Hegel – Kritiker der Postmoderne avant la lettre

 „Was hat uns bloß so ruiniert?“ (Frei nach Die Sterne)

„Und nun erfaßt sich diese Virtuosität eines ironisch-künstlerischen Lebens als eine göttliche Genialität, für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann. Wer auf solchem Standpunkte göttlicher Genialität steht, blickt dann vornehm auf alle übrigen Menschen nieder, die für beschränkt und platt erklärt sind, insofern ihnen Recht, Sittlichkeit usf. noch als fest, verpflichtend und wesentlich gelten. So gibt sich denn das Individuum, das so als Künstler lebt, wohl Verhältnisse zu anderen, es lebt mit Freunden, Geliebten usf., aber als Genie ist ihm dies Verhältnis zu seiner bestimmten Wirklichkeit, seinen besonderen Handlungen wie zum an und für sich Allgemeinen zugleich ein Nichtiges, und es verhält sich ironisch dagegen.

Dies ist die allgemeine Bedeutung der genialen göttlichen Ironie, als dieser Konzentration des Ich in sich, für welches alle Bande gebrochen sind und das nur in der Seligkeit des Selbstgenusses leben mag. Diese Ironie hat Herr Friedrich von Schlegel erfunden, und viele andere haben sie nachgeschwatzt oder schwatzen sie von neuem wieder nach.“

Diese Kritik Hegels in seinen „Vorlesungen über Ästhetik“ ist, wenn wir einen substantiellen wie auch wesentlichem Begriff von Subjekt sich entwickeln lassen, nicht von der Hand zu weisen. Andererseits aber teile ich diesen Standpunkt der Ironie unter den Bedingungen der Moderne. Daß in dieser Moderne des endenden 18., des aufkeimenden 19. Jahrhunderts das Subjekt zugleich auch ein unglückliches, zerrissenes, gespaltenes sein kann, sehen wir bereits in der Philosophie Kants und in dessen unaufhebbaren Dualismen: Notwendigkeit und Freiheit, Sinnlichkeit und Vernunft, Anschauung und Begriff. Was Schiller noch auf verschlungenen Wegen und im Banne von erpreßter Versöhnung in der ästhetischen Erziehung und in Kunst zu schlichten versuchte (vermitteln würde ich es nicht nennen wollen), geriet bei Heinrich von Kleist zum Desaster, zum Bruch, zur Katastrophe. Freilich beschenkte uns dieser Riß mit herrlichen Texten. Der Standpunkt der Ironie verweist auf das Versatzstück Subjekt, auf das zerteilte, gestückelte, in seinen Bezügen fragmentierte Individuum, das freilich schon lange keines mehr ist – weder als künstlerisches noch als bürgerliches. Jedoch:

„Bleibt das Ich auf diesem Standpunkte stehen, so erscheint ihm alles als nichtig und eitel, die eigene Subjektivität ausgenommen, die dadurch hohl und leer und die selber eitle wird. Umgekehrt aber kann sich auf der anderen Seite das Ich in diesem Selbstgenuß auch nicht befriedigt finden, sondern [muß] sich selber mangelhaft werden, so daß es nun den Durst nach Festem und Substantiellem, nach bestimmten und wesentlichen Interessen empfindet. Dadurch kommt dann das Unglück und der Widerspruch hervor, daß das Subjekt einerseits wohl in die Wahrheit hinein will und nach Objektivität Verlangen trägt, aber sich andererseits dieser Einsamkeit und Zurückgezogenheit in sich nicht zu entschlagen, dieser unbefriedigten abstrakten Innigkeit nicht zu entwinden vermag und nun von der Sehnsüchtigkeit befallen wird, die wir ebenfalls aus der Fichteschen Philosophie haben hervorgehen sehen. Die Befriedigungslosigkeit dieser Stille und Unkräftigkeit – die nicht handeln und nichts berühren mag, um nicht die innere Harmonie aufzugeben, und mit dem Verlangen nach Realität und Absolutem dennoch unwirklich und leer, wenn auch in sich rein bleibt – läßt die krankhafte Schönseelischkeit und Sehnsüchtigkeit entstehen. Denn eine wahrhaft schöne Seele handelt und ist wirklich. Jenes Sehnen aber ist nur das Gefühl der Nichtigkeit des leeren eitlen Subjekts, dem es an Kraft gebricht, dieser Eitelkeit entrinnen und mit substantiellem Inhalt sich erfüllen zu können.“

Im Grunde ist dieser Riß, der durch Welt und Subjekt gleichermaßen sich zieht, der Motor der Kunst der Moderne. Als Lebenspraxis freilich bleibt – zumindest in der Diktion Hegels – solch hohltönendes, eitles, selbstbezügliches oder fragmentiertes Subjekt, dem es an Kraft gebricht, leer. Residual. Mit der deutschen literarischen Romantik einerseits, mit Hölderlin, Kleist und später dann Büchner andererseits setzt diese ästhetische Moderne ihren Auftakt. Eine Moderne, die im Subjekt und zugleich gegen dieses ihre Triumpfe feierte. Die wesentlichen literarischen Werke des frühen 20. Jahrhunderts erzählen davon. Ganzheit ist Phantasma.

Die sich im dialektischen Prozeß des Denkens entfaltende Einheit, die Vermittlungsleistung von Begriff und Wirklichkeit, von Wahrheit und Wissen wäre nach Hegel herzustellen, und in einem wohl eingerichteten Staat realisierte sich der Gang des Geistes, wie ihn Hegel in seiner „Phänomenologie“ diskursiv wie auch poetisch beschwor: Substantialität und Subjektivität, Vernünftigkeit sowie die Wirklichkeit des Sittlichen verknüpfen sich darin. Das weist auf eine befreite Gesellschaft, die gegenwärtig freilich nicht einmal mehr denkbar ist. Kunst antizipierte etwas davon. Inzwischen sind jedoch auch der Schein und die Illusion, die der Kunst immanent waren, zerronnen.

Mein ästhetisches und gesellschaftlich inspiriertes Projekt ist es, Liebe und Subjekt aus der Welt zu brennen, als Glutofen, der alles, was besteht, in die Asche auflöst, oder eben: zu gefrieren. Die Spätmoderne als Kältekammer. Das Märchen von der Schneekönigin und ihr kalter Spiegel der Vernunft nicht als Metapher in die Welt geworfen, sondern als paradigmatische Zuspitzung. Frostherz – mein liebstes.

