Berlinale 2024: Der neue Antisemitismus kommt aus dem Kulturmilieu. Er ist woke und migrantisch

Man kann es aber auch derart formulieren: Wer auf einem Filmfestival kritische Rassentheorie und Postkoloniales bestellt, bekommt kritische Rassentheorie und postkoloniale Minderware geliefert: die Ausschnitte aus dem prämierten Film über jene nach Europa geschafften, geraubten oder auch erworbenen Kunst-Werke aus Afrika sind mäßig und taugen allenfalls für einen Sendeplatz auf 3sat um 23:45 Uhr, aber sicherlich nicht für ein solches Filmfest. Bereits die Juryentscheidung für solche Filme spricht Bände. Und insbesondere dann die gestrige Preisverleihung. Gefälligkeitsurteile für die eigene identitäre Gemeinde. Bei Facebook wurde es treffend zusammengefaßt:

„Anstatt die Holocaust-Verharmlosung und den offenen Antisemitismus auf der Bühne zu verurteilen, spricht die Berlinale von „unterschiedlichen Meinungen“. Meinungen, die man übrigens niemals dulden würde, wenn es sich nicht um Judenhass, sondern Rassismus, Sexismus oder Homophobie handeln würde.
Was für eine Schande für Deutschland.
Man muss es so deutlich sagen: Auf den Bühnen der Berlinale wurden Reden geschwungen, die selbst auf einem AfD-Parteitag in Thüringen harter Tobak wären.
Beklatscht wurden sie von Kultur-Schaffenden, die sich rühmen, mutig gegen Diskriminierung aufzustehen. Aber bei Judenhass entweder sitzen bleiben oder mitklatschen.
Die Wahrheit ist: Antisemitismus hat einen Platz in Deutschland. Nicht nur irgendwo in den Rechtsaußen-Hochburgen Ostdeutschlands oder muslimisch geprägten Problemvierteln der Metropolen. Nein, der Antisemitismus sitzt in Deutschland in der ersten Reihe.“

Wenn eine Jurorin wie Véréna Paravel die Bühne für steindummen Aktivismus mißbraucht, um sich auf ihren Rücken den lächerlichen Slogan „Ceasefire now“ zu pappen, ohne daß dort steht „Free Gaza vom Hamas“ oder aber „Lasst die Geiseln frei!“, dann wird solche Forderung unglaubwürdig – und genau das sind jene „Elemente des Antisemitismus“. Und ein „Free Gaza from Hamas“ würde wohl auch empfindlich der Karriere von Véréna Paravel schaden.

Nein, wenn eine Terrororganisation wie die Hamas brutalste Verbrechen begeht, unter dem Jubel und unter Mitwirkung der Gaza-Araber, dann sind diese Leute keine Opfer, sondern zunächst einmal Täter. „Starting a war and losing it doesn´t make you a victim“, so läßt sich die Chose pointieren. Einen Waffenstillstand kann es nur geben, wenn die Hamas bedingungslos kapituliert. Gerne und schnell wurden die entsetzlichen Taten vom 7. Oktober verdrängt und vergessen. Und Sätze in der Art von „Das soll auf keinen Fall das Massaker vom 7. Oktober relativieren …“ wirken nicht glaubhaft, sondern vielmehr wie eine pflichtschuldige Übung, um den in der Kulturbranche grassierenden israelbezogenen Antisemitismus zu kaschieren. Die meisten seiern Unverbindlichkeiten ab und jene, die ansonsten um kein Wort und nie verlegen sind, noch beim kleinsten Gebrauch der falschen Pronomen und beim Mißgendern einen Scheißesturm zu entfachen, faseln plötzlich von Sprachlosigkeit. Warum sie sprachlos waren, möchte man lieber gar nicht erst eruieren. Vermutlich eher aus einer Freude heraus und nicht aus Solidarität mit Israel.

Die Statements dieser „Filmschaffenden“ sind klar und da läßt sich auch nichts an Entschuldigungen hinzudeuten – schon gar nicht, daß es unterschiedliche Meinungen gäbe, wie die entsetzlich einfältige und (auch heute auf Kulturzeit) sichtlich überforderte Mariette Rissenbeek mehrfach uns einzureden versuchte. Es gab auf der Bühne keinerlei Zeichen einer irgendwie gearteten Solidarität mit Israel und den immer noch gefangenen Geiseln. Am Rande nur: bei einer der befreiten weiblichen Geiseln wurden Spermaspuren von über 60 verschiedenen Männern gefunden. Hat irgendwer auf der Berlinale sich dazu geäußert? Nein. Ist von denen auf der Bühne jemand mit einer Kippa aufgetreten? Nein. Sondern mit diesem unästhetischen Terrorfeudel. Hat irgendjemand von diesen Lemuren gefordert, zunächst mal die Geiseln freizulassen und wurde dort die bedingungslose Kapitulation der Hamas als Voraussettzung gefordert? Nein. Hat irgendjemand von diesen Gestalten, die sich da mit öffentlichen Geldern gefördert auf der Bühne spreizen, sich zu blutig und totgefickten Frauen geäußert und zu Babys, die vor den Augen ihre Eltern mißhandelt, zerstückelt und umgebracht wurden? Nein. Wäre dies geschehen, hätte man über diesen Auftritt noch debattieren können. So aber nicht. Und wer Israel einen Apartheitsstaat nennt, da brauchen wir dann nicht weiter zu sprechen.

„27.000 zivile Tote“, so klagen manche. Von wem stammen diese Zahlen? Vom UNRWA, also dem verlängerten politischen Arm der Hamas? Sind in diesen Zahlen auch die Hamas-Terroristen eingerechnet, die nun einmal nicht an Militäruniformen zu erkennen sind, sondern die sich genau so wie Zivilisten kleiden und tarnen?

Wer wie die Hamas Zivilisten als Schutzschilde mißbraucht, so daß also durch die Hamas Zivilsten zu Tode kommen, und wer diesen Umstand nicht wenigstens mitnennt, der ist kaum in irgend einer Weise glaubwürdig zu nennen. Wer, wie die Hamas, aus der Menge der Zivilisten heraus israelische Soldaten tötet, die die Geiseln befreien und die Hamas ausschalten wollen und sich dann aber beschwert, daß da Menschen getötet werden, der ist ein Verbrecher und ein Lügner und Heuchler dazu. Und wer das beschweigt und beschönigt, der macht sich ebenfalls eines solchen Verbrechens mitschuldig, indem er es billigt. Wenn in weiß gekleidete und verschleierte „Frauen“, die wie Krankenschwestern aussehen, der IDF entgegenkommen und plötzlich ihre Verkleidung abwerfen und unter dem Gewand befinden sich Männer mit Waffen, die das Feuer auf die Soldaten der IDF eröffnen: Wie nennst man sowas? Verbrecher.

Fast noch schlimmer aber als diese entsetzlichen Wichte auf der Bühne sind jene Claquere im Publikum, die zu diesem Unsinn Beifall spenden, anstatt diesen Lemuren zu zeigen, wo der Hammer hängt. Es gibt die Kulturtechnik des Buhens, des Aufstehens und des Gehens. Im arabischen Raum wirft man mit Schuhen. Auch das würde dort gut verstanden werden.

Und ehrlich gesagt: wenn eine ganze Region am 7. Oktober gejubelt und auf den Straßen getanzt hat, dann hält sich mein Mitleid in Grenzen. Wer den totalen Krieg will, der bekommt ihn dann auch frei Haus geliefert. Das sollten wir Deutschen am besten wissen. Prägnant und kurz heißt es im Englischen: „Starting a war and losing it doesn´t make you a victim“.

Sehr treffen las ich heute auf Facebook: „Linke Parole heute: Idioten aller Länder, vereinigt euch!“ Es gibt leider nur wenige Ausnahmen in der Linken.

Der Mann dort auf der Photographie oben, Jay Jordan, zweiter von links, er würde bei den Gaza-Arabern ganz sicherlich ein wunderbares und friedliches Leben führen können. Und auch die Frau rechts, deren Namen wir getrost und besser vergessen können: Wäre sie mit einem solch freizügigen Oberteil durch Gaza-City spaziert, so hinge sie mit ihrem Kollegen Jay ziemlich schnell unter dem Jubel des Araber-Volkes an einem Laternenmast.

Und weil ich es nicht besser und treffender schreiben kann und damit ich mir zudem die Mühe der Schreibarbeit spare, zitiere ich hier gerne ein paar Stimmen. Chris Schinke etwa verweist bei Facebook auf jene leider inzwischen und oft in Vergessenheit geratene Kulturtechnik:

„Der gepflegte wie beherzte Buhruf zur rechten Zeit ist zu Unrecht zur geschmähten Kulturtechnik geworden. Dabei ist sein Ausbleiben an dringend angezeigter Stelle Ausdruck mangelnder Zivilcourage. Wer jedenfalls meinte, anlässlich der Gelegenheit gestern mitklatschen zu müssen, sollte wenigstens in Zukunft den Anstand haben, sich das allzu gerne besinnungslos vorgetragene »Nie wieder« zu verkneifen.“

Genau so ist es. Wer hier applaudiert und Akklamation spendet, ist mehr als nur ein Mitläufer. Jeder hat, wenn er schon nicht buhen mag, weil das seinem Wesen nicht liegt, immerhin die Möglichkeit aufzustehen und den Saal zu verlassen. Ist ja in letzter Zeit eh ein beliebter Slogan geworden: Aufstehen gegen rechts. Hier hat er dann mal im Blick auf Antisemitismus eine ganz konkrete Bedeutung.

