Serge Gainsbourg zum 30. Todestag

Gainsbourg bedeutet für mich ein Frankreich, daß es leider nicht mehr gibt. Gainsbourg bedeutet eine Zeit, die lange schon vorüber ist, zwischen weichgespülten Woken und einer halbdummen, halb-dämlichen lustfeindlichen Linken, die ihren Ort eher in aseptischen Uniseminaren der triggerfreien Zone hat als in einem Puff oder in einer Bar oder einer hegelschen bacchantischen Orgie. Gainsbourg, das bedeutet: Lebensfreude, Genuß, Wein, Zigaretten, Fleisch, Baguette, Milchprodukte, formvollendet schöne Autos von Peugeot bis Alfa Romeo, Nächte in Paris, drastische Worte, Streit, Liebe, Debatten und Stöhnen einer Frau. Und eine Haltung, die sich nicht darum schert, was andere sagen oder denken.

Ich kann mich an den Photographien und am Lachen von Gainsbourg nicht sattsehen. Selten schaue ich mir Photographien von Männern an, die wenigsten finde ich anregend. Gerne schaue ich mir die Bilder seiner Tochter Charlotte an, vor allem in Lars von Triers Film „Nymphomaniac“ schätze ich sie, und genauso als Sängerin, und die Bilder von Jane Birkin damals aus den 1960er Jahren – seltsamerweise muß ich bei ihrem Namen an die Metrostation Bir-Hakeim denken: vom Trocadéro herübergefahren, über die Seine, über jene Brücke, zum Champ du Mars, zum häßlichen Eiffelturm, der heute schön ist. Passagenwelten und die breiten Boulevards, freche Kellner in Bistros, die ganz genau den lumpigen Touristen erkennen und ihn entsprechend behandeln, wenn man eben mit dem Akzent des Deutschen spricht, der klingt als spräche er Französisch wie es die Bauern in Bordeaux faseln: Kattröwöng statt einer eleganten katʀəvɛ̃. All das ist für mich Paris, Paris und nochmal Paris. Vor allem der tote Serge Gainsbourg: als ich 1985 zum ersten Mal dort war, lebte er noch und ebenso als ich dann 1986 dorthin wieder reiste und auch die übrigen Jahre. Bis zum 2. März 1991. All jene Jahre und eine Zeit, die unwiederbringlich vorbei ist, sehe ich in jenen Photographien. Und höre das Timbre seiner Stimme.

Serge Gainsbourg liebe ich, weil er unphotogen-photogen ist; er ist auf den ersten Blick kein schöner Mann: kein Alain Delon, glatter, kalter, eiskalter Engel, kein Jean-Pierre Léaud, kein Jean Louis Trintignant – aber ist Trintignant schön zu nennen? Gainsbourg ist interessant. Er stellt etwas dar. Er singt, er raucht, er trinkt, er spielt und er machte Kunst, malte, interessierte sich. Allein diese Art zu rauchen habe ich in den 1980er Jahren und noch während des Studiums zu imitieren versucht. Wie locker man eine Zigarette in der Hand führen oder aber im Mundwinkel halten kann, für einfachso, Anmut und Würde, wie genußvoll ein Mensch inhalieren kann: das habe ich in dieser Weise noch nie gesehen – die Photographien damals gaben davon bereits Auskunft. Der Blick, die Geste. Bilder mit Leben gefüllt. Der Preis für solches Leben ist am Ende der Tod. Man kann es sich aussuchen.

Immer eine Nikon im Anschlag. So wie man als Photograph durch die Stadt Paris zieht. Was geht, was geht nicht? „Qui est in, qui es out“, Gainsbourgs Popsong aus den mittleren 1960er Jahren, als die Befreiung von den Konventionen sich schon lange Bahn brach, noch bevor die Studenten rebellierten, ist in meinen Ohren vom Rhythmus her genau ein solches Durchschreiten der Stadt. Dieser Sound verkörperte für mich – neben Jacques Dutroncs kitschigem, aber zugleich doch schönem Morgengebet nach einer durchwachten Nacht: „Il est cinq heures, Paris s’éveille“ – jenes Paris der 1980er Jahre, wo man noch an manchen Ecken etwas von einer ganz anderen Zeit erleben durfte: wie wenn man in einem Truffaut-Film der 1950er Jahre spazierte oder gar in „Hôtel du Nord“. Wo man am Saint-Germain-des-Prés (Code-Wort, wie Alfa Romeo!) noch in Bars einkehren konnte, die für Wein und Kaffee kein Vermögen verlangten, wo es nahe der Metro „Maubert – Mutualité“ einen Plattenladen mit französischem Punk gab, darin Skins und Punks, wo auch immer die herkamen, Platten erstanden. Aber vielleicht waren all das bereits schon jene Touristen, die dann die Stadt zerwirtschafteten und damit schöner Schein, der fürs Schlechte bürgt. Dennoch: Städte und Landschaften erschließen sich ebenso durch Filme, Photographien, Literatur und Musik. Und mittels Erinnerungen. Oder wie im Falle Paris einfach durch den Sound der Namen der Pariser Metrostationen: nicht bloß für uns Deutsche: Stalingrad und Oberkampf (Französische Punkband auch, aus den frühen 1980er Jahren), sondern ebenso sehr solche Namen, die wie ein Lautgedicht klingen: Porte de Clignancourt, Denfert-Rochereau, Trinité – d’Estienne d’Orves, Sèvres – Babylone, La Motte-Picquet – Grenelle, Place d’Italie, Ségur, Blanche, Anvers, Barbès – Rochechouart, Réaumur – Sébastopol, Étienne Marcel, Grands Boulevard. Name, Klänge, Szenarien und ein wenig auch eine Erinnerung an Queneausche Stilübung und Déesse. Serge Gainsbourg verkörperte dieses seltsame Gemenge.

Paris, durch dessen Straßen jeden Morgen das Wasser gespült wurde, um den Schmutz des letzten Tages in die Kanalisation zu schwemmen.

(PS: Alfa Romeo im ersten Absatz war freilich ein kleiner Godard-Scherz aus  „Le Mépris“. Die Marke ist natürlich italienisch. So wie gute Schuhe, feines Essen, der Alpini Hut und ein muskulöser Führer.)

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