8. Mai: Tag der Befreiung – 9. Mai 2023: Rußlands Tag der Schande

Der 9. Mai ist in Rußland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion der Tag der Befreiung vom Faschismus und auch in Berlin wird er ritualisiert begangen – wobei ich nichts gegen Rituale habe, sie sind auf verschiedenen Ebenen, nicht nur der symbolischen, wichtig: ob dies nun Gottesdienste sind, Gedenkveranstaltungen, Krönungen von Königinnen und Königen oder die Vereidigung von Bundeswehrsoldaten samt Großem Zapfenstreich. Oder eben jene Kranz- und auch Besuchsrituale an den drei sowjetischen Ehrenmalen in Berlin.

Inzwischen aber ist dieser 9. Mai zugleich einer von vielen Tagen der russischen Schande, solange, seit dem 24. Februar 2022, eine russische Soldateska in der Ukraine wütet und Menschen tötet und mit Bombenterror ein Volk zu demoralisieren versucht. Putins imperialistische Feier zum 9. Mai und sein Zurschaustellen einer Größe, die als Makulatur sich erwies, ist schon aus diesem Grunde ein Betrug, weil es jenes Land, das mit erheblicher Unterstützung der USA den Sieg über Nazideutschland errungen hat, seit 1991 nicht mehr gibt, nämlich die Sowjetunion, eine blutige Diktatur und im Hitler-Stalin-Pakt samt dem geheimen Zusatzprotokoll zugleich Täter und, wenn man es rigide interpretieren will, Mitinitiator des Zweiten Weltkrieges: betrogener Betrüger am Ende.

Und wer von der Sowjetunion und ihren in der Tat erheblichen Opfern spricht, der muß allerdings auch Katyn sagen: als im März 1940 die Sowjets in den von ihnen besetzten polnischen Gebieten jene polnische Elite und polnische Militärs umbrachten: erschossen, per Genickschuß und in der Erde verscharrt. Nur einige wenige, wie der polnische Maler und Autor Józef Czapski, entgingen dem Massaker von Katyn; Czapski landete in einem der sowjetischen Konzentrationslager. Unbedingt lesenswert ist jenes Buch „Proust. Vorträge im Lager Grjasowez“ (2006 bei der Friedenauer Presse erschienen). Czapski hielt jene Proustlesungen in einem der Lager Stalins, um bei Verstand zu bleiben und sich und die anderen Menschen zumindest durchs Denken am Leben zu erhalten.

All diese Aspekte gehören zum 8./9. Mai mit dazu. Es ist für Westeuropa einerseits ein Tag der Befreiung gewesen, für die Deutschen der Tag der Niederlage, darin zugleich, zumindest für Westdeutschland, die Möglichkeit zur Freiheit lag und damit also zumindest implizit ein Tag der Befreiung. Für ganz Ost- und Mittelosteuropa sowie für den östlichen Teil Deutschlands jedoch war es ein Tag, der keine Befreiung brachte: es war der Übergang von einer Diktatur in die andere. Denn keineswegs bedeutete der Sieg über den Faschismus für die Länder des Baltikums, für Polen und Tschechoslowakei Freiheit und Unabhängigkeit. Und auch die USA und Großbritannien trugen in der Konferenz von Jalta das ihrige dazu bei. Insofern gibt es gute Gründe, weshalb die baltischen Länder, die Ukraine, Polen und Tschechien sowjetische Ehrenmale entfernten oder aber wie in Kiew umänderten.