Das Design bestimmt das Kunstsein. Kleiner topologischer Abgesang

„Wie gesagt: Jede Ware kann als Kunst gesehen und erlebt werden. Die totale Ästhetisierung der Welt, inklusive der Warenwelt, bildet den Horizont, in dem sich der moderne Kunstbetrachter notwendigerweise bewegt. Der Unterschied zwischen dem üblichen, ‚prosaischen‘ und dem ästhetischen, ‚poetischen‘ Konsum – zwischen Bedürfnis und Begehren, zwischen Notwendigkeit und Exklusivem – ist damit längst verschwunden.“

 Diese Sätze schrieb – hellsichtig, wie es gute Philosophen nun einmal sind – Boris Groys unlängst im Jahre 2003 in seinem Buch „Topologie der Kunst“. (Wobei Groys am Ende, das muß man mit dazu schreiben, diese Sicht vom Nachlassen der Kunst als Kraft und als sinnliche Überwältigung, als Prozeß der Kreation nur bedingt teilt.) Mit Duchamps Ready-mades ahnten wir diesen Umstand bereits, als er seinen Flaschentrockner und das Urinoir (Fontaine) präsentierte, und einige Jahrzehnte später dann lehnte sich der Werbegrafiker und umfassende Factory-Künstler Andy Warhol an diesen Aspekt der Kunst an und führte die Reproduktion des gewöhnlichen Gegenstands als Kunst fort.

Wenn dann, wie Hanno Rauterberg in seinem neuen Buch „Die Kunst und das gute Leben: Über die Ethik der Ästhetik“ beschreibt, die Performerin Marina Abramović 2014 zur Fußball-WM in Brasilien eine ihrer Kunstaktionen für Adidas ummünzte und als Werbung zur Verfügung stellte, tangiert diese Ästhetisierung der Waren und die Anästhesie der Kunst – so mutmaße ich – zwar nicht Kunst insgesamt, aber doch die der Frau Abramović. Mit böser Zunge könnte man behaupten, daß diese Anästhesie an sich bereits in ihrem Werk angelegt war, um in dieser Drastik die Kunst eben auch für die ästhetisierende Werbung  nutzbar zu machen. Machen wir uns nichts vor: Das Kunstwerk ist lediglich eine Ware unter vielen anderen.

Der österreichische „Kurier“ schreibt über Abramović:

„Die Marke Marina
Marina Abramović bleibt dennoch eine globale Marke für Direktheit, Sensibilität – und für Humorlosigkeit. Eine Marke, die auch nicht davor zurückscheut, mit anderen Marken zu kooperieren und sich deren Strategien zunutze zu machen. So tat sich mit dem Sportartikelhersteller Adidas zusammen, um rechtzeitig zur Fußball-WM ein Video zu lancieren. Die Idee zu der Performance, bei der es laut PR-Text um die Kraft von Teamgeist und Zusammenarbeit geht, stammt aus dem Jahr 1978. Nur wird sie nun Fußball-affin von 11 Performern ausgeführt, die – Überraschung – spezielle Turnschuhe tragen.“

 Die Intensität der bildenden Kunst [ihrer Überschneidungen, wenn die Gattungen sich, wie in der Performane-Kunst, verfransen, die Struktur des Werkes als Kunstwerk, sein Wahrheitsgehalt] weicht dem bloßen Ausstellungswert als Ware. Die Wahrheit der Kunst erweist sich – freilich mit einer in der Logik der Sache gegründeten Notwendigkeit – im Prozeß der Geschichte als die Ware. Dicht liegen wir hier bei der Philosophie Walter Benjamins, der im Detail und in ihren Kontexten die Welt der Waren im Paris des 19. Jahrhunderts betrachtete und dazwischen den Künstler als Flaneur, als Sammler, als Lumpensammler sah. Nur wirkte dieser Künstler noch – Paradefall wären hier Flaubert und Baudelaire – rein im Sinne einer Kunst um der Kunst willen: Dem Bürger Schrecken einzuflößen, eine Welt im Werk zu bewältigen, ja zu überwältigen und die Abgründe zu durchschreiten. Die Ware als Kunst war jedoch als Tendenz bereits schon für den Blick des Flaneuers, der sich durch die Pariser Passagen treiben ließ, angelegt. Zur Vollendung gebracht wurde dieser Prozeß dann in der Gegenwart: „Wir sind fähig, jede Ware ‚ästhetisch‘ zu erleben – es ist nur eine Frage der Optik, der Perspektive, die man leicht umstellen kann, wenn man entsprechend trainiert ist. Und inzwischen sind alle – oder fast alle – Betrachter entsprechend trainiert.“ (B. Groys)

Dieses Verhalten camoufliert sich als ironische Subversion, so daß man noch dem blödesten Warengegenstand und dem schlechtesten Musikstück einen irgendwie gearteten Mehrwert abpressen kann. (Anders wäre das Verhängnis vermutlich auch gar nicht auszuhalten.) Der Pop und überhaupt das, was sich popular culture nennt, ist das Lebenselixier dieser (vermeintlichen) Subversion. An dieser warenförmigen Kunst haben viele Künstlerinnen und Künstler teil, nicht nur Marina Abramović, die Nanas von Niki de Saint Phalle wie auch die Kitschobjekte Jeff Koons oder die Kunst Damien Hirsts, die ihren Warencharakter gar nicht mehr verbirgt, sondern als Kunst offen zur Schau stellt. Einen interessanten Text über jene kunstgewerblichen Nanas verfaßte der Alte Bolschewik auf dem Blog „Shifting reality“, wo er über seine Reise ins Guggenheim-Museum in Bilbao berichtete. Ich teile seine Sicht weitgehend. Ähnliches Unbehagen befiel mich, als ich mir 1985 in Paris den Strawinski- bzw. Tinguely-Brunnen in Paris beim Centre Pompidou betrachtete. Kunst geht den Bach runter, dachte ich mir. Es ist schier und schlicht entsetzlich. Was sich als Unbefangenheit und vermeintlich frohes Spiel inszeniert, ist in seiner Darstellung nun aber hochgradig befangen und bloßer Trug. „Es ist vorbei und die Moderne trug sich zu Grabe“, ging es mir beim Anblick dieser farbbesprenkelt-bunten, eigenwillig geformten Figuren durch den Kopf. Die Kunst der Moderne ist zur Schädelstätte geworden. Freilich möchte ich diese These nicht in dieser Absolutheit stehen lassen. Sie verweist jedoch eminent auf jene Reflexionsfigur vom Ende der Kunst, wie wir sie in Hegels Vorlesungen zur Ästhetik finden. Dezidiert freilich konstatierte bereits im Jahre 1971 Wolfgang Fritz Haug dieses Verhältnis von Ware und Sinnlichkeit in seiner „Kritik der Warenästhetik“.

