It’s Hermeneutik, Baby! Avenidas oder die Geburt des Kunstwerks aus dem Geist der Jurisprudenz

Nachdem viele im Land, manche gar solange wie nie in ihrem Leben, sich mit einem Gedicht befaßt haben, was grundsätzlich zu begrüßen ist, daß Lyrik solche Relevanz besitzt, kommen wir in der Causa Alice Salomon Hochschule zum zweiten und wie ich finde nicht minder interessanten Fall: Nämlich der juristischen Dimension dieser Sache, die in all den Debatten bisher außen vor blieb. Zu unrecht, wie ich finde, zumal in dieser juristischen Fragen zu klären ist, wieweit das Gedicht mehr ist als ein bloßer Text auf einer Wand, sondern vielmehr ein Kunstwerk im öffentlichen Raum, daß, sofern Verträge nichts anderes vorsehen, nur mit Zustimmung seines Urhebers vernichtet werden darf. Denn um eine Vernichtung handelt es sich zweifelsohne, wie ich weiter unten zeigen werde.

Wie bereits hier im Blog gezeigt wurde, ging es dem AStA und dann der Alice Salomon Hochschule ursprünglich nicht darum, grundsätzlich die Fassade neu zu gestalten oder, was ein verständliches Anliegen ist, auch Lyrik von anderen Preisträgern auf der Wand kenntlich zu machen, sondern explizit wurden von außen ans Gedicht herangetragene Stimmungen geltend gemacht, um das Gomringer-Gedicht zu entfernen, also gegen die Gebote der Hermeneutik sowie der seriösem Interpretation wurden eigene Voraussetzungen und der Blick einiger Interpreten zum Maßstab gemacht. Dies muß zwangsläufig in eine Referenzrahmenbestätigung münden. Mit dem Gedicht selbst haben diese Stimmungen freilich nichts zu tun, denn sie stehen ganz einfach nicht dort. Und es konnte bisher auch keiner zeigen, was an diesem Gedicht tatsächlich und im Wortlaut sexistisch ist – ausgenommen man trägt von außen eine Haltung heran, die aber im Gedicht selbst nicht vorkommt.

Ein Mann, der betrachtet und bewundert, ist zunächst einmal ein Mann, der betrachtet und bewundert, also ein männlicher Betrachter und Bewunderer, der – wie hier im Gedicht – auf ein Ensemble sieht: auf Blumen, Alleen und Frauen und der zugleich selbst Bestandteil dieses Ensembles ist (hier kann man sich streiten, was die Funktion des „y“ ist) – egal ob er in einer patriarchalen Ordnung bewundernd betrachtet oder unter der Maßgabe eines Matriarchats, ob in einer Demokratie oder in einer südamerikanischen Diktatur.

Genauso wie die Kritiker übrigens einen patriarchalen Blick annehmen, den sie als externe Voraussetzung hier einführen, um das Gedicht ideologisch zu markieren und um dann eine Referenzrahmenbestätigung vorzunehmen, kann man mit den gleichen guten oder eben schlechten Gründen einen Interpreten oder Betrachter annehmen, der die göttliche Schöpfung mitsamt der Welt, die sich in dieser Szene gewissermaßen in nuce spiegelt, bewundert. Und mit dem Staunen und dem (Be)Wundern fängt bekanntlich sogar die Philosophie an, wie einige Philosophen es sagen. Aber auch soweit würde ich in der Interpretation gar nicht gehen, denn das ist bereits ein Aspekt, den ich von außen, qua meines eigene theologischen Rahmens herangetragen habe. Es steht von all diesen Dingen nichts im Gedicht. Wenn ich es nun aber wie der AStA der ASH machte (Stichwort Kampf gegen Sexismus), würde ich mich jetzt auch noch als menschenfreundlich inszenieren und moralisch immunisieren, weil ich hier eine Lobpreisung der Schöpfung Gottes anstelle. Was kann man Schöneres wollen? Und wer dagegen ist, ist also gegen die Schöpfung und gegen die Menschen. Mal zugespitzt, vielleicht verstehen manche Kritiker nun, was ich meine und was ich an der Haltung bestimmter Studenten kritisiere.

Bewundern ist zwar keine neutrale Vokabel und auch kein neutraler Akt, wie etwa, wenn da stünde: Ein Betrachter. Andererseits ist diese Bewunderung, zumindest in diesem Gedicht-Kontext, neutral gehalten, sie hat etwas von einem reinen Betrachten. Von den Begriffen her findet sich in diesem Gedicht kein Schwärmen, kein Schwelgen, keine aufreizenden Beiwörter oder daß da die Welt zu singen und zu klingen anfinge. Sondern eher ein phänomenologischer Akt. Es werden keine Frauenbeine, nicht die Farbpracht von Blumen oder das flirrende Straßenpflaster besungen. Ganz anders dieser Betrachter hier, in der Version von Stefan George:

EINER VORÜBERGEHENDEN

Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib ihr finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum

Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las die hände ballend wie im wahne
Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie.

Ein strahl … dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?

Verändert fern zu spät auf stets verloren!
Du bist mir fremd ich ward dir nie genannt
Dich hätte ich geliebt dich die’s erkannt.

Der Bewunderer bei Gomringer ist neutral, anders als der bei Baudelaire, wo sich ein Begehren manifestiert und Metaphern der Verklärung den Text zeichnen – was per se und in diesem Kontext ja auch nicht schlimm ist, auch hier muß man textimmanent sehen, was gemeint sein könnte. Solche Kontraste veranschaulichen aber vielleicht, wie unterschiedlich diese beiden Arten von Lyrik sind.

Selbst wenn man den Begriff der Bewunderung also derart auflädt, sagt diese Legierung noch nicht, welcher Art diese Bewunderung ist. Ist sie verklärend? Ist sie anmaßend? Das Gedicht Gomringers hält sich mit all diesen Wertungen zurück. Die textimmanente Lektüre (und das muß man jetzt nochmal wiederholen, damit das mal verstanden wird) gibt es nicht her, dieses Bewundern als frauenfeindlich, geschweige als sexistisch zu deuten. Sie gibt es nur dann her, wenn man eine Zusatzannahme einführt, und bei der könnte man sich jetzt ganz polemisch fragen, ob diese Annahme nicht mehr mit der Gedankenwelt  des Interpreten zu tun hat.  Wir denken hier nur an die Freudsche Fehlleistung, den Versprecher: „Da kommt ja einiges zum Vorschwein.“

Dieses methodische Problem im Umgang mit Texten sollten die Literaturwissenschaftler und Philosophen auch den Studenten der ASH klarmachen, die vermutlich nicht nur pädagogische Praxis lernen, sondern dazu auch Lesekompetenz ausbilden wollen. Dieser Bewunderer in Gomringers Gedicht schaut weder lüstern noch aufreizend, noch als Voyeur. Anders etwa als ein lyrisches Ich bei Baudelaire oder in manchem R.D. Brinkmann-Gedicht oder gar bei Brechts Engel-Gedicht. Was würden Studenten erst bei solcher Lyrik sagen? Aber selbst in einem solchen Text sollte man zwischen eigentlichem und uneigentlichem Sprechen unterscheiden. Kunstwerke sind keine ideologischen Botschaften – selbst dort nicht, wo sie es manchmal explizit sind, sprachliche Kunstwerke sind zudem nicht als Alltagssprach zu nehmen, selbst dort, wo sie so abgefaßt sind, agieren sie in einem anderen Modus. Und Kunstwerke sind, das wissen wir nicht erst seit Adorno, keine Handlungsanweisungen. Aber das ist wieder ein anderes Feld.

Weshalb dies so auswalzen? Es geht in dieser Frage konkret um das Verstehen von Texten. Und wie solche Mißverständnisse bereits im kleinen bei einem überschaubaren Gedicht zustande kommen. Um wieviel komplexer erst wird diese ästhetische, aber im Grunde auch pädagogisch motivierte Frage des Auslegens bei Gedichten von Hölderlin, Rilke, George oder Paul Celan? – von Texten der Philosophie ganz zu schweigen. Gedichte, Prosa, aber auch Texte der Philosophie versteht und liest man nicht irgendwie, wie es einem oder einer gerade in den lustigen Sinn kommt und was gerade im Kopf geistert, sondern methodisch, und am besten auch angemessen, so daß es dem Text gerecht wird. Und das macht man am besten in der Art, daß der Leser möglichst wenige eigene Prämissen in den Text preßt, sondern zu erfahren versucht, was in einem Text steht und was sich darin „abspielt“. Das Kunstwerk ist das Maß und die Interpretation läuft nach der Maßgabe des Werkes. Dieses Verhalten zum Kunstwerk hat auch etwas mit ästhetischer Offenheit und mit dem Modus ästhetischer Erfahrung übrigens zu tun, den Adorno in seiner Ästhetik beschwört. Wer diese Offenheit nicht mitbringt, beraubt also nicht nur den  Text um eine entscheidende Qualität, sondern auch sich selbst als lesendes und erfahrendes Wesen. Und all das hat zunächst mal rein nichts mit „Interpretationen nur gültig mit Stempel aus der Lyrikbehörde“ zu tun, sondern gründet sich in methodischen Fragen.

Solche Lektüre nach einem Principle of Charity ist basale Hermeneutik, und zwar nicht einmal für die Uni, sondern bereits auf den gymnasialen Oberstufen: daß man möglichst wenig in den ästhetischen Gegenstand hineinpreßt. Zu den Gründen, weshalb das nicht nur für die Sache, sondern auch für Leserin und Leser gut sein kann: siehe den letzten Absatz. Diese ganze Lektüre hat also auch einen pädagogischen Impetus.

Ich bin allerdings immer einigermaßen ratlos, woher es kommt, daß manche meinen, bei Kunst könne man lax im Umgang sein, während dies keinem Naturwissenschaftler, keinem Zahnarzt, keinem Automechaniker oder meinetwegen keinem Fahrradmechaniker zugestanden wird. Wenn jeder wild in ein Kunstwerk hineinpumpen kann, was in Kopf so dräut und fleucht, dann kann man das Gedicht genauso als eine Lobpreisung von Gottes Schöpfung lesen. Und das Entfernen des Gedichts ist dann Gotteslästerung. Ein Ansatz, den ich eher unbehaglich finde.

Weiterhin bleibt es problematisch, daß aus einer, wie ich gezeigt habe, unzureichenden Interpretation eines Kunstwerkes nun auch noch Normatives abgeleitet wird. Normativ sind die Forderungen deshalb, weil mit ihnen eine Aufforderung verbunden ist: Nämlich ein Kunstwerk im öffentlichen Raum zu entfernen. Und hier gelangen wir an die juristische Seite der Angelegenheit. Denn dieses Kunstwerk von Eugen Gomringer ist nicht bloß ein Gedicht – das natürlich beliebig kopierbar ist, wie alle Texte –, sondern dieses Gedicht hat den Status eines Werkes der bildenden Kunst, wie wir es etwa in der Konzeptkunst kennen – man denke an die Werke des Österreichers Heinz Gappmayr, der ebenfalls aus der visuellen und konkreten Poesie stammt  oder auch bei Wandbildern oder nicht illegal, sondern in Absprache mit den Eigentümern gefertigten Graffitis, wo Schriften in künstlerischer Form auf eine Wand gesprüht werden. Und in diesem Sinne wird also normativ sehr wohl ein Kunstwerk beseitigt und nicht bloß ein beliebig reproduzierbares Gedicht. Wir haben mit Gomringers Werk ein Ensemble von Text, Ort, Material, und das wird dann im übrigen primär eine juristische Frage sein, ob das Beseitigen so einfach geht, sofern Gomringer gegen dieses Entfernen mit juristischen Mitteln vorgeht.

Natürlich kann eine Hochschule im Rahmen des Rechts mit einer Fassade tun, was sie will. Aber, wie so oft, zeigt sich in diesen Fragen, wie wichtig es ist, solche Dinge bereits vorher zu verrechtlichen und vertraglich auszugestalten. Dies wurde anscheinend versäumt, denn sonst wäre die Sache klar. Die Klausel könnte lauten: Die Gedichte wechseln ab, es kommen auch andere Preisträger an die Wand. Genauso sind andere Klauseln denkbar. Das ist eine Sache von Verträgen und wie wir nicht erst seit Wagners Rheingold wissen: „Was du bist, bist du nur durch Verträge!“ Das mag kleinlich klingen, kann aber manches Mißverständnis im Leben vermeiden.

Wenn man nämlich diese Fassade nicht bloß als eine Wand wahrnimmt, auf der irgendein Gedicht steht, sondern als ein Kunstwerk im öffentlichen Raum ansieht, nicht anders als eine Skulptur oder ein Wandbild, dann kommen wir in dieser Sache in den Bereich des Urheberrechts und zu der Frage, wer dazu berechtigt ist, dieses Kunstwerk zu beseitigen. Insofern wird es vermutlich mit dem einfachen Überstreichen der Fassade nicht getan sein, wenn Eugen Gomringer sich dem verweigert.

Vom Juristischen kommt man dann wiederum zu den Fragen ästhetischer Theorie: Was ist ein Kunstwerk und inwiefern, verschwimmen und verschlieren in dieser Frage die Gattungsgrenzen? Adorno sprach in einem seiner späten Aufsätze zur Ästhetik von einer „Verfransung der Künste“. Kunstwerke gestalten sich unter spätmodernen Bedingungen zunehmend zu einem Interferenzphänomen. Leider auch oft mit politisch und normativ unerfreulichen Debatten. Was wir mit Gomringers Gedicht haben, ist also kein bloßer Text, sondern dieser Text steht mit seinem Ort in einem Bezug und er besitzt eine hohe bildliche Qualität. Und in dieser Lesart dürfte es schon um einige Nummern schwieriger werden, das Kunstwerk einfach von der Wand zu tilgen, sofern Eugen Gomringer seine Zustimmung verweigert. Näheres klären dann die Gerichte.

75 Gedanken zu „It’s Hermeneutik, Baby! Avenidas oder die Geburt des Kunstwerks aus dem Geist der Jurisprudenz

  1. dem die Aufsetzung abgeht bei einem Bewunderer, gemeint für einen der Unvermögent seines Rezipenten, die Aussetzung rege der Teilhabe erlegen, der Schwere von ihm eine Beteiligung ,die nun ist, werde als dies praktisch kein Einzelheitenruck kein Rest von Beleg oder weiteres bringen und wird ihm nichts als entgegengeworfen lediglich als Phantombesetzung der im innewohnenden Tugend zulässt. Aber wird das Gelegentliche doch so Normal es für das ist, wie langläufig es auch ist, bekommt es einen Sinn.

  2. Selten habe ich einen Text gelesen, dessen Umsetzung derart der Methode widerspricht, die er zu Anfang noch anvisiert. Nach der Lektüre des Titels erwartete ich, einen Beitrag zu lesen, der eine hermeneutische Methode entwirft und diese auch durchhält. Stattdessen erwartete mich bloß das Simulacrum einer faden Hermeneutik, wie sie mir aus meiner Schulzeit geläufig ist, und wie sie meine Deutschlehrerin praktizierte, die gerne demonstrativ mit einem mit zahlreichen Kopien aus dem Lösungsheft ausgestatteten Buch vor uns, dem scheinbar ahnungslosen Grunzkurs, stand und über Trakl dozierte. Etwas Ähnliches widerfährt mir auch mit Ihrem Beitrag zu Gomringers „avenidas“, aber hier ist es nicht die Biographie des Autors, die im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, sondern eine sich auf den Text fokussierende Lektüre, die jedoch schon an ihren Grundprämissen zugrunde geht. Denn die Methode, die Sie anwenden, ist mitnichten hermeneutisch; viel eher speist sie sich aus den mehr oder wenigen furchtbaren Erkenntnissen des New Criticism, dessen Vertreter*innen sich ausschließlich auf den vor ihnen liegenden Text konzentrieren und keine biographische oder historisierende Lesart annehmen. Dieses Vorgehen ist meiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt, denn der Leser ist kein phänomenologisches Subjekt, das all sein Vorwissen in einer Epoché einklammern und vorurteilsfrei an sein Untersuchungsobjekt herantreten kann; nein, es ist ein Wesen aus Fleisch und Blut, dessen Analyse mitnichten von einer objektiven, alles überschattenden hermeneutischen Instanz gesteuert wird, sondern von seinen Erfahrungen und Erwartungen, die wiederum niemals ganz frei von Stereotypen und sonstigen Vorannahmen sein können.
    Sie werfen den Studierenden der ASH vor, sie hätten „von außen eine Haltung“ an das Gedicht herangetragen, eine Haltung, deren Ursprung Sie in der an dem Text geäußerten Kritik sehen, es sei sexistisch und patriarchalisch. Dabei haben die Studierenden doch nur das betrieben, was landläufig als Hermeneutik anerkannt ist: Sie haben sich gefragt, was der Blick des Betrachters auf die Frauen bedeutet, und sind zum Schluss gekommen, er sei sexistisch. In einem zweiten Schritt, der den engen Rahmen einer auf den Text fixierten Hermeneutik sprengt, stellten sie fest, dass es diesen Blick in unserer Kultur in unterschiedlicher Ausprägung gibt und dass er, in Anbetracht der Erkenntnisse, die die Kulturwissenschaften in den letzten Jahren geprägt haben, eben eine solche sexistische Bedeutung hat. Diese Deutung ist, wie alle Deutungen, natürlich kritisierbar, aber erst einmal steht sie da.
    Sie können ja gerne zu einem anderen Resultat als die Studierenden kommen, aber dafür würde ich mir von Ihren Ausführungen ein bisschen mehr methodische Konsistenz erwarten. Was Sie stattdessen abliefern, ist ein Labskaus der Theorien und Referenzen, in dem Sie aus Hermeneutik und New Criticism eine ungenießbar fade Mélange zusammenrühren, um ihr anschließend noch Referenzen auf u. a. Nietzsche, Adorno, Baudelaire, George, Aristoteles, Brinkmann, Brecht, Hölderlin, Rilke, Celan oder Wagner unterzumischen. Das widerspricht Ihrer eingangs geäußerten Behauptung, der zufolge „eigene Voraussetzungen und der Blick einiger Interpreten“ niemals der Leitfaden einer hermeneutischen Lesart sein können. Um es nochmals mit Ihren eigenen Worten zu formulieren: „Die textimmanente Lektüre“, die Sie anvisieren, „gibt es gar nicht her“, dass Sie die Referenzen, die ich versucht habe aufzulisten, an das Gedicht herantragen können (von mir aus auch dürfen); die „textimmanente Lektüre“ konzentriert sich nur auf die Worte, die an der Wand der ASH stehen, und auf sonst gar nichts. Kurzum: Dort, wo Sie von anderen methodische Konsistenz einfordern, scheinen Sie selbst nicht in der Lage zu sein, diese auch an einem eigenen Beispiel zu demonstrieren. Dort, wo Sie „manchen“ (auf wen auch immer sich dies beziehen soll) vorwerfen, „lax im Umgang mit Kunst“ zu sein (ich nehme an, dies bezieht sich auf begriffliche Unstimmigkeit), begehen Sie selbst den von Ihnen mokierten Fehler, von außen Lesarten an den von Ihnen gewählten Untersuchungsgegenstand anzulegen (das von Ihnen in Gänze zitierte Baudelaire-Gedicht ist für mich hierfür ein Beispiel). Dort, wo Ihr Titel nahelegt, dass Sie sich mit einer hermeneutischen Lesart des Gedichts herumschlagen möchten (ich wünsche Ihnen weiterhin viel Glück und Freude dabei), bringen Sie es auch noch fertig, eine juristische Problemstellung in Ihre Deutung einzufügen; da die „avenidas“ ja ein „Ensemble von Text, Ort und Material“ seien, mit anderen Worten: ein Gesamtkunstwerk, käme die Frage auf, ob die „Entfernung“ von der Wand der Hochschule einfach so vonstatten gehen könne. Ergo: Sie bringen, ob unbewusst oder nicht, sei erst einmal völlig unerheblich, Methodiken in den Text ein, die ich primär aus dem New Historicism kenne, in dem Literatur nicht nur textimmanent gedeutet wird, sondern im Zusammenspiel mit Fachtexten, wie etwa juristischen. Sie beziehen sich jedoch auf keinen Fachtext, sondern laborieren lediglich an einer Vorahnung, der Dämmerung eines Gefühls, einer Epiphanie, die so schnell verpufft, wie sie gekommen ist.
    In der Gomringer-Debatte ist der Stercus teils reihenweise in Flaschen verzapft worden. Und wird es wohl auch noch weiterhin. Was mir von der Lektüre Ihres Textes im Gedächtnis bleiben wird, sind nicht Ihre Thesen zu dem Gedicht und seiner Rezeption, sondern vielmehr Ihre Lesart, die anderen jene Fehler vorwirft, die sie selbst begeht. Sollte es jemals dazu kommen, werde ich Ihren Blogeintrag in eine Studie über „postfaktische Literaturkritik“ aufnehmen.