Was nun die T-34-Panzer am Ehrenmal an der Straße des 17. Juni betrifft, so sollten diese Panzer und die Artillerie mit Tüchern schwarz verhüllt sein, solange die Russen in der Ukraine Terror ausüben und Zivilisten töten. Schließlich war es immerhin möglich, die damalige Charlottenburger Chaussee, an der das Ehrenmal 1945 erreichtet wurde, in „Straße des 17. Juni“ umzubenennen, nachdem eben jene T-34-Panzer den Arbeiteraufstand gegen das Ulbricht-Regime in der DDR niederwalzten. Insofern wäre also eine temporäre Umwidmung denkbar. Diese sowjetischen Panzer sind nicht nur Symbol für den Verteidigungskampf der Sowjetunion und ihrem Sieg über Nazideutschland (dank Unterstützung der USA), sondern ebenso steht dieser Panzer als Sinnbild für die Unterjochung der Völker Mittelosteuropas: von der brutalen Niederschlagung des Arbeiteraufstands am 17. Juni in der DDR, über den Einmarsch in Ungarn 1956 und die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Und immer mußten all jene Regime, die unter der Aufsicht Moskaus standen – im Warschauer Pakt war man per Zwang, in der NATO freiwillig (nebenbei und was gerne vergessen wird) – immer und zu jeder Zeit gewärtig sein, daß bei der kleinsten Abweichung Sowjetpanzer im Land standen: wie in Polen, als Wojciech Jaruzelski von 1981 bis 1983 das Kriegsrecht verhängte, um dem Einmarsch der Sowjets zuvorzukommen. Der Hintergrund waren die Proteste der ersten freien Gewerkschaft Solidarność und der Demokratiebewegung. „Lieber Jesus im Herzen, als Marx im Arsch“ schrieb damals Wolf Biermann treffend und war fortan bei der konkret-Linken (und nicht nur bei der) nicht mehr so wohl gelitten. Und da ich als damaliger Linker Biermann seit jungen Jahren sehr geschätzt habe und schon aus diesem Grunde dem Ostregime und der DDR nichts abgewinnen konnte, so erwies sich auch dieser Satz als evident und richtig. Als Drohung hingen immer wieder jene Panzer über den Ländern, die in der Gewalt Moskaus standen. Der Name „Straße des 17. Juni“ erinnert daran. Und auch daß dieser Tag in der alten Bundesrepublik ein offizieller Feiertag war.

Und auch im Blick auf den gegenwärtigen Krieg Rußlands gegen die Ukraine ist ein angemessenes Gedenken nicht mehr möglich, zumal dieser 8./9. Mai von Putin imperialistisch instrumentalisiert wurde und wird – so auch heute wieder, solange nicht, so Gott will, ein paar Drohnen diese Feierlichkeit stören: losgesandt vom Kommando Mathias Rust. Solange russische Soldaten und russische Panzer in der Ukraine Krieg gegen ein souveränes Land führen, solange in der Ukraine Kinder nach Rußland verschleppt und Menschen deportiert werden, sollte in Deutschland an jenen Ehremmalen auch an diesen Krieg erinnert werden. Zur Lage in der Ukraine schrieb die WELT am 7. Mai:

„‚Einen würdigen Platz in unserer russischen Familie‘ werde die ukrainische Region Cherson einnehmen, sagte der russische Vize-Regierungschef Marat Chusnullin 2022 bei einem Besuch in dem besetzten Gebiet. Weil der Großteil der Ukrainer daran allerdings nicht interessiert ist, setzt Russland immer mehr auf Zwang, um die Menschen in den eroberten Regionen an sich zu binden.

Nach Informationen des britischen Verteidigungsministeriums wurde den Bewohnern in den noch russisch besetzten Teilen der Oblast Cherson östlich des Dnipro ein Ultimatum gesetzt: Wer bis zum ersten Juni keinen russischen Pass angenommen habe, der solle enteignet und deportiert werden.
[…]
Damit setzt Russland auf eine Strategie, die es bereits 2014 auf der annektierten Halbinsel Krim und seit 2019 auch in den Regionen Luhansk und Donetzk angewandt hat. Laut der Zeitung „Kyiv Independent“ hat Russland seit 2019 eine Million Pässe auf ukrainischem Territorium ausgestellt. Auf die Krim wurden zusätzlich Hunderttausende Russen angesiedelt. Offiziell nennt Moskau das Verteilen russischer Pässe eine „humanitäre Maßnahme“.
[…]
Tatsächlich sehnen sich die meisten, die das Pass-Angebot annehmen, in erster Linie nach Stabilität und finanzieller Sicherheit, sagt der Ukraine-Experte Mattia Nelles zu WELT AM SONNTAG. Nelles hat lange für eine Stiftung in der Ukraine gearbeitet und hat Verwandte in der Region Luhansk. Sozialleistungen, Gehälter und Stellen seien in den besetzten Gebieten an den russischen Pass geknüpft – wer keinen hat, werde in vielen Fällen nicht bezahlt.“