 „Im Ausdruck Warenästhetik kommt eine doppelte Verengung hinzu: einerseits auf ‚Schönheit‘, d.h. auf eine sinnliche Erscheinung, die auf die Sinne ansprechend wirkt; andererseits auf solche Schönheit, wie sie im Dienste der Tauschwertrealisierung entwickelt und den Waren aufgeprägt worden ist, um beim Betrachter den Besitzwunsch zu erregen und ihn so zum Kauf zu veranlassen.“ (Wolfgang Fritz Haug, Kritik der Warenästhetik)

 Inzwischen bestimmt vielfach leider das Design das Sein der Kunst. Was Haug als These in bezug auf die Ästhetisierung der Waren entwickelte, kann weitergeschrieben werden im Blick auf die Warenförmigkeit des Kunstwerkes. Galt es Heideggers Kunstwerkaufsatz noch, das Dinghafte eines Werkes und was dieses von dem Kunstwerk scheidet, gleichsam im Sinne einer Ontologie des Kunstwerkes, in seinem Grund freizulegen, so müssen wir heute uns auf das Warenhafte besinnen. Wieweit kann die in der Gegenwart produzierte Kunst in ihrer immanenten Verfaßtheit und Struktur sich diesen Aporien überhaupt noch entziehen?

Die Dialektik des Teufels

„Dicitur imago diaboli pulchra, quando bene representat foeditatem diaboli, et tunc foeda est.“
(Bonaventura, Sentenzen)
[Man nennt das Bild des Teufels schön, wenn es die Häßlichkeit des Teufels gut wiedergibt.]

Das Schöne lebt; selbst in einem Kunstwerk, das das Häßliche oder gar das schlechthin Böse zu seinem Inhalt hat, und selbst innerhalb einer Ästhetik des Häßlichen – sozusagen „Unter der Sonne Satans“. Die Bedeutung des Häßlichen und insbesondere der Gestalt des Luzifer bzw. der Satans besaß für den Dichter und ästhetischen Theoretiker Baudelaire eine hohe Bedeutung. Es ist der gefallene Lichtengel, der sich als Struktur einer aufkommenden Moderne erweist, zumindest dann, wenn man mit Baudelaire bzw. mit der Romantik die beginnende ästhetische Moderne (als Epochenbegriff) ansetzt. Licht, Enthüllung und Verhüllung in einem, Erscheinung im Modus der Vergänglichkeit. Es ist für Baudelaire nicht mehr die Natur das Paradies, sondern es sind die künstlichen Paradiese des Rausches, der Großstadt, die seinen Text konstituieren. Zufall, Flüchtigkeit, die Verwesung des Aases, eine Frau, die vorüberging und die der flüchtige Flaneur im Strömen der Masse niemals mehr wiedersehen wird. Das Erhabene, so schrieb es Benjamin, hätte bei einem Großstadtbewohner wie Baudelaire, der kaum noch die Sterne des Himmels wahrnahm, wohl niemals Antrieb für seinen Text geben können. Dieser Kategorie konnte nur von jenem Weisen aus Königsberg als zentraler Aspekt einer (Natur-)Ästhetik gesetzt werden. Trotzdem: auch Kants Theorie bleibt zentraler Bestandteil der ästhetischen Moderne

Der Moderne ist die Ästhetik des Häßlichen eingeschrieben. Der Postmoderne die vom gänzlichen Scheitern und vom Verschwinden der Kunst, so wie wir sie bisher kennen. Wie benötigen keine Kunstwerke mehr, ihre Zeit ist abgelaufen, sie gehören der bürgerlichen Epoche an. Wir brauchen keine neuen Bilder, keine neuen Romane, keine neuen Filme. Was wir benötigen, ist der Diskurs des ästhetischen Theoretikers, der die Bestände sichtet, dekonstruiert und anti-hermeneutisch neu zusammensetzt. Der Ästhetiker ist der neue Künstler, für das 21. Jahrhundert sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Malerinnen und Maler überflüssig.

[Aber es ist ja nur das Bild des Teufels, das wir schön zu nennen pflegen, wenn es nach den Regeln der Kunst und das heißt comme il faut gemalt und präsentiert wird.]

Das Ende der Kunst oder die Kunst des Endens? – Wozu Kunst (6)

„Jene Tendenz, die durch Entkunstung die Kunstwerke unmöglich machen möchte, ist nicht mit dem Appell zu sistieren, Kunst müsse es geben: das steht nirgends geschrieben.
(Th. W. Adorno, Ästhetische Theorie)

Besser Scheitern, schöner scheitern? Für eine Ästhetik des Scheiterns auf Kosten der Kunst? Die Pose oder die Posse der Kritik als Aporie? Der Topos vom Ende der Kunst oder aber: von der Kunst des Endens – er ist alt! Er durchkreuzt und durchzieht die Diskurse seit es die ästhetische Moderne gibt, also seit Kunst als autonome Sphäre, als ausdifferenzierter Bereich ins Spiel kam. Das geschah vor rund 250 Jahren, und in der Malerei im Grunde schon sehr viel früher. Aber bereits jene „Querelle des Anciens et des Modernes“ sowie die Ästhetik des Geschmacks, die sich in den Französischen Salons entwickelte, um ein ausgeklügeltes und raffiniertes System zur Beurteilung von Kunst zu entwickeln, trugen diesen Streit in sich aus. Und in einer ganz anderen Richtung hin, im Sinne einer Politik der Kunst tat sich im Jahre 1968 im legendären Kursbuch 15 in der BRD jene Rede vom Tod der Literatur auf. Es schrieb Hans Magnus Enzensberger:

