wenn das Einkommen immer grad knapp überm Lebensminimum liegt. Dann kann man auch gleich „nur“ Künstler und Künstlerin sein.

  17. Danke für das Feature, Uwe

    @Dieter Kief: Tja, der Brotberuf – schöner wär’s, wenn’s ohne ginge und freie Menschen unter freiem Himmel freie Arbeit tun. Aber solches Denken bleibt in einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft eine Utopie. Das muß auch gar nicht schlecht sein, weil im Sinne von strulturellen Anpassungsprozessen Utopien immer auch als ein Korrektiv gegenwärtiger Politik fungieren können, wenn man sich auf deren Dimensionen denn einließe. Faktizität, Geltung und kontrafaktisches Denken.

    @ Alban Nikolai Herbst: Das trifft es auf den Punkt, , auch was Sie zu Frau Hahn schreiben und insbesondere, daß man von der Arbeit muß leben können. Vor allem aber, daß dabei ebenso noch die Zeit bleibt, zu schreiben. Eigentlich geht das nur qua Arbeit als Computerspezialist: Halbtags und meist gutes Gehalt, wenn man zu den Cracks gehört, die fein programmieren. Anwälte verdienen, wenn sie renommiert sind, viel. Arbeiten aber auch zum Exzeß.

    Was die soziale Dimension betrifft und daß überhaupt diese öde Arbeitswelt einmal ein Sujet der Literatur wird und daß solche Erfahrungen wesentlich werden können, sehe ich ebenso. Die deutschsprachige Literatur ist ja nicht gerade reich gesegnet mit Texten zur Arbeitswelt. Andererseits möchte man eben auch keinen schlecht geschriebenen Bitterfelder Weg lesen, und die Geschichten aus der Produktion der 70er Jahre, die da im Sinne der neuen Subjektivität ans Licht kamen, waren wohl mehr als Reportagen zu lesen. Das zu verbinden, also diese Berichte aus dem Betrieb, wie Wallraff das schrieb, sehr lesenswert immer noch, und einer literarischen poetisierten Dimension: Das wäre schon was. Denn Literatur kann in der Welt der Realität alles werden und mache Realität scheint einem eher wie eine Fiktion. Insofern dank auch nochmal für die Verlinkung auf diesen sehr schönen Potcast.

  18. Georg Kleins „Miakro“ wäre hier vielleicht zu nennen, ich las es noch nicht, aber das scheint mir einen Punkt zu treffen, wie sich Erfahrungen literarisieren lassen ohne daß es wie eine Sozialreportage im schlechtrealistischen Sinne wirkt. (Der neue Balzac der deutschen Literatur wäre zu finden, der dieser Gesellschaft ihre Romane schreibt. Aber das sagt sich als Kritiker und ästhetischer Theoretiker leicht dahin, dann das ist nun kein Projekt, das man mal zwischen Mittagspause und Nachmittag bewältigt.)

  19. Ich bin, Herr Bersarin, sehr froh darüber, daß der im kommenden Frühjahr bei Septime erscheinende erste Band auch die Marlborostücke mit aufnmmt, die genau aus solch einer (Brot)Arbeitssituation heraus geschrieben wurden und sie in Monologen poetisch sozusagen dokumentieren. Der zweite Band, der diese Arbeitswelten verlassen hat, wird direkt im Herbst darauf erscheinen. Damit lägen dann quasi alle meine Erzählungen in einer Ausgabe vor, wenn auch in zwei Büchern.

  20. Die formidablen Schlosser Romane Gerhard Henschels enthalten sehr viel Arbeitswelt und auch sonstige Arbeit. Auch die Trilogei des laufenden Schwachsinns, auch Genazinos Bücher – nicht zuletzt das Verkäuferinnenbuch. Und die Gärten im März. Barbara Ehrenreichs Working poor ist ooch juut. Tom Wolfe – Ein ganzer Kerl -sehr viel Arbeitswelt. Auch Thomes erste zwei: Zuerst der Lehrer, dann der Junior Professor, oder sowas schickes. Beide schaffen redlich.

    Auch Härtling hat fürchterlich viel gearbeitet, übrigens. Ich glaube Ihnen, dass er Ihnen, AN Herbst, niedereschmetternde Briefe geschrieben hat (oder wenigstens einen) aber das ist doch etwas ganz anderes wie das, was ich über ihn geschrieben habe. Ich habe schließlich Härtling nicht zu einer Erlöserfigur hochgeschrieben, der stets freundlich und duldsam gewesen wäre, sondern nur gesagt, dass er manchmal gegen die imperative des Marktes gehandelt hat – oder noch besser: Neue Markttatsachen zu schaffen (!) vermochte, die Ihnen ja dann auch gefallen haben, „nedwahr“ (Babba Hesselbach).

    Und in Rainald Götzens letztem Roman ist Arbeitswelt, auch bei Klonowsykys sehr gutem „Land der Wunder“ – DDR Arbeitswelt, ein Bereich, zu dem Dissidenten ehe -privilegierten Zugang hatten, – und das ist nun die Rache der Geschichte dafür: Während die Bücher der Verbandsfunktionäre langsam aber sicher fast alle weggeworfen werden, legen die der Dissidenten zu. Auch Solschenizyn erlebt gerade eine Renaissance in der Anglosphäre, Jordan B. Peterson hat eine sinnvoll gekürzte Neuauflage von Archipel Gulag mit einem sehr guten Vorwort versehen.

    PS

    Harry doesn’t mind if he doesn’t make the scene/ He’s got a datime job, he’s doing allright!
    He can play the honky-tonk like anything/ He’s palying it up, on friday night!

    Dire Straits (=magere Zeiten….) The Sultans of Swing

    PPS

    Ich halt es für einen der großen Alltagsmythen unserer Kultur, dass unbedingt Kunst geschaffen werden müsse. Muss es nämlich nicht. Auch dazu hat Michael Rutschky und nicht zuletzt Erich Fromm Erhellendes gesagt.
    Wer es trotzdem tut, hat meinen Respekt. Aber nur, wenn die Kunstwerke was taugen. die Idee, dass einer alimentiert werden solle, weil seine dinge an Unis besprochen werden, ist die Art von Sozialstaatslogik, der ich durchaus nichts Logisches oder irgendwie Vernünftiges oder wenigstens Plausibles abzugewinnen vermag, wie ich sagen möchte.

    PPPS

    Ich sage das auch als einer, der eine Literaturzeitschrift – Wandler – benamst und ein paar Jahre auch mit redigiert hat.

  21. @ ANH: Das freut mich, daß Ihre Erzählungen in dieser gesammelten Form bei einem guten Verlag erscheinen können und ich halte das auch für wichtig, zumal die Marlborostücke meines Wissens nicht einmal mehr antiquarisch erhältlich sind – oder wenn, dann nur schwer.

    @ Dieter Kief: Das sind doch alles keine repräsentativen Bücher. Rainald Goetz letzter Roman ist eher ein gesellschaftskritischer. Und mit Arbeitwelt meinte ich auch nicht das nette Dasein des Deutschen Mittelstandes in Thomes eher mittelmäßigen Anfangsromanen. Das Gros der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur befaßt sich mit ganz anderen Dingen, von der Nabelschau, über Berlin-Hype oder 40Jähriger Schriftsteller wird von 30jähriger Medienfrau verlassen bis hin zu diversen Themen. Das ist auch alles in Ordnung, es zeigt nur eine gewisse Schieflage. Henschel ist da eine Ausnahme und Henscheids Trilogie ist über 40 Jahre alt, davon ab, daß man sich darüber streiten kann, ob das nun die Arbeitswelt ist. Auch sprach ich von deutschsprachiger Literatur – da fallen dann Wolfe und Konsorten heraus.

    Davon ab, daß es darum gehen sollte, daß die Arbeitswelt das Sujet das Buches ist. Das kann man bei Heinscheid nun nicht sagen. Sicherlich taucht die Arbeitswelt immer mal wieder als Szenario in der Literatur auf. Aber das meinte ich mit meiner Aussage nicht, sondern mir ging es um die literarische, künstlerische Bearbeitung dieses Themas.

    EIne Ausnahme ist vielleicht noch der Roman von Anna Weidenzolzer. „Der Winter tut den Fischen gut“. Aber da geht es eher um Arbeitslosigkeit.

    Freilich muß keine Kunst geschaffen werden, es muß nicht einmal Kunst geben. Aber es gibt sie aus einem Bedürfnis heraus und es ist das unendliche Bedürfnis der Menschen sich in solchen Formen abzubilden. Es ist das große Verdienst Hegels, dies in seiner Ästhetik herausgestellt zu haben. Daß der Mensch in der Kunst sich selbst und seinen Umgang mit der Welt anschaut. Und weniger das „sinnliche Scheinen der Idee“, was man gerne als zentrale These doxographisch als Hegeldeutung untermogelt, was aber in dieser Verabsolutierung eine grobe Verzerrung von Hegels komplexen Gedankengängen ist.

    Was die Produktionslogik betrifft, so würde ich sagen, daß sich diese nicht stillstellen läßt. Und warum auch, wenn es das Bedürfnis gibt zu schaffen. Und frei nach der literarischen Romantik eines Fr. Schlegel und eines Novalis sind viele Romane ja auch Antworten auf andere Romane – sozusagen eine Literaturkritik in poetischer Form, so wie Novalis mit seinem „Heinrich von Ofterdingen“ auf den Wilhelm Meister reagierte. (Und Novalis‘ Äußerungen über den Wilhelm Meister sind da nicht immer schmeichelhaft.)

    Es geht hier auch gar nicht so sehr ums Allimentieren. Sinnloses Geldhinausschütten für Mädels, die im Poetry Slam irgendwie witzig reimen oder Jüngelchen,die sich in duselige Befindlichkeiten ertriefen, müssen nicht gefordert und vermutlich nicht einmal gefordert werden, weil es eh vergeblich ist. Der Kunstwerk braucht eine gewisse Fallhöhe. Aber wie es ANH ganz zurecht anmerkte: Der Betrieb ist teils intrigant und er belohnt die Schmeichler und es gibt Literaturkritiker, die sich immer noch als Päpste bebärden und meinen morgen oder übermorgen den nächsten Großdichter küren zu dürfen. Da muß man schon irgendwie seinen Platz an den gut gedecketn Tischen finden. Und häufig werden in Kritiken Romane hochgeschrieben, wo ich mir denke „Was um alles in der Welt?“ (Jüngere schrieben hier: „What the fuck?“) und andere Autoren werden ganz einfach links liegen gelassen. Ich kenne einige Autoren, wo ich mich frage, warum die nicht gefördert werden. Das fängt übrigens mit Verlagsverträgen hat. Ich habe da keine detaillierten Einblicke, aber ich halte da einiges für ein hochintrigantes Spiel und ich frage mich, wie jemand wie Ronja von Rönne oder der Erstling von Hegemann eine derartige Aufmerksamkeit bei so wenig Inhalt entfalten konnten.

  22. David Forster Wllace Der bleiche König (dröge!) / J. J. Voskuils, Das Büro (soll sich gut lesen – in Holland (!) 450 000 mal verkauft

    Anette Pehnt Mobbing

    Die Hegemann ist ein absoluter Burner, wie die jungen sagen. Und sie hat Standing, ichab in den Zweitling reingelesen: Gut erzählt!

    Ronja von Rönne besetzt einen lange vakanten Posten, nämlich den der Rebellin gegen die Antiautoritären oder wenigsten liberalen Eltern. Machte auch Zoe Jenny, macht auch Toni (=Antonia) Baum – und die beiden letzteren füllten diese Top-Stelle im bürgerlichen Sinngeflecht ganz gut aus. Von rönne weiß dann auch noch ein wenig verwahrlost daherzukommen – c’est très chic!

    Toni Baum ist gerade die Treppe hochgefallen und im Olymp der Festanstellung bei der Zeit gelandet – der sirmelnden FAS glücklich entkommen…und hat obendrein noch ein Kind in die Welt gesetzt – alle Neune!

    Ja, sie haben deutschsprachige Bücher gesagt, ich hab‘ halt auch andere genannt. So what. Henscheids Bücher, wo in der Tat viel Arbeitswelt vorkommt – das ist nicht zuletzt einer ihrer vielen (oft unbemerkten!) Vorzüge, seien vierzig Jahre alt: hehe! Und? Alive ’n‘ kickin‘!

    Genazinos Abschaffel Trilogie ist ja doch ein erheblicher Brocken, und er hat auch danach noch etliche weitere lebensweltliche Brocken aus dem Angestelltendasein transportiert in seinen Stücker zehn Romanen, die ich las.

    Johann Holtrop ist nicht Mittelschicht, um Jotteswillen – wie auch die Ulla Hahn nicht mehr, übrigens. Und es ist ein hervorragendes Buch über die Arbeitswelt, will ich meinen.

    Knausgaard bringt die Welt des Schritstellers und Hausmannes und Pflegers aufs Tapet – da jibbet viel zu tun, offenbar, und es reißt die Käufer weltweit vom Hocker – erstaunlich (vierhundert Seiten habbich gelesen davon, mehr werden es aber nicht).
    Nochwas am Rande, aber imposant: Raymond Depardons Essay mit Fotos über die französischen Bauern: Paysants.

    Und ja, Kunst hat ihre Berechtigung, zweifelsohne, aber es müssen wirklich nicht dauernd neue Kunstwerke gemacht werden, das ist mein feste Überzeugung. Zumal nicht in einer Gesellschaft, wo ohnehin der Überfluss aus dem Schlagrahm röchelt (Enzensberger – der junge (!)Enzensberger bereits).
    Und da haben Fromm und auch Rutschky direkt angeschlossen – Rutschky hat die Idee, Kunst machen zu sollen, gerne versuchsweise (=essayistisch) unter die Fluchtphantasien subsumiert und das immer wieder nachgezeichnet, wie die scheitern. – Nicht zuletzt durch materielle Überdüngung, interessanterweise: Also haargenau dann, wenn Mareike oder Lisa oder ein anderer Vertreter von Rutschkys Bürgerlichen Prototypen im neuen Haus oder der neuen Wohnung sitzt, in der neu eingerichteten Dachstube mit den Atelierfenstern (strikt nach Norden!) und die Erbschaft (oder dei frührente, oder das legat eines erpressten Partner oder oder oder) endlich angetreten werden kann – nagen das Unglück und die Sinnfrage in ihrer absolut neuen Form ruck-zuck wie gehabt an Rutschkys Heldinnen und Helden der innerweltlichen Transzendenz.

    Das ist interessanterweise bei MusikerInnen oft anders. Ich war gestern Abend beim kleinen Konzert in der Lutherkirche, wo absolute Amateurinnen – mit ihren hinreissend introvertierten und wohlerzogenen Teenie-Töchtern als Umblättererinnen – ein Publikum aus vorwiegend älteren Damen und Herren eine Stunde lang ganz herzerweichend schön mit Mendelssohn und Schumann unterhielten – hätte bestimmt Peter Härtling gefallen, übrigens. Und dann verlangen sie auch noch keinen Eintritt von den Bedürftigen – das gibts bei den linken Fernserevolutionskaspern nicht, übrigens, da kostet die Karte in der Stadthalle eisern fünfundzwanzig Euro+, egal wer kommt…

    Und auch nicht schlecht, weil Sie ins neunzehnte Jahrhundert deuteten: Da verstand man noch, dass Kunst der Geselligkeit Dienste leistet. Das, fällt mir ein, hat auch Thomas Mann mehr als einmal im – – daher Weimar, hehe, – Doktor Faustus gesagt, mit Blick auf Adrian Leverkühn, nicht zuletzt.

  23. Na ja, „Johann Holtrop“ ist ein Buch über einen sehr speziellen Ausschnitt aus dieser Welt. Und Henscheid ist aus einer anderen Zeit. Sicherlich gibt es das eine oder das andere Stück Literatur zur Arbeitswelt, aber wenn ich mir das Gros der Neuerscheinungen besehe, zumindest das, was bei mir ankommt, dann finde ich von diesem Thema nicht viel. Obwohl eigentlich jeder Mensch arbeitet und in einer angestellten Existenz oder auch selbständig beschäftigt, ist diese uns umgebende Arbeitswelt nur am Rande Thema. J. J. Voskuils Romanzyklus ist da eine Ausnahme.

    Rönne geschenkt. Und – noch schlimmer – diese Antonia Baum: das sollte man gar nicht erst beachten und ernstnehmen. Hegemanns Axolotl Roadkill: Na ja, vom Copy and past mal ganz zu schweigen: Dieser Roman hat etwas Bemühtes und leider auch Durchschaubares.

