Die Burka ist ein Kleidungsstück. Aber nicht alle Kleidungsstücke sind gleich Kleidungsstücke. Ein Thor Steinar-Shirt ist nicht bloß ein Thor Steinar-Shirt, also irgendeine Oberbekleidung, sondern es steht für eine rechtsradikale Einstellung. Nicht anders als die Burka. Sie repräsentiert eine Einstellung, sie setze ein deutliches Zeichen im öffentlichen Raum: Sie steht für die extremistische Ausprägung einer Religion, in der Frauen zur gesellschaftlichen Unsichtbarkeit verdammt, Schwule von Häuserdächern geschmissen werden, die Burka präsentiert eine Religion, in der Frauen das Wählen und fast alle Dinge der politischen Öffentlichkeit untersagt sind – so in Saudi Arabien und den Golfstaaten. Genau dies symbolisiert die Trägerin mit diesem Stück Stoff. (Ironischerweise übernahm von 2009 bis 2011 eine arabische Investorengruppe die Marke Thor Steinar. „Als Gesellschafter fungiere die International Brands General Trading (IBGT) mit Sitz in Dubai, Geschäftsleiter sei Faisal al Zarooni.“ So schreibt die SZ. Die Produkte verkaufte sie mit nordischen Bezeichnungen wie „Holmgard“, „Ragna“ oder „Wernulf“. )
Vor allem steht diese grauenvolle Ausprägung des Islam gegen ein menschliches und elementares Grundrecht aufgeklärter Gesellschaften: Sein Gesicht zeigen zu dürfen und damit als Person, als Persönlichkeit und vor allem als Mensch präsent zu sein. Kein anderer Teil des Körpers als das Gesicht mit seiner Mimik, seinen Zügen, ist so sehr Ausdruck dieser Persönlichkeit. Nicht umsonst kennen wir die Redensart „sein Gesicht verlieren“. Und im Gegensatz zum Habit der Nonnen, der immer wieder gerne als – freilich unpassender – Vergleich herangezogen wird, verbirgt keine Nonne ihr Gesicht. Insofern ähnelt die Kopfbedeckung der Nonne dem Hidschab und dem Tschador. Mit dem Unterschied freilich, daß in Europa nicht jede Frau den Habit tragen muß, sondern lediglich jene, die das Gelübde ablegten. Auch dieser Unterschied wird von den Verteidigern dieser Art von Kleidung gerne unterschlagen.
Gesicht zeigen, steht zudem für eine Haltung, die ganz unmittelbar mit der Person als Subjekt und in der Moderne seit der Renaissance auch als Individuum verbunden ist. Gleiches gilt für die Selbstdarstellungen des Menschen, für seine symbolische Repräsentation in der bildenden Kunst, die ebenso eine Weise der Präsentation ist: wie ich mich im Portrait selber sehen möchte, wenn es sich um eine Auftragsarbeit handelt, oder wie ein Künstler mich sieht – man denke an das Portrait von Papst Innocent X oder man schaue auf das berühmteste Bild der Kunstgeschichte, nämlich die Mona Lisa. Das Portrait ist in der Kunstgeschichte Europas das herausragende Genre, die Königsdisziplin der Malerei. Hier verband sich zum ersten Mal die Subjektivität eines Menschen mit dem gesellschaftlichen Ausdruck: Manchmal konfligierte sie mit dem öffentlichen Amt, in anderen Fällen amalgamierte sie sich mit der symbolischen Funktion der Portraitierten. Insbesondere im Portrait zeigen sich die zwei Körper des Menschen: der soziale und der individuelle Teil.
Wieweit das konkrete Gesicht für eine Kultur Bedeutung besitzt, zeigt das Buch des Kunsthistorikers Hans Beltung „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“ (2013), worin es auch um die Masken geht, was ja der Begriff der Person unter anderem ebenso bedeutet. Aber selbst eine Maske zeigt noch spezielle Züge, die man als individuelle kennzeichnen kann. Weiterhin gibt es den von Siegrid Weigel herausgegebenen Sammelband „Gesichter. Kulturgeschichtliche Szenen aus der Arbeit am Bildnis des Menschen“ (2013):
„Als Außenansicht eines mit Affekten oder Gefühlen begabten Wesens ist das Gesicht in der europäischen Kulturgeschichte zum verdichteten Bild des Humanum geworden – und ist zugleich doch ein Kompositbild aus unzähligen visuellen Überlieferungen, Beschreibungen und den Zügen der jeweiligen Zeitgenossen.“
Mit dem Eindringen der Burka sind wir in Europa dabei, dieses Humanum schleichend auf dem Altar vermeintlicher Freizügigkeit in Religionsdingen zu opfern. Davon ab, daß wir in einer Art „Dialektik der Aufklärung“ dieses Humanum eines entfalteten, freien Individuums qua Produktionsverhältnissen in einem Akt der Selbstdestruktion immer wieder preisgaben. Wir sollten dem nicht noch eine weitere Variante hinzufügen. Insbesondere nachdem es Europa Jahrhunderte gekostet hat, sich vom Zwang der Religionen zu befreien.