„Für literarische Kunstwerke lässt sich eine wesentliche gesellschaftliche Funktion in unserer Lage nicht angeben. Wer Literatur als Kunst macht, ist damit nicht widerlegt, er kann aber auch nicht mehr gerechtfertigt werden. Wenn die intelligentesten Köpfe zwischen zwanzig und dreißig mehr auf ein Agitationsmodell geben als auf einen experimentellen Text; wenn sie lieber Faktographien benutzen als Schelmenromane; wenn sie darauf pfeifen, Belletristik zu machen und zu kaufen: Das sind freilich gute Zeichen.“

Zugleich aber kann man hinsichtlich dieses Slogans vom Tod der Literatur mit dem Germanisten Ralf Schnell von einem Mythos sprechen, denn, so Schnell, nirgendwo gab es ein Plädoyer dafür, die Literatur abzuschaffen, nirgendwo wurde das Hinscheiden diagnostiziert. Aber es wurden entscheidende Argumente für eine Funktionsänderung sowohl der Literatur wie auch der Dichter geliefert. (Nachzulesen in: Ralf Schnell: Die Literatur der Bundesrepublik)

Ästhetik heißt immer auch Aisthesis – jenes sinnlich Wahrnehmbare, das uns umgibt und das vermittels des Kunstwerkes in die Gestaltung gelangt. Aber jene Phänomene, jene Dinge, das, was uns umgibt, ist bereits vorstrukturiert und in die Diskurse gepackt.

Man kann sich mit Zitaten augmentieren. Sicherlich. Jenes von Adorno bringt einen ganz bestimmten Aspekt auf den Begriff: Daß es nicht notwendig Kunst geben müsse. Genauso ist ihr Ende denkbar. Ich lasse die Leerstellen, die diesem Zitat von Adorno eingeschrieben sind, auch und gerade im Hinblick auf jene bürgerliche Gesellschaft, die der Kunst zu sehr bedürfte und sich ihrer zugleich als Stachel entledigte, so stehen, wie sie da sind. Diese Leerstellen harren der Lektüre.

Diese Überlegungen zum Ende der Kunst sind eine nicht ganz so kurze Entgegnung auf einen Kommentar der Schriftstellerin Aléa Torik, den sie hier zu meinem letzten Text schrieb. Sie knüpfen an jene Überlegungen an, denen ich den Titel „Wozu Kunst“ gab.

Nein, liebe Aléa, ich fordere nicht das große Epos, davon schrieb ich nirgends. Denn diese Zeiten sind aus den bekannten und genannten Gründen vorbei: Wer einen Bildungsroman im Sinne von Goethes „Wilhelm Meister“ schriebe oder als Karikatur desselben, wie sie Flaubert mit der „Éducation sentimentale“ unternahm, verfiele dem Epigonentum – selbst die Ironie oder die Spiegel- und Potenzierungebene innerhalb eines solche Textes ist mittlerweile eingeplant und berechenbar. Obwohl: es entstünde vielleicht und dennoch gerade aus diesem Zusammenspiel, aus diesem Pastiche ein guter Text. Was allein in solchem Schreiben zählen mag, das sind die handwerklichen Qualitäten. Die Epoche der bürgerlichen Kunst, der bürgerlichen Literatur, der avancierten ästhetischen Form ist vorbei, die Kategorie des Neuen bekam einen anderen Stellenwert, sie schöpfte sich – auch geschichtsphilosophisch – aus.

Das heißt nicht, ich betonte es, daß keine Bücher mehr geschrieben werden können. Im Gegenteil. Allerdings: Was die Kunst betrifft, so ist das frühe 21. Jhd – in gewandelter Weise freilich – dem Mittelalter wieder sehr nahe: Künstlerin und Künstler sind reine Handwerker, sie beherrschen im Rückgriff auf Tradition, Konstruktion und Form ihr Handwerk, sie lernen das in Schreibschulen oder in der stillen Kammer; selbst der Aspekt der ästhetischen Form erweist sich für den gelehrigen Scholasten lediglich als Wiederholbares und gerät damit ebenfalls handwerklich. Kunst ist Kunstgewerbe. „Unsere postmoderne Moderne“ halt.

Das große Epos mag sich als Fragment, als vielfältig erzählte aufgeschlüsselte Geschichte als Umschrift niederschlagen.

Diese Liste der Literatur, die Aléa Torik nannte, ließe sich sicherlich ergänzen: David Forster Wallace, Navid Kermani, Don DeLilo, Roberto Bolaño, um nur einige Schrifsteller zu nennen, die in den letzten zehn Jahren Romane von über 800 Seiten schrieben. Und noch viele Namen mehr lassen sich aufzählen, die nicht mehr jedem (auch mir nicht) geläufig sind. Und es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit und vielfach um Texte, die gelungen sind, komplex erzählt, gut erzählt, klug konstruiert, in der Sprache exakt, auf Tradition rekurrierend und dennoch nicht imitierend, manche Geschichten sind sogar schön zu nennen, weil sie anrühren oder in äußerster Reflexion ein Geschehen, eine Situation, ein Innenleben, eine Szenerie, einen Aspekt des Lebens pointieren und verdichten. Das eben, was man von Literatur erwartet. Und solche Texte werden auch weiterhin geschrieben werden. Darum geht es mir aber gar nicht so sehr. Denn es kann erzählt werden, solange es Menschen in bestimmten Situationen, Subjekte mit ihren Innenräumen, Innenwelten, Außenwelten gibt, über die zu berichten ist. [Und auf einen weiteren Aspekt, der mit Gesellschaft zusammenhängt, wies Alterbolschewik hin. Das sind Überlegungen, die ich für ganz zentral halte.]

Zu erzählen und zu schreiben gibt es immer etwas, solange wahrgenommen, gedacht, gelebt wird – was man so Leben nennt.

Trotzdem: etwas stimmt nicht. Etwas fehlt.

