Gender Trouble für die Theaterbubble – Katie Mitchells „Orlando“

Eine Bühne, die wie ein Requisitenlager oder ein Filmset ausschaut. Der Raum verbirgt nicht, daß zum Theater Schminke, Kleider und Perücken gehören. Links am Rand ist im Dunkeln der Tisch für all diese Dinge zu sehen, es werkelt und packelt und wuselt da das Bühnenpersonal. Mikrophon-Träger und Filmleute huschen über die Bühne, fahren auf Schienen Kameras, laufen mit Handkameras umher, von Szene zu Szene, die Schauspieler abfilmend, so daß oberhalb des Live-Geschehens auf einer Leinwand die Spiel-Szenen von der Bühne dupliziert und per Video eingespielt werden. Es zeigt sich gleichsam eine fünfte Wand: die zur Inszenierung nämlich: daß Theater zugleich eine Illusion ist, und will ein Regisseur diese Illusion erzeugen, so sind dazu zahlreiche Gegenstände und Helfer nötig: eben auch jene Requisiten, Maskenbildner, Bühnenarbeiter. Katie Mitchells Aufführung verbirgt diese Dingen nicht. Vom Bühnenbau bis zum Umkleiden. Auch die Techniker und die Gewerke sind Teil der Aufführung, schwarz gewandet, mit dem Hintergrund verschmelzend und doch unabdingbares Personal. Hier ganz sichtbar.

Für das Spiel mit den Geschlechterrollen, wie es Virgina Woolf in ihrem 1928 als Biographie tituliertem Roman „Orlando“ konzipiert, ist es keine schlechte Idee, den inszenatorischen Charakter solcher Theater-Szenen hervorzuheben. Wenn schon Geschlecht auch auf Konventionen und nicht nur auf der Biologie beruht, so auch unsere Gesellschaftsinszenierungen, wozu eben genauso das Medium Theater gehört – kleiner ironischer Seitenhieb. Der Text wird aus dem Off von einer Sprecherin (Cathlen Gawlich) gelesen, die neben der Leinwand in einer Art Studiokasten hinter einer Scheibe sitzt und ins Mikrophon spricht. Gawlich liest ihn in hohem Tempo, so daß der Gang durch die Jahrhunderte wie auf Schnelldurchlauf gesprochen oder im Zeitraffer wirkt. Die Prosa kommentiert die Bilder und Szenen, gelegentliches Beiseitesprechen schafft eine Komplizenschaft mit den Zuschauern. Das erzeugt im Publikum manchmal eine gewisse und auch beabsichtigte Komik.

Teils kostümprächtig sehen wir auf der Bühne eine Zeitreise vom elisabethanischen Zeitalter des 16. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert. Die Zeit vergeht im Fluge. Brüste der Königin Elisabeth, Männer, die Frauen sind, oder auch Männer, die Männer sind, umwerben Damen. Und Damen, die Männer oder auch Frauen sind, umwerben Männer, die Damen sind. Ein weiter Reifrock, der in seiner Breite nicht durch die Tür paßt, viel des Sinnlichen ist, Erotik, Dichtung und die Frage nach dem, was Mann und was Frau ist und ausmacht. Wandel der Konventionen und sogar das Klima wandelt sich, von der Kältezeit im Elisabethanischen Zeitalter hin zum Warmen. Auf dieser Reise begleiten wir den jungen Adligen Orlando (Jenny König), der all das erlebt. Ein Dichter, ein Sensibler, der seine Empfindungen und seine Sexualität auslebt, erst Mann, dann Frau. Klassenmäßig kann er sie es sich leisten. Erlaubt ist, was gefällt. Er verfällt einer russischen Fürstin, die ihn bezirzt. Sie versetzt aber Orlando, dieser versinkt in Schwermut. Vorabgefilmte Szenen dienen auf der Leinwand als Einspieler, ein Ritt auf dem Pferd, Schneelandschaft und ein Mohnfeld auf der Leinwand wechseln mit Bühnenszenen. Manchmal ist es witzig zu sehen, wie von der Technik her die Anschlüsse von der Out-Door-Realität zur In-Door-Szenerie des Theaters gut gelingen.

Orlando betäubt sich in Dichtung, in süßlicher Symbolik, Woolf-Text wie Gustave Moreau-Gemälde. Die Theaterbilder versuchen durch Überdramatisierung und Schnelligkeit immer einmal wieder den Woolf-Text ironisch zu brechen. Am türkischen Hof, wohin sich Orlando als Gesandter flüchtet, um sich schließlich einer aufdringlichen Verehrerin zu entziehen, gerät er in eine Revolution. Er fällt in eine Ohnmacht, wacht als Frau auf und muß als Frau fortan leben: in Frauenkleidern und mit den Zwängen von Frausein. „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es.“ Dieser emblematischen Satz aus Simon de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ ist sicherlich Folie auch für diese Inszenierung.

Das alles, das Spiel mit Geschlechterrollen wie auch mit der Theaterpraxis, den Bühnenraum als Bühnenraum sichtbar zu machen, wären eine interessante Idee gewesen, leider wurde der gute Ansatz zugunsten einer Aufführung mit vielen Klischees preisgegeben. Das Thema „Geschlecht“ zerspielt diese Inszenierung im Banal-Humor und die mal ironische, mal witzig-derbe Gender-fluidity wirkte oft nicht lustig und spielerisch, sondern oberlehrerhaft und bemüht. Flaue Witzchen, Männer, die als Tunten oder Frauen über die Bühne stöckeln, hach und huch kreischt die Lady Harriet (Konrad Singer), wild werden Partys gegeben, Adelstanz zu Technostampf. Da zuckt die Adelsmeute zu wilden Rhythmen.

