Karl Lagerfeld

Exzentrisch zu sein, ist in der Moderne einer ausdifferenzierten und zugleich doch gefügten Gesellschaft vielleicht nur noch solchen wie Lagerfeld möglich. Das wirkt auf viele skurril, und dieses Gefühl fürs Seltsame der eigenen Daseinsweise brachtet Lagerfeld selbst im Grunde gelungen auf den Punkt, wenn er davon sprach, daß er eigentlich nur eine Karikatur seiner selbst sei. Es wirkt solches Dasein wie Hybris oder aber wie ein Ausbruch aus den normalbürgerlichen Konventionen einer Erwerbsarbeit, der immer auch der Schrecken eingeschrieben ist und die mit der Anstrengung erkauft ist. Und doch finden wir in diesem Ausbruch des Exzentrikers ein Dasein, was sich am Ende ihres mühevollen Tages von Arbeit zumindest manche doch irgendwie wünschen: es anders machen, das zu tun, was gefällt, eine Arbeit nach dem Prinzip von Lust. Hilfloses Surrogat oft: wenn sie bzw. wenn wir in unseren kleinen Fluchten meinen auszubrechen, zeigt sich etwas davon. Im Abschweifen in den Konsum, wenn wir im angenehmen Warenhaus kaufen, wenn sie bei Zalando Billiges oder Seltenes erstehen, im Kinobesuch, aus dem man nicht immer dümmer herauskommen muß, aber oft leider schon, im Tinder-Gefühl, im Stadttheater als Kulturbetrieb oder oder in ihrem Twitter-Politverband, wo sie ihre Privatsicht als moralisch-hehre Haltung verkaufen oder in einer sich längst totgelaufenen Kritik oder Affirmation als Reflex auf Kritik oder in SUVs auf Autobahnen als Fluchtfahrt, Todfahrt, Heimfahrt.

In der Seltsamkeit des Exzentrikers liegt die Utopie. Selbst da, wo er mitten im Betrieb steht und zum Erhalt beiträgt. Das Gespür für die Schönheit eines Augenblicks oder für den herrlichen, doch  kaum merklichen Fall einer Falte im Kleid der Schönsten auf dem Laufsteg verschafft manches Mal mehr als das lausige Reden, Machen, Tun und Schreiben und unser Einerlei.

„Doch Wahrheit ist nicht – wie der Marxismus es behauptet – nur eine zeitliche Funktion des Erkennens sondern an einen Zeitkern, welcher im Erkannten und Erkennenden zugleich steckt, gebunden. Das ist so wahr, daß das Ewige jedenfalls eher eine Rüsche am Kleid ist als eine Idee.“ (Walter Benjamin, Passagenwerk)

Damit mag der König in die Höhe fahren: christlich, idealiter, am Material orientiert oder am Ende wie wir alle bloß als Erde. Und es bleiben als Werke und Tage jene Rüschen unseres Lebens, an die sich andere erinnern. Oder nicht. Ob Lagerfeld sich freilich in die Theorie des Dandys  fügt, so wie Walter Benjamin ihn konzipierte, darf man eher bezweifeln. Die Zeiten sind andere und der Glanz der Warenwelt verschob sich. Die Passagen aus dem Paris des 19. Jahrhunderts strahlen in einem fremden Licht, die Zirkulationssphäre wandelte sich. In der Sphäre des Konsums und der allgemeinen Verfügbarkeit noch des Widerständigen bleibt kaum Zeit und Raum für jenen Dandy.

 

9 Gedanken zu „Karl Lagerfeld

  1. Pingback: Ein schwerer, seltsamer Samt. Anstelle eine Arbeitsjournales am Mittwoch, den 20. Februar 2019. | Die Dschungel. Anderswelt.

  2. Der Dandy verstieß zudem in anderer Weise gegen Konventionen: Wenn Oscar Wilde Zuchthaus und Folter riskierte und im Zeitalter tiefster viktorianischer Moral auf der einen und eines sehr spießigen klassenkämpferischen Proletrarierstolzes auf der anderen Seite verkündete: „Arbeit ist der Untergang der trinkenden Klasse.“ so hat das einfach eine völlig andere, dekonstruierende Wucht.

  3. Na ja, es gab eh ganz unterschiedliche Typen von Dandys. Bei Oscar Wilde anders als bei Baudelaire in seinen Texten und wieder anders als bei George Bryan Brummell, Insofern: es wandeln sich die Verstöße. Was aber alle Dandys auszeichnet, ist der Hang zu einem gewissen Hedonismus und zum Luxus, selbst noch in den ärmsten Versionen kann man das als Exzentrik in der Kleidung praktizieren, gekoppelt freilich immer mit Stil und Geist.

  4. Wildes Satz freilich bringt es fein auf den Punkt. Auch sonst immer großartig, leider mit einem traurigen Ende. Und da zeigte sich dann die Repression dieser damaligen Gesellschaft: daß es zudem ein Risiko war, einer bestimmten Lebensform zu frönen.

  5. Mein liebster Dandy ist übrigens der nicht existente Roy Danton aus den Perry-Rhodan-Science-Fiction Romanen: Ein 1800-Dandy, der in einer Welt der übrlichtschnellen Raumfahrt herumstolziert und Machtansprüche transgalaktischer Sternenreiche in Frage stellt.

  6. Kenn ich nicht, war nie Perry-Rhodan-Leser. Dandys sollten keine Machtfragen, sondern Kleidungs- und Stilfragen stellen. Daraus ergibt sich dann alles weitere.

  7. Wobei natürlich die Kombination schon wieder lustig ist. Da könnte man eigentlich sowas wie „Per Anhalter durch die Galaxis“ draus machen. Aber ich vermute, daß Perry Rhodan eher keine Parodie des Genres ist.

  8. Eine bierernste, zugleich über Zeiträume von Jahrtausenden operierende Standardform des Genres, in die aber interne Persiflagen und Sitcoms eingebaut sind. Über Jahrzehnte von einem sehr großen Autorenteam geschrieben, daher ziemlich ambivalent.

  9. Wäre eine interessante Untersuchung vielleicht für Ernst Bloch, der für dieses Genre, von der Kritischen Theorie her, etwas besser als Adorno geeignet wäre, auch solche Phänomene nach ihrer dialektischen Gestalt hin zu befragen.

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