Und auch im Blick auf die Filme und weshalb sie mit einem Preis ausgezeichnet wurden, läßt sich scharfe Kritik üben. Mein Verdacht geht dahin: es werden keine Werke, sondern es wird eine Gesinnung prämiert. Karl Kobs schrieb es wie folgt:

„Und dann kann sich bei der Berlinale auch die Gesinnungspreisträgerin Mati Diop den obligatorischen Schlusssatz zur Dankesrede „I stand with Palestine“ nicht verkneifen. Ihre brave Raubkunst-Doku war dann auch nach überwiegender Meinung von Kritikern und Fachpublikum künstlerisch eher ein Griff ins Klo, aber liegt voll auf der Linie der antiwestlich eingestellten Jury. Nichts gegen die Aufarbeitung von Raubkunst, sicher ein vielfach faszinierendes Thema, insbesondere wenn es um spirituell aufgeladene Objekte wie aus der Amazonasregion geht, wo beispielsweise die Ahnen eines Stamms in einem Kultobjekt wohnen, das in irgendeinem Archiv in Dahlem herumstaubt. Geschenkt, aber diese Preisverleihung folgt erneut der modisch-verzweifelten Linie einer bestimmten Kulturmafia, den Postkolonialismus zur beherrschenden Bewertungs-Instanz auch im Film zu etablieren. Wir sind also wieder mal bei documenta 15 und dem irren Versuch, die Welt in genau zwei Himmelsrichtungen zu unterteilen: einen unterdrückten postkolonialen Süden und einen ausbeuterischen sprachkolonialistischen Norden. Die Dummheit einer bestimmten Kultur-Linken ist grenzenlos wie das Weltall – und die Berlinale so was von im Arsch.“

Und er pointiert diese Berlinale und den dort zelebrierten Gaza-Kitsch wie folgt dann:

„Strunzdumme Filmemacher offenbaren ihr gefährliches Halbwissen über den Nahost-Konflikt, fühlen sich aber als „wichtige“ Künstler dazu berufen, ihre Meinung kundzutun – in pathetischen Botschaften und peinlichen Kufiya-Demonstrationen oder auf Zetteln am Rücken: Ceasefire now! Frenetisch beklatscht vom ebenso ahnungslosen Publikum. Leider wissen sie nicht, dass es ein Unterschied ist, ob man Künstler ist oder Kenner. Letzteres sind sie in der Regel nicht. Und so geht auch diese Berlinale an uns vorüber als peinliches Event der sentimental zur Schau gestellten Mitleids-Performance. Getreu der alten Hollywood-Regel: Seht her, wir sind zwar privilegierte Vertreter der Glamourbranche, aber das Elend der Welt lässt uns nicht unberührt – kurz bevor man dann zum Veuve Clicquot-Empfang mit Flying Buffets bei irgendeiner Produktionsfirma verschwindet.

Dabei darf man durchaus Mitleid mit den Menschen in Gaza haben. Der Fehler liegt nur darin, dass diese Protagonisten des falschen Mitgefühls sofort wissen, wer schuld ist: die Israelis – und nicht etwa die Hamas. Keiner von diesen Schmierlappen wie Ben Russell, Basel Adra, Guillaume Cailleau oder Véréna Paravel hat sich mt einer Israelflagge auf die Bühne gestellt, als Palästinenser in einem genozidalen Akt 1.200 Juden massakriert haben – und zwar nur aus einem Grund: weil sie Juden waren. Damals schwiegen sie und machten sich gemein mit der Drecks-Headline des Zeitmagazins: „Wir finden es nicht richtig, wenn man sich nur auf den 7. Oktober fokussiert.“ Fakt ist, dass es ihnen vollkommen egal ist, wer leidet. Hauptsache, sie können ihren pathologischen Judenhass als Teil ihrer edlen künstlerischen Gesinnung in die Feuilletons pressen.

Vor 20 Jahren war ich Chefredakteur des wohl wichtigsten Begleitmagazins der Berlinale, dem tip. Wir unterstützten das Festival mit Sonderheften, Vorabberichten, Rezensionen, Interviews mit Regisseuren und Schauspielern. Schon damals war es verwunderlich, dass das Publikum mit großen glänzenden Augen Schlange stand, um irgendeinen asiatischen Dokumentarfilm über das harte Leben kirgisischer Hirten mit usbekischen Untertiteln zu sehen. Filme, die ansonsten ignoriert wurden und den Rest des Jahres im Nischenprogramm der Off-Kinos verschwanden. Leider! Aber es ging nicht um die Filme, niemals und zu keiner Zeit. Es ging immer nur um die Show drum herum. Es war eben die Berlinale. Aber dieses Jahr ist es besonders schlimm. Schafft sie endlich ab!“

50 Gedanken zu „Berlinale 2024: Der neue Antisemitismus kommt aus dem Kulturmilieu. Er ist woke und migrantisch

  1. Ich stimme Ihnen völlig zu! Was für eine Begeisterung und Kontroverse diese Objekte(?) allerdings im Benin auslösen … manchmal frage ich mich, warum ich in Berlin lebe. Manchmal weiss ich darauf keine Antwort.

  2. Ich bin bei diesen Statuen unentschlossen. Zum einen muß man sehr genau die Hintergründe des Erwerbs kennen, zum anderen muß man sehen, was mit solchen Objekten geschieht, wenn sie zurückgegeben werden. Zwar ist das einerseits durchaus die Sache des Herkunftslandes, was sie mit den Statuen macht, andererseits sollte solches Kulturgut eben auch allen Menschen zugänglich sein.

    Mit etwas Zynismus könnte man nun sagen: Laß die Statuen doch zurückgehen! Innerhalb von zehn Jahren sind sie wieder in Deutschland, weil sie in Nigeria irgendwann auf dem Privatmarkt landen und zum Verkauf angeboten werden und dann von einem deutschen Unternehmen wieder erworben und mit etwas Glück sogar in einem Völkerkundemuseum wieder ausgestellt werden.

    Zu dieser Causa der Rückgabe etwa hier in der BLZ, Susanne Lenz, 17.05.2023 :

    „Nach Übereignung der Benin-Bronzen an den Oba: Britisches Museum stoppt Rückgabe Auch Sachsen will abwarten, bevor es weitere Bronzen zurückgibt – wegen des Erlasses des nigerianischen Präsidenten, der die Benin-Bronzen dem Oba von Benin schenkte.“

    „Das Dekret des scheidenden nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari wirkt sich auf die Rückgabepolitik aus, jedenfalls in Großbritannien und auch in Sachsen. Am 16. Mai wollte das zur Universität Cambridge gehörende Museum für Anthropologie und Archäologie einer nigerianischen Delegation 116 Benin-Bronzen übereignen – ein hochsymbolisch aufgeladener Akt, denn nicht nur waren die Briten diejenigen, die 1897 den Palast von Benin plünderten und niederbrannten, die Benin-Bronzen raubten und an Museen in der ganzen Welt verkauften. Darüber hinaus verwehrt sich das wichtigste Museum des Landes, das zugleich die größte Sammlung von Benin-Bronzen besitzt, jeder Rückgabediskussion: das British Museum in London. Zu der Übereignung in Cambridge kam es jedoch nicht.

    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/benin-bronzen-ausgerechnet-ein-britisches-museum-stoppte-nun-die-rueckgabe-auch-sachsen-will-abwarten-li.349483

    Und auch hier in der WELT:

    Benin-Bronzen Die erstaunliche Ahnungslosigkeit deutscher Verantwortlicher Werden die restituierten Benin-Bronzen im Privatbesitz verschwinden oder droht ihnen gar Beschädigung oder Verlust? Der nigerianische Präsident Buhari und der Oba haben sich in allem frühzeitig abgesprochen – und die wichtigsten Fragen geklärt. Wieso wissen die Verantwortlichen in Deutschland nichts davon?

    https://www.welt.de/kultur/plus245351680/Benin-Bronzen-Die-erstaunliche-Ahnungslosigkeit-deutscher-Verantwortlicher.html

  3. Diese Bronzen würden längst nicht mehr existieren, wenn sie nicht nach Europa gelangt wären.

  4. Das vermute ich leider auch, El Mocho.

    Im Blick auf die Berlinale und den linken Kulturantisemtismus ist im übrigen auch dieses Interview interessant und es zeigt sich einmal wieder das, was eine bestimmte Linken am besten kann: mobben und denunzieren. Erschreckende Fakten und es ist nicht die AfD, die nun gerade die demokratische Alltagskultur bedroht, sondern diese Gefahr kommt von linnks:

    „Festivalleiter Gass: Mein Umfeld hat Angst, das wollen sie erreichen
    Zum Abschluss der Berlinale blieben antiisraelische Parolen auf offener Bühne unwidersprochen. Lars Henrik Gass über Boykotte, Ressentiments und Kulturfeindlichkeit.“

