Unsere Geschichten – Archive der Nacht (2)

Hammer oder Ambos?, so heißt es. Wer nicht hören will, muß fühlen, so geht eine andere Redensart. Ich mag die Moral, wenn sie der Zucht sowie der Manipulation dient und sich inthronisiert, um die Diskurse der Überwachung zu strukturieren, die Verhaltensweisen von Menschen an irgendeine beliebige Norm anzupassen.

Im Grunde ist dieses unten eingestellte Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm eines über die Philosophie und wie es dieser ergeht, wenn sie sich in Fühligkeiten oder bloße Neugier verstrickt, die sich zum Ende hin in alberne Furcht verwandelt. Wenn sie abschwächt und sich dem bloßen Staunen überläßt, anstatt die Dinge, die Menschen, die Subjekte, die Diskurse auseinanderzulegen, ihnen mit dem Messer und der Axt an die Kehle und an den Kopf zu gehen – eben die Tätigkeit auszuüben, welche die vornehmste Aufgabe der Philosophie unter den gegenwärtigen Bedingen mir zu sein scheint: als Kritik zu wirken. Denn allein der kritische Weg ist noch offen, wie Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ wußte. Philosophie ist die Arbeit des Zerschneidens, des Auseinanderlegens, der Dekonstruktion, des Experiments, des Bastelns, der Beweglichkeit, des Spiels: Philosophie schlägt ins Gesicht. Allerdings muß der Betrachter dem, was er sieht, standhalten können und sollte nicht schaudernd niederfallen oder erstarren wie vor dem Bildnis zu Sais. Am Ende bleibt sonst nur ein Leuchten als lieblicher Holzscheit im Kamin übrig anstatt des Wissens als einer Weise der Erkenntnis. Dennoch: das Schlußbild dieses Märchens, wie es sich da eine Frau mit eigentümlicher Lebensart an der heimischen Heizstätte warm und gemütlich macht, eignet sich vortrefflich, um in die nötige weihnachtliche Besinnnung zu gelangen. Jene Frau ist im Grunde der andere Part der Philosophie. Aber kommen wir nun zu meinem Lieblingsmärchen:

Frau Trude (Grimms Kinder- und Hausmärchen)

Es war einmal ein kleines Mädchen, das war eigensinnig und vorwitzig, und wenn ihm seine Eltern etwas sagten, so gehorchte es nicht: wie konnte es dem gut gehen? Eines Tages sagte es zu seinen Eltern: „Ich habe so viel von der Frau Trude gehört, ich will einmal zu ihr hingehen, die Leute sagen, es sehe so wunderlich bei ihr aus, und erzählen, es seien so seltsame Dinge in ihrem Hause, da bin ich ganz neugierig geworden.“ Die Eltern verboten es ihr streng und sagten: „Die Frau Trude ist eine böse Frau, die gottlose Dinge treibt, und wenn du zu ihr hingehst, so bist du unser Kind nicht mehr.“ Aber das Mädchen kehrte sich nicht an das Verbot seiner Eltern und ging doch zu der Frau Trude. Und als es zu ihr kam, fragte die Frau Trude: „Warum bist du so bleich?“ „Ach,“ antwortete es und zitterte am Leibe, „ich habe mich so erschrocken über das, was ich gesehen habe.“ „Was hast du gesehen?“ „Ich sah auf Eurer Stiege einen schwarzen Mann.“ „Das war ein Köhler.“ „Dann sah ich einen grünen Mann.“ „Das war ein Jäger.“ „Danach sah ich einen blutroten Mann.“ „Das war ein Metzger.“ „Ach, Frau Trude, mir grauste, ich sah durchs Fenster und sah Euch nicht, wohl aber den Teufel mit feurigem Kopf.“ „Oho,“ sagte sie, „so hast du die Hexe in ihrem rechten Schmuck gesehen: ich habe schon lange auf dich gewartet und nach dir verlangt, du sollst mir leuchten.“ Da verwandelte sie das Mädchen in einen Holzblock und warf ihn ins Feuer. Und als er in voller Glut war, setzte sie sich daneben, wärmte sich daran und sprach: „Das leuchtet einmal hell!“

Mehr Licht, so freuen wir uns im Sinne der Aufklärung. Oder mit Peter Rühmkorf gesprochen: „Laß leuchten!“. In diesem Sinne wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern gute freie Feiertage. Und lassen Sie nichts anbrennen!