Neil Young zum 75. Geburtstag

Wie ich eben lese – ich führe leider keinen Geburtstagskalender -, hat heute Neil Young seinen 75. Jubeltag. Es ist dies eine Musik, die mich seit meiner Jugend begleitet, und ich fand nichts Geileres: zum Tanzen mit interessanten Frauen, zum Trinken, damals auch zum Kiffen, das ich freilich schnell wieder einstellte, es war dies nicht meine Droge, und vor allem als Hintergrundmusik, um Texte zu schreiben – bis heute hin. Und selbstredend und naturgemäß vor allem zum Autofahren über Brandenburger Landstraßen, wo sich beim Hören dieser Songs noch so etwas wie Einsamkeit und amerikanische Weite vorstellen läßt, da in manchen dieser Regionen kein gottverdammter Mensch ist. Über Tage nicht, in meinem Pickup – nein das war übertrieben, vielleicht eine halbe Stunde lang mal ohne Autos, ohne Gegenverkehr und niemand gurkt vor einem öde durch die Landschaft, während ich versuche, immer vorher schon die Blitzer zu orten. Dazu dann das Radio aufdrehen und von der CD schallt Young. Was für eine Musik! Der harte Anschlag der Electric Guitar und dazu eine sanfte oder auch leicht nölende Stimme, die für sich genommen vielleicht nichts Besonderes sein mochte, aber in der Kombination mit Electric Guitar und der Wucht dieser Songs doch eine starke Wirkung tat. Allein solche Ausrufe, eine Hymne für uns damals:

Hey, hey, my, my
Rock and roll can never die
There’s more to the picture
Than meets the eye
Hey, hey, my, my

Und er begriff, daß da mit dem Rock etwas kam, was diesen überstieg und doch im eigenen Genre Fleisch von dessen Fleische war: Punk und eine neue Härte. Young machte sie sich auf andere Weise zueigen, biederte sich nicht an – und das gefiel mir ausnehmend gut an seiner Musik.

The king is gone but he’s not forgotten (Johnny Rotten, Johnny Rotten)
Is this the story of Johnny Rotten? (Johnny Rotten, Johnny Rotten)
It’s better to burn out ‚cause rust never sleeps
The king is gone but he’s not forgotten

Dies sang er 1979. Musik auch aus dem Rust-Belt, und eine Platte „Rust Never Sleeps“ und „Live Rust“ zu nennen, ist ein klangvoll-schöner Titel, der zahlreiche Assoziationen weckt – es war diese letztere meine erste Neil Young-Platte, ich trug sie voll Stolz 1980 nach Hause und auf meinen Plattenteller, ein schrottiges billiges Teil, an dem eine Mono-Box angeschlossen war, so daß der Klang der Box und der Klang der Platte eine interessante und wie ich fand passende Kombination eingingen – Young für Puristen gewissermaßen und nicht für solche im Jugendzimmer, die all ihr Erspartes in teure Anlagen versenkten; und ich mochte diese Live-Rust-Platte deutlich lieber als jenen Neil Young mit „Harvest“ und seinem „Heart of Gold“. Ein Song, der sicherlich gut zum streichelnden Berühren mit jener Frau mit der lila Latzhose sich geeignet hätte, die ich damals bezaubernd fand. „Live-Rust“, das waren kein Folksong mehr, sondern eine raue Sentenz. Und auch Jahrzehnte später im Song „Hitchhiker“ etwa – aus seinem Album „Le Noise“ – klingt es wie eine dieser Americana, die uns Autoren wie Don DeLilo, T.C. Boyle und auch der großartige Cormac McCarthy erzählen. Und es ist in dieser Musik zugleich eine Drogenreise, die man besser nur in der Musik bzw. in der Kunst unternimmt. Wie auch bei William S. Burroughs‘ Romanen „Junk“ und „Naked Lunch“: wer es liest, mag harte Stunden dabei haben, wer es leben mußte und darin versank, hatte meist kaum eine Chance. Zu verklären gibt es da nicht viel. Wohl aber der Versuch, diese Faszination mittels Ästhetik und Kunst zu verstehen, ohne ihr vollständig zu erliegen.

Dieses Spiel von Entgrenzung bei gleichzeitigem Abstand, gewissermaßen Odysseus‘ Sirenenfahrt, wie sie von Adorno/Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ geschildert wird, als unendliche Verheißung und als unsublimierte Lust, die es zu genießen gilt, bei gleichzeitiger Zähmung, weil der Hörer sich an den Mast fesseln läßt, während jene anderen, die Arbeiter, mit den verstopften Ohren rudern müssen, ist einer der Aspekte von Kunst. Auch der aus dem Jugendzimmer: die Eltern gehen arbeiten und wir lauschten den Sirenen oder den Ramones. Auch Youngs Musik hat etwas mit jenem Rausch zu schaffen. Wobei jene Musik – vielleicht eher noch als die sonstige Kunst, also Literatur, Malerei, Film, Theater – ins kollektive Jugendzimmer eindringt und in einer Art von Gemeinschaft und Gesinnung bei Mädchen und Jungs so etwas wie eine Haltung stiftet, wie man sein und wie man möglicherweise leben möchte. Ein Lebensgefühl zu vermitteln, wie man es auch nennt. Böse Zungen mögen beim Phänomen Pop von fataler Simulation sprechen.

Solches Gefühl zwischen Rausch, Ekstase und einer gewissen Gedämpftheit, wie hinter Glas, drückt sich auch in Youngs seltsam-hartem und zugleich melancholischem „Hitchhiker“ aus, den er zur Electric Guitar spielte: und wenn dann diese Zauberstimme einsetzt. Eindringend. Für diese Art von Musik schätzte ich Neil Young schon auf seiner „Rust“- bzw seiner wie ich finde legendären „Live Rust“-Platte und schätze ihn bis heute. Eine Musik, die eigentlich nie allzu schnell gespielt ist, wie in Punk und Grunge, die aber doch auf ihre Art diese Schnelligkeit in sich trägt.