    „Darunter sind Leute, die wir Jahrzehnte kennen und gezeigt haben; zwei, drei haben uns angesprochen, alle anderen nicht. Solche Kampagnen haben eine Funktion nach innen, nämlich Gesinnungsgemeinschaft, und eine nach außen, nämlich Isolation und Beschädigung alles Abweichenden. Wir werden boykottiert, weniger durch einzelne Filmemacher als institutionell. Ein Verleih schrieb, wir nehmen nur teil, wenn ihr einen Film des Filmemachers zeigt, der „Strike Germany“ unterzeichnet hat. Diesen Filmemacher hatten wir immer wieder im Programm, schon vor Jahrzehnten, der wird also wirklich nicht „gesilenced“. Da der Filmemacher entschied, hier nicht gezeigt zu werden, entschied der Verleih, gar nichts einzureichen. Dabei geht es gar nicht darum, was wir gesagt haben und worauf es sich bezog, nämlich antisemitische Vorkommnisse in Neukölln. Es geht nicht um Aufklärung, sondern darum, dass wir nicht auf der „richtigen“ Seite stehen, um das, was wir nicht sagen: dass in Gaza angeblich ein „Genozid“ stattfinde und Israel verschwinden müsse. Man kann an ein antiaufklärerisches Projekt nicht mit Mitteln der Aufklärung appellieren.“

    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/festivalleiter-henrik-gass-zu-israel-solidaritaet-und-berlinale-eklat-mein-umfeld-hat-angst-das-wollen-sie-erreichen-li.2190950

  5. @ El Mocho

    Und auch diese Prämierung auf der Berlinale für den Film „Dahomey“ ist bezeichnend und lächerlich und wie von der schwarzen Seite schwarze Gewaltverbrechen kaschiert werden. Aufarbeitung funktioniert immer nur in die eine Richtung. Und mein Verdacht bei einem Großteil dieser postkolonialen Scheiße: Es geht hier nicht um Gerechtigkeit, sondern um Macht und um eine Neuverteilung der Futtertröge. Die WELT schrieb zu diesem Film folgendes:

    „Das aber ist das mit Abstand Interessanteste an dem diesjährigen Wettbewerbsgewinner, der die Rückgabe afrikanischer Kunst thematisiert. Das westafrikanische Königreich Dahomey und sein König Ghezo waren die vielleicht größten und brutalsten afrikanischen Sklavenfänger überhaupt. Der Despot Ghezo herrschte nicht nur über mehr Sklaven als über freie Bürger, und zwang die Ware Mensch auf den leidvollen Marsch zur Küste, sondern ließ auch Gefangene, darunter Kinder, als Menschenopfer für seine Voodoo-Götter oder einfach zu seiner Belustigung ermorden.

    Diesem Horrorfürsten vom Kaliber eines Vlad Tepes wird das folgende Zitat zugeschrieben: „Der Sklavenhandel ist das herrschende Prinzip meines Volkes. Er ist die Quelle des Ruhmes und des Reichtums … Mütter singen ihre Kinder in den Schlaf mit Liedern über Triumph über den Feind durch seine Reduzierung zum Sklaven!“ Dass Ghezos Sklavenhandel gelegentlich stockte, hat nichts mit plötzlich aufkommender Menschlichkeit zu tun, sondern damit, dass die Briten freiwillig nicht nur ihren eigenen Sklavenhandel beendeten, sondern mit einem heute in Vergessenheit geratenen Geschwader ihrer Marine, dem West Africa Squadron, Jagd auf Sklavenschiffe machten. Als die Briten König Ghezo, der von 1818 bis 1858 herrschte, zur Abkehr vom Sklavenhandel bewegen wollten, drohte er damit, alle seine Gefangenen künftig zu töten, statt wie bisher „nur“ zu versklaven.

    Doch was macht der Film „Dahomey“ aus diesem Tyrannen? Zum Hauptprotagonisten des Streifens wird eine lebensgroße Statue des Königs Ghezo, die in einer Kiste von Frankreich nach Westafrika gebracht wird, und der eine Stimme aus dem Off die angeblichen Gedanken des aus dem Exil zurückgekehrten Königs oder seines Geistes in den Mund legt.

    Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ weiß zu berichten: „Die Statue von König Ghezo spricht von Entwurzelung, Ausbeutung und auch von der Angst vor der Rückkehr in ein Land, in dem viele Menschen von den kulturellen Verlusten gar nichts wissen. König Ghezo befürchtet, ‚dass ich nicht erkannt werde und dass ich nichts erkenne.‘“ Der arme Menschenschlächter und Sklavenräuber soll Angst haben und sich fürchten. Dabei ist König Ghezo vermutlich einer der letzten Menschen, die Mitleid verdienen.

    Und als wäre all dies nicht schon absurd genug, setzt eine bekannte Kunstzeitschrift noch einen obendrauf: „Eine irgendwann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffene Skulptur zeigt Gezo, den rechten Arm zur kämpferischen Geste erhoben, die Faust geballt – fast wie zum Black-Power-Protest.“ Ghezo als Vorkämpfer für die Rechte der Schwarzen? Schamloser geht es kaum, denn der Mann hat vermutlich mehr schwarze Menschen ins Verderben geführt als manch südafrikanischer Premierminister der Apartheidszeit.“

    https://www.welt.de/kultur/article250283800/Dahomey-Berlinale-Gewinnerfilm-macht-Propaganda-fuer-einen-Horrorfuersten.html

  6. @Herwig: Wohl wahr. Aber dieser nächste Anschlag ist doch ein Befreiungskampf und da gibt es doch auch Gründe und wenn es die doch nicht mehr bei dieser Linken zu finden gibt, dann erfindet man halt irgendwelche Phrasen wie „Man sei da im Augenblick ganz sprachlos!“. Bei Leuten, die ansonsten zu jedem falschen Pronomengebrauch schon Mikroaggression wittern und twittern.

    Das einzige was man mit diesen Leuten machen kann: ihnen ihre Verlogenheit um die Ohren hauen und vor allem ihnen Schritt für Schritt nachzuweisen.

  7. @El Mocho: Das ist ein der Tat ein treffendes Statement.

    @che: Den Film habe ich nur noch vage in Erinnerung, aber er hat mir in der Tat geut gefallen.

    Was nun solche Artefakte betrifft: Interessant sind Filme genau dann, wenn sie die Ambivalenzen miterzählen.

  8. Die Bildunterschrift dort oben ist übrigens eine Scheißübersetzung. „The Capture of the Slaver Gabriel by HMS Acorn“ müsste auf Deutsch „Die Kaperung des Sklavenschiffs Gabriel durch HMS Acorn“ heißen.

    Die Geschichte des Westafrikanischen Geschwaders, das systematisch Jagd auf Sklavenschiffe machte und Sklaven in die Freiheit und Sklavenhändler an den Galgen brachte ist ein sehr spannendes vergessenes Kapitel der Geschichte.

    Und es ist ein großes Missverständnis, black history deswegen gut zu finden, weil sie von Schwarzen handelt und von Schwarzen erzählt wird. Die Geschichte von Black Power oder auch Tomas Sankara wäre etwas ganz Anderes als die westafrikanischer Könige.

  9. Die Butler hat wie die meisten Alt-AntiimperialistInnen den Schuss nicht gehört. Ist ja die gleiche Linie wie Meinhof oder Carlos.

  10. So ist es, gerade was den Sklavenhandel betrifft. Und es sind hier eben die sehr unterschiedlichen Perspektiven und Hinsichten zu betrachten.

    Butler ist völlig lost. Es gibt hier einen guten Texte dazu, nämlichder Essay des Historikers Alexander Zinn „Von Blüher zu Butler. Über die zerstörerische Wirkung queerer Identitätspolitik“.
    https://queernations.de/essay-von-alexander-zinn-zur-kritik-an-judith-butler-online/?
    https://queernations.de/wp-content/uploads/2024/03/2022_jahrbuch_sexualitaeten_zinn.pdf

  11. Judith Butler ist, nebenbei gesagt, eine Brandstifterin. Wer bei Terror und Vergewaltigung mit derartiger Äquidistanz aufschlägt, muß sich das dann auch derart zurechnen lassen. Es paßt aber auch gut in das Historikerstreit-Schema. Hitlers Judenvernichtung war dann eben auch nur eine Reaktion auf den Stalinismus und damit eine Form des Widerstands gegen den Sowjetkommunismus, der ja nun teils auch von Juden getragen wurde.

  12. Ihre frühen Werke, wie Gendertroubles und Hass spricht, waren verdienstvoll. Aber nicht das, was sie heute vertritt.

  13. „Gendertrouble“ ist in meinen Augen ziemlicher Blödsinn, was die Passagen betrifft, darin das biologische Geschlecht versucht wird, im Diskursnebel aufzulösen, und mit solchen wie Butler fing leider das Unheil an.