Ich fange mal im vollständig subjektiven (Text-)Gefüge an: Vielleicht ist es – unter anderem – auch dieser Umstand, der sämtliche Kunst auf einen Nenner reduziert: es schreiben und malen und filmen und photographieren zu viele. Jede und jeder in Berlin ist eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller. Keine Party, wo nicht mindestens 20 Menschen hocken, die Kunstprojekte machen und die an Fördergelder heranwollen. Ich sage mittlerweile auf Partys: „Ich bin Verkäufer“ oder „Ich arbeite als Angestellter“, und damit bin ich dort ein Außenseiter und falle auf. „Machst Du denn keine Kunst?“ „Nein!“ [Ich mache sie auch nicht, insofern lüge ich nicht.] Meist nutzen dieses „Nein“ die Künstlerinnen und Künstler dazu, mich mit ihren Dingen vollzuschwatzen. Sie wundern sich, wenn ich ihnen dann im Rahmen einer kritischen ästhetischen Theorie antworte. Daß Künstlerin und Künstler ihr Tun legitimieren, damit sie in dem, was sie machen, nicht ganz und gar sinnlos dastehen, ist verständlich.

Aber zurück zum Allgemeinen, zum ästhetischen Diskurs: Es geht nicht um das radikal Neue, das gleichsam als Sprung aus der Reihe heraus funktioniert; dieses Neue ereignet sich sowieso sehr selten, im Grunde gar nicht, denn eines fußt auf dem anderen – kein Impressionismus ohne Courbet und Delacroix – und es laufen Bewegungen in der Kunst meist parallel, so daß das Neue eher ein Diskurseffekt ist, der sich dann, wie in Picassos „Les Demoiselles d’Avignon“ oder in Kafkas „Prozess“, zwar in einzelnen Werken manifestiert, aber darin nicht gebunden bleibt. Die Versuche abstrakt zu malen, geschahen unabhängig voneinander an verschiedenen Orten: egal ob František Kupka, Delauny oder Kandinsky. Der innere Monolog als eine Weise Literatur zu schreiben oder die Auflösung von Raum und Zeit im Kubismus läßt sich nicht <i>an einen</i> Namen knüpfen. Trotzdem entstand vor knapp über 100 Jahren etwas in der Malerei, das seinesgleichen suchte. Der Begriff des Neuen greift hier gut. Gleiches gilt für die Literatur. Diese Epoche halte ich für eine der produktivsten. In der Bildenden Kunst potenzierte sich diese Entwicklung dann noch einmal nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 90er Jahre hinein. Und dann war Schluß. Allenfalls mag sich eine gewisse Weise der Innovation zeigen, indem sich Kunstgattungen durchdringen und neue Formen erschaffen, so daß Kunst als Interferenzphänomen sich erweist.

Was das Klagen betrifft, so scheinen mir Positionen wie die meine eher die Ausnahme im Betrieb zu sein. Die wenigsten klagen, sondern machen weiter. Was ich wesentlich kritisiere: Kunst verkam und verkommt zum Sedativum oder zum Erlebnispark: allüberall (auf den Tannenspitzen) diese Ausrufe: Wie sinnlich, wie taktil, wie haptisch! Nun sagen manche: das war schon immer so! Aber ja. Das war es, nur haben wir seit zehn, zwanzig Jahren einen Sprung innerhalb der Generierung von symbolischem Kapital gemacht, der seinesgleichen sucht.

Die These vom Ende der Kunst ist alt, das ist wahr. Aber es ändern sich deren Ausprägungen. Ich kritisiere nicht im Sinne Hegels, daß die Kunst als eine Weise des Wissens in anderen Bereichen nun aufgehoben sei. Daß also im Sinne teleologischer Entwicklung vom sinnlichen Scheinen hin zum Begriff Kunst nicht mehr nötig sei, um eine Weise der Repräsentation zu bilden. Denn Kunst verband sich immer schon mit Repräsentationsmodellen. Aber es fand in der gesellschaftlichen Entwicklung eine Art Transsubstantiation zuungunsten der Kunst statt. Werke entleerten sich, ihr Gehalt motivierte sich nicht mehr ästhetisch oder im Bezirk ästhetischer Theorie. Auch kritisiere ich nicht auf die konservative Weise, daß alles unter der Sonne schon einmal da war (was nicht einmal stimmt).

Kunst verkommt heute zu einer Produktion von Ideen, jede(r) hat Ideen, jede(r) dünkt sich kreativ, Kunst erschöpft sich im Akt des Schaffens um dieses Aktes willen, und das ist dann nichts als eine Selbstlegitimation. Kunst ist eher Handwerk denn Avantgarde, es gibt nicht einmal mehr den Plural davon: die Avantgarden: es ist jede(r) eine Künstlerin, ein Künstler, mittlerweile. Der Satz Warhols ist – sogar in einem pädagogischen Sinne – wahr geworden. Und sich selbst zu erfinden und zu gestalten ist ebenso das Projekt des Künstlers wie auch des Arbeitnehmers, um sich an seinem Platz adäquat zu positionieren. Das Survival of the Fittest-Festival bedient sich mittlerweile der ästhetischen Kategorien, man kann im Crossfit-Bootcamp seinen Körper in jeglicher Form ästhetisieren, kapitalisieren und rekapitalisieren, und diese Dinge geschehen ganz und gar freiwillig. Wir transformierten uns, wie es Deleuze in seinem Text „Postskriptum über die Kontrollgesellschaft“ im Anschluß an die Befunde Foucaults schreibt, von einer Disziplinar- zu einer Kontrollgesellschaft, indem das Subjekt die Zwänge derart verinnerlicht, daß sie den Aspekt des Kreativen annehmen und sich auf eine perverse Weise camouflieren. „Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen …“ Oder mit Rilke, torsohaft fragmentiert: „Da ist keine Stelle, die dich nicht ansieht!“ Und wir erwidern den Blick gerne. Kunst scheint mir mittlerweile nicht so weit von diesen Erfindungs- und zugleich Kontrolldiskursen entfernt. Selbst der Widerstand, selbst ein solcher Text ist eingeplant.

Es sind dies zunächst Thesen, die einer Unterfütterung harren, und diese Arbeit macht sich nicht nebenbei, mein Blog zeigt aber womöglich ein wenig von dieser Tätigkeit sowie vom Gang der Reflexion, und insofern ist Kritik ebenso komplex und schwierig wie das Erschaffen von Literatur.