Das Naturtheater von Oklahama

Heute ist doch ein guter Tag, um in Kafkas „Der Verschollene“ zu lesen. Besonders hatte es mir, damals schon in Schulzeiten, das Naturtheater von Oklahama angetan: das Versprechen, das davon ausging und dann besonders diese Schlußszene, die in interessantem Kontrast zu jener Utopie steht.

Sie fuhren zwei Tage und zwei Nächte. Jetzt erst begriff Karl die Größe Amerikas. Unermüdlich sah er aus dem Fenster und Giacomo drängte sich solange mit heran, bis die Burschen gegenüber die sich viel mit Kartenspiel beschäftigten dessen überdrüssig wurden und ihm freiwillig den Fensterplatz einräumten. Karl dankte ihnen – Giacomos Englisch war nicht jedem verständlich – und sie wurden im Laufe der Zeit, wie es unter Coupeegenossen nicht anders sein kann, viel freundlicher, doch war auch ihre Freundlichkeit oft lästig, da sie z.B. immer wenn ihnen eine Karte auf den Boden fiel und sie den Boden nach ihr absuchten, Karl oder Giacomo mit aller Kraft ins Bein zwickten. Giacomo schrie dann, immer von neuem überrascht, und zog das Bein in die Höhe, Karl versuchte manchmal mit einem Fußtritt zu antworten, duldete aber im übrigen alles schweigend. Alles was sich in dem kleinen, selbst bei offenem Fenster von Rauch überfüllten Coupee ereignete vergieng vor dem was draußen zu sehen war.

Am ersten Tag fuhren sie durch ein hohes Gebirge. Bläulichschwarze Steinmassen giengen in spitzen Keilen bis an den Zug heran, man beugte sich aus dem Fenster und suchte vergebens ihre Gipfel, dunkle schmale zerrissene Täler öffneten sich, man beschrieb mit dem Finger die Richtung, in der sie sich verloren, breite Bergströme kamen eilend als große Wellen auf dem hügeligen Untergrund und in sich tausend kleine Schaumwellen treibend, sie stürzten sich unter die Brücken über die der Zug fuhr und sie waren so nah daß der Hauch ihrer Kühle das Gesicht erschauern machte.

Good Morning, America!

Ladys and Gentlemen: The president of the United States!

Und jetzt mal nicht so antiamerikanisch, Freunde von SpOn und von anderen Medien, die ihr bei jedem Krieg, bei jedem Regime Change, bei jeder neoliberalistischen Regung und bei jedem TTIP jahrzehntelang im Arschloch von Bush und Obama gehockt habt und euch in der hohen Kunst des Schweigens übtet. Ich freue mich zwar nicht über Trumps Wahl, aber eines gewissen Witzes entbehrt diese Wahl und die gestrige Antrittsrede nicht. Allein deshalb, weil das versteinerte Gesicht des Transatlanikers Claus Kleber im heute journal Bände sprach.

Nun sind freilich Trump und seine Politik deshalb noch lange nicht gut, weil wir uns über die belämmerten Gesichter der Bidders und Klebers freuen. Auch in diesen Umkehrschluß sollte niemand verfallen. Die Kritik sowohl an Trump wie auch an einem Journalismus, der sich blind gegenüber bestimmten Phänomenen stellt, sollte das Ziel einer pluralen Berichterstattung sein. Zumindest in der Variante, die man in der Jurisprudenz „Die überwiegend herrschende Meinung“ nennt, war diese Pluralität bisher nicht so häufig anzutreffen. Ich denke an die Berichte zu Syrien und Aleppo, zum Yemen, zur Ukraine, zur Griechenlandkrise. Merkels und Kai Dieckmanns sowie Ulf Poschardts Mitleid mit den Griechen hielt sich arg in Grenzen.

Erstaunlich bleibt jedoch, wie kritisch Journalisten, die man vorher bei ihrer Kritik zum Jagen tragen mußte, mit einem Male berichten können, wenn sie denn wollen. Honi soit qui mal y pense! Insofern hat die Wahl Trumps zumindest ein gutes, und allein in diesem Sinne war gestern ein gelungener Tag, der uns zeigt: Es geht. Früher in den Zeiten des journalistischen PR-Sprechs wurden solche Berichte freilich in anderen Kontexten immer als Antiamerikanismus gelabelt. Aber jetzt rede ich schon wie so ein Journalist aus alten Zeiten.

Ja, es ist lustig, gestern und heute morgen bei SpOn (und auch in anderen Medien) zu lesen. Große Beruhiger, die sonst und in allen anderen Zusammenhängen in schöner Konstanz vor Hysterie warnten, hyperventilieren plötzlich. Große Schweiger bei der US-Politik verwandeln sich zu wagemutigen Kritikern und spreizen sich zu Meistern der Rhetorik. Was für wundersame Metamorphosen. Erinnert sich noch jemand an Herta Däubler-Gmelin und ihre Kritik an Bush und wie man mit Däuber-Gemlin umsprang, als sie in ein paar harmlosen Sätzen Bush kritisierte? Ja?

Bei SpOn-Journalisten muß ich immer an den Satz aus Schillers „Die Räuber“ denken: Kerls, die in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Buben gemacht haben, kritteln über die Taktik Hannibals.

Im Trump-Kontext interessant sind zudem die Aussagen des philantrophischen Oligarchen George Soros in Davos. Die „Zeit“ titelte: „George Soros warnt vor ‚Hochstapler und Möchtegerndiktator‘ Trump“.  Einmal davon abgesehen,  daß Trump (bisher) ein demokratisch gewählter Präsident ist und es in den USA immer noch so etwas wie checks and balances gibt: Da geht wohl denen, die Obamas und Clintons Politik der Konfrontation und des Regime Change mit Hedge-Fonds und dubiosen Spekulationsgeschäften finanzierten, kräftig der Köttel in der Hose. Wie auch dem oben genannten Herrn Kleber. Andere Herren, anderer Einfluß. Es ist wie in Brechts Lied von der Moldau. Eine gewisse Schadenfreude angesichts von Soros‘ Verdienstausfalls kann ich nicht verhehlen. Ärgerlich allerdings, daß der Artikel zu erwähnen vergißt, inwiefern George Soros den blutigen Putsch in der Ukraine finanzierte und dort massiv eine Politik der Konfrontation schürte.

