Hugo von Hofmannsthal zum 150. Geburtstag

Wohl jeder junge Mensch, der was für Sprache übrig hat – samt dem jungmenschhaften Ahnen von der Vergeblichkeit, an jene schwer zu sagenden Dinge heranzuragen -, hat den Chandos-Brief begeistert gelesen. Und ebenso Hofmannsthals Gedichte. Was für ein großartiger Gedichtanfang, wo in den ersten beiden Zeilen bereits das gesamte Drama aufblitzt.

„Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,
Leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:

Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.“

Daseinsdichtung, so könnte man Hofmannsthals Schreiben wohl nennen. Wie bei Rilke ein Wurf ums Ganze – hin zu den Dingen, den Engeln, den Menschen und einem Gott, der manchmal Schnitter heißt. Und solches Sehen macht sich noch in Hofmannsthals Buchkritiken bemerkbar. Schön etwa seine Beobachtungen zu dem bekennenden Kaffeehaussitzer und Schriftsteller Peter Altenberg:

„Aber das macht wieder die Seltsamkeit des Buches aus, daß es das ganze Leben, aber wirklich das ganze, für den Lustgarten der Poesie ansieht und mit seiner allzu süßen, verliebten Musik in alle Klüfte des gewöhnlichen Lebens hineindringt. Denn die Menschen in den hundert Geschichtentun die gewöhnlichsten Dinge und reden die gewöhnlichsten Dinge, aber der Dichter sieht die Bruchstücke ihrer einfachen Schicksale mit solchen trunkenen Augen, wie man am Abend einen schönen Garten zusieht, wenn die Beete begossen werden.“ (Hofmannsthal, Ein neues Wiener Buch)

Das Ideal des Dichters aber bliebt dies:

„Es scheint sich hier ein Kreis anzukündigen, der die Kunst ausschließlich vom Standpunkt des Lebens ansieht, wobei ihm endlich das Leben völlig als Material der Kunst erscheint.“ (Hofmannsthal, Ein neues Wiener Buch)

Frei nach Friedrich Nietzsches Satz aus der „Geburt der Tragödie“, daß das Dasein und die Welt einzig als ästhetisches Phänomen zu rechtfertigen seien. Leben und Kunst verschwimmen in der Emphase des Dichters. L’art pour l’art und vor allem jener nicht zu brechende Wille zur Form.

Und auch hier die Frage von Sprache, Wahrnehmung, Darstellung, dem Affiziertwerden und den Dingen, die in der Dichtung ihre Gestalt gewinnen – jener besondere Blick, der zugleich immer dem Scheitern ausgesetzt ist, der versagen kann, weil die Sprache ausbleibt, wie wir es im Chandos-Brief lasen. Modrige Pilze im Mund.

„Nur Künstler und Kinder sehen das Leben, wie es ist. Sie wissen, was an den Dingen ist. Sie spüren im Fisch die Fischheit, im Gold das Wesen des Goldes, an den Reden die Wahrheit und die Lüge. (…) Sie sind die einzigen, die das Leben als Ganzes zu fassen vermögen. Sie sind die einzigen, die über den Tod, den Preis des Lebens etwas sagen dürfen. Sie geben den Dingen ihre Namen und den Worten ihren Inhalt.“ (Hofmannsthal, Ein neues Wiener Buch)

Die Frage jeder Dichtung bleibt, wie die Dinge erfüllt und belebt werden können, in immer neuer Weise, in einer immer neuen Sprache, sei es die des Steines und des Mineralischen, des Pflanzlichen und Hermetischen, des Geologischen, wie bei Paul Celan, oder im melancholischen Sound einer Straße irgendwo in Köln, wie es Rolf-Dieter Brinkmann tat, oder wenn er „Mondlicht in einem Baugerüst am Ende des 20. Jahrhunderts“ besang, in einem sich überschlagenden Reigen an Bildern, Assoziationen und Erinnerungen, die an den Strahl von Mondlicht geknüpft sind. Am Ende muß sich der Dichter für das, was er tut, vor einem Gott verantworten, wie Hofmannsthal es zum Ende seines Chandos-Briefes schreibt: „… eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.“

Daß jener Tod und jene metaphisch-theologisches Figur des Endes bei Hofmannsthal eine besondere Bedeutung hat, kann man an zahlreichen seiner Werke sehen, so etwa in jener Erzählung „Das Mächen der 672. Nacht“:

„Doch er fühlte ebenso die Nichtigkeit all dieser Dinge wie ihre Schönheit; nie verließ ihn auf lang der Gedanke an den Tod, und oft befiel er ihn unter lachenden und lärmenden Menschen, oft in der Nacht, oft beim Essen.“

Barocke Vanitasmotive durchziehen Hofmannsthals Dichtung. Besonders betörend ist freilich jene Stelle in „Der Tor und der Tod“, als zu jenem Edelmann Claudio der Tod in den Raum tritt, um ihn abzuholen, und eben jene Sätze spricht:

„Steh auf! Wirf dies ererbte Grau’n von dir! / Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe! / Aus des Dionysos, der Venus Sippe, / Ein großer Gott der Seele steht vor dir.“
(Hofmannsthal, Der Tor und der Tod)*

Was für eine großartige Sentenz! Ob es sich bei dieser Rede freilich um Wahrheit oder Trug handelt: wer weiß das schon? Von jenem anderen Ort her vermag niemand mehr zu sprechen und darüber Auskunft zu geben. Die Natalität des Anthropos setzt eben genau jenes Wissen als Weisheit des Lebens wie des Dichters voraus – womit wir wiederum bei Nietzsche, beim Leben, aber auch bei jener so grausamen Wahrheit des Selen wären. Von Geburt an. („Manche freilich …“)

[Dem Ostpreußenblatt sei für die wohl schönste Hofmannsthal-Photographie zu danken.]

* Gefunden heute in einer Hofmannsthalwürdigung von Tilmann Krause in der WELT

2 Gedanken zu „Hugo von Hofmannsthal zum 150. Geburtstag

  1. Wunderbar! Haben Sie großen, großen Dank für dieses Stück … ja, ein wenig ist es Dichtung über Dichtung.

    Ihr ANH

  2. Recht vielen Dank! Ich habe dabei auch an Ihre Dichtung gedacht, die ja durchaus diesen vielfältigen Bezug zum Tod hat. Und darin die Form zugleich eine derart zentrale Rolle spielt, wie es heute leider bei den wenigsten deutschsprachigen Schriftstellern anzutreffen ist.

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