    Das biologische Geschlecht ist keine Konstruktion und ein irgendwie gearteter performativer Akt. Was lediglich variabel ist, sind die Rollen, die Männer und Frauen spielen können. Aber die spielen sie eben, selbst wenn sich Frauen als Männer sehen (und vice versa) als biologische Frauen (und vice versa). Darin gehe ich d’accord, aber das ist nun wahrlich philosophisch nichts Neues und nichts Weltbewegendes. Biologische, naturwissenschaftliche Sätze sind zwar sozial konstituiert und an eine Kultur gebunden, die erst solche Wissenschaft hervorbringen kann, aber sie sind deshalb nicht selber eine Konstruktion und damit irgendwie beliebig und performativ variabel.

    Ich sehe leider nicht, was an Butler verdienstvoll wäre: diese Denke hat eine Horde von Spinnern hervorgebracht, für die man sehr treffend den Begriff Queerdenker in Anschlag bringen kann.

    „Der Ausruf der Hebamme ‘Ein Mädchen!‘ ist demnach nicht nur als konstative Feststellung zu verstehen, sondern auch als direktiver Sprechakt: ‘Werde ein Mädchen!‘ Die Performativität der Geschlechter resultiert also aus dem Zusammenspiel von politischen performatives und theatralen performances.“ (J. Butler)
    Wenn man einen pluralen und weit gefaßten Begriff von Frau nimmt, dann sind in der Performanz eine Vielzahl an Rollen möglich: von einer Tomboyfrau bis hin zur Hausfrau. Butler denkt hier in der Tat essentialistisch und hat die Pluralität von Rollen nicht erfaßt, die innerhalb eines Geschlechts liegen und eine Variationsbreite ausmacht. Biologisch aber bleibt all das an die Geschlechts- bzw. Keimzellen gebunden, derer es genau zwei gibt.

    Eine treffende Kritik hat Sara Rukaj in ihrem Buch „Die Antiquiertheit der Frau“ gebracht:

    „Daß Butlers Gender Trouble (1990) zur Zeit seiner Veröffentlichung in der Frauenbewegung Popularität erlangte, lag aber auch in einem Missverständnis begründet. Ihre Dekonstruktion von Differenz und Geschlecht forcierte die ausdrückliche Entwertung des Weiblichen und gab so vor, den gefühligen Matriarchatskult und die reaktionäre Öko-Romantik – zurück zur »friedfertigen Frau« (Margarete Mitscherlich), wie sie »von Natur« aus ist – zu begraben, die weite Teile der zweiten Frauenbewegung umtrieb. Dieser in der neuen Frauenbewegung angelegte Widerspruch ließ Butlers scheinbar identitätskritischen Anregungen gerade auf intellektuelle Frauen reizvoll wirken. (…) Ein Blick in Butlers seither veröffentlichten Schriften legt ein streng dichotomes und antiliberales Weltbild offen. Ausgerechnet jene Länder werden als »strukturell« sexistisch und rassistisch diskreditiert, in denen Freiheit und individuelle Würde in globalhistorisch präzedenzloser Weise garantiert wurden und weiterhin werden. Für sakrosankt erklärt werden im Gegenzug islamisch geprägte Länder, in denen der weibliche Körper, insofern er nicht unter schariakonformer Kontrolle steht, unter Hidschab und Burka liquidiert werden soll, Frauen ein rechtloses Leben als reines Verfügungsobjekt männlicher Lust führen und Homosexuelle mit dem Segen der Staatsmacht an Baukränen aufgehängt werden. Afghanische Frauen, die nach dem Einmarsch der Vereinigten Staaten 2001 das Ablegen ihrer Burka feierten und seit der Machtübernahme der Taliban erneut vom Verschleierungszwang betroffen sind, wurden von Butler kurzerhand als von ihrer Stammeskultur entfremdete und »zwangsverwestlichte Kriegsbeute« bezeichnet. Die Burka symbolisiere, so Butler weiter, »dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist.« Wenn es schon keine erste Körpernatur geben kann, so soll wenigstens die züchtige Verschleierung der Frau mit allerlei ehrenwerten und guten Eigenschaften ausgestattet werden.

    Offenbar behält Butler sich selbst das Urteil vor, wann einer Frau Entscheidungsfreiheit zuzusprechen ist und wann nicht. Beglaubigen kann sie diese Form der patriarchalen Apologetik eigentlich nur, indem sie das für die eigenen Überlegungen zum Geschlecht zentrale Konzept der Sozialisation bis zur Unkenntlichkeit von seinen Prämissen löst und durch ein voluntaristisches Argument eintauscht. Selbst wenn die Frau in ihrer eigenen Verhüllung den Ausdruck geglückter Befreiung und Emanzipation sieht, sei dies nicht eine direkte Folge der Verhältnisse, denen sie täglich unterworfen ist, sondern unveränderliches und nicht zu kritisierendes Wesensmerkmal seiner Exponentin. Damit verabschiedet sich Butler endgültig von der Idee eines aufgeklärten und mündigen Individuums, das als politisches Subjekt nach einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft und Selbstbestimmung strebt. (…) Die Bezugnahme des Feminismus auf die Frau als zu befreiendes Subjekt gilt ihr vielmehr als exkludierende Praxis gegenüber allen der Norm nicht entsprechenden und damit widerständig-revolutionären Identitäten. Was als Kritik am männlichen Monopol auf den Subjektstatus seinen Anfang nahm, verwandelte sich bei Butler zu einem Abgesang auf das Subjekt per se.

    Ihr Buch »Raster des Krieges« schließt sie mit der Forderung, durch »Nichthandeln« einen »Weg der affektiven Erkenntnis« zu beschreiten. Damit erteilt sie auch der (weiblichen) Solidarität eine Absage. Weder Erkenntnis über Gesellschaft noch Emanzipation sind unter diesen Bedingungen zu erlangen.“

  14. Und treffend hat es vor allem der Nörgler vor vielen Jahren bei Dir festgehalten:

    noergler, Sonntag, 25. Januar 2009, 01:06 (http://che2001.blogger.de/stories/1320030/#1320999)

    „Die Zitate, die belegen, dass nach Butlers Auffassung der Geist das Materielle erzeugt, sind Legion. Aus der Nummer kommt sie nicht mehr raus. Dadurch aber wird die Differenz von Begriff und Realität eingezogen, weil die Wirklichkeit nicht das mehr das Andere des Begriffs, sondern nur noch dessen Emanation ist.

     Dadurch erweisen sich übrigens die Butlerschen Denkformen als dem Kapitalbegriff analog, weil das Kapital die ihm adäquate Wirklichkeit so erzeugt, dass deren Elemente als Elemente des Kapitals selbst erscheinen. Und während im Marxschen Warenfetisch die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen als dingliche Eigenschaften von Sachen erscheinen, erscheinen bei Butler die Natureigenschaften von Körpern als gesellschaftliche Beziehungen der Menschen. Das Butlersche Bewußtsein ist fetischistisch im Marxschen Sinn.

     Wenn aber, um den ersten Absatz fortzuführen, die Differenz von Begriff und auswendiger Realität eingezogen wird, ist Entbegrifflichung das Resultat, da der Begriff keinen Gegenstand mehr hat:

     Das „biologische Geschlecht“ ist bei Butler mal durch performativen Hegemoniediskurs erzeugte Materialität, mal das Gegenteil, nämlich bloße Fiktion; dann doch wieder – gegenfiktional – immerhin „an einem vorsprachlichen Ort angelegt, zu dem es keinen unmittelbaren Zugang gibt“, dann wieder zu den „Bedingungen der symbolischen Legitimität“ gehörend, was ohne Zugang kaum vorstellbar ist – das könnte fortgesetzt werden, bis bei blogger.de der Server platzt.

     Derlei, vornehm ausgedrückt: Inkonsistenzen sind es, die ich meine, wenn ich von der Entropie des Begrifflichen spreche. Butler entwickelt keine neuen Begriffe, sondern reproduziert nur alte, in der Tradition der Erkenntniskritik längst überwundene Fehler: Ihren Sprachbegriff hat sie bei Platons die materielle Welt regulierenden Ideen abgeschaut, und im Universalienstreit des Mittelalters steht sie auf der Seite der Doktrin der Begriffe ante rem.

     Das weiß sie nicht, aber sie tut es.

     Das kommt eben davon, wenn man das „identifizierende Denken“ ein paar mal zu oft verflucht hat: Der Versuch, aus den objektiven Denkformen herauszuspringen, endet regelmäßig mit schmerzhaften Frakturen.“

  15. Ich habe Gender Troubles nur auszugsweise gelesen und das gelesene stets so interpretiert, dass es eine fluide, vom sozialen Kontext her definierte Interpretation von Geschlechtsrollen beinhaltet (was einer der Queerdenker in eine Dir bekannten Grundmissverständnis als positiv gefülltes Sichselbstneuerfinden) verstand.

    @Ich sehe leider nicht, was an Butler verdienstvoll wäre: diese Denke hat eine Horde von Spinnern hervorgebracht, für die man sehr treffend den Begriff Queerdenker in Anschlag bringen kann. —- Stimmt, hat sie. Ich weiß aber nicht, inwieweit sie selbst dafür verantwortlich gemacht werden kann. Hass spricht hingegen finde ich auf jeden Fall verdienstvoll.

