Daß nun und mittlerweile alle und jede/r photographieren können, erweist sich für die Photographie nicht unbedingt von Vorteil.
Im Zeitalter der digitalen Kunst der Belichtung, die manche Erleichterung bereithält und doch zugleich einen Wandel im Medium bedeutet, geriet die Dunkelkammer in Vergessenheit. Allenfalls wenige Photographinnen und Photographen – meist der Kunstszene entstammend oder aber eingefleischte Purist:inn:en – fertigen ihre Bilder noch in der traditionellen Weise und bringen die Welt als Bild aufs feine, unnachahmliche Barytpapier. Auch ich habe wohl jahrelang nicht mehr am Vergrößerungsgerät in der dunklen Kammer gestanden. Doch der Reiz, den diese Tätigkeit des Entwickelns ausübt, bleibt nach wie vor bestehen – allerdings immer mehr als Erinnerung, verschwimmend im Zeitdunst und im Bilderstaub, denn lange ist es her, daß ich Photographien in der Flüssigkeit entwickelte: Wenn sich aus dem Entwicklerbad im Rotlicht oder beim Gelb-Grün-Licht die Photographie herauskristallisierte, wenn in der Entwicklerschale zaghaft die ersten Konturen sichtbar wurden, die ersten Formen sich zeigten, dann die Kontraste und die Grautöne hervortraten, und es entstand langsam im Takt der Sekunden vor dem Auge des Betrachters das Bild – jenes eine Bild, das sich in der Wanne hervorschälte. Put on the red light.
Diese Magie des Augenblicks, wenn die abgelichtete Welt ins Positiv gebracht wird, gälte es in ein Bild zu verdichten. Wirklichkeitstransformation, die in den Schlieren des Bades geschieht. Das, was sich in diesem Moment in den Empfindungen, Regungen und Reflexionen des Laboranten abspielt, wäre eine eigene kleine Prosaskizze wert. Der Griff zur Zange, zum Apparat, in der Kammer riecht es nach Ammoniak und Bromartigem. Es bedeutete eine besondere Art der Erotik, wenn ich eine Frau photographiert hatte. Und als ich dann nach dieser Photo-Session die Kodak-Filme entwickelte, die Filme trockneten, und während ich den Film in die Negativbühne schob, die Belichtungszeit einstellte, das Licht fiel aufs Papier, der Timer klackerte, 18 x 24 cm, manchmal zählte ich die Zeit selber ab, ohne den Timer, gab mich dem Licht hin und mit dem Geschick des Handwerkers schätzte ich die Zeit: das eine Bild, dieses Bild als Moment vervielfältigt. So nahm ich das belichtete Papier und ließ es ins Entwicklerbad gleiten. Auf dem Papier gewann ihr sinnlicher Körper Kontur: ihre Haltung, ihre Position vor der Kamera, ihr Blick, ihre Schamhaare, ihre üppigen Brüste zeigten sich auf dem Photopapier. Wenn ich eine Dünenlandschaft aus dem Urlaub mitbrachte, und die Helle des Strandes, der feine weiße Sand auf dem Papier hervortrat, wenn der aufgenommene Augenblick, dieser winzige Moment aus einer 1/250 Sekunde sich materialisierte, wenn die Vergangenheit als Augenblick sich als Photographie vergegenständlichte, wenn das Bild sich fixierte und sich auf dem Barytpapier festsetzte.
„Eine List des Wortgebrauchs: Man sagt: ‚ein Photo entwickeln‘; doch was beim chemischen Vorgang entwickelt wird, ist das, was nicht entwickelt werden kann, ist das Wesen (einer Verwundung), ist das, was sich nicht verwandeln, sondern nur in Form von Beharrlichkeit (des beharrlichen Blicks) wiederholen kann.“ (Roland Barthes, Die helle Kammer)
Die Photographie ist ein Medium der Wiederholung.