Es ist die Schizophrenie bzw. der blinde Fleck einer bestimmten Position, die meist von links her kommt, und ich frage mich, ob es sich dabei um die Auswirkung eines fatalen mißverstandenen Kulturrelativismus und eines absurd überspitzten Begriffs von Antirassismus handelt: Merkwürdigerweise wandeln sich die, welche Thor Steinar Shirts verbieten wollen, bei einem Symbol tieftotalitärer Ausprägung wie Burka und Niqab in große Freiheitskämpfer, während ansonsten der Slogan „verbieten, verbieten, verbieten“ gar nicht laut genug gerufen wird. Ich warte schon täglich auf Margarete Stokowskis Plädoyer für die Burka. Natürlich plädiert sie nicht direkt dafür, denn auch das werden jene Kräfte nicht müde zu versichern: sie sind ja gegen die Burka. Aber eben auch gegen ein Burka-Verbot. Und damit dann auf Umwegen eben doch für die Burka. Auch wenn sie nicht für gut befunden wird.
In den guten, alten, schlechten Zeiten betrieb die politische Linke die Kritik der Politischen Ökonomie, formulierte Gesellschafts- und Religionskritik. Heute setzen sie sich für die Freiheit ein, eine Burka tragen zu „dürfen“. Man weiß nicht recht, was davon zu halten ist und ob das überhaupt noch mit linkem bzw. genauer: mit kritischem Denken konvergiert. Vielleicht sind wir tatsächlich an dem Punkt angelangt, wo linke und rechte Positionen nicht mehr klar im Dualismus und trennscharf auseinanderzuhalten sind. Die alten Oppositionen funktionieren nicht mehr. Linke wandern zum Neoliberalismus über, wir haben plötzlich eine Merkel-Linke, sie favorisieren Kulturformen, die seinerzeit die schärfste Kritik hervorgerufen hätten.
Bereits im Kulturrelativismus und mit Fächern wie den Cultural Studies, die in eindimensionaler Weise und affirmativ betrieben wurden, indem in die fremde Kultur einfach die Sehnsucht nach Andersheit projiziert wurde, der Schwarze sozusagen als mein Stellvertreter und christologische Erlöserfigur, traten politischer Islam und damit der Islamismus ihren Siegeszug in Europa an, und vielleicht setzte der Sündenfall der Linken tatsächlich damit ein, als Michel Foucault während des Aufstands im Iran 1978/79 in revolutionärer Naivität anfangs gewisse Sympathien für die Anhänger Khomeinis hegte. Ich habe das in früheren Debatten anders gesehen. Aber mittlerweile muß man diese Formen des Engagements fürs Andere auf ihre Reflektiertheit befragen. Auch wenn die Artikel Foucaults aus dem Jahre 1979 und 1980 nirgends direkt sich für Khomeini aussprechen.
Freiheitsrechte für solche zu fordern, die Unfreiheit fördern, ist problematisch. Und diese Variante des politischen Islam weiß sehr genau, weshalb sie Frauen dieses Grundrecht auf Person und Individualität nehmen möchte und wie sie diese Forderungen in europäischen Gesellschaften als Konterbande untermischt. Diesen totalitären Zugriff auf den Körper sollten wir in Europa nicht zulassen. Wer vor diesen Fragen ausweicht, sie beschönigt oder überdehnte Freiheitsbegriffe gelten macht, trägt ungewollt zur Politik des Appeasement gegenüber der imperialen Logik einer Religion bei – ob die Gegner von Verboten das nun wollen oder nicht. Das eben ist der blinde Fleck. Das gut Gemeinte ist selten das Gute und schon gar nicht das gegenwärtig Gebotene, um dem politischen Einfluß einer totalitären Variante des Islam Paroli zu bieten. Allerdings vermute ich, daß der Feind eher auf schleichenden Füßen kommt. Michel Houellebecqs großartiger Roman „Unterwerfung“ zeigt diese Dystopie.
Ein Verbot der Burka ist aus zwei Gründen geboten: Zum einen gibt es Dinge, die wir im öffentlichen Raum nicht dulden sollten. So wie wir die völlige Nacktheit auf öffentlichen Plätzen verbannten. Wolfram Schütte wies auf „Glanz und Elend“ darauf hin und plädiert, so wie auch der Verfasser dieser Zeilen, für ein Verbot von Burka und Niqab.
Und ganz richtig sagt Schütte, es gehe beim Burkaverbot nicht um ein subjektives Gefallen oder Nichtgefallen. Im öffentlichen Raum finden wir vieles, das wir nicht verbieten können und wollen, vieles was uns mißfällt. Das bleibt in einer Gesellschaft nicht aus. Der Anblick von sozialem Elend ist nicht schön, und wir können dem nicht durch Verbote begegnen, indem wir Obdachlose und Bettler aus Fußgängerzonen verbannen, sondern nur mit sozialen Maßnahmen. Durch das Verbot des Alkoholtrinkens oder von Drogen sind die Drogen keineswegs aus der Öffentlichkeit verband. Und die Burka ebensowenig.