    „aber es müssen wirklich nicht dauernd neue Kunstwerke gemacht werden, das ist mein feste Überzeugung.“

    Na ja, es muß nicht, aber es kann und wenn das Bedürfnis da ist dann wird auch gemacht. Insofern läßt sich dieser Prozeß nicht aufhalten und häufig sind Romane ja auch Antworten auf andere Romane. Das ist ein Geschehen, das sich fortschreibt und so entstehen Bezüge in einem weit gesteckten Feld. Kunst eben. Sicherlich gibt es Zeiten, wo die Kunst in eine gewisse Erschlaffung kommt, gegenwärtig scheint mir dies beobachtbar. Insbesondere in der Bildenden Kunst. Die Formsprache ist ausgereizt, wo Neues entsteht, ist dort, wo Gattungsgrenzen transformiert werden, ebenfalls durch die virtuelle Realität und durch Computerspiele sind neue Formen von Kunst denkbar. Erzählen freilich kann man immer. Und da gelangen von Jahr zu Jahr doch manche Perlen ans Tageslicht. Ob das vom erzählten Stoff her ist oder in der Sprache, einen solchen Stoff in einer angemessenen Form zu erzählen und Begriffe in eine Anordnung zu bringen, die es so nicht gab und die eine Sache erst klingen lassen. Insofern ist Kunst auch (oder gerade) in einer hochkomplexen Gesellschaft nötig, eben jenes „Bewußtsein von Nöten“ wie Hegel und Adorno schrieben. Auch die Kunst ist eine Form, in der eine Gesellschaft zur Selbstanschauung gelangt. Und solange eine Gesellschaft auf sich selbst reflektiert, solange wird es Kunst geben. Goetz‘ Roman immerhin ist ja ein solcher Ausdruck von Deutung, Hegemanns Roman auch – unabhängig, was man nun von der literarischen Qualität beider Bücher hält.

    Das Gesellige, die Form des Einander-Erzählens spielt da und fürs 19. Jahrhundert sicherlich auch eine Rolle. Wir erinnern uns nur an Goethens wunderbare Novellensammlung „Unterhaltunge deutsher Ausgewanderten“, wo dieses gesellige Erzählen unter dem Geschichtszeichen der Französischen Revolution und auf der Flucht vor eben diesem Ereignis, dem Goethe skeptisch gegenüberstand und das doch zugleich so notwendig wie schrecklich war. (man ist fast an „Michael Kohlhas“ erinnnert) über einiges Unbill hinweghalf und diese Situation einigermaßen erträglich gestaltete. In diesem Sinne kommt dem Erzählen also auch eine das Soziale stiftende Dimension zu.

  24. Wenn die Literatur nur noch Gähnen hervorbringt, wenn die Kunst überhaupt keine Herausforderung an die ästhetischen Unterscheidungsvermögen / Anklangsnerven der Betrachter mehr darstellt, sondern nur noch hopp-hopp zu durchschauender – – – – K R I T I S C H E R – – – – Zeitkommentar ist, wie das z. B. in erheblichem Umfang beim Skulpturenprojekt in Münster letztjahr der Fall war, oder wie das derzeit an dutzenden geradezu knie-erweichend einfältigen Werken aus der Grässlin-Sammlung in Sankt Georgen zu studieren ist – und wenn die Bücher liegenbleiben und die Rezensionen ungelesen und die Lesungen unbesucht, wie das haufenweise der Fall ist in Konstanz zum Beispiel, sobald da keine Stars mehr kommen, oder kein Event mehr geboten wird – dann ist es Zeit, der Kunstproduktion selber ein bisschen mehr abzufordern.

    Und dazu gehört (in meinen Augen) unbedingt das Schweigen, solange man nicht genau weiß, wo man hinauswill. Dazu gehört Versuch und Irrtum und dazu gehört auch das Bewusstsein, dass es nicht immer gut ist, die Dinge zu verändern (= Neues zu schaffen), sondern dass es absolut – bitte nicht erschrecken ob des nun folgenden Ausdrucks – gottgefällig sei, die Welt von weiterer Produktion zu verschonen, und nämlich n i x Neues zu machen.

    Und hier, an diesem gedanklichen Kreuzungspunkt, treffen sich tatsächlich interessante Leute: Enzensberger, Piwitt, Rühmkorf, Benn, Arno Schmidt u n d (!) Rilke, Mann glaub‘ ich auch, dazu jedenfalls Fromm und Rutschky (! – der hat dies Problem / Phänomen oft und über eine lange Zeit durchdacht und wie gesagt auch schön mit Beispielen nacherzählt, sozusagen, das Drama der irrenden Sinngebung via künstlerisch scheiternder (=ungeschickter/unglücklicher Welterschließung)) – – – und Odo Marquard (vermutich auch Adorno, er war sehr skeptisch gegenüber der Idee eingestellt, es solle jede Regung „ausgedrückt“ werden).

  25. Daß eine Reflexion auf die Kunst und auch auf die Kunstproduktion dringend nötig ist und auch, daß ein hohes Maß der Kunst, die gegenwärtig produziert wird – ja, dies ist das richtige Wort, denn vieles erinnert einfach nur an fabrikmäßige Ware -, nicht einmal Mittelmaß ist: all dies sehe ich ganz ähnlich. Und es kann in vielen Fällen das Schweigen sinnvoller sein als diese Dauerproduktion teils mittelmäßiger Werke. Ja, wir haben viel Kunst. Alle wollen Schöpfer sein, keiner Leser.

    Jede Regung und jede Windung herauszulassen, ohne Kenntnis der Form,ohne die daraus resultierende adäquate Bearbeitung des ästhetischen Materials ist gegenwärtig sicherlich eines der Grundübel.

  26. In diesem Zusammenhang vielleicht ganz interessant was Douglas Murray in seinem Buch (The strange Death of Europe)über die Kunst der Gegenwart schreibt.

    In Kontrast zum 19. Jahrhundert, als Kunst eine machtvolle Kraft in der Gesellschaft war (vielleicht machtvoller als Religion), ist Kunst heute praktisch sozial wirkungslos: „It nearly all has the aura of a destroyed city.“ Heutige Kunst strebt nicht mehr nach Wahrheit oder Schönheit, sondern sagt dem Publikum nur noch: ‘I am down in the mud with you’, ich stecke im gleichen Dreck wie ihr.
    Irgendwann wandelte sich der Zugang zur Kunst von „Ich wollte ich könnte das auch“ zu „Das kann ja jedes Kind.“ Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die handwerkliche Seite immer unwichtiger: „Technical ambition significantly diminished and often disappeared altogether.“ Und auch jeglicher moralische Anspruch verschwand

    Murray sagt: „Wenn man heute durch die Tate-Gallery in London geht, ist einzig der Mangel an Ambition noch auffälliger als der Mangel jedes technischen Anspruchs. Manche Werke erheben noch den Anspruch, etwas über Tod, Leiden oder Schmerz auszusagen, aber wenige sagen dazu mehr als darauf zu verweisen, dass diese Dinge existieren. Sie geben jedenfalls keine Antworten auf die Fragen, die sie stellen…. Jeder Erwachsene weiß, dass Tod und Leiden existieren, aber die Kunst unserer Zeit scheint jeden Versuch aufgegeben zu haben, irgendetwas anderes in uns hervorzurufen. Vor allem scheint sie jeden Anspruch aufgegeben zu haben etwas zu erzeugen wie den Geist einer Religion oder die mit dem Wiedererkennen verbundene Erregung, die Aristoteles Anagnorisis nannte – was so etwas bezeichnet wie das Gefühl, eine Wahrheit entdeckt zu haben, die immer schon auf mich wartete. „

    Vielleicht, sagt Murray, sind die Künstler genau wie alle anderen der Meinung, dass es solche Wahrheiten nicht gibt, bzw. nicht mehr gibt, oder dass sie nicht ausgedrückt werden können.
    Er schildert dann ein Erlebnis, das sehr erhellend wirkt.

    Während er eines Tages durch eine Gallerie wandelte, hörte er plötzlich Musik und ging dem Klang nach. Es war eine Installation der Künstlerin Janet Cardiff. Sie hatte die Motette „Spes in Allium“ des Komponisten Thomas Tallis (1505 – 1585), eine Chorkomposition zu 40 (!) Stimmen, aufgenommen, jede Stimme einzeln, und dann durch 40 im Raum verteilte Lautsprecher abgespielt, so dass der Hörer sich praktisch im Zentrum des Klangs befindet, s. hier. https://www.youtube.com/watch?v=7H2uCgTNQjs

    Die Menschen hatten sich im Raum dieser Installation versammelt und waren tief ergriffen, hielten sich an den Händen oder umarmten sich. Hier hatte die Anagnorisis offenbar stattgefunden, aber durch die Musik von Thomas Tallis aus dem 16. Jahrhundert, nicht durch diese Kunstinstallation.

    „It was deeply moving, though also striking that people thought the achievement was Janet Cardiff’s rather than Thomas Tallis’s. But that was anagnorisis happening right there. One could not be certain how many of the crowd knew either the words or meaning of the piece that the ‘sound installation’ was taken from.“

    So geht es mir auch mit der modernen Kunst und Literatur, muss ich bekennen.

  27. Da gibt es viel zu widersprechen und Murrays Position zur Kunst würde ich als banausisch lesen:

    „In Kontrast zum 19. Jahrhundert, als Kunst eine machtvolle Kraft in der Gesellschaft war (vielleicht machtvoller als Religion), …“

    Dies war sie immer nur für einen kleinen Teil der Menschen, insofern ist dies eine schöne Illusion. Die Macht der Religionen war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ungebrochen.Und ich wünschte, sie wäre es wieder, denn dann wären die Kirchen vielleicht voller und die Museen wieder leerer, damit dort wieder Platz für die Profis ist.

    „Heutige Kunst strebt nicht mehr nach Wahrheit oder Schönheit, sondern sagt dem Publikum nur noch: ‘I am down in the mud with you’, ich stecke im gleichen Dreck wie ihr.“

    Als wenn ob das je die Aufgabe der Kunst gewesen wäre, insbesondere unter modernen Bedingungen. Schillers „Räuber“ in der Mannheimer Uraufführung? Ein Skandal und wenige fanden da Schönheit. Umgekehrt haben heute viele Werke eine nur noch dekorative (schöne) Funktion. Die Abstraktion etwa hat sich von einer avantgardistischen Kraft in eine inhaltsleere Ödnis verwandelt, weil sie abgelebte Formen teils wiederholt. (Das freilich gilt nicht für alle Werke, man muß solcher Urteile immer an konkreten Bildern festmachen und ins Detail blicken.) Davon einmal ab, daß das Reflexionsniveau der Kunst heute aus Gründen der Entwicklung ein ganz anderes ist als vor 200 oder 250 Jahren als Kunst sich als autonomer Bezirk überhaupt erst ausdifferenzierte und nicht nur Auftragskunst war. Womit sich der gesamte Status und die Reflexionsebene der Kunst änderte. Und wer da dann, unter dieser komplexen Optik heute den Dreck sieht, muß sich fragen, inwiefern da einfach nur projiziert wird.

    „Irgendwann wandelte sich der Zugang zur Kunst von „Ich wollte ich könnte das auch“ zu „Das kann ja jedes Kind.“ Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die handwerkliche Seite immer unwichtiger …“

    Auch das ist in dieser Form falsch. Kunst zu machen, ist bis heute ein Privileg und es tun dies nur wenige, und es wagen auch nicht viele das, was angeblich jedes Kind kann. Insofern ist das eine dieser Phrasen. Denn das, was angeblich jedes Kind kann, trauen sich anscheinend nur wenige selbst auch zu tun – was ich dann wieder so erstaunlich finde, wenn es doch angeblich so kinderleicht ist und sich damit so viel Geld verdienen läßt. Oder ist es etwa so, daß sie es ganz einfach nicht können? Es wäre ja sogar gut, wenn sich die, die sich für Individuen halten, vielleicht darauf wieder besinnen könnten, was ein Kind einst tat. Was die handwerkliche Seite betrifft: da höre man mal einem Künstler zu, wenn er von dem spricht, was er tut. Da ist immer noch ein gehöriger Teil Handwerk dabei, um auch im abstraktesten Bild eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Davon ab, daß sich die Formen des Darstellbaren in der Kunst immer schon verschoben haben. Was heute Salonmalerei ist, arriviert und sogar schön, etwa der Impressionismus, das war in der Zeit seines Entstehens ein veritabler Skandal. Kleist Stücke waren zur Goethezeit unspielbar, heute sind sie sogenannte Klassiker.

    „Murray sagt: „Wenn man heute durch die Tate-Gallery in London geht, ist einzig der Mangel an Ambition noch auffälliger als der Mangel jedes technischen Anspruchs. Manche Werke erheben noch den Anspruch, etwas über Tod, Leiden oder Schmerz auszusagen, aber wenige sagen dazu mehr als darauf zu verweisen, dass diese Dinge existieren. Sie geben jedenfalls keine Antworten auf die Fragen, die sie stellen….“

    Das mag seine Sicht sein. Aber wenn ein Affe in den Spiegel sieht, guckt eben kein Apostel hinaus. Das Problem liegt in seinem vorgesteckten Erwartungshorizont, dem jede Fähigkeit abgeht, sich noch irgendwie überraschen zu lassen oder sich für Neues und Anderes zu öffnen: Und wenn dann noch der eigene beschränkte Referenzrahmen zum Maß aller Dinge ausgerufen wird und alles was anders ist, auf genau diesen Rahmen heruntergebrochen wird, dann kann natürlich nichts, was da draußen an Kunst ist, noch den eigenen Verabsolutierungen entsprechen. Das ist zum einen ein logisches Problem und zum anderen, daraus resultierend eines der Wahrnehmung. Darin liegt bei Murray das Problem. Davon ab, daß die Künstler sich nicht nach den Themen richten, die Murray gerne gemalt sähe, immerhin befinden wir uns nur noch bedingt in der Zeit der Auftragskunst. Vielleicht wenn die Deutsche Bank eine Künstler sich gedungen hat.

    „Vor allem scheint sie jeden Anspruch aufgegeben zu haben etwas zu erzeugen wie den Geist einer Religion oder die mit dem Wiedererkennen verbundene Erregung, die Aristoteles Anagnorisis nannte – was so etwas bezeichnet wie das Gefühl, eine Wahrheit entdeckt zu haben, die immer schon auf mich wartete.“

    Und auch hier wieder wird der eigene Erwartungshorizont zum Maßstab gemacht, dem dann natürlich kein anderes Werk entsprechen kann. Davon ab, daß solche Gefühlsduselei-Ästhetiken eben der Beliebigkeit Tür und Tor öffnen. Für den einen kann das, was Murray beschreibt durch Songs von Helene Fischer ausgelöst werden – und welche Frau hat nicht schon mal zu „Atemlos durch die Nacht“ masturbiert – andererseits durch eine Mahler-Symphonie. Für solchen Gaumenkitzel aber braucht es keine Kunst. Die durchaus richtige Intuition, die bei Murray aufblitzt, wird durch seinen eigenen Erwartungshorizont, der zum Maßstab hochgetrimmt wird und durch Referenzrahmenbestätigung destruiert. Insofern rate ich bei solchen Fragen immer: Ball flach halten, weniger Normatives und mehr Deskription. Bzw.: weniger hochtrabend und erstmal Kleingeld geben. Dann schaut zunächst mal ein braver Analytiker und schon kein Affe mehr zum Spiegel hinaus.

    Aus dieser eingeschränkten und unterkomplexen Perspektive heraus jedoch, die es nicht einmal schafft den eigenen Tellerrand zu überschreiten, geschweige denn irgendeinen Horizont, kann dann auch keine adäquate Analyse zu den tatsächlichen Problemen der Kunst kommen. Bei denen man sich übrigens auf die konkrete Werke einlassen muß und sie nicht mit der eigenen Elle messen sollte. Sonst blickt halt der Affe aus dem Spiegel.

    Inwiefern Kunst Antworten auf Fragen zu geben hat, ist nicht in der Frage des Betrachters, sondern in der Struktur des Werkes gegründet. Und keine Antwort mehr zu geben, kann auch eine Antwort der Kunst sein. Diese Dinge sind also immer ganz konkret an einzelnen Werken zu entfalten und nicht in einer Pauschalstruktur. Ebenso, was dieses Ergriffenheitswerk anbelangt. Kunst ist kein Gottesdienst. Und eine inszenierte Ergriffenheit erinnert mich eher an irgendwelche Bühnenshows von Popstars. Aber dazu muß ich mir natürlich diese Inszenierung selbst ansehen. Selbst aber, wenn sie gelungen sein sollte, ist das eine Kunstwerk kein Maßstab für andere Kunstwerke. Da kommt dann wieder Murrays Tellerrandbeschränkung zum Tragen.