Es ist die immergleiche Methode, schon 2014 auf der Krim und dann im selben Jahr im Donbas. Und weiter heißt es im Text:

„Die wahrscheinlich perfideste Russifizierungs-Maßnahme ist die systematische Verschleppung ukrainischer Kinder. Unter dem Deckmantel medizinischer Hilfe wurden Tausende Kinder nach Russland gebracht, wo sie anschließend durch Umerziehung ihrer Heimat entfremdet werden sollen. Der ukrainischen Regierung zufolge sind mindestens 19.000 Kinder betroffen.

Laut einem UN-Bericht verstößt dies „gegen internationales humanitäres Recht und kommt einem Kriegsverbrechen gleich.“ Der Internationale Strafgerichtshof erließ deswegen einen Haftbefehl gegen den Wladimir Putin und gegen Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte.“

Solange Kinder und Erwachsene nach Rußland verschlepppt, Menschen gefoltert und Zivilisten auf offener Straße erschossen werden, bleibt der 9. Mai der Tag der russischen Schande.  Wieweit man solche Feierlichkeiten in Deutschland wird unterbinden können, ist eine juristische Frage. Richtig ist es aber, daß die russischen Fahnen und Georgsbänder auf solchen Veranstaltungen verboten sind. Und unbedingt ist auch darüber nachzudenen, die Panzer und die Artillerie des sowjetische Ehrenmals im Tiergarten zu verhüllen, solange Rußland völkerrechtswidrig Teile der Ukraine besetzt. Vielleicht mit der Ukrainischen Flagge. Erinnerungsrituale haben immer auch etwas mit konkreter Erinnerungspolitik zu tun. Im 2. Weltkrieg war die Sowjetunion Täter und Opfer in einem und zudem unter Stalin eine blutige Diktatur, die in ihrer Brutalität Hitler in nichts nachstand. Und  zugleich war es das Land,  das die höchsten Opferzahlen aufwies.

Wenn eine Gestalt wie Putin die Erinnerung an den 2. Weltkrieg derartig instrumentalisiert, um den eigenen Imperialismus zu rechtfertigen, dann gewinnen auch solche Mahnmale und die zelebrierten Feierlichkeiten eine neue Dimension – zumal wenn sie von Putin derart mißbraucht werden, so zeigt dieses Verhalten Rußlands, daß es nicht ums Gedenken und Erinnern an die Toten des Krieges geht. Man sehe nur, wie der 9. Mai in Rußland schon lange nicht mehr im Zeichen des 2. Weltkriegs und der verschiedenen Sowjetvölker steht, sondern es wird an diesem Tag Putinscher Raschismus und russischer Nationalismus abgefeiert, Erinnern und Eingedenken werden von Rußland und in Deutschland von jenen Putin-Freunden instrumentalisiert. Der 24. Februar 2022 hat auch die Qualität des 9. Mai und damit die Rituale an jenen sowjetischen Ehrenmalen grundlegend verändert.