Aber – und damit komme ich zum zweiten und wesentlichen Aspekt: Gesetze und Verbote bewegen sich immer auch auf einer Ebene des Symbolischen, sie generieren Bedeutung, sie haben Zeichencharakter. Sie sind Ausdruck für eine Haltung und für einen politischen Willen: Bis hierher und nicht weiter! Wenn der Staat beschließt, die NPD zu verbieten, so macht er das nicht, weil die NPD zu stark geworden ist – wie auch bei Burkaträgerinnen ist die Zahl der NPD-Wähler überschaubar -, sondern es werden mit der NPD, der Holocaustleugnung und auch dem Hakenkreuz Zeichen verboten, die für einen bestimmten, unerwünschten Gehalt stehen. Nicht anders als die Burka.
Im Falle ihres Verbotes handelt es sich um ein politisches Instrument gegenüber einem Symbol, das scheinbar der religiösen Sphäre entstammt. Man könnte hier Carl Schmitt weiterspinnen, der schrieb, daß die Begriffe des Politischen ursprünglich theologisch aufgeladene Konzepte sind. Beim radikalen Islamismus mit seiner Burka jedoch verschwimmen die Übergänge. Oder genauer: sie kehren sich um. Die Burka entstammt dem Politischen, sie ist Symbol und Zeichen für totalitäre Herrschaft. Die Burka fährt auf dem Ticket des Religiösen, um sich Absolution zu erbetteln. Doch ist sie in ihrem Wesen ein zutiefst politisches Instrument. Politische Symbole jedoch, die der FDGO entgegenstehen, können wir verbieten, ohne daß es sich um einen Verstoß gegen Grundrechte handelt – um hier systemimmanent zu argumentieren.
Sicherlich kann man Gründe finden, gegen ein Verbot der Burka sein – ob es sich dabei freilich um gute Gründe handelt, bezweifle ich. Der Blogger Summacumlaude macht – und darüber muß man nachdenken – rein pragmatische Gründe geltend. Ansonsten allerdings entdecke ich bisher kein gutes Argumente, was gegen ein Verbot spricht. Wer eine Burka tragen möchte, findet Länder, wo eine Frau dieses Kleidungsstück anlegen darf. Schlimm genug zwar, vor allem für die Frauen in jenen Ländern, die dieses Utensil sich überstülpen müssen, ohne daß sie gefragt werden. Solchen Gesinnungsterror, der in Namen einer Religion auf Frauen ausgeübt wird, sollten wir in Europa nicht zulassen und fördern. Es gibt Anlässe, wo klare Zeichen gefragt sind: Ob das nun Rechtsradikalismus ist oder Spielarten eines radikalintoleranten Islamismus, der ganze Menschengruppen zu bestimmten Handlungen zwingt, die sich qua Bekleidung öffentlich manifestieren.
Hier müssen wir die Grenzen der Toleranz ziehen. Und die werden in öffentlichen Diskursen ausgehandelt. Am Ende ist es eine Frage der Mehrheiten, ob wir in der BRD die Burka wollen oder nicht. Und allerdings frage ich mich, ob Frauen, die in der BRD freiwillig eine Burka tragen, hier wirklich gut aufgehoben sind, was die minimalen Ideen und Ideale einer Gesellschaft und ein Miteinander auf Augenhöhe betrifft. Gehört eigentlich zur Religionsfreiheit auch die weibliche Genitalverstümmelung, wie sie von Teilen des Islam praktiziert wird? Auch über diese Freiheit in der Religionsausübung müßte man in letzter Konsequenz erlauben.
Wenn wir in Europa einen aufgeklärten Islam wollen – und den werden wir angesichts der Masse an Moslems brauchen: ob es uns paßt oder nicht – dann setzen wir für die Sphäre der Öffentlichkeit wie auch des Privaten ein falsches Zeichen, wenn wir Burka und Niqab tolerieren. Kopftuch ja – solange es im privaten Bereich als Straßenkleidung verbleibt. Wer allerdings beim Staat arbeitet, muß sich entweder einen lockeren Umgang mit Religion leisten oder sie kann diese Arbeit nicht wahrnehmen.
Die Burka ist keine Sache der Religion, sondern politisches Symbol und Zeichen – bewußt instrumentalisiert, um auf dem Ticket der Religionsfreiheit und der Freiheit in Bekleidungsfragen eine plurale Gesellschaft zu untergraben. Im Koran ist an keiner Stelle von einer Burka die Rede. Auch daran sollte man in dieser Debatte immer wieder erinnern, wenn es heißt, die Burka sei ein religiöses Symbol. Und man sollte die Imame und die islamischen Verbände zu einer Stellungnahme herausfordern.
Ein noch edleres Zeichen wäre es freilich, wenn in Europa islamische Geistliche in einer Fatwa von sich aus proklamierten, daß die Burka nicht zwangsläufig zum Islam gehört. Ein Zeichen, das zeigen würde: Der Islam ist in der Aufklärung angekommen. Bisher sieht das nicht so aus. Wir müssen weiterhin die Schriften von Averroës und Avicenna lesen und mit dem West-östlichen Divan sinnieren.