    Ansonsten folgte ich in meinem Butler-Verständnis in erster Linie Netbitch, die mir mündlich, in Tischgesprächen von der Butler-Rezeption im autonomen Frauenzentrum berichtete, und das ist mit dieser Passage hier sehr gut wiedergegeben:

    Daß Butlers Gender Trouble (1990) zur Zeit seiner Veröffentlichung in der Frauenbewegung Popularität erlangte, lag aber auch in einem Missverständnis begründet. Ihre Dekonstruktion von Differenz und Geschlecht forcierte die ausdrückliche Entwertung des Weiblichen und gab so vor, den gefühligen Matriarchatskult und die reaktionäre Öko-Romantik – zurück zur »friedfertigen Frau« (Margarete Mitscherlich), wie sie »von Natur« aus ist – zu begraben, die weite Teile der zweiten Frauenbewegung umtrieb. Dieser in der neuen Frauenbewegung angelegte Widerspruch ließ Butlers scheinbar identitätskritischen Anregungen gerade auf intellektuelle Frauen reizvoll wirken.

  16. Der Matriarchatskult und die Ökoromantik jener Zeit in der Frauenbewegung zeigte biologistische und pagan-neuheidnische Züge, da wurde Butler sozusagen als Gegenmittel in Form einer Gewaltkur wahrgenommen.

    Ich erinnere noch einen Aufkleber, der auf Besen reitende Hexen zeigte mit der Parole „Runter mit dem Weiblichkeitswahn!“ Temps perdu.

  17. Dieser Aspekt von Matriarchatskult und Öko-Romantik ist ja auch das, was Sara Rukaj anspricht und diese Ausprägungen kann man in bestimmten Hinsichten auch kritisieren. Nur sind deshalb eben nicht die beiden biologischen Geschlechter aufgelöst. Und wer derart das Weibliche entwertet, wie es Butler tut, muß dann von Frauen durchaus mit scharfer Kritik rechnen. Insbesondere auch in einer Zeit, in der es Frauen gerade einmal seit zehn Jahren geschafft haben, spezifische Räume der Weiblichkeit zu erkämpfen. Frausein ist zwar kein Essentialistisches, aber eben solche Pluralität von Rollen erlaubt es zugleich nicht, den Begriff der Frau aufzulösen – schon gar nicht im biologischen Sinne.

    Wobei ich, wenn es um Frauenrollen geht und um Pluralität, zugleich sagen würde, daß halt auch ein differenztheoretisch gefaßter Feminismus wie auch solcher Feminismus, der ein spezifisch Weibliches sieht, seine Berechtigung hat, solange es nicht essentialistisch und dogmatisch wird. Daß eben solche matriarchalen Ausprägungen EIN Aspekt sind, aber eben nicht der einzige. Wie solche spezifischen Formen von Weiblichkeit aussehen, kann man vielleicht gut an Olga Tokarczuks Roman „Ur und andere Zeiten“ sehen

    (Und nebenbei: Leute wie Tessa Ganderer, Dana Mahr und Georgine Kellermann bleiben für mich biologisch gesehen Männer. Und ich bleibe auch dabei, sofern eine Ampelregierung solche Aussagen als Misgendern unter Strafe stellen sollte. Und auch diesen ganzen Nonbinär-Quatsch mache ich nicht mit: So wie neulich eine steindumme Redakteurin namens Jenni Zylka bei Radio eins dozierte: „Besonders toll finde ich, dass Wickie fast so etwas wie eine nicht-binäre Figur ist. Der ist, vielleicht unbewußt, weder als Junge noch als Mädchen zu identifizieren.“ Auf solchem Level sind wir inzwischen angelangt. Und ähnliches auch beim Fußball: Wenn es Banner wie „Es gibt nur zwei Geschlechter“ mit Strafen belegt wird, dann fängt es an absurd zu werden.)

  18. Nebenbei: Der Witz an Wickie ist ja gerade, daß dieser ein Junge ist, aber dennoch die klassischen Rollenbilder auflöst. Zylka ist aus einer Mischung aus ideologischer Verblendung und einer Naivität nicht in der Lage, genau diese Pointe bei Wickie wahrzunehmen. Und diese Auflösung der klassischen Rollenmbilder war ja bereits in den 1960er Jahren und eigentlich auch schon viel früher in den 1920er Jahren bei vielen Frauen der Fall war. Was tatsächlich fehlte, war eine politisch-gesellschaftliche Gleichstellung in der BRD, wenn man ans Scheidungsrecht denkt und auch an die sexuelle Selbstbestimmung der Frau wie auch den Aspekt Frau und Arbeitswelt.

  19. „(was einer der Queerdenker in eine Dir bekannten Grundmissverständnis als positiv gefülltes Sichselbstneuerfinden) verstand.“ Daran erinnere ich mich noch sehr gut. Man kann das, nebenbei, ja auch als eine Form von Neoliberalismus fassen. Davon einmal abgesehen, daß man bereits hochprivilegiert sein muß, um überhaupt eine solche Haltung einnehmen zu können.

  20. Die ganze Geschichte mit den Mehr als zwei Geschlechtern geht eigentlich darauf zurück, dass Ethnologen wie Lévy Strauss darauf hinwiesen, dass es bei indigenen Völkern mehr als zwei Geschlechter gibt, weil bestimmte soziale Rollen, z.B. Schamanen, und Altersgruppen als separate Geschlechter betrachtet werden, für die es eigene grammatikalische Formen und eigene Anreden gibt. Das wurde, bevor Butler kam, als Beleg für ein vom biologischen Geschlecht (sex) getrenntes soziales Geschlecht (gender) gedacht, und als Nachweis für die sozialkontexthafte Definition von Geschlechterrollen – damals noch in Abgrenzung eines genetisch definierten Geschlechtsrollendeterminismus. That was all, bevor Butler auftrat. Und ich habe lange Jahre gebraucht, um zu checken, dass Butler überhaupt etwas Anderes meint.

  21. Nein, es gibt nicht mehr als zwei Geschlechter- egal wie und als was man sich fühlt oder wie Rollen zugeschrieben werden. Auch Männer, die sich als Frauen glauben, sind biologisch Männer. Soziale Rollen, wie sie Lévi-Strauss konstatierte, können unterschiedlich ausfallen, aber diese ändern nichts am Faktum des biologischen Geschlechts: entweder männlich oder weiblich, und da ist es dann egal, ob man sich dabei nun Übsen, Drübsen oder Bübsen nennt.

    Einteilungen von Menschen kann ich nach allen möglichen Kategorien vornehmen. Nur eben ändert auch das nichts am biologischen Tatbestand der Zweigeschlechtlichkeit, denn man mittels einer einfachen Untersuchung feststellen und den man nicht per Sprechakt umlabeln kann. Die Geschlechtszellen (XX und XY) bieten keinen Spielraum für mehrere Geschlechter. Das ist keine Sache der Interpretation, sondern eine der Biologie. Ausnahmen sind hier Zwitter (insofern divers), die aber eine genetische Abweichung und nicht eine Regel sind. Vermutlich rührt diese irrige Annahme der vielen Geschlechter daher, daß solche indigenen Völker bei diesen Zwittern den genetischen Hintergrund nicht kannten. Das Geschlecht wird nicht über einen Sprechakt festgelegt und ein noch so weiblich sich gebender oder fühlender Mann ist biologisch genommen keine Frau, sondern ein Mann. Daß es dabei Menschen gibt, die sich im falschen Körper fühlen, ändert nichts an der Biologie. Und auch diese Menschen müssen am Ende, wenn sie sich mittels Hormonbehandlung und Operation umpolen, die Biologie in Anspruch nehmen. Sie können ihr Geschlecht eben nicht per Sprechakt ändern.

    Wenn sich ein Mann als Eichhörnchen fühlt, ist er eben doch kein Eichhörnchen, auch wenn alle anderen dieses Rollenspiel mitmachen und ihn als Eichhörnchen empfinden. Dieser Irrsinn, den wir heute erleben und mit dem teils sozialer Druck auf die Gesellschaft ausgeübt wird, sich einem magischen Denken zu beugen, beruht auf genau solcher Verwechslung von sozialen Rollen samt Geschlechterimaginationen mit biologischen Tatsachen.

    Dem Feminismus hat Butler keinen Gefallen getan. Sondern ganz im Gegenteil hat sie den teils mühsam erkämpften Erfolg der Frauenemanzipation mit ihrem Unsinn einen Tritt versetzt, indem sie das Frausein dekonstruierte. Tatsachen jedoch lassen sich nicht dekonstruieren.

  22. Und da sind wir dann, was diese Butlerei betrifft, bei diesem ganzen Transgendermist: Wenn 14jährige, die noch Kinder oder zumindest nicht sehr reife Jugendliche sind, meinen, ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Und ja: diesen Unfug rechne ich Butler und ihren Gefolgsleuten zu: einer völlig irren Linken, die mich an Monty Python erinnert – nur ist all das schon lange nicht mehr lustig, sondern eine ernste Sache. Bei vielen linken Spinnereien aus den 1970er und 1980er Jahren mag man noch lachen, weil es am Ende sowieso keine Relevanz hat und der Unsinn sich rauswächst. Hier aber betrifft es die Körper von Menschen, sofern es um Operationen geht und auch darum, Pubertätsblocker einzunehmen. Ein entsetzlicher Machbarkeitswahn.