Wozu Kunst? (5) – Noch einmal: Hegel

„Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt vorauszusetzen und es sich ebenso gefallen zu lassen; mit allem Hin- und Herreden kommt solches Wissen, ohne zu wissen wie ihm geschieht, nicht von der Stelle.“

(G.W.F. Hegel, Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“)

Der Philosophie, speziell der Ästhetik kann das Ende der Kunst und die Frage nach ihrem Wozu nicht äußerlich bleiben. Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“ kreisen an mindestens zwei Stellen um dieses Ende, wenngleich sie nicht direkt davon sprechen, denn Hegel sagt nicht: die Kunst ist nun zum Ende gekommen. Diese Rede vom Ende der Kunst kreidete, seinerzeit in Berlin, mancher Hegel an: er verkünde in seinen Vorlesungen das Ende der Kunst und spaziere danach von der Humboldt-Universität her einmal quer über die Straße, um in die Oper oder ins Theater zu gehen.

Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“ sind als Reaktion auf die Strömungen seiner Zeit zu begreifen, insbesondere auf die Philosophie der Romantik, welche jedoch zu Hegels Zeit noch nicht unter diesem Begriff firmierte, erst mit Heines „Die romantische Schule“ (sowie dem Aufsatz „Protestantismus und Romantik“ von Echtersmeyer/Ruge) kam diese Bezeichnung in den Sprachgebrauch. Hegels Kritik galt einer in sich kreisenden Subjektivität, die in unendlicher Reflexion und im unendlichen Poetisieren den Bezug zum Objekt verloren hat.

„Mit den Ausbildungsarten der Komödie sind wir jetzt an das wirkliche Ende unserer wissenschaftlichen Erörterung angelangt. Wir begannen mit der symbolischen Kunst, in welcher die Subjektivität sich als Inhalt und Form zu finden und objektiv zu werden ringt; wir schritten zur klassischen Plastik fort, die das für sich klar gewordene Substantielle in lebendiger Individualität vor sich hinstellt, und endeten in der romantischen Kunst des Gemüts und der Innigkeit mit der frei in sich selbst sich geistig bewegenden absoluten Subjektivität, die, in sich befriedigt, sich nicht mehr mit dem Objektiven und Besonderen einigt und sich das Negative dieser Auflösung in dem Humor der Komik zum Bewußtsein bringt. Doch auf diesem Gipfel führt die Komödie zugleich zur Auflösung der Kunst überhaupt. Der Zweck aller Kunst ist die durch den Geist hervorgebrachte Identität, in welcher das Ewige, Göttliche, an und für sich Wahre in realer Erscheinung und Gestalt für unsere äußere Anschauung, für Gemüt und Vorstellung geoffenbart wird. Stellt nun aber die Komödie diese Einheit nur in ihrer Selbstzerstörung dar, indem das Absolute, das sich zur Realität hervorbringen will, diese Verwirklichung selber durch die im Elemente der Wirklichkeit jetzt für sich frei gewordenen und nur auf das Zufällige und Subjektive gerichteten Interessen zernichtet sieht, so tritt die Gegenwart und Wirksamkeit des Absoluten nicht mehr in positiver Einigung mit den Charakteren und Zwecken des realen Daseins hervor, sondern macht sich nur in der negativen Form geltend, daß alles ihm nicht Entsprechende sich aufhebt und nur die Subjektivität als solche sich zugleich in dieser Auflösung als ihrer selbst gewiß und in sich gesichert zeigt.“ (G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 572 f., Fft/M 1986)

Diese Aspekte der Selbstzerstörung und der Entzweiung im Detail auf Becketts „Endspiel“ und geschichtsphilosophisch auf Adornos Beckett-Aufsatz anzuwenden, gibt eine Aufgabe für sich ab. Vielleicht kann ich diesen Bezug vornehmen, wenn ich zur Lektüre von Adornos Beckett-Essay komme.

Man muß es Hegels Ästhetik hoch anrechnen, Kunst als ein geschichtliches Phänomen und als etwas Prozeßhaftes zur Darstellung gebracht zu haben. Davon ist Kants „Kritik der Urteilskraft“, die freilich keine reine Ästhetik ist, weit entfernt. Die Notwendigkeit, im Rahmen meiner Essays noch einmal auf Hegel zurückzukommen, ergibt sich insbesondere aus jener Sicht auf die Kunst, welche als Apotheose derselben auftritt und die bei Hegel in die Kritik genommen wird. Der Bezug zum Heute liegt nahe, wenn die Strategen des Marketing und die der Komplexitätsreduktion ein Abaton schaffen wollen. Hier wäre die Hegelsche Ästhetik zu rehabilitieren. Andererseits sollte das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden, indem wir dem bloßen Bildersturm huldigen. Hegels Kritik der Kunst bildet keine spätmoderne Perspektive und läßt sich damit nicht ohne weiteres ins Hier und Jetzt transformieren. Aber es wird in Hegels Text doch eine Bewegung des Denkens sichtbar, die über die Arbeit des Begriffes einer Hypostase von Kunst und (unreflektierter) Ästhetik ihre Grenze aufzeigt. Auch Hegels Text arbeitete gegen die Hypertrophie der Kunst an, wenngleich aus einer anderen Motivation heraus, im Grunde deshalb, weil eine Gestalt des Geistes alt geworden ist. In Hegels Text ist die äußerste Negativität und der Bruch bereits eingeschrieben – und mehr noch: sie sind konstitutiv und wurden in keiner Philosophie zuvor derart konsequent in den Blick genommen. Dem Negativen ins Angesicht zu schauen, bei ihm zu verweilen, so Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ (S. 36). Allerdings kann die Kunst in Hegels Text diese Darstellung des Negativen nicht leisten, was eben mit Hegels Konzept von Schönheit zusammenhängt. Zu untersuchen wäre, wieweit, sozusagen gegengelesen, über den Begriff des Symbolischen oder durch die symbolische Kunstform hindurch dennoch so etwas wie Negativität ins Kunstwerk gelangt.

Ironisch äußert sich diese Haltung der Apotheose der Kunst etwa bei Jonathan Meese, wenn er eine Diktatur der Kunst ausruft und mit dem alten Traum eines Teils der Avantgarden – nämlich die Souveränität der Kunst zu inthronisieren, die Differenz von Leben und Kunst aufzuheben – bewußt spielt bzw. dieses schillernde Moment ins Spiel bring, wo man nicht genau weiß, ob dies nun Ernst oder doch nur ein böser oder schlichtweg blöder Spaß ist.