  3. „Nach der Lektüre des Titels erwartete ich, einen Beitrag zu lesen, der eine hermeneutische Methode entwirft und diese auch durchhält.“

    Was Sie persönlich erwarten, ist nicht Maßstab für eine an der Sache orientierte Lektüre, das ist Ihr Privatvergnügen. Und ich habe im Titel auch nicht angekündigt, daß es sich um eine Einführung in die Hermeneutik oder gar um den Entwurf einer hermeneutischen Methode handelte, sondern ich habe in diesem Text im ersten Drittel eine hermeneutische Lesart angesetzt. Ansonsten hieße mein Beitrag nämlich „Entwurf einer hermeneutischen Methode, Baby“. So hieß der Text aber nicht. Und wenn einer im Auftakt schon so schludert und schlunzt wie Sie, dann erwarte ich im folgenden nicht viel Besseres. Aber Vorurteile sind dazu da, sie zu überwinden. Also schauen wir mal, wie es weitergeht.

    „Stattdessen erwartete mich bloß das Simulacrum einer faden Hermeneutik, wie sie mir aus meiner Schulzeit geläufig ist, und wie sie meine Deutschlehrerin praktizierte, die gerne demonstrativ mit einem mit zahlreichen Kopien aus dem Lösungsheft ausgestatteten Buch vor uns, dem scheinbar ahnungslosen Grunzkurs, stand und über Trakl dozierte.“

    Auch hier wieder bringen Sie Voraussetzungen ein, die Ihrer, wie es mir scheint, eher traurigen Schul-Biographie entsprechen. Das ist Ihre persönliche Sache und sagt an dieser Stelle mehr über Sie aus als über Interpretation und Hermeneutik. Zudem setzen Sie an dieser Stelle einen Referenzzusammenhang, der mit der infrage stehenden Sache im engeren Sinne, nämlich dem Gedicht, und auch mit der im weiteren Sinne thematisierten Angelegenheit, nämlich einer hermeneutischen Auslegung des Gedichts, nichts zu tun hat. Sie werden sich also selbst fragen müssen, in welcher Absicht Sie das machen. Ein Argument oder einen Hinweis für irgend etwas, das mit dem Gedicht zu tun hat geben diese Entäußerungen leider nicht.

    „Ähnliches widerfährt mir auch mit Ihrem Beitrag zu Gomringers „avenidas“, aber hier ist es nicht die Biographie des Autors, die im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, sondern eine sich auf den Text fokussierende Lektüre, die jedoch schon an ihren Grundprämissen zugrunde geht.“

    Zum einen schließen Sie hier zwei Gebiete zusammen, die nichts miteinander zu tun haben, ich interessiere mich nicht für Ihre Empfindungen und was Ihnen so im Leben alles widerfährt, das behalten Sie bitte in Zukunft für sich, wenn Sie hier weiter kommentieren wollen, und zum anderen hat auch die Biographie des Autors Gomringer für dieses Gedicht in einer Lektüre zunächst keinerlei Relevanz. Es sei denn, Sie könnten zeigen, was diese Zeilen von „Avenidas“ biographisch begründet hat. (Etwa in der Art wie das Peter Szondi in „Eden“ für Paul Celans „Du liegst im großen Gelausche …“ getan hat: wieweit nämlich für ein extrem hermetisches Gedicht – das vom Gomringer ist es ersichtlich nicht – Kenntnisse, die über den bloßen Text hinausgehen, bedeutsam sein können. In diesem Aufsatz hat Szondi einerseits gezeigt, wieweit Rätselstellen durch die Kenntnis biographischer Zusammenhänge aufgelöst werden können und zugleich hat er – Dialektiker, der er ist –, auf der immanenten hermeneutischen Lektüre beharrt.) Weiterhin: Wenn wir über ein Gedicht reden, dann fokussieren wir uns bei der Lektüre in der Tat auf das Gedicht. Worauf sonst wollen Sie sich wohl kaprizieren als auf den Text? Eine solche andere relevante Hinsicht als den Text selbst konnten Sie bisher nicht nennen. Das müssen Sie aber, wenn Sie externe Kriterien ins Spiel bringen. Und da reicht auch das Nennen nicht aus. Sie müssen es dazu auch noch begründen können.

    Zum anderen postulieren Sie und das ist viel schlimmer, etwas, daß Sie bis zu diesem Punkt und auch danach nicht einlösen können. Sie haben nämlich in Ihrem Kommentar leider an keiner Stelle mit Textbelegen gezeigt, wo meine Lektüre bereits an den Grundprämissen nicht funktioniert, sondern sie haben bisher lediglich alle möglichen externen Voraussetzungen an meinen Text herangetragen, haben Vermutungen geäußert, die viel mit Ihnen, aber wenig mit dem, was ich schrieb, zu tun haben. Also genau das, was auch die Studenten getan haben. Also das Gegenteil einer hermeneutisch exakten und am Text gegründeten Lektüre.

    „Denn die Methode, die Sie anwenden, ist mitnichten hermeneutisch; viel eher speist sie sich aus den mehr oder wenigen furchtbaren Erkenntnissen des New Criticism, dessen Vertreter*innen sich ausschließlich auf den vor ihnen liegenden Text konzentrieren und keine biographische oder historisierende Lesart annehmen.“

    Zunächst einmal sind das pauschale Aussagen behauptender Natur. Sie zeigen nicht, was an meiner Lektüre nicht hermeneutisch sei und inwiefern ich mich nicht auf den Text kapriziere. Auch hier können Sie anhand von Zitaten und Belegen aus meinem Text inhaltlich nichts nachweisen, sondern sie schreiben abstrakte Sätze. Die leider in dieser Apodiktik auch noch falsch sind, was das von Ihnen thematisierte Verhältnis von New Criticism und Hermeneutik betrifft. Hermeneutik ist die Kunst des Auslegens und Verstehens. Da es sich hier um ein Gedicht handelt, können wir davon ausgehen, daß es sich weniger um eine theologische Hermeneutik handelt und auch die Lehre vom vierfachen Schriftsinn ist an dieser Stelle einer basalen Interpretation nicht das Thema, sondern das ganz unmittelbare Verstehen eines zunächst relativ leicht zu lesenden Gedichts. Ansonsten gibt es in den Literaturwissenschaften freilich eine Hermeneutik, die sich der textimmanenten Lektüre verschrieben hat. Hier kann man Emil Staiger nennen, der genau das macht, was sie dem New Criticism unterschieben, nämlich die Texte als Texte zu nehmen. Schade daß Sie das Vokabular nicht gut beherrschen und die spezifischen Differenzen beider Richtungen nicht zu unterscheiden verstehen, sondern das eine mit dem anderen verwechseln. Close reading ist nicht textimmanentes Verstehen. Aber das sind Spezialfragen der Methode. Um die ging es aber in meinem Text nicht, sondern lediglich um eine basale hermeneutische Übung in Lektüre. Deren erste Hürde Sie an dieser Stelle bereits unterlaufen haben. Insofern hier bereits ein Tip von mir: Nehmen Sie den Mund ein wenig weniger voll. Noch stehen Sie nur in Unterhosen da. Im nächsten Schritt machen wir Sie mal nackig.

    Natürlich kann in der Deutung auch eine Hermeneutik, wo es um den vom Autor intendierten Sinn geht, infrage kommen. Dazu müßten Sie aber zeigen, weshalb das erforderlich sein soll – wie etwa am Beispiel Szondi-Celan. Das haben Sie bisher nicht zeigen können. Und selbst wenn man dem Wunsch nachkäme, muß man dazu zunächst einmal überhaupt VERSTEHEN, worum es in dem Gedicht geht und was die Sprache des Gedichtes sagt. Genau diesen ersten Schritt habe ich getan, vor dem zweiten, dritten und vierten. Alles in einen Topf zu mengen, wie Sie und wie einige der Studenten das machen funktioniert nicht. Das erzeugt nämlich die von mir monierte Referenzrahmenbetätigung. Aber wissen Sie was: Wir haben sogar das Glück, daß wir den Autor nach dem Sinn dieses Gedichtes befragen können. Weil er nämlich noch lebt. Und wissen Sie noch etwas?: Der Autor Gomringer teilt die Sicht einiger Studenten, daß das Gedicht sexistische Elemente enthielte, in keiner Weise. Aber auch das muß nichts bedeuten. Denn selbst wenn er die Sicht der Studenten teilte, müßte der Autor dies am Text zeigen können, wie auch Sie das am Gedicht-Text hätten zeigen müssen. Was Sie bisher nicht taten.

    „Dieses Vorgehen ist meiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt, denn der Leser ist kein phänomenologisches Subjekt, das all sein Vorwissen in einer Epoché einklammern und vorurteilsfrei an sein Untersuchungsobjekt herantreten kann …“

    Hier verwechseln Sie leider wieder die Ebenen und bauen zudem einen Pappkameraden auf. Das ist für eine Argumentation ungünstig. Denn nirgends behaupte ich, daß der Leser ein „phänomenologisches Subjekt“ sein müsse und daß er sein Vorwissen auszuklammern habe. Ich erwarte vom Leser lediglich, daß er wahrnimmt, was im Text steht. Nicht mehr, nicht weniger. Aber für viele scheint das bereits eine große Hürde. Nur umschifft man die eben nicht, wenn man Floskeln wie Epoché benutzt.

    Auch an dieser Stelle geraten Ihre Ausführungen bereits in den Prämissen ins Trudeln. Ob mein Vorgehen Ihrer Ansicht nach zum Scheitern verurteilt ist, muß mich übrigens nicht interessieren, solange sie das nicht diskursiv und in gültigen Thesen auch nachweisen können. Das haben Sie bisher nicht getan. Und das geschieht auch nicht im Rest ihrer Ausführungen, die nach ähnlichem Muster Verfahren. Metaphern wie verrühren und Labskaus fallen in diesem Falle auf sie und auf Ihre Lektüre zurück. Was im Gedicht steht, habe ich relativ präzise dargelegt. Darauf sind Sie bisher nicht eingegangen, sondern haben Nebelgranaten verschossen. Zumal die von mir genannten Namen Baudelaire und die George-Übersetzung genau im Kontext zum Gomringer-Gedicht stehen. Wenn Sie dann, wie es in einer ordentlichen Interpretation, die ihren Namen verdient, Baudelaire und Gomringer und auch Brinkmanns „Die Orangensaftmaschine“ nebeneinander legen, werden Sie drei ganz unterschiedliche Arten von Beobachtung und Bewunderung herauslesen können. Gerne zeige ich Ihnen diese im Detail.

    „werde ich Ihren Blogeintrag in eine Studie über „postfaktische Literaturkritik“ aufnehmen.“

    Hier setzen Sie die Latte allerdings hoch und leider überspringen Sie diese nicht, sondern unterkriechen diese. Das ist dann also ein Vorhaben, dem man das Scheitern bereits in den ersten Absätzen Ihres Konvoluts anmerkt. Ansonsten können Sie das aber gerne so machen. Nur werden Sie mit dieser Kette von Assoziationen, so fürchte ich, wissenschaftlich wie auch als Kritiker sich eher lächerlich machen. Das aber liegt dann in Ihrer eigenen Hand.

    Ein Hinweis noch für Sie: Interpretation von Literatur ist kein Werfen von Rauchbomben, sondern Arbeit am Text. Die haben Sie hier nicht geleistet. Es reicht nicht aus, einen vermeintlich witzigen Text zu schreiben und dann anzunehmen, die Widerlegung springe als eine Art Mehrwert schon von alleine heraus. Dem ist nicht so. Sie müssen schon hermeneutisch und gründlich arbeiten. Mein Beitrag hätte Sie dazu eigentlich anhalten müssen. Schade. Aber wie das so ist: Buch, Kopf, Gedicht, Hauswand. da läuft mancher halt gern mal gegen.

  4. Ein treffender Beitrag, Bersarin. Angenehm, endlich mal wieder etwas jenseits deiner, in letzter Zeit immer häufiger einbrechenden, „Gesinnungsbloggerei“ zu lesen. Nur die Tendenz zur Repression bzw. die Angewohnheit auf unpassende, unsachliche, ungenehme Beiträge mit einer Ausschlussdrohung zu reagieren, macht mir Sorge, da sie ja eigentlich auch im Widerspruch zu deiner sonst so liberalen Haltung steht. Zeitgemäß ist sie aber natürlich allemal.
    Ansonsten noch ein Gedanke zur Hermeneutik. Ich denke, dass diese Form der Interpretation von Texten am Aussterben ist. Die Methode fordert zu viel von den heutigen Subjekten. Um eine Spannung zu etwas mir äußerlichen auszuhalten, es als eigenständiges Objekt anzuerkennen und demgemäß zu behandeln, brauche ich ein gefestigtes Ich. Die nötige Ich-Stärke ist aber längst nicht mehr bei der Mehrheit der Bevölkerung gegeben. Ich kann hier keine Zahlen liefern und generell sind meine Überlegungen eher als melancholische Deutungen denn als wissenschaftliche Analyse (wobei auch im Feld der (Natur-)Wissenschaft der Mensch als eigenständiges Objekt, schon lange abgedankt hat, wenn er überhaupt jemals am Steuer saß…) zu verstehen, aber ich denke dass wir in einem Zeitalter der narzisstischen Introjektion und Identifikation leben. Alles wird sich einverleibt, Subjekt und Objekt verschwimmen, jeder ist Gott. Alles was sich nicht virtuell an meine Bedürfnisse anpasst, wird abgewehrt oder vermieden. Das Smartphone ist immer zur Hand und wirkt wie ein interaktiver Spiegel. Internet und technischer Fortschritt sind natürlich nicht die Hauptverantwortlichen für die Entwicklung, da sie ja nicht mehr sind als ein Stück belebte Erde. Die Ursachen liegen wie immer in der Kindheit und in den verheerenden Auswirkungen der gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Erziehungspraxis. Da fallen Kinder reihenweise in den Brunnen.
    Es ist in meinen Augen deshalb schlecht bestellt um die alt-ehrwürdigen Methoden und Ideale. Die Bedingungen der Aufklärung, wie sie einem Adorno noch vorschwebten bzw. real vor Augen traten, sind im Verschwinden begriffen. Umso schöner, wenn ein paar Unerschütterliche die Fahne hoch halten und Stringenz und Genauigkeit einfordern. Auch wenn ich beim lesen dieser „Schmuckstücke meiner Timeline“ immer öfter an die Band der Titanic, welche noch bis zum Untergang spielt, denken muss. Manchmal kommt mir aber auch der zeternder Opa, der am Fenster sitzt und mit der fluiden, sich stetig fortentwickelnden Gesellschaft nicht mehr klar kommt, in den Sinn.

  5. Gesinnungsbloggerei sind Parolen wie „Refugees wellcome“ oder „No border, no nation“. Und diese Gesinnung kritisiere ich in meinem Blog. Und zwar nicht aus subjektiven Gründen der Befindlichkeit, sondern aus politischen Annahmen heraus.

    Da dies hier mein privater Blog ist und ich somit der Hausherr und da dieser Blog nicht mit öffentlichen oder privaten Geldern finanziert wird, lege ich damit auch die Spielregeln fest. Und was ich hier in den Kommentaren nicht haben möchte, sind Ausführungen, die nichts zu Sache betragen oder eben persönliche Befindlichkeiten, die ich langweilig finde und die als Anekdote auch nicht weiter die Causa erhellen. Dazu kann der Kommentator gerne einen eigenen Blog betreiben. Hier ist dafür kein Platz. Ich bin in solchen und nicht nur in solchen Dingen für klare Ansagen. Wer sie nicht einhält, muß mit Sanktionen rechnen.

