Ich und Kafka

Wie ich heute, im Sessel sitzend, lese und in bezug auf Kleist Details zum Briefeschreiben nachschlagen möchte und wie ich mir so denke, daß ich eine Passage von Kafka aus seinen Briefen an Milena Jesenská nachlesen will, gehe ich also in meine Bibliothek bzw. in mein Arbeitszimmer und suche in der Abteilung Belletristik unter „K“. Ich habe natürlich alles von Kafka bei mir stehen. So dachte ich. Als ich suchte und suchte, war dieser Band „Briefe an Milena“ aber nicht an seinem Platze. Daß ich ihn verstellt haben könnte, erscheint mir unwahrscheinlich, da ich Bücher sofort wieder an ihren Ort bringe, wenn ich etwas gesucht oder sie ausgelesen habe, oder aber ich lege sie auf meine Arbeitsstapel, um sie für späterhin zu verwenden.

Entweder habe ich diesen Briefband vor langer Zeit verliehen und niemals zurückerhalten oder ich besaß ihn nie. Aber woher nur kenne ich dieses Kafka-Zitat in bezug auf das Parasitäre von Briefen, daß Briefe zu schreiben, bedeute, sich vor den Gespenstern zu entblößen? Die Destruktion des romantischen Liebesbriefes aus dem Geist der Moderne: „Geschriebene Küsse können nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken“, so schrieb es Kafka an Milena Jesenská und so notierte ich es auch in meinem Zettelkasten. (Ästhetische) Subjektivität, die sich darüber gewinnt, daß das Subjekt schreibt und sich dabei zugleich verflüchtigt. (Dazu kommt demnächst ein Text.)

Auch zur Codierung der Intimität müßte etwas geschrieben werden.

Seltsam manchmal, daß man meint, ein Buch zu besitzen und dann hat man es am Ende doch nicht. Da muß ich wohl die Tage zu meinem Buchhändler gehen, um die Bibliothek zu komplettieren.

Nachtrag: Die Passagen zum Ende des ersten Absatzes klingen,  als wäre ich Ordnungsneurotiker. Dies bin ich nicht. Ich gestehe sogar freimütig: ich bin ein unordentlicher Mensch. Um der Angelegenheit ein Motto zu geben:  Soviel Ordnung wie nötig, sowenig Arbeit wie möglich.

4 Gedanken zu „Ich und Kafka

  1. haha, ist mir mal mit Hemingways short stories passiert. Klar hab ich die Gesamtausgabe…und zwei Tage und einen Antiquariatsbesuch später hatte ich sie dann wirklich.

  2. Ja, so etwas ist immer ärgerlich. Leider kann Bersarin aufgrund der Vorfälle in Friedrichshain seine Bibliothek nun nicht mehr benutzen, und ich sitze inmitten all der Bücher, mit denen ich nichts anzufangen weiß.

  3. @ leporello: Totgesagte leben länger!

    Neulich, als es hier im blog mal wieder um Adorno gegangen war und ich mich zu erinnern meinte, noch einige Tage zuvor über einen der beiden Buchhaufen, die sich jeweils neben meinen beiden Schlafstätten in meiner für einen ALG II – Empfänger lediglich durch die Dachschrägen kleinen Wohnung befinden, stolpernd den Schriftzug ‚Tehodor Adorno Prismen‘ gelesen zu haben, der mich angeblizt hatte, kam ich auf die Idee, in dieses Buch noch einmal hineinzuschauen. Hatte ich nicht dort über Jazz, über die Polyphonie bei Schönberg gelesen? Im Register der Ästhetischen Theorie steht das Wort ‚Logizität. Aber da war dieser Blitz! Ich durchstolperte meine beiden Buchhaufen, nun, ich muss es sagen, ich durchpflügte sie. Nichts. Ich beugte mich verzweifelt über meine Schlafstätten, unachtsam ein kleines Stapelchen Bücher mit dem Fuß beiseite schiebend, um die Unordnung hinter der Schlafstätte aufzuräumen oder noch unordentlicher machen. Keine Chance. Sie standen, hübsch und brav, im Bücherregal.

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