    Wenn ich also all diese Äußerungen von Murray lese, scheint es mir, daß sich dieser Mann besser mit anderen Dingen befassen sollte, von denen er mehr versteht. Das was er schreibt, ist genau von dem Niveau des Spießbürgers, der sein Vorurteil über die Kunst kultiviert, um sich dann in seinen Mißfallenskundgebungen zu delektieren.

    Um sich auf Kunst einzulassen, braucht es vor allem einen offenen Blick. Das ist die Grundvoraussetzung. Und mit diesem Blick kann man die Struktur eines Werkes erfassen, kann sehen, was sich da abspielt. Maßstab dafür können nur die internen Kriterien des Werkes sein, und nicht das Äußeres. Insofern macht es dieser Murray im Grunde nicht viel anders als jene Gedicht-Stürmer an der Alice Salomon-Hochschule beim Gomringer-Text, die ihre eigene Vorurteilsstruktur als absolutes Richtmaß ausgeben, an dem sich alle anderen zu orientieren haben.

  28. Bersarin, ich meine zu verstehen, was Sie in ihrem Wiederspruch gegen Murray beschäftigt.

    Murray ist in der Tat kein sehr beschlagener Mann auf diesem Gebiet. Er spricht hier als Laie und sichtlich ins Unreine.

    Aristoteles‘ Anagnorisis und die Kunst und die Religion zusammenzuspannen ist sicherlich nicht grundsätzlich falsch – ich hab‘ ja oben fast das Gleiche getan – – mit ebenfalls ausdrücklichem Bezug auf die Religion.

    Mag sein, dass eine ein wenig falsche Weichenstellung da geschieht, wo Murray in der Tat vormodern redet – nämlich dass es um Wiedererkennung zuallererst zu gehen habe.

    Das ist ja nicht an sich falsch. Man würde es aber heute nicht mehr so sagen, weil wir wissen, dass die Welt und die Kunst nicht in einem sozusagen technisch bestimmten Spiegelverhältnis stehen. Das konnten die Athener gut denken, in ihrem abgeschlossenen kleinen Stadtuniversum – am abendländischen Beginn dieser Überlegungen. Heute würde man darüber hinausweisen auf das Viele vor der Kunst – oder auch ohne sie – Unerkannte. Man würde sagen, dass Kunst die Welt nicht unbedingt (!) verständlicher, aber gegebenenfalls größer und vielfältiger macht.

    Aber trotzdem vielen Dank, El_Mocho, Douglas Murray ist ein überaus zivilisierter Mensch und jetzt kommt noch was: Ich fühle mich m i t meinen Einwänden g e g e n Murray diesem v i e l näher als den Illustratoren des Zeitgeistes, wie sie in Sankt Georgen zurzeit haufenweise zu sehen sind und beim Skulpturenprojekt in Münster letztes Jahr in so hohem Maß, dass ich, wie ich bekennen will, leider ganz nahe bei Murray – – – mich wiederfand.

    Noch eine kleine Umdrehung weiter: Mein Gefühl sagt mir, dass Douglas Murray an meinen Einwänden interessiert wäre – und das ist vielleicht hier der wichtigste Punkt, denn genau das lassen die Zeitgeist-Reiter leider oft vermissen. Sie empfinden Einwände nicht mehr als Teil des öffentlichen Spiels unserer Einbildungs- und Zergliederungskräfte, sondern als Zumutungen. Oft in umso höherem Maß, je kritischer sie auftreten, und das heißt derzeit: Je mehr sie sich dem Zeitgeist der vollendeten Gleichheit und universellen Gleichzeitigkeit und Herkunftslosigkeit überantwortet haben.

  29. Vielleicht bin ich ja auch ein Banause, aber ich sehe das im wesentlichen genauso wie Murray. Ich gehe schon länger nicht mehr in Galerien (solche mit moderner Kunst zumindest), ins Theater oder in die Oper (allerdings schon zu Konzerten), weil ich da immer wieder gesagt bekomme: ‘I am down in the mud with you’, und das brauche ich nicht. Ich lese auch keine Bücher, von denen ich den Eindruck habe, sie seien geschrieben worden um ein sprachliches Kunstwerk zu schaffen.

    Ist auch nicht nötig, es gibt Musik von Guillaume de Machaut bis Mozart und von den Beatles bis Dream Theater, und es gibt Literatur, die eben nicht der Selbstinszenierung das Autors dient, weniger in Form von Romanen und Gedichten, als in Form von Kriminal- oder historischen Romanen, Essays, Tagebüchern und journalistischen Texten (Empfehlungen kann ich bei Bedarf liefern).

    Mich ärgert nur, wenn die Unfähigen mit Steuergeldern überschüttet und in durch Zwangsgebühren finanzierten Medien als große Genies gefeiert werden. Etwa hier:

    http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=54302

  30. Dieter Kief: Daß Kunst und Religion getrennte Wege gehen, ist spätestens seit Hegels Ästhetik ausgemacht. Allenfalls fungiert Kunst als Religionsersatz. Aber das Absolute ist dort nur in der Anschauung gegenwärtig und in säkularisierten Zeiten, wo kaum noch jemand dem Gotte nahe ist, scheint mir dieser Religionsersatz eher eine unerquickliche Camouflage. Die Leute sollen lieber in die Kirche gehen, wenn sie sich erbauen wollen, dann blockieren sie nicht die Museen und Theater.

    Ansonsten, ja, der Komplexität einer modernen und vielfältigen Welt steht die Komplexität der Kunst gegenüber, einer Weltkunst zumal, die alles mögliche enthält: Von Heimatlichem bis hin zu Kosmopolitischem, Abstraktes wie Konkretes. Man kann ja lange schon diese geniale DDR- bzw. Ostkunst wiederentdecken. Was für eine Lust ist es Neo Rauch-Bilder zu sehen oder Arno Rink – noch bis zum 18.11. in Leipzig zu sehen. Und sicherlich will Kunst nichts zu verstehen geben: Sie ist keine Gebrauchsanleitung. Wer wissen will, greife sich ein Buch aus der Beck’schen Wissen-Reihe: Da ist zu fast allem was zu finden.

    Es geht beim Umgang mit Kunst auch nicht um die Anbettung – deren Fehlen Murray beklagt, und die doch bei fast jeder Galerieeröffnung zu sehen ist, wenn da die Leute mit ihrem Sektglas herumscharwentzeln. Am gegenwärtigen Kunstbetrieb ist vieles zu kritisieren. Aber unter der Optik von Murray funktioniert das nicht und da ist man dann im Gegenteil fast gehalten, auch Kritisierenswertes zu verteidigen, weil Murray aus einer unterkomplexen und vom eigenen Ressentiment getragenen, mithin aus einer eher kindlichen Perspektive die Kunst wahrnimmt. Und Zwerge sehen halt überall nur übermächtige Riesen. Die eigenen Empfindungen sind zwar sehr wohl der Ausgangspunkt von Kunst. Aber bei ihnen stehenzubleiben und nicht über sie hinauszuschreiten ist sträflich. Und die Strafe folgt auch auf den Fuß: Murray selbst hat sie gegen sich verhängt, indem er solchen Text schrieb.

    „Sie empfinden Einwände nicht mehr als Teil des öffentlichen Spiels unserer Einbildungs- und Zergliederungskräfte, sondern als Zumutungen.“

    Das ist hier aber nicht die Frage. Es geht nicht darum, Einwände nicht zuzulassen oder sie als Zumutung zu empfinden, sondern deren Plausibilität zu prüfen. Nur weil einer einen Einwand behauptet, muß der nicht richtig sein. Behaupten heißt nicht gelten. Und dieser Vorwand „Als Zumutung empfinden“ ist leider zugleich eine durchschaubare Immunisierung gegen Kritik, bei der der Sprecher schon per se voraussetzt, daß alle Hörer diesem Einwand zustimmen müßten. Das brauchen sie aber nicht, zumal wenn der Sprecher keine überzeugenden Argumente zur Hand hat. Sondern die Hörer können mit guten Gründen widersprechen, und genau so wie ich es tat, zeigen, was an solchen Einwänden falsch bzw. bei Murray einfach nur Quatsch ist. Eine ähnliche Immunisierungsstrategie gegen Kritik finden wir heute allerdings auch bei Teilen der Linken und der Rechten. Wenn etwa Leute wie Sarrazin behaupten, daß sie gewisse Dinge nicht mehr sagen dürften. Seltsam sowieso, wo ihm nun doch prominent in Verlag und Medien genügend Platz eingeräumt wird. Nur eben: Wer etwas sagt, der muß mit Widerspruch rechnen. Das ganze nennt sich dann Debatte. Und so ist es auch mit dem, was Murray da schrieb. Man mag dessen Naivität noch damit entschuldigen, daß Kunst nicht sein Metier ist. Aber gerade dann sollte man den Ball sehr flach halten und sich mit normativen Wertungen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, damit man nicht allzu tief falle.

  31. @ El Mocho: Auch hier, El Mocho, vermischt Du völlig Unterschiedliches. Zunächst einmal geht es nicht um Privatemotionen vor Kunstwerken. Die kannst Du auch bei einem Helene-Fischer-Konzert haben oder bei einer Fahrradtour am Rhein. Die kann man auch niemandem absprechen, sie sagt nur eben nichts. Ob man Sauerkraut mag, darüber läßt sich schwerlich streiten. Allenfalls läßt sich über die Motive von Empfindungen debattieren. Weiterhin: Steuergelder werden für sehr unterschiedliche Dinge ausgegeben: Das reicht von der Polizei über öffentliche Daseinsvorsorge, Nahverkehr, Ehegattensplitting bis hin zur Subvention von Dieselfahrzeugen oder von strauchelnden Banken. Und da ist bei den Subventionen dann halt auch die Kunst mit dabei, da sie eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllt. Diese Gelder bedeuten nicht, daß der Künstler das produzieren muß, was eine Regierung sich wünscht. Das mochte im Feudalismus so sein, in einer parlamentarischen Demokratie ist das nicht der Fall. Und über unsinnig ausgegebene bzw. verschwendete Steuergelder wacht ansonsten der Bundesrechungshof. Und wie bei allen Subventionen ist es so, daß keine Einhelligkeit besteht.

    Daß bei vielen Künstlern im Augenblick leider eine politisch uniforme Haltung herrscht, man denke an diesen gesinnungstriefenden „Viele“-Aufruf, steht auf einem anderen Blatt und da ist allerdings erhebliche Kritik angebracht. Künstler sollten nicht ihre Moral zur Schau stellen und sie sollten auch nicht ihre privilegierte Position gebrauchen, um politisch irgendwas vermeintlich Gutes zu trommeln – wenn ich etwa an diesen von Hybris getragenen Aufruf gegen Seehofer denke: als ob diese 2000 Leute in einer Demokratie irgendeine privilegierte Position hätten. Da haben sie nämlich dem stummen Handwerksgesellen, dem Angestellten, dem Schichtarbeiter, dem Busfahrer oder dem Lehrer nichts voraus, die eben nicht die Möglichkeiten haben, derartiges kundzutun. (Aber man kann sich zugleich wieder trösten, daß alle diese Dinge im Volk gar nicht wahrgenommen werden.) Bei solchem Politgedöns fängt es in der Tat an lächerlich zu werden und dafür sollten allerdings keine Steuergelder ausgegeben werden, weil es dafür keinen Grund gibt und weil das Privatsache ist. Aber gut: sollen sie halt aufrufen. Nur ist dies eben wohlfeil. Besser ist es: Theater sollen Theater machen, keinen Politpopanz. Ihre leider oft simple Politdenke können sie in die Stücke packen, wo sich dann sehr schnell zeigt, ob solch Getrommel ästhetisch wirklich funktioniert. Anderes Thema aber.

    Inszenierung von Oper und Theater heißt übrigens nicht, daß es allen gleichermaßen gefallen muß und es heißt dies auch nicht, daß man 100 Jahre das gleiche Stück spielt. Es wird auch von niemandem verlangt, ein Theaterkritiker zu sein. Aber je geringer die Kenntnisse in einem Metier, desto weniger sollten auch normative Wertungen im Vordergrund stehen, sondern allenfalls subjektive Geschmacksurteile. Niemand muß alles mögen. Aber wer vom Metier nichts weiß, sollte schweigen. Oder eben Gründe angeben können, weshalb eine Sache mißlang. Weil sie nicht den eigenen Erwartungen entsprach, ist das kein Grund ein Kunstwerk zu kritisieren. Es zeigt nur, daß möglicherweise der eigene Horizont nicht weit genug ist.

  32. @ Bersarin – – 1a aneinander-Vorbeireden

    „Die Leute sollen lieber in die Kirche gehen, wenn sie sich erbauen wollen, dann blockieren sie nicht die Museen und Theater.“

    Das eben tun sie nicht, stattdessen gehen sie als metaphysisch Obdachlose und offenbar bedürftige in die Ausstellungen und Stadttheater und Demos usw. und beten sich selber an. Das ist die neue Armenkirche, sozusagen. – Tom Wolfe hat das in From Bauhaus to our Hause bereits perfekt seziert, bis hin zum „Radical Chic und den -nicht zu vergessen, dem Heroine chic der halbverhungerten halbdurchsichtigen Super-Models – das ist ja die Barfüsserbewegung redivivus perversum hoch zwei.

    Meinen Einwand gegen die Verteufelung der Einwände haben Sie evendöll um 180 Grad missverstanden, sodass Ihr Frontalangriff darauf mir sehr plausibel erscheinen will.

    „Geht in Ordnung – (…)“ – wenn auch eingestandenermassen schon – seufz, seufz, über vierzig Jahre lang.

    Was Sie, Bersarin, aus irgendeinem mir nicht ersichtlichen Grund jetzt schon im x-ten Kontext nicht realisieren ist, dass ich kein Dogmatiker der metaphysischen Fehlstelle bin, sondern – – – – – no – ich sag’s mal mit Fromm: Der Non-Theismus ist eine Teilmenge des Theismus und des herkömmlichen Gottesglaubens. Das sagt übrigens, in meiner Lesart, auch der Dalai Lama immer wieder (und zu deren erheblichen Verblüffung/Verstörung) hiesigen Christen oder was, die plötzlich Buddha entdecken: Er sagt, guckt euch bei euch um und merkt: Ihr habt da nix neues, sondern nur etwas vermeintlich neues, das euch umso besser einleuchtet, je weniger ihr es versteht. – Mit anderenworten sagt der Dalai Lama: Bleibt halt bei euren Leisten. Er ist auch nicht anders (wer immer denkt, dieser euer Leisten sei fundamental anders als unsererer (=der Östliche, der buddhistische, der Dalai-Lamaische…), zeigt damit einfach seine prinzipielle spirituelle Unreife.

    Sagt’s – und lacht, der Dalai Lama! – Sehr schön!

  33. Ob Sie Dogmatiker sind oder nicht interessiert mich nicht so sehr, da ich Zuschreibungen nur im Kontext von konkreten Äußerungen vornehme, aber nicht generalisierend. Was die Einwände betrifft, so finden wir dieses „Als-Zumutung-Empfinden“ auf allen Seiten des Diskurses. Deshalb nannte ich hier auch rechts und links gleichermaßen und das Sarrazin-Beispiel wird dann flankiert durch meinen gestrigen Blogtext, wo man sieht wie es auf der anderen Seite, die sich vermutlich in der Selbstbezeichnung eher links sieht, tickt.

    Die Religion, das ist ein Ding für sich und die Götter sind weit gefächert, haben sich von der Kirche und dem Himmel in Theater, Fußballstadien und Konzertarenen verflüchtligt.

    Leute strömen in Galerien, ja, aber das ist nichts, was diese Strömenden vor anderen auszeichnet. Metaphysische Obdachlosigkeit aller Orten, Signum der Moderne und nicht unmittelbar aufzuheben – was ja auch zu den großen ideologischen Verwirrungen des letzten Jahrhunderts führe. (Anderes Thema aber.) Leute strömen ebenso zum Fußball, zu Helene Fischer, zu linksextremistischen und rechtsextremistischen Demos oder zu anderen Demos, sie gehen ins Kino und ins Theater. Im Grunde an all diesen Orten, besonders beim Fußball, beten die Leute sich selbst an. Nicht alle, aber manche. Das Problem bei der Kunst ist nicht bloß die Menge, sondern die Sicht auf Kunst. Aber auch da kann man den Leuten nichts verbieten oder maßregeln. Wer genießen will, darf das machen. Und als stiller Betrachter muß ich mir dann eben Lücken aussuchen, die nicht in die Stoßzeiten fallen. Besonders entsetzlich war dieses Menschenwimmeln in der Brueghel-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum.

    Problematisch wird es erst dann, wenn es auf die Ebene des Wertungs-Urteils geht. Da müssen dann Gründe genannt werden.