    Die Hermeneutik als Verstehen von Texten ist nicht deshalb im Aussterben, bloß weil einige sie nicht mehr beherrschen. Was ich an den Universitäten überblicke, in bestimmten Seminaren, da wird schon sehr genau und gründlich am Text gearbeitet. Insofern ist mit solchen Pauschalsätzen nicht viel gewonnen. Auch ist die Koppelung Hermeneutik – Ichstärke problematisch. Man kann genauso ein schwaches Ich besitzen, um Texte angemessen zu lesen und nichts von außen dort hineinzupressen, was dort nicht hineingehört, weil es die bloße Annahme des Lesers ist. Lesen und verstehen fordern zunächst mal Aufmerksamkeit für den Text, fürs Kunstwerk. Daß sich an solchen Prozessen dann auch wiederum, im Sinne eines pädagogischen Tricks im Kunstwerk, ästhetische Erfahrungen ausbilden, steht nochmal auf einem anderen Blatt oder kommt in einem nächsten Schritt. Schon deshalb ist die Sicht mancher Studenten an der ASH problematisch, weil sie sich dieser Dinge berauben, in dem sie ihre Vorurteile im Gedicht nur bestätigt sehen. Kunstwerke sind aber keine Spiegel. Insofern ist ja auch das identifikatorische Lesen von Romanen problematisch.

    Was nun das Verhältnis von Aufklärung und Gesellschaft anbelangt, so mag nicht alles gut bestellt sein: aber andererseits zeigt eine doch durchaus geübte Kritik an Gesellschaft, daß sie nicht verschüttet gegangen ist. Was also den Verblendungscharakter betrifft, von dem gerne geredet wird: Da sind dann die Aussagen, die solchen konstatieren, ein Beweis, daß Verblendung eben nicht total ist. Ich denke, man muß dieses Verhältnis von Analyse und Kritik immer dialektisch fassen und auch die Vermittlungsfunktionen von kritischen Diskursen begreifen: Deshalb eben: Kant, Hegel, Marx, Luhmann, Adorno und Habermas. Vielleicht mit einem Schuß Foucault, Gehlen und Heidegger. Und wer auf die Sprache sich kaprizieren will, der nehme noch Nietzsche und Wittgenstein mit dazu. Und dann haben wir in Grundzügen das Kritischwerden der Aufklärung. Aber das ist jetzt sehr grob über den Leisten geschlagen.

  6. Um deiner doch recht romantischen Einschätzung (der ich nicht absprechen will, dass sie auf glücklichen Zufällen beruht) bezüglich der Textarbeit an Universitäten und der Annahme das bloß einige(!!) das Verstehen von Texten nicht mehr beherrschen (wollen), etwas Realität entgegenzusetzen, empfehle ich folgenden Erfahrungsbericht von Bettina Fellmann:

    Die dazugehörige Ankündigung lautet folgendermaßen: “ Was es bedeutet, wenn Geistesmenschen sich zusammenfinden, um von Geistigem zu sprechen, warum nichts Wahres dran sein darf und wie die Wirklichkeit dem Denken nur zur Illustration dient, beleuchtet dieser Vortrag.

    Im allgemeinen wird an der Akademie bereits der Gedanke vom richtigen Denken formal erstickt; nicht zu schweigen davon, dass der richtige Gedanke oder das Denken vom Wirklichen keine Erwiderung findet, sondern im Gegenteil rigoros ausgeschlossen wird. Unter diesen Bedingungen erscheint nicht nur der Versuch, das Besondere zur Sprache zu bringen, als zweifelhaft, sondern Sprache überhaupt. An dem Umstand, dass er längst gedacht wurde, erweist sich nicht der Gedanke als falsch, sondern die allgemeinen Mechanismen, die sich durch die Epochen hindurch grundlegend ähneln — im Gewand der jeweiligen Zeit, deren Besonderheit es vor den Allgemeinheiten zu erfassen gilt, die ihren Grund bilden.

    Ansatzweise wird eingegangen auf die Unfähigkeit, Zusammengehöriges und Grundverschiedenes im richtigen Verhältnis zueinander wahrzunehmen und adäquat zu beurteilen, auf die Virtualisierung menschlicher Verkehrs-​ und Ausdrucksformen und nicht zuletzt auf die verheerende Sehnsucht, sowohl durch das Aufgehen im Denken ans Bestehende anschließen, als auch umgekehrt durch den Anschluss ans Bestehende im Denken aufgehen zu können. “

    Sollte dir die Form Audiomitschnitt nicht zusagen, gibt es den Vortrag auch unter dem Titel ‚Philosophieren im Stande allgemeiner Unmündigkeit‘ in schriftlicher Form, hier: http://magazinredaktion.tk/docs/Vortrag_Akademie.pdf

  7. Na ja, das ist halt das klassische Ding: Einge sind nicht alle. Und das hat nichts mir Freundlichkeit oder einem wohlwollenden Blick zu tun, sondern schlicht mit Denken. Ich halte in diesen Dingen nichts von Pauschalurteilen. Das ist wie mit dem Gedicht, man muß es auch am Konkreten festmachen. Natürlich kann man eine Tendenz benennen. Aber das ist eben nur eine Tendenz.

  8. Danke für den Hinweis auf Brinkmanns Die Orangensaftmaschine auf Seite 34 von Westwärts 1 & 2.

  9. Ihre Hinweise gemahnen mich immer wieder daran, etwas zu Brinkmann zu schreiben. Die Orangensaftmaschine bietet sich an. Aber auch anderes von ihm.

  10. („Show me round your snow-peaked mountains way down south/ Lead m to your daddy’s farm/ Let me hear the balalaikas ringin‘ out/ Come ’n‘ keep you comrades warm// I’m Back in The USSR// Boy“)

    Die „Orangensaftmaschine“ ist so gut wie etliche der Fotos, die in Westwärts 1 & 2 zu sehen sind.
    In Gerhard Henschels flottem „Arbeiterroman“ sind schöne Brinkmann-Erkundungsszenen.

    Diese (linke) Berliner Sozialschule ist scheints ein vortrefflicher Doofenclub. Zeitgeist schlägt Geist … – in der „dumpfen Abgestorbenheit Kölns“ (Brinkmann) = – – – ?Berlins?
    „Der Dill macht weiter, und die Blätter machen weiter.“
    „Mag sein, dass deutsch bald ein tote Sprache ist.“
    (R. D. B. 11. 12. Juli 1974, Köln)
    (Es hätte mich noch mehr geärgert, wenn ein Brinkmann-Gedicht von der Hauswand verschwunden wäre. Wie sich nun herausstellt, würde auch die Orangensaftmaschine eine einwandfreie Angriffsläche für den Ungeist – für die Spielfeindschaft überhaupt – abgegeben haben. In der aktuellen Wletwoche kommt scheints Eugen Gomringer zu Wort, ich hab‘ sie heut morgen auf 1600 m über Meer gekauft. Muss mal reingucken).

    Alles eifrige „Ernstler“ (M. Rutschky). Das für mich absolut erstaunliche ist die Einigkeit im Ungeist. Es wird damit zu tun haben, was fabsefab oben anreißt: Dass interessante Spiele voraussetzungsreich sind. Man ist aber offenbar bestens eingeübt in den unmittelbaren Gewinn.

    Sehr kapitalistisch, das alles, im Grunde – wie die flächendeckende Gleichmacherei (= „repressive Entdifferenzierung“, seligen Angedenkens, hehe) ja auch.

    Mehr Permanenz der Kunst!

  11. Tjaaaa, die Photographien von Brinkmann – das ist eine Sache für sich, und ich frage mich, ob Ihr Hinweis, lieber Dieter Kief, nicht vielmehr ein vergiftetes Lob sein könnte. Aber klar: Diese Photos zeigen ebenfalls Momente, aber sehr viel schnappschußhafter als die Brinkmann-Gedichte, die zwar ebenfalls photographisch einen Augenblick einfangen, aber doch komponierter, reduzierter. Den Augenblick gefrieren, möchte man fast sagen. Obwohl da trotzdem keine Kühle ist, denn jenen Tango im Sommer im August und die Hitze in der Stadt Köln, die in den Straßen steht: diese Hitze spüre ich beim lesen – wobei das natürlich auch etwas mit der ästhetischen Imaginationsfähigkeit.

    Was diese obskure Fachhochschule anbelangt, die angehende Pädagogen ausbildet: das wäre eigentlich keiner Rede wert. Aber ich fürchte, diese Beispiele machen Schule. Für diese Leute übrigens und ihren Ungeist bietet sogut wie alles eine Angriffsfläche, weil Gedichte nicht mehr nach ästhetischen Kriterien betrachtet werden, sondern nach einem Reiz-Reaktions-Schema abgescannt werden.

  12. Wg. der „Westwärts“-Fotos: – Ganz lauter gedacht u. geschrieben. Ich könnte hinzufügen: Ich mag die. Rollei 6X6, macht ganz eigene Fotos – und Brinkmann hat das – ähnlich wie Arno Schmidt mit einer vergleichbaren 4,5 x 6 Kamera von Fuji, ganz gut genutzt.

    Die grandiose linke Berliner Sozial-Kaderschmiede hat, wie ich lese, gleich mehrere (!) Frauenbeauftragte, damit der Fortschritt sich sozusagen nicht im Ungefähren verlaufe, sondern ganz sicher an sein Ziel geleitet werde.
    Der „Weltwoche“-Artikel über den fidelen 93jährigen Gomringer (vor drei Jahren habe ich ihn Lesen hören – grandios – noch eindrücklicher war allerdings – – Nora, seine einzige Tochter – – aber sie waren auch als Paar wirklich imposant! – – und sein oberpfälzisches Örtlein Rehau – Rehau! – vom altgedienten Rico Brändle (der Artikel jetzt) ist in der Tat interessant.
    – Haha – „alles“, – also auch das, was hier bei Ihnen gegen die Entfernung des Gomringer-Gedichts geschrieben ward, z. B., wissen die Weisheitsdienerinnen der Alice-Salomon-Hochschule, schreibt die „Weltwoche“, sei „eine blosse ‚Reproduktion rechtspolulistischer Floskeln'“.

    Pahhh!!

    Und der irgendwie scheintote Herr A. in der „Zeit“ witzelt in diesem Zusammenhang müde: „Anything goes“ – also könne man auch das Gedicht hinwegbefördern, weil es frauenverachtend sei.

    Pahhh!

  13. Also, das mit den Kameras wußte ich nicht, so tief drang ich nicht in die Brinkmann-Sphäre vor, wenngleich ansonsten ausgewiesener Brinkmannfreund. Danke für diesen Hinweis.

    Die „Zeit“ liegt noch, schauen wir mal, was dort im Feuilleton zu den gegenwärtigen Bestrebungen, zu dieser neuen Seltsamkeit steht.

  14. Ortega y Gasset macht übrigends 1916 in „Ästhetik in der Straßenbahn“ den „kritischen Blick eines Kenners“, mit dem der Spanier beim Einsteigen die mitfahrenden Frauen mustert, zum Aufhänger, nur um nach einer kleinen Abschweifung über den Universalienstreit zu dem Ergebnis zu kommen:
    „Eine jede Physignomie bringt wie in einer mystischen Phoshoreszenz ihr ureigenes, einziges und ausschließliches Ideal zum Aufleuchten.“ (Hervorh. von mir) Wenn Rafael sage, er male nicht, was er sehe, er male vielmehr „eine bestimmte Idee, die mir in den SInn kommt“, so solle man darunter nicht etwa die Idee Platons mit ihrer Ausschließung (meiner hervorh.) der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit des Wirklichen verstehen.

    Laudata sii, Diversitá
    delle creatura, sirena
    del mondo.
    (Gepriesen seist du, Verschiedenhiet der Geschöpfte,
    verlockender Reitz dieser Welt.)

    Abgesehen davon, dass ich es echt fair finde, dass das Gedicht nicht mit Blumen übermalt worden ist, denn a rose is a rose is a rose ist immer noch eine Rose, möchte ich doch gern daran erinnern , wie Marcel die Toiletten der Frauen seiner Zeit, die er in der Avenue des Champs-Élysées beobachtete, mehrfach mit Blumen verglich und natürlich sie ausgiebig beschrieb. Leser wissensicht selten, welche Schneiderin hier tätig gewesen ist! Ich bin ja nun wahrlich kein Romanist, aber wie kann man diese Assoziation verpassen? Abgesehen vom Aspekt der konkreten Poesie (mir eher geläufig über die ‚Musique concrète‘ (https://de.wikipedia.org/wiki/Musique_concr%C3%A8te) – wunderschön herausgearbeitet von Gleisbauarbeiten: die lässt eben diese Assoziation unausgesprochen, in der Schwebe. Danke, Gleisbauarbeiten!

    Oder Prousts Versuch einer Theorie der Homosexualitiat, die er am Anfang von ‚Sodom und Gomorrha‘ über mehr als hundert (soweit ich mich erinnere) Seiten versucht, und die ihm unter den Händen in das Gewebe des dann folgenden Textes zerrint: ‚Frauen‘ und ‚Blumen‘? – Proust geht es tatsächlich um eine seltene, blühende Pflanze.

    Ach, wenn ich schon dabei bin, Maeve Brennans „New York, New York“ ist voll von detaillierten Beschreibungen der Kleidung der Frauen im New York der 50ger und 60ger Jahre. – Von jemandem, die es ja wissen musste!

    – Aber zurück zu Ortega: Er wünscht sich entgegen dieser Aufdringlichkeit (des Spanischen Männerblicks) der Begehrlichkeit, des Betastendem, welche Ausländern „und auch Einheimischen“ unanständig vorkommen mag, etwas mehr Sublimation, die, einmal das Erlesene vom Gewöhnlichen getrennt, ein „recht originelles System von Umgangsformen hervorbringen würde, „die mit jenen Typen von Lebensart in Wettbewerb zu treten in der Lage wären, „die den Namen gentlreman oder homme de bonne erhalten hätten.

    Andererseits denke ich natürlich an Petrarcas (http://www.gedichte-werkstatt.de/Petrarca/Theorie.html) „Laura“.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Laura_Cereta
    https://en.wikipedia.org/wiki/Laura_de_Noves

    und natürlich an Christine Brückners: „Wenn du geredet hättest, Desdemona.
    Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“

    http://www.dieterwunderlich.de/Brueckner_Desdemona.htm

    und dort besonders an „Die Liebe hat einen neuen Namen. Die Rede der pestkranken Donna Laura an den entflohenen Petrarca“.

    Ich befürchte, dass der bewusste ASTA nicht mal Christine Brückner kennt … einem der obigen Links entnommen; Ulrike Schneider, Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento, Stuttgart: Steiner, 2007.

    Ach, es war alles so vorhersehbar, das mit dem ASTA, die Reaktionen, Merkel wie Afd, Pegida, usw, – aber fast keine vernünftige Reaktion . Dabei haben wir nun seit über 2000 Jahren geglaubt, dass der ’sittlichen Einsicht‘ (Aristoteles) der ihr zukommende Status eingeräujmt werden müsste. Anstelle der Erkenntnis, das wir es mit notwendig veränderlichen Positionen zu tun haben, über die wir diskutieren, sogar derart, nicht erst seit Schopenhauer (aber gerade auch heute) die Frage gestellt worden ist, ob wir je zu einem allseits akzeptierten Ergebnis kommen können, haben wir es jetzt nur noch mit kritik-intoleraten Positionen, die einander gegenüberstehen, zu tun.

    Aristoteles zufolge jedenfalls wäre es keine kluge Einsicht, sich daran auch nur zu beteiligen.

  15. sorry, im letzen Satz die Neagtion vergessen, richtig:

    „Aristoteles zufolge jedenfalls wäre es keine kluge Einsicht, es auszusetzen, sich daran auch nur zu beteiligen.

  16. @ ziggev: das alles sind in der Tat wichtige und interessante Bezüge und Kontexte, in die man das Gedicht stellen kann. Und das schöne an ihnen: Sie alle kommen ohne die Hermeneutik des Verdachts aus, sondern lesen Kunst als Kunst. Und genau darum sollte es in diesem Kontext gehen und in diesem Sinne freue ich mich über diese mäandernden Ziggev-Ergänzungen.

    Primär geht es ja genau darum: Kunstwerke nicht moralisch zu labeln und vor allem: die eigenen Voraussetzungen zum Maß aller Dinge zu machen, sondern sich für ein Kunstwerk offen zu halten. Vom Wahrheitsgehalt noch gar nicht gesprochen. Das sind dann bereits Akte der Interpretation und der Lektüre.

  17. @ ziggev u Bersarin – „sich für ein Kunstwerk offen zu halten“

    Ich hab‘ das da auf Klonovskys „Acta Diurna“ gefunden. Also, die Alice-Salomon Frauen schreiben, sie litten wg. Gomringers Gedicht an der „Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht“.
    – Die Bewunderung als Aggression. Und die Aggression als Teufelswerk.
    Back to MaMa! – „Mama tröstet und heilt/ Wo in Berlin der Teufel weilt“// „Mamas tröstende Hand/ Vertreibt den Teufel von der Wand“ – na und so weiter, bis tief ins Nirvana der vollkommen spannungslosen und angstfreien (= im Innersten von einer kindlichen Sehnsucht geprägten) Imagination.

  18. „Also, die Alice-Salomon Frauen schreiben, sie litten wg. Gomringers Gedicht an der „Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht“.

    Ich glaube, hier ist nicht das Gedicht das Problem, sondern die Damen brauchen eher psychotherapeutische Hilfe, wo man lernt, die eigenen Befindlichkeiten nicht zum Maßstab der Welt zu machen. Da hilft, so vermute ich, und es sind ja eh Pädagogen, das schürft nicht so tief, die Lektüre Hegels und wie man so mit Welt umgehen kann, nur eine therapeutische Dienstleisung. Die ja in der Regel auch von den Kassen übernommen wird.

