Prigoschins letzter Tomatensaft

Was zunächst Gerücht war, verdichtet sich: der Anführer der Terrorgruppe „Wagner-Söldner“ ist tot. Eine neue Variante von „aus dem Fenster gefallen“, wie es in Rußland schon mit vielen Menschen geschah, die die Dinge anders als Putin sahen. Nur diesmal aus größerer Höhe. Gift oder das russische Windows 2023.

Erinnert fühlt man sich auch hier einmal wieder an Brechts Arturo Ui. Gangster, die sich gegenseitig umbringen, um mehr Macht zu erlangen. Nur eben: es sind keine harmlosen Karfiolhändler: das war es beim deutschen Faschismus nicht und auch nicht bei seiner russischen Spielart. Und es zeigt sich auch in diesem Fall wieder einmal, daß mit Putin nicht zu spaßen ist – und genau darin liegt auch die doppelte Drohung, die in solchen Anschlägen gegen Gegner steckt: „Seht gut her, es kann jeden von euch treffen!“ Das war bereits bei den Giftanschlägen auf echte Gegner des Systems so – anders als Prigoschin, der ein Helfer des Systems war. Wladimir Kara-Mursa: vergiftet. Alexej Nawalny: Mit Nowitschok vergiftet. Pjotr Wersilow: ebenfalls. Sergej und Julia Skripal: Nowitschok-Attentat durch russische Geheimagenten in GB. Alexander Perepilichny: Tod beim Joggen. Alexander Litwinenko: Polonium im Tee. Anna Politkowskaja: „Unbekannte Toxine“, im Oktober 2006 dann im Treppenhaus vor ihrer Wohnung in Moskau von Putins Schergen ermordet. Boris Nemzow: in der Nähe des Kremls durch Schüsse in den Rücken ermordet. Die russische Oppositionspolitikerin Elwira Vicharewa: 2022/2023 vergiftet. An diese Menschen ist immer wieder zu erinnern. Und für Leute vom Kaliber Prigoschin sollte es eine Warnung sein: Wer mit einem Despoten sich einläßt, kommt durch den Despoten auch um. Es gibt für keinen der Putin-Schergen eine Sicherheit. Diese Lektion hätte man bereits im Stalinismus der Sowjetzeit lernen können.

Und noch ein weiteres: Eine friedliches Europa, eine friedlichere Welt wird es mit Putin nicht geben. Und da altersbedingtes Ableben für die nächsten Jahre wohl eher ausfällt, bleiben nur Krankheit oder aber ein Putsch, das Schicksal Saddam Husseins oder eine Verurteilung in Den Haag.

Darf man sich über den Tod eines Menschen freuen? Ja, wenn es sich um einen Despotenknecht handelt. Und das muß man auch nicht klammheimlich, sondern es kann öffentlich geschehen. Das beste immerhin an Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin: er hat die Wahrheit darüber ausgesprochen, weshalb Rußland die Ukraine angriff. Und da stehen die Ken Jebsens, die Daniele Gansers und die Dirk Pohlmanns nun alle schön dumm und nackert da. Nicht die NATO war’s, sondern pures imperiales Gelüst der russischen Aggressoren.

Wer jedoch denkt, daß mit dem Tod von Prigoschin irgend etwas sich ändern würde, der irrt. Selbst wenn nun Söldnerhaufen nach Moskau marschieren, dürfte Putin darauf vorbereitet sein. In diesem Sinne halte ich es auch für unwahrscheinlich, daß Rußland in einen Bürgerkrieg stürzt, dessen Ergebnis das Verschwinden oder der Tod sein wird.

Was Putin getan hat, ist das, was jeder „gute“ Diktator macht, von Sadam Hussein bis Kim Jong-il: hausinterne Gegner so schnell es geht zu beseitigen. Auf den Tag genau zwei Monate nach Prigoschins Putsch.

PS: Den Witz mit dem Tomatensaft fand ich bei Stefan Laurin auf Facebook. Dafür danke ich sehr. Der Witz ist gut und trifft zu.

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