  34. Mir geht es nicht um Emotionen, jedenfalls nicht in erster Linie. Anagnorisis bedeutet „Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Anagnorisis#Anagnorisis_bei_Aristoteles), und genau das erwarte ich von Kunst, dass sie mir „eine Wahrheit erschließt, die schon immer auf mich gewartet hatte“, wie Murray sagt. Das setzt einen Prozess der Aneignung voraus, es erschließt sich nicht beim ersten Lesen oder hören. Eine bestimmte Form, eine bestimmte ästhetische Organisation ist Voraussetzung.

    Ich habe als ich noch in der Schule war, angefangen, ein Instrument zu erlernen, die Querflöte. Meine Eltern haben mir eine auf mein Bitten hin geschenkt und ich habe dann einige jahre lang Unterricht genommen. Das ist verdammt schwer; man denkt: Ich lerne das nie! Aber ich hatte eine gute Lehrerin, und mit der Zeit lernt man eben doch das Instrument zu beherrschen und dann stellen sich auch Erfolgserlebnisse ein. Ich wollte dann sogar Musik studieren, aber die Aufnahmeprüfung am Konservatorium war doch zu schwer für mich.

    Jedenfalls hat das mein Verständnis von Musik (und Kunst allgemein) geprägt. Kunst ist schwierig, sowohl zu schaffen als auch zu rezipieren. Wer drei Akkorde auf der Gitarre spielt oder Klänge, die andere gespielt haben, zusammenmischt, der ist kein Künstler und sollte keine CDs aufnehmen, sondern üben und wieder üben, bis er mehr kann. Und dieser Standard gilt immer weniger; es ist heute viel wichtiger, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe der Künstler hat, als was er kann und was er gelernt hat. Und deshalb ist der größte Teil der modernen Kunst auch so nichtssagend und langweilig, aus meiner Sicht zumindest.

    P.S.: Kannst du mir sagen, welche gesellschaftliche Aufgabe die Inszenierungen von Calixto Bieito erfüllen? ich vermag da keine zu erkennen. Könnte es sein, dass es heute einen Kulturbetrieb gibt, in dem sich Künstler und Politiker gegenseitig unterstützen und jeder dem anderen liefert, was dieser haben möchte? Bieito liefert tolle progressive und provozierende Inszenierungen klassischer Stücke, die sich die Kulturpolitiker anheften können und bekommt dazu im Gegenzug einen Haufen Geld, Steuergeld natürlich.

    P.P.S.: Andersdenkenden Ressentiments zu unterstellen ist billig.

  35. Genau diese Emotionen hast Du aber in Deinen Ausführungen vorausgesetzt, El Mocho und Du kannst sie, außer in der Ablehnung bestimmter Kunst auch nicht weiter diskursiv begründen. Außer eben, daß diese Kunst bei Dir bestimmte „Gefühle“ oder Eindrücke nicht erzeugt.

    „Mir geht es nicht um Emotionen, jedenfalls nicht in erster Linie. Anagnorisis bedeutet „Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Anagnorisis#Anagnorisis_bei_Aristoteles), und genau das erwarte ich von Kunst, dass sie mir „eine Wahrheit erschließt, die schon immer auf mich gewartet hatte“, wie Murray sagt.“

    Exakt da liegt Dein Problem: in einer Erwartungshaltung, die Dir die Sicht auf Kunst dann verstellt. Damit Unkenntnis in Kenntnis umschlägt, muß man sich zum einen offen halten. Daran ändert auch Dein darauf folgender Satz nichts, zumal Aneignung ein problematischer Begriff ist. Ein Werk kann man sich nicht aneignen; es ist kein Besitz und es bleibt immer eine Dimension des Unverfügbaren. Aber das mögen semantische Spitzfindigkeiten sein. Und Ergriffensein ist dann auch noch mal etwas anderes als der Umschlag von „Unkenntnis in Kenntnis“. Sie gehört, wenn man Aristoteles Poetik nimmt, auch dazu. Es ist aber dabei nicht zu verharren. Der Prozeßcharakter erschließt sich nur, wenn man sich lange mit einem Werk befaßt. Allerdings ist bei Kunst eine gewisse Kenntnis gefragt. Und das nicht erst seit der Moderne, sondern grundsätzlich. Renaissance-Bilder, Alte Meister, Brueghel sind nicht einfach aus sich heraus zu verstehen, sondern sie bedienen sich teils einer Symbolsprache und codierter Zeichen, die damals relativ verständlich waren, heute aber vielfach Kennern nur noch geläufig sind. Das was als verständlich vorausgesetzt wird, ist der vermeintliche Realismus des Werkes. Doch trügt dieser „Realismus“: Was wir sehen, ist oft nicht das, was tatsächlich dargestellt ist. Diese Kenntnis ergibt sich – egal ob moderne oder alte Bilder – ebenfalls im Prozeß der Kunstbetrachtung und das setzt manchmal auch ein wenig Arbeit voraus. Hier handelt es sich um ein Wissen, das zugleich Kennen und Können ist. Analogisierbar vielleicht mit der (auch ästhetischen) Kategorie des Geschmacks, der sich langsam ausbildet. So wie ein Anzugmacher die Qualität eines Stoffes durch viel Erfahrung, durch Abtasten, durch vielfaches Prüfen und Vergleichen beurteilen kann.

    Was Du zu Beherrschung eines Instrumentes schreibst, ist richtig. Da hast Du das Wesen von Arbeit, das eben auch im Prozeß des Kunstbetrachtens erforderlich ist, realisiert. Und in einer ähnlichen Weise geschieht dies auch in der Kunstbetrachtung.

    Der Ressentiment-Vorwurf wäre genau dann eine Unterstellung, wenn ich ihn nicht begründen könnte. Das aber tat ich in meinen Kommentar, da ich zeigte, weshalb solches Verhalten wie das von Murray (zumindest in der Form, wie Du Murray hier wiedergibst) problematisch ist. Und ähnlich wie Du es für die Musik beschreibst, ist es auch mit der Kunst. Man muß, wie der Schneider, viel prüfen, viel anschauen, viel machen, um zu einem Kenner zu werden, um Geschmack auszubilden. Theaterstücke, also eben Inszenierungen eines Textes, kann ein Betrachter nicht einzig dadurch beurteilen, daß er sie mit dem Originaltext abgleicht, sondern er sollte ebenso eine Vielzahl anderer Inszenierungen eines Stückes gesehen haben. Alles das ist kein Muß. Aber es erweitert den Blick für ein Werk und genau das meinte ich mit der nötigen Offenheit.

    Ohne Frage gibt es in der modernen Kunst viel Mist – den hat es übrigens schon immer in der Kunst gegeben –, aber um das in Erfahrung zu bringen, muß man viel gesehen haben und man sollte sich dabei nicht einfach auf seinen ersten oder zweiten Eindruck verlassen.

    Zu Calixto Bieitos Inszenierung kann ich erst dann etwas sagen, wenn ich sie gesehen habe. Und ich denke, auch Du wirst erst dann etwas adäquat dazu sagen können, wenn Du sie gesehen hast. Um die Stimmigkeit eines Kunstwerkes zu überprüfen, sein Gemachtsein und damit auch die Qualität ist ein gründlicher Blick erforderlich. Und was die Akualisierungen einer Aufführung betrifft: Sicherlich ist das kein Fetisch und auch kein Selbstzweck, aber es ist genausowenig per se ein Ausschlußkriterium. All das kann nur der Blick ins Detail am Ende adäquat eintscheiden. Und da kann sich dann auch Unkenntnis in Kenntnis verwandeln. Ähnlich wie beim Schneider, wenngleich in der Kunst die Prozesse noch ein wenig komplexer sind.

  36. Nur eben zu Bieito, da ich bereits einige Inszenierungen von ihm sah, mit zwar nicht jeder Regieidee einverstanden war, meist aber sehr überzeugt hinterher. An eine erinnere ich mich noch heute, dreizehn Kalenderjahre später, als eine der bewegendsten Inszenierungen meines Lebens überhaupt. >>>> Dort habe ich drüber geschrieben. Was und wie El Mocho über Bieito schreibt, mag sein Recht sein – ja, das eines in diesem Fall tatsächlich Banausen -, ist für den Regisseur als Künstler aber verletzend und für mich, der ich damals so überzeugt worden bin, gleich mit. Vor allem erinnern seine, El Mochos, Einlassungen gegenüber einer nicht-konservativen, sagen wir nicht-kunsthandwerklichen Kunst an eine ziemlich dunkle Zeit der deutschen, aber auch österreichischen gar nicht so fernen Vergangenheit. Da er keine Macht hat, ist freilich auch das zu tolerieren.

  37. Ja natürlich bin ich ein Nazi und will Künstler die mir nicht passen ins KZ stecken. Darunter geht´s wohl nicht.

    Es gibt eben zwei Möglichkeiten; entweder ich bin ein Banause und die Genialität dieses Bieito erschließt sich mir nicht wegen Mangels an Bildung oder schlichter Dummheit, oder er ist einfach nur ein Spinner mit viel Selbstbewusstsein, der vom Kulturbetrieb (worunter ein Gruppe von Menschen zu verstehen ist, die sich gegenseitig öffentliche Gelder zuschieben) finanziert wird und niemand sagt etwas, weil keiner zugeben will, dass der Kaiser nackt ist.

  38. Ich habe nicht gesagt, Sie seien ein Nazi. Ihr Differnzierungsvermögen scheint tatsächlich wenig ausgeprägt zu sein. Wenn dem, letzterem, so ist, bitte ich um Entschuldigung, da Ihnen so etwas nicht angelastet werden kann.
    Vorsichtig gefragt: Sind Sie denn einmal in einer Inszenierung Bieitos gewesen oder verlassen Sie sich auf die Meinung der Mediengestalter? Dann freilich verstünde ich Ihre Spitzen gegen Kulturvertreter nicht, zu denen jene ja gehören.
    Bietios „gesellschafttliche Aufgabe“ liegt aber doch auf der Hand, er nennt sie in seinen Interviews auch. Einmal abgesehen davon, daß ich nicht verstehe, inwiefern Kunst eine – konkrete – Aufgabe haben, geschweige sie erfüllen muß – gerade dies könnte eine sein, den Erfüllungsgehorsam eben zu verweigern – kommt es mir freilich extrem interessant vor, daß Sie gerade bei Bieito so schäumend reagieren. Über die Gründe indes mag ich öffentlich nicht spekulieren.

  39. El Mocho, ich sehe, was das Pauschalisieren betrifft, es ebenso wie ANH. Und leider ist es ja nicht das erste Mal, daß Du alles über einen Leisten schlägst. Was ich, wenn ich Deine Ausführungen zum Instrument-Spielen, lesen, nicht verstehe: Denn das waren differenzierte Betrachtungen. Und genau so ist es auch in der Kunst. Man muß sich auf Werke einlassen.

    Und ebenso zur Aufgabe: Ein Kunstwerk hat gar keine Aufgabe und es ist auch nicht dazu da, Dich zu unterhalten, aufzusteigern oder Dich schlauer zu machen. Ein Kunstwerk ist kein Produkut aus dem Supermarkt, das sich meinen Erwartungen zu fügen hat. Insofern stimme ich Herbsts Ausführungen in dieser Hinsicht zu. Und ein Auschnitt bei 3sat, El Mocho, sagt gar nichts über ein Werk aus, so wie auch eine Kunstpostkarte von einem Gemälde nichts über das Bild sagt, außer daß man sieht, was da gemallt ist. Niemandem muß alles gefallen. Aber um dieses bloße Gefallen geht es in der Kunst nicht und in diesem Sinne ist einer wie Murray Ausdruck des banausischen Bewußtseins.

  40. @Bersarin, Alban Nikolai Herbst, El_Mocho

    1) El_Mocho, Ihr Argument ist besser ls Ihr Beispiel, oder wenigstens das,was Sie aus Ihrem Beispsiel machen. Dass Alban Nikolai Herbst im schwer dräuneden Heavy Metal Stahlgewitter mit ausgerechnet Hitler gegen Sie um die Ecke kommt ist ja an sich auch schon wieder ein ästhetisches Statement, eben durch die Art, wie es vorgebracht wird, und seiner vermeintlichen politischen Eindeutigkeit natürlich zum Possen.

    2) Dennoch ist derlei – ich sag mal: Unsinnig, und man sollte sich in zivilen Umebungen soviel Zurückhaltung immer abfordern, Herr Herbst, dass man sein Gegnüber nicht mit derlei Invektiven kommt.

    3) Das ist jetzt Klein-Klein, Bersarin, und die Tücke bei solch‘ nickligem Diskurs ist, dass er tendenziell alle Teilnehmer beschädigt.
    Die Kunst hat viele Aufgaben, na sicher und mit die edelsten sind zu erfreuen und zu nützen, wie die Alten schon sagten. Und in anderen Kontexten würden Sie keinen Augenblick zögern, derlei richtig zu finden. Es macht aber nicht alles der Kontext. Also gehen Sie bitte, nicht mit so stumpfen Speeren auf El_Mocho los.

    Ein Wort zum Sonntag noch, in dieser Sache: Man soll trennen (analysieren), sagte – – – – – – Hans Georg Gadamer ab und zu mal, na sicher. Aber man soll auch zusammensehen (=synthetisieren). Und Odo Marquart, den mit Gadamer vieles verbindet, kleidete diese Idee in die Fassung, dass nicht alles kritisch (=analytisch) zu betrachten sei, und dass es durchaus auch eine Leistung darstelle, die Welt in all‘ ihrer wuderbaren Vielfalt überhaupt gelten zu lassen (= zu verschonen).

    Ich will mal so sagen: Hier auf dem Blog herrscht in der Grundfrage, die Sie in Ihrem obigen trefflichen Aufsatz, Bersarin, in dessen Umkreis wir uns hier so gedankenreich versammeln, angeschnitten haben, doch weitgehend Einigkeit, dass nämlich der linksbestimmte Zeitgeist sozusagen eiert und wie in Ihrem überzeugenden Beispiel und dem tatsächlichen, allerliebsten Alter Ihrer Protagonistin zuwiderlaufend – dass also, sag‘ ich, derlinke zeitgeist oft sehr alt aussieht und einer rostigen alten Felge gleich in Richtung Diskursmüllhalde dahintorkelt.

    Und ich finde, das, diesen Konsens, das entscheidende, bitte. Und die ihn umgebenden Differenzen weniger wichtig als aben genau den.

    Man soll seine Bestände im Blick haben, und man soll auch diskurs-emotional und ddiskurs-ethisch sowieso nicht über die Nervenkraft des jeweiligen Gegenübers hinausgehende Belastungen in die Welt feuern. Dies heißt nämlich in meinem bescheidenen Verständnis, über seine Verhältnisse zu leben, also der Geselligkeit einen Tort zu tun.

    Davon aber lebt – nicht zuletzt das hier, Bersarin, Ihre kleine (sie verzeihen) Gegenwelt nämlich. Arbeiten wir daran; in jener edlen Gesinnung, die im Gegenüber nicht zuallererst – – – -: – – – – Das Monster sieht, sondern doch lieber, mit Schiller, die Spielgefährten, oder, von mir aus, mit Jagger/Richards: Die Partners in Crime.

  41. „Das ist jetzt Klein-Klein, Bersarin, und die Tücke bei solch‘ nickligem Diskurs ist, dass er tendenziell alle Teilnehmer beschädigt.“

    Das ist es eben nicht: sondern diese Dinge hängen, wie der dialektische Teufel auch, am Detail: hier geht es um etwas Ganzes, nämlich, daß einfach irgendwelche Behauptungen in den Raum gestellt werden, und dies geschieht ohne jegliche Kenntnis der Materie und ohne weitere Begründung außer dem Rekurs aufs Gefühl und dann zugleich wieder in einer solchen Allgemeinheit, daß damit alles und zugleich nichts gemeint ist. Da geht dann freilich auch das nötige Differenzieren dann flöten. Genau dieses Differenzieren und die begründende Sicht aber wurde hier von mir und Alban Nikolai Herbst aufgezeigt. Im übrigen bauen Sie hier ein Strohmann-Argument auf: Zentral ist immer noch die Aussage von Murray und von El Mocho. Wer die eigenen Voraussetzungen zum einzigen Horizont der Auslegung eines Kunstwerkes macht, hat vorn vornherein kein Interesse an einem Dialog mit dem Werk und er verabsolutiert zudem dogmatisch seine Sicht als Auslegung – ganz besonders fällt mir dies bei diesem Leichtgewicht Murray auf. Dies ist hier immer noch der Ausgangspunkt der Debatte. Solche Fehlstellung und solche dogmatische Verabsolutierung mag vielleicht nicht einmal aus böser Absicht heraus geschehen und einfach dem intellektuellen Leichtsinn geschuldet sein. Aber das ändert nichts an der Struktur der Aussage. Und wer dann gegen ein Werk ohne Angabe von Gründen und wie ich vermute auch noch ohne Kenntnis desselben derartige normative Aussagen tätigt, muß sich dann halt auch solche Entgegnungen anhören.