  19. „Da hilft, so vermute ich, (…) nur eine therapeutische Dienstleisung. Die ja in der Regel auch von den Kassen übernommen wird.“

    Da hülfe osä. – wenn Frau sich denn als hilfsbedürftig imaginierte, was Frau aber nicht will, denn Frau will kein Opfer (mehr) sein. Die Welt soll sich ändern – das Gedicht kommt weg.

    – Aha, das läge evtl. auch noch drin: Dass man die Übermalung eines der vielfältigen Gründe derer, die da viellfach frauenbeauftragt an der Alice-Salomon Hochschule leiden, über die Krankenkassen abrechnet. Berlin ist doch innovativ. Und bei Geschlechtsumwandlungen zahlen die Kassen schließlich auch – selbst wenn Männer sich umschneiden lassen.

  20. Ach, verehrtester Freund, ich sage dieses alles nur mir und lassen Sie mir dieses epistolarische Soliloquium nur zu!

    – Was die Damen (= kleinen Furien) von Berlin betrifft, so mag dieser Nachtrag statthaft sein: – Es sind nämlich von alters her, neueren Erkenntnissen der dekonstruktiven resp. postischen akademischen Sphäre zufolge, Männer, und Männergedanken wie die von Ihnen 13:04 Uhr geäusserten über die wunden Seelen der Frauenzimmer allein, die es machen, dass die hochgebildete Frau dem gemeinen Manne etwan gar zur Feindin geworden wäre, um das seit Äonen währende Herrschaftskontinuum (=Machtgefüge) aufzubrechen, das ja nicht allein die Geschlechterdifferenz – konstituiert, wenn wir unseren lieben welschen Nachbarn nur hingebungsvoll genug zu lauschen uns anheischig machten.

    Den irgend zuhandenen Rest besorgt treffliche Selbstbezaubrung, ein Fach, wie geschaffen für die neusten seelischen Top-Preziosen aller – inkl. der noch unidentifizierten – Geschlechter anno domini 2018.

  21. aber ich finde es dennoch problematisch, dann, wenn wir es, wie ich finde, eher mit gruppendynamischen Prozessen zu tun haben, wie sie ja schon mehrfach beschrieben worden sind, z.B. beim Entstehungsgeschehen von Sekten und ähnlichen Phänomenen (ich habe da Einblicke über Freunde in die Verhältnissen im Osho-Camp in Oregon, kenne solche Erscheinungen also aus erster? oder zweiter Hand), die, wie mir auch später erst bewusst wurde, auch in „salafistischen“ Gruppen stattfinden oder stattgefunden haben (ich arbeitete eine Zeit lang mal mit einem „Salafisten“ zusammen, der allerdings diesen Begriff ablehnte, sofern er mit Gewaltbereitschaft assoziiert werde), und die, wie che dann mal bemerkte, auch in Neonazigruppen typisch anzutreffen seien – also mit gruppendynamischen Prozessen, wo Nachrichten, die von außerhalb stammen, systematisch ausgeblendet werden, oder, wenn sie durchdringen, verteufelt, wodurch eine gewisse Gruppenstabilität etabliert, verstärkt und aufrechterhalten wird gegen ein Draußen, und wo bestimmte Äußerungen sanktioniert werden, die diesen Prozess der Abkapselung verstärken, so dass kritisches Denken immer unwahrscheinlicher wird, die Selbsthinterfragung nahezu abgeschafft (ich glaube, wir müssen hier nicht ganz bis zu Hegel pilgern, um selbige Praxis hinreihend beschrieben zu finden); – wenn wir es also mit gruppendynamischen Prozessen zu tun haben, die seidenartige Strukturen aufzuweisen scheinen und wo jede Idee von Aufklärung (im Sinne Kants) auf der Strecke zu bleiben droht, weil der einzelne immer, egal welchen Unsinn er oder sie von sich gibt, von der Gruppe belohnt wird, solange die Äußerung zur Gruppenstabilität beiträgt, dann, wenn hierdurch kritische Selbstreflexion abgewürgt wird (eine Erscheinung, die ich mit einem Bildungsbegriff im emphatischen Sinne assoziiere, nur hier im negavtien Sinne), dann und in diesem Falle scheint es mir etwas verkürkzt, die einzelnen Protagonisten und Protagonistinnen schlicht der Psychotherapie überantworten zu wollen.

    Che hat sich letztlich ja ähnlich geäußert, allerdings, wie ich es verstand, eher subjektiv gefärbt, dass er das Gefühl habe, bei einigen dieser „Protagonisten“ es mit einer psychischen Distortion zu tun zu haben.

    Wir haben es, dies mein klarer Eindruck, es eher mit Nachplapperei zu tun – die von einer Gruppe sanktioniert wird. Habe das selber erlebt bei meiner Tätigkeit zur Alphabetisierung afghaneischer, Syrischer … Frauen, die hierhergekommen sind. Da war diese von Habitus eher unstudierte Frau, die mit einem Frauenhaus oder ähnlichem in HH-Altona in Verbindung stand, u. die uns auferlegen wollte (das war von ihrer Seite nicht bloß als Empfehlung gedacht), wir sollten den Frauen als Antwort auf die Frage nach dem Beruf nicht „Hausfrau“ oder „kein Beruf“ nahelegen, sondern „Familienmanagerin“!

    Da hatte sie aber nicht die Rechnung mit Svetlana aus Tschetschenien gemacht, die vollkommen aufgebracht all diese Zuschreibungen wüst verärgert von sich wies, als jemand dieses „Familienmanerin“ in den Raum warf. Eine von diesen voll-emanizipieren, tüchtigen, alleinerziehenden, sehr intelligenten, osteuropäischen Power-Frauen, verließ entrüstet den Raum,so in etwa: „ich bin keine „Hausfrau“! Ich habe mit all euren Hausfrauen und „Famlienmanagerinnen“ nichts zu tun, ich bin hier wohl im falschen Film!“

    Aristoteles nennt es (jedenfalls in Übersetzungen) „in Unterredung der Seele mit sich selbst gehen“ (Phronesis), du, besarin, scheinst eher den Begriff der Selbstreflexivität zu bevorzugen, dabei an Hegel denkend, ich nenne es einfach einen Mangel an Bildung. – Die als solche – vor allem vom Gebildeten selbst – zu entschuldigen wäre, eben zu erdulden und zu ertragen (wie ich Toleranz verstehen würde).

    Tragischerweise ist hier ein Diskurs entstanden, bei dem eine Einigung oder ein Sowhol-als-auch nicht vorgesehen ist. Ich glaube, dass das auf einen Denkfehler zurückgeht (siehe J. Butlers Kritik an feministischer Identitätspolitik) – diesen Denkfehler aber mit es „mit gleicher Münze zurückzuzahlen“, hilft hier m.E. nicht weiter.

    Psychologisierung oder gar Psychartisierung, oder auch eine Soziologische Erkläkrung, die sonst in meinen Augen am angemessensten wäre, – all jene Versuche können inho nicht hinreichen. Wie schon Bemerkt, Aristoteles würde dem gebildeten Hellenen davon abraten, sich an einer Diskussion zu beteiligen, die außer acht lässt, dass es sich überall um veränderliche Meinungen handelt.

  22. Ziggev, vielleicht könntest Du, wenn nicht in luziden, so aber doch in weniger schweifenden Worten darlegen, was dies mit dem Gedicht und jenen seltsamen Leuten in Berlin zu tun hat. Vielleicht auf zwei drei Thesen reduziert. Mir ist nicht ganz klar, was genau Du sagen willst. Wobei ich nichts gegen das Schweifen habe, nur muß es in seiner Grundprägung nachvollziehbar sein.

  23. @ ziggev

    Huch – ein Systematiker sind sie nicht!

    Es kann alles mögliche vorliegen beim Alice-Salomon Asta. Und es kann auf der individuellen Ebene auch alles mögliche vor sich gehen – einschließlich Psychotherapie und psychiatrischer Intervention. Auch Mord und Totschlag. Erpressung. Sexuelle Hörigkeit. Alles möglich.

    Keine Ahnung, wie Aristoteles darüber gedacht hätte, aber – na klar, Gewissensprüfung ist auch möglich: Auch das kann dort der Fall sein.

    Denn die Wirklichkeit ist sozusagen wesensmäßig unrein.

  24. Wie gesagt: Was diese Jungs und Mädels vom AStA denken, spüren, fühlen ist mir ganz einerlei und interessiert niemanden, solange sie das für sich behalten. Sobald aus dieser Fühligkeit aber Normatives abgeleitet wird, existiert eine Grenze. Vom Amusischen dieses Verhaltens mal ganz abgesehen. Ein irgendwie magisches Denken, das da in den Köpfen dieser Leute vorwaltet. Und da wird es dann wieder traurig: Daß solche später einmal Kinder und Jugendliche erziehen und begleiten sollen.

  25. @ Bersarin

    „AStA denken, spüren, fühlen ist mir ganz einerlei und interessiert niemanden, solange sie das für sich behalten“.

    Es fehlt (erneut) der Irrealis. Was Sie formulieren sind allenfalls fromme Wünsche – in unseren Zeiten des zur vollen Blüte gelangten Individuums (= der Schneeflocke – – bzw. – eheh: Der Schneeflöckin) – sowieso. Diese Leute behalten das nicht für sich, weil sie nicht verstehen, dass der unmittelbare Ausdruck eines Gefühls (oder Gedankens) sich nur für Kinder ziemt.

    (Das war ja der Grund, warum Rousseau, eines der Irrlichter auf ihrem Pfad der Unachtsamkeit, mit seinen eigenen Kindern lieber nicht soviel zu tun haben wollte, hehe).

  26. Zwar hatte ich von psychisch schwer angeschlagenen Persönlichkeiten geschrieben die einen bestimmten Teil der Filterblasen/Echokammern-Blogosphäre entscheidend prägten, das schließt aber den Faktor der Gruppendynamik überhaupt nicht aus. Auf der einen Seite sind ja so etwas wie Triggerwarnungen eigentlich Praktiken die aus dem Bereich der Traumatisierten-Selbsthilfegruppen kommen und auch genau da eigentlich hingehören. Und auf der anderen Seite sind bei den Gruppendynamiken eher Mechanismen am Wirken, die so auch ganz gut den Elementen des autoritären Charakters zugeschlagen werden können, ausgerechnet bei Leuten die das genaue Gegenteil davon für sich in Anspruch nehmen. Es hat schon seinen Grund dass ich an anderer Stelle den Vergleich mit Savonarola vornahm.

  27. Das Lustige bei diesen Triggerwarnungen ist ja: Man kann all das wunderbar umdrehen. Eine Warnung vor Homosexualität und homosexuellen Handlungen in Platons „Politeia“

    „Das also, scheint es, wirst du als Gesetz aufstellen in dem Staate, der gegründet wird, dass der Liebhaber den Geliebten küssen dürfe und mit ihm Zusammensein und ihn berühren wie einen Sohn, um der Schönheit willen, wenn er ihn dazu bewegen kann, dass man im Übrigen aber mit dem, den man verehre, so umzugehen habe, dass das Verhältnis nicht weiter als bis zu dieser Grenze zu gehen scheine, wo nicht, so treffe ihn der Vorwurf der musischen Unfeinheit und der Unempfindlichkeit für das Schöne.“

    Vielleicht merken diese Leute anhand solcher Beispiele, wie absurd es ist, im Betrieb der Kunst solche Warnungen anzubringen. Denn die Empfindlichkeiten sind beliebig erweiterbar. Wer sich tatsächlich von einem Kunstwerk getriggert fühlt, sollte sich nicht um einen Studien-, sondern um einen Therapieplatz bewerben.

  28. Und noch etwas, der wunderbare Alban Nikolai Herbst brachte es bereits vor Jahren auf den Punkt. Das Buch steht bei mir im Schrank, diesen Satz hatte ich leider nicht mehr im Kopfe, aber das kollektive Gedächtnis des Internet funktioniert gut:

    „Kunst ist nichts an CORRECTNESS gelegen, sondern das Korrekte tötet sie ab.“
    (Alban Nikolai Herbst: Schöne Literatur muß grausam sein, qua Twitter, Selbstleser)

  29. @ Bersarin und che2001

    Wenn ich es aus der Entfernung betrachte, liefern die Asta-MitgliederInnen bergeweise Material für die Zeitdiagnosen der großen Mentalitäts-Feststeller und Deuter von Christopher Lasch über Neil Postman und Fromm (der Marktcharkter Fromms scheint mir sehr einschlägig), aber auch neuer Deuterinnen wie Camille Paglia, Peterson, Haidt – ähhhh: Zu unterfüttern).

    Ansonsten wäre ich eher zurückhaltend, was Echo-Kammern und Trigger-Theoreme und dergl. mehr angeht, weil man sich darüber sinnvoll eigentlich nur in gut bekannten individuellen Fällen austauschen kann. – Also: Solange ich nichts über einzelne dieser Leute weiß, sind das Spekulationen, die meine Aussage eher unscharf werden lassen.

    Sehr scharf sind aber vor dem Hintergrund dessen, was die Fachleute oben herausgefunden haben, solche Aussagen konturiert wie die o. a. , man leide an der von Gomringer zum ausdruck gebrachten Bewunderung für Frauen.

    So eine Aussage ist erratisch und/ oder idiosynkratisch und passt insofern idealtypisch in die Muster die die o. a. (cum grano salis) Neo-Freudianer bereits identifiziert und ausgemalt haben.

    Von einer noch kälteren Position kam übrigens Hans Magnus Enzensberger zu ganz den gleichen Befunden – und die lauten ja: Wer sich so verhält wie die Salomon-Adepten in ihrem Kampf gegen Gomringers luzide Kunst, der tut so (das ist eine wichtige Stufe in diesem Gedankengebäude E.s) – also der (oder die…) tut so, als ob zwischen den allerprivatesten Gefühlen und dem, was sich für den gesellschaftlichen Umgang geziemt (=schickt…), kein Unterschied zu sein brauchte. – Letztlich ist das – und das wäre nun wieder ein wenig kiefsch, ich bitte um Verständnis, – also: Letztlich kündet derlei seelischer Gestimmtheit von der falschen Idee, es sei ok in der bürgerlichen Öffentlichkeit mit dem Habitus und dem Gestus und der emotionalen Ausstattung eines Heranwachsenden oder eines Kindes gar aufzutreten und in diesem Stadium der emotionalen Unreife für voll genommen zu werden. Als hätte die bürgerliche Öffentlichkeit eine Bringschuld gegenüber der Unfähigkeit dieser oder jener Person, die den erwachsenen Umgang nicht meistert.

    Noja – und das ist dann klassisch freudsch: Erwachsensein heißt zu akzeptieren, dass nicht alle meine Regungen sich verlustfrei im wirklichen Leben umsetzen lassen. Erwachsen sein heißt, mit Enttäuschungen fertig zu werden. erwachsen sein heißt zu verstehen, dass das Gegenüber nicht allein deshalb schlecht oder minderwertig oder ungerecht oder grausam usw. ist, weil es 1) anders ist als ich, oder weil es 2) mir nicht zu Willen ist.

    Erwachsen sein heißt zu verstehen, dass die Lizenz zur Kritik keine Einbahnstraße ist. Dass Sprache nicht allein ein Reservoir meiner Wünsche darstellt. – Naja – es heißt gar verstehen, dass ich mich, indem ich mich individualisiere, notwendig vergesellschafte und dass ich diesen fundamentalen Zusammenhang auf Dauer nur um den Preis ignorieren kann, dass ich mich – als Ignorant erweise. Wahlweise auch als unreif, irre, undankbar, unzurechnungsfähig, solipsistisch, nicht gesellschaftsfähig…

    hehe – ich kann dann immer noch bei der „Zeit“ anheuern und einen Artikel schreiben, in dem ich die irrenden Kämpferinnen an der Alice-Salomon Hochschule z. B. – wenn auch mit ironischer Reserve – gewähren lasse. Motto: Anything goes…

    Aber ich werde dann selbst unweigerlich zu einem Ritter in trauriger Gestalt.

    Yep – das Geistesleben kann sehr grausam sein.

    „ChchchChchchChhh!“ (Frank Schulz, „Kolks blonde Bräute“)

  30. @ Bersrin – Alban Nicolai Herbst

    Schiller – der Künstler sucht/braucht/die Freiheit. Das ist bereits potentiell unkorrekt, weil Freiheit der Regelhaftigkeit/ der Konvention nicht unbedingt zuneigt. Aber der Künstler, sagt Schiller, xxxxx s p i e l t auch noch – und das macht den gesamten Aggregatzustand Kunst nur immer undurchsichtiger – und zwar von der Natur dieses Aggregatzustands aus, also aus strukturellen Gründen. Es kann eben kein gutes Spiel ohne – Spannung – geben.

    Das ist der große Unterschied zur therapeutischen Sphäre. Dort hat das Spiel nicht unbedingt was zu suchen, weil man weiß, dass Leidende schwach (=unsicher, verletzlich, verwirrt…) sind. Es kann sein, jemand ist so schwach, dass er ein Spiel in seiner strukturellen Vagheit (=Offenheit) als bedrohlich empfindet/erlebt.

    (Das ist ein Grund, warum ich kein Therapeut sein wollte. Weil es soviel Verzicht impliziert, mit Menschen / menschlichen Zuständen umzugehen, die nicht zu spielen vermögen/erlauben. Das ist einfach eine meiner persönlichen Präferenzen/Grenzen. (Es ist, beiseite gesprochen, nicht per se schlecht, sowas nicht zu können/ oder nicht tun zu wollen. Schlecht ist es aber schon, wie ich finde, sowas zu tun, obwohl man es nicht (richtig) kann)).

    Und schlecht ist es, wenn der Zustand der Therapiebedürftigkeit gleichwie zum Generalschlüssel zum Gesellschaftlichen Verkehr gemacht wird. Enznesberger (ok,ok) hat das ganz beiläufig in etlichen Gedichten und in den „Versuchen über den Unfrieden“abgehandelt.

    Eins der Gedichte, in denen Enzensberger den Zusammenhang zwischen Erwachensein als Voraussetzung einer Lizenz zum Mitreden thematisiert heißt: „An einen Ratsuchenden“ und steht auf S. 79 in dem Band „Leichter als Luft“. Es ist sehr sehr untherapeutisch, weil sehr unduldsam.

