Patrick Modiano

Mich hinterlassen Preise und Auszeichnungen in der Regel ratlos. Unspezifisch und von den Kriterien der Auswahl her häufig nicht nachzuvollziehen. Hätte nicht Pynchon, hätte nicht Philip Roth …? Aber die Menschen freut’s. Mal mehr, mal weniger. Den Betrieb und die Verlage ebenfalls. Der mit dem Namen Hanser heute auf der Frankfurter Buchmesse war nicht sonders gut auf diese Nobelpreis-Überraschung vorbereitet und hatte keine Bücher des Schriftstellers zur Hand.

Immerhin aber liegt der zuletzt bei Hanser erschienene Roman „Der Horizont“ in meinem Stapelregal für die ungelesenen, aber demnächst zu lesenden Werke. Die Mühlen der Kritik mahlen langsam. Aber sie mahlen. So erscheint hier Besprechung um Besprechung. Irgendwann, demnächst, bald. So wie die Zeit vergeht und sich die Erinnerungen in den Hohlräumen und Spalten festsetzen. Diese Erinnerungen sind das Thema von Modianos Romanen – bereits „Horizont“ beschwört es in seinem ersten Satz. Wir blicken zurück. Auf Leben und Gelesenes. Am schönsten ist es, wenn beides sich verquickt und ununterscheidbar wird. Aber diese ausgezeichneten Zustände, Momente, Tage, irgendwo im Rausch der Diskurse, im Theoriegebälk, im Lebenssound, in den wenigen Stunden geschehen freilich selten, wenn Zauberberg und Zeitbegriff in wilder, verwegener, aufgeladener Konstellation zusammenschießen. Doch dazu gehören mindestens zwei. Meine Zeit für Zweisamkeit ist jedoch zu knapp bemessen. Es war zudem alles schon einmal da und muß nur noch erinnert werden. Der Rest ist Wiederholung. Nun gehen wir in die Kammern der Theorie, lesen, die Texte, die Philosophie, die Literatur. Bis tief in die Nacht hinein. Thomas von Aquin, Spinoza, Hegel. Unser Zustand ist die Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes zu betrachten, festzuhalten und in die Erkenntnis zu bringen. Kritik und Gesellschaft transformieren sich in ästhetische Theorie und Erkenntniskritik. Vielleicht derart, wie sie Walter Benjamin in seinem Buch zum Trauerspiel in seiner erkenntniskritischen Vorrede betrieb. Metaphysischer Materialismus. Um die Gehalte von Text und Gesellschaft angereichert.

„Das dialektische Bild ist ein aufblitzendes. So, als ein im Jetzt der Erkennbarkeit aufblitzendes Bild, ist das Gewesene festzuhalten. Die Rettung, die dergestalt – und nur dergestalt – vollzogen wird, läßt immer nur an dem, im nächsten Augenblick schon unrettbar verlorenen [sich] vollziehen.“
(Walter Benjamin, Passagenwerk)

Aber ich schweife vom eigentlichen Thema dieses Eintrags ab.

Schaue ich genau und gehe zur Ecke der Bibliothek, wo die Franzosen ihren Platz haben, bemerke ich, daß da noch „Sonntage im August“ sich schamvoll ins Regal drückt. Ungelesen natürlich.

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