War die Photographie gelungen? Wie lange darf sie noch im Entwicklerbad bleiben, damit das Bild nicht überentwickelt wird und ins Schwarz abdriftet? Wer je im eigenen Labor Photographien selber entwickelte, weiß um diese Mischung aus Magie, Handwerkskunst und Gespür für die richtige Zeit: Jetzt, genau jetzt, mußt du das Photo ins Unterbrecherbad umbetten. Nicht eine Sekunde länger darf es im Entwickler bleiben, damit das Schwarz nicht ins Düstere, das Weiß nicht ins Grau umkippt. Es ist jede Photographie, die sich aus den Schlieren des Bades hervorschält, wie eine Neuschöpfung; ein Objekt, ein Ding, eine Landschaft, eine Straßenszene oder ein Portrait entsteht aus dem Nichts heraus und bannt sich ins Bild, wenn der Papierabzug in der Lösung sich ausentwickelt. Im Digitalen verliert sich dieses Moment des Neuschaffens. Es wird auf den Auslöser eines Handys oder einer meist billigen Kamera gedrückt, und das Bild ist auf einem Speichermedium vorhanden. Es besteht aus Pixeln, aus quadratischen Punkten. Insofern liegt hier – bereits im Technischen von der Silbergelatine-Emulsion oder den Silberhalogeniden hin zum Pixel – ein entscheidender Wandel im Medium Photographie vor.
Übertrieben wäre es, zu sagen, es handelte sich bei der analogen Photographie um eine zweite Schöpfung. Aber dennoch besitzt diese Tätigkeit des Entwickelns, wo sich ein Gegenstand, ein Objekt wie aus dem Nichts heraus ins Bild setzt, dieses Moment von einem schöpferischen Akt. Die Photographie erzeugt ein Objekt eigener Art. Die Welt – noch einmal und verdichtet.
Wo heute in der digitalen Photographie wahllos die Instagram- oder Handyfotofilter verwendet werden, um gezielt oder wahllos bestimmte Effekte zu erzeugen, die am Ende allesamt gleich aussehen, wo jede Photographie durch die digitalen Filter von i-Phone und Smartphone mit einer schauderlichen Farbsoße überzuckert wurde, da ergab sich in der analogen Photographie mancher Effekt teils durch Zufall, durch die Art, wie entwickelt oder der Film belichtet wurde. Von den Kratzspuren auf einem Negativ bis zum zufällig einfallenden Licht oder den im Kühlschrank überlagerten Farbfilmen. Geriet beim Photographieren zu wenig Licht auf den Film, so schwärzte er sich, blieb schwarz, und es zeigten sich im Entwicklerbad die hellen Stellen, die teils wegbrachen und ins gleißende Weiß übergingen, wo man aber mit etwas Geschick, Nachbelichten und Abwedeln dennoch etwas aus dem Negativ herausholen konnte. Ein Portrait im gleißenden Weiß, in dem die helle Haut in den Hintergrund übergeht und das Gesicht zerfließt in der Form. Aber zunächst schwamm da dieses Zufallsbild im basischen Bad, was dann mit der Metallzange aus dem Schale gefischt, ins saure Unterbrecherbad gelegt und dann in den Fixierer umgebettet wurde. Creatio ex nihilo. Die Gegenwart dessen, was immer abwesend ist und bleibt.
Die Welt mittels Technik – ein zweites Mal. Im Digitalen ist der Zufall zur Berechnung geworden. Dennoch besitzt auch die digitale Photographie eine Qualität, ihr Bild-Medium freilich ist ein anderes als das der analogen Photographie. Das Wesen der Photographie hat die digitale Photographie entscheidend verändert, und dem sollte sich die Photographin, der Photograph, die sich mit mehr als nur dem Photographieren selber beschäftigen, stellen. Das digitale Photo vermag es, einen Körper ohne den realen Referenten zu erschaffen, Portraits ohne Person. Cyberfaces, wie Hans Belting in seinem Buch „Faces“ schreibt.