    „Aber man soll auch zusammensehen (=synthetisieren).“

    Auch dieser Satz trifft nicht den Bezug hier und worum es geht. Das Synthetisieren und die Ebene auch des Gefühls ist kein Freibrief fürs Schwadronieren über eine Sache, von der man wenig versteht. Mir kommt solches Verhalten vor, wie Leute, die Einsteins Relativitätstheorie dadurch „entkräften“ wollen, indem sie einfach auf ihr eigenes empirisches Zeitbewußtsein verweisen. Auch das funktioniert nicht in dieser Weise. Und es ist auch nicht so, daß in der Ästhetik alles mögliche erlaubt ist zu behaupten. Sehr wohl kann man mit Gründen über die Qualität einer Inszenierung streiten. Aber jemand, der auf einen Ausschnitt verweist und ansonsten nichts weiter als ein Ressentiment dazu äußert: das ist keine adäquate Grundlage für eine Debatte.

    „durchaus auch eine Leistung darstelle, die Welt in all‘ ihrer wuderbaren Vielfalt überhaupt gelten zu lassen (= zu verschonen).“

    Da sind Sie nun aber widersprüchlich, Dieter Kief. Erst kritisieren Sie Herrn Herbst für dessen Vergleich, und nun fordern Sie plötzlich die wunderbare Vielfalt ein. Lieber Herr Kief, Argumente sind keine Echternacher Springprozession und auch kein Verschiebebahnhof, wo man sich immer das heraussucht, was einem gerade gefällt. Also entweder kann dann auch Herr Herbst in seiner Diktion das so meinen oder er kann es nicht. Zumal Herr Herbst sein, zwar sehr harsches und von mir so auch nicht unbedingt geteiltes Urteil immerhin begründet hat und also nicht einfach nur in einer bloßen Empfindung stehengeblieben ist. (Was das Problematische bei einem solchen Rekurs auf bloße Empfindungen in der Kunstbetrachtung und in bezug auf den eingeschränkten Referenzrahmen ist, darauf wies ich oben hin.)

    Und wenn Sie auf Gadamer und Marquard verweisen, dann handelt es sich hier immerhin um gestandene Theoretiker/Philosophen, die in Sachen Kunst einiges aufzuwarten hatten – auch an Argumenten. Ob man die nun für plausibel und richtig hält steht, auf einem anderen Blatt. Aber zumindest überlassen sich beide nicht dem, was Hegel das Gären des Gefühls nennt. All diese Dinge, die ich hier anreiße sind übrigens ganz wunderbar beim Meister selbst in seiner „Phänomenologie“ in unterschiedlichen Konstellationen ausgefaltet.

    Was den eiernden Zeitgeist betrifft, so ist das etwas, das ich auf vielen Seiten beobachte. Ich greife, da im Kulturbetrieb eine gewisse linksliberale Sichtweise dominiert und bestimmte Dinge einfach geschnitten oder vernichtet werden – ich weise hier auch unbedingt auf ANHs Ausführungen gerade zu diesem momentan herrschenden Gender-Gaga hin

    https://dschungel-anderswelt.de/20181106/pelle-peau-haeutungen-differenz-geschlechter-feminismus-matriarchat-patriachat-begehren-dichtung-maennlichkeit-poesie/

    Was Sie zu jener Gesinnung des Gesprächs schreiben, Dieter Kief, da gebe ich Ihnen ganz recht. Man nehme nur, um sich das zu veranschaulichen, Goethes Novellensammlung „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“, wo sich ebenfalls ein Kreis gebildet hat. Dennoch ist dies zum einen kein Freibrief und auch hier und in solchen Gesprächen zählt das Argument und nicht das bloße Empfinden.(Es mag ja die Kunst auf manchen so wirken, nur ist das eben leider auch das Vorurteil, das sich einfach nur Bahn bricht und sich installieren will. Davon ab, daß solche Empfindungen nur eine sehr begrenzte Reichweite haben und das diese derart häufig gehörte Vorurteil über die Kunst einfach nur ermüdend ist.)

    Und mein Rat geht insofern an El Mocho und an Leute wie Murray: Man sieht ungleich mehr und vielfältiger, wenn man so wenig wie möglich eigene Voraussetzungen an ein Werk trägt und die dann auch noch zum Maßstab der Kritik nimmt und gleichsam normativ ausfährt. Unter diesem Maßstab nämlich kann das Werk gar nicht anders als scheitern.

  42. Im übrigen ist ja gerade die meine eine mitunter sogar rigide auf Form und Formung beharrende künstlerische Position, auch auf Erkennbarkeit der Formen, mithin auf Handwerk – etwas, das mir nun wirklich nicht viele Freundinnen und Freunde oder gar öffentlichen Zuspruch bringt, ebenso wenig wie meine Bemühungen um ein neues gutes Pathos jenseits der Mainstreambegehren (in der populären Musik wurde und wird nach wie vor Pathos ja gerne genommen).
    Übrigens „kam“ ich nicht mit Hitler; wenn schon, wäre Goebbels der Name, sondern mit der Ähnlichkeit mit einer „gesunden Volksverfaßtheit“, in die sich seinerzeit der Begriff der „Entarteten Kunst“ geradezu einfläzen konnte – und das, was ihm folgte. Herr Bersarin hat deshalb recht, von Strukturen zu sprechen, die hier ganz unabhängig von den Regierungsformen wirken, die über sie gestülpt sind.

  43. @ El_Mocho, Bersrin, alban Nikolai Herbst

    Ja alles klar Bersarin, aber der arme Douglas Murray und El_Mocho sind von mir ja oben durchaus kritisert worden, dann kam aber mein d e n n o c h – aus sozusagen grundätzlicher Sympathie. Ich wiederhole mich: Ich teilte Ihre Kritik, Bersarin, an Murray, sagte aber dann, dass ich sicher sei, dass mir Murray dennoch näher stehe, als der derzeitige linksliberale regressive Mainstream.

    Das war mein Punkt: Meine Hoffnung, wenn Sie so wollen, dass Murray durch seine offensichtlichen Fehler hindurch auf meine (und Ihre) Einwände zu blicken bereit sein könnte. Und jetzt sag‘ ich das Nämliche auch von El_Mocho, und da ist meine Hoffnung sogar noch einen Tick begründeter, weil es nicht ausgeschlossen ist, dass El_Mocho meine obigen Fortentwicklungen der von ihm zitierten Positionen Murrays gelesen hat. Wäre dem so, – – – : – – – so hätte er sie gelesen, und nicht widersprochen. Und das mag meine zarte Hoffnung dann ja auch nähren.

    Nicklig fand ich, dass Sie das uralte delectare und prodesse als Aufgabe der Kunst nicht mehr gelten ließen, und so zumindest indirekt eine Art ästhetischer Jungfrauengeburt vor meinem inneren Auge ins Leben wuchteten. Gucken Sie’s noch mal oben nach: Ich meine, da seien Sie, wer weiß im debattierenden Overdrive, über dieses althumanistische Fundament, das ich hier, Settembrini gleich doch noch immer aufs Allerentschiedenste zu verteidigen mich anschicke, Ihrerseits nun doch ein wenig eilfertig hinweggehüpft.

    Ok, Herr Herbst, Göring, nicht Hitler: Es war trotzdem das falsche Kaliber, wieich finde. Zumal der Unterschschied, worüber wir uns vermutlich wieder einig sind, sicher keiner um Ganze ist.

  44. Sich durch Argumente überzeugen zu lassen, halte auch ich für einen wesentlichen Bestandteil einer Debatte. Womit ich beim zweiten Aspekt bin:

    „Nicklig fand ich, dass Sie das uralte delectare und prodesse als Aufgabe der Kunst nicht mehr gelten ließen, und so zumindest indirekt eine Art ästhetischer Jungfrauengeburt vor meinem inneren Auge ins Leben wuchteten.“

    Es geht hier nicht darum, daß jemand vor einem Kunstwerk etwas empfindet, sondern um die normative Wertung, die aus einem diffusen Gefühl heraus gesetzt wird und dazu noch: verabsolutiert wird und mit einem allgemeingültigen Anspruch vorgetragen wird. Oder um es mit Hegel in seiner Kunstvorlesung von 1823 zu schreiben:

    „Wenn man sich also auf diese Gefühle in Rücksicht auf die Kunst einläßt, so befindet man sich bei etwas inhaltslosem Allgemeinen. Der eigentliche Gehalt des Kunstwerks bleibt außerhalb solcher Betrachtung oder ist nicht, was er sein sollte. Die Hauptsache: Das Gefühl ist subjektiv, das Kunstwerk aber soll ein Allgemeines Objektives [zum Inhalt] haben. Es anschauend soll ich mich darin vertiefen, mich darüber vergessen, und im Gefühl ist immer nur meine Besonderheit erhalten. Und darum fühlen die Menschen gerne. Das Kunstwerk, die religiöse Betrachtung muß die Besonderheit vergessen lassen. Bei der Betrachtung mit der Empfindung wird nicht die Sache selbst betrachtet, sondern das Subjekt in seiner Besonderheit ist darin erhalten, und deshalb hat diese Betrachtung ein Langweiliges durch die Aufmerksamkeit auf seine kleinliche Besonderheit; solche Anschauung hat ein Widriges.“ (Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Kunst 1823)

    Dabei geht es Hegel hier nicht darum, das Gefühl als solches zu eskamotieren, sondern lediglich die Verabsolutierung solchen Gefühls gerät in die Kritik. Zumal wenn von diesem Standpunkt des rein Subjektiven auch noch gewertet wird. Super oder Pfui sind keine ästhetischen Begrifflichkeiten, die etwas übers Werk sagen, sondern sie weisen lediglich auf den Zustand des Subjekts.

    Es geht mir hier also nicht um irgendeinen Overdrive, sondern um konkrete Bezüge und ebenso um Fehlstellungen in der Betrachtung von Kunst. Die Hegel gut nennt.

  45. Mal eine Frage: Wodurch unterscheiden sich Kunstwerke von Nichtkunstwerken? Dadurch, dass sie in einer Gallerie an der Wand hängen oder auf der Bühne eines Theaters stattfinden?

  46. Nein, nicht einfach durch den Ort. So leicht ist es nicht. Daß Kunstwerke einen Ort oder eine Medium brauchen, in dem sie sich realiseren, ist nur die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung, weshalb ein Werk Kunst ist. Wenn eine klägliche Laienspielgruppe auf der Bühne des Burgtheaters spielt, ist diese Aufführung nur aus diesem Grunde noch keine Kunst. Arthur C. Danto geht dieser Frage zur Kunst, in „Die Verklärung des Gewöhnlichen“ nach und zwar vor dem Hintergrund des Urinals von Duchamp und von Warhols Brillo-Boxen. Beide Objekte unterscheiden sich kaum von Alltagsgegenständen, sind also fast identisch und sind es in ihrem ontologischen Status dennoch nicht.

    Und prominent kann Adornos Ästhetik insgesamt als den Versuch gelesen werden, materialiter zu bestimmen, was ein Kunstwerk zu einem gelungenen Kunstwerk macht.

  47. Es gibt auch einige, gar nicht wenige Beispiele, in denen der Kunstrang, also d a ß es Kunst sei, erst lange nach Ableben der Künstlerin, des Künsters erkannt wurde. Weshalb das so ist, habe ich in meinem Aufsatz zu Katharina Schultens in de Zeitschrift >>>> Die Wiederholung ausgeführt. Demnächst werde ich diesen Text auch in Die Dschungel einstellen, zumal sich gerade eine Debatte um notwendige oder eben nicht notwendige Kriterien entspinnt, die ich gerne dokumentieren möchte.
    Eines der schlagendsten Beispiele ist sicherlich Kleists Penthesilea, die erst sechzig Jahre nach Kleists Tod uaufgeführt wurde; aber auch Proust hat für seine Recherche zeitlebens keinen Verlag gehabt, sondern sie erschien alleine als Privatdruck. Anderes verkaufte sich einfach nicht, etwa Kafka, so daß der berühmte Kurt-Wolff-Verlag ihn „ausmustern“ mußte. Vielen Malern, etwa van Gogh – in seiner Kunst damals ungefähr so „skandalös“ wie heute Bieito. Man könnte geradezu eine Enzyklopädie der erst zu einer späteren Zeit „erkannten“ Künstler zusammenstellen.

  48. Interessante, wenn auch zuweilen etwas anstrengende Diskussion.

    Das Dilemma der „modernen“ Kunst respek. Literatur liegt eben darin, dass „Gefühle“ eben doch immer mehr herangezogen werden und zwar im Bereich der politischen Äußerung bzw. der Moral. Somit changiert das Geschmackskriterium (welches ja, wie dargelegt, keinerlei Aussage über das Kunstwerk beanspruchen kann) zum Gesinnungskriterium. Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Das ist nicht etwa ein Fehler des Künstlers, sondern fast immer beabsichtigt. Wo die ästhetische Wahrnehmung und der Diskurs darüber nicht mehr stattfindet (höchstens noch in schnellverstaubenden Universitätsarbeiten), muss der Künstler eine andere Aufmerksamkeitsebene finden. Die politische Gesinnung immunisiert ihn dabei; gerne übrigens garniert mit einem zünftigen Skandal. Man wagt somit einen Ai Weiwei, der doch so ein ‚tapferer Widerständler‘ ist (Ironie jetzt beendet) für seine Geschmacklosigkeiten oder nichtigen Werke nicht zu kritisieren. Und wer möchte schon der Spielverderber sein?

    Die zumeist politisch konnotierte Verbotschaftung von Kunst und Literatur ermöglichst erst das Banausentum beispielsweise von jemandem wie dem Kommentator El_Mocho. Und dabei handelt es sich nicht um eine Minderheitenmeinung. Den potentiellen Rezipienten wurde sukzessive die Ästhetik ausgetrieben. An deren Stelle tritt Moral, Politik – oder, noch einfacher, die schiere Aufmerksamkeitsökonomie. Im Kunst- wie im Literaturbetrieb darf man schließlich auch das Netzwerk in Verbindung mit Medien nicht vergessen. Erst durch die Medialisierung von Schaffenden entsteht der Künstler. Es ist eben ein Unterschied ob Herr Koons etwas herstellt oder Herr X. Herr X ist ein niemand ohne Fürsprecher. Sein Pech.

    Oben steht, ein Kunstwerk sei kein Produkt aus dem Supermarkt, welches Erwartungen zu fügen habe. Das ist zu unterstreichen. Aber gerade der Kulturbetrieb macht es zum Erwartungsgegenstand (politische Aussage!); der Kunstmarkt zum Handelsprodukt (s. hier).

    Meine These: Die Leute haben verlernt, Kunst wahrzunehmen. Stattdessen werden sie mit Bedeutungen infiltriert, die ihnen Interpretationen liefern. Wer diese Bedeutungen nicht nachvollziehen kann oder will, schüttet schnell das Kind mit dem Bade aus.

  49. Danke für diese letzten beiden instruktiven Kommentare. Gerade der Hinweis auf die Zeitgebundenheit, die Verzögerung, mit der manche Wirkung einsetzt, ist zentral. Symptomatisch geradezu bei dem großen Modernen Kleist, der seine Zeit weit voraus war, und in anderem Sinne vielleicht bei Hölderlin.

    Auch was Gregor Keuschnig zu dieser unsäglichen Moralisierung und der simplen Politisierung der Kunst schreibt, teile ich. Auch was Sie zum Kulturbetrieb schreiben. Ja, die Wahrnehumg von Kunst wäre zu schulen. (Und auch das geht eben nicht, indem ich über ein Werk twittere und irgendwelche mehr oder minder flotten Sentenzen in den Raum setze.) Die Beziehungen in einem Kunstwerk zu realisieren braucht eben Zeit. Eine kostbare Ressource, die man sich erkämpfen muß. Und vielleicht ein neues Privileg.

  50. So neu auch nicht, Herr Bersarin. Denken Sie an die Arbeiterbildungsvereine der 20er des letzten Jahrhunderts, auf die u.a. Negt und Kluge in ihrem nach wie vor spektakulären „Geschichte und Eigensinn“ hingewiesen und auch die Interdependenz von Bildungsprozessen und industrieller Notwendigkeit aufgezeigt haben. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war es nötig, daß die Arbeitenden auf der Höhe der Zeit waren, kurz: gebildet; die sich in der Digitalisierung dann vollendende Maschinisierung der Gegenwart braucht eben das n i c h t mehr. Im Gegenteil. Jemand, der überlegt, was sie oder er tut, wenn sie oder er ein Knöpfchen drücken, kostet Zeit, schmälert also den Gewinn. Es s o l l deshalb nicht mehr überlegt werden. Es sind unsere Zwanzigerjahre quasi das industrielle Gegenteil der seinerzeitigen. Genau dies macht sich jetzt bemerkbar – schon seit längerem, aber. Die konservative Klage über den Bildungsrückgang ist nicht ohne ein Recht. Hinzu kommt die von Flusser erklärte Ablösung des Wortes durch das (digitale) Bild, das zwar auch Erklärungsmuster kennt, aber keine sprachlich deduzierbaren mehr. Sie werden vielmehr unmittelbar erkannt oder eben nicht erkannt.

