Treffende Sätze (5) – Fetisch Pop

Jens Balzer schrieb in der „Berliner Zeitung“ über David Bowie:

„Seien wir mal ehrlich: Vieles von dem, was dieser Mann sich im Lauf seiner langen Karriere so angezogen hat, sah schon ziemlich bescheuert aus. Unter gar keinen Umständen sollte man beispielsweise in einem Pierrot-Kostüm mit einer betroddelten Schultütenmütze herumlaufen, weder auf einer Bühne noch in einem Videoclip oder sonst irgendwo; ein überproportionierter Overall aus Vinyl – selbst wenn er vom teuersten japanischen Couturier entworfen wurde – lässt noch den schönsten Mann wie ein mitleiderregendes Michelinmännchen erscheinen; und auch die bestgeschnittenen Herrenanzüge in der Farbe senfgelb machen vor allem eines: blass.

Und dann diese Haarschnitte. Unmöglich! In den prägenden Jahren seiner Karriere trug David Bowie fast durchgehend eine helmartig verfranste Vokuhilafrisur, an den Schläfen zu buschig und über der Stirn unansehnlich aufgepuschelt wie ein mit dürren Gräsern durchsetzter Moosklumpen, ein Stil, der zur Zeit seiner Entstehung und für einen Wimpernschlag der Geschichte lang eventuell geschlechtergrenzenüberschreitend gewirkt haben mag, der in den Jahrzehnten hernach aber vor allem von heterosexuellen Elektrotechnikingenieuren mit Mofaführerschein und zweifelhaftem Musikgeschmack imitiert wurde; man möchte da eigentlich gar nicht mehr hingucken heute.“

Ich sach mal so: Recht hat er. Doch selbst wenn Balzer nicht recht hätte, so ist es gut beobachtet. Ansonsten ist Balzer aber voll von Lob über dieser Ausstellung im Martin Gropius Bau.

Ich werde – naturgemäß – nicht hingehen, weil ich der Musik von Bowie nie viel abgewinnen konnte und ich zudem Warteschlangen nicht besonders schätze, in denen ich zwei bis drei Stunden anstehen muß. Und auch Tickets mit Zeitfenster sind meine Sache nicht, wenn das Fenster immer nur einen Spalt sich öffnet und dann wieder schließt, weil die Menschen ewig vor den Fetisch-Exponaten verharren, so daß auch bei diesen Tickets der Einlaß um einiges  sich verzögert. Mich erinnern solche Szenen eher an  die Passagen Adornos über die Kulturindustrie.

Schlimm allerdings sind Bowies Ambitionen in der Malerei: elender Eklektizismus, der nicht einmal mehr als genialer Dilettantismus sich kaschieren läßt. 60 Jahre nach dem Expressionismus gemalte Bilder, die aussehen, wie von Expressionisten gemalte Bilder, lassen nur schwer noch unter dem Etikett Kunstwerk sich verkaufen. Nicht einmal im Modus der Pop-Musik-Ironie. Insofern würde meine Besprechung dieser Ausstellung wohl vernichtend ausfallen. Nett gemalte Bilder im abgelebten Kunst-Sound, oder neutraler, des in der Zeit vergangenen Stils, weil es dem Zeitgeistausdruck dient: das ist nicht einmal mehr Geschmackssache, und so zeigt sich wieder einmal: es mag einer ein guter Musiker sein: ein guter Maler oder Prosaschreiber wird er dadurch nicht. Die Bedeutung Bowies für die Pop-Musik mag unbestritten sein. Ich kann das jedoch nicht angemessen beurteilen. Insofern bleibt Schweigen. Übermorgen folgt hier im Blog ein flüchtiger Blick auf die interessante und sehenswerte Ausstellung zu Hans Richter. Ebenfalls im Gropius Bau gezeigt.