Die Rückfahrt vom Osmanischen Reich nach Merry Old England geschieht nicht per Schiff, sondern im engen Flieger in der Touristenklasse. Irgendein männlicher Fluggast neben Orlando schwafelt wie Männer schwafeln und kreischt in Perücke. Ein Orlando immerhin, der gekonnt die Geschlechtsidentität wechselt, wenngleich mich die Spielkunst von Jenny König nicht recht überzeugte, zu outriert, zu gestelzt, zu gestanzt das Sprechen, zu oft reißt sie erstaunt über das alles, was ihr da widerfährt, die Augen auf. Es wirkt stellenweise laienhaft, als spielte eine Jugendliche Theater. Ob das Absicht ist, weiß ich nicht, aber mir scheint dieser Ton samt Mimik nicht geglückt und auch nicht amüsant und auch mit der leicht ironischen Tonlage werde ich nicht warm. Der Sprechtext der Figur findet gegenüber dem sprachlichen Original des Woolf-Textes nicht die nötige Souveränität. Mir gefiel’s nicht, wie König diese Rolle verkörperte. Ebensowenig der Humor dieses Stückes, er hatte etwas Verdruckstes. Bemüht, bestellt, nicht abgeholt. Wir sind so frei, hahaha. Witze an Klischees werden irgendwann selber zu Klischees. Irgendwie, so dachte ich mir, paßte dazu auch Carolin Emcke im Premierenpublikum und mein Grollen verstärkte sich.

Die in sich manchmal durchaus sinnigen, sinnlichen und zuweilen auch gelungenen einzelnen Szenen und Bild-Sentenzen wirken durch den Schnelldurchlauf in ihrem Zusammenhang jedoch inkonsistent. Es könnte alles genausogut auch anders sein, die Bilder in ihrer Abfolge sind beliebig, ästhetische Stimmigkeit geht anders. Mich überzeugt diese Anordnung von Bildern nicht. Selbst der Brexit darf im Stück nicht fehlen, als Filmeinspielsel eingeblendet auf die schöne Leinwand sehen wir Pro-Europa-Demonstranten, und in einer anderen Szene dann Eisberge, die im Meer treiben. Sie werden wohl bald schmelzen. Ob traurige Eisbären durchs Bild trotten, ob gleich Greta Thunberg auftaucht oder Orlando ein Schild ins Publikum hält: „Skolstrejk för klimatet“?

Vielleicht ist dies ein generelles Problem bei der Inszenierung von Romanen auf Theaterbühnen, so wie das in den letzten Jahren zur Mode wurde, von Melle über Zeh bis Strunk: eine narrative Erzählordnung in eine bildliche Narration samt Dialogen überführen zu müssen. Erzählerstimmen aus dem Off, die den Originaltext nachsprechen, sind da nur ein Notbehelf. Konsequent immerhin von Mitchell durchgehalten und damit eines der konsistenten Theatermittel ist die Idee, den Romantext (in Übersetzung von Alice Birch) über die knapp zwei Stunden mit den Theaterbildern zu konfrontieren. Wobei mir an einigen Stellen die Übersetzung problematisch schien. Auch da müßte man mit dem Original gegenlesen, ob mancher Over-Schwulst so da steht.

Da auf der Bühne die Spiel-Szenen oft schwierig zu erkennen sind, schaut der Theaterbesucher meist auf die Leinwand. Grob gesagt: Man hätte diese Sache ebensogut verfilmen können. Dabei verloren gegangen wäre allenfalls das Spiel zwischen Theater-Illusion und der Entlarvung der Illusion als Illusion. Nichts Festes ist. Aber vielleicht hätte es für diesen Trick dann beim Film gereicht, ein Mikro oder einen Kameraständer ins Filmbild ragen zu lassen, wie das schon John Waters in „Hairspray“ tat. Auf der Bühne zumindest entfalten die Szenenbilder nicht ihre Kraft, und die Filmeinspieler retten nicht die Theaterszenen.

Die Figur des Kritikers Nicholas Greene wurde freilich gut und auch inspirierend gespielt von Carolin Haupt – eine der wenigen tatsächlich lustigen Szenen, weil sich die Inszenierung an dieser Stelle der Spielfreunde und dem Witz von Texten überließ und das Lehrhafte in jenem Spiel unterging. Wenn dann in der Inszenierung dieser Greene den Orlando um seinen Erfolg als Dichter betrügt, indem er die Poesie als eigene ausgibt – anders als im Roman, dort sorgt er für jenen Erfolg – so mag das als Regieeinfall ein Seitenhieb auf die Kritikerkaste und die der Literaten sein, zeigt aber zugleich ein Problem: Die Inszenierung trägt zu dick auf, sie wedelt mit dem Zeigefinger. Männer, die tumb und trottelig wirken. Komödien sind eben doch schwieriger zu gestalten als Tragödien. Gerade beim Witz muß das Timing stimmen. In Mitchells „Orlando“ funktionierte er nicht. Berechenbarer Humor. Daß auch Derbes subtil sein und somit ein Spiel zwischen verschiedenen Polen entfalten kann, kommt der Inszenierung nicht in den Sinn.

Immerhin gibt es einen guten Aspekt an dieser Aufführung zu nennen: Sie dauert gerade mal 1 ¾ Stunden. Spielfilmlänge. Dann ist es vorüber und ausgestanden.

Es war erwartbar, erwartbares Theater war es. Wenn ich Lustiges oder Tiefsinniges zu den Geschlechterrollen sehen will, schaue ich mir am liebsten immer noch Édouard Molinaros herrlichen Film „La cage aux folles“ oder Wilders „Some Like it Hot“ an. Den Gang in die Schaubühne kann man auch lassen.

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