  23. Nochmal: Die Trennung zwischen sex und gender, die in der feministischen Debatte in Anlehnung an Lévy Strauss eine Rolle spielte meint ein biologisches Geschlecht (sex), also Weib/Mann, dessen Existenz nicht bestritten wird, und ein soziales Geschlecht, das kulturell definiert wird und mit dem biologischen Geschlecht identisch sein kann, aber nicht muss, wo dann auch soziale Rollen wie die Knabenliebe reifer Männer im antiken Athen u.a. reinspielen. Dieser Sex-Gender-Dualismus hat an der Existenz eines biologischen Geschlechts nicht gerüttelt. Das kam erst mit Butler.

  24. Genau, es handelt sich um soziale Rollen und das sagt vermutlich auch Lévi-Strauss. Leider scheint Butler eben diese sex/gender-Differenz dekonstruieren zu wollen. Daß Biologie immer auch soziale Implikationen mit sich führt (wie alle Naturwissenschaften), steht in solcher Teilung nicht außer Frage und dies würden auch nur die wenigsten Biologen verneinen. Nur ändern soziale Aspekte eben nichts an der Tatsachenwahrheit, wie sich Menschen biologisch fortpflanzen – selbst wenn das in einem Reagenzglas geschieht.

    Und auch das Spiel mit den Geschlechtern ist nichts Neues. Wir kennen es seit den 1920er Jahren (und bereits schon früher im 18. Jahrhundert, wenn man an Schlegels „Lucinde“ denkt und auch an „Wilhelm Meisters Lehrjahre“) und erst recht dann im Pop der 1970er Jahre in Künstlern wie David Bowie. Dort hatte all das noch etwas Spielerisches und Lustvolles. Heute wirken solche „Spiele“ leider extrem zwanghaft und mit einem erhobenen Zeigefinger fuchtelnd. Oftmals hat man den Verdacht, daß solche Einkleidungen und Spiele nicht mehr aus Freiheit heraus entstehen.

  25. Und da es diese Kontextualisierung sozialer Geschlechter in der Geschichtswissenschaft und Ethnologie schon gab, bevor Butler aufschlug, wurde ihre Schriften damit in Zusammenhang gebracht und ihre Leugnung eines biologischen Geschlechts erstmal gar nicht wahrgenommen.

    -> Und auf dem Gegenpool gibt es unter den Queerdenkern ernsthaft bereits solche, die die Biologie als „feindliche Wissenschaft“ bezeichnen. Das ist dann echt Geschwister Loretta.

    „Herr Dr., mein Mann hält sich für einen Alien.“ „Gut, ich gebe ihm einen Erstaufnahmetermin für Donnerstag, 10 Uhr.“ „Sagen Sie mir, wo er die Untertasse landen kann.“

  26. @“Genau, es handelt sich um soziale Rollen und das sagt vermutlich auch Lévi-Strauss. Leider scheint Butler eben diese sex/gender-Differenz dekonstruieren zu wollen. “ ——- Ich verstand das damals, und so wurde das auch in Zeitschriften wie Ästhetik und Kommunikation, Psychologie Heute und Materialien für feministische Theorie und Praxis diskutiert so, dass damit eine althergebrachte Rollenfestlegung Mann=Kämpfertyp, Frau=fürsorglich usw. und deren Herleitung aus genetisch festgelegten Mustern dekonstruiert wurde, aber nicht die Tatsache eines biologischen Geschlechts an sich. Allerdings mit dem Schlenker, dass zumindest in der schwullesbischen Szene Menschen zwischen männlichen und weiblichem Pol, also Transgender im biologischen Sinn, und auch 2 Y-Chromosomen-Männer als etwas Besonderes und mitunter auch eigene Geschlechter definiert wurden.

    Btw wieso heutzutage schon Sprachformen unter Rücksichtnahme auf oder sogar Inmittelpunktstellung von einer bestenfalls 0,5 Prozent-Minderheit verändert werden sollen erschließt sich auch wenn man dies für richtig hält nicht.

  27. Und das ist ja auch genau der richtige Reflex: Männer müssen keine Macker sein (heute würde man es manchen Männern aus einem bestimmten Milieu etwas mehr wünschen) und Frauen müssen keine Mäuse sein. Man muß allerdings dazu sagen, daß solche klassischen Rollenmodelle schon seit langer Zeit zum Glück unterlaufen wurden. (Und wer mal ins Landleben guckt, auch der 1950er und 1960er Jahre, der kann da ausgesprochen tatkräftige Frauen erleben, die im Oikos die Hosen anhaben. Etwas das Städter am Schreibtisch irgendwelcher Redaktionsstuben sich kaum vorstellen können, weil sie sich mit diesen Fragen allenfalls auf dem Papier beschäftigen. Und da sind wir wieder bei Klassen- bzw. wie ich es nennen würden, bei Fragen nach den sozialen Schichten.)

    „also Transgender im biologischen Sinn, und auch 2 Y-Chromosomen-Männer“ Hier würde ich allerdings eher von Intersexualität bzw. von genetischen Fehlbildungen sprechen. Intersexuelle wollen oftmals mit Transgender – also daß biologische Männer sich als Frauen geben bzw. vice versa – nichts zu tun haben. Es handelt sich hier um eher selten auftretende genetische Fehlbildungen, die nichts an der biologischen Zweigeschlechtlichkeit ändern. Absurd sowieso, wie daraus und aus genetischen Abweichungen ein derartiges Gewese und ein Aktivismus gemacht wird, die der Sache eher schaden und die ohne Not ein Problem aufmachen, das man ohne solche Ansprüche und bei der Einteilung in sex und gender gar nicht hätte. Wobei ich selber allerdings auch nicht vom sozialen Geschlecht, sondern von Rollemustern und -variationen innerhalb eines Geschlechts sprechen würde. Es können eben auch Frauen mit einem Bagger fahren, Speere werfen und boxen.

    Was Transgender betrifft, sind hier immer noch Korte und Amelung wichtige Bezugsgrößen, weil sie das ganze unaufgeregt und anhand der Sachlage einordnen.

    Transsexualität: Vom Recht, anders zu sein
    Es gibt immer mehr transsexuelle Jugendliche. Wie soll man mit dem Wunsch, das Geschlecht zu wechseln, umgehen? Ein Streitgespräch
    Interview: Martin Spiewak
    DIE ZEIT Nr. 22/2020, 20. Mai 2020
    Korte: Die Frage ist: Was ist eine Geschlechtsdysphorie überhaupt? Wann liegt eine wirkliche Transsexualität vor? Herr Amelung hat geschildert, dass er von Kindheit an gemerkt hat, dass irgendetwas anders ist. Das sagen rückwirkend tatsächlich fast alle transsexuellen Menschen. Nur gibt es ein Problem: Schwule und Lesben berichten das ebenso. Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir mit unseren Behandlungen nicht Homosexualität verhindern zugunsten einer vermeintlichen Transsexualität.
    Amelung: Auch ich beobachte eine bedenkliche Aufweichung des Begriffs „trans“ sowie eine Inflation der sexuellen Identitäten. Sie kennen die Debatte über die vielen neuen Geschlechtsbeschreibungen – non-binary, queer, pan-gender – etwa bei Facebook. Das sind mehrere Dutzend.
    ZEIT: Warum soll das ein Problem sein?
    Amelung: Jeder kann sich bezeichnen, wie er mag. Gefährlich wird es, wenn es um medizinische Eingriffe geht. Es gibt Menschen, die nicht unter einer Geschlechtsdysphorie leiden, ihr Geschlecht aber dennoch wechseln möchten, samt Hormonbehandlung und Operation. Das ist für mich keine solide Grundlage. Mit der Meinung bin ich in der Transcommunity aber ein Außenseiter. Hier herrscht die Meinung vor, dass, wer sich als trans definiert, dies auch ist und nicht hinterfragt werden soll.
    […]
    Korte: Die Jugendlichen, die in unsere Sprechstunde kommen, sind sich immer zu hundert Prozent sicher. Viele präsentieren sich schon im Erstgespräch mit einer lupenreinen transsexuellen Vita. Wie man so etwas darstellt, kann man im Internet lesen. Deshalb kann das nicht der Maßstab meiner Entscheidung sein. Zumal wir ja wissen, dass sich der Großteil der Geschlechtsdysphorien bei Minderjährigen später wieder auflöst.
    Korte: Und ich sagen Ihnen voraus: In wenigen Jahren wird es eine Welle von Erwachsenen geben, die der Medizin vorwerfen, wir hätten sie als Jugendliche leichtfertig behandelt und ihre Körper zerstört. Im Ausland gibt es bereits erste Klagen. Einer der wichtigsten ärztlichen Grundsätze lautet: Zuerst nicht schaden. Daran halte ich mich.
    […]
    Korte: Es ist noch schlimmer. Mittlerweile mischen Ärzte und Therapeuten auf dem Feld mit, die von der Sache wenig Ahnung haben oder aber voreingenommen sind. Mir haben Eltern berichtet, ihr Kind sei nach einem halbstündigen Gespräch strahlend mit der Diagnose „Transidentität“ aus einer psychologischen Praxis oder Beratungsstelle gekommen samt Adresse eines Arztes, der dann die entsprechenden Hormone verschrieben hat. Das darf nicht sein.
    https://www.zeit.de/2020/22/transsexualitaet-lgtbq-geschlechtswechsel-gender

    Was Korte beschreibt, ist das immergleiche Problem: Wenn ein zunächst vielleicht noch irgendwie sinnvoll gearteter Einsatz für ein Problem, das einige wenige junge Menschen tatsächlich haben, in Aktivismus und Dogmatismus und damit in den Irrsinn driftet.