Ja, wir, die BRD, die Welt: wir werden mit Donald Trump und möglicherweise auch mit einer veränderten Weltordnung leben müssen. Für eine kluge Europapolitik bietet das eine Chance. Insbesondere, um eine andere Politik in den arabischen Großräumen und in bezug auf die Ukraine zu fahren. All diese Dinge sollten wir mit kühlem Blick betrachten und nicht in der Hysterie aufgescheuchter SpON-Journalisten. Benjamin Bidder wird sich eine neue Tafel suchen müssen, wo ein paar Happen für ihn abbröseln. Aber ich bin mir sicher, er wird, findig wie er ist, einen neuen und bequemen Platz ergattern. Die heute noch so aufgeregten Journalisten werden sich schnell arrangieren. Das Press-Wesen ist ein eigen Ding und solche Transformationen in Blitzeseile gehören zu seinem Metier:

„Der Journalismus ist ein Terminhandel, bei dem das Getreide auch in der Idee nicht vorhanden ist, aber effektives Stroh gedroschen wird.“ (Karl Kraus)

It’s the economy, stupid!

Was mich bei den damals auf Politische Ökonomie eingestimmten gesellschaftskritischen linken Bewegungen und auch bei  links  sich  nennenden Journalisten verwundert, ist der Umstand, wie sehr diese wirtschaftlich basalen Fakten einfach ausgeblendet oder als marginal abgetan werden. Wie intensiv wurde damals Marx‘ „Kapital“ in Studiengruppen geradezu gebüffelt. Zu recht, weil diese Texte von Marx samt seinen Polemiken immer noch zentral sind, um diese Gesellschaft in ihren Ausprägungen sowie in ihrer Struktur zu begreifen. Heute liest man Judith Butler und debattiert über die Mehrfachdiskriminierung von Minderheiten und über Gender-Toiletten in Kindergärten. Für manche mag das wichtig sein. Aber in den Filterblasenmilieus sollte man sich gelegentlich über die Relevanz von solchen Themen Gedanken machen. Ob es sich hier nicht vielmehr um einen Nebenwiderspruch handelt. Sicher wird es dem Schwulen und der Lesbe nicht egal sein, wenn sie diskriminiert werden. Darüber muß es Öffentlichkeit geben.

Wie sehr aber in solchen Diskursen die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen ausgeblendet werden und die Debatten nur noch auf Partialmoralen abzielen und zudem die politischen Diskurse vehement moralisiert werden, ist erschreckend. Vor einem Jahr zeigte diese der Fall der Journalistin Barbara Eggert, die für einen unklugen Rat in einem Provinzblatt von Volker Beck dafür als homophob denunziert wurde. Sie verlor ihren Job. Und um jenen Tugendterror auch auf Herrn Beck anzuwenden: Von einem Politiker, der nachweislich eine Droge wie Crystal Meth konsumiert und beim Kauf dieser Droge erwischt wurde, möchte ich mir keine moralischen Belehrungen anhören. Schon gar kein Mobbing – um an dieser Stelle die Moralisierung von Diskursen zu spiegeln.

Nicht mehr die kritische Analyse und Ideologiekritik werden geübt, sondern heute überwiegt die Moralisierung von gesellschaftlichen Fragen: Labels wie Rassist, Homophober usw. werden bei abweichender Meinung geklebt, ohne daß irgendwie eine Begründung dafür gezeigt würde, außer daß sich einer abweichend oder eben auch problematisch äußerte. Statt über soziale Verwerfungen und eine zunehmende Kluft zwischen Armen und Reichen debattiert man mit Verve über Blackfacing im Theater von Dieter Hallervorden, inszeniert einen Quatsch wie den Blog Münklerwatsch, um unliebsame Professoren nicht mehr immanent mit Wissen im Seminar kritisieren zu müssen – wozu es vermutlich von der gelernten politischen Theorie nicht mehr ausreicht -, sondern um zu überwachen und zu strafen.

Linke Bewegungen entwickeln eine Tugendhaltung, wie man sie früher bei den Evangelikalen oder überhaupt bei religiösen Bewegungen wahrnehmen konnte, die auf dem alleinseligmachenden Wahrheitsanspruch der Kirche pochten. Gefühlslinks kann man diese neuen Positionen nennen. Sie sowie die Partialmoralisierung sind leider auch im Journalismus anzutreffen. Über die Gründe kann man spekulieren. In einer globalisierten Welt ist der flexible und von jedem Ort aus operierende Journalist sicherlich ein Gewinner. Gut vernetzt, in einer Welt, in der allenfalls in Gestalt seiner Eltern oder der Verwandten die alte Angestellten- und Arbeiterklasse noch Bestand hat. Da mag genügend Zeit zur Verfügung sein, über Spezialprobleme nachzudenken, die die urbanen Eliten haben, jedoch nicht die Bevölkerung am Stadtrand, in den Mietskasernen, den Wohnbetonsiedlungen, jenen „Fickzellen mit Fernheizung“, wie Heiner Müller die Blocks in Friedrichsfelde nannte oder aber jene Menschen, die in den Provinzen leben und die wahrlich andere Fragen und Probleme umtreiben als die gendergerechte Toilette oder sexfreie Werbung in ganz Berlin. Diese Fragen mögen nicht irrelevant sein. Es geht mir lediglich um deren Gewicht. Hier werden Mücken  zu Elephanten aufgeblasen. Als ob dies die zentralen Probleme der Gesellschaft wären und nicht vielmehr die soziale Ungleichheit. Und da sind wir dann wieder bei der Ökonomie, bei Trump und damit auch bei den nächsten Bundestagswahlen.