    Ich habe aber andererseits – im richtigen Moment und in der richtigen Gesellschaft, schon sehr erlösende/ schöne/ verblüffende Dinge damit erlebt.

    No -dann noch die Seite in den „Versuche(n) über den Unfrieden“ über die falsche Gleichsetzung von therapeutischer und sozusagen allgemeiner Welt, Sätze für die kleine Ewigkeit jedenfalls ganz sicher meines restlichen Lebens: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“

    Und derlei hat Konsequenzen – nicht zuletzt für die Absolventen solcher Sozialarbeits-Schulen, – – – wer nur noch nach Gründen für Unlustgefühle jeder Art fahndet, hat bald die Ressourcen aufgezehrt, die es allein ermöglichen zu wissen, wie man „uf der werlte sollte leben“…

    So ist aber der Mensch: In der S p a n n u n g zwischen Sein und Sollen. Man kann diese Spannung loswerden – aber man riskiert dann, so spottete schon Kant, das Sehnsuchtsziel des ewigen Friedens – mit einem Friedhof zu verwechseln. Das aber zeugt leider gar nicht von Geistesgegenwart noch von wirklicher Herzensgüte oder Witz.

    (Es genügte eigentlich schon, wenn man derlei begreifen würde. Man sähe weiter).

  31. Viele treffende Bemerkungen hier, erhellende Zitate. Sehr gut und enregend zu lesen.
    Ich stelle mir aber seit einiger Zeit eine Frage, die ich mir nicht gut beantworten kann, nämlich: warum scheint diese Position einiger Studenten, gern wahlweise „auch“ oder „oder“ oder „und“ Studentinnen, wahrscheinlich unhörbar gar nicht aller, möglicherweise nicht einmal einer Mehrheit, so ungeheuer mächtig, dass sie damit durchkommen. Publizistisch, in der Öffentlichkeit des Blätterwaldes scheint diese Deleteaktion eine krachende Niederlage zu sein, kaum jemand rafft sich zu einer Verteidigung dieser Protestaktion und des Entschlusses, das Gedicht zu entfernen, auf. Stattdessen lese ich als gelegentliche Ausflüchte, es sei ja nicht so gemeint. Selbst die Unileitung scheint nicht wirklich überzeugt, vollzieht aber diesen Akt und glaubt durch Austausch der Gründe sei irgendetwas zu retten. Ebenso verfährt übrigens die Bildabhängaktion in einem London Museum: es sei ja nur eine Kunstaktion gewesen, und im Übrigen könne ein Museum eh nicht alle Bilder zeigen, die Archive seien ja voll ungezeigter Bilder. Warum also so aufregen?
    Dennoch setzen sich Ansinnen wie dieses durch. Letztlich kommt das Gedicht weg, das Bild wird abgehängt. Auf der Ebene des Handels gibt es am Ende des Tages keinen Kompromiss: entweder man tut’s oder man lässt es. Und auf irgendeine Art scheinen diese Mischung aus behaupteter existentieller Dringlichkeit und Penetranz so unwiderstehlich, dass ihr nachgegeben wird.
    Das sind ja keine Einzelfälle, auch dieses ist hier im Blog häufig erwähnt worden: klassische Bücher werden umgeschrieben und gesäubert, Straßen umbenannt, Denkmäler gänzlich ohne oder nach eindimensionaler und verkürzender Debatte umbenannt, Sprachverwendungen mit eben solchen Argumentationsmustern und Behauptungen durchgesetzt und sogar amtlich sanktioniert.
    Meiner Vermutung nach, die ich nicht belegen kann, lassen sich eine Mehrzahl der Menschen diese Aktionen eher gefallen als hinter ihnen zu stehen. Aber es setzt sich doch erstaunlich vieles durch, und mit Macht. Ich verstehe einfach nicht, was diese Macht im Kern ausmacht.

  32. Kleine Berichtigung: es war nicht London, sondern Manchester, wo das Bild abgehängt wurde …. Begründung allerdings ähnlich wie bei Avenidas.

  33. @jumid: Was die Studenten betrifft, die den Zirkus des AStA nicht teilen – und das gilt nicht nur für die ASH, sondern für viele Unis -, die ihn aber durchgehen lassen, so liegt das sicherlich an einer hohen Dosis Gleichgültigkeit. Ähnlich auch an anderen Unis, wenn Evangelikale und Puritaner Veranstaltungen stören. Kaum einer wehrt sich, keiner steht auf und sagt: Verschwindet oder haltet die Klappe! Doch, einmal an der HU bei dem Pädagogik-Seminar wurde tatsächlich die Polizei gerufen. Im Grunde nimmt eine Minderheit hier immer wieder Mehrheiten, die studieren und lernen wollen, in Geiselhaft. Aber wer sich nicht wehrt, muß das eben erdulden.

    Was die ASH betrifft, so hat hier vor allem die haltungsschwache Unileitung die Hauptschuld, die es nicht wagt, sich mit dem AStA anzulegen. Zur Not eben auch mit Druck: Indem man dem AStA klarmacht, daß laut Gesetz er für die Belange der Uni, aber nicht für die allgemeine weltpolitische Lage zuständig sei. Rassismus in Berlin ist keine schöne Sache. Aber es ist nicht die Aufgabe des AStA hier tätig zu werden. Und ansonsten: Konsequente Auslegung des Verwaltungsrechts und auch bestehender Vorschriften, was die Ausstattung von Räumlichkeiten betrifft. Ob diese Abstimmung tatsächlich in dieser Form nötig gewesen wäre, müßte man ebenfalls prüfen. Da die Universitäten von den Steuerzahlern und nicht von den Studenten finanziert werden, qua Studiengebühren wie in den USA, müßte man schauen, wie hier die Regularien sind.

  34. @ Jumid

    „Und auf irgendeine Art scheinen diese Mischung aus behaupteter existentieller Dringlichkeit und Penetranz so unwiderstehlich, dass ihr nachgegeben wird.“

    Das ist der Punkt. Es ist die Macht des Zeitgeists, der hat von freiheitlich/emanzipativ gedreht auf therapeutisch/ regressiv.

    Es ist interessant, diese Dinge zu beleuchten, aber es ist ein voraussetzungsreiches Unterfangen. Auch das macht es eigentlich nur noch interessanter – allerdings auch unübersichtlicher. Und gefährlicher. Man kann sich a) leicht blamieren in solchen Lagen und b) wird man schnell an den Pranger gestellt – und das kann auch persönlich unangenehme Konsequenzen haben. Ich denke z. B. an Martin Lichtmesz oder Andreas Patzelt, denen man die Autos abgefackelt hat. Aber auch an Boris Palmer oder Jörg Barberwoski oder den Polizeigewerkschaftler Wendt, der an der Goethe Uni zu Frankfurt nicht vortragen durfte, oder an Charles Murray (The Bell Curve), dem der Mob das Rederecht in den anglophonen Ländern einschränkt; und die Universitätsleitungen lassen es geschehen. auch die deutschen Verlage kuschen, – und übersetzen The Bell Curve z. B. nicht – seit Jahrzehnten! Eines der wichtigsten Bücher der letzten fünfzig Jahre.

    – Es wird auf breiter Front — nachgegeben, wie Sie schreiben, das ist die Lage.

    @ Bersarin wg. Gleichgültigkeit

    Gleichgültigkeit sehe ich auch – weil die Individualisierung nicht nur die Genderistas und Regressiven hervorbringt, sondern auch einen Egoismus und Hedonismus, der auf der individuellen Ebene einfach die Spielräume nutzt, die die Lage so hergibt. Ich war vor paar Jahren ein paar Wochen regelmäßig hier an der Uni und lernte zwei junge Damen kennen, die in – oft (!) blendender (!) Laune dort aufkreuzten, und die Freiräume aber wirklich raffiniert nutzten, die sich für sie auftaten in dem allgemeinen Liberalismus, der da herrscht.

    Sie waren übrigens auch grandios angezogen immer. – W e n n sie da waren. Sie erläuterten mir, es sei nicht wirklich nötig, sehr oft da zu sein, hehe. Auf der individuellen Ebene haben die wirklich große Freiräume für sich freicharmiert – und erluchst. Und sie haben peinlich darauf geachtet, die Milch der frommen Denkungsart, die die Genderistas und wer nicht alles feilboten, nur ja nicht in Frage zu stellen – Energieverschwendung.

    Sie studierten übrigens – mit vollem Kalkül – Latein und Sport – – auf Lehramt…hehe. Ich hoffe, sie versauern unterdessen nicht in Heidelberg (ihrem Sehnsuchtsziel). – ahh, nein, sie versauern nicht. – Ihre Schülerinnen und sie – „am besten Gymnasium der Stadt“ (Enzenesberger, ohh….) werre ihrn Spass schunn hawwe – – hehe. – Ich erinnere mich – – – „plötzlich“ – – –

  35. @ Dieter Kief: „Es ist die Macht des Zeitgeists, der hat von freiheitlich/emanzipativ gedreht auf therapeutisch/ regressiv.“ In welcher Welt haben sie denn vor dieser tragischen „Wende“ gelebt? Ich würde mich auch gerne dorthin beamen lassen, muss ja ein fantastischer Planet sein…
    Wer in dieser Debatte übrigens von „der Individualisierung“ spricht, disqualifiziert sich in meinen Augen selbst. Es gibt kaum einen soziologischen Begriff der weniger nichtssagend und gleichzeitig so verblendungsfördernd ist.
    Ansonsten ist es recht trübselig mitzuverfolgen, wie sich am realen oder imaginierten, dies spielt dabei erstmal keine Rolle, psychischen Leiden der „ASH-Studentinnen“ ergötzt wird. Es scheint so, als müsste sich mit Hilfe der abstrusen Beiträge und „Ideen“ über die eigene Beschädigung hinweggetäuscht werden. Aber eigentlich wundert es mich auch nicht, fehlte doch bereits in Bersarins bizarrem Theoretiker-Eintopf die alles entscheidende Zutat: Freud.

  36. fabsebab, das hier ist ein Blog für Analyse und Kritik. Die Studenten mögen sich einen Therapieplatz suchen, wenn sie mit der Welt nicht klarkommen oder sie bleiben zu Hause im Kleiderschrank – da ist es sicher. Hör es Dir gut an, denn es betrifft auch Dich. Und benutze bitte den Namen Freud nicht, um eigene Relevanz zu bezeugen, die Du nachweislich bisher hier nicht erbracht hast. Außer in der Produktion von Phrasen und Wortmarken. Daß ausgerechnet Du von verblendungsfördernd sprichst, zumal in einem verblendungsfördernden Vokabulär, entbehrt nicht der Ironie.

    Ansonsten verdrehtst Du hier Ursache und Wirkung. Die ASH-Studenten sind keine Opfer, sondern es sind die Täter, die Kunst nicht ertragen und Wände säubern. Und dagegen ist vorzugehen.

  37. Ja, ja, ist ja gut, Bersarin. Analyse und Kritik. „Und zwar nicht aus subjektiven Gründen der Befindlichkeit, sondern aus politischen Annahmen heraus.“ Schon klar, ich habs verstanden… Abschließende, spontane Assoziation meinerseits dazu: „Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.“

  38. PS: „Und dagegen ist vorzugehen.“ Kannst dich in der Sache ja mal bei deinem neuen Heimatminister melden. Ich glaub, der sucht noch Leute wie dich…

  39. Daß dies Phrasen sind, die beliebig bleiben, weil sich statt Deutscher genausogut jede andere Nation einsetzen ließe, so daß man also am besten diesen Satz als eine Tautologogie formulierte und „Deutscher“ durch „Mensch“ ersetzte, diesen Umstand mag man noch verzeihen. Nicht jedoch, daß Du leider nicht auf die Argumente eingehst. Opfer sind nicht die armen Studenten an der ASH, so wie auch in Cottbus und anderswo nicht die Bewohner Opfer sind, wenn sie Ausländern jagen. Oder würdest Du hier auch sagen, daß man bei dieser Art des Umgangs eben auch deren Sorgen und deren psychische Leiden berücksichtigen müsse?

    Was übrigens den „demokratischen Entscheidungsprozeß“ bei der ASH betrifft: Schauen wir mal, wie die, die das Tilgen des Gedichts aus demokratischen Gründen gutheißen, reagieren wenn demnächst in demokratischen Abstimmungsprozessen jüdische Gedentafeln abgenommen werden, weil die Leute beim Betrachten derselben so ein „komisches Bauchgefühl“ haben.

  40. Interessant, was dein Unbewusstes für spontane Assoziationen hervorbringt, wenn es einmal angeregt ist. Ach nein, tut mir leid, ich vergaß. Ich meine natürlich: Interessante … äähhm Analyse?
    Kritik? Kritische Nachfrage die sich aus der bisherigen Analyse ergeben hat? Bin mir da nicht ganz sicher, aber ist ja auch egal. Du wirst dir über den Gehalt deiner Frage sicherlich völlig im Klaren sein.
    Zu deiner Frage: Ja, ich würde immer die Sorgen und psychischen Leiden der Menschen berücksichtigen und alles daran setzten, dass deren Leiden auf das kulturnotwendige Mindestmaß minimiert wird. Anders als du, würde ich aber zwischen verschiedenen Straftatbeständen unterscheiden und das Ändern eines Wandgedichtes nicht mit Körperverletzung und Mordversuchen in einen Topf werfen. Das ich die Haltung der Studenten und des Asta kritikwürdig und die zugrunde liegende, subjektive Verfasstheit bedenkenswert finde, habe ich bereits klar gemacht und falls du es im Affekt „vergessen“ hast: Ich habe dich anfangs für deinen Artikel gelobt, fand ihn treffend.
    Was die jüdischen Gedenktafeln angeht: Hier machen mir die „Genderistas“ weniger Sorge, als die kommenden Aktivitäten des Heimatministeriums. Denn den kernig-heimatliebenden Deutschen ist die Shoa bekanntlich schwerer verdaulich, als den gleichgülig-taumelden Hedonisten.

  41. Wie geschrieben: Geh bitte auf meine Argumente ein. Was Du berücksichtigst oder was Dich persönlich interessiert, ist hier nicht der Maßstab, zumal Fühligkeiten beliebig sind. Der eine sorgt sich um psychisch deformierte Studenten, der andere um psychisch deformierte Wutbürger. DAS aber ist hier nicht das Thema. Sondern die Begründungen für das Auslöschen eines Kunstwerkes im öffentlichen Raum. Das Entfernen von Gedenktafeln ist genauso demokratisch legitimiert, wenn darüber abgestimmt wird, wie das Abnehmen von Gedichten. Zumal es hier ja nicht mehr um Mord geht, sondern um Erinnern an Mord und an bloß subjektives Unbehagen, das ja anscheinend zum Maßstab für Entscheidungen gemacht werden soll. Und genau da zeigt sich das Problem von direkter Demokratie. Unabhängig von den unterschiedlichen Haltungen, die dahinter stehen mögen. In Deinem Sinne könnte man schreiben, dies sei das selbe verdinglichte und deformierte Bewußtsein. Aber auch dies ist zu abstrakt, weil hier Ideologiekritik als Begriffsmarker über eine Sache gekleistert wird.

  42. „und alles daran setzten, dass deren Leiden auf das kulturnotwendige Mindestmaß minimiert wird.“ Finde ich jetzt aber nicht so gut, daß Du gleich für die Zwangsexmatrikulation dieser Studenten optierst. Aber gut – mir soll es recht sein, denn auch ich denke, daß solche Leute zunächt mal nicht an Fachhochschulen gehören.

  43. @Bersarin : „@jumid: Was die Studenten betrifft, die den Zirkus des AStA nicht teilen – und das gilt nicht nur für die ASH, sondern für viele Unis -, die ihn aber durchgehen lassen, so liegt das sicherlich an einer hohen Dosis Gleichgültigkeit. Ähnlich auch an anderen Unis, wenn Evangelikale und Puritaner Veranstaltungen stören. Kaum einer wehrt sich, keiner steht auf und sagt: Verschwindet oder haltet die Klappe! Doch, einmal an der HU bei dem Pädagogik-Seminar wurde tatsächlich die Polizei gerufen. Im Grunde nimmt eine Minderheit hier immer wieder Mehrheiten, die studieren und lernen wollen, in Geiselhaft. Aber wer sich nicht wehrt, muß das eben erdulden.
    Was die ASH betrifft, so hat hier vor allem die haltungsschwache Unileitung die Hauptschuld, die es nicht wagt, sich mit dem AStA anzulegen. Zur Not eben auch mit Druck: Indem man dem AStA klarmacht, daß laut Gesetz er für die Belange der Uni, aber nicht für die allgemeine weltpolitische Lage zuständig sei. Rassismus in Berlin ist keine schöne Sache. Aber es ist nicht die Aufgabe des AStA hier tätig zu werden. Und ansonsten: Konsequente Auslegung des Verwaltungsrechts und auch bestehender Vorschriften, was die Ausstattung von Räumlichkeiten betrifft. Ob diese Abstimmung tatsächlich in dieser Form nötig gewesen wäre, müßte man ebenfalls prüfen. Da die Universitäten von den Steuerzahlern und nicht von den Studenten finanziert werden, qua Studiengebühren wie in den USA, müßte man schauen, wie hier die Regularien sind.“ ———-

    Nicht nur eine hohe Dosis Gleichgültigkeit spielt da eine Rolle – ich erinnere aus meiner eigenen Studienzeit, dass da die zahlreichen studentischen Publikationen und Flugblätter die rund um die Mensa verteilt wurden, teils überflüssige und nichtssagende Pamphlete, teils aussagekräftige Zeitdokumente oder sogar anspruchsvolle Theorietexte von der Mehrzahl der Studierenden pauschal als „Altpapier“ betrachtet wurden – sondern auch eine ordentliche Portion bürgerlicher Moral. Halb fürchtet die Mehrheit die Tugendfurien, halb respektiert sie diese weil die eigene Moral nicht sehr konsequent ist und die wenigsten sich zu einer partiell laxen Moral bekennen (was ich z.B. tue) und daher die Tugendbolde als zumindest im Prinzip gute Menschen geachtet werden. Dies eine Haltung im Übrigen, mit der die gesamte deutsche Gesellschaft mit den Kirchen umgeht, denn tatsächlich gläubig ist ja wohl nur eine Minderheit, offen den Unsinn bestimmter Glaubensinhalte auszusprechen traut sich aber kaum jemand. Was allerdings, Bersarin, Deine Haltung zu politischen Verlautbarungen des ASTA angeht nähert sich mir das bedenklich der Haltung des RCDS der frühen Kohl-Ära, der mit dem Argument „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ die politische Arbeit linker Asten strafprozessuell zu torpedieren trachtete (ohne Erfolg). Solche Auseinandersetzungen sollten mit Argumenten ausgetragen werden, meinetwegen auch mit Happenings und Show-Down-Aktionen, aber nicht unter Bemühung der Repressionsorgane.