  51. Ich würde es vielleicht nicht ganz so pessimistisch sehen, da diese Digitalisierung ebenso Vorteile bietet und theoretische auch neue Möglichkeiten des Lernens eröffnet. Aber in der Tendenz stimme ich Ihnen zu, vor allem, was die Zerstreuung und die leichte Konsumierbarkeit anbelangt. Und das sind dann Aspekte, die sich auch in der Kunst und der Kunstkritik widerspiegeln.

  52. Hegel kam nicht auf die Idee, Bersarin, „delectare et prodesse“ – zu erfreuen und zu nutzen, also den althumanistischen Ästhetik-Grundsatz schlechthin, irgend anzweifeln zu wollen. Insofern liegen Sie oben mit Ihrer Idee, die Kunst gehorche keinerlei Zwecken, nicht ganz richtig und insofern reden El_Mocho und sein Gewährsmann Douglas Murray zwar wie Naive, aber nicht wie Barbaren, bitteschön.

    Was nicht hinreichend zur Sprache kommt ist die Kunst als welterschließende Kraft. – Ich habs oben bereits angeschnitten, ich meine das sei neben der Freude und dem Nutzen, den sie stiftet, ebenfalls eine wichtige Funktion der Kunst.

    Noch wegen Hegel: Der war der Meinung, dass die beste Kunst schon längst gemacht war – nämlich von den Griechen. Marx hat sich diesem Verdikt Hegels angeschlossen, übrigens. Insbesondere die Romantiker passten ihnen beiden nicht wg. – „Progressivität“ – i. e. sinnlich/ästhetischer Verlotterung (= Entgeistung).

    Oskar Negt blickt im Übrigen kaum als Ästhetiker auf die Welt, dieser Bereich ist gegen ihn glaub‘ ich nahezu vollkommen abgedichtet. Derlei ist Negt sehr fremd, aber ok, da ist Kluge, und da ist die Soziologie und wohl auch die Pädagogik als Negts Betätigungsfelder.

  53. Das Nützen und Erfreuen ist vielleicht nicht barbarisch, aber es ist, sofern Sie es hier auf El Mocho und Murray beziehen, der „Schulfall von Banausie“, um mit Adorno zu sprechen. Nützen und erfreuen können formschöne Autos oder ein feiner Wohnzimmerschrank oder ein kühles Bier, aber bei der Kunst der Gegenwart ist die Sache deutlich komplexer. Und selbst für das 18. und 19. Jahrhundert wurde dieses „Prodesse et delectare“ zur spießbürgerlichen Phrase. Wer Nutzen und Freude haben will, sollte besser einen Waldspaziergang tun. Genau diese Kritik Hegels gegen ein unvermittelen „Prodesse et delectare“ findet sich in jenem Zitat oben, das ich brachte. Es veranschaulicht in nuce Hegels Kritik an einer Kunst, die nur Gaumekitzel sein will. Deshalb schließt Hegel die sinnliche Seite der Kunst nicht aus. Aber er betrachtet sie doch in Relation und nicht als Selbstzweck.

    Weiterhin habe ich nicht geschrieben, daß die Kunst keinerlei Zwecken gehorcht. Insofern haben Sie anscheinend immer noch nicht mein Argument verstanden. Bitte beziehen Sie sich auf das, was ich schrieb und bauen Sie nicht eine eigene Konstruktion oder weichen aus. Weshalb die Positionen von Murray und El Mocho haltloses Zeug sind, schrieb ich oben. Da ändert auch Naivität nichts daran und macht die Sache um keinen Deut besser. Einem Arzt, der nicht weiß, was er tut und Ihnen statt des Blinddarms das Bein abschneidet, würden Sie sicherlich ebenfalls nicht mit dem Hinweis auf dessen Naivität entschuldigen.

    „Noch wegen Hegel: Der war der Meinung, dass die beste Kunst schon längst gemacht war – nämlich von den Griechen.“

    Nein, das sagt Hegel so ganz und gar nicht. Sie geben hier Hegel verkürzt und damit entstellt wider. Ebenso Marx, der allerdings keine Ästhetik schrieb oder Vorlesungen über Kunst hielt, insofern ist der Rekurs auf Marx unpassend.

    Hegel bindet das Lob der griechischen Kunst an deren gesellschaftliche Funktion und an die vollendete Vermittlung bzw. die Übereinstimmung von Bedeutung und Gestalt. Diese war als Harmonie und Schönheit in der Antike gegeben. Und in bezug auf diese Vermittlung sieht er einen Unterschied zwischen der Gegenwart seiner eigenen Zeit und der der Griechen. Dies Sicht Hegels ist eine Differenz ums ganze zu dem von Ihnen ausgeführten. Die Kunst hat nicht mehr jene stiftende Funktion, wie sie es in der griechischen Antike besaß. Das heißt aber nicht, daß die beste Kunst bei den Griechen war. Was heute bzw. für Hegels Gegenwart allerdings nicht mehr möglich ist, ist diese Form von Schönheit wie sie die Antike hervorbrachte. Das Beispiel dafür ist Jesus, der kaum als Apollon oder als Herkules in einer Skulptur oder in einem Bild dargestellt werden kann. Hier in der romantischen Kunstform kommt qua Hegels Geistbegriff, ein völlig anderes Prinzip von Geist und von Subjektivität zum Tragen. Es ist also eine funktionale Differenz im Kunstwerk, aber keine qualitative, daß die neue Kunst schlechter wäre. Solche Sätze finden sich bei Hegel nicht.

    Hegel ist geradezu das Gegenteil eines Klassizisten. Der Großteil seiner Vorlesungen widmet sich der romantischen Kunstform: also jener Kunst, die zu keiner harmonischen Einheit mehr fähig war. Hegel erkennt, insbesondere in seiner Rechtsphilosophie diese Moderne wie auch deren Entzweiungen vollständig an: Es gibt bei Hegel kein: Früher war alles besser. Diese Funktionsänderung von Kunst kann man sehr gut in der Enzyklopädie nachlesen, im Kapitel zum absoluten Geist, weshalb der der Kunst neben der Religion als Reflexionsmedien auf Gesellschaft nicht mehr die Funktion zukommen kann, die sie in der griechischen Antike besaß. Dies hat mit der Ausdifferenzierungen der Moderne zu tun und diese können von der Kunst nur partiell noch erfaßt werden: einzig die Logik des Begriffs, also die Philosophie ist in diesem Feld noch imstande, diese Arbeit zu leisten. Und in diesem Funktionssinn ist dann auch Hegels These vom Ende der Kunst zu begreifen. Ende nicht ihrem Dasein nach, sondern ihrer Substantialität für eine komplexe Gesellschaft. Darin ist Hegel absolut modern, damit ist er Habermas näher als Adorno. Die Kunst als welterschließende Kraft kommt genau hier bei Hegel zur Geltung, etwa indem er die Kunstformen ausfaltet, und gleichzeitig auch ihre für die Moderne nur noch eingeschränkte Reichweite, was ihr – ironischerweise – gerade ihre Autonomie sichert. Interessant in diesem Kontext auch Hegels Lob der Holländischen Genremalerei und von Goethes „West-östlichem Divan“.

  54. Das klingt für mich immer noch nach des Kaisers neue Kleider. Es gibt also kein auch nur plausibles Kriterium, um Kunstwerke zu identifizieren; also entweder die Zeitgenossen sind unfähig, den Wert eines Werkes einzuschätzen und erst die Nachwelt vermag es (warum eigentlich finden dann Leuet wie Bieito aktuell solchen Anklang?). Kunstwerke haben einen „anderen ontolgischen Status“ als Objekte des Alltagslebens, an den man offenbar glauben muss wie an die Umwandlung der Hostie in Leib und Blut Christi, der ja auch nicht wahrnehmbar ist. Bzw. man muss sich auf das Werk einlassen, den „Prozess der Kunstbetrachtung“ vollziehen. Was ja wohl nur bedeuten kann, dass man es sich halt zu Gemüte führt, das Buch liest, die Musik anhört usw. Selbstverständlich, aber wenn sich dann eben nicht die Anagnorisis einstellt sondern nur spöttisches Gelächter darüber, dass sich gebildete Menschen sowas mit ernstem Gesicht anschauen können, was dann? Ist das Ressentiment?

    Es ist ja immer wieder so, dass die Künstler auf Sex oder Gewalt zurückgreifen, also auf elementarste menschliche Gefühle, die eigentlich niemand kalt lassen können. Offenbar sind sie nicht mehr in der Lage, eine Reaktion beim Betrachter auf andere Weise hervorzurufen; schwaches Bild verglichen mit Thomas Tallis.

  55. Übrigens stammt das Zitat von Douglas Murray nicht aus einem Buch über Kunst, sondern aus einer Streitschrift gegen Massenmigration und Islamisierung.

    Das Kapitel über Gegenwartskunst stellt eine Analyse der geistigen Hintergründe der aktuellen politischen Situation dar. Woher kommt diese eigenartige Unfähigkeit, die eigene Kultur zumindest genauso zu schätzen wie die der Zuwanderer, sprich des Islam? Und da stellt sich die Kunst als Ausdruck des gleichen Geisteszustandes dar.

    Wer es toll findet, wenn auf der Bühne Körperflüssigkeiten vergossen werden oder gefoltert wird, der kann doch eigentlich die islamische Scharia nicht ablehnen. Ehe mit neunjährigen Mädchen, abgehackte Hände und Köpfe, das kann doch eigentlich nur ein Gähnen des Ästheten hervorrufen.

  56. Lieber Herr El Mocho, Sie kennen sich tatsächlich nicht aus. Daß auf Sex und Gewalt zurückgegriffen wird, stimmt einesteils, andernteils durchaus nicht immer; und es hat namenrtlich schon im Barock gestimmt – denken Sie nur an Grimmelshausen (aber auch an Gesualdo, also noch vor dem Barock; außerdem ist die uns aus Urzeiten überkommene Kunst ebenfalls von Sex und Gewalt bestimmt, ob die figurlichen Darstellungen aus der Frühzeit, ob quer durch die Antike. Eine Seite Homer reicht vollkommen.
    Und selbstverständlich gibt es Kriterien; die sind aber am jeweiligen Kunstwerk zu bestimmen, mit dem man sich eben beschäftigen muß, bevor ein Urteil gefällt wird. Sie hingegen, El Mocho, führen Geschmacksbefindlichkeiten einer Zeit ins Feld, die de facto vorüber.Eben dies läßt Ihre Aussagen nicht als konservativ erscheinen, sondern macht sie deutlich reaktionär.

  57. „aber wenn sich dann eben nicht die Anagnorisis einstellt sondern nur spöttisches Gelächter darüber, dass sich gebildete Menschen sowas mit ernstem Gesicht anschauen können, was dann? Ist das Ressentiment?“

    Man kann es auch Blödheit nennen oder Horizontverengung – das ist mir ganz gleich. Stichwort: Wenn der Affe in den Spiegel guckt, schaut kein Apostel heraus. Insofern ist in der Betrachtung und Lektüre von Kunst nichts mit Vorurteilen und dem eigenen Referenzrahmen getan, den man ans Werk heranträgt und wo man sich dann hinterher wundert, daß nichts anderes herauskommt als hineingetan wurde. Davon ab, daß Du hier mal wieder Deinen eigenen Maßstab von Ergriffenheit verabsolutierst.

    Daß das Murray-Zitat aus jenem Buch stammt macht das Zitat nicht besser und nicht wahrer. Ich würde sogar sagen: Ganz im Gegenteil.

    „Woher kommt diese eigenartige Unfähigkeit, die eigene Kultur zumindest genauso zu schätzen wie die der Zuwanderer, sprich des Islam? Und da stellt sich die Kunst als Ausdruck des gleichen Geisteszustandes dar.“

    Dein Fehler liegt darin, daß Du dogmatische Setzungen einführst und diese einfach als wahr voraussetzt. Das sind sie aber nicht, und schon gar nicht in einer derart simplen Pauschalisierung.. Solche Annahmen sind unlogisch und durch nichts gedeckt. In dieser Verabsolutierung von privaten Befindlichkeiten gleichst Du übrigens fatal jenen Studenten von der Alice-Salomon-Hochschule, die das Gomringer Gedicht wegmachen wollen und anderen Kunststürmern. Die machen ebenfalls ihr eigenes Befinden zum Maßstab, der für alle gelten muß. Gleiches gilt für den letzten Satz Deines Kommentars. Und wie immer kannst Du diese Non-Sense-Kausalität, die Du da erzeugst natürlich durch nichts belegen. Und genauso kann man dann schreiben: Wer solche Sätze formuliert, der wählt auch die NPD. Vielleicht entdeckst Du nun selbst, wie strunzdumm solche Bezüge sind, die Du hier insinuierst. Wenn nämlich diese Deine Logik des Verdachts, die sich übrigens auch bei den PC- und den Critical-Whitesness-Leuten findet, stimmig wäre, dann kann man qua Verfahren des Fehlschlusses genauso Deiner Aussage mit allem möglichen Dir Unangenehmen konnotieren. Zumindest aber sieht man hier, wie identitäre Linke und Islamophobe ganz ähnliche Schlußketten benutzen.

  58. Mit El Mocho verhält es sich wie mit Catos „Ceterum ceno Carthaginem esse delendam“: Ganz egal worum es geht, er stellt immer einen Bezug zu seinem dumpfen und platten Antiislamismus her.

  59. Welche dogmatischen Setzungen führe ich ein? Wie ist es denn mit dem angeblichen ontologischen Sonderstatus der Kunst, ist das keine dogmatische Setzung? Philosopghische Ästhetik arbeitet meistens mit solchen Setzungen. Adorno z.B. lehnt so ziemlich alle modernen Komponisten einfach ab, die nicht der Schule von Arnold Schönberg mit seiner albernen Zwölftonmethode angehören. Musik von Anton Webern hört eigentlich kaum jemand, und von Schönberg eigentlich nur seine frühen, in traditioneller Tonalität geschriebenen Werke. Komponisten, deren Musik auch weniger Gebildeten gefällt, Rachmaninoff, Strawinsky, Sibelius, Ravel, fallen allesamt der Verachtung anheim. Welche Willkür.

    Im übrigen fordere ich keine Zensur, ich möchte nur nicht von staatswegen gezwungen werden, dieses Zeugs auch noch zu finanzieren. Mal sehen, wer sich Folter auf der Bühne anschauen will ohne staatliche Subventionen, für 150 € pro Ticket.

    Und was die Kausalität zwischen ästhetischem Relativismus und Islamophilie bzw. Rassismus gegen weiße Menschen angeht, reicht es eigentlich, eine beliebige Sendung von „Kulturzeit“ anzuschauen; da findest du immer wieder vereint die modernen Inszenierungen, die Popmusiker, die nur drei Akkorde spielen können, die Rassismusvorwürfe gegen jeden der meint, die Probleme der III. Welt seine nicht dadurch lösbar, dass alle ihre Einwohner in Europa aufgenommen werden, und die Hinweise auf die großartige islamische Kultur, die allem überlegen ist, was Europäer jemals geschaffen haben. Mag ja sein dass das nur eine Koinzidenz und keine Kausalität ist, aber aufffällig ist es schon.

    @Che: Im Augenblick gibt es vermehrt Versuche, islamische Privatschulen zu gründen, nach Geschlechtern getrennt. Es bestehen da größte Bedenken auf Seiten der Politik, da die Antragsteller ziemlich suspekt sind, aber es sieht aus, als könnte man es ihnen nicht verweigern.
    Natürlich bin ich dagegen, du nicht?

  60. Indem Sie das klassische delectare et prodesse ablehnen, lehnen Sie, anders als Hegel, wichtige Zwecke der Kunst ab, ich sags jetzt mal so, Bersarin.