Photographie: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

5 Gedanken zu „8. Mai: Tag der Befreiung – 9. Mai 2023: Rußlands Tag der Schande

  1. Wenn Sie über den achten Mai für die Länder Mittel- und Osteuropas und Ostdeutschlands von einem Übergang schreiben aus einer Diktatur in eine andere, spricht das in Ihren Augen dagegen, den achten Mai als Tag der Befreiung ganz Europas zu sehen? Ich kann es für die Länder Mittel- und Osteuropas nicht beurteilen. Für Ostdeutschland ist der achte Mai für ich ein Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus genauso wie für Westdeutschland. Mir kommt es so vor, als ginge der Streit darum, ob ein Patient, der die eine lebensbedrohliche Krankheit gerade noch so überlebt hat, überhaupt zu beglückwünschen ist und überhaupt Grund hat zu feiern, wenn gleich im Anschluss an diese Genesung eine andere, auch lebensbedrohliche Krankheit über ihn gekommen ist. Ich meine, es gebe dennoch etwas daran zu beglückwünschen, dass Europa vom Nationasozialismus befreit werden konnte.

  2. „spricht das in Ihren Augen dagegen, den achten Mai als Tag der Befreiung ganz Europas zu sehen?“

    Nein, und das schrieb ich doch auch klar und deutlich. Es spricht aber sehr wohl etwas dagegen, diesen Tag durch Rußland instrumentalisieren zu lassen. Und es spricht auch einiges gegen eine in gewissen linken Kreise (DKP, Teile der Linken) betriebene Sowjetnostalgisierung mit Sowjetflaggen. Das mag popkulturell witzig sein und auch ästhetisch, so wie der Punk eben mit Nazi-Symbolen kokettierte, ist es aber nicht, wenn solche Flaggen zum politischen System gehören.

    „Für Ostdeutschland ist der achte Mai für ich ein Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus genauso wie für Westdeutschland.“

    Lesen Sie doch mal genau, was ich geschrieben habe! Es ist für den Osten ein Tag der Befreiung vom Faschismus, um sogleich ins System des Stalinismus überzugleiten. Dieses besaß einzig den Vorteil, daß es keine systematische Judenausrottung, aber sehr wohl noch Judenverfolgung betrieb.In Polen übrigens bis in die 1960er Jahre hinein – dazu brauchte es dann nicht einmal mehr Stalins entsetzlichen Antisemitismus.

    „Ich meine, es gebe dennoch etwas daran zu beglückwünschen, dass Europa vom Nationasozialismus befreit werden konnte.“

    Ja, das bestreitet hier doch auch keiner und auch nicht mein Text, wenn Sie gründlich gelesen hätten, nur ist dies nicht der einzige Aspekt. Es unterliegt dieses Datum einer geschichtlichen Dialektik.Für uns im Westen war es eine Befreiung, für all die Länder in Mittelosteuropa bedeutete es das Joch des Stalinismus und darauf folgend dann der brutalen sowjetischen Diktatur. Ich denke, diese beiden Aspekte sind nicht so schwer zu begreifen.

    Worum es geht, ist diesen 8./9. Mai der Sowjetisierung und der Glorifizierung eines brutalen Systems zu entreißen. Welches System brutaler war, der deutsche Faschismus oder Stalins Kommunismus, darüber mögen Historiker streiten – sie waren beide brutal in unterschiedlichen Hinsichten. Was die singuläre Brutalität des Nationalsozialismus „auszeichnete“ ist der industrielle Massenmord an den Juden. Hier haben wir in der Tat einen Umschlag in eine neue Qualität. Nur macht eben das alles Stalin keineswegs zu einem Befreier. Und genau um diesen Aspekt geht es in diesem Text – auch vor dem Hintergrund von Putins teils genozidalem Krieg gegen die Ukraine. Putin instrumentalisiert das Gedächtnis an all die sowjetischen Toten zugunsten seiner brutalen Politik eines Großrußlands.