    Zum Thema Zeitgeist: Also ich kenne genau dieselbe hypermoralisch-zwanghafte Athmosphäre mit inflationären Sexismus-Vorwürfen aus meiner eigenen Studienzeit, die mit Unterbrechung von 1984 bis 1994 dauerte auch schon, in meiner Erlebnisweise vollzog sich da der Umschwung von einer primär subversiv-humorvollen Stimmung in der studentischen Linken zum Übergewicht des Moralspackentums im Jahr 1988. Was wir damals u.a. mit den Konsequenzen der neuen Hochschulrahmengesetze erklärten, die dazu führten, dass schwerpunktmäßig die Spröße von Lehrer-Pastoren-Juristenfamilien, also Leute aus moralproduzierenden Haushalten ein geistes- oder sozialwissenschaftliches Studium begannen und die Arbeiter- und Handwerkerkinder fernblieben. Der Ultramoralismus der akademischen Linken ist somit Ausfluss eines gesellschaftlichen Wandels, der bereits mit der Aufkündigung der Perspektive „Aufstieg durch Bildung“ verbunden ist, welche Prämisse der 67er-Revolte wie der links-alternativen Bewegung der 70er und 80er Jahre war. Eine Linke, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern abgeschnitten ist von realen sozialen Kämpfen und nichts hat als die Moral ihrer Klasse.

    Der einzige aber sehr wesentliche Unterschied zu damals ist die Tatsache dass Debatten die damals selten über einzelne Kieze und oft nicht einmal über zweistellige Personenkreise hinausgelangten heute via Internet massenhaft verbreitet werden. Als ob man vorzugsweise den peinlichsten Debatten im JUZI, der Flora oder dem KOMM, die aus gutem Grunde hinter verschlossenen Türen und mit handverlesenem Diskutantenkreis geführt wurden plötzlich einen Big-Brother-Zugang mit Kommentarfunktion verliehen hätte.

  44. @Dieter Kief: In der Tat ist es so, daß sich diese Fälle häufen. Eine Universität, die jemanden wie Rainer Wendt nicht aushält und sich dem Druck beugt, hat im Kampf um Freiheit von Rede und Denken bereits verloren. Zumal es kaum Studenten anstehen kann, darüber zu befinden, wer an einer Uni auftritt oder nicht. In diesem Sinne, quasi als pädagogische Ohrfeige für diese Leute, wünscht man sich dann mal umgekehrt Störaktionen von hartgesottenen Identitären, damit vielleicht doch mal am anschaulichen Beispiel gesehen wird, wohin solche Zustände des gegenseitigen Störens am Ende führen.

    @ che: Wo Studenten für Argumente nicht erreichbar sind, bleibt einzig die Repression übrig. Das ist eine Sprache, die diese Studenten gut verstehen. Ich halte nichts vom Kuschelkurs. Und wer selber Repressionen ausübt, wird eben mit Repressionen rechnen müssen. Das sollte auch bei Evangelikalen in dieser Weise angegangen werden. Und bitte noch einmal festhalten für alle: Ausgangspunkt dieser Causa war nicht der Wunsch einiger Studenten nach einer Debatte über dieses Gedicht – denn natürlich kann man über Kunst debattieren -, sondern Ausgangspunkt war die Forderung nach Tilgung des Gedichts. Das ist dann schon irgendwie lustig, wenn dieselben, die mit Repression und Zensur des öffentlichen Raums kommen, sich dann plötzlich umswitchend auf Argumente berufen – also jetzt nicht Du, che, sondern deren Unterstützer.

    Der AStA ist nochmal eine Sache für sich. Er ist für die Hochschulpolitik zuständig und für nichts sonst. Sofern der AStA mit öffentlichen Geldern bezahlt wird, ist der AStA hier Rechenschaft schuldig. Spätestens dann, wenn der Bundesrechnungshof mal antanzt. Als Hochschulleitung bleibt nur diese Möglichkeit. Zum Boykott kann ein Rektor kaum aufrufen, ebensowenig zum zivilen Ungehorsam. Die Studenten freilich können andere Formen des Protests nutzen. Aber die, die eigentlich unpolitisch sind, und die ihr Studium forcieren wollen, denen ist das am Ende auch wieder egal. Für die ist die Uni weder ein Kinderspielplatz noch eine Polit-Schulung, sondern schlicht eine Durchgangsstation.

  45. @ Bersarin und Che2001

    „Die Studenten freilich können andere Formen des Protests nutzen. Aber die, die eigentlich unpolitisch sind, und die ihr Studium forcieren wollen, denen ist das am Ende auch wieder egal. Für die ist die Uni weder ein Kinderspielplatz noch eine Polit-Schulung, sondern schlicht eine Durchgangsstation.“

    Naja -für meine beiden hinreissenden Damen von weiter oben war die Uni ein unglaublicher Freiraum. Für die stimmte dieser ganze Lebesabschnitt – die haben das (sehr zu recht, wie ich finde) in vollen Zügen genossen.

    Die passen übrigens zu Gominger, u. a. w e i l sie sich „hinreissend“ aufführten und gaben – also bewunderungswürdig waren. Das wollten die aber auch sein.
    Insofern steckt hinter der Alice-Salomon-Asta -Affäre auch – Neid, bin ich mir sicher. Das Leben muss sich für manche von der Lebenskunst ganz verschmähte Zeitgenossinnen gerade im Angesicht von solchen Gestalten wie den beiden Grazien schrecklich ungerecht anfühlen.

    Neid tja – war das nicht mal eine Todsünde – und heute – gähnt uns auch auf diesem Sektor wie so oft: Die Leere an…

    Nur nachgefragt – wo sind denn die Evangelikalen irschendwie repressiv tätig? Ist mir entgangen.

    Der Neid vergeht nicht. Meine beiden Grazien von oben haben das an der Uni freilich einfach unterlaufen. Ich weiß nicht, was sie heute tun. Ich würde mich auch zurückhalten und sie, nur weil sie sich auf die – ok – technisch gesprochen – Regressionsmotive und – überhaupt auf die Regressionssphäre der Genderistas usw. nicht einließen, n i c h t als unpolitisch titulieren.

    Ich kann das nicht ausschließen, dafür kannte ich sie zu wenig, aber vielleicht waren sie nicht unpolitisch, sondern – -fabsebab, bitte kurz herhören: Vielleicht waren die beiden einfach – souverän!

    Wg. Che2001s soziologischer Generalperspektive: Handwerkerkinder sind ungezähmt und Juristen- oder Theologenkinder sind konventioneller – ich fürchte, das überzeugt mich so nicht richtig. Derlei geht, so würde ich fortfahren, nur am konkreten Beispiel (das ist der Sinn und Zweck von guter Literatur – cf. Gerhard Henschel – „Arbeiterroman“ – aber auch: „Liebesroman“ – Henschel spielt diese Aspekte wirklich unermüdlich und mit etlicher Fortune und Kennerschaft durch.)

  46. Na Dieter Kief, dann mache ich doch mal Werbung für meinen Roman „Wahnsinn und Verstand“, der im Renneritz-Verlag erschienen ist, da wird das en detail durchgespielt.

    Dennoch zu meiner Argumemtation noch ein Gedankensplitter: Wie für Deine Grazien war auch für mich Studentsein eine Lebensform, eine Phase kreativer Muße, in der man mit dem eigenen Leben experimentierte, in den Semesterferien durch den Nahen Osten vagabundierte und sich auf der Straße mit Polizei und Naziskins Schlachten lieferte. Seit 1988 war so etwas für Menschen, die nicht aus Wohlstandsfamilien stammten nicht mehr möglich. Es waren aber gerade, ich gebrauche mal diesen traditionellen Ausdruck, die „proletarischen“ Leute, die in die linken Gruppen einen wilden Rebellengeist hereinbrachten, weil es bei ihnen noch zum Milieu gehörte sich zu prügeln, weil sie Arbeitskämpfe und konkrete, mit dem eigenen materiellen Los verbundene soziale Forderungen zu stellen von den eigenen Eltern kannten. Als die weg blieben blieben Seminarmarxisten und Moralfeministinnen übrig.

  47. Ich habe auch nicht gesagt dass die Einen ungezähmter und die anderen konventioneller gewesen seien. Von konventionell ist hier überhaupt nicht die Rede, es sei denn, man betrachte das Überpinseln von Gedichten, Hausverbote für Playboyleser oder Nackte-Körper-Sprayer und kollektive laute I-Rufe wenn jemand sagt er sei auf eigene Leistunge stolz als Konvention. Die spezielle Moral, die aus den Diskursen rund um die das Avenidas-Gedicht und die Mädchenmannschaft und gewisse Ex-Mitdiskutanten sichtbar wird hat nichts mit „konventionell“ zu tun sondern mit einem selbstrepressiven moralischen Rigorismus (ich weiß wovon ich da spreche, ich habe das etwa 12 Jahre aus nächster Nähe miterlebt), der nur in bestimmten bikdungsbürgerlichen Haushalten gedeiht und in anderen sozialen Schichten in dieser Form unbekannt ist.

  48. @ Che2001 und Bersarin

    Nix gegen Erfahrungen. Wie gesagt, auch nix gegen Romane: „Wahnsinn und Verstand“ klingt keineswegs ehe – zu bescheiden, und auch deshalb interessant. Piwitt – hat in dem Hamburg-Roman „Die Gärten im März“ einen – ehh – Drucker als Erzähler- und er kennt und kannte sicher hunderte Hambruger Malocher – und ich meine, er nähre meinen Widerstand gegen die Soziologie mit dem breiten Pinsel. Konventionell – ja ok – also: Angepasst, nicht rebellisch, so hatte ich das gemeint.

    Ich hielte dafür, „selbst-repressiv“ gehe immer nur von innen; sowas kann eine(r) in der ersten Person Singular rückblickend sagen oder in einem akuten therapeutischen Zusammenhang. Von außen verbietet sich derlei, weil es Widerstand hervorruft, erfahrungsgemäß, und damit Rationalisierungen (auch in Debatten) Tür und Tor öffnet: Das aber heißt, Debatten aus subjektiven Gründen depotenziert, wo nicht gleich ganz zerstört. Klingt vielleicht komisch, ist aber real.

    Ich meine, Enzensberger hat diesen gordischen Knoten durchhauen: Was er schreibt geht ja nicht gegen Therapie, sondern es geht gegen die unvermittelte (!) Gleichsetzung von höchst Privatem und öffentlichem Diskurs.

    Ich hab Leute kennengelernt in HD, die diese Grenze im Zusammenhang der anti-Psychiatrie einrissen, und etliche von denen sind dann entweder zur KPD/AO und solchen Stärketrupps (Slogan: „Wir sind der Arm der internationalen Arbeiterklasse. Wir sind die stärkste der Partein…“) oder zur RAF.
    Ich war bei den Reformern, die die A r t der Behandlung hie und da änderten (auch darüber hat der ziemlich frühe Gerhard Henschel mal einen schönen Merkur-Aufsatz geschrieben, in dem übrigens auch Adorno vorkommt, während der Protagonist, der an ihn denkt, dabei ist, via bioenergetischer Körperarbeit seine Ich-Grenzen – eruptiv – zu erweitern.

    Ich erinnere, dass dieser Protagonist dann fand, Adorno sei in dieser Sphäre kein guter Weggenosse), ah: Wir Reformer haben die Art der Behandlung hie und da geändert, aber das Problem anerkannt, dass psychisches Leiden und psychische Krankheit die Vernunft bedroht – auch die eigene. Hier scheint mir Freud, aber auch so eine Kraft wie Heinrich Seuse oder Lao Tse bereits – oder Dschuang-Tse oder der Zen-Buddhismus: Die hatten das also alle klar – und die sind in dieser Hinsicht unüberbietbar – so wie Freud.

    Das ist ein Faktum brutum der Condition humana: Du musst einen Blick für Deine eigenen Beschädigungen und überhaupt Schwächen entwickeln – und Du bist dafür verantwortlich, dass die Dein Urteil nicht beeinträchtigen, nicht, so wie heute: Alle andern…
    (Odo Marquart hat übrigens diese Aberration des Zeitgeists bewundernswert klar herauspräpariert – und nicht ganz zu unrecht bei Horkheimer/Adorno/Marcuse als einer wichtigen Urhebergruppe verortet).
    Dies war auch einer der Gründe, warum Fromm Heidegger in den Blick nahm (und warum er aus dem Institut für Sozialforschung verstoßen wurde).
    Tja. Und Goethe – Fromm hat, anders als Adorno – und wieder anders der späte Marcuse, Goethe verstanden.

    (cf. – Kurt R. Eissler – Goethe – 2 Bände Verlag Roter Stern, Frankfurt/Basel- gibts antiquarisch – fabsefab – – – fabsefab?!).

    Soll ich noch sagen, dass ich unter Arbeitern,Tagedieben, Bauern (und Bergbauern) und Handwerkern sozusagen tagein tagaus – aufgewachsen bin?

    Ah noch wg. des Romans, che2001 – der Titel Deines Romans ist keine Anspielung auf Georg K. Glasers epochales Lebensbuch „Geheimnis und Gewalt“ – also keine bewusste Anspielung, nein?
    (Jetzt wüsste ich gern den Zusammenhang – ahh, ich weiß wieder, ok, Kurt Scheel und Worms: Der Rhein, Georg K. Glaser-Preis, die Nibelungen usw.).

  49. Zu den anderen Sachen später mehr. Wahnsinn und Verstand ist eine Anspielung auf die Parole „Wahnsinn und Verstand trennt nur eine dünne Wand – diese hier“ die auf der Wand des Fachschaftsraums der Göttinger Basisgruppe Geschichte stand, und diese Parole wiederum ist ein Zitat eines Haschrebellenslogans von 1969. Literarisch bin ich ganz allgemein gesprochen unbewandert. Außerhalb politischer Texte ist meine Literatur mehr so Science fiction, Fantasy und Erwachsenencomics. Von fast allen Werken und Autoren die auf diesem Blog verhandelt werden habe ich nie etwas gehört. Wenn ich nach aktuell wichtigen Büchern aus Frankreich gefragt würde käme ich nie auf Didier Eribon sondern eher auf „Der kommende Aufstand.“

  50. @ Dieter Kief: Ich denke Adorno ist für diese Fragen des Psychologischen eh kein guter Gewährsmann, seine Stärken lagen woanders, er ist ästhetischer Theoretiker, Erkenntniskritiker, Soziologe. Freud kannte er sicherlich gut, aber nicht im Sinne therapeutischer Arbeit, die ihm vermutlich in vielem eh suspekt gewesen ist, man denke nur an das Rilke-Zitat zur Psychoanalyse, daß mit den Teufeln auch die Engel schwinden (zumindest wird das Zitat Rilke zugeschrieben, ich habe jedoch keine Quellenangabe). Eher benutzte Adorno die Texte Freuds für eine sozialpsychologische Analyse der Gesellschaft und um darau Begriffe zu entnehmen, so daß wir in diesem Falle eher eine metaphorologische Verwendung ansetzen können, um in Sprache bestimmte Phänomene der Gesellschaft zu bezeichnen. Mit Psychotherapie hat all das bei Adorno nicht viel zu tun.

    Richtig ist, daß diese Introspektionsdinge, wenn sie nach außen gekehrt und über andere gestülpt werden eminent gefährlich werden können. Aber das ist nicht anders als die Ideologiekritik, sofern sie einfach nur als Methode der Entlarvung gehandhabt wird. Zumal man dieses Verfahren eben auch auf den Sprecher zurückspiegeln kann, der ja genauso seinen Standpunkt ausweisen muß. Insofern kommt es hierbei also auf eine eher dialektische Handhabung an. Nicht der Entlarvungsgestus, zu zeigen, daß Gegenüber habe das falsche Bewußtsein. DAS eben ist kein Kriterium, sondern Kriterium bleibt immer noch die Wahrheit. Theorien können wahr oder falsch sein oder im Falschen zeigt sich Wahres und vice versa und das ist in concreto am Text am besten, zu zeigen.

    Und da wir schon bei diesem Thema sind: die 68er haben Jubiläum und da stehen dann freilich auch hier im Blog Texte an.

  51. Und noch zu Adorno: In diesem Sinne war es auch schön, daß kürzlich in der „Welt“ Rüdiger Safranski ausdrücklich seine „Noten zur Literatur“ als eines der zehn wichtigsten Bücher genannt hat. (Allein der Titel ist genial, er stammt allerdings meines Wissens von Peter Suhrkamp.) Hier, auf diesem Feld liegen ersichtlich Adornos Stärken. (Unvergeßlich, aber auch im Bezug der Zeit zu lesen freilich seine „Dialektik der Aufklärung“ wie auch die „Minima Moralia“. Oh da sind wir dann schon wieder bei 68 und bei der geheimen schwarzen Truhe auf dem Dachboden des Instituts für Sozialforschung, die Horkheimer dort verbarg, gefüllt mit Konterbande, so zumindest in einer Anekdote von Eckhard Henscheid aus jenem legendären Buch „Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte“. Immer noch köstlich zu lesen.

  52. @ che2001
    Also acht oder wieveil Seiten Deines o. a. Werkleins habbich mit einiger Freude gelesen. Erstaunlich viel Religion darin gefunden, – nicht zu meinem Verdruss. Der Dominikaner-Schlenker – aber, hätte ein wenig – luzider? – sein dürfen – doch gut – geschenkt…

    @ Bersarin
    Ja, der Safranski ist schon recht – nicht zuletzt wg. Goethe, wenn auch sicherlich nicht wg. seiner unterirdischen Bemerungen zur Farbenlehre, seufz – si tacuisses… – Safranski ist aber doch mehr noch wg. Goehte recht als wg. Schopenhauer, – wg. dem aber schon auch.