  61. Auch hier, Herr El Mocho, liegen Sie komplett falsch – aber s o w a s von falsch. Ich meine Ihre Äußerungen zur (Neuen) Musik. Zwar ist es wahr, daß die serielle Schule, etwa Darmstadts, durch ihren Dogmatismus nahezu elitär, im schlechten Sinn, wurde und deshalb breite Hörerschaften verlor – eine Entwicklung, die ungefähr mit Schönberg begann -, aber nur solange der Dogmatismus ideologischen Bestand hatte. Bereits in den Achtzigern änderte sich das fundamental. Ich erinnere mich sehr gut an die Serie „Open wide ears“ in der Frankfurtmainer Oper. Da war es fast nicht möglch, kurzfristig mehr Karte zu bekommen. Es war die große Michael-Gielen-Zeit, wir Studenten pilgerten geradezu dort hin, und nicht nur die des Philosophikums, nein, das ging querbeet, Und auch das recht kommode, schwierige Frankfurter Bürgertum tat es (und schnappte uns oft die Karten weg).
    Ähnliche Entwicklungen gab es auch in anderen Städten Deutschlands. Da ich in die Szenen der Neuen Musik randständig zwar (ich sagte rundweg, Sibelius zu schätzen, besonders aber Britten – beide Komponisten waren von etwa Adorno übel behandelt(, immerhin aber doch integriert war, kann ich das ganz gut beurteilen. In Berlin, als ich hierher kam, gab es irre volle Aufführungen von Zender, von Rihm, von Bernd Alois Zimmermann sowieso (Soldaten), von Lachenmann, von besonders auch Scelsi. Es waren für das Publikum E r e i g n i s s e – und sind es noch heute.
    Übrigens spürt einen enormen Rückgang an Zuspruch vor allem die Kammermusik, und zwar völlig egal, ob von sogenannten klassischen (: ein komplett falscher Begriff) Komponisten oder ob von sogenannten modernen. Hier liegt die eigentliche – bislang jedenfalls – Tragödie des Musikbetriebs, und sie geht mit dem, was Sie zu Neuen Musiken verzapfen, in ihren Gründen parallel: Notwendigerweise ist Kammermusik, ob „neu“, ob „alt“, auf Konzentration angewiesen und eignet sich per se nicht zum „Event“.
    Wieso nun aber ausgerechnet auch Strawinsky und Ravel der Verachtung anheim gefallen seien, ist mir besonders schleierhaft. Woher nehmen Sie diesen schreienden, Verzeihung, Blödsinn? In Frankfurtmain steht frisch ein hochdiskutierter Oedipus Rex mit der hinreißenden Asmik Grigorian auf dem Spielplan, und das Konzerthaus Berlin wartet im März mit einem sechs(!)tägigen Festival für diesen Komponisten auf, der gerade auf die Neue Musik extrem gewirkt hat und zugleich auch breiteren Schichten präsent blieb und ist.
    Und woher haben Sie diesen Quatsch? „die Hinweise auf die großartige islamische Kultur, die allem überlegen ist, was Europäer jemals geschaffen haben“ – wer, bitte, sagt das? Tatsache ist, daß der fundamentalistische Islam selbst gegen die eigene Kultur vorgeht. Wesentliche Elemente gab nämlich die, nicht unähnlich dem sephardischen Judentum, der anhebenden Entwicklung der europäischen Kunstmusik erst bei; man kann sagen, ohne jene wäre diese gar nicht möglich gewesen. Daß sie sich dann, anders als islamische Dichtung, nicht weiterentwickelte, steht auf einem anderen Blatt, das aufzuschlagen hier nun wirklich zu weit führen würde.
    Unterm Strich bleibt, daß Ihr scharfes Ressentiment – gefällig ist, selbstgefällig und somit unbereit, etwas anderes überhaupt wahrzunehmen als das, was Sie sowieso schon zu wissen meinen. In der Tat, was wollen dann Sie in einem Konzerthaus, einem Museum, einem Theater? Völlig in Ordnung, niemand muß hin – aber öffentlich dann Urteile zu fällen, müßte Ihnen doch selbst, sofern Sie wenigstens Erziehung genossen, ausgesprochen peinlich sein.

  62. Pingback: Wichtige Diskussion zur neuen Kunst bei Bersarin. Anläßlich eines Buches von Monika Rinck. | Die Dschungel. Anderswelt.

  63. „Woher kommt diese eigenartige Unfähigkeit, die eigene Kultur zumindest genauso zu schätzen wie die der Zuwanderer, sprich des Islam? Und da stellt sich die Kunst als Ausdruck des gleichen Geisteszustandes dar.“

    Merkst Du es? Soll ich noch mehr Deiner Sätze hier einstellen? Du ergehst Dich in Behauptungen, für die Du keine Begründungen lieferst. Du stellst einen Satz in den Raum, der durch nichts als Deine Privatempfindung gedeckt ist. Insofern gehst Du genau so vor wie die identitätspolitische Gegenseite, die in kritischen Aussagen grundsätzlich Rassismus wittert. Und was Du machst, ist ein typisch rechtsextremes Phänomen auch: Nämlich durch ad-nauseam-Wiederholungen Themen zu setzen und zu forcieren. Und diese Deine Rhetorik mache ich hier für alle sichtbar, damit man formal sehen kann, wie diese Art des Denkens strukturiert ist.

    „Wer es toll findet, wenn auf der Bühne Körperflüssigkeiten vergossen werden oder gefoltert wird, der kann doch eigentlich die islamische Scharia nicht ablehnen.“
    Non sequitur. Woher nimmst Du diese unsinnige Ableitung? Genauso könnte man dann schlußfolgern: Wer solche Sätze schreibt, wählt die NPD.

    „Adorno z.B. lehnt so ziemlich alle modernen Komponisten einfach ab, die nicht der Schule von Arnold Schönberg mit seiner albernen Zwölftonmethode angehören. “

    Wo schreibt er das? Kannst Du mir bitte diese These belegen oder ist auch dies wieder eine Deiner dogmatischen Setzungen? Ironie der Sache: Du fragst, wo Du solche Setzungen vornimmst und tust dies in einer Tour. Im Gegensatz zu Dir übrigens begründet Adorno seine Thesen, weshalb es in der Sicht auf ein Kunstwerk Unterschiede gibt und weshalb es in der Struktur gelungene und weniger gelungene Werke gibt, während es bei Dir so ist, daß Du behaupten mit gelten verwechselst. Du kannst nicht einmal ein Argument anführen, weshalb Adornos Kritik problematisch ist, sondern setzt auch hier wieder Deine Sicht absolut. Und da Du grundsätzlich unfähig bist, inhaltliche Kritik zu bringen, ist es dann auch unsinnig, solche Fragen zur Kunst oder auch zu der in der Tat problematischen Frage der Migration zu debattieren. Du produzierst pauschale Sätze und Du verwechselst die Dauerwiederholung mit Argumentieren.

    Ähnliches gilt für den onotologischen Status. Wie Du nachlesen kannst, habe ich diese These oben ausgeführt. Nachzulesen im Kommentar vom 19.11., um 10.14 Uhr. Sofern Du dagegen Einwände bringen kannst, dann formuliere sie. Dogmatisch gesetzt ist dort gar nichts, sondern es wird der Unterschied zwischen zwei ähnlichen Gegenständen beschrieben, die dennoch einen ganz anderen Seinsstatus besitzen. Und diese These ist durch die Empirie gedeckt.

    „ich möchte nur nicht von staatswegen gezwungen werden, dieses Zeugs auch noch zu finanzieren.“

    Steuern sind etwas, das in verschiedenen Bereichen eingesetzt wird. Und dafür ist es unerheblich, ob Du das gut oder schlecht findest. Mancher würde es vielleicht vorziehen, daß Steuergelder nicht in Rüstung oder Polizei verschwendet werden. Und die Subventionierung von Theatern ist nicht damit verbunden, daß ein bestimmter Kunstauftrag erfüllt wird. Wir sind nämlich nicht mehr im Dritten Reich, wo das gesunde deutsche Kunstempfinden herrschte, und auch stehen wir zum Glück noch nicht unter einer AfD-Herrschaft. Lies im übrigen zur Kunstfreiheit mal im Grundgesetz nach, was dazu steht.

    Dein Problem, El Mocho, ist es, daß Du nicht argumentierst, sondern, wie auch in Deinem letzten Kommenar Deinen Ressentiments freien Lauf läßt. Du lieferst keine Begründung , sondern machst es genau wie die linken Bilderstürmer, die ihr persönliches Unbehagen und ihr Ressentiment zum Richtmaß machen und die fordern, daß man diese Sicht zu übernehmen habe.

  64. Ansonsten hat Alban Nikolai Herbst hier kluge und vor allem inhaltliche wie kompetente Ausführungen gebracht. Wofür ich sehr danke!

    @ Dieter Kief: ich lehne diese Prinzip nicht pauschal ab, sondern es geht hierbei um eine dialektische Sichtung einerseits und andererseits darum, daß dieses Prinzip kein Argument für die beliebige Sicht oder das Ressentiment ist. Ohne ein intuitives Moment beim Schauen von Kunst, wäre die Frage, wozu noch diese ganze Veranstaltung – etwas Ähnliches schrieb auch Adorno. Aber es läßt sich dieses Prinzip eben nicht verabsolutieren und als Letztes der Kunst setzen. Hier gilt: es ist AUCH eine Frage, aber nicht die einzige. Und aus diesem Erfreuen oder auch Ärgern kann als Movens oder als heuristisches Mittel die Kritik (im griechischen Sinne von krinein) entspringen, die sich eben rational gründet und sich nicht einfach auf ein vages Fühlen beruft. Ohne Lust ist auch Kunst leer. Aber die ästhetische Lust ist nicht alles.

  65. @“Das beste an den lächerlichen Banausereien des El_Mocho sind die Reaktionen darauf von Alban Nikolai Herbst.“ —– Kann ich nur voll und ganz unterschreiben.

  66. „Auch“, ganz genau, Bersarin.
    @ El_Mocho: Es macht für Ihre Position glaub‘ ich nix, wenn Sie dieses auch akzeptieren.
    Wie ich schon oben sagte: Ich meine, für Douglas Murray wäre dieses „auch“ kein Problem. Bei vielen Linken sieht das aber entschieden anders aus.

    Wer war das denn wieder, der kürzlich Mühl aber sowas von wegputzte wegen Köperflüssigkeiten und missbräuchlicher Verwendung etwelcher ihm treu zu Füßen liegender Teenager usw.? – Peter Sloterdijk, der überaus umsichtige Sloterdijk-Rezensent Gregor Keuschnig wirds wer weiß grad auch erinnern! Früher war das Peter Iden, der so entschieden gegen Körperflüssigkeiten-Kunst zu Felde zog – hie und da durchaus mit Bezug auf Adorno, der Professor Iden, eh kloa! – Ich hätte den Schalm wegen marcuse abgelehnt, bzw. unter Verwendung einer ziemllich trefflichen Marcuseschen formel, und die will ich Euch genre überliefern, einfach so, sie handelt explizit von der „repressiven Entsublimierung“. das gibts natürlich. ebenso wie die represive Verscheuklappung von allem und jedem, was nicht rückhaltlos pro Multi-Kulti sich ausspricht wie es – hoffentlich nicht merh allzulang… – – die Linke tut.

  67. Bersarin: „(…) habe ich nicht geschrieben, dass die Kunst keinerlei Zwecken gehorcht“.
    Nein, haben Sie nicht, aber das da haben Sie geschrieben, und darauf habe ich mich bezogen, als ich sagte, Sie sähen die Kunst-Dinge zu eng: „Und ebenso zur Aufgabe: Ein Kunstwerk hat gar keine Aufgabe.“
    Pardauz! Das ist als Maximalposition richtig, aber n i c h t richtig in tauseden anderer Fälle, und es bringt nix, Laien wie El_Mocho (oder Murray) mit der Maximalposition zu behelligen nach dem Motto: Wer solch‘ Krudes Zeug redet und nicht einmal meine Maximalposition versteht, ist ein für allemal erledigt. Ist er nicht. Sind sie nicht.

    Man soll in Debatten einander freundlich begegnen. Wir sind hier ohnehin sehr unter uns. Eine winzige – winzige! – Schar. Ich treffe laufend auf Leute wie Sloterdijk und Peter Iden oder – – – – El_Mocho und Che2001…und ich finde das anregend, und keineswegs schlimm.

  68. @ Dieter Kief: Es geht nicht um die Thesen als solche, die El Mocho und Murray vertreten, sondern um die Pauschalform im Denken: daß diese These nämlich ohne jede inhaltliche Begründung und Fundierung an der Inszenierung vorgetragen werden. (Und ich verwette meinen Hegel darauf, daß El Mocho dieses Stück ledigkeich aus dem 3sat-Video kennt.) Was Sie an Begründungen für eine bestimmte Aufführungspraxis liefern, ist dann schon von anderem Niveau, und hier hat man eine Grundlage, um auf dem qualitativen Niveau der Ästhetik zu debattieren. Dies ist bei El Mocho nicht möglich. Und aus diesem Grunde zeige ich immer wieder auf, wo El Mochos Sätze nicht funktionieren. (Dabei spielen dann seine Überzeugungen keinerlei Rolle. Eben weil es reine Privatüberzeugungen sind und zumal sehr dicht daran, wie der Spießbürger sich Theater so vorstellt. Ohne auf die Notwendigkeit noch zuschauen, weshalb in einer Inszenierung bestimmte Effekte zum Einsatz kommen oder eben, ohne zu argumentieren, weshalb hier bestimmte Effekte überflüssig sind. Davon ab, Wer je öfter ins Theater geht, kann derartig viele und unterschiedliche Arten von Inszenierung sehen. Und da zeigt sich dann, daß das, was El Mocho schrieb, Unfug ist, wo eine Privatempfindung aufs Allgemeine hochgerechnet wird. Und genau da liegt das Problem und diesen logischen Denkfehler kann man markieren.

    Wenn man also über Kunst debattiert, dann muß man da an konkreten Werken tun. Und solche Sätze wie „Kleist kann eh nicht schreiben!“ sind Leerformeln. Da ist jedes Debattieren sinnlos und da zeige ich dann nur noch auf, weshalb solche Sätze in ihrer Struktur nicht valide sind.

    Ein Kunstwerk hat in dem Sinne keine Aufgabe, als es nicht dessen primäre Funktion ist, die Bedürfnisse des Rezipienten X oder Y zu erfülllen. Weshalb das so ist und was das mit der Referenzrahmenbestättigung zu tun hat, habe ich weiter oben ausgeführt.

  69. „Ähnliches gilt für den onotologischen Status. Wie Du nachlesen kannst, habe ich diese These oben ausgeführt. Nachzulesen im Kommentar vom 19.11., um 10.14 Uhr. Sofern Du dagegen Einwände bringen kannst, dann formuliere sie.“

    OK., dann schauen wir mal.

    „Daß Kunstwerke einen Ort oder eine Medium brauchen, in dem sie sich realisieren, ist nur die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung, weshalb ein Werk Kunst ist.“

    Die Werke realisieren sich nicht selbst, sondern der Künstler realisiert sie. Und er wählt auch das Medium.

    „Wenn eine klägliche Laienspielgruppe auf der Bühne des Burgtheaters spielt, ist diese Aufführung nur aus diesem Grunde noch keine Kunst.“

    Zustimmung. Allerdings könnte man auch sagen: Wenn Irgendein Hanswurst auf der Bühne des Burgtheaters Klassiker inszeniert, ist das deshalb noch keine Kunst.

    „Arthur C. Danto geht dieser Frage zur Kunst, in „Die Verklärung des Gewöhnlichen“ nach und zwar vor dem Hintergrund des Urinals von Duchamp und von Warhols Brillo-Boxen.“

    Das Buch kenne ich nicht und kann dazu also auch nichts sagen. Allerdings finde ich den Hinweis: Wenn du dich zu X äußerst, solltest du erstmal Y gelesen haben (und am besten auch noch Z und Z1 und Z2…) als wenig hilfreich, könnte ich auch jederzeit zurückgeben in Form von Leseempfehlungen, die ich für förderlich hielte, um dein Verständnis zu verbessern. Bringt also nichts.

    „Beide Objekte unterscheiden sich kaum von Alltagsgegenständen, sind also fast identisch und sind es in ihrem ontologischen Status dennoch nicht.“

    Da widerholst du nur deine Behauptung. Aber wie ich mich dieses angeblichen besonderen ontologischen Status vergewissern kann, weiß ich immer noch nicht. Empirisch fassbar ist er jedenfalls nicht, bleibt also im Bereich des beliebigen. Zumindest müsstest du dieses „fast identisch“ erklären. Worin liegt es? I rest my case.

    Nun ist es ja nicht so, dass es nicht Ansätze gäbe, die Besonderheit von Kunstwerken rational und nachvollziehbar zu erklären.

    Im Bezug auf Poesie hat das z.B: Roman Jakobson probiert:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Roman_Ossipowitsch_Jakobson#Jakobsons_Beitrag_zur_Literaturwissenschaft_und_Poetik

    Der seinerseits zur Gruppe der russischen Formalisten gehörte, die von den Kommunisten frühzeitig vernichtet wurde:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_Formalismus

    Ich will das jetzt nicht als den Stein der Weisen in der Ästhetik propagieren, aber es zeigt doch, dass eine rationale Analyse von Kunstwerken möglich ist, die sich nicht in metaphysischem Geraune erschöpft.