Auf seinem FAZ-Blog Stützen der Gesellschaft erklärt Don Alphonso anhand der US-Firma Cannondale in Bedford den Wahlsieg Trumps: Respekt, gut gemacht und es trifft den Kern:

„Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie gehörten zu den 300 Leuten in Bedford und ihren Angehörigen. Sie haben jahrelang mit das Beste gemacht, was es weltweit gab. Sie haben geholfen, das Exportdefizit des Landes klein zu halten. Auf Ihren Rädern siegten die Besten. Handmade in USA stand auf Ihren Rädern unter der Flagge Ihres Landes. Sie haben erlebt, wie Entscheidungen nach den Wünschen der Wall Street Elite die Firma in den Bankrott trieben, zum Spielball der Investoren machte und Sie arbeitslos werden liess. Sie haben erlebt, wie ein Staatsgeschenk genutzt wurde, um nach der Produktion auch die verbliebenen Bereiche abzuziehen. Jetzt sitzen Sie in Bedford, irgendwo in Pennsylvania, wohin nie ein Journalist reist, und haben die Wahl. Zwischen Hillary Clinton und Stronger Together, ihren Unterstützern in den Medien, die meinen, man müsste sie wählen, weil sie mit dem System gut kann, eine Frau ist und ganz wunderbare Ideen für transsexuelle Kinder und ihren Toilettenbesuch in Schulen hat, und für Black lives matter und Handelsbeziehungen im pazifischen Raum.“

„Ich bin zigtausend Höhenmeter mit solchen Coda-Kurbeln hochgefahren. Sie sind einfach gut. Da kann man sagen, was man will. Gut und leicht und überhaupt nicht schlampig gefertigt, wie man das sonst oft amerikanischen Produkten wie Autos, Software oder Judith Butlers Genderesoterik zurecht nachsagt.“

 

Abu Ghraib. Bilder und Biopolitik (2)

Bevor es mit der ästhetisch-philosophischen Sichtung jener Bilder aus dem Umkreis von 9/11 weitergeht, muß etwas Grundsätzliches gesagt werden, damit es nicht zu Mißverständnissen kommt. Wie bereits beim Kunstwerk ist die direkt und abstandslos genommene Moral, die entweder mit berechtigtem Engagement oder mit dem Ausdruck der unmittelbaren Empörung auftritt und in einen Text einfließt, nicht immer die beste Waffe der Kritik. Im Gegenteil. Das Anliegen mag richtig sein, der Ausdruck ist unzureichend. Moral-(Philosophie) bleibt diesen geschilderten Phänomenen, den Folterbildern äußerlich. Sicherlich kann man mit Kant oder mit Argumenten, die der christlichen, jüdischen, islamischen, hinduistischen Religion entnommen werden, begründen, weshalb solche Folter grundsätzlich verboten ist. Aber diese Positionen sind zugleich unterbestimmt; religiös motivierte Moral ist zudem argumentativ schwierig durchzuhalten, weil das dezisionistische Moment nicht auszuschließen ist. Es muß im Reich des Religiösen eine unbegründbare Instanz in Anspruch genommen, und es muß auf jenen „mysthischen Grund der Autorität“ rekurriert werden. Allenfalls im Rahmen Kants, und zwar in Hinsicht auf das Völkerrecht bzw. auf ein internationales Strafrecht, ist ein philosophischer Diskurs möglich. Dieser stellt wesentlich aber einen rechtsphilosophischen und im Detail dann einen juristischen Diskurs dar. Neben der ästhetisch-philosophischen Sicht geht es um die Kraft des Gesetzes. Um die Gesetzeskraft. (Wobei der Begriff der Kraft zugleich ein ästhetischer Begriff ist, welcher wesentliche Bestimmungen im 18. Jhd. erfuhr.)

Die Motive der verschiedenen Seiten in diesem auf Dauer gestellten Krieg sind vordergründig religiöse. Ob das nun die Sicht verschiedener Teile der US-Regierung unter Bush (und ebenfalls unter Obama) bzw. ihrer offiziellen und inoffiziellen administrativen und strategischen Schaltstellen, die Taliban oder al-Qaida sind. Die auf diesen Motiven beruhenden Grundlagen sind vielmehr eminent politisch – egal ob bewußt oder unbewußt. Die theologisch-politische Dimension wäre sicherlich ein weiterer Aspekt, der im Rahmen dieser Bilder analysiert werden müßte, sei es im Hinblick auf Carl Schmitt, Walter Benjamin, Jacques Derrida oder Giorgio Agamben. Gerade Derrida fragt schließlich nach jenem Bindestrich bei der Koppelung der Dimensionen. Es handelt sich, wie Mitchell zu recht schreibt, auch hier noch einmal um jene Doppelung, wie sie in den zwei Körpern des Königs zum Ausdruck kommt. Der göttliche, ewig lebende Körper – fast muß man schreiben: der Leib – des Souveräns, und jener sterbliche Körper, der zerfällt, verwest, vergeht (Mitchell, S. 257 f. Grundlegend dazu: Ernst Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters).

Was die Ebene der Religion angeht: Ja, der Islam ist nicht grundsätzlich böse, so wie das Christentum nicht grundsätzlich schlecht ist.