    Und wg. Schiller – Goethe und Schiller – das hat der Safranski alles ganz gut gemacht; ein Lischtbligg. Jetzt hat er ein bissl Angst, dass er mit der NPD verrechnet wird. – Hoffentlich zu unrecht. Also die Angst jetzt.

    Adorno ist ein verrücktes Haus. Ich warte auf #Me/Too wg. Adorno.
    Sonst: Bersarin, man soll ihn auch nicht größer machen, als er ist. genial (Habermas) ja, von mir aus – aber mit Grenzen, eine irdische Erscheinung.

    Tilman Krause wandelt heute in Sieferles Spuren und reitet ein Ättäcklein in der Welt gegen Adorno wg. Auschwitz, sogar der Perlentaucher scheint irritiert, eh – – .

    Die Noten wollte ich mir immer mal in Leinen kaufen. Der Essay-Essay über den Essay als Form mit seinem unausgewiesenen Seuse-Bezug is juut – trotz, oder gerade deswegen.

    Systematisch klemmt es aber an einer kleinen Stelle, die Sie auch hier gerade wieder in paradigmatischer Weise beackern. Man kann das Münchhausen-Problem (cf. Enzensberger: „Gödels Theorem“) nicht überwinden, indem man es besonders – „kritich“ („Chulz“) oder sensibel oder sensibel kritisch oder wie immer anpackt. Es ist wirklich nur so zu lösen, wie Münhausen das getan hat. Dialektik ist kein Zaubermittel und deshalb hilft sie auch nicht aus den Aporien der Subjektphilosophie heraus.
    – Sie wissen schon: da ist natürlich nicht von mir, oh Gott – dieser zentrale Einwand ist vom anderen Genialen, den der Adorno und der Horkheimer nicht haben wollten, wg. Hasenscharte – weil sie dachten, dass er nicht vorzeigbar wäre, und deshalb als Bannerträger des Instituts in ihren Fußstapfen leider würde ausfallen müssen usw. – die ganzen schrecklichen Aussagen, die es da gibt – ehe – wenn Tilman Krause ein bisschen beschlagener wäre, hätte er sich da ganz schön munitionieren können – immerhin haben Horkheimer/Adorno Habermas wg. seiner Hasenscharte (und wg. allzugeroßer Radikalität….) nach Auschwitz mit durchaus auschwitzfähigen Kritierien abgelehnt – wie es Habermas ja auch gegenüber diesem Japaner, wie hieß der noch – Chef von jenem Mischkonzern, der früher meine Kameras hergestellt hat – Kyocera – nachgucken: Kazuo Inamori, – : Dem hat Habermas das ja alles erklärt, mit der Hasenscharte und Auschwitz und so weiter. – Ok – wie Horkheimer /Adorno mit dieser nach-auschwitzschen Hasenscharte zusammenhängen, hat er in Japan ausgelassen. Aber dennoch…

    Botho Strauß hat jedenfalls gemerkt, dass die Dialektik häufig so gehandhabt wird wie bei Münchhausen die bezaubernde – Fiktion… aber halt nicht als Fiktion, sondern als irgendwie gerechtfertigte, sozusagen praxisfähige Methode, und als er das kapiert hatte, ist er, der doch immerhin ein namhafter Adorno-Adept war, aus dieser Geschichte mit einer unterdessen fast klassisch zu nennenden Sentenz ausgestiegen.

    Enzensberger ohh – – – sie können es nicht mehr hören. Ich gib Ruhe – nur soviel: Der hat das Dialektik- und Münhhausen Problem ua. a. zu einem der makellosesten kleinen Kunstwerke gemacht, die wir in unserer Sprache haben – s. o. … – – „Gödels Theorem“.

    Aber Habermas noch: Oben, mein Zitat oder halt meine Paraphrase wg. Aporien – das ist er Punkt, wo man über Adorno systematisch hinausgehen sollte.

    Ich würde es mit Habermas machen, aber Enzensberger ist eleganter und – viel (!) kürzer…
    Habermas hat genau diesen systematischen Punkt in der ThdkH auf den Kopf getroffen – und Adorno eben jenes wirkliche Weiterleben ermöglicht, das es in unserem nach-kantischen Zeitalter (und in diesem Zeitalter werden wir leben, solange es uns als vernünftige Wesen gibt) – ohh: Da weiter: Auch Adorno lebt so weiter wie es nach Kant einzig möglich ist: Nämlich im Medium einer kritischen Rezeption.

    Aber – und das erkenne ich endlich an: Er lebt weiter. Adorno. Mit oder ohne #Me/(Tat)too.

    ((Huch, die Hasenscharten-Geschichte hat mich jetzt wie einen Ringer erwischt, den sein eigener Schwung umwirft – wo habbich die eigentlich überall her? – Ich überlege: Müller-Dohm. Habermermas‘ Kyoto-Rede. FJ Raddatz. – Und ein Brief oder ein Gutachten oder was von Horkheimer?! – als Habermas dann nach Marburg zu Wolfgang Abendroth auswich, weil sie ihn in Frankfurt wg. Linksabweichung nicht habilitieren wollten. Wo das Gutachten oder die Notiz oder von Horkheimer zu finden wäre, wüsste ich aus dem Kopf gerade nicht zu sagen.

    Adorno als Mann zweifelhafter sexueller Handlungen kommt bei Piwitts „Rothschilds“ vor – Piwitt war hie und da – wenn auch sicher nicht immer nüchtern, bei Adorno in den Vorlesungen. Und bei den barbusigen Frauen, die ihn im Hörsaal attackiert haben glaub‘ ich auch ein wenig. Und bei Henscheid – in der Autobiographie)).

  53. bersarin, lies nur bei che hier im Strang nach, der hat mich schon ganz gut verstanden.

    Für den Sozialwissenschaftler, anders als ich, müsste es doch die kleinste Fingerübung sein, zw. vereinzeltem bizarrem und dem einer Gruppe (mit ihrer Dynamik) zu unterscheiden !

    Habs mir extra aufgehogen (in hard ware): Sinngemäß gehöre es zum Kunstwerk, dass es Raum Gebe für unterschiedliche Interpretationen – was es „von der Verlautbarung eines politischen oder wissenschaftlilichen Gremiums unterscheidet“ (so Monika Grütters vorletzen Mi. in das FAZ).

    Spätestens, dann jedoch, „seit der Entscheidung, das Gedicht übermalen zu lassen, geht es ohnehin nicht mehr um die Interpretation eines Kunstwerkes, sondern um unser Verhältnis zu Kunst insgesamt: um die Frage, wo jene Diktatur des Zeigbaren beginnt, die die Kunst zu politischen Erfüllungsgehilfen degradiert.“

    I agree. Ich sehe aber zwei Wege: 1.) dennoch die ASTA-These (und sei es nur für einen Testversuch ernst nehmen). 2) die Frage analog Grütters zu stellen. 2.) ist aber bereits entschieden, denn wollen wir wirklich einen Stil bevorzugen, weil er von von irgendeiner Partei i propagiert wird ? (natürlich nicht)

    Monik Grütters hat mich überzeugt – jetzt aber Einzel e herauszustellen, die (das ist eine lange tragische Geschichte, dass es dazu hätte kommen können) psychisch nicht gesund seien, hift mir soviel wie der Pups von gestern.

    Lass uns lieber diese Diskussion vergessen, und fragen, inwiefern die Vorwürfe des ASTAs wenigstens auf Petrarca zutreffen !

  54. @ Bersarin: Welche Argumente meinst du? Worauf genau bezogen? Das ist mir nicht ganz klar. Das ich die Auffassung deines Artikels teile, habe ich ja schon gesagt. Worum geht es dir denn noch genau?

    Mir geht es jedenfalls um folgendes, denke ich: Was ich aus vielen deiner Beiträge herauslese und was mich immer wieder zur Reaktion treibt, ist dein unheilvolles und widerspruchsloses Liebäugeln mit Zwang und Repression. Dieses wird den jeweilig betroffenen Gegenständen/ Menschen nicht gerecht, da repressive Ansätze niemals dazu führen psychisches Leiden zu mindern, sondern – bei allen Beteiligten! – nur immer weiter in die Verhärtung hineinführen. Die Kindererziehung bildet hier eine Ausnahme, allerdings werden hier die natur-/kulturnotwendigen Triebverzichte bestenfalls liebevoll und fürsorglich vermittelt, so dass der unvermeidliche „Riss durchs Subjekt“ die Geschädigten nicht zu so gesellschaftsfeindlichen Abwehrleistungen zwingt, wie sie uns derzeit an allen Ecken und Enden der Welt vor Augen treten. Du scheinst von diesen voraussetzungsvollen Sachverhalten wenig Ahnung zu haben, was nicht weiter schlimm ist, schließlich muss es einen schon zur Psychoanalyse hintreiben/ -ziehen, um sie sich in Gänze, d.h. in Theorie und Praxis (isoliert und bruchstückhaft ist da nur wenig zu holen) zu erschließen. Bedenklich wird es allerdings, wenn du – ohne das nötige Verständnis vom Gegenstand – anfängst politische Aussagen/ Forderungen in Bezug auf menschliches Verhalten und gesellschaftliche Praxis zu treffen, wobei du doch eigentlich nur dein Inneres im Außen bekämpfst. Ich habe kein Interesse daran, auf solche Ausfälle „von denen man weiß, dass sie schließlich auf Mord hinauslaufen müssen“, mit Umgänglichkeit zu reagieren. Deshalb versuche ich so hartkäckig, dir deine eigene Objektivität vor Augen zu führen, um so dem – von dir schlichtweg instrumentalisierten, da du dich hinter ihm verschanzt – „Vorrang des Objekts“ genüge zu leisten. Es braucht in diesen Debatten nicht – wie von dir gefordert – ein weniger, sondern ein mehr an Subjekt in dem Sinne, das wir uns nicht einfach auf einen Austausch von Argumenten reduzieren, sondern auch unseren eigenen, vielleicht als abseitig empfundenen Regungen, die durch die Sache (und andere Subjekte) hervorgerufen werden, bewusst werden, sie ernst nehmen und ihnen im Verhältnis zur Sache einen adäquaten Ausdruck verleihen. Dieser Anspruch scheint dich zu überfordern, was zwar tragisch ist, aber erst einmal auch kein Drama, solange du nicht anfängst dich in (repressiver) Politik zu versuchen. Deshalb kapriziere dich doch lieber auf das was du (im meinen Augen sehr gut) kannst, nämlich die Darstellung und Analyse von Kunst und Literatur.

    (Ich kann, will und werde dir natürlich nicht ernsthaft vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast und es zeugt eher von einem narzisstischen Allmachtswunsch, dass ich dir dies so schreibe. Aber was solls, manchmal fließt es halt so aus einem heraus…)

    @ Dieter Kief: Schön, dass sie zwei souveräne Grazien kennenlernen durften und schön, dass diese sich durch den Betrieb nicht haben erschüttern lassen.
    Das von ihnen erwähnte Gothe-Buch von Kurt R. Eissler kenne ich leider nicht, werde es bei Gelegenheit aber gerne mal sichten. Von Eissler stammt übrigens folgendes Zitat, welches mir auch an dieser Stelle passend erscheint: „Als sie [die Psychoanalyse] geschaffen wurde, sah es ganz danach aus, als wäre der Menschheit endlich eine großartige Waffe gegeben worden, um durch Einsicht Macht über jene Kräfte zu gewinnen, die unsere Kultur bedrohen.“ Diese Hoffnung scheint mir leider an den Verhältnissen zerbrochen zu sein.
    „Dialektik ist kein Zaubermittel und deshalb hilft sie auch nicht aus den Aporien der Subjektphilosophie heraus.“ Wohl wahr, wohl wahr…

  55. @ ziggev: Wir befinden uns hier nicht bei che im Blog, sondern in meinem Blog und da erwarte ich, daß Du Dich einer gewissen Klarheit bedienst. Ich habe keine Lust aus Deinem Kommentar etwas herauskonstruieren zu müssen. Insofern würde ich mich über ein wenig mehr Klarheit und weniger Abschweifung freuen. Vieles, was sich sagen läßt, läßt sich einfach sagen. Der Hinweis auf Rütters ist da schon zielführender. Wenngleich ich die Causa Hochschule nicht ganz so hoch hängen würde: Es ist kein Akt der Barbarei, sondern einfach einer der Dummheit und den Rotzlöffeln gehört eigentlich eher eine Portion Erziehung verpaßt. Mehr nicht. Und die erreicht man, hier kann auch fabsebab gut aufpassen, mittels einer harten Hand und klarer Ansagen. Es ist nämlich keineswegs so, auch wenn das gerne suggeriert wird, daß Schüle und Lehrer irgendwie auf einem gleichen Niveau oder auf Augenhöhe wären. Wer aber meint, jegliches demokratisch ausdiskutieren zu müssen, bekommt dann halt eine Quittung präsentiert. Kann man übrigens auch auf Kinderspielplätzen und in Supermärkten gut begreifen, wenn das Kind das Sachen will, die fürs Kind nur in Maßen geeignet sind. Ich lache dann immer und denke: die Dinge renken sich am Ende von selbst ein.

    Was die AStA-Äußerungen betrifft, so habe ich sie ernst genommen, indem ich den AStA beim Wort nahm. Ich habe zudem relativ detailliert aufgezeigt, daß bisher die Studenten in keiner Lektüre und in keiner hermeneutischen Kritik zeigen konnten, an welcher Stelle sich in dem Gedicht Sexismus befindet. Insofern kann man in diesen Dingen gar nicht oft genug betonen, wie wichtig Genauigkeit in der Lektüre und hermeneutische Kompetenz ist. Das gilt eben auch für Pädagogen, die schließlich in ihrem Studium auch Texte lesen müssen. Und auch ihr Gegenüber, so vermute ich, irgendwie verstehen müssen. Gerade dann, wenn es ihnen sowas von fremd ist, geht es nicht an, von Anbeginn an das eigene Maß ins Fremde zu projizieren. Sich mit Petrarca und der einbrechenden Renaissance zu befassen, ist immer gut. Da gebe ich Dir recht, ziggev. Nur bitte nicht mit diesen Studenten. Und wer Gedichte unter der Maßgabe von Sexismus untersucht, sollte Denunziant werden oder sich zum Pawlow-Hund in den Käfig sperren, aber doch besser die Finger von Unis und von Kunst lassen. Aufgabe von Pädagogik-Professoren wäre es, den Studenten das amusische Verhalten auszutreiben.

    @fabsefab: Zunächst einmal geht es nicht darum, ob Du mir zustimmst oder ob Du mir nicht zustimmst, das ist Deine private Angelegenheit und sie interessiert mich nicht die Bohne.

    Du kannst es oben nachlesen, was ich schrieb. Ich pointiere es aber gerne noch einmal für Dich: Befindlichkeiten von Personengruppen oder Personen sind nicht und können auch nicht das Kriterium dafür sein, welche Kunst im öffentlichen Raum hängt, welche Texte an Unis gelesen werden und was für Denkmäler aufgestellt werden. Wer möchte, daß etwas entfernt wird, der muß Gründe beibringen und nicht Gefühle.

    Ansonsten ist das, was Du schreibst, phrasenhaft: Hier geht es nicht um den Vorrang des Objekts oder um die Freiheit des Subjekts und auch nicht um eine therapeutische Situation. Die findet nämlich nur konkret im Kontext der Therapie statt und nicht in dahingeschluderten Phrasen. Zumal die Studenten sich meines Wissens nicht in einer therapeutischen Situation befinden. Und wer den Anblick einer Hauswand nicht erträgt, sollte sie meiden. Du brichst Versatzstücke aus Theorien heraus und projizierst sie in beliebiger und unmotivierter Weise auf Beispiele, die mit dem, was Adorno etwa unter der Freiheit des Subjekts und des Objekts verstand, nichts zu tun haben – man könnte sogar sagen, die ihm diametral entgegengesetzt sind. Weiterhin vermischt Du Bereiche, die in der Argumentation nichts miteinander zu tun haben. Gefühle und subjektive Befindlichkeiten rechtfertigen keine Verbote oder sonstwelche Beschlüsse. Weil sich eine Minderheit von der Sache X verletzt fühlt: Daraus lassen sich noch Forderungen ableiten. Siehe das Beispiel der jüdischen Gedenktafeln. Und in diesem Sinne verwechselst Du dann auch Befindlichkeit, Subjektivität und die Struktur von Argumenten. Wer aus subjektiver Befindlichkeit sich vom Satz des Widerspruchs verletzt fühlt, mag das so halten. Aber er kann mit diesem Fühlen keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Gerade um Subjektivität zu retten, sollte man die Menschheit von den Befindlichkeiten verschonen.

    Es ist schön, daß Du ein so entspanntes Verhältnis zur Freizügigkeit hast und Repression verabscheust. Gilt das auch für solche Leute wie in Heidenau und Cottbus? Oder nur für solche Studenten, als eine selektive Auswahl, weil die Zielgruppe gerade passend ist.

    Für Studenten übrigens, die psychisch leiden, bieten Universitäten psychologische Beratungen an. Diese sollten dann aufgesucht werden und in diesem Sinne ist es dann auch gut, daß solche privaten Probleme nicht noch weiter externalisiert werden. Damit ist weder der Gesellschaft, noch dem angeblich leidenden Subjekt geholfen. Gerade um einer nicht normierten und standardisierten Subjektivität willen, ist hier ein hohes Maß an Einschreiten wichtig.

