„Unsere Schuld ist es nicht, wenn wir in der Blutarbeit des Krieges auch die des Henkers verrichten müssen. Dem Soldaten ist das kalte Eisen in die Hand gegeben. Er soll es führen ohne Scheu; er soll dem Feind das Bajonett zwischen die Rippen rennen; er soll sein Gewehr auf ihre Schädel schmettern; das ist seine heilige Pflicht, das ist sein Gottesdienst.“
(Pfarrer Schettler, zum Krieg im Krieg gegen die Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkrieges, zitiert nach: Gerhard Roth, Eine Reise in das Innere Wiens)
Es ließen sich zum heutigen Tage ebenso andere Texte oder Reden zitieren. Vielleicht jener legendäre Schluß aus Thomas Manns „Zauberberg“: Hans Castorp in die Schlacht ziehend, in den Feldern, in der Ebene. Oder aber Karl Kraus‘ Gedicht von den Raben aus „Die letzten Tage der Menschheit“ – jenem Theatrum mundi. Absurde, grausame Apokalypse: Kriegsgewinnler und geistig Versehrte, Verblödete und Verblendete, die auf den Phrasensound anspringen, gestern wie heute, in ihrem deformierten Denken. Aber lassen wir zum heutigen Tage ruhig einen Pfaffen sprechen: es ist sehr passend, denn die Pfaffen tönen gerne und segnen die Fahnen, solange sie nicht selber oder ihre Söhne und Enkel in die Schlachten ziehen müssen. „Hannemann, geh du voran …!“ wie wir seit den „Sieben Schwaben“ und einem Song von Peter Alexander wissen.
Das Lied vom Lindenbaum, das Hans Castorp so sehr berührte – dieses Lied aus der Sphäre des Todes und der Liebe zu einem ganz Anderen – es klingt in der Schlacht und durch den Schlamm der Gräben robbend auf Castorps Lippen nach. Singend, summend. Im Verlauf eines komplexen Bildungsprozesses, wie ihn Wilhelm Meister noch als Selbstausbildung eines autonom sich aufsteigernden Subjekts auffassen konnte, steht bei Thomas Mann das Flachland: Die Schlachtfelder Flanderns oder der Champagne, und so wird am Ende des „Zauberberges“ die Autonomie zur Hohlform, was sie freilich bereits am Anfang des Romans war: Castorp bildete sich nicht selber aus, wie es noch das Goethesche Autonomie-Ideal jener klassischen Epoche vorsah, sondern er wurde, im Text fast zur Parodie verzehrt, ausgebildet – hin und hergerissen zwischen den Mächten und den Positionen. Ein Protagonist, mit dem man so oder auch anders umspringen konnte und der dennoch ein seltsames Eigenleben bewahrte, sei es im Schneegestöber, beim Strandspaziergang, wenn das Wesen der Zeit in den Erfahrungsraum rückt, oder wenn es um die Liebe zur schönen Russin ging. Insofern ist der „Zauberberg“ sicherlich der Roman, welcher – neben Prousts „Recherche“ und Musils „Mann ohne Eigenschaften“ das Vorspiel zum Ersten Weltkrieg literarisch pointierte.
„Lebe wohl, Hans Castorp, des Lebens treuherziges Sorgenkind. Deine Geschichte ist aus. Zu Ende haben wir sie erzählt; wie war weder kurzweilig noch langweilig, es war eine hermetische Geschichte. Wir haben sie erzählt um ihretwillen, nicht deinethalben, denn du warst simpel. Aber zuletzt war es deine Geschichte; (…)
Fahr wohl – du lebest nun oder bleibest! Deine Aussichten sind schlecht; das arge Tanzvergnügen, worein du gerissen bist, dauert noch manches Sündenjährchen, und wir möchten nicht hoch genug wetten, daß du davonkommst.“