Vollkommen unironisch zeigt sich diese Apotheose beim Verkaufsinteresse des Galeristen oder des Intendanten, der seine Kunst als Ware auf dem Markt feilbieten muß.

Um jedoch auf die Zeit Hegels zurückzukommen, so muß im Rahmen des deutschen Idealismus an dieser Stelle Schellings Identitätsphilosophie und insbesondere sein „System des transzendentalen Idealismus“ genannt werden, welches – unter anderem – als Folie für Hegels Ästhetik diente. Der Begriff der intellektuellen Anschauung, für Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ ein Widerspruch in sich, den Menschen vollkommen unmöglich und versperrt, feiert bei Schelling seinen Triumph. In Schellings „System des transzendentalen Idealismus“ stellt die Kunst die höchste Weise der Philosophie dar, in der das Absolute angeschaut werden kann. So schreibt Schelling:

„Wenn die ästhetische Anschauung nur die objektiv gewordene transzendentale ist, so versteht sich von selbst, daß die Kunst das einzig wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie sei, welches immer und fortwährend auf neue beurkundet, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produzieren, und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten. Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Hächste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln ebenso wie im Denken ewig sich fliehen muß.“ (F.W.J. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, S. 297, Hamburg, 1962)

Diese Bewegung der Philosophie, welche die Kunst als letztes Stadium setzt, gerät in Hegels Text in die Kritik. Insbesondere in der „Phänomenologie des Geistes“ polemisiert Hegel gegen Schelling, wenn er formuliert, daß das Absolute nicht aus der Pistole geschossen käme. Schellings „System des transzendentalen Idealismus“ ist ein System von Setzungen, denen aber die Vermittlung, das heißt das Durchdringen von Begriff und Sache fehlt. Allerdings muß Schellings Text einer immanenten Kritik unterzogen werden, und in die säkulare Sphäre gewendet, berührt er sich an einigen Stellen nicht unwesentlich mit der Ästhetik Adornos.

Schellings Text wird in seiner Feier der Kunst aber von einem „blinden Fleck“ getragen, denn was in seinem „System“ nicht in den Blick gerät, ist dieses umgreifende Moment der Philosophie: die Sichtung, welche er in bezug auf die Kunst vornimmt, kann von der Kunst nicht ausgesprochen, sondern allenfalls gezeigt werden. Ob eine solche Versinnlichung der Ideen aber zureichend ist und seinen Platz vor dem Begriff haben kann, muß selbst innerhalb Schellings Referenzsystem fraglich erscheinen. Es bleibt vielmehr der Philosophie, genauer der Philosophie der Kunst bzw. der Ästhetik vorbehalten, diese „Offenbarung“ der Kunst (Schelling, S. 286) diskursiv darzulegen. Die Gleichwertigkeit von Kunst und Philosophie, daß sich jene beiden Pole in einem komplementären Verhältnis befinden und unabdingbar aufeinander verwiesen sind, wird erst bei Adorno in seiner Ästhetik und in der „Negativen Dialektik“ zur Darstellung gebracht und gelangt dort in die umfassende Bestimmung.

Eine Philosophie, die nicht das Moment des Ästhetischen in sich trägt, ist keine. Freilich erschöpft sich Philosophie nicht im Ästhetischen als leerem Ästhetizismus, und schon gar nicht ist die Philosophie als Dichtung zu begreifen, wie man zum Beginn von Adornos Kierkegaard-Buches lesen kann. Darin opponiert Adorno dem Text Derridas, wenngleich sein Verfahren in der Lektüre Kierkegaards Derrida in manchem nicht unähnlich ist. Zugleich gibt es bei Adorno allerdings über das exzeptionelle Moment des Ästhetischen eine große Nähe zu einem frühen Text Hegels: Jene höchste Funktion der Kunst, die als höchster Akt der Vernunft auf den Plan tritt, wurde von Hegel, Hölderlin und Schelling seinerzeit im Tübinger Stift im Ältesten Systemprogramm des Deutschen Idealismus von 1797 formuliert:

„… daß der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind – Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besitzen, als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere BuchstabenPhilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie.“ (in: Mythologie der Vernunft, S. 12, hg. v. Ch. Jamme und H. Schneider, Fft/M 1984)

Insbesondere sei für eine Ästhetik der Begriff der Kraft betont, und ebenfalls schließt sich hier die Wendung von einer „neuen Mythologie“ an (dazu Manfred Frank, Kaltes Herz. Unendliche Fahrt. Neue Mythologie. Motiv-Untersuchungen zur Pathogenese der Moderne), welche zu schaffen sei – ein zentraler Topos der Romantik, den man in eine  reaktionäre Richtung hin lesen kann, was dann in Unfug wie Botho Strauß‘ „Anschwellender Bocksgesang“ mündet. Aber genauso läßt sich dies in eine emanzipatorische Richtung hin ausformulieren. Paradigmatisch und als pars pro toto nur dies: „Ein neues Lied, ein besseres Lied,/O Freunde, will ich Euch dichten!/Wir wollen hier auf Erden schon/Das Himmelreich errichten.“, so Heine in „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Freilich ist die Ironie und das Bewußtsein der Krisenhaftigkeit diesen Zeilen durch den Kontext bereits eingeschrieben.

Am konsequentesten und in einer ganz emphatischen Weise, beschritt jenen Weg, die Vernunft ästhetisch werden zu lassen, Hölderlin in seiner Dichtung, Philosophie und Dichtung durchdringen sich. Und die stärkste und reflektierteste Transformation widerfuhr diesem „Programm“ später durch Hegel. Überspitzt formuliert, kann man jenes Systemprogramm gar als Vorläufertext zur Postmoderne bezeichnen: die ästhetisch sich transformierende Vernunft ist, wie man sieht kein bloß postmodernes Phänomen der gemütlichen 80er Jahre des 20. Jhds gewesen, sondern in der Geschichte der Philosophie immer einmal wieder virulent geworden.