  3. Und die aus Stalins Moskau zurückkehrende Gruppe Ulbricht wußte in der damaligen SBZ auch sehr gut wie vorzugehen ist: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Und das Ergebnis hat man dann gesehen. Hier ging es beileibe nicht darum, das besser Deutschland zu schaffen, sondern Antifaschismus geriet zum Erpressungsritual gegenüber allen, die gerne einen anderen Weg gegangen wären und sich haben von den SED-Oberen haben ködern und einfangen lassen. Vor allem die brutale Verfolgung von Andersdenkenden und deren Internierung in Lagern. Wer einmal die Haftanstalt in Berlin Hohenschönhausen besucht hat und sich die Geschichten dieses Kommunismus erzählen läßt, ich habe es 1999 gemacht, der denkt über dieses SED-Regime, über die SBZ und dann die DDR erheblich anders. Eine Republik war es ganz sicherlich nicht. Und so konnte die SED die größten Schweinerein und Verbrechen begehen, denn es war ja alles im Namen des Antifaschismus.

    Unbedingt empfehlenswert hier zur Lüge und „Logik“ des Antifaschismus als metapolitische Instrumentalisierung: Francois Furet „Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert“. Darin auch das Kapitel „Die Kultur des Antifaschismus“.

  4. Vielen Dank für Ihre Klarstellungen und Bezüge auf den interessanten Text, den ich gern gelesen habe und von dem ich dachte, dass ich ihn auch genau genug gelesen hätte, um eine Frage zu stellen. Sie schreiben, ich zitiere: „Es ist für Westeuropa einerseits ein Tag der Befreiung gewesen, für die Deutschen der Tag der Niederlage, darin zugleich, zumindest für Westdeutschland, die Möglichkeit zur Freiheit lag und damit also zumindest implizit ein Tag der Befreiung. Für ganz Ost- und Mittelosteuropa sowie für den östlichen Teil Deutschlands jedoch war es ein Tag, der keine Befreiung brachte: es war der Übergang von einer Diktatur in die andere.“ Meinten Sie jetzt, dass es implizit ein Tag der Befreiung für ganz Europa war, implizit einer für West- wie Ost-Deutschland, oder implizit nur einer für Westdeutschland? Mein Punkt war dieser: Die Tatsache, dass nach der am achten Mai beendeten Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten in Polen, Ukraine, Tschechien, Slowakei dann für diese Länder eine Fremd-Herrschaft der Sowjetunion begann, macht diese die Befreiung klein, kleiner, falsch, wirkungslos? Ich bin über die Sowjetunion ganz gut im Bild, war dort, habe Kopelew kennengelernt, nachdem er in den Westen übergesiedelt war, und bewundere Schalamows Werk. Wenn ich Sie frage, was für Sie die Sowjetdiktatur für eine Einfärbung des Tages der Befreiung vom deutschen Faschismus bewirkt, antworten Sie damit, ich hätte Ihren Text schlecht gelesen. Tut mir leid, wenn das so ist, ich lese Ihre Texte gern und finde Fragen einen natürlichen Weg der Klärung.

  5. Ich habe Ihren Kommentar erst jetzt entdeckt, da er leider im Spam-Ordner gelandet ist.

    Zunächst einmal danke für Ihre Nachfrage. Zum Tag der Befreiung und Ihrer Frage: Zunächst einmal wurde ganz Europa vom Faschismus befreit und dieser Umstand bedeutet, daß damit auch der fabrikmäßig organisierte Mord an den Juden und auch an anderen Menschen wie den Zigeunern bzw. Sinti und Roma aufhörte. Insofern macht diese Befreiung vom Faschismus und von deutscher Okkupation diesen Tag für die Länder Mittelosteuropas nicht falsch und wirkungslos, sondern es ist dieser Tag zunächst einmal eine Befreiung. Doch wie es in der Dialektik der Geschichte so ist, kommt dann das große „Aber“, denn leider ging dieser Tag für den Ostbereich dann im weiteren Lauf der Geschichte nicht so gut aus wie für den Westen. Und ab diesem Punkt geriet die Befreiung zum Übergang in eine neue Diktatur. Die Länder des Baltikums wurden keine souveränen Staaten, sondern der Sowjetunion einverleibt. In Polen, der Tschechoslowakei und anderen Staaten entstanden neue, kommunistische Diktaturen, die bürgerliche Freiheitsrechte im Blut ertränkten. Während sich in Westdeutschland mit der BRD eine Demokratie entwickelte – mit Fehlern, mit Nazis teils und mit allen Schwächen, aber doch eben ein Land, wo man im Vergleich zur DDR weitgehend sagen konnte, was man dachte und wo es eine plurale Presse gab: wo also in der Westzone von den westlichen Aliierten und federführend von den USA eine Demokratie aufgebaut wurde, wurde in der DDR eine Einheitspartei installiert, die Zeitungen, Meinungen, Denken und Reden bis ins Wohnzimmer hinein kontrollierte und dem Diktat unterwarf. Politische Abweichler wurden in den Angangsjahren gerne noch hingerichtet – unter dem Vorwand, Faschist zu sein.