  28. Den Begriff Fehlbildungen halte ich für diskriminierend und würde ihn nicht gebrauchen. Die Begeisterung der LGBT-Leute für die Vielgeschlechtlichkeit im Sinne von gender vs. sex rühr von etwas her, was die heutigen Queerdenker überhaupt nicht mehr im Blick haben. Als die ethnologischen Studien publiziert wurden waren queere Menschen in Westeuropa und den USA noch in hohem Maße institutionell diskriminiert. Die Studien zeigten, dass bei auf steinzeitlichem Niveau lebenden Gesellschaften in Papua-Neuguinea und Rentierzüchter-Jäger-Gesellschaften in Sibirien Schwule, Lesben und Intersexuelle nicht nur als eigene Geschlechter, für die es eigene grammatikalische Formen gab (und nur so verstand ich auch Butlers Sentenzen zum Thema Sprechakt, nämlich, dass es sprachlicher Übereinkunft bedürfe, um festzustellen, was ein Geschlecht sei) angesehen wurden, sondern dass denen auch besondere Rollen zukämen. Da Schwule und Lesben nicht mit Kinderaufzucht beschäftigt sind, nähmen sie spezielle Aufgaben bei der Jagd wahr oder seien Musikanten, Intersexuelle eigentlich immer Schamanen usw. Dies stellte in der Wahrnehmung von LGBT-AktivistInnen einen Vorteil gegenüber unserer Gesellschaft dar, wo diese Menschen diskriminiert wurden, man versuchte sie umzuerziehen und ihnen keinen Platz in der Gesellschaft lassen wollte. Dass dies eben auch Rollenzuweisungen waren, die nichts mit Entscheidungsfreiheit zu tun hatten wurde eher nicht wahrgenommen. Das jedenfalls ist der diskursive Ausgangspunkt der Vielgeschlechtlichkeit, von dem die heutige LGBT-Community wohl nicht mehr die mindeste Ahnung hat.

    Wobei ich auch bestreite, dass es eine geschlossene LGBT-Community überhaupt gibt. Radikalfeministische linke Lesben betrachten häufig Femmes und Butches als nicht zu ihnen zugehörig. Und in radikalfeministischen Kreisen gelten häufig Lesben per se als Avantgarde, nach dem Prinzip „das sind die konsequentesten Feministinnen“. Auch für heterosexuelle linke Frauen gehörten passagere kurzfristige Liebschaften mit Frauen oft zur Bio, bösartig-drostelnd würde ich sagen „für die Streetcridibity“.

    Na, Du erinnerst Dich ja noch, welche Zerwürfnisse sich ereigneten, als das auf meinem Blog mal angesprochen wurde.

  29. Und es bleibt auch festzuhalten, dass der damalige Diskurs zur Mehrgeschlechtlichkeit im Sinne von sozialem Geschlecht fantasie- und humorvoll und z.T. ironiehaltig war, sehr weit entfernt von dem verbissenen Moralismus heutzutage.

  30. @akademische Sesselfurzer, die sich das Landleben nicht vorstellen können: Da war in meinem Bekanntenkreis mal eine Frau bäuerlicher Herkunft aus dem Vogelsberg bittererbost über den Film „Antonias Welt“ und das Gewese, das in linksgrünfeministischen Kreisen um diesen gemacht wurde, da es sich um eine rein projektive Wahrnehmung des Landlebens gehandelt hätte. Starke Frauen auf dem Bauernhof seien ganz anders als in diesem Film, und das Setting sei allein deswegen schon grundfalsch, weil es auf Bauernhöfen keine Festtafel und überhaupt kein Essen unter freiem Himmel gäbe.

  31. So ist es, was das Bauernleben betrifft. Allenfalls irgendwelche Landlords und Gutsbesitzer wie in „1900“ tafeln unter freienm Himmel. Was das Land und die Bauern betrifft, gibt es hier im Blog demnächst eine Rezension zu dem großartigen Buch von Ewald Frie „Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“.

    Die 1980er und die frühen 1990er Jahre waren in diesen Fragen in der Tat entspannter, auch wenn es dort bereits diese Spinnerfraktion gab. Aber das waren eben Leute, die man ignorierte oder ganz einfach auslachte.

  32. Ein längerer Kommentar von mir wartet noch auf die Freischaltung, geht inhaltlich meinen beiden letzten voraus.

  33. @Fehlbildungen als Beschreibung im Sinne von genetischen Mutationen und von der normalen menschlichen Biologie abweichend, also deskriptiv. Daraus sollte man nicht ableiten, daß es ein Mensch von geringerem Wert ist, so wie das lange Zeit in der NS-Ideologie und nicht nur dort getan wurde. Ich wüßte sonst kein anderes Wort – zumal man hier jedem Begriff halt irgend eine abwertende Markierung unterschieben kann, weil solche Ausprägungen nun einmal nicht der Norm entsprechen. (Womit wir bei einem weiteren Problem der Linken wären, sich Sprachschlachten zu liefern und im Grunde in sogut wie jeder sprachlichen Äußerung irgend eine Herabwürdigung zu sehen, so daß wir am Ende eine Gesellschaft der Dauerbeleidigten haben, wie das Caroline Fourest in „Generation Beleidigt“ beschreibt. )

    Der Begriff der Vielgeschlechtlichkeit ist leider der Anlaß, der dann für viel Unsinn den Ausschlag gab. Es gibt beim Menschen zwei Geschlechter und bei einigen wenigen genetische Abweichungen, die man als Zwitter oder Intersexuelle bezeichnet. Was wir ansonsten haben, ist eine Variationsbreite der zwei Geschlechter, darin es auch vorkommen kann, daß Männer sich als Frauen sehen. Nur sind sie eben keine biologischen Frauen. All das ist solange nicht problematisch, wenn solche Männer keine Räume beanspruchen, die Frauen vorbehalten sind. Eklatant wird dies zum Problem gerade beim Sport und auch in der Frauensauna und in Lesbenkneipen – wobei in letzteren eben ein einfaches Hausrecht gilt und die Betreiberinnen eben Männer, die sich als Frauen geben, den Einlaß verwehren können.

    „Die Begeisterung der LGBT-Leute für die Vielgeschlechtlichkeit im Sinne von gender vs. sex rühr von etwas her, was die heutigen Queerdenker überhaupt nicht mehr im Blick haben.“

    Das Problem besteht meines Erachtens genau in diesem sex vs. gender. Es ist eben kein „versus“, sondern Stufen von Ausprägungen, die innerhalb der zwei biologischen Geschlechter ablaufen. Die Klassifizierung solcher genannten Ethnien beruht auf einem unzureichenden biologischen Wissen, so wie auch bei Mythen, die die Physik nicht kennen und wenn angenommen wird, daß bei der Bewegung der Sonne ein Gott auf der Sonnenbarke über den Himmel fährt. Was eine durchaus faszinierende Geschichte sein kann, im Sinne der Literarisierung von Welt. Nur eben keine korrekte naturwissenschaftliche Beschreibung und auch kein Spektrum möglicher wissenschaftlicher Beschreibungen, so daß also wissenschaftliche Wahrheit fluid wird.

    Richtig ist, daß Menschen mit einem Verhalten, das nicht die üblichen sozialen Normen von Reproduktion bedient, derart integriert werden und daß für sie Rollen gefunden wurden. Das ist sicherlich ein Mangel in einer modernen Gesellschaft, wo dieses Abweichende lange Zeit diskriminiert wurde und in vielen Gesellschaften bis heute noch wird. Und leider ist aus einem vernünftigen, emanzipatorischen Ansatz dann ein ziemlicher Irrsinn geworden, gerade in Gesellschaften, bei denen in diesen Fragen große Fortschritte erzielt wurden, wenn man an die 1960er Jahre denkt. Und so kann man einem wieder das Tocqueville-Paradoxon in Anschlag bringen, für das Odo Marquard jene schöne Formulierung von dem „Negativitätsbedarf und Positivitätsverdrängung“, gefunden hat. So auch im Blick auf sexuelle Diskriminierung der 1950er, 1960er Jahre:

    „Wo Kulturfortschritte wirklich erfolgreich sind und Übel wirklich ausschalten, wecken sie selten Begeisterung: sie werden vielmehr selbstverständlich, und die Aufmerksamkeit konzentriert sich dann auf jene Übel, die übrigbleiben. Dabei wirkt das Gesetz der zunehmenden Penetranz der Reste: Je mehr Negatives aus der Wirklichkeit verschwindet, desto ärgerlicher wird – gerade weil es sich vermindert – das Negative, das übrigbleibt. Knapper werden Güter werden immer kostbarer; knapper werdende Übel werden negativ kostbarer: sie werden immer plagender, und Restübel werden schier unerträglich (darum ängstigen heute weniger die Risiken, viel mehr die Restrisiken).“ (Marquard, Philosophie des Stattdessen)

  34. PS: Und bei der Generation Beleidigt und bei den dann im letzten Teil des ersten Absatzes Ausgeführten sind wir dann in der Tat bei jenem uns gut bekannten Blogger und eben bei jenen Irrwegen einer sich emanzipatorisch glaubenden Linken, die am Ende doch nur ins Repressive zurückfällt. Wäre ja auch hier mal ganz interessant, deren Kategorien und Raster psychoanalystisch auf sie selber zurückzuwenden.