Auch Adorno rekurriert, allerdings implizit, auf diesen frühen Text, umschifft dabei jedoch die Klippen idealistischer Philosophie und einer postmodernen ästhetischen Vernunft. So erfährt die (Kunst-)Philosophie dieses Systemprogramms, aber auch Schellings „System des transzendentalen Idealismus“ in bezug auf die Kunst durch Adorno eine empfindliche Modifikation. Adorno greift Aspekte der Philosophie Schellings zwar auf, etwa die besondere Rolle der Kunst als Ort von Freiheit und Unfreiheit zugleich. Die Identitätsphilosophie ist jedoch unter den Bedingungen der Spätmoderne nicht zu halten. Bei Adorno tritt die bestimmte Negation als Motor des Denkens an und treibt die Arbeit des Begriffes voran. Im Hinblick auf das Moment des Dialektischen und des analysierenden Denkens steht Adorno sehr viel mehr in der Tradition Hegels, freilich sind die Bezüge zu Schelling nicht gering anzusetzen.

Ein weiteres Motiv, das Adorno von Schelling aufgreift, ist jenes Verhältnis von Kunst und Philosophie: beide bedürfen einander als verschiedene Weisen von Reflexion und als widerständischer Part. Dabei kommt der Kunst – einerseits – jenes deiktische Moment zu, während die Philosophie etwas ausspricht bzw. diskursiv zur Darstellung bringt, was sich ihr in den Formen ihrer Fixierung zugleich entzieht und – Proteus gleich – immer wieder wandelt. Diesen Metamorphosen läßt sich im Rahmen des philosophischen Denkens gleichsam durch Begriffe als Konstellationen begegnen, wie Adorno dies im Rahmen erkenntnistheoretischer Reflexion in der „Negativen Dialektik“ darlegt, sowie vermittels der Mimesis und durch ein ästhetisches Verhalten, welches man als eine ästhetische und vielleicht sogar aisthetische Offenheit bezeichnen kann.

„Die Werke sprechen wie Feen in Märchen: du willst das Unbedingte, es soll dir werden, doch unkenntlich. Unverhüllt ist das Wahre der diskursiven Erkenntnis, aber dafür hat sie es nicht; die Erkenntnis, welche Kunst ist, hat es, aber als ein ihr Inkommensurables. Kunstwerke sind, durch die Freiheit des Subjekts in ihnen, weniger subjektiv als die diskursive Erkenntnis.“ (Adorno, ÄT, S. 191)

Die Kunst, in der Moderne auf ihrem höchsten Punkt und im Zenit stehend, ist zugleich die, welche ihren Sturz vor Augen hat.

Da eine emphatisch verstandene Kunst in ihren avanciertesten Werke ihr Ende zugleich selbstreflexiv in den Blick nimmt – das Paradigma für solches Verfahren, für die Reflexion auf das Ende hin, gibt der Text Becketts ab – und damit auch das „Altern der Moderne“ einen Aspekt der Ästhetik Adornos darstellt, läßt sich seine Ästhetik als Form des Widerstands fassen, welche nicht die affirmative Menschheitsbeglückungs- und Komplexitätsentlastungsmaschine qua Kunst anwirft, um den Zumutungen der Moderne auszuweichen oder um die Motivation zum Mittun an die Hand zu geben, sondern um dem Negativen ins Angesicht zu blicken, bis es vergeht. Im Gegenteil: Kunst bringt diese Dialektik der Moderne, ihre Zweischneidigkeit über das Formgesetz im Kunstwerk, nicht jedoch übers Engagement oder die Parteinahme, in den Blick. Hier mag insbesondere Adornos Essay zu Eichendorff (Zum Gedächtnis Eichendorffs, in: Noten zur Literatur. Dieser Buchtitel stammt, genial gefaßt, von Peter Suhrkamp) von Bedeutung sein, einem Dichter, den man nur schwer wird als progressiv bezeichnen können – sein „Schloß Dürande“ verklärt das Ancien Régime unverhohlen. Aber Adorno schlägt aus der Dichtung Eichendorfs die Funken und zudem eine Theorie der Sprache heraus. Hier erst kommt die Sprachphilosophie (wie auch im Text Benjamins) zu sich selbst und genügt ihrem eigenen Anspruch.

„Aber die allegorische Intention wird in Eichendorffs eigener Dichtung getragen nicht sowohl von der Natur, der er sie an jener Stelle zuschreibt, als von seiner Sprache in ihrer Bedeutungsferne. Sie ahmt Rauschen und einsame Natur nach. Damit drückt sie eine Entfremdung aus, die kein Gedanke sondern nur noch der reine Laut überbrückt. Doch auch das Entgegengesetzte. Die erkalteten Dinge werden durch die Ähnlichkeit ihres Namens mit ihnen selber heimgeholt, und der Zug der Sprache erweckt jene Ähnlichkeit. Ein Potential des jungen Goethe, der nächtigen Landschaft von ‚Willkommen und Abschied’‘ wird bei Eichendorff zum Formgesetz: das der Sprache als zweiter Natur, in der die vergegenständlichte, dem Subjekt verlorene diesem wiederkehrt als beseelte. (Adorno, Zum Gedächtnis Eichendorffs, in: N.z.L., S. 84)

Was in der Dichtung Eichendorffs aufscheint und über die Sprache ein Moment des Unverstellten evoziert, jene „Versöhnung mit den Dingen durch die Sprache“ (S. 84), destruiert sich mit der heraufziehenden ästhetischen Moderne, wird aber vermittels der ästhetischen Kritik dennoch eingeholt, ohne dabei ins Affirmative oder das hoheitsvoll Salbadernde abzugleiten: „An dem avancierten Bewußtsein wäre es, das Verhältnis zum Vergangenen zu korrigieren, nicht indem der Bruch beschönigt wird, sondern indem man dem Vergänglichen am Vergangenen das Gegenwärtige abzwingt und keine Tradition unterstellt.“ (S. 70)

Über diesen Text Adornos und auch vermittels einiger weiterer Essays aus den „Noten zur Literatur“ zeigt es sich aber, daß das avancierteste ästhetische Material, entgegen der Kritik des ansonsten hoch geschätzten Peter Bürger, durchaus plural verfaßt ist. Diese Dialektik des „Alterns der Moderne“ nehme ich jedoch demnächst einer gesonderten Lektüre in den Blick.