    In diesem Zusammenhang möchte ich noch mal auf das Buch „Hass auf die Massen – Intellektuelle 1880 – 1939“ von John Carey hinweisen, dass ich wohl schon einmal hier erwähnt habe, sehr gut resümiert hier: https://blog.litteratur.ch/WordPress/?p=7931

  70. Ein kleiner Seitenblick zur Auflockerung: https://www.monopol-magazin.de/magnus-resch-erfolg-kunstmarkt-studie

    PS: Mit Bourdieu im Gepäck ließe sich argumentieren, dass Kunst durchaus Aufgaben hat, unter anderem die Herstellung von Distinktion. Wie sich an dem Gespräch hier beobachten lässt, funktioniert das nach wie vor hervorragend. (Das macht Argumentation auch ziemlich sinnlos, weil Argumente keine Identifikation aushebeln, erst recht nicht, wenn sich die Identität noch mit Ressentiment wappnet.) A propos: Neben Waldorfschulen dürften Kunsthochschulen eine der Bildungsinstitutionen mit dem mit Abstand geringsten Anteil von Kindern aus Nichtakademikerhaushalten sein (und das bei bereits eh nur jämmerlichen ca. 12% Bildungsdurchlässigkeit in DE, als einem der diesbezüglichen Schlusslichter in Europa).

  71. „Ich will das jetzt nicht als den Stein der Weisen in der Ästhetik propagieren, …“

    Keine Sorge, El Mocho, Deine bisherigen Ausführungen haben dies bisher nicht nahegelegt oder irgendjemanden annehmen lassen, daß Du hier Substantielles zu Fragen der Kunst beizutragen hättest. Eher im Gegenteil.

    „es zeigt doch, dass eine rationale Analyse von Kunstwerken möglich ist, die sich nicht in metaphysischem Geraune erschöpft.“

    Wo zeigt es sich? Bei Dir zumindest war davon bisher nichts zu sehen und zu lesen. Und das sinnfreie Hineinposten von unbezüglichen Links macht es ebenfalls nicht besser, sondern weist nur darauf, daß Du von der Materie weniger als nichts verstehst. Zum übrigen:

    „Die Werke realisieren sich nicht selbst, sondern der Künstler realisiert sie. Und er wählt auch das Medium.“

    Zum einen ist das keine Antwort auf meinen Satz, sondern hier stellst Du einen anderen Kontext her, der mit einer ganz anderen Frage zusammenhängt. Insofern ist diese Erweiterung sinnlos. (Davon ab, daß sich dadurch nichts am Sinne meines Satzes ändert.) Es geht bei den Brillo-Boxen als Kunstwerken im Gegensatz zu Alltagsgegenständen der gleichen Art nicht darum, daß sie Warhol gemacht hat – genauso gut könnten sie von Hein Holz oder von Kai Klotz stammen. Sondern die Frage ist, weshalb sie als Kunstwerke nicht unterscheidbar sind von ganz identischen Boxen, die keine Kunstwerke sind. Egal ob diese Dinger nun Warhol oder Kai Klotz geschaffen haben. Deshalb eben: Das Kunstwerk und nicht der Künstler. Davon ab, daß Du auch hier wieder an der Problemlage vorbeizielst.

    „Wenn Irgendein Hanswurst auf der Bühne des Burgtheaters Klassiker inszeniert, ist das deshalb noch keine Kunst.“

    Genau das schrieb ich gerade. Und noch einmal: Um zu zeigen, daß ein Werk mißlungen ist, muß Du zeigen, wo und weshalb es mißlang. Und das geht nicht in der Weise, wie es die Gedichtstürmer der Alice-Salomon-Hochschule machen, indem sie sich, so wie auch Du, auf das lockere Bauchgefühl berufen.

    „Das Buch kenne ich nicht und kann dazu also auch nichts sagen.“

    Es ist ein in den Debatten eigentlich bekanntes Buch. Aber wenn, wie es bei Dir den Anschein hat, die basalen Kenntnisse in Fragen der Ästhetik fehlen, dann ist es allerdings relativ sinnlos, diese Dinge hier mit Dir zu debattieren. Und im übrigen zeigen diese Unkenntnis auch Deine teils naiven bzw. dumpfen, von Ressentiment getragenen Einwände.

    „Da widerholst du nur deine Behauptung. Aber wie ich mich dieses angeblichen besonderen ontologischen Status vergewissern kann, weiß ich immer noch nicht.“

    Und das wirst Du auch niemals wissen. Zumal ich es für sinnlos halte, Dir eine Einführung in Danto und die Philosophie zu liefern. Man müßte da auf sehr niedrigem Niveau beginnen. Aber vielleicht kommst Du ja sogar durch Selbstdenken darauf, weshalb sich Brillo-Boxen von Warhol von Brillo-Boxen in einem Geschäft unterscheiden. Du kannst auch gerne ein Urinoir nehmen. Ich fürchte nur es kommt auch dabei nur der Alice-Salomon-Mocho heraus.

    „Nun ist es ja nicht so, dass es nicht Ansätze gäbe, die Besonderheit von Kunstwerken rational und nachvollziehbar zu erklären.“

    Das bestreitet auch niemand und das ist hier auch nicht die Frage. Sondern vielmehr, und da wären wir dann beim Verschieben von Torpfosten, sind hier immer noch Deine Ressentiments das Thema. Gründe für Deine Urteile konntest Du bisher leider immer noch nicht liefern. Insofern ist es dann auch unerheblich, was Danto schreibt, sondern zunächst einmal bist Du für Deine Thesen begründungspflichtig. Nicht mehr, nicht weniger.

    Und nun noch die Abschlußfrage, um die es hier ja geht: Wann und wo und welche Aufführung von Calixto Bieitos „Tannhäuser“ hast Du eigentlich genau gesehen?

  72. @ brsma: Daß Kunst auch die Aufgabe haben kann, Distinktionen herzustellen, ist richtig, heißt aber nicht, daß dies ihre einzige Aufgabe ist. Und es heißt auch nicht, daß dies notwendig so sein muß. Allerdings haben sich diese Dinge in den letzten 30 Jahren drastisch entwickelt.

    Daß der Kunstmarkt undemokratisch ist, will ich doch stark hoffen. Und auch die Kunst. Aber wir können natürlich gerne auch dort noch Quoten einführen. Aber Spaß beiseite: Daß Kunst auch ein Markt ist, heißt nicht, daß Kunst sich im Markt erschöpft. Die Probleme mit dem Kunstmarkt sind allerdings erheblich. Gerhard Richter erzielt weiterhin Höchstpreise und wie mancher junge Shootingstar – sei das in Literatur oder Bildender Kunst – hochgetrimmt wird, darüber kann man sich in der Tat Gedanken machen. Am besten durch immanente Kritik, indem man sich ins Werk begibt und schaut. Aber man sollte in diesen Fragen zugleich ökonomische von ästhetischen Kriterien trennen: ein überteuertes Bild, das zugleich auch noch sozialen Status erzeugt, kann immer auch zugleich ein hoch gelungenes Kunstwerk sein. An der Qualität von Picassos „Les Demoiselles d’Avignon“ ändern auch exorbitante Preise nichts. Gesellschafts- und vor allem kapitalismuskritisch argumentieren in diesen Dingen einer falschen Ästhetisierung von Lebenswelt unter unterem Merz und Seeßlen in ihren Büchern, wenn sie zeigen, inwiefern insbesondere bildende Kunst und der Neoliberalismus gut miteinander verquickt sind. Ebenso Gernot Böhme in seinem Buch „Ästhetischer Kapitalismus“, wo es um die Ästhetik der Ware und eine auch qua Kunst betriebene Übertünchung der Warenform geht.

  73. @El Mocho: „OK, wir sind beide gegen geschlechtergetrennte islamische Privatschulen. Warum ist das bei mir plumper, platter Antiislamismus und bei dir nicht?“ ——- Weil Du alles über Deinen antiislamischen Leisten schlägst und Du es schaffst selbst eine Kunstdebatte zu diesem Thema zweckzuentfremden und Du von einem Kollektiv „Die Muslime“ ausgehst das es so nicht gibt. Wenn etwa Familienehen, von Dir fälschlicherweise Großfamilien genannt von Dir prinzipiell signifikant für „die Muslime“ und tatsächlich sind sie ein Spezifikum der Armutsbevölkerung des Maghreb und Afghanistans aber auch bestimmter Kaukasus- und in der Vergangenheit -Alpentäler und ländlicher Regionen Westfalens, Hessens und Niedersachsens. Für Dich ist ein genuin soziales Phänomen eines das einer religiösen Gruppe zugeordnet wird. Und Deine Muslim-Zuordnungen werden völlig hinfällig wenn man sie auf die Nation of Islam in den USA, Uiguren in China, die Indonesier und Malayen oder die palästinensische Diaspora in Südamerika anwendest. Was Du meinst wenn Du Muslime sagst sind Teile der Bevölkerungen des Maghreb, Ägyptens, der arabischen Halbinsel unfd Westasiens ohne Rücksichtnahme darauf dass da auch Christen, Drusen und Mandäer bei sind. Du baust Dir ein sehr grob geschnitztes Klischee und schreibst diesem kollektive Eigenschaften zu. Das ist Rassismus in Reinform, etwa auf dem Niveau wie „Katholiken sind von geringerer Bildung und insbesondere mit geringeren Rechenleistungen ausgestattet als Protestanten oder Buddhisten“ und man machte das an Erhebungen an der sizilianischen Landbevölkerung fest.

  74. OK, ich halte fest: Du kannst nicht sagen, worin denn eigentlich der ontologische Sonderstatus der Kunst besteht, und formuliere mal meinerseits einen Gegenthese:

    Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich Kunstwerke als solche in irgendeiner signifikanten Weise von Objekten oder Ereignissen des Alltagslebens unterscheiden. Sie sind allerdings in einer Weise strukturiert, die besondere psychologische Effekte beim Betrachter hervorrufen, und diese Strukturen sind durchaus analysierbar, wobei Psychologe wahrscheinlich mehr leistet als Philosophie.

  75. @Che: Das Kollektiv der Muslime gibt es immer dann, wenn es darum geht, Forderungen zu stellen, z.B. als Grundschullehrerin Kopftuch tragen zu dürfen oder während des Ramadan auf Klassenarbeiten zu verzichten, um muslimische Schüler nicht zu benachteiligen (Ähnlich wie Feministinnen immer dann genau wissen, wer Frau und wer Mann ist, wenn es darum geht, Forderungen zu stellen). Wenn es darum geht, Forderungen der Gegenseite abzuwehren, muss immer aufs genauste differenziert werden. Eigentlich eine ziemlich durchsichtige Strategie; ich verstehe nicht, warum Lute wie du das nicht durchschauen.

  76. El Mocho, lenk hier nicht vom Thema ab, im Sinne einer Beweislastumkehr! Zunächst einmal bist Du hier für Deine kruden Behauptungen beweispflichtig. Und wenn Du Belege für Deine Sätze geliefert hast, dann können wir gerne die Debatte über Warhol und Duchamp und den Status eines Kunstwerkes führen, das genauso aussieht wie ein gewöhnlicher Alltagsgegenstand. Ich fürchte nur, nach Deinen bisherigen Ausführungen, daß Du auch in diesen Dingen kein kompetenter Gesprächspartner auf Augenhöhe bist. (Aber es steht Dir natürlich frei, die Leser hier vom Gegenteil zu überzeugen.)

    Nachweise für all Deine Behauptungen hast Du bisher nicht geliefert, sondern Du berufst Dich, nicht anders als die Gedichtstürmer der Alice-Salomon-Hochschule und andere Kunstbanausen, die nach bösen Wörtern in Texten fahnden, auf Dein Bauchgefühl und Deine „psychologischen Effekte“. Und wie nicht anders zu erwarten sonderst Du auch dabei wieder und weitere unbelegte Vermutungen ab. Mit anderen Worten, Dir geht es, wie auch anderen Internet-Trollen, um ein durchschaubares Agenda-Setting und das Hineinstreuen von Meinungskorridoren mit dem Gedanken „Irgendwas wird bei den Leuten schon hängenbleiben“.

    „Der Kenner und Liebhaber moderner Kunst steht meilenweit über den ungebildeten Massen, die Zeitung lesen und Radio hören und ihm einen gradezu physischen Widerwillen erregen.“

    Und auch hier wieder: Sinnfreies ohne Beleg. Kein ernstzunehmender Kritiker und Theoretiker denkt in dieser Weise. Das System El Mocho ist es, daß Du nicht argumentierst und Deine Behauptungen mit Inhalten fülllst, sondern Vulgärvorstellungen von Kunst produziertst und zudem noch Psychologie mit Kunstkritik verwechselst.

    Auch vermisse ich immer noch Deine Antwort, wo und wann Du Calixto Bieitos „Tannhäuser“ gesehen hast. Darauf müssen wir ebenfalls zu sprechen kommen. Also noch einmal, El Mocho: Beziehe Dich bitte auf die hier zur Debatte stehenden Fragen und komme nicht mit immer neuen Volten und Wendungen, wo natürlich auch DER Islam dann noch untergebracht werden muß.

  77. „Das Kollektiv der Muslime gibt es immer dann, wenn es darum geht, Forderungen zu stellen, z.B. als Grundschullehrerin Kopftuch tragen zu dürfen oder während des Ramadan auf Klassenarbeiten zu verzichten, um muslimische Schüler nicht zu benachteiligen.

    Auch hier wieder die El Mocho-Logik: „alle“ mit „einigen“ zu verwechseln. Sag mal, bist Du tatsächlich so deppert,daß Du diesen Unterschied nicht realisieren kannst, obwohl man Dich wiederholt darauf hinwies oder ist das rhetorischer Trick, in der Absicht „Steter Tropfen höhlt den Stein“? Das würde mich schon interessieren.

  78. Willy, bisher las sich das bei Dir niemals so als ob sich ein Kollektiv der Muslime bei bestimmten Gelegenheiten einstellte – das wäre immer noch falsch – sondern als ob Deine Annahmen/Unterstellungen/Beschuldigungen für alle Muslime immer und überall gelten würden, und das fällt dann selbst hinter die Rassentheorien eines Eickstedt, Mühlmann oder Lenz zurück.

  79. Du Fu: „An den Dichter Pi Su Yao“

    Wir haben Talent. Man nennt uns die
    führenden Dichter der Gegenwart. Schade,
    unsere Häuser sind dürftig, unser Erfolg
    trivial. Hungrig und schlecht gekleidet
    strafen uns unsere Frauen mit Verachtung.
    In der Mitte des Lebens sind unsere
    Gesichter runzlig. Wer kümmert sich
    um uns und unsere Sorgen? Wir sind
    unser eigenes Publikum, jeder lobt die
    literarischen Qualitäten des anderen.
    Unsere Namen werden genannt
    zusammen mit denen großer Toter.
    Wir trösten uns gegenseitig. Bestimmt
    werden wir Nachfolger finden.

    Übertragen von Hans Christoph Buch

    Erstdruck in Hans Christoph Buch: „Kritische Wälder“. Essays, Kritiken, Glossen. Rowohlt Verlag, Reinbek 1972. Vergriffen.

    Von Hans Christoph Buch ist zuletzt erschienen: „Stillleben mit Totenkopf“. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 250 S., geb., 20,– €.

    Gedichtlesung: Thomas Huber

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/frankfurter-anthologie/gedichtlesungen/frankfurter-anthologie-thomas-huber-liest-an-den-dichter-pi-su-yao-15915724.html

  80. Manchmal ist das so. Das gute aber an der Ästhetik und den Diskursen der Kunst sowie der philosophischen Kritik: sie machen unsterblich.

  81. Das Internet ist zumindest ein Verstärker für Texte und damit fällt es ebenfalls in die Dialektik der Aufklärung. Viele können heute Kluges oder Dummes schreiben. Aber ob der Flut an Texten bleibt vieles zugleich ungelesen. Lesen qua Internet wird zu einer Nischensache.

    Das ist nicht per se gut oder schlecht. Die Frage bleibt ja, was man daraus macht und ob und wie eine Leserin oder ein Leser mit offenem und wachen Bewußtsein an die Sache herangeht. (Und so wandelt sich auch das Leseverhalten in Literatur: Wer greift heute noch zu Jean Paul? Im Zeitalter des schnellen Lesens halten solche wunderbar digressiven Sätze, die sich verströmen und verlieren, nur auf. Dabei gibt es von Jean Paul so viel zu lernen und mit Lust zu lesen. Das schöne an der Literatur ist ja: Es geht einem der kluge Lesestoff niemals aus.

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