  35. Jan Feddersen hat im Blick auf Butler auf den Punkt gebracht:

    „Nicht allein Martha Nussbaum monierte, dass Butlers philosophischer Entwurf um diese Agenda eines politischen Feminismus sich nicht schert: proletarische Frauen und gewerkschaftliche Kämpfe; der Streit zur Vereinbarung von Arbeitszeiten und Kindergartenplätzen; Schwarze oder hispanische Frauen, die bildungspolitisch unernster genommen werden als weiße in den USA; der Kampf um Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs (nicht nur) in den USA; die Kämpfe iranischer Frauen gegen­ den Kopftuchzwang; die Bewegung von Lesben und Schwulen gegen das heterosexuelle Heiratsprivileg? All diese Issues haben in Butlers Kosmos kein Gewicht.

    Was sie stattdessen liefert, ist ein Kampf um Symboliken. Für das Recht auf die Identität als Nonbinäre des Geschlechtlichen, für Transfluidität, damit im Übrigen in Allianz mit dem medizinisch-pharmakologischen Komplex, der seine chirurgischen und chemischen Manipulationsmöglichkeiten begründet sehen wollte, für Sternchen, Unterstriche und allerlei Sprachinnovationen – als ob das irgendeinem feministischen Anliegen der materiellen Sorte irgendwie aufhelfen könnte.

    Es ist insofern kein Wunder, dass Judith Butlers (und mit ihr die vieler anderer Theoretikerinnen*) wachsende Popularität in Academia mit dem Niedergang des Sozialismus, besser: mit der Abwicklung marxistischer Denkweisen an den westlichen Universitäten zu tun hat. In linken Denkschulen ging es um Interessen, um Kämpfe – nicht um Identitäten, es ging schlicht um Klassenkämpfe, nicht jedoch ums Ringen günstigerer Performanzchancen für Mittelschichtskinder.

    Eigentlich könnte Butler eine Philosophin aus Berkeley sein, die ihre poststrukturalistische Perspektive auf die Dinge der geschlechtlichen und binaritären Welt wirft. Eine unter vielen anderen … aber sie ist die populärste Weltdeuterin im Beruf der Weltdeutenden: Und das hat viel mit der Nachfrage nach ihrem Stoff zu tun, nach dem Ungefähren, das Judith Butler verbreitet, am nachgerade antiweltlichen und antiempirischen Gehalt dessen, was sie kritisierte – zumal als antiisraelische Aktivistin und Stichwortgeberin für terrorsympathisierende Strömungen in der globalen Linken.

    Butler bekommt überall Preise, auch eben vor zwölf Jahren den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main, deren Jury (bis auf FAZ-Redakteur Jürgen Kaube) für ein Werk, das als auf ernsthaft Profundes nachgelesen kaum betrachtet werden darf, eine Philosophin auszeichnete, die angeblich auf Subversion und Kritik hält – als ob das schon einer Ador­no-Fellowerschaft würdig wäre.

    Schon gar nicht deshalb, weil Adorno Tränen und Leid und Schmerz als philosophischen Denkfaden für tauglich gehalten hätte, zumal diese drei inzwischen zentralen Vokabeln aus Butlers Denkfundus nicht als politische Kategorien taugen – sondern nur fürs Mitreden um politisch nur schwer Änderbares.

    Kein Impuls ging von Butler aus, der die Welt auch nur einen Deut besser gemacht hätte. Wie Nussbaum, sinngemäß, formulierte: Ihre Ideen führen ins Nichts. Was sie so attraktiv macht, ist eben ihre Weltenferne, ihr exklusives, faktisch antisemitisches, weil Israel dämonisierendes Sprechen über den ­Nahen Osten, den Imperialismus und das gewisse Dies & Das mit Suhrkamp-Appeal.“

    https://taz.de/Judith-Butler-und-ihr-Werk/!5994977/

  36. @“Was sie stattdessen liefert, ist ein Kampf um Symboliken. Für das Recht auf die Identität als Nonbinäre des Geschlechtlichen, für Transfluidität, damit im Übrigen in Allianz mit dem medizinisch-pharmakologischen Komplex, der seine chirurgischen und chemischen Manipulationsmöglichkeiten begründet sehen wollte, für Sternchen, Unterstriche und allerlei Sprachinnovationen – als ob das irgendeinem feministischen Anliegen der materiellen Sorte irgendwie aufhelfen könnte.“ —– Da sticht ins Auge, dass der radikalste Flügel des Feminismus der 80er Jahre sich vehement gegen Reproduktionstechnologie und Enengineering wandte, so vehement, dass deren Diskussionsveranstaltungen vom Staatsschutz als „anschlagsrelevant“ eingestuft wurden und Frauen/Lesbenzentren mit 129a) Verfahren schikaniert wurden. Ich erwähne nur die Namen Ingrid Strobl und Ulla Penselin. Weit ist´s gekommen.

  37. Ja, in der Tat.

    Zu dem falsch verstandenen Antiimperialismus der Israelphoben wie auch dem Mimimimi-Antisexismus fällt mir ein Diktum eines früheren Genossin aus dem Dunstkreis der „Autonomie/Materialien für einen neuen Antiimperialismus“ ein: „Die Regression darf keine Grenzen kennen. Das Brett vorm Kopf zur Waffe machen!“

  38. Das Problem bei solchen Titeln ist in der Tat die Apodiktik. Denn es gibt eben auch genügend Linke, die genau diese Gewalt gegen Frauen kritisieren.

  39. Die Mehrzahl der Linken. „Vergewaltiger, wir kriegen Euch!“ ist halt auch eine links-feministische Parole.

  40. Ich erinnere noch an der Hamburger Uni dann die Antwort darauf unter den Spruch geschrieben und auf eine damals noch sehr bekannte Werbung anspielend: „Vergewaltiger, wir kriegen Euch!“ „Mit Danone!“

  41. Daß es damals schon bei dieser studentischen Linken einen hohen Beknacktheitslevel gab, zeigte sich daran, als Anfang der 1990er Jahre im FB Philosophie die junge mit mit einem veritabel knackigen Arsch versehene A.H. am Boden hockte – jenen veritablen Arsch in enger Jeans steil in die Höhe reckend – und an einem Plakat malte. Ich fragte mit süffisantem Unterton, ob denn schon wieder Studentenstreik sei. Nein, entgegnete A.H., im Rahmen des Foucaultseminars zu „Überwachen und Strafen“ (damals von Herbert Schnädelbach gegeben) wollen wir vor den Gefängnissen für die Freilassung der Gefangenen demonstrieren. Ich wollte erst nachfragen, ob das wohl auch für die dort einsitzenden Vergewaltiger und Gewaltverbrecher gelte, die sich an ihren Ehefrauen vergangen hatten, unterließ aber dann doch diese Frage, weil sie vermutlich zu einigem Ärger geführt hätte. Das war wieder so einer dieser Mosaiksteine, wo ich linkssein nur noch als eine steindumme Angelegenheit empfand, die von irgendwelchen Bürgerkindern ohne jedes Nachdenken ausgeübt wurde, um sich hinreichenden Distinktionsgewinn zu verschaffen. Man sieht also, daß diese ganzen Verwerfungen nichts Neues sind. Nur blieben sie damals intern und vom Spinnertum jener Leute, die Gefangene freilassen wollten, drang nur wenig bis gar nichts an die Öffentlichkeit.

  42. Kenne das ähnlich aus meinem Studium. Aber diese Leute waren damals noch wenige, inzwischen sind sie überall. Ich habe manchmal das Gefühl, dass all die Linksradikalen und Feministen aus der Uni bei der ARD gelandet sind und dort das Programm bestimmen.

    Und sie haben keine Hemmungen, ihre politischen Ziele auch gegen demokratische Mehrheiten durchzusetzen, mit Bürgerräten, Paritäten und Quoten. Aus meiner Sicht eine größere Bedrohung der Demokratie als die AfD.

  43. @El Mocho: Ich sehe diese Bedrohung ebenfalls als gefährlich an und auch gefährlicher oder zumindest genauso gefährlich wie die AfD. Zumal die AfD nirgends irgendwo in der Regierung steht und auch im kulturellen und medialen Bereich nirgends eine Stimme hat.

    Und in diesem Kontext von Cancel Culture wird dann dieses neue Buch von Susanne Schröter auch etwas für Dich sein: „Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht“. Ich habe damit angefangen und diese Entwicklungen gerade an deutschen Universitäten und auch in der medialen Öffentlichkeit sind mit Erschrecken zu konstatieren. Gleiches gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

    https://www.herder.de/geschichte-politik/shop/p4/83646-der-neue-kulturkampf-klappenbroschur/?

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