Zurecht sind die christlich-evangelikalen Einflüsse samt dem daran gebundenen dichotomen Weltbild in den Blick zu nehmen, welche die Invasion in den Irak (und insgesamt jenen „Krieg gegen den Terror“ – auch – motivierten. Ich halte diese rein religiöse Interpretation andererseits aber für einen vordergründigen Aspekt. Zudem muß man bei solchen politischen Sichtungen wohl aufpassen, nicht in die Falle des „Clash of Civilizations“ oder eines Gegen-Dschihads zu tappen. Auch das Bild als Waffe und Propaganda will bedacht sein: sowohl die Bilder von Al Jazeera als auch die von CNN et al sind nicht nur journalistische Bilder. Der gütig dreinblickende Bin Laden mit einer Schnellfeuerwaffe in der Hand oder aufsteigende F-16-Mehrzweckjets. Wieweit es sich bei diesem Krieg womöglich nur um eine Seite handelt, die Konflikte bewußt schürt, ergibt eine weitere Dimensionen in der Sicht auf die Ereignisse. Ich neige nicht so sehr zu den großen Verschwörungstheorien, es ist freilich momentan nichts auszuschließen. Schein, Erscheinung und Wesen erschließen sich – zumindest auf der Ebene des Empirischen – nicht unmittelbar.

Um also die Mißverständnisse auszuschalten und gleichsam in einem Nebensatz die mitschwingende Intention zu nennen, läßt sich am besten auf Mitchell selbst zurückgreifen. In bezug auf die Analyse der Bilder aus Abu Ghraib schreibt er:

„ Die Arbeit von Seymour Hersh und die ursprüngliche Interpretation durch Susan Sontag und andere haben deutlich gemacht, daß noch sehr viel mehr hinter der Tür verborgen liegt. Gewiß, in einer Welt, in der Menschenrechte und internationale Gerechtigkeit Gesetzeskraft besäßen, würden die Taten der Vereinigten Staaten im Irak als die eines Schurkenstaates verurteilt, der sich über das Gesetz stellt. Die flagrante Mißachtung des Völkerrechts, die von höchsten Vertretern der Bush-Administration (einschließlich des Präsidenten) zum Ausdruck gebracht wurde, gäbe in einer gerechten Welt Anlaß zu einer Strafverfolgung. Aber wir leben nicht in einer gerechten Welt, und es gibt keine Möglichkeit, die Normen des Völkerrechts durchzusetzen. So bleibt denn die Frage: Was soll mit diesen Bildern geschehen, wenn ihre ‚verborgene Geschichte‘ erst einmal enthüllt und ihre politische Wirkung sich (zumindest für den Augenblick) erschöpft hat?“ (S. 159)

In bezug auf die Photographie des Mannes mit der Kapuze und den vom Körper gestreckten Armen aus Abu Ghraib heißt es weiter:

„Wir haben es hier mit einem image of state, einem Zustands- und Staatsbild im präzisen Sinne des Wortes zu tun: einem Bild staatlich geförderter Folter – und der Staat, der dies förderte, ist der unsrige.“ (S. 214)

Soviel als Präludium des Schrecklichen.

Eine Ästhetik des Bösen umfaßt eben nicht nur die Literatur oder überhaupt die Kunst, sondern greift auch auf das Feld des Politischen aus.

Nine-Eleven – Bilder des Terrors, „Krieg gegen den Terror“, Gegenterror. Bilder und Biopolitik (1)

„Mach mal den Fernseher an!“

Es weiß fast jede oder jeder, was sie an jenem Tag getan und gemacht haben. Zumindest ab dem Moment, seit der Minute, wo die Betrachter erfuhren oder vielmehr: ersahen, daß da Flugzeuge in das World Trade Center rammten, als die beiden Türme einstürzten und diese Bilder in endlosen Wiederholungsschleifen um die Welt liefen. Dazwischen die Bilder von Rennenden, aus den Fenstern springenden, herabstürzenden Menschen, Menschen im arabischen Raum, die jubelten, Menschen mit fassungslosen Gesichtern, der ausdruckslose Blick George W. Bushs, aber auch jene Photographie von Thomas Höpker, die um einiges später erschien, auf der man ruhig und gelassen plaudernde Menschen sieht, während auf der anderen Seite des Flusses Manhattan in Rauch gehüllt ist. Bilder zu 9/11 von der Photoagentur Magnum gibt es hier.

Ich selber bekam dieses schnitthafte Ereignis relativ spät mit: erst um 16 Uhr 45 MEZ, als ich das Geschäft meines Tabakhändlers/Zeitungsverkäufers betrat und der mir, als ich so unbeteiligt und sachlich-kalt, wie es meine Art ist, Zigaretten orderte, aufgeregt erzählte, daß die USA mit Flugzeugen angegriffen wurden. Ich fragte ihn halb witzelnd, ob Kuba oder Putin-Rußland den USA nun den Krieg erklärt haben, doch der Händler hatte keinen Sinn für dergleichen und sagte: Nein, die USA wurde mit Passagierflugzeugen attackiert. Ich wußte nicht genau, was er damit meinte, sagte „Aha!“ und ging des Weges nach Hause in meinen gemütlichen bürgerlichen Altbau. Sein Gerede erschien mir wirr und undeutlich. Bereits vordem und zuweilen äußerte der Händler sich eigenwillig. In jenem Refugium angekommen, schaltete ich – entgegen meiner Gewohnheit – bereits am späten Nachmittag den Fernseher an. Dann habe ich gesehen, was der Zigarettenhändler meinte und zündete mir eine seiner Zigaretten, die nun die meinen waren, an, griff zum Telephon.

Worauf ich hinaus will: Gesehen. Fast alle saßen oder standen vor den Fernsehgeräten. Deutschlandradio oder andere Radiosender hörte kaum einer. Es war nicht nur eine Macht, sondern auch ein Reiz der Bilder, welcher verschiedene Modi der Rezeption aktivierte, was sich am sinnfälligsten womöglich in dem umstrittenen Ausspruch des Komponisten Stockhausen manifestierte: „Also was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat …“ (zitiert nach Wikipedia). Im richtigen Zusammenhang besitzt dieser Satz, bei allem Zynismus und Pseudoästhetizismus, der auch darin stecken mag, seine Wahrheit.