  56. @Dieter Kief: „Ich hielte dafür, „selbst-repressiv“ gehe immer nur von innen; sowas kann eine(r) in der ersten Person Singular rückblickend sagen oder in einem akuten therapeutischen Zusammenhang. Von außen verbietet sich derlei, weil es Widerstand hervorruft, erfahrungsgemäß, und damit Rationalisierungen (auch in Debatten) Tür und Tor öffnet: Das aber heißt, Debatten aus subjektiven Gründen depotenziert, wo nicht gleich ganz zerstört. “ —— Also ich kenne aus solchen Kreisen, was die männliche Belegschaft angeht, zum Beispiel solche Übungen als Alltagsverhaltensweisen wie sich dafür selber zu hauen wenn man sich bei „sexistischen“ Gedanken oder Ausdrücken erwischt, wofür „Mannomann“ oder „Junge Junge“ völlig ausreichend ist. Entsprechend sind solche Gruppen auch stark mit Selbstreinigung, das heißt Ausschluss von Personen mit abweichendem Verhalten beschäftigt. Daher halte ich den Begriff selbstrepressiv für nur allzu berechtigt, ohne ihn wäre die betreffende Szene gar nicht analysierbar. Kommt demnächst noch etwas Längeres zu auf meinem Blog.

  57. @ Dieter Kief: Irdische Erscheinungen sind wir alle. Aber es sticht eben, im Reigen der Geister fürs 20 Jahrhundert Adorno exorbitant mit seine Werken heraus. Ich sehe da nicht viel Vergleichbares, und das liegt nicht daran, daß sonst nur Zwerge unterwegs waren, die gab es zu keinem Jahrhundert: Adornos Gedanken zur Kunst und sein Denken des Nichtidentischen – das sind Dinge, die man höchstens noch bei dem anderen großen Philosophen des 20 Jhds findet: bei Martin Heidegger. Und was jenes Konzept des Nichtidentischen betrifft, im Sinne einer Ethik aufs Subjekt übertragen, bei Levinas im Konzept des Anderen. Hier wurde etwas gedacht, was zuvor nie gedacht wurde. Und das eben zeichnet, wie auch bei Kants Kritik der reinen Vernunft oder bei Hegels Phänomenologie große Denker aus.

    Wenn ich die strunzendumme Überschrift des Krause-Artikels lese, dann fällt mir schnell ein, wer was taugt und wer nichts taugt. Und da fällt mir ein: Stimmt Krause ist ja Journalist. Allein derart zu formulieren, zeigt in wenigen Worten deutlich, wem da die Stunde geschlagen hat. Aber gut – Krause hat eigentlich nie durch Brillanz geglänzt. Man sollte auch im Journalismus die Philosophie denen überlassen, die was davon verstehen. Wer je Adornos Äußerungen zum Status von Theorie gelesen hat und daß diese keine Handlungsanweisung ist, wer je Adornos Vorlesungen gehört oder nachgelesen hat und wer vom Verhältnis Adornos zu den Studenten weiß, der käme kaum auf die Idee, solchen Unfug zu fabrizieren … Aber lassen wir das. Es ist bloß Journalismus. Da müssen steile Thesen her.

    Was Auschwitz betrifft – das sollte man genau als das lesen, was es ist. Als eines der größten von Deutschen verübten Verbrechen und als Zivilisationsbruch. Das hat nichts mit Hasenscharte und mit Selektion von Körpermerkmalen zu tun. Nickeligkeiten im Betrieb gab es immer. Aber ich glaube doch, daß die Horkheimer und Adorno nicht den Habermas ins Gas schickten, seine Zähne aus Gold herausbrachen und die Reste zu Seife oder Lampenschirmen verarbeiteten.

    Adorno und Horkheimer haben sich mit ihrem Institut machtpolitisch verhalten, sie haben gegen Golo Mann und manch anderen sich ausgesprochen. Aus guten Gründen. Was aus dem Geist der Zeit heraus und von der Tendenz der Restauration verständlich war. Nachlesen kann man das ganz gut auch im Briefwechsel mit Horkheimer und auch in dem mich Gershom Scholem. Ob die Hasenscharten-Sache stimmt, dazu muß man zunächst mal die Quellen prüfen. Zudem bin ich kein Freund des Prinzips „Stille Post“. Und selbst wenn: was unter vier Augen mal gesagt wurde, wurde unter vier Augen gesprochen. Ich habe über manche Menschen Dinge gesagt, die justiziabel wären. Aber man sollte eben doch Privatsphäre und öffentliche Sphäre trennen. Auch in dieser Sache erwies sich Adorno ganz als Angehöriger des Bürgertums. Und von der Tyrannei der Intimität schrieb ja auch Sennet. Wie sowas ausgeht, sehen wir ja gerade jetzt in den öffentlichen Diskursen.

    Leute wie Krause tun so, als wäre die BRD nach 1949 ein Paradies lupenreiner Demokraten gewesen. Kein Nazi nirgends. Und natürlich genausowenig restaurative Tendenz, kein Adenauer, kein Globke, die Auschwitzprozesse gleich 1949 eingeleitet. Gegen all das Salbadern von Werten, als wäre das Ganze nur ein Betriebsunfall, von Atombombe, über Gulag bis Massenmord in den deutschen Vernichtungslagern, schrieb die Frankfurter Schule und insbesondere Adorno an. Das mag manchen nicht lieb sein. Und daß sie sich mit Habermas eine Laus in den Pelz gesetzt hatten: nun ja, das hat sich dann am Ende auch bewahrheitet. Kritik wurde plötzlich kommunikativ. Habermas’ Theorie mag für den Rechtsstaat der BRD ihre Berechtigung haben, nur hat das eben nichts mehr mit Kritischer Theorie zu schaffen, wie sie zumindest Adorno noch bis Ende der 60er praktizierte. Das nun mit Wandgedichten in Verbindung zu bringen, zeigt wie es um das historische Bewußtsein von Kolumnisten bestellt ist. Eigentlich kann Tilman Krause einem eher leidtun. Und da scheinen bedenkliche Lücken im Erinnern zu klaffen: Entweder der krause Mann weiß es nicht besser: Dann gehört er nicht ins Feuilleton, oder Krause macht es aus dummer Berechnung, dann, na ja, er schreibt bei der „Welt“ – aber das sei doch Strafe genug. Schlimm und im Sinne der Logik auch dumm wird es dann, wenn unterschiedliche Bereiche durcheinander purzeln und gemischt werden. Menschlich wurde Adorno sehr unterschiedlich beurteilt, wie das im Leben so ist. Aber zumindest hat er nicht dazu beigetragen politisch aktiv oder passiv jene restaurative und biedermoraltriefende Tendenz zu verewigen.

    Was die Dialektik betrifft: Ganz genau, das ist das Münchhausen-Problem. Und Adorno nennt dies auch explizit, unter anderem in seinen „Minima Moralia“. Dialektik ist keine Hebeveranstaltung, die automatisch und als Diskurstrick unausweichlich zum Positiven führte. Adorno wußten um diese Tücken, ohne sogleich anthropologisch das böse „Wesen“ Mensch beschwören zu müssen. Und daß der Mensch aus krummem Holz gemacht ist, rechtfertigt eben nicht alles, sondern Auschwitz hatte konkrete gesellschaftliche Ursachen und auch psychologische Mechanismen spielten da mit, weshalb einige mittaten und andere nicht.

  58. Ho, ho, ho… Du verfolgst also das Ziel die Subjektivität zu retten?! Na dann mal viel Spaß, Lust und Laune dabei. Das Ganze dann auch noch mit der harten Hand, angewendet auf Erwachsene? Welch vorzügliche Idee, du scheinst mir ein Naturtalent in Pädagogik zu sein.

    Zur Sache: Ich teile dein Ansicht, dass Gründe statt Befindlichkeiten geliefert werden müssen, wenn man ein Gedicht entfernen lassen oder anderweitig „Macht“ ausüben will. Im Gegensatz zu dir würde ich nach wie vor zwischen Rassisten und Genderistas unterscheiden, zumal sich die damit verbunden Straftatbestände doch sehr erheblich unterscheiden. Das bürgerliche Recht bietet hier somit eine Handlungs-/ Bewertungsgrundlage und insbesondere deine juristischen Überlegungen bezüglich des Grominger-Gedichts fand ich dementsprechend spannend und einleuchtend. Nur ist das bürgerliche Recht eben nicht der Weisheit letzter Schluss und untrennbar Verknüpft mit der Katastrophe in der wir leben. Ich denke, diese Zusammenhänge sind dir bekannt und bedürfen keiner weiteren Ausführung. Da du dich, trotz besseren Wissens, so ungebrochen positiv auf das Recht und die damit verknüpfte Repression beziehst, sie lieber manisch anpreist, statt sie depressiv und zerrissen als notwendiges Übel anzunehmen, musst auch du dir psychologische Fragen gefallen lassen. Weil erst hier wird es ja interessant. Was treibt dich in die Manie statt in die Depression? Wie steht es um den Rest der Gesellschaft? Lassen sich möglicherweise gewisse Dynamiken erkennen? Welche Ursache könnten diese haben? Wenn man sich wie ein renitenter Rentner an irgendwelchen vermeintlichen Idealen festklammert, damit man überhaupt noch was zum festhalten hat und sich nicht der Psychoanalyse sowie der fluiden Gesellschaft gegenüber öffnet, wird man nicht viel mehr bewirken als die nächste, zwangsläufige, repressive Gesetzesverschärfung. Man verhärtet und versinkt in sich selbst. Mir scheint dies keine attraktive Aussicht zu sein, aber jeder nach seinem gusto…

    Um die Diskussion mal ein wenig aufzupeppen. Was hälst du denn von diesem Fundstück zeitgenössischer Ideologiekritik?

  59. Noch einmal, fabsebab, Deine Befindlichkeiten interessieren hier nicht. Verbreite Sie bitte in Deinem eigenen Blog. In diesem ist nicht der Platz dafür. Ebensowenig ist hier der Platz, irgendwelche Themen, die Dich privat interessieren, hier zu einem Brei zu verrühren.

    Es geht in diesem Kontext ansonsten nicht um die inhaltlichen Unterschiede zwischen Rassisten und Gendergaga, das habe ich Dir mehrfach geschrieben, sondern darum, daß beide Seiten dieselben Begründungsmuster in Anspruch nehmen: sie beziehen sich nämlich auf ein vages Fühlen und Meinen, auf ein „ungutes Bauchgefühl“ und Idiosynkrasie. Ich habe Dir dieses Begründungsmuster jetzt mindestens sechs bis sieben Mal erklärt.

    „Ich denke, diese Zusammenhänge sind dir bekannt und bedürfen keiner weiteren Ausführung.“ Was Du denkst, ist in diesem Kontext uninteressant und ebenso Deine Meinung darüber, was einer Ausführung bedarf und was nicht. Sondern vielmehr hängt das, was weiterhin geschieht, am Verhalten von Gomringer. Wenn er der Entfernung nicht zustimmt, dann kann er den Rechtsweg beschreiten. Und dann ist das eine Angelegenheit, die allein juristisch entschieden wird. Und da die rückgratlose Prorektorin beständig formal-rechtlich argumentiert, kann man das dann gerne zurückspiegeln.

    Was die AfD betrifft: Ja, genau solche Lemuren kommen jetzt aus ihren Löchern gekrochen. Der AStA und Dummlinks machen es diesen Leuten allerdings auch sehr leicht. Ansonsten hat der Mann aber recht, was die politische Korrektheit und die Bilderstürmerei betrifft. Es scheint, daß sich die Zeichen verkehren: Haben früher Konservative, Rechte und Rechtsradikale für die Zensur sich eingesetzt und haben Nackedeis im öffentlichen Raum, bekämpft und sich für die Zensur von Kunst ausgesprochen, so geschieht dies nun auf der Seite der evangelikalen Linken, die Abweichendes nicht gut auszuhalten scheinen. Es sollte solchen Leuten wie dem AStA eigentlich zu denken geben, daß ausgerechnet die AfD nun die Position der Kunstfreiheit vertritt, die damals von links vertreten wurde. Aber ich vermute, dies ist von solchen Studenten bereits zu viel verlangt: daß da dem einen oder dem anderen ein Licht aufgeht.

  60. Dein reflexhaftes Gekeife bezüglich meiner vermeintlichen Befindlichkeiten, täuscht leider niemanden – außer dich selbst natürlich – darüber hinweg, dass du offensichtlich völlig unfähig dazu bist, auf das von mir Geschriebene einzugehen. Das ist ermüdend und ich habe kein Interesse mich weiter an deiner recht groben Abwehr abzuarbeiten. Was ich zur Grominger-Debatte zu sagen hatte, ist gesagt und auch meine weiteren Überlegungen bezüglich der unheilvollen Verschränkung von psychologischer und repressiver Struktur habe ich geäußert, auch wenn ich das Gefühl habe sie einem Stein mitgeteilt zu haben. Ein Blog wie ein Block (He, he, der ist gut…).
    Das du allen ernstes glaubst, dass die AFD die Position der Kunstfreiheit vertritt, zeugt von Geschichtsbewusstsein. Und schuld an alledem sind natürlich die Linken.

  61. sorry, bersarin, ich habe meinem Hang zur Abscweifung tatsächlich über die Maßen nachgegeben.

    eigentlich müsste ich sowas für mich hinschreiben, um dann, wenn für wert befunden, die sagbaren Thesen zusammenzufassen, ich weiß. Vielleicht aber rührt mein destruktiver Trieb hier von einem Widerwillen her, der sich auch in zwei Zitaten zusammenfassen lässt (einmal Che, einmal Duselbst als Blogbetreiber:

    Zitat 1
    che: „Was die ASH betrifft, so hat hier vor allem die haltungsschwache Unileitung die Hauptschuld, die es nicht wagt, sich mit dem AStA anzulegen.“

    Zitat 2
    bersarin „Es ist kein Akt der Barbarei, sondern einfach einer der Dummheit und den Rotzlöffeln gehört eigentlich eher eine Portion Erziehung verpaßt. Mehr nicht.“

    beide Male meine Zustimmung, nur dass ich mir die Erziehungsmethoden etwas anders vorstelle.(„Rotzlöffel“ klingt für mich nach „denen gehört mal was hinter die Löffel verpasst.“) Was letzere betrifft, habe ich einfach mal beim ollen Aristoteles nachgeschaut, das ist eigentlich alles. – schönes Wochenende für alle.

  62. @ che2001 u fabsefab u Bersarin, ziggev

    Wenn man einfach über jemanden spricht, kann man so schreiben wie Du das tust. Wenn man jemand auch nur als virtuelles oder auch: potentielles Gegenüber ansieht eher nicht, wg. der oben von mir skizzierten Dynamik.
    (Nebenbei – es kann sich auch strategisch als Nachteil erweisen, für andere aus deren Innenperspektive zu sprechen, weil die im Gegenzug immer eine größere Nähe als das Gegenüber für sich reklamieren können – und das ist umso schmerzlicher, je mehr sie sich über sich selbst täuschen, wiel sie diese Selbsttäuschung dann mit umso größerem Aplomb weiterspinnen, manchmal – und die Mitdiskutanten für sich einnehmen – – – eben wg. der Plausibilität ihres Authentizitäts-Vorsprungs, der heute leider extrem hoch im Kurs steht.

    wg. der AfD hat Frau Grütters sich gründlich blamiert – und nun nicht allein wg. Michael Klonovskys von mir oben zitierten einwandfreien Stellungnahme auf acta diurna – und der ist immerhin Redenschreiber der AfD usw., sondern nun auch wg. dem von fabsefab zitierten Georg Padzerski; mal sehen, ob Frau Storch noch was, sagt – wenn, dann haut sie höchstwahrscheinlich in dieselbe Kerbe wie che2001 und ziggev, Bersarin und ich … wenn vielleicht auch nicht so drastisch wie hier geschehn. Tja.

    Wg. Aporien der Subjektphilosophie und Adorno/Habermas/ Enzensberger/ Strauß

    Das ist der zentrale, systematisch relevante Einwand gegen Adornos Dialektik: Dass sie den Aporien der Subjektphilosophie verhaftet sei. Darauf zielt die Theorie des Kommunikativen Handelns – und dieses Ziel tirfft Habermas, wie ich finde.

    Stellen, wo Adorno selber seine dialektische Philosophie problematisiert würden mich gleichwohl interessieren, Bersarin.

    Aber ich gebe zu: Ich halte dieses Spiel für entschieden – zugunsten der o. genannten drei (und meiner Wenigkeit grad noch dazu).

    H M Enzensberger

    Hommage à Gödel

    Münchhausens Theorem, Pferd, Sumpf und Schopf
    ist bezaubernd, aber vergiss nicht:
    Münchhausen war ein Lügner
    (…)
    – wie gesagt – in elaborierter Version findet sich dieser Einwand (und ein Vorschlag, wie ihm abzuhelfen wäre) in Habermas‘ ThdkH.

    fabsefab noch wg. K. R. Eisslers Goethe – da haben Sie mich verblüfft.

  63. @Dieter Kief, dazu fällt mir nur ein: „Herr Ästhethikprofessor, Hinreichend ist das nicht, erklären Sie mir das bitte im Detail“, meistens abgekürzt als „Häh?“

  64. @ Dieter Kief: Wie gesagt, es ist bei Adorno eine negative Dialektik, die sich nicht ins Positive aufheben läßt. „Das Negative bleibt negativ bis es verging.“ Demnächst hier mehr, da ich in eile bin.

  65. @Workingclasshero: Der Hinweis auf die Mohrenlampe, die ich – fast – schon wieder vergaß, paßt perfekt.

    @ziggev: Da sind wir dann weitgehend einig. „Hinter die Löffel“ ist eher als ein Bild zu verstehen. Ich bin kein Freund der Ohrfeigen in der Erziehung.

    @Dieter Kief: Die Aporien der Subjektphilosophie bei Adorno sind die objektiven der Gesellchaft. Während Adorno das Marxsche Diktum weiterdenkt, Kritik, die radikal sein will, gehe an der Wurzel, versucht Habermas aus den Beständen, die uns zur Verfügung stehen, das Beste freizulegen und fruchtbar zu machen. Ich denke, dialektisch genommen, müssen sich beide Perspektiven nicht einmal ausschließen. Zumal Adorno nach dem zweiten Weltkrieg kein radikaler Verächter des Rechtsstaates war. Solche wie Fritz Bauer waren ihm wichtig.

  66. Pingback: Zahnlose Wölfe gegen Homophobie & Blogschau für DieKolumnisten – Sören Heim – Lyrik und Prosa

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