10 Gedanken zu „Treffende Sätze (5) – Fetisch Pop

  1. Wer ist Imam? klingt wie ein moslemischer Geistlicher. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die öffentlich auf Männer stehen. Sofern sich Bowie in dieser Phase als Mann gesehen hat. (Hier ließe sich jetzt wunderbar gendern, vielleicht so wie Lann Hornscheidt: Professx für Gender Studies und Sprachanalyse am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien. Steht da so: Professx. Keine Satire. Wobei: Wenn ich mir die Photographie von Lann Hornscheidt ansehe, möchte ich nicht einmal mehr wissen, ob es eine Mann oder ein Frau ist. Irgendwie.)

    Meine erste LP war eine mit Kinderliedern. „Die Vögel wollten Hochzeit machen“, „Kommt ein Vogel geflogen“ und anderes, was Kinder mögen. Auf dem Cover war ein Mädchen mit blonden Zöpfchen zu sehen, das ein Puppe oder einen Vogel oder irgend einen anderen Gegenstand in der Hand hielt.

  2. Wenn das diese Schallplatte war, dann hatten wir einen gemeinsamen Erstling in unserer Sammlung;):
    http://www.hood.de/i/wenn-ich-ein-voeglein-waer-wilhelmsburger-kinderchor-falcon-lp–50030902.htm
    …Diese hatten allerdings meine Eltern besorgt.
    Meine erste selbsterworbene LP war „Grease“, welche ich mir nebst einem Riesen-Button (ca. 6 cm Durchmesser – damals nannte sich das „Plakette“) von John Travolta und Olivia Newton-John als Drittklässlerin zulegte.

  3. Nein, meine LP sah anders aus. Die erste selbsterworbene LP? Ich weiß es nicht mehr. Deep Purple glaube ich. Oder die Beatles. Nichts Aufregendes. Das erste Mal sollte eigentlich aufregend sein. Aber ich habe es vergessen. Mein erstes gekauftes Buch war Sartre, dann Marx. Daran erinnere ich mich gut. Das erste Mal.

  4. Mein erstes, selbstgekauftes Buch war glaube ich „Tim Thaler“:)

  5. Für mich war die Leihbücherei in der Kindheit ein Paradies. Mark Brandis: Commander Perkins; John Christopher: Die dreibeinigen Monster usw. uswf. Mit 10 oder 12 habe ich mich in die Erwachsenenabteilung getraut. Da es noch kein Internet gab, hatte ich keine heißen Lesetipps zur Hand. So habe ich mit dem Auswahlverfahren „geh am Regal entlang, streife mit dem Finger über die Bücher, bleibe unvermittelt stehen und nimm das gerade berührte Buch mit nach Hause“ direkt bei den ersten zwei Versuchen Kerouacs „On the Road“ und Lems „Solaris“ erwischt. Kerouac geht auch mit 10, „Solaris“ war interessant aber ein bisschen schwer verständlich. Drei Jahrzehnte und zwei Verfilmungen später habe ich „Solaris“ noch einmal gelesen – und genauso wenig verstanden. Ich vermute, es ist eine Parabel auf die völlige Unbrauchbarkeit der Neurowissenschaft für die Philosophie des Geistes.

  6. Früh haben Sie mit dem Lesen von Belletristik begonnen, eigentümliche Bücher haben Sie gelesen. Sie sind insofern der ideale Leser für diesen Blog.

    In der Leihbücherei war ich ebenso, sie war mein Lieblingsort. Mit 12 oder 13 las ich gerne Kriegsbücher aller Art, das paßte gut zu den Airfix-Soldaten und meiner Panzerarmee. Auch ich nahm – später allerdings – alles, was ich aus dem Bücherregal in die Finger bekam und habe es ruckzuck weggelesen.

    „Solaris“ ist eine Parabel über Liebe, Erinnern, Begehren und Schuld. In denke, man sollte Lars von Triers „Melancholia“ als Ergänzung oder Erhellung dazu sehen. Auch Ihre These, daß es eine Parabel über die Unbrauchbarkeit der Neurowissenschaften hinsichtlich einer Philosophie des Geistes ist, teile ich. Wahrscheinlich ist dies sogar ein ganz zentraler Aspekt. Lem war von der Tarkowskis Verfilmung übrigens ganz und gar nicht begeistert. Er lehnte sie rundheraus ab.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..