Man kann sich den allseits bekannten Bildern von 9/11 und denen, welche dem Umkreis von 9/11 entstammen, auf vielfältige Weise nähern, so wie diese Bilder auf die vielfältigste Weise Reaktionen hervorriefen und immer noch hervorrufen: Von Abscheu, der gepaart war mit einer Faszination – denn warum sonst gäbe es dieses Bild der zwei Türme, in die Flugzeuge einbrechen und die dann einstürzen, die aufsteigenden, sich über New York legende Staubwolke, in dieser unendlichen Schleife der Wiederholung bis hin zur extremen Zeitlupe, wie da das Flugzeug, langsam und langsam, Sequenz für Sequenz in den ersten Turm steuert, wie innerhalb der Sekunden ein Feuerball durch die Fenster sich frist, schleichend, in Bildpunkten, die rot herausspringen? Und weshalb schalteten nur wenige die Apparate nach der dritten Wiederholung aus? Der Hinweis auf Kants Erhabenes scheint mir bei diesen Bildern des Einschlags nicht ganz verfehlt zu sein. Die Zeitlupe des Vorlaufes bannt den Moment, als wollte sie ungeschehen machen. An dieses „Urbild“, das ein Doppelbild war, dockten zahlreiche weiter Bilder an. Von den Kampfbildern aus Afghanistan, dem schnellen Sieg über die Taliban, über das Bild der gestürzten Statue von Saddam Husseins, über jene „Mission Accomplished“, der gehängte Saddam Hussein und den Photographien und Fernsehbildern aus dem US-Folterlager Guantanamo, bis hin zu den Bildern aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis, die ikonographisch noch einmal einen gesonderten Status einnehmen, über den zu sprechen sein wird. Eine Photographie jedoch, die in diesen Kreis der Bilder unbedingt hineingehörte und in der klassischen Erzählweise und wie in fast jedem konventionellen Film eigentlich den Abschluß, die Klimax böte, fehlt, ist abwesend: die Photographie des getöteten, erschossenen, gerichteten, hingerichteten (wie immer man es nennen mag) Osama Bin Laden. Überbordende Strukturen lassen sich gut in Bildern handhaben und eingrenzen. Hier aber bleibt eine Leerstelle, eine Kluft.

Das „Urbild“ dieses Geschehens an 9/11, diese Ikone des 21. Jahrhunderts, war ein Doppelbild in mehrfachem Sinne: es waren zwei Türme, es rasten in diese Türme zwei Flugzeuge, wir haben es (mindestens) zweimal gesehen: diesen Einschlag, den Tod von Tausenden. Sicherlich handelt es sich auf dieser Ebene des Faktischen um kein Kunstwerk. Aber die gesamte Choreographie, das Geschehen trägt Züge, die einen Blick erfordern, der Ästhetik, Philosophie samt der Phänomenologie, Soziologie und Psychologie sowie die Politik zusammenschließt.

Ich schreibe keinen explizit politischen oder moralisch-ethischen Diskurs über die Folgen, die Implikationen, die Wahrheit des 11. September, die Unschärfen, die Fragen, welche bleiben. Allenfalls werden diese Aspekte implizit mitschwingen. Vielmehr ist dieser Text eine ästhetische Annäherung, einerseits, und es ist eine Art von philosophischer (Buch)-Kritik, andererseits. Es läuft – gleichsam als Film – das Ende August auf Deutsch erschienene Buch „Das Klonen des Terrors. Der Krieg der Bilder seit 9/11“ des US-amerikanischen Kunsthistorikers William John Thomas Mitchell in diesem Beitrag mit. Es wird sicherlich Leserinnen und Leser geben, die diese Sicht mitleidlos oder apolitisch, gar antipolitisch nennen. Mag sein. Theorie denkt aber nicht dessen, was ist und nicht sein sollte, ein, indem sie Bekenntnisse und Losungen an die Wand sprüht, sondern indem sie denkt und in diesem Denken analysiert. Wir sehen, und es ist die Frage, was wir sehen und wie wir sehen.

Diesen Bildern vom 11. September sowie den Folgebildern, die daran anknüpfen (etwa die von Abu Ghraib, welche ich für ebenso gewichtig halte) sich zu nähern, funktioniert nur bedingt über die Systeme der Psychologie, der Politik, der Sozialwissenschaften. Wesentlicher trägt hier die Bildwissenschaft ihren Teil dazu bei – jene Wissenschaft, die sich zusammensetzt aus der Kunsttheorie, Kunstgeschichte, aus Medienwissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Psychologie, Philosophie. Ursprünglich sich aus der Ikonographie und der Ikonologie Aby Warburgs und Erwin Panofskys entwickelnd, befaßt sie sich mit allen Arten von Bildern (selbst den banalen) sowie ihren kulturellen Codierungen und Interpretationsmustern. Für Deutschland seien in der Forschung stellvertretend die Namen der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, Hans Belting (Bildanthropologie) sowie Gottfried Boehm genannt, welcher die Wendung des Iconic Turns prägte; für Frankreich lese man Georges Didi-Huberman.

Hintergrund für eine solche Bildwissenschaft ist zudem jene, für meinen Geschmack etwas unglückliche Wendung vom Pictorial Turn, die Mitchell prägte. Es orientiert sich dieser Begriff an jenem Buch „Linguistic Turn“, welches Richard Rorty 1967 herausgab – eine Wendung, die als Terminus technicus einschlug. Philosophisch gesehen ist jene Rede vom Pictorial Turn sicherlich ein wenig zu hoch gehängt, aber als Teilaspekt innerhalb einer philosophisch-ästhetischen Betrachtung besitzt er einiges Recht. Man sollte ihn freilich nicht verabsolutieren.Und dazu neigt sich solches Vorgehen leider häufig: aus dem Körnchen Wahrheit wird eine große Blase gefertigt.