    Jeglicher Widerstand gegen das Sowjetregime wurde mit Panzern niedergewalzt: Stichwort 17. Juni etc. pp. Und noch 1989 in der DDR wußten viele nicht so recht, ob Honnecker, Krenz und wie die Bande damals hieß, nicht doch die chinesische Lösung bevorzugten, als die Menschen anfingen, auf die Straße zu gehen.

    Man kann es also auch die verspielte Befreiung nennen – und daran trugen auch die westlichen Alliierten eine Teilschuld, wenn man an die Konferenz von Jalte denkt. (Andererseits war Europa, waren die westlichen Alliierten vom Krieg müde und zudem dauerte der Zweite Weltkrieg im Pazifik noch bis in den August hinein an, insofern wäre ein neuer Krieg in Europa kaum durchführbar, um das Sowjetregime in Mittelosteuropa zum Teufel zu jagen.)

    „Wenn ich Sie frage, was für Sie die Sowjetdiktatur für eine Einfärbung des Tages der Befreiung vom deutschen Faschismus bewirkt, antworten Sie damit, ich hätte Ihren Text schlecht gelesen.“

    Wenn ich dies so schreibe, dann geht es mir darum, daß in meinen Text Aspekte hineingelesen werden, die dort nicht stehen, mithin ein Strohmann aufgebaut wird. Sowas ist schade und für Debatten auch ärgerlich und nicht weiterführend. Insofern ist es besser, so wie Sie es in Ihrem letzten Kommentar taten, nochmal genau nachzufragen.

    Was die Sowjetunion betrifft, so hat sie in diesem Krieg hohe Opfer gebracht und es wütete der Krieg gerade in diesen Territorien derart brutal, daß man gut hätte verstehen können, wenn die Sowjetarmee aus Rache alles Deutsche dem Erdboden gleichgemacht hätte. Und insofern ist auch der sowjetische Stadtkommandant Nikolai E. Bersarin zu bewundern, der in Berlin wieder eine Ordnung herstellte und auch Kultur in die Stadt brachte. Dies geschah sicherlich auch unter politischer Präferenz Stalins, aber als Verantwortlicher vor Ort hätte dieser Stadtkommandant all das auch wesentlich rabiater umsetzen können. Trotz alledem aber gerieten in den folgenden Jahren diese mittelosteuropäischen Länder erneut unters Joch. Die Diktatur Stalins zeichnete sich nicht durch organisierte Morde aus, die im Namen einer Rassenbiologie erfolgten, aber blutig und entsetzlich waren diese Jahre nach 1945 dennoch: von Judenverfolgungen in der Sowjetunion bis hin zur Eliminierung von Dissidenten. Tod durch Arbeit im GULAG. Schalamow ist das ein guter Hinweis von Ihnen. Und wer sehen will, wie es dann 1946 in der damaligen SBZ zuging, der besuche die Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen und das Konzentrationslager Buchenwald, welches von den Sowjets umstandslos übernommen wurde. Von Befreiung ist hier also keine Spur mehr zu sehen.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..