Als wesentliche Momente des pictorial turns werden von Mitchell die Erfindung der Zentralperspektive und die der Photographie genommen. Bilder gab es vor Erfindung der Photographie nur als gemalte, gezeichnete oder radierte. Mit dem Übergang vom analogen zum digitalen Bild in den 90er Jahren setzte noch einmal eine gesteigerte Stufe ein. Mit diesem pictorial turn gehen dann Felder wie visual culture und visual studies einher. Richtig ist, daß das Bild in der Moderne des 20. Jahrhunderts einen ganz anderen Stellenwert erhalten hat als vordem. Dazu trug im wesentlichen die Verbreitung von Photographien (seit dem 19. Jhd.) und das Fernsehen als Fortschreibungsmedium des Kinos bei, welches als neue Qualität einen Wandel ums Ganze einbrachte. Die Bilder werden auf eine Weise lebendig und erhalten – metaphorisch gesprochen – ein eigenes Leben und erlangen damit eine besondere Macht, die es in den Blick zu nehmen gilt. Innerhalb der Spätmoderne eröffnete sich noch einmal ein qualitativer Sprung ums ganze. Bilder jeder Art (und überhaupt Nachrichten) verbreiten sich mittlerweile mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit durch die Welt, gelangen über die Datenleitungen in Sekundenschnelle von A nach B.

Daß es hinter diesen Bildern kein gesellschaftliches Leben mehr gibt und diese Welt des sogenannten Realen (hier nicht im Lacanschen Sinne genommen, denn da bedeutet es das Gegenteil) eine Simulation ist, so daß Reales als Weise des Seins nicht mehr existiert, so weit ginge Mitchell sicherlich nicht. Aber das, was sich gesellschaftliches Sein nennt, ist geprägt durch einen Kanon von Bildern und Metaphern und wird genau dadurch überformt und in der Interpretation strukturiert. Es existiert kein unverstellter Zugang, immer ist, um es in anderen Worten zu formulieren, die Ideologie abzutragen.

Diese Durchdringung und diese Ubiquität von Bildern motiviert eine neue Form von Wissen und damit Wissenschaft, die diese Aspekte in einem Kontext sistiert. Diese Arbeit leistet die Bildwissenschaft. Wir können, wie Mitchell in seinem Buch „Das Leben der Bilder“ schreibt, diese Bilder nicht hinter uns lassen, um dann eine authentische Beziehung zum Sein, zum Realen, zur Welt zu entwickeln (Das Leben der Bilder, S. 12). Insofern geht es darum, solche Bilder und Metaphern in die Reflexion zu nehmen.

Wenn man diese Türme des World Trade Center als Urbild und als Ikone begreift – Ikone etwa der Wirtschaftsmacht – so stellt der Angriff auf die Twin Towers einen klassischen Akt des Bildersturmes dar, wie wir ihn aus dem Byzantinischen Bilderstreit oder vom reformatorische Bildersturm her kennen. Damit einher geht ebenfalls das Bilderverbot („Du sollst Dir kein Bildnis machen …“) der drei monotheistischen Religionen, die Europa prägten und prägen. Wie die Taliban die Buddha-Statuen von Bamiyan im März 2001 medienwirksam – also unter dem Einsatz von Bildern – zerstören, da es sich für sie um bloßes Götzenwerk handelte, so waren auch das World Trade Center, das Pentagon und eines der Regierungsgebäude in Washington Götzen: verbotene Bilder, um die herumgetanzt wurde, wie ums goldene Kalb. Wer auch immer diese Inszenierung, den Krieg der Bilder, den Bildersturm und die Dramaturgie startete, die Regie führte, er führte sie gut und erzeugte mit der Zerstörung des Götzen eine bedeutsame Gegenikone, die allerdings, und dies ist ihr interessanter Status, in beide Richtungen hin brauchbar zu machen ist, in zwei Richtungen funktioniert. Der Einschlag und der Einsturz lösten ja beides aus: Entsetzen und Jubel zugleich. Der Sinn dieser Taten liegt in der Produktion von Worten und Bildern, in der Erzeugung von symbolischen Formen der Gewalt und weniger in der unmittelbar physischen Gewalt. (Mitchell, Das Klonen und der Terror, S. 101. Seitenangaben im laufenden Text, die nicht anders gekennzeichnet sind, beziehen sich auf dieses Buch.)

„Strategische Formen von Gewalt wie Krieg oder Polizeiaktionen spielen in ihrem Repertoire keine herausragende Rolle. Die wichtigste Waffe des Terrors ist das gewalttätige Spektakel, das Bild der Zerstörung oder die Zerstörung eines Bildes oder beides, wie beim eindrucksvollsten Spektakel dieser Art, der Zerstörung des World Trade Center, bei der die Vernichtung einer weltweit erkennbaren Ikone ganz bewußt ihrerseits als Ikone eigener Art inszeniert wurde. Die mit dem Bild vernichteten Menschen sind Kollateralschäden.“ (S. 101 f.)

Diese Sätze mögen zunächst zynisch klingen, es erweist sich dies aber als die Quintessenz dieser Anschläge. Die Flugzeuge wurden nicht in irgendein Gebäude einer beliebigen US-Amerikanischen oder europäischen Stadt gelenkt, um möglichst viele Menschen zu töten, sondern zielten auf die drei zentralen Systeme der USA (und damit des westlich-kapitalistischen Systems) ab: Wirtschaft, Militär, Politik. Die Dramaturgie, der Ablauf war perfekt organisiert. Erst der Flug in das eine Gebäude, in der Gewißheit, daß sämtliche Kameras der Fernsehstationen nun auf die Twin Towers gerichtet sind, um nach diesem werbenden ersten Akt, den zweiten einzuleiten: nun unter den Augen der ganzen Welt. Bevor ich im zweiten Teil zum Buch von Mitchell selbst komme und in die Details einsteige, einige subjektive Wendungen:

Meine persönliche Mutmaßung zu 9/11: Es wurde innerhalb der Regierung der USA gewußt, daß sich etwas ereignen wird, ob man auch genau wußte, was sich exakt ereignen würde, ist schwierig zu beurteilen. Das Grundrauschen vor den Anschlägen in den digitalen Netzen nahm merkliche Ausmaße an und war deutlich zu vernehmen, wenn man es wollte. Geheimdienste (auch in der BRD, dort u.a. die Landesämter für Verfassungsschutz) tickten auf Hochtouren. Es wurde in den USA abgewartet, um zu sehen, was sich ereignen wird. Einige Monate nach der „Wahl“ Bushs dachte ich: merkwürdig ruhig geht es in den USA zu. Sollte ich mich in diesem Mann getäuscht haben? Die Ruhe trog. Man ließ diese Aktion sehenden Auges zu, um reagieren zu können – die Pläne für den Nahen und Mittleren Osten lagen bereits in den Schubladen. Von den Neocons gut ausgearbeitet, denn die wußten schon vorher, wer die Wahl 1999 gewinnen wird. Das, was sich an 9/11 ereignete, hätte für diese Planer besser nicht sich abspielen können. Vor den Augen aller Welt. Bilder besaßen immer schon eine ungeheure Macht, und es gibt diese Urangst, daß ein Bild lebendig wird. Die Zwillingskonstellation des Dorian Grey ist bekannt, auch die Figur des Golem. An 9/11 haben die Bilder sich verselbständigten, gerieten zum Leben, und es wurden alle Register gezogen, die man in das Lexikon der Politischen Ikonographie eintragen kann.

Bilder dienen der psychologischen Kriegsführung, „um das kollektive Nervensystem über die Massenmedien zu traumatisieren und die Phantasie gegen sich selbst zu wenden.“ (S. 120). Terrorwarnungen werden hoch und wieder heruntergefahren. Der Mann, welcher neben einem in der Metro sitzt, ist prinzipiell verdächtig, wenn er dieses Quäntchen des Anderen an sich trägt. Bilder erzeugen die Urängste, greifen in die symbolische Ordnung ein, und es verhält sich dabei wie in jener Radierung aus Goyas „Caprichos“: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Aber Bilder können, wie Goya es zeigt, genauso die Gegenkraft abgeben.

Diese Dramaturgie an 9/11 übertraf alles, was die Macher je sich hätten erträumen können.

Was bleibt, ist der Opfer in diesem unerklärten Krieg, der im klassischen Sinne der Politikwissenschaften keiner ist, einzugedenken: sei es in den USA, in Afghanistan, im Irak, in Pakistan. An zahlreichen Orten. Aber es reicht der Gedenkkitsch nicht hin. Bilder strukturieren das Denken und erzeugen Formen von Gewissen. Diese Mechanismen der Erzeugung nimmt die Philosophie in die Kritik.

Am 11. September 1973 wurde der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende durch die Armeejunta unter Führung des Generals August Pinochet aus dem Amt geputscht, unter anderem mithilfe der USA, maßgeblich durch die CIA und den Kriegsverbrecher Henry Kissinger. Wenig später zogen in das Land die Chicago Boys um Milton Friedman herum ins Land ein, damit Chile nach ihren theoretischen Bedürfnissen gestaltet werde. It‘s not a trick. It‘s capitalism. Als das „Wunder von Chile“ bezeichnete Friedman diese (neo-)liberal strukturierte Tötung von Menschen, welche freilich als Wohlstandsmehrung sich gut verkaufen ließ.

In der Nähe des World Trade Centers, das heute als Ground Zero existiert, was auf der Ebene der Metaphern ein beeindruckendes Bild auch in bezug auf den Kapitalismus liefert, „befand sich im 18. Jahrhundert einer der ersten Friedhöfe für Afro-Amerikaner. Durch Zufall stießen Bauarbeiter hier 1991 auf Skelette, doch die Bauverwaltung wollte weiter bauen. Schließlich wurde nur ein Bruchteil des Friedhofs ausgegraben und eine Gedenkstätte errichtet. Der Rest sind Regierungsgebäude, erbaut auf Sklaven-Gräbern.“ So berichtet der Schriftsteller Teju Coles in der Sendung vom 8.9.11 bei „Kulturzeit“. Über den postkolonialen Umgang mit den Orten der Erinnerung schreibt er in seinem Debüt-Roman „Open City“. Zentrales Moment der Bildwissenschaft ist die Unsichtbarkeit, das, was als Verdrängtes hinter den Bildern steht, womit wir am Ende sehr viel dichter an einer Freudschen oder Lacanschen Psychoanalyse uns befinden.

Es kann kein Leid und kein Ereignis gegen das andere ausgespielt werden. Die rund 3000 Toten, die dieser Tag am 11. September 2001 forderte und die von denen, welche diese Anschläge, planten, durchführten, in Kauf genommen wurden, haben keinen höheren, aber auch keinen niedrigeren Wert als die anderen Toten, die im Namen der verschiedenen (idiotischen) Religionen, des Faschismus, des Kapitalismus, des Stalinismus, des Maoismus et al. fabriziert wurden, und es kommt hier nicht auf quantitative Aufrechnungen an. Worum es aber geht, ist, in den Blick zu bekommen, daß es willkommene, d. h. staatlich geförderte und unwillkommene Erinnerung gibt, die kultiviert werden oder eben nicht.

Erinnerungskultur funktioniert über Bilder und über den Ausschluß von Bildern, indem man bestimmte Bilder annulliert und gar nicht erst zu Ikonen geraten läßt. Dies impliziert den Begriff der Macht. Am Ende hin gilt, wenn auch nicht normativ, aber so doch faktisch der eigenwillige Satz des Goggelmoggel aus „Alice hinter den Spiegeln“:

„‚Wenn ich ein Wort gebrauche‘, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, ‚dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.‘ ‚Es fragt sich nur‘, sagte Alice, ‚ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.‘ ‚Es fragt sich nur‘, antwortete Goggelmoggel, ‚wer der Stärkere ist, weiter nichts.‘“

Im zweiten Teil geht es dann in die Bilder und in die Lektüre von Mitchells Buch hinein.

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W.J.T. Mitchell, Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11, Berlin 2011. (Suhrkamp Verlag)

Weiterhin: W.J.T. Mitchell, Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